Wolkenwächter von Alligator_Jack (Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1) ================================================================================ Kapitel 28: ------------ In der Sturmerzmine wurden die Gefangenen am frühen Morgen rüde geweckt. Mola schlug mit der flachen Klinge ihres Säbels heftig gegen die Gitterstäbe und gackerte boshaft, als die erschöpften Sklaven durch das laute Dröhnen unsanft aus dem Schlaf gerissen wurden. „Hoch mit euch, ihr faulen Hunde!“, rief sie höhnisch und sperrte die Zellentür auf. Die meisten Gefangenen stöhnten gequält, als die Schmuggler den Verschlag betraten und sie an ihren Ketten grob auf die Beine zerrten. „Der hier hat’s hinter sich“, meldete einer der Banditen und stieß einen am Boden liegenden Dunkelelfen auf, der sich nicht rührte. Auf seinem eingefallenen Gesicht lag ein merkwürdig friedlicher Ausdruck. Mola warf einen ungerührten Blick auf den Toten und zuckte die Schultern. „Dann lasst ihn liegen“, brummte sie. „Ich werde mich darum kümmern, dass er entsorgt wird.“ Vox begann am ganzen Leib zu zittern. Seine Ketten klirrten und er rang verzweifelt die Hände. Mit blutunterlaufenen Augen starrte er den Leichnam an, der nur wenige Meter neben ihm auf dem Boden lag. „Bitte, habt Erbarmen!“, jammerte er panisch. „Ich bin vollkommen erschöpft. Mir tut alles weh! Ich will nicht sterben!“ Mola versetzte Vox einen brutalen Tritt, der ihn der Länge nach zu Boden streckte. „Erspar mir dein Gewinsel!“, knurrte sie verärgert und deutete auf den Toten. „Der Kerl hat hier schon seit Wochen geschuftet und du bist noch nicht einmal seit einem Tag hier.“ Vox krümmte sich vor Schmerzen und verbarg das Gesicht in den Händen, doch das konnte ihn nicht vor den Schmugglern schützen. Zwei Dunkelelfen griffen ihm unter die Arme und hoben ihn wieder auf die Beine. Die anderen Gefangenen verstummten bekümmert. Auf ihren Gesichtern spiegelte sich ihre Hoffnungslosigkeit und sie folgten den Anweisungen ihrer Kerkermeister widerstandslos, obwohl die meisten von ihnen kaum noch aufrecht gehen konnten. Nicht einmal Wuleen, der normalerweise jede Gelegenheit ausnutzte, um den Banditen gegenüber gewalttätig zu werden, war plötzlich ganz zahm. Hass loderte in seinen Augen auf und er ballte seine Hände zu Fäusten, aber er ging nicht auf seine Peiniger los. Ratford sah mit verbitterter Schweigsamkeit zu, wie die Schmuggler einen Gefangenen nach dem anderen aus der Zelle holten. Als er selbst an der Reihe war, musste er einmal mehr sein Verlangen unterdrücken, die Dunkelelfen mit seinen Ketten zu erdrosseln. Grimmig senkte er den Kopf und blickte sich verstohlen nach Lazana um. Die Fesseln aus Schleierstahl an ihren Handgelenken setzten seiner Gefährtin übel zu. Er selbst hatte sich durch die wenigen Stunden Schlaf ein bisschen erholen können, aber Lazana wirkte noch immer vollkommen erschöpft. Sie gab sich tapfer und standhaft, aber Ratford wusste genau, wie schlecht es um sie stand. Die Ketten raubten ihr nicht nur die magische Energie, sondern auch ihre Körperkraft. Lange würde sie nicht mehr durchhalten und wenn man sie nicht bald von ihren Fesseln erlösen würde, endete sie genauso wie der bemitleidenswerte Dunkelelf, der im Schlaf verstorben war. Von den Schmugglern war ein solcher Akt der Gnade allerdings nicht zu erwarten. Sein Blick streifte Vance. Der Dorashen war der einzige, der die Kraft hatte, die Gefangenen zu befreien, aber er weigerte sich stur, gegen die Banditen aufzubegehren. Ratford wusste genau, dass eine Rebellion in einem blutigen Gemetzel enden würde, aber er selbst ging lieber kämpfend zugrunde, als irgendwann vor Erschöpfung tot umzufallen. Aber Vance schien andere Absichten zu haben. Die Schmuggler führten ihre Gefangenen zurück in die große Sturmerzhöhle und wiesen jeden einzelnen Sklaven einer Schürfstelle zu. Ratford hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass der Anblick der Mine möglicherweise für unbestimmte Zeit das einzige war, das er zu sehen bekam. Mit finsterem Gesichtsausdruck trottete er auf eine Stelle an der Höhlenwand zu, aus der ein Brocken Sturmerz herausragte. Die Schmuggler gaben ihm und seinen Mitgefangenen ihre Spitzhacken zurück. Einer der Aufseher ließ seine Peitsche knallen und gab damit das Signal zum Beginn der Akkordarbeit. Sofort war die Höhle erfüllt vom rhythmischen Klopfen der Spitzhacken, das aber schon nach kurzer Zeit immer wieder von erschöpftem Stöhnen unterbrochen wurde. Der Klang der zuschlagenden Pickel und das Geräusch auf den Boden fallender Gesteinssplitter kam Ratford bereits erschreckend vertraut vor. Die Arbeit in der Mine war nicht nur unglaublich anstrengend, sondern auch fürchterlich monoton. Der Ablauf war immer der gleiche. Die Gefangenen schlugen auf die Höhlenwände ein, bis sich ein Brocken Sturmerz aus dem Gestein löste. Dann sprang sofort einer der aufmerksamen Schmuggler herbei, sammelte das wertvolle Metall ein und verstaute es in einer der Kisten, die sich in der Höhle stapelten. Hin und wieder machte einer der Aufseher einem Gefangenen, der vor Erschöpfung oder Schmerzen nicht mehr konnte, mit knallender Peitsche Beine. Meist reichte das Geräusch allein aus, um die Sklaven ihre schwindenden Kräfte vergessen zu lassen. Angst war ein starker Antrieb. Aber Hass ebenfalls. Ratford hatte inzwischen begriffen, dass es ratsam war, seine angestaute Wut einfach an den Höhlenwänden auszulassen. Dadurch konnte er seinem Zorn Luft machen und hielt sich gleichzeitig die Aufseher vom Hals, die nur darauf warteten, von ihren Peitschen Gebrauch machen zu können. Mit verbissenem Gesicht schlug er auf die Sturmerzader ein. Splitter stoben in alle Himmelsrichtungen davon. Bereits viermal waren die Banditen zu ihm gekommen, um das von ihm abgetragene Sturmerz einzusammeln, als Ratford bemerkte, dass etwas anders war. Misstrauisch blickte er sich in der Höhle um. Ihm fiel auf, dass deutlich weniger Schmuggler anwesend waren, als in den vergangenen Tagen. Unauffällig rückte er näher an Lazana heran. „Ist dir schon aufgefallen, dass die Zahl unserer Aufpasser geschrumpft ist?“, zischte er ihr zu. Die blonde Eismagierin nickte kraftlos. Ratford zerkaute sich vor Sorge die Unterlippe, als er sah, wie sehr ihre Hände zitterten, wenn sie die Spitzhacke über ihren Kopf hob. „Ja“, sagte sie müde. „Einige von ihnen sind fort. Heute Nacht habe ich im Halbschlaf gehört, wie sich die Wachen darüber unterhalten haben, dass ein Großteil der Bande die Mine verlassen hat.“ Ratfords Augen glommen hoffnungsvoll. „Das ist ja interessant“, murmelte er. Schnell zählte er, wie viele Schmuggler er sah. Es waren nur etwas mehr als ein Dutzend. Vermutlich verbargen sich tiefer in den Stollen noch weitere Banditen und der Eingang wurde bestimmt auch bewacht. Die genaue Zahl der Schmuggler, die sich noch in der Höhle befanden, blieb ihm verborgen, aber in der Mine selbst waren es nur halb so viele Aufseher, wie für gewöhnlich. Ratford war auf einmal ganz aufgeregt und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, dass er sich verdächtig machte, wenn er kein Erz hackte. Rasch hob er die Spitzhacke und trieb sie mit einem kräftigen Hieb in die Felswand. Dabei bewegte er sich langsam zur anderen Seite. Dort arbeitete Vance und hatte schon wieder ein beträchtliches Loch ins Gestein geschlagen. „Hast du das gehört?“, flüsterte er ihm zu. „Ein Teil der Schmuggler hat die Höhle verlassen.“ „Und jetzt willst du mich wieder davon überzeugen, dass das eine perfekte Gelegenheit ist, um euch alle zu befreien“, schloss Vance monoton, ohne ihn anzusehen. Ratford knirschte verärgert mit den Zähnen. „Verdammt nochmal!“, zischte er. „Heute Nacht ist jemand gestorben, weil er sich zu Tode gearbeitet hat. Der Rest dieser armen Seelen wird ihm bald folgen, wenn nicht endlich jemand etwas unternimmt. Und du bist in Solas Namen der einzige, der die Kraft hat, uns zu helfen. Du musst dich ja nicht mit diesen Kerlen anlegen, wenn du das nicht willst. Aber wenn du uns wenigstens die Ketten abnehmen würdest, könnten wir uns unseren Weg nach draußen selbst freikämpfen!“ „Wenn das tut, gibt es ein Blutbad“, gab Vance zurück. „Auch wenn ich euch die Ketten abnehmen würde, sind sie immer noch deutlich in der Überzahl. Und sie haben Waffen. Ihr würdet keine zehn Meter weit kommen.“ In der Nähe ertönten ein Peitschenhieb und ein schmerzerfüllter Schrei. Offenbar hatten die Aufseher einen Sklaven dabei erwischt, wie er sich eine kurze Ruhepause gegönnt hatte. Die anderen Gefangenen richteten ihre Blicke mit ausdruckslosen Gesichtern auf die Felswand, aus Angst, sie könnten die Peitsche als nächstes zu spüren bekommen, wenn sie zu auffällig gafften. Ratford schwieg eine Weile, bis der Aufseher zurück an seinen Platz gegangen war und sich der bestrafte Sklave mit leisem Wimmern wieder an die Arbeit machte. Dann beugte er sich näher zu Vance herüber. „Wenn wir gar nichts tun, kommen wir auch nicht aus der Höhle heraus“, brummte er finster. „Du hältst diese Tortur vielleicht durch, bis es hier keinen einzigen Krümel Sturmerz mehr gibt. Aber alle anderen nicht. Wir werden hier sterben wie die Fliegen, wenn kein Wunder geschieht. Ich dachte, du willst nicht verantwortlich für den Tod Unschuldiger sein, oder habe ich mich da gestern verhört?“ Vance wagte es, seine Spitzhacke sinken zu lassen. Er erstarrte zu Stein und biss sich auf die Unterlippe. Ratford erkannte, dass sich die Zweifel im Kopf des jungen Dorashen ausbreiteten. „Wir sind die Unschuldigen“, fuhr er fort und pochte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust. „Und das dort sind die Mistkerle. Eigentlich sollte dir die Wahl nicht allzu schwerfallen.“ „He, du!“ Ratford wandte sich sofort ab, als Ratz‘ Stimme ertönte. Der Aufseher kam mit hochrotem Kopf angerannt, blieb in einiger Entfernung stehen und zeigte anklagend auf Vance. „Geh sofort wieder zurück an die Arbeit!“ Jeder andere Gefangene hätte sofort die Peitsche zu spüren bekommen. Aber vor Vance hatten sie alle Respekt. Vance tat Ratz den Gefallen und hob wieder seine Spitzhacke. Der Oberaufseher schien zufrieden und stolzierte mit wichtigtuerischer Miene hinter den Sklaven auf und ab. Ratford beobachtete den Oberaufseher aus den Augenwinkeln und wartete, bis er sich entfernt hatte. Dann räusperte er sich leise. „Also, was ist?“, flüsterte er Vance zu. „Hilfst du uns nun oder überlässt du uns alle unserem Schicksal?“ Vances Spitzhacke traf die Erzader und erschütterte die ganze Wand. Kleine Steine lösten sich und rieselten auf seine Schuhsohlen. „Nicht hier und nicht jetzt“, murmelte er. „Zu viele Wachen. Aber heute Nacht werde ich euch nach Kräften unterstützen, von diesem Ort zu entkommen.“ Ratford atmete hörbar auf. „Endlich kommst du zu Vernunft“, seufzte er erleichtert. „Es wurde aber auch Zeit.“ Vorsichtig bewegte er sich um den Erzklumpen herum, den er gerade bearbeitete, und lehnte sich zu Lazana herüber. „Vance will uns helfen“, flüsterte er ihr verschwörerisch zu. „Heute Nacht holt er uns hier raus!“ Die blonde Magierin wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der blassen Stirn und lächelte müde. „Das sind gute Nachrichten“, sagte sie leise. „Und es ist clever von ihm, erst heute Nacht aktiv werden zu wollen. Mit den wenigen Banditen, die vor dem Sklavenverschlag Wache halten, sollten wir fertig werden. Aber ich werde euch nicht unterstützen können, solange ich diese Fesseln trage.“ Hilflos hob sie die Hände und blickte traurig auf die metallenen Ketten, die ihre magischen Kräfte unterdrückten. „Dafür finden wir schon eine Lösung“, erwiderte Ratford zuversichtlich. „Berichte Ahravi von den guten Neuigkeiten, aber sag sonst zu niemandem ein Wort. Ich will nicht, dass sich einer der anderen Sklaven verplappert. Dann wäre alles aus.“ Etwas abseits stand Mola und beobachtete mit verschränkten Armen das Treiben in der Sturmerzhöhle. Einige ihrer Spießgesellen waren bei ihr, darunter auch Balam und ihre Tochter Vela. Gemeinsam umringten sie einen von Fjedors Männern, der in der vergangenen Nacht beim Beladen der Sirene geholfen hatte. Jetzt kauerte er verängstigt auf dem Boden und starrte zitternd auf Molas Säbel, der gefährlich nahe an seinem rechten Ohr schwebte, während Vela und Balam in die abzweigenden Gänge spähten. „Sieh an, sieh an, Fjedor geht mit Brynne also auf einen Raubzug und erzählt uns davon kein Sterbenswörtchen“, schnurrte Mola mit betont aufgesetzter Freundlichkeit, während sie ihren Säbel durch das Haar des Dunkelelfen wandern ließ. Ihre Ratte strich ihr wie eine Katze um die Beine und fiepste aufgeregt. „Na sowas, was soll ich denn davon halten?“ Der Dunkelelf nickte und seine Augenlider flatterten panisch. „Ich schwöre es, das ist die Wahrheit“, japste er mit heiserer Stimme. „Wohin sind sie unterwegs?“, fragte Mola mit noch immer freundlichem Gesichtsausdruck. Der Dunkelelf zuckte zusammen. „Genau weiß ich das nicht“, antwortete er hastig und seine Stimme drohte sich zu überschlagen. „Aber…aber sie haben irgendetwas von den Wolkenbergen erzählt.“ Jetzt verschwand das gekünstelte Lächeln auf Molas faltigem Gesicht. „Fjedor, diese schleimige Sumpfkröte!“, schnaubte sie verächtlich. „Er gönnt uns wohl die Beute nicht.“ „Ich glaube, er hat es nur deswegen geheim gehalten, weil er nicht wollte, dass Yarshuk davon erfährt“, sagte der Dunkelelf hoffnungsvoll. „Ach, so ein Quatsch!“, fuhr ihm Mola über den Mund. Der Dunkelelf duckte sich ängstlich, als hätte sie ihn geschlagen. „Fjedor ist gieriger als ein Schwarm ausgehungerter Bluthechte. Er will so wenig wie möglich von seiner Beute abgeben, das ist alles! Aber er wird sich noch umsehen, das schwöre ich!“ Das Aufatmen des Dunkelelfen war deutlich zu hören, als Mola ihren Säbel von seinem Ohr nahm. „Hast du etwas bestimmtes vor?“, fragte Vela. Seit Fjedor fort war, hatte Mola ihr einen der Schlüssel für die Fesseln der Sklaven überlassen und sie zu einer Aufseherin ernannt. Jetzt platzte sie fast vor Stolz darüber, dass ihre Mutter ihr endlich die Anerkennung schenkte, nach der sie sich so sehr gesehnt hatte. Sie streifte Balam mit einem höhnischen Blick. Er hatte keinen Schlüssel bekommen. Offenbar wollte Mola ihm eine derartige Verantwortung nicht übertragen, so sehr er auch an ihrem Rockzipfel hing. Mola spähte verstohlen in die Mine. „Allerdings“, antwortete sie grimmig. „Ich glaube, dass Fjedor hier die längste Zeit das Sagen hatte. Wir sollten die Gunst der Stunde nutzen und das Zepter an uns reißen. Fjedor ist mit mehr als der Hälfte der Bande fort und wenn sie wirklich in die Wolkenberge ziehen, dauert es ein paar Tage, bis sie wieder zurück sind. Und dann lassen wir sie einfach nicht mehr in die Mine.“ Mola kicherte hämisch und rieb sich zufrieden die Hände. „Dann machen wir den ganzen Zaster mit dem Schmuggel! Und es gibt keinen Wichtigtuer mehr, der sich einen Großteil des Erlöses unter den eigenen Nagel reißt.“ „Du willst dich gegen Fjedor wenden?“, fragte Balam überrascht. Der Dunkelelf, den Mola verhört hatte, japste erschrocken, doch Vela mischte sich ein und brachte ihn mit einem vernichtenden Blick zu schweigen. „Warum denn nicht?“, fragte sie. „Er hat uns schließlich lange genug herumkommandiert. Ohne uns wäre er niemals so weit gekommen. Es wird Zeit, dass sich etwas ändert!“ „Fjedor hat über die Hälfte seiner Leute bei sich“, gab Balam zu bedenken. „Wir können nicht sicher sein, dass sie sich gegen ihn stellen. Und wenn nicht, gibt es ein Gemetzel, deren Ausgang wir unmöglich vorhersehen können. Wenn wir scheitern, ist unser Ende besiegelt.“ „Oh, mach dir deshalb keine Gedanken“, rief Mola listig. „Ich werde einfach unseren orkischen Freund um Hilfe bitten. Sein hochverehrter Brigadegeneral soll uns ein paar seiner Soldaten zur Unterstützung schicken. Es dürfte schließlich auch in seinem Interesse sein, diesen großspurigen Mistkerl Fjedor auszubooten.“ „Und uns gleich mit dazu“, murmelte Balam zweifelnd. „Du solltest wirklich aufhören, Molas Pläne in Frage zu stellen“, rief Vela tadelnd und sah den dunkelelfischen Magier erzürnt an. „Sie wird dafür sorgen, dass wir wieder an der Spitze der Gesetzlosen von Adamas stehen, so wie es war, bevor dieser Wurm Fjedor hier aufgetaucht ist.“ Balam hob entwaffnend die Arme. „Schon gut“, brummte er. „Ich wollte damit ja nur sagen, dass man diesem Ork nicht trauen darf.“ „Das tue ich auch nicht“, sagte Mola kühl. „Sobald es die ersten Anzeichen gibt, dass er uns ans Messer liefern will, machen wir uns mit der Beute aus dem Staub. Dann kann Loronk zusehen, wie er alleine mit den ganzen Schürfern klarkommt. Im Augenblick braucht er uns jedenfalls noch.“ Vela kicherte boshaft. „Das ist genial“, freute sie sich. „Ich kann es gar nicht erwarten, Fjedors Gesicht zu sehen, wenn ihm klar wird, dass er hier überhaupt nichts mehr zu sagen hat.“ „Ein winziges Problem gibt es da allerdings noch“, warnte Mola beiläufig. „Ratz darf nichts davon mitbekommen. Diese kleine Pestbeule frisst Fjedor aus der Hand wie ein abgerichteter Warg. Es wäre wahrscheinlich das Beste, wenn wir ihn unauffällig aus dem Weg räumen würden. Am besten kümmern wir uns heute Nacht darum.“ Die umstehenden Gauner, allen voran Vela, taten mit grimmigem Nicken ihre Zustimmung kund. Auf Molas Gesicht erschien ein unheilverkündendes Lächeln, als sie sich zu dem verängstigten Dunkelelfen herunterbeugte. „Du bist zwar einer von Fjedors Leuten, aber du wirst doch bestimmt nicht so dumm sein, Ratz von unseren Plänen zu erzählen, oder?“ Der Dunkelelf fing an, am ganzen Leib zu zittern. Mit angstgeweiteten Augen starrte er Mola an, die mit einem Finger über die Klinge ihres Säbels fuhr. „Nein, nein, ganz bestimmt nicht“, versicherte er flehend. „Ich werde schweigen wie ein Grab.“ „Oh, das wirst du“, lächelte Mola und nickte Balam zu. „Da bin ich mir ganz sicher.“ In den weit aufgerissenen Augen des Dunkelelfen spiegelte sich blankes Entsetzen, als Balam hinter ihn trat und ihm eine Hand auf den Mund presste. Mola senkte den Säbel und stieß ihn direkt in die schmale Brust des Unglücksraben. Mit einem erstickten Wimmern erschlaffte sein Körper und als Balam ihn losließ, fiel er leblos zu Boden. Die Ratte piepste erfreut. „Das wäre erledigt“, sagte Mola gehässig und wischte die blutbesudelte Klinge an der Kleidung des Getöteten blank. Mit einer geschickten Bewegung schob sie den Säbel zurück in den Gürtel, rieb sich zufrieden die Hände und grinste breit. „Jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass die Zugänge zur Mine bewacht werden. Ich will frühzeitig über Fjedors Rückkehr Bescheid wissen, damit wir ihm einen gebührenden Empfang bieten können. Vela, du löst mit vier Gehilfen die Wachen am Eingang zur Grotte ab. Da könnt ihr dann auch gleich diesen Trottel hier entsorgen.“ Verächtlich versetzte sie dem Toten zu ihren Füßen einen Tritt. „Aber vorher macht ihr noch einen Abstecher zum Sklavenverschlag. Dort findest du noch eine Leiche. Einer der Arbeiter hat den Löffel abgegeben. Kümmere dich darum! Wirf die beiden den Bluthechten zum Fraß vor, bevor sie noch anfangen zu stinken.“ Vela war anzusehen, dass sie sich eine andere Aufgabe erhofft hatte, doch sie beschwerte sich nicht, sondern nickte beflissen, ehe sie willkürlich auf vier Banditen deutete und sie als Wachen auswählte. Zwei von ihnen traten mit angewiderten Gesichtern vor und hoben denn Leichnam des Dunkelelfen auf. Dann folgten sie Vela, die zusammengekniffenen Lippen in Richtung Sklavenverschlag davonstolzierte. Mola ging in die Knie und strich ihrer Ratte durch das filzige Fell. „Und wir statten Yarshuk einen Besuch ab“, flüsterte sie dem räudigen Nager zu und nahm ihn auf den Arm. Die Ratte piepste protestierend, beruhigte sich aber augenblicklich, als Mola die Streicheleinheit fortsetzte. „Balam, du kommst mit mir. Und ihr fünf auch. Der Rest kann es sich vorrübergehend gemütlich machen. Aber wehe ihr kippt euch einen hinter die Binde. Betrunkene Dunkelelfen quatschen zu viel und so jemanden kann ich gerade wirklich nicht brauchen.“ Seit Loronk die Banditen aufgestöbert hatte, lebte sein treuer Fähnrich Yarshuk unter den Gesetzlosen und sorgte dafür, dass der Schmuggel nach den Wünschen des Brigadegenerals lief. Er überprüfte regelmäßig die Menge des abgetragenen Sturmerzes und den Erlös, den Veit lieferte. Der Ork war den Banditen ein Dorn im Auge, aber sie konnten nichts gegen ihn unternehmen. Wenn sie ihn aus dem Weg räumten, würde Loronk ihre Zusammenarbeit augenblicklich beenden und sie ans Messer liefern. Yarshuks Lager befand sich in einem kleinen Nebenraum abseits der großen Wohnhöhle, in der sich Fjedors Lumpenpack tummelte. Ein paar gestapelte Kisten dienten ihm als Tisch. Darauf standen ein Tintenfass samt Feder und ein silberner Kerzenständer, der die kleine Höhle in flackerndes Licht hüllte. Daneben lag ein sorgfältig gestapelter Haufen Papier, der mit einem großen Stein beschwert wurde. In regelmäßigen Abständen informierte er Loronk schriftlich über die Situation in der Mine. Seine Botschaften waren bislang immer von Gilroy überbracht worden, der sich mit seinem kleinen Fischerboot ungesehen zwischen dem Hafen und der Grotte bewegen konnte. Jetzt hatte sich der Dunkelelf mit seinem Meister nach Norden begeben, aber Mola war sich sicher, dass der Ork eine neue Möglichkeit finden würde, Loronk auf dem Laufenden zu halten. Als Mola mit ihrer Schar von zerlumpten Halsabschneidern unangemeldet in seine Kammer platzte, griff Yarshuk sofort nach seiner Axt. In seiner Lederrüstung mit dem Wappen des Kaiserreichs gab er ein beeindruckendes Bild ab. Seine Arme waren so dick, wie die Stämme von Kirschbäumen und er überragte die Dunkelelfen, die ebenfalls von großem Wuchs waren, um einen ganzen Kopf. Misstrauisch beäugte er die Banditen und sein kantiger Unterkiefer mit den hervorstehenden Eckzähnen mahlte angriffslustig. „Was wollt ihr hier?“, fragte er grollend. Molas Ratte fauchte ihn gehässig an. Mola selbst hob entwaffnend einen Arm und verzog die Falten ihres Gesichts zu einem gewinnenden Lächeln. „Komm schon“, sagte sie gelassen. „Begrüßt man so eine Geschäftspartnerin?“ Mola hielt von Loronk und Yarshuk genauso wenig, wie der Rest der Schmuggler. Genau genommen verabscheute sie die beiden Orks sogar und sie wusste, dass diese Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte, doch nach den neuesten Entwicklungen hatte sie erkannt, dass sie Yarshuk zu ihrem Vorteil nutzen konnte. Yarshuk schnaubte verächtlich. „Spar dir dieses schmierige Geschwätz“, knurrte er, aber seine angespannte Haltung lockerte sich und er ließ die Axt sinken. Trotzdem zeigte eine Ader auf seiner Stirn, die pulsierend hervortrat, deutlich an, dass sein Geduldsfaden in Bälde zu zerreißen drohte. „Sag, was du von mir willst, oder verschwinde mit deinem Pack!“ „Schon gut, schon gut“, erwiderte Mola souverän und genoss es sichtlich, Yarshuk hinzuhalten. „Ich dachte nur, ich bringe dich auf den neuesten Stand. Du lebst hier so zurückgezogen, dass du überhaupt nicht mehr mitbekommst, was in der Mine vor sich geht.“ „Wovon sprichst du?“ „Vielleicht ist es dir entgangen, aber die Wohnhöhle hat sich seit gestern Nacht ziemlich geleert“, sagte Mola. „Ich habe den Eindruck, dass Fjedor die Mine verlassen hat.“ Auf Yarshuks Gesicht erschien ein höhnisches Grinsen. „Oh, offenbar schlägt dir das Alter allmählich doch auf das Gedächtnis“, spottete er. „Hast du schon vergessen, dass uns Fjedor darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass er Brynne Geleitschutz durch die Düstermarsch geben will? Du solltest froh sein, dass wir diesen Verrückten endlich los sind, und hier nicht so eine Welle machen! Scheinbar wirst du langsam senil.“ Molas Finger fuhren schneller und ruppiger durch das Fell ihrer Schoßratte. „Ha!“, lachte sie. „Besser, ein Gehirn, das nicht immer ganz rund arbeitet, als gar keines! Geleitschutz für Brynne, dass ich nicht lache! Hast du dich noch gar nicht darüber gewundert, dass Fjedor gleich einen Großteil seiner Leute abgestellt hat und sich sogar höchstpersönlich dazu bequemt hat, Brynne zu begleiten. Ein ziemlich großer Aufwand, findest du nicht? Noch dazu so auffällig.“ Yarshuk glotzte sie eine Weile mit einer Mischung aus Verwirrung und unverhohlenem Hass an, dann klappte er langsam den Mund auf. „Was willst du damit sagen?“ „Ach, eigentlich gar nichts“, sagte Mola spöttisch. „Nur, dass diese ganze Nacht- und Nebelaktion nur ein Vorwand war, um die Mine zu verlassen. In Wahrheit hat sich Fjedor auf einen Raubzug begeben, von dem du und dein verehrter Brigadegeneral nichts mitbekommen sollt.“ „Vorwand?“, brummte Yarshuk und starrte Mola misstrauisch an. „Raubzug? Wie kommst du auf diese absurde Idee?“ Mola ließ ihren Blick teilnahmslos durch Yarshuks kleine Kammer schweifen. „Das ist keine Idee“, erwiderte sie. „Ich weiß es. Einer der Träger hat gehört, wie sich Fjedor mit Veit darüber unterhalten hat.“ Sie konnte sehen, wie Yarshuks zweiflerische Miene Risse bekam und allmählich wutverzerrten Gesichtszügen wich. Er grunzte verärgert und nahm auf einer Kiste Platz. Das feuchte Holz knarzte unter seinem Gewicht leise. Yarshuk knetete nachdenklich seine kräftigen Hände. „Schön. Und wohin verschlägt es unseren Räuberhauptmann?“ „Sie sind nach Norden gesegelt“, antwortete Mola. „Will dieser Idiot etwas Khaanor überfallen?“, schnaufte Yarshuk empört. „Da kann er sich genauso gut gleich beerdigen lassen.“ „So dämlich ist nicht einmal Fjedor“, entgegnete Mola und kraulte ihrer Riesenratte den Kopf. Der hässliche Nager piepste vergnügt. „Sein Ziel liegt irgendwo in den Wolkenbergen.“ „Die Wolkenberge?“, murrte Yarshuk skeptisch und betrachtete Molas Schoßtier voller Abscheu. „Was will er denn da? Die wenigen Siedlungen dort sind verlassen. Dort gibt es nichts außer kahle Berghänge und haufenweise Harpyien. Und der einzige Ort, der noch bewohnt ist, ist der Tempel dieser merkwürdigen Priester.“ „Dann gibt es dort vermutlich was zu holen“, mutmaßte Mola. „Das ist ja auch völlig egal. Fakt ist jedenfalls, dass Fjedor die Mine verlassen hat, um fette Beute zu machen. Für ein paar läppische Goldmünzen würde er seinen Hintern niemals in Bewegung setzen.“ „Was erlaubt sich diese erbärmliche Seepocke?“, grollte Yarshuk wütend. Mola musste ein triumphierendes Grinsen verbergen. Sie hatte damit gerechnet, dass der Ork die Nachricht von Fjedors Vorhaben ganz und gar nicht gefallen würde. Und jetzt hatte sie ihn genau da, wo sie ihn haben wollte. „Er kriegt den Hals wohl nicht voll, was?“, entrüstete sich Yarshuk und schlug mit beiden Fäusten so heftig auf seinen Tisch, dass Molas Ratte erschrocken quiekte und ihre Gehilfen zusammenzuckten. „Warum lässt er sich jetzt zu einem Raubzug überreden? Damit wird er jeden Soldaten in Adamas auf sich aufmerksam machen! Er gefährdet unseren Schmuggel, und ausgerechnet jetzt, wo das Geschäft so gut läuft! Loronk wird explodieren vor Zorn!“ Mola ließ Yarshuk eine Weile toben. Balam und die anderen Dunkelelfen traten nervös von einem Bein auf das andere und hielten sich sicherheitshalber hinter ihrer Anführerin. „Ich sehe diese Angelegenheit ähnlich“, sagte Mola schließlich schmeichlerisch. „Fjedor hat den Bogen überspannt. Es ist an der Zeit, dass wir die Kontrolle an uns reißen!“ „Dein Ton gefällt mir nicht, Blassgesicht“, knurrte Yarshuk lauernd und musterte Mola eingehend. „Aber offensichtlich sind wir einer Meinung, was Fjedor betrifft. Wie stellst du dir diesen Umsturzversuch vor?“ „Oh, das dürfte ein Kinderspiel werden“, erwiderte die Alte und grinste schadenfroh. „Fjedor ist und bleibt ein Feigling, der sich nur im Kreis seiner Untergebenen wohlfühlt. Und ein Großteil der Leute, die er mitgenommen hat, sind ihm auch treu ergeben. Aber hier in der Mine sieht es jetzt anders aus. Die meisten, die Fjedor hier zurückgelassen hat, gehörten einst zu meiner Bande, damals, als ich noch eine gefürchtete Straßenräuberin war, bevor dieser Emporkömmling von einem Schmuggler sie sich einverleibt und mir die Befehlsgewalt entrissen hat. Auch wenn Fjedor sie für seine Untergebenen hält, halten sie noch immer loyal zu mir. Erst recht, wenn sie erfahren, dass ihr Anteil an der Beute erhöht wird, wenn sie uns unterstützen. Der einzige hier, der treu zu unserem hochverehrten Schmugglerkönig hält, ist Ratz. Aber er ist nur ein Ärgernis, kein ernstzunehmendes Problem. Meine Leute werden sich zu gegebener Zeit um diesen Wicht kümmern. Du siehst also, dass es ein Leichtes sein wird, Fjedors Abwesenheit auszunutzen und hier das Kommando zu übernehmen.“ „Was ist mit diesem Träger, von dem du das alles erfahren hast?“, fragte Yarshuk vorsichtig. „Er ist ein Mitwisser. Das könnte zum Problem werden. Wenn er Ratz warnt-“ „Wohl kaum“, unterbrach ihn Mola kühl und tippte vielsagend auf den Knauf ihres Säbels. „Ich habe mich schon um ihn gekümmert. Ich bin schließlich keine Anfängerin.“ Yarshuk starrte sie durchdringend an, aber Mola sah genau, dass seine Augen anerkennend aufleuchteten. „Schön“, murmelte er. „Du gehst kein Risiko ein. Du bist nicht so unvorsichtig wie Fjedor. Das gefällt mir. Und dem Brigadegeneral dürfte das ebenfalls gefallen. Allmählich glaube ich, dass es nicht die schlechteste Idee ist, ein Bündnis mit dir zu schließen.“ Er streckte seinen Rücken durch und ließ seinen Blick lauernd über Molas Gefolge schweifen. „Aber bist du dir der Loyalität deiner Leute wirklich sicher?“ „Absolut“, antwortete Mola und stieß Balam auffordernd an. „Oder irre ich mich da etwa?“ „Natürlich nicht“, antwortete Balam hastig. „Ich habe nie vergessen, wer mein wahrer Anführer ist. Und die anderen auch nicht.“ Leises, zustimmendes Gemurmel ertönte. „Na bitte, wir haben die Mine schon so gut wie im Griff“, rief Mola triumphierend und öffnete ihre spröden Lippen zu einem kurzen, abgehackten Lachen, das jedoch sofort erstarb, als sie ihre Stirn in sorgenvolle Falten legte. „Kritisch wird er erst, wenn dieser größenwahnsinnige Gierschlund aus den Wolkenbergen zurückkehrt. Es wird zweifellos zu einem Kampf kommen und leider dürften die Kräfteverhältnisse zwischen seinen und unseren Leuten so ausgeglichen sein, dass wir seinen Ausgang nicht vorhersehen können. Und da kommst du ins Spiel.“ „Das wiederum klingt nicht besonders überzeugend“, brummte Yarshuk grimmig. „Sprich, wie kann ich dir dabei helfen?“ „Bitte deinen Brigadegeneral um Hilfe!“, rief Mola. „Er soll uns ein paar Soldaten zur Unterstützung schicken. Ihm wird schon irgendein Vorwand einfallen. Es muss ja auch kein ganzes Bataillon sein. Ein paar zusätzliche Schwerter auf unserer Seite würden schon reichen. Damit rechnet Fjedor niemals und das Überraschungsmoment wird den Ausschlag zu unseren Gunsten geben!“ Yarshuk betastete nachdenklich einen der beiden Stoßzähne, die aus seinem Unterkiefer wuchsen. „Was ist mit Kapitän Veit und seinen Leuten?“, fragte er skeptisch. „Könnten sie sich womöglich auf Fjedors Seite schlagen?“ „Unwahrscheinlich!“, lachte Mola. „Eher fängt der Morgennebel von Adamas zu brennen an. Veit hat kein Interesse an Macht und es ist ihm egal, wer ihm die Schmuggelwahre liefert.“ „Das ist gut“, erwiderte Yarshuk. „Der Brigadegeneral hält große Stücke auf den Kapitän. Er würde nur sehr ungern auf ihn verzichten. Fjedor dagegen wollte er schon von Anfang an loswerden.“ Molas Augen leuchteten tückisch auf. „Dann kann ich auf deine Unterstützung zählen?“, fragte sie hoffnungsvoll. Yarshuk stand von der leeren Vorratskiste auf und erhob sich zu seiner vollen Körpergröße. Die Dunkelelfen aus Molas Gefolge wichen ehrfürchtig zurück. Die zahme Riesenratte piepste erschrocken und flüchtete sich auf Molas Schulter. Yarshuk beugte sich nach vorn und stützte sich mit seinen kräftigen Armen auf seinen behelfsmäßigen Schreibtisch. „So ist es!“, verkündete er grollend. „Ich werde zusehen, dass ich den Brigadegeneral so schnell wie möglich über unsere Pläne in Kenntnis setze. Du sorgst in der Zwischenzeit dafür, dass all deine Leute auch wirklich hinter dir stehen. Am wenigsten können wir jetzt ein Fähnchen im Wind gebrauchen, das sich auf die andere Seite schlägt, wenn die Erfolgsaussichten dort größer erscheinen.“ „Keine Sorge“, rief Mola und lachte hämisch. „Sobald sich Ratz die Sumpfdotterblumen von unten ansieht, wird mir hier niemand den Gehorsam verweigern.“ „Ausgezeichnet“, knurrte Yarshuk. „Vielleicht habe ich dich die ganze Zeit falsch eingeschätzt, Mola. Ich habe dich für Fjedors hirnlose Marionette gehalten, aber offenbar weißt du doch, wann es an der Zeit ist, das Heft des Handelns in die eigene Hand zu nehmen.“ „Das Kompliment kann ich nur zurückgeben“, erwiderte Mola mit spöttischem Grinsen. „Ich habe nie viel von dir und deinem Brigadegeneral gehalten, aber letztlich erweist ihr euch doch noch als nützlich.“ Yarshuk streckte seine fleischige Hand aus und Mola ergriff sie beherzt. Die beiden Verschwörer blickten sich funkelnd in die Augen und es stand ihnen in die aufgesetzt lächelnden Gesichter geschrieben, dass sie bereits planten, wie sie den jeweils anderen am besten ausbooten konnten, sobald Fjedor aus dem Weg geräumt war. Vela hatte sich von ihrer Beförderung zur Aufseherin mehr erhofft, als Wachdienst zu übernehmen und Leichen zu entsorgen, aber sie fügte sich dem Befehl ihrer Mutter, wenn auch etwas zögerlich. Sie tröstete sich damit, dass immerhin die Aufgabe, den Eingang der Grotte zu bewachen, in der jetzigen Situation mit einer großen Verantwortung verbunden. Wenn Fjedor die Mine unbemerkt erreichte, waren Molas Pläne dahin. Mit hängenden Schultern schlurfte sie zur Kerkerhöhle und die vier Dunkelelfen, die sie als ihre Begleiter ausgewählt hatte, folgten ihr in respektvollem Abstand. Vela betrat die Zelle und blickte mit gerümpfter Nase auf den am Boden liegenden Leichnam hinab. „Nehmt diesen Trottel mit!“, befahl sie den zwei Dunkelelfen, die noch beide Hände freihatten, und verließ den muffigen Sklavenverschlag eiligst. Zögerlich traten ihre Untergebenen vor, um ihren Befehl auszuführen, und ergriffen den Toten bei Armen und Beinen. Mit fragenden Gesichtern und mit erkennbarem Unwohlsein standen sie da und starrten Vela an. „Worauf wartet ihr?“, raunzte sie missgestimmt. „Zur Grotte, die Bluthechte haben Hunger.“ Sie ließ ihre Begleiter mit den Toten vorausgehen und folgte ihnen durch den glattwandigen Tunnel. Die Wachen, die Mola in der vergangenen Nacht in der Grotte postiert hatte, kamen ihrer Aufgabe nur mangelhaft nach. Alle vier Dunkelelfen waren eingeschlafen und lehnten schnarchend an den nasskalten Wänden der Höhle. Vela, die ohnehin schon schlechte Laune hatte, lief puterrot an, als sie bemerkte, dass die Kerle ihre Arbeit vernachlässigten. Wütend stapfte sie auf das friedlich schlummernde Quartett zu und packte den erstbesten Dunkelelfen beim Kragen. „Euch geht es wohl zu gut!“, grollte sie erzürnt und schüttelte den Banditen kräftig durch. Der Dunkelelf öffnete schläfrig die Augen. Als er in Velas wutrotes Gesicht blickte, sprang er erschrocken auf. „Ähm…es tut mir leid!“, stammelte er hastig. „Ich muss wohl eingeschlafen sein.“ „Nicht nur du“, knurrte Vela gehässig. Die anderen drei Wachen rührten sich nun auch, brummten müde und schlugen nacheinander die Augen auf. Schlaftrunken blickten sie sich um, doch als sie Vela erkannten, waren sie schlagartig hellwach. „Ihr unfähigen Idioten!“, tobte die junge Dunkelelfe. „Bewegt eure faulen Hintern! Das ist doch nicht zu fassen!“ Einer der vier Schmuggler legte flehend die Handflächen aneinander. „Bitte, sag Mola nichts davon!“, bettelte er ängstlich. „Wenn sie davon erfährt, wird sie bestimmt mächtig sauer.“ „Dazu hätte sie auch allen Grund“, erwiderte Vela kühl. „Macht das ihr wegkommt, ihr elenden Nichtsnutze! Ich werde dafür sorgen, dass ihr Strafarbeit in der Mine leisten müsst!“ Die Wachen baten stöhnend um Gnade, doch Vela blieb steinhart. Schließlich zogen sich die vier Schlafmützen mit hängenden Köpfen zurück und beklagten sich leise über ihr ungerechtes Schicksal. Vela rümpfte verächtlich die Nase und sah ihnen hinterher. „Ich hoffe doch sehr, dass ihr ein wenig verantwortungsvoller seid“, rief sie ihren Gehilfen zu. „Wenn wir ausschließlich derart unfähige Trottel in unseren Reihen hätten, wäre Molas Plan von Anfang an zum Scheitern verurteilt.“ Ihre drei Begleiter standen kleinlaut da und wirkten äußerst unglücklich. Vela verdrehte entnervt die Augen. „Was steht ihr jetzt so blöd da und glotzt?“, fragte sie gereizt. „Schafft diese Idioten endlich weg, bevor sie in euren Händen verfaulen. Werft sie in das Loch dort drüben!“ Sie deutete auf ein tiefes, mit Meerwasser gefülltes Becken. Vela konnte zwar keine Bluthechte erkennen, aber sie musste, dass die gefräßigen Biester irgendwo in den tückischen Löchern lauerten, mit denen der Boden der Grotte übersät war. Zuerst trugen die Dunkelelfen den toten Sklaven nahe an das Wasserbecken heran und wuchteten ihn gemeinsam hinein. Die beiden, die den ermordeten Träger schleppten, wollten es ihnen gleichtun, doch als der Leichnam des verstorbenen Sklaven die Oberfläche durchbrach, kam sofort Bewegung in die Wassermassen. Die Bluthechte schossen gierig aus ihren Verstecken und fielen über den leblosen Körper her. Ihre langen Körper drängten sich eng zusammen und wälzten sich im Kampf um die besten Stücke wild übereinander. Schwanzflossen peitschten das Wasser und wühlten es auf, bis es einem brodelnden Gebräu im Kessel einer Hexe glich. Gischt spritzte aus dem Loch, die Dunkelelfen traten mit angstgeweiteten Augen ein paar Schritte zurück und die beiden, die den ermordeten Banditen trugen, ließen ihn vor Schreck einfach fallen. In ihrer Raserei schossen die Bluthechte ein gutes Stück über ihr Ziel hinaus. Während sie sich gegenseitig bekämpften und gleichzeitig nach den Gliedmaßen des Toten schnappten, stellten sie sich so ungeschickt an, dass sie den Leichnam wieder aus dem Wasserloch herausstießen. Tobend vor Wut peitschten die Raubfische mit ihren kräftigen Flossen das Wasser auf, unfähig, ihre Beute zu erreichen, bis sie der Blutdurst schließlich übermannte und sie endgültig übereinander herfielen. Velas Gesicht nahm die Farbe von Roter Grütze an. „Unfähig“, krächzte sie. „Allesamt. Nicht einmal auf die Biester kann man sich verlassen!“ Mit zitternder Unterlippe drehte sie sich um und deutete anklagend auf ihre Begleiter. „Ihr da! Schiebt ihn wieder rein! Und werft den anderen direkt hinterher!“ Die Dunkelelfen wichen mit aschfahlen Gesichtern vor ihr zurück, als hätte sie soeben ihr Todesurteil unterzeichnet. „Aber…das ist gefährlich“, japste einer. „Diese Viecher sind unberechenbar. Ich habe schon gesehen, wie sie an Land robben, um ihre Beute zu erwischen. Sieh doch nur, wie aufgebracht sie sind! Der Hunger macht sie völlig rasend“ „Ach ja?“, zischte Vela gehässig. „Vielleicht sollten wir einen von euch zuerst reinwerfen, damit sich die Biester wieder beruhigen und die beiden, die dann noch übrig sind, sich wieder näher rantrauen. Ich sag das nur noch einmal: Schiebt – ihn – wieder – rein!“ Doch offenbar verbreitete Vela nicht annähernd so viel Respekt, wie ein Schwarm wildgewordener Bluthechte, denn die vier Dunkelelfen machten keine Anstalten, ihren Befehl auszuführen, sondern hoben lediglich flehend die Hände und wichen mit Gesichtern, aus denen inzwischen auch der letzte Tropfen Blut gewichen zu sein schien, noch weiter zurück. Vela war drauf und dran, die Beherrschung zu verlieren und den nächstbesten Dunkelelfen am Kragen zu packen, um ihn höchstpersönlich an die Bluthechte zu verfüttern, als sie im Augenwinkel eine ausgestreckte Gestalt bemerkte, deren Beine hinter einem Tropfstein hervorragten. Mitten in der Bewegung hielt Vela inne und schob misstrauisch die Augenbrauen zusammen. Langsam näherte sie sich und erkannte schließlich, dass es die Leiche der von Viland getöteten Abenteurerin war, die dort neben einem weiteren mit Wasser gefülltem Loch mit dem Gesicht nach unten auf dem feuchten Höhlenboden lag. Vela war für ein paar Augenblicke irritiert, doch als sie sah, dass die Bluthechte frustriert auf Beute lauerten und einige feinsäuberlich abgenagte Gräten das Wasserloch säumten, begriff sie, dass hier genau das gleiche geschehen war, wie bei dem Schauspiel, das sie soeben mitangesehen hatte. Auch die Bluthechte in diesem Wasserloch hatten sich in ihrer Raserei so ungeschickt angestellt, dass sie den Leichnam wieder aus dem Wasser gestoßen hatten. Und wahrscheinlich waren die Wachen ebenfalls zu feige gewesen, sich den tobenden Fischen zu nähern. Oder sie waren schlichtweg vorher eingeschlafen und hatten gar nicht mitbekommen, dass die Bluthechte sich selbst um ihre Beute gebracht hatten. „Alles muss man selbst machen“, schimpfte Vela und knirschte verärgert mit den Zähnen. Sie stapfte auf die Tote zu und streckte vorsichtig ein Bein aus, um sie wieder zurück ins Wasser zu stoßen, doch kurz bevor ihre Zehen den Leichnam berührten, hielt sie überrascht inne und hob den Kopf. Der Wind wehte gedämpfte Stimmen von außerhalb der Höhle in die Grotte hinein. Ein warnendes Kribbeln lief ihr über den Rücken und sie griff nach dem langen Dolch mit den Widerhaken an der Klinge, den sie am Gürtel trug. Auch ihre Begleiter hatten die Stimmen gehört und zogen angespannt ihre Waffen. Die Bluthechte und die beiden Leichen waren vergessen und sie starrten wie gebannt zum Eingang der Grotte. „Sind das Fjedor und seine Leute?“, hauchte einer der Dunkelelfen angsterfüllt. „Ist er schon wieder zurück?“ „Halt die Klappe!“, zischte Vela drohend. „Es ist egal, wer sich dort draußen rumtreibt. Sie gehören jedenfalls nicht zu uns.“ Sie legte den Finger an die Lippen. „Der nächste, der einen Laut von sich gibt, stirbt.“ Mit lautlosen, geschickten Bewegungen zog sie sich in den Schatten eines großen Tropfsteins zurück und winkte ihre Begleiter energisch zu sich heran. Die Dunkelelfen folgten ihr vorsichtig und waren darauf bedacht, keine verräterischen Geräusche zu erzeugen. Auch sie gingen hinter dem Stalagmit in Deckung und spähten angespannt zum Eingang der Grotte. Vor der Höhle reflektierte das Wasser die Umrisse von mindestens zwei Personen, aber Vela konnte nicht genau erkennen, ob es sich dabei um Fjedors Spießgesellen, verirrte Abenteurer oder gar Soldaten der Armee handelte. Die Stimmen waren so leise, dass sie nicht hörte, worüber die Leute sprachen, die sich dort vor der Grotte herumdrückten. In ihrem Versteck gingen die Dunkelelfen in die Hocke und warteten mit gezückten Waffen und angehaltenem Atem ab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)