Momentaufnahmen von Telana ================================================================================ Kapitel 2: Ein Gefühl der Schuld -------------------------------- Er ließ die neue Rekrutin am oberen Brückenkopf stehen und machte sich alleine auf den Weg zum Lager. Sein Kopf war schwer. Er teilte Cailans Optimismus ob der bevorstehenden Schlacht nicht, denn er, ein Grauer Wächter, hatte ihn gesehen: Den Erzdämon. Es waren nicht nur bloße Träume oder geflüsterte Spekulationen, die das Bild des scheußlichen Wesens in seinen Kopf gepflanzt hatten – es war der Ruf der Bestie selbst gewesen, der diese angekündigt hatte. Duncan spürte, dass er sich schuldig fühlte. Er wusste, dass dies eine Verderbnis war. Doch ihm wurde kein Glauben geschenkt. Er konnte nicht verlangen, dass sich ein ganzes Königreich auf das verließ, was er zu wissen glaubte. Nicht mit Männern wie Teyrn Loghain. Diese Verantwortung, dieses Wissen alleine tragen zu müssen, war eine schwere Bürde. Er konnte nur hoffen, dass Ostagar erfolgreich verteidigt werden konnte und er im Anschluss daran in der Lage wäre, mit Alistair und den neuen Rekruten in die Tiefen Wege zu gehen, um den Erzdämon ausfindig zu machen. Nur, indem sie ihn erlegten, konnten sie der Verderbnis ein Ende setzen. Da war es wieder, die Schuld: Er würde Schuld daran sein, dass einige Rekruten das Beitrittsritual nicht überstanden. Sein Urteil, dass sie vorzügliche Graue Wächter wären, wäre ein falsches gewesen. Auch wäre er schuld, würde jemand von ihnen fallen. Gewiss, dies war der Preis, der mit der Schlacht kam, vor allem mit dem Dasein als Grauer Wächter, und doch kam Duncan nicht umhin, einen bitteren Geschmack beim bloßen Gedanken daran auf seiner Zunge zu spüren. Ganz besonders galt dies für Alistair. Böse Zungen hätten, wüssten sie das, was Duncan wusste, behauptet, er wollte den jungen Mann schützen, da er Anspruch auf den Thron hatte. Für den Fall, dass dem König in der Schlacht etwas zustieße. Ein absurder Gedanke, wusste man um Duncans Verbindung mit Maric, dem verschollenen Vater von König Cailan und Alistair. Es mochte zahllose Jahre her sein, dass sie Seite an Seite in die Tiefen Wege gegangen waren., doch obgleich sie als Fremde von der Erde verschluckt worden waren, so waren sie doch als Verbündete, als Freunde wieder hervorgekommen. Maric, Fiona und er. Für die beiden würde er auch heute noch alles geben. Damals schwor er, viele Monate nach ihrem Abenteuer, dass er stets den Schutz ihres Sohnes gewährleisten würde. Alistairs Schutz. Dieser wusste von dem alldem nichts. Doch dass er hier war, dass er überhaupt ein Grauer Wächter war, stand dem Versprechen von damals mehr als entgegen. Duncan rieb sich die Schläfen als leide er gar schreckliche Kopfschmerzen. Schuld, Schuld, Schuld. Er erreichte das Ende der Brücke, grüßte den Soldaten, der salutierte, und ließ seinen Blick durch das Lager schweifen. Unzählige Männer und Frauen waren hier versammelt. Es waren nicht bloß Soldaten des Königs hier, nein, auch Magier des Zirkels, Templer und Söldner hatten sich hier eingefunden. Priesterinnen der Kirche hielten ihre Predigten und segneten die, die in den bisherigen Gefechten gefallen waren – und die, die noch fallen würden. Auch kümmerten sie sich, gemeinsam mit einigen Heilern des Zirkels, um die Wunden derjenigen, die den Kampf zwar überstanden hatten, aber nun auf eine lange Genesungszeit angewiesen waren. Es roch nach deftigem Eintopf und ein wenig nach Bier. Vom anderen Ende des Lagers her erklang das Gebell der Mabari. Auch der Duft ihres nassen Felles lag in der Luft, eine allzu typische Mischung für fereldische Verhältnisse, dachte Duncan bei sich. Er hatte dieses kalte, seltsame Land gehasst, als er das erste Mal hierher kam. Doch er hatte es zu lieben gelernt, nicht zuletzt aufgrund seiner Verpflichtungen und seiner Freundschaft zu Maric. Dass er es beschützen wollte, es beschützen musste, war da nur mehr als natürlich. Er setzte sich langsam in Bewegung und fühlte sich schwerfällig dabei und alt. Er konnte nicht leugnen, dass der Ruf auch ohne die bevorstehende Verderbnis lauter war als in seinen früheren Jahren. Ein Umstand, mit dem sich auf kurz oder lang alle Wächter abfinden müssen. Eine Heilung nämlich gab es nicht. Er grüßte Daveth mit einem Nicken seines Hauptes. Der Schurke hatte in Denerim versucht, sein Gold zu stehlen. Als die Wachen ihn dafür bestrafen wollten, hatte Duncan von Konskriptionsrecht gebraucht gemacht und Daveth für die Grauen Wächter rekrutiert. Es mochte wie ein gütiger Akt erscheinen, hätte die Stadtwache den Mann doch aufgrund von wiederholten Diebstählen hingerichtet, doch das war es nicht. Ganz und gar nicht. Zu sehr erinnerte Daveth ihn an sich selber, als er noch jung war, und ebenso daran, dass er niemals hatte so etwas wie ein Grauer Wächter sein wollen. Welch seltsame Streiche das Schicksal doch spielt. Auch Jory sah er. Der Krieger hatte seine Aufmerksamkeit auf sich und seine Talente gezogen, als er ein Turnier in Highever gewann. Danach hatte Duncan ihn für seinen Orden rekrutiert. Das Wissen, dass seine Frau mit einem Kind im Leib in Redcliff auf die Rückkehr des Ritters wartete, versetzte Duncan einen Stich. Er war dünnhäutig an diesem Tag, wund gerieben von schlaflosen Nächten, den Ruf der Dunklen Brut und den Schuldgefühlen, die mit jedem weiteren Tag nur so an ihm fraßen. Er fand sich an dem großen Feuer ein, welches unweit der Lagermitte entzündet worden war. Obgleich es helllichter Tag war, schien das Gebiet um es herum noch einmal etwas strahlender zu sein als das umliegende Gelände. Die Wärme, die es ausstrahlte, erinnerte Duncan an warme Sommertage in Orlais, als er noch ein Kind war, und an seine Mutter. Sie war im Norden von Thedas geboren worden, in Rivain. Von ihr hatte er seine dunkle Hautfarbe geerbt sowie auch seine Affinität zur Wärme. Es wunderte ihn wenig, dass Ferelden ihm oft viel zu kalt erschienen war. Das Blut in seinen Adern war schlichtweg zu warm. Und verderbt, dachte er bitter, es war heute verderbter als jemals zuvor. Zwei wichtige Ereignisse würden einen Großteil dieser Nacht in Anspruch nehmen. Zum einen ging er davon aus, dass die Rekruten ihre Aufgaben in der Korcari-Wildnis, von denen sie noch nichts wussten, rasch erledigen würden, sodass bereits am Abend das Beitrittsritual erfolgen konnte. Der Kelch stand bereits in Duncans Zelt, er würde ihn später noch vom Schmutz der Reise und vielleicht von etwas Staub befreien. Zum anderen stand eine taktische Besprechung mit König Cailan aus. Der Mann war jung und voller Hoffnung. Er wollte eine Schlacht wie aus den Märchenbüchern, die man ihm als Kind allzu oft vorgelesen hatte. Solche Schlachten, das wusste Duncan, gab es nicht. Jede Schlacht war gezeichnet von Brutalität und Verlusten, von Schmerz und Leid. Es war nichts Glorreiches daran. Ihm gegenüber würde Teyrn Loghain stehen. Duncan kannte den Mann zu gut. Dieser war damals als enger Freund und Vertrauter Marics beinahe der Grund dafür gewesen, dass sie ihre Mission in die Tiefen Wege nicht hätten umsetzen können. Er hatte sich gegen die Präsenz der Grauen Wächter in Ferelden ausgesprochen, waren sie doch vor Jahrhunderten ins Exil verbannt worden, und zudem die Sicherheit des Königs in den Vordergrund gestellt. Ersteres konnte Duncan nachvollziehen. Es war ihm mehr als klar, dass Loghain ihm wie seiner Kommandantin Genevieve die Schuld daran gab, dass Maric beinahe gestorben wäre und dass er sein Königreich über Wochen im Stich ließ. Und seinen Sohn, Cailan. Schuld, da war sie wieder. Nein, es verwunderte Duncan nicht, dass Loghain ihn verabscheute. Ein Umstand, aus welchem der gealterte Mann keinesfalls ein Geheimnis machte. Sein Blick verlor sich in den Flammen des großen Feuerkorbes, während er sich ausmalte, wie die Besprechung wohl verlaufen würde. Die Nacht kam. Mit ihr kehrten die Rekruten nebst Alistair aus der Wildnis zurück. Sie brauchten das Blut der Brut mit wie auch die uralten Verträge des Ordens, die in einem längst vergessenen Archiv inmitten des Sumpfgebietes gelagert hatten. Wichtig für diesen Abend war Ersteres. Die Verträge wären später spannend, wenn der Orden um einige Mitglieder angewachsen war und endlich wieder einen festen Fuß hier im Land fassen konnte. Was dann kam, war das Ritual. Zwei starben. Zwei von drei. Daveth, weil er zu schwach war, die Last des verdorbenen Blutes zu ertragen. Keinesfalls unüblich. Duncan konnte sich verzeihen, ihn rekrutiert zu haben – er wäre so oder so gestorben. Mit Jory war es etwas Anderes. Der Krieger war von Furcht gepackt, versuchte es nicht einmal. Doch wer das Ritual gesehen hatte, wer wusste, was es beinhaltete, dem standen nur zwei Wege offen: Er wurde ein Grauer Wächter oder er starb. Die meisten starben wie Daveth, weil das Blut der Dunklen Brut sie vergiftete. Jory starb anders. Duncan erschlug ihn. Er musste ihn erschlagen, da die Angst ihn beseelt hatte, da er sich weigerte. Dies verzieh Duncan sich nicht. Mit der Rekrutierung dieses Mannes hatte er einen Fehler gemacht. Hätte er ihn ziehen lassen, wäre er am Leben, wäre bei Frau und Kind. Stattdessen lag er in der Pfütze seines eigenen Blutes in einer Ruine in Ostagar und hauchte sein Leben aus. Sicher, Graue Wächter mussten gefunden werden, der Orden musste überleben, denn ansonsten würden es die Menschen in Thedas nicht tun, doch die Verantwortung war eine große. Eine zu große. Die Rekrutin überlebte. Sehr zur Erleichterung Duncans wurde sie in jener Nacht zu einer Grauen Wächterin. Damit gab es zwei Wächter neben ihm selbst in Ferelden. Beide, das wusste er, musste er schützen. Er musste dafür Sorge tragen, dass sie die morgige Schlacht überstanden für den Fall, dass er es nicht tat. Denn nur ein Wächter kann den Erzdämon töten. Nur ein Wächter. Auch die Besprechung kam. Die Taktik für den Kampf wurde festgelegt. Duncan würde an Cailans Seite bleiben, etwas, dass er sich versprochen hatte. Alistair und die Rekrutin würden das Schlachtfeld nicht betreten, auch dies hatte er sich geschworen. Natürlich ärgerte es beide, wie könnte es nicht. Er wollte, er hätte offen mit ihnen sprechen können. Offener, als er es nunmehr tat. Die Nacht kam. Die Rufe der Dunklen Brut erklangen in Duncans Geist. Der Gesang der Tiefe zog durch seine Adern hindurch. Er schlief kaum in dieser Nacht und war auf den Beinen, noch ehe es im Lager jemand anderes war, sah man einmal von den Nachtwachen ab. Mit dem Morgen kam die Schlacht. Mit der Schlacht kam der Tod Cailans. Duncan sah, wie der Körper des Königs zerquetscht wurde von der Faust eines mächtigen Ogers. Das Gebrüll der Dunklen Brut um ihn herum und das Geräusch von Waffen, die aufeinander schlugen, mochten zwar ohrenbetäubend sein, doch das Knacken der Knochen des jungen Mannes drang bis an sein Ohr. Es roch nach Blut und nach Verwesung auf dem Schlachtfeld, denn das untote Fleisch der Brut war faulig. Cailan war tot. Es war Duncans Schuld. Er hätte erklären müssen, dass der Erzdämon kam, hätte Loghain ignorieren sollen, hätte, hätte… Schuld, Schuld, Schuld. Er erschlug den Oger, aus Wut und Schmerz heraus. Ehe Duncan starb, ehe die mächtige Axt eines Feindes seinen Schädel zertrümmerte, wurde er Zeuge davon, dass ein Plan nicht aufging, dass eine Taktik nicht durchgeführt wurde. Er wurde Zeuge von Verrat. Dann war nichts mehr da, kein Schlachtfeld, keine Dunkle Brut, kein Ruf und vor allem: Keine Schuld. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)