Affection von Votani ================================================================================ With Books as our Witnesses [Cana/Lucy] --------------------------------------- Die Scharnieren der massiven Türen geben ein helles Quietschen ab, als die Dame, die sie hier empfangen und willkommen geheißen hat, sie aufschiebt. Den Bruchteil einer Sekunde später sehen sie sich mit dem riesigen Innenraum der örtlichen Bibliothek konfrontiert. „Das sind ja Millionen von dicken Wälzern“, kommentiert Cana skeptisch. Sie stemmt die Hände in die Hüften, als sie neben Lucy zum Stehen kommt und den Blick den unzähligen, hohen Bücherregalen hinaufklettern lässt. Diese reichen bis an die gewölbte Decke hinauf und brauchen Leitern, um die oberen Bücher zu erreichen. Reihe um Reihe um Reihe ziehen sie sich durch die Bibliothek und enthalten tatsächlich mehr literarische Werke als Lucy je auf einem Haufen gesehen hat. Die Frau mit der viereckigen Brille und den stramm gezogenen Haaren, die in einen Knoten gebunden sind, dreht sich bedeutungsschwer zu ihnen um. Die Hände verschränkt sie hinter dem Rücken. „Ich denke, dass dies die Frage nach der hochangesetzten Belohnung für diesen Auftrag beantwortet, Miss Heartfilia?“ Lucy schluckt und zwingt sich ein Lächeln auf. „Das tut es.“ „Ist die Anzahl der Bücher ein Problem?“ „Auf keinen Fall“, winkt Lucy hastig ab und wedelt aufgeregt mit den Händen, während Cana unbeeindruckt an ihrer Seite steht. Sie hat ein Seufzen auf den Lippen, welches sie nur mühselig zurückhält, das bemerkt Lucy mit einem knappen Seitenblick in ihre Richtung. Doch die zuständige Leiterin der Bibliothek gibt sich mit ihrer Antwort zufrieden, indem sie zustimmend nickt. „Gut. Ich habe gehofft, dass Sie das sagen, Miss Heartfilia. Seit die zuständige Bibliothekarin uns verlassen hat, geht es hier drunter und drüber. Ganz besonders, nach dem das Mädchen sie falsch einsortiert hat, haben die Bücher verrückt gespielt.“ Mit diesen Worten marschiert sie mit zügigen Schritten aus den Türen hinaus, die sich mit einer Armbewegung und einem flackernden Licht hinter ihr schließen, bis sie auch das letzte Vogelgezwitscher aussperren, welches an diesem Sommertag durch die geöffneten Türen in die sonst furchtbar stille Bibliothek eingedrungen ist. Lucy wendet sich von der Tür ab, um die bevorstehende Arbeit anzuvisieren. Wie auf ein stummes Kommando hin entflammen die Fackeln, die in gusseisernen Halterungen an den Wänden entlang stecken. Hier ist ebenfalls Magie am Werk, was jedoch nicht verwunderlich ist, denn die gesamte Bibliothek wird von Magiern geleitet. Lucy hat den Auftrag nicht nur angenommen, weil sie mit ihrer Miete hinterherhinkt, sondern auch aus persönlicher Neugierde. Allerdings weiß sie nicht genau, wieso Cana darauf bestanden hat, sich ihr anzuschließen und mit ihr diesen Auftrag anzunehmen. „Und du wirst wirklich all diese Bücher hier sortieren, Lucy?“, erkundigt sich Cana und hebt kritisch eine Augenbraue. „Hier gibt es nicht mal Fenster. Das ist mehr wie eine Grabkammer als eine Bibliothek.“ „Du musst nicht mithelfen, wenn du nicht möchtest“, antwortet Lucy mit einem Lächeln und wandert zwischen den Bücherregalen durch, die schmale Gänge zwischen sich bilden. Wo soll sie nur anfangen? „Immerhin habe ich den Auftrag angenommen. Mach dir keine Sorgen darum“, fügte sie lächelnd hinzu. „Das habe ich nicht gesagt!“, stößt Cana aus, die Stimme so erhoben, dass sie schallend durch den Raum echot. Lucy blinzelt verwirrt, doch Cana huscht mit langen Schritten an ihr vorbei, den Blick gesenkt, so dass ihr braune Haarsträhnen in das Gesicht fallen und es vor Lucys Blick abschirmen. Hatte sie etwas Falsches gesagt? „Cana...“, murmelt Lucy, doch da wirbelt Cana herum, das Gesicht zu einem furchtbar gekünstelten Lächeln verzogen. „Also, wo fangen wir an?“, fragt sie und Lucy schluckt ihre Frage hinunter. „Der Auftrag spezifiziert nicht, wonach die Bücher sortiert werden sollen“, sagt Cana, als sie das zerknitterte Papier entfaltet und noch einmal die Anforderungen für den Job überfliegt. Sie haben Zuflucht an einem der Tische gefunden, die verstreut zwischen den Bücherregalen stehen, falls Besucher sich setzen und in Ruhe nachschlagen wollen. „Ich habe mich vorhin etwas umgesehen und die Schilder an den Regalen deuten auf ein Farbsystem hin. Sieht so aus, als ob die Bücher nach den Farben der Buchrücken sortiert werden müssen“, teilt Lucy ihre Vermutung. Sie zeigt auf das Regal hinüber, das dicht bei ihnen steht und mit einer kleinen Plakette versehen ist, welche die simple Aufschrift „orangene Bücher“ trägt. „Nach Farben? Was für einen Sinn ergibt das denn?“ „Das weiß ich allerdings auch nicht“, gesteht Lucy, obwohl sie annimmt, dass es eine logische Erklärung dafür geben wird. Andererseits sind das hier keine normalen Bücher, sondern Werke, die von Magiern geschrieben und mit ihrer individuellen Magie erfüllt sind. Lucy verlässt ihren Platz am Tisch und wandert zu dem Regal hinüber. Sie zieht ein Buch mit grünem Band hervor, welches laut der Plakette farblich fehl am Platz ist. „Die verschiedenen Funktionen von Naturmagie“, liest Lucy den Titel vor. „Wahrscheinlich ist es gut, dass Natsu und die anderen einen anderen Auftrag gewählt haben. Das hier würde sie furchtbar langweilen“, meint Cana hinter ihr und Lucy kann es nicht abstreiten. „Wieso bist du eigentlich mitgekommen, Cana“, fragt sie stattdessen, da es sie überrascht hat, als sie das Gildenhaus verlassen hat und Cana hinter ihr hergerannt kam. Es passt nicht zu ihrer Freundin, obwohl der unerwartete Ausruf ihres Namens ebenso wie Canas „Ich werde dich begleiten!“ dafür gesorgt hat, dass sich ein warmes Gefühl in ihrer Brust ausgebreitet und kurz darauf ihren gesamten Körper eingenommen hat. Hinter ihr bleibt es ruhig, so dass Lucy glatt den Eindruck bekommt, Cana habe sie nicht gehört. Sie wirft einen Blick über ihre Schulter und abermals findet sie nur den gesenkten Blick, den sie von früher schon kennt. Irgendetwas bedrückt Cana, wird Lucy klar. Eine Traurigkeit, gemischt mit einem Hauch von Verlegenheit, zeigt sich auf ihrem hübschen Gesicht, das von ihren langen, braunen Haaren umrahmt ist und Lucy ein wenig an den Herzsträngen zieht. Das letzte Mal, als Canas Züge diesen Ausdruck angenommen haben, hat sie Lucy das Geheimnis über ihre familiäre Beziehung zu Gildarts anvertraut. „Du weißt, du kannst mir alles sagen“, erklärt Lucy und schiebt das Buch wieder vorsichtig ins Regal zurück. Zeit um die Bücher richtig zu sortieren haben sie danach immer noch, da Lucy ohnehin bei der Ankunft in der Stadt darauf bestanden hat, dass sie sich ein Zimmer mieten. Ihr Gefühl hat ihr gesagt, dass dieser Auftrag länger dauern wird, auch wenn sie nicht mit dieser Anzahl an Büchern gerechnet hat. Doch Canas Wohlbefinden geht vor und Lucy wendet sich vom Bücherregal ab, um auf ihre Freundin zuzutreten. Bevor ihr dies jedoch gelingt, stößt Cana bereits einen entsetzten Schrei aus. „Lucy, pass auf! Hinter dir!“ Lucy reißt den Kopf herum, doch da rast das Buch mit dem grünen Band bereits auf sie zu. „Es kann fliegen?“, japst sie, wird im nächsten Moment jedoch am Arm zu Boden gerissen, während das magische Buch über ihre Köpfe hinweg saust und davon flattert. „Bist du in Ordnung?“, fragt Cana, die mit aufgerissenen Augen neben ihr auf dem Boden hockt. Vielleicht ist es der Schock oder die angespannte Stimmung, die aus irgendeinem Grund zwischen ihnen herrscht, aber Lucys Sinne fokussieren sich gegen ihren Willen an die Stelle, an der Canas Brust gegen ihren Oberarm gepresst ist. Sie schluckt den Kloß im Hals hinunter. „Ja... ja, es ist alles okay“, sagt sie krächzend. „Ich hätte etwas dergleichen wohl erwarten sollen. Von einem magischen Buch.“ Ob das Buch von E.N.D. auch wütend davon fliegen kann? Lucy bezweifelt es. „Danke, Cana“, meint Lucy mit einem Lächeln an die braunhaarige Frau gerichtet, die sie schon unzählige Male nackt in den Bädern ihres Gildenhaus gesehen hat. Man sollte meinen, dass es für Scham etwas zu spät ist. Cana grinst schief. „Kein Problem. Ich würde alles—“ Aber sie bricht den Satz ab. Ausnahmsweise stammt die Errötung ihrer Wangen nicht vom Alkohol, denn Cana ist absolut nüchtern, während sich eine bekannte Wärme in Lucys Bauch ausbreitet und ihn kribbeln lässt. „Sieht so aus, als müssen wir auf Bücherjagd gehen“, fasst Cana zusammen, als sie beide sich in der Mitte der Bibliothek eingefunden haben und hinauf zur gewölbten Decke schauen, an der das Buch im Kreis flattert. „Ich hätte es wohl nicht an den falschen Ort zurückpacken sollen“, räumt Lucy seufzend ein. Sie hat gehofft, dass sich dieser Auftrag ohne Vorkommnisse beenden lassen wird, so dass sie das Geld dafür kurz und schmerzlos einsacken und nach Magnolia zurückkehren könnte, aber ihre Instinkte haben sie nicht getäuscht. „Wie wäre es, wenn ich das Buch einfange und du schon mal mit dem Sortieren anfängst, Lucy?“, schlägt Cana vor und Lucy nickt. Ihre Magie eignet sich nicht, um Bücher von zu hohen Decken zu holen, wie sie sich wenigstens gedanklich eingestehen muss. Vielleicht könnte sie Aquarius rufen, aber diese würde viel eher die gesamte Bibliothek mit ihren sämtlichen alten, unbezahlbaren Werken fluten. „Ich bin froh, dass du hier bist, Cana“, gesteht sie, einerseits aus reiner Dankbarkeit heraus, andererseits um Cana zu zeigen, wie wichtig sie ihr ist und ihr Gemüt etwas zu heben. Wenn sie an den abgebrochenen Satz zurückdenkt, wird ihr immer noch ganz warm. Sie hätte gern das Ende des Satzes gehört. Als sie sich auf den Weg zum Eingang der Bibliothek begibt, um dort mit den Aufräumarbeiten anzufangen, hält ein „Lucy?“ sie noch einmal zurück. Fragend dreht sie sich zu Cana um, doch diese schüttelt sogleich den Kopf. „Schon gut. Wir reden später“, verspricht sie mit einem fast schon schüchternen Lächeln, als sie ihre Karten zückt. Das Lächeln verfolgt Lucy zwischen die Bücherregale hindurch, während ein Lichtschein hinter ihr auf Canas Magie schließen lässt. Doch sie muss Cana und ihr merkwürdiges Verhalten verdrängen, weil sie sich sonst nicht auf die Arbeit konzentrieren kann. Noch einmal möchte sie nur ungern von einem Buch attackiert werden, denn es ist unwahrscheinlich, dass alle literarischen Werke einfach nur harmlos davon fliegen werden. Nur ungern will Lucy herausfinden, wozu die anderen Bücher in ihrem Zorn, falsch weggelegt zu werden, fähig sind. Aus diesem Grund geht Lucy sorgfältig und überlegt vor, als sie mit dem ersten Regal am Eingang anfängt. Sie räumt die buntgemischten Bücher, welche die letzte Bibliothekarin nach alphabetischer Reihenfolge sortiert haben muss, aus den Regalen und schiebt nur die Bücher mit den dunkelblauen Bändern zurück auf die Regale, da dies die Plakette besagt. Es geht zügiger voran, als Lucy sich vorgestellt hat. Auch fliegt ihr kein Buch wie ein aufgescheuchtes Huhn mehr vom Regal, was bestätigt, dass das Farbsystem zu ihrer Zufriedenheit ist. Umso mehr Bücher sie auf das Regal stellt, umso erkenntlicher wird auch der Sinn, der hinter der Ordnung steckt: Die Bücher sind den verschiedenen Elementen und Arten ihrer Magie nach sortiert. Bei den blauen Büchern handelt es sich Wassermagie, während die hellblaue Plakette daneben Bücher über Eismagie markiert. „Dem zufriedenen Lächeln nach zu urteilen, hast du alles bestens im Griff, was, Lucy?“, ertönt Canas Stimme hinter ihr und Lucy zuckt ertappt herum. „Du hast mich erschreckt“, sagt sie und lacht leise, als sie das Buch, welches mit seinen unzähligen Seiten schwer auf ihren Arm wiegt, in das Regal wuchtet. „Ich hab dich nicht kommen hören. Hast du das Buch einfangen können?“ „Na klar“, erwidert Cana und zückt eine Karte, die sie Lucy so hinhält, dass Lucy das Buch sehen kann, welches sie dort drin verstaut hat. „Es war ein Kinderspiel.“ „Dann kannst du mir jetzt ja verraten, was dich belastet, Cana“, schlägt Lucy vor und dreht Cana den Rücken zu, um ihr etwas Privatsphäre zu geben. Ihre Intuition sagt ihr, das Cana ihr Problem, was ihr Sorgen bereitet, mit ihr teilen mag, weil sie ansonsten nicht mit ihr aufgebrochen wäre. „Ich kann sehen, dass dich etwas bedrückt und ich sehe dich nicht gern traurig“, gesteht Lucy und sortiert die Bücher weiter, als würden sie über das Wetter sprechen. Hinter ihr kann sie Schritte vernehmen, die sich ihr annähern, zögern, bevor sie gänzlich den Abstand überbrücken, bis Cana direkt hinter ihr stehen muss. „Ich... ich bin nicht traurig“, sagt sie und ihre Stimme kommt eher einem Flüstern gleich. Die feinen Härchen in Lucys Nacken stellen sich auf und eine Gänsehaut breitet sich dort aus, die sich ihrer gesamten Wirbelsäule hinunterzieht. „Ich wusste nur nicht, wie es dir sagen soll, Lucy.“ Bevor Lucy nachfragen kann, was sie meint oder ob sie einen Weg gefunden hat, schiebt Cana eine Hand über Lucys Schulter, um ihr abermals eine ihrer Karten zu präsentieren. Es ist ihre Help-Lucy-Karte, die ein kleines Abbild von Lucy enthält und leuchtet, sobald Lucy sich in Gefahr befindet. Es hat eine Weile gedauert, bis Cana ihr diese Karte damals gezeigt hat, aber nun sieht sie anders aus. Ein kleines Herz, rot und rund und leuchtend, befindet sich neben dem Kopf von ihrem Abbild. Röte schießt Lucy hoch in die Wangen. „Was...? Bedeutet das...? Ich...“ „Du bist mir wichtig, Lucy“, flüstert Cana hinter ihr und Lucy hört dieselbe Verlegenheit aus ihrer Stimme, die auch sie fühlt. Das alles ist Neuland für sie. Niemand hat ihr bisher ein derartiges Geständnis gemacht und ihr Herz so zum Schlagen gebracht. „Cana...“, murmelt Lucy und presst die Lider aufeinander. „Natürlich bist du mir auch wichtig. Ich hoffe, du hast dir nie Sorgen darum gemacht, dass es anders sein könnte!“ Angehaltener Atem wird hinter ihr ausgestoßen, streift ihren Nacken und sorgt für eine weitere Welle an Gänsehaut, während es in ihrem Bauch kribbelt und nur die unzähligen Bücher ihrem kleinen Moment beiwohnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)