Wolkenwächter von Alligator_Jack (Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1) ================================================================================ Kapitel 19: ------------ Nachdem Craig den Kerker verlassen hatte, hatte er Knack einen kurzen Besuch abgestattet, weil er wusste, dass sich der Knucker um ihn sorgte, wenn er lange fortblieb. Diesmal war er deutlich aufmerksamer und entging einer bösen Überraschung durch eine Klippenharpyie. Anschließend war er nach Eydar zurückgekehrt, um sich im Hafen nach Arbeit umzusehen. Er hatte beim Beladen eines Frachtschiffes geholfen und sich so einen kleinen Lohn verdient, mit dem er sich zwei Krüge Bier und ein warmes Bett für die Nacht leisten konnte. Im Gasthaus hatte er sich nach Tyra umgesehen, aber sie war nicht da. Dafür hatte Craig erfahren, dass Vance und die anderen Gefangenen von Loronk in der Düstermarsch ausgesetzt worden waren, um nach den Vermissten zu suchen. Nun überlegte der Waisenjunge, ob Vance wohl ebenfalls in den Sümpfen verschwand oder ob es ihm gelang, diese zweite Chance tatsächlich zu nutzen. Immerhin war er ein Dorashen und Craig traute ihm zu, die Vermissten zu finden. Aber wenn er nicht zurückkehrte, wollte der Waisenjunge persönlich nach ihm suchen. Und er hatte schon eine Idee, wie er Vances Spur folgen konnte. Craig nuckelte nachdenklich an seinem Bier. Er war so aufgewühlt, dass er nur sehr langsam trank. Ganz anders erging es Gancielle am Nebentisch. Der ehemalige Kommandant hatte einen gewaltigen Durst. Er war noch immer aufgebracht und wütend in Anbetracht der Dreistigkeit, die Loronk an den Tag legte, doch gleichzeitig war er auch vollkommen niedergeschlagen, weil er sich dazu herabgelassen hatte, den Brigadegeneral zu schlagen. Die einzige Genugtuung, die er noch verspürte, war die Tatsache, dass der Ork nichts davon wusste, dass einer seiner drei Gefangenen ein Dorashen war. Vielleicht schaffte es Vance, Vox und Farniel sicher durch die Sümpfe zu bringen. In seiner Verzweiflung hatte sich Gancielle in das obere Stockwerk von Aglirs Gasthaus zurückgezogen. Fähnrich Albus leistete ihm Gesellschaft. Er war der einzige Kriegsmagier unter den in Eydar stationierten Soldaten und gehörte seit Gancielles Beförderung zum Kommandanten zu dessen engsten Vertrauten. Nun saß er niedergeschlagen da und sah besorgt zu, wie sein früherer Vorgesetzter einen Bierkrug nach dem anderen leerte. „Ihr solltet Euch ein wenig zügeln, Kommandant“, mahnte er vorsichtig. „Lass das, Albus“, brummte Gancielle verstimmt. „Ich war die längste Zeit Kommandant.“ „Ich bin sicher, am Ende wird wieder alles gut ausgehen. Sobald Loronk fort ist, wird Eure Entlassung auf der Stelle rückgängig gemacht.“ Albus‘ Versuch, Gancielle aufzumuntern, war eine reine Verzweiflungstat und der Fähnrich erntete von seinem Vorgesetzten dafür ein verächtliches Schnauben. „Das weiß ich selbst“, knurrte Gancielle verdrießlich. „Aber soweit muss es erst einmal kommen. Loronk hat sich hier festgesaugt, wie ein junger Bluthecht an seinem Wirt.“ Albus wich dem Blick seines ehemaligen Kommandanten aus und schwieg betreten. Seit er Gancielle kannte, war er für ihn eine unangefochtene Führungspersönlichkeit gewesen und nun, da er derartig geknickt vor ihm saß und nicht länger ein hochrangiges Mitglied der Armee war, wusste Albus nicht mehr, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte. Nie hatte er sich gewünscht, einen anderen Vorgesetzten zu haben. Gancielle starrte ins Leere und Albus fürchtete, dass er inzwischen vollkommen betrunken war und jeden Augenblick die Besinnung verlor. Die leeren Bierkrüge, die sich vor ihm stapelten, berechtigten diesen Verdacht durchaus, doch Gancielle blieb in seinem Stuhl sitzen, ohne zu wanken. „Ich habe einen Entschluss gefasst, Albus“, raunte er. Der Kriegsmagier konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sein Gegenüber wie im Wahn sprach. „Das…das freut mich wirklich“, stotterte er unsicher. „Was habt Ihr denn vor?“ „Ich habe es nicht geschafft, das Rätsel um die Verschwundenen zu lösen“, flüsterte Gancielle und starrte noch immer an einen unsichtbaren Punkt an der Wand. Er schien Albus‘ gar nicht gehört zu haben. „Ich habe es allein deshalb nicht verdient, noch länger den Rang eines Kommandanten bekleiden zu dürfen. Aber ich bleibe in Eydar und werde alles dafür tun, um zu verhindern, dass die Liste der Vermissten noch länger wird. Ich werde dafür sorgen, dass Loronk nicht noch mehr Unschuldige für seine Zwecke missbraucht und in den Tod schickt.“ Albus wurde allmählich nervös. „Und…und wie wollt Ihr das anstellen?“, fragte er vorsichtig. Gancielle kam nicht mehr dazu, die Frage zu beantworten. Rhist betrat das Gasthaus und das bärtige Gesicht des Kommandanten war puterrot. Als er seinen niedergeschlagenen Kollegen entdeckte, stapfte er wütend auf ihn zu und packte ihn mit beiden Händen beim Kragen. Mit einem kräftigen Ruck zog er ihn auf die Beine, wobei der Tisch umkippte und mehrere leere Bierkrüge polternd zu Boden fielen. Die anderen Gäste blickten erschrocken auf, doch Rhist ignorierte sie einfach. „Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?“, brüllte er Gancielle an. „Du riesengroßer Vollidiot, was hast du dir bei dieser Aktion gedacht?“ Albus war alarmiert aufgesprungen und versuchte, beschwichtigend einzuschreiten. „Kommandant!“, rief er hektisch. „So beruhigt Euch doch!“ „Ihr haltet Euch da raus, Fähnrich!“, grollte Rhist und warf Albus einen vernichtenden Blick zu. Der Kriegsmagier wich erschrocken einen Schritt zurück. Auch Aglir hatte den Lärm bemerkt und eilte herbei, doch als er Rhists wutverzerrtes Gesicht sah, hielt er sich vorsichtshalber zurück. Gancielle grinste gequält. „Warum regst du dich so auf?“, fragte er Rhist spöttisch. „Du solltest dich doch eigentlich freuen. Ich war für dich doch schon immer ein Ärgernis, aber das hat sich jetzt erledigt. Jetzt bist du der einzige Kommandant in Eydar, ganz ohne Nebenbuhler.“ „Aber doch nicht so!“, entrüstete sich Rhist. „Und vor allem nicht jetzt! Syndus braucht in diesen Zeiten zwei verlässliche Kommandanten.“ Gancielle verstummte und blickte betreten zur Seite. Rhist verzog verächtlich das Gesicht. „Du stinkst nach Bier“, knurrte er, ließ Gancielle los und stieß ihn von sich. „Unfassbar. Und die Leute halten mich für einen Heißsporn. Hat es sich wenigstens gut angefühlt, diesem verdammten Dreckskerl eine zu verpassen?“ Gancielle richtete sich den Kragen seiner Tunika. Rhists kräftiger Griff hatte den Stoff ausgeleiert. „Sehr sogar“, antwortete er tonlos. „Aber ich glaube nicht, dass es diese kleine Genugtuung wert war.“ „Natürlich war es das nicht“, erwiderte Rhist bissig und schüttelte verärgert den Kopf. „Verdammt. Ich kann nicht fassen, dass ich das sage, aber du warst von Anfang an der Kommandant, den die Soldaten verehrt haben. Du warst derjenige, der die Truppen zusammengehalten hat. Auf dich konnte man sich immer verlassen. Und jetzt sieh dich an! Du bist ein Häufchen Elend. Das bist nicht du! Weißt du wie sehr es mich kränkt, im Schatten eines so erbärmlichen Wichts zu stehen?“ Gancielle wurde schwindelig. Seit er nach Eydar gekommen war, hatte zwischen ihm und Rhist eine erbitterte Rivalität geherrscht. Sie hatten sich gegenseitig stets respektiert, aber dem anderen nie etwas gegönnt. Von seinem ewigen Kontrahenten hatte er solche Worte am wenigsten erwartet. Er fasste sich mit beiden Händen an den Kopf, fing an zu taumeln und musste von Albus gestützt werden, der ihm rasch zur Seite sprang. „Meinst du das ernst?“, fragte Gancielle mit krächzender Stimme. „Ich bin nicht dafür bekannt, Lügen zu verbreiten“, brummte Rhist und wandte demonstrativ den Kopf ab. „Lass dir bloß nicht einfallen, irgendwem davon zu erzählen.“ Gancielle lächelte schwach. „Bestimmt nicht“, erwiderte er. „Es wäre mir peinlich, wenn bekannt würde, dass mich mein größter Rivale derartig in den Himmel lobt. Du wirst doch bestimmt schweigen, nicht wahr, Albus?“ Der Kriegsmagier nickte hastig. Rhists Gesichtsausdruck war steinhart. „Reiß dich gefälligst zusammen und mach das Beste aus dieser Situation!“, herrschte er Gancielle an. Der ehemalige Kommandant löste sich von Albus und richtete sich entschlossen auf. Sein Schwindelanfall war vergessen. „Das werde ich“, verkündete er. „Ich gehe in die Düstermarsch und suche auf eigene Faust nach den Vermissten!“ „Loronk wird dich nicht durch das Stadttor lassen“, warf Rhist zweifelnd ein. „Das lass mal meine Sorge sein“, entgegnete Gancielle. Er packte den Kommandanten bei der Schulter und zog ihn nahe zu sich heran. „Richte Lexa aus, dass ich im Morgengrauen am Hafen auf sie warte“, flüsterte er ihm ins Ohr. „Sie soll mich aus der Stadt schleusen.“ Rhist nickte grimmig. „Meinetwegen“, brummte er und richtete seinen Blick auf Albus. „Fähnrich, wir gehen. Ihr seid noch immer im Dienst. Und das nehmen wir mit.“ Er griff nach einem halbvollen Bierkrug, der auf dem Tisch stand, und machte auf dem Absatz kehrt. Albus folgte ihm zögernd, während sich Gancielle zurück auf seinen Stuhl fallen ließ. Craig war nach Rhists Auftauchen auf das Gespräch am Nebentisch aufmerksam geworden und hatte interessiert gelauscht. Und er hatte genau gehört, dass sich Gancielle am nächsten Tag mit Lexa treffen wollte. Der Waisenjunge rieb sich voller Vorfreude die Hände und plötzlich schmeckt ihm auch das Bier wieder. Für ihn stand fest, dass er ebenfalls im Morgengrauen am Hafen sein würde. Denn er war davon überzeugt, Gancielle bei seiner Suche helfen zu können. In der Mine hackte Vance stur auf die Erzader ein. Mittlerweile hatte er sich schon ein ordentliches Stück in den Fels vorgearbeitet und war längst in dem klaffenden Loch verschwunden, das seine Spitzhacke in die Wand geschlagen hatte. Die Dunkelelfen kamen mit dem Einsammeln der Sturmerzbrocken kaum noch nach und die Aufseher blickten sich untereinander immer wieder verunsichert an. Die rohe Kraft und die unermüdliche Arbeitswut des neuen Sklaven waren ihnen nicht ganz geheuer und sie waren froh, dass der schwarzhaarige Bursche ihnen keinen Anlass gab, ihre Peitschen nach ihm zu schwingen. Auch die anderen Arbeiter hatten längst bemerkt, dass der Neue alleine schneller vorankam, als alle anderen Sklaven gemeinsam. Die Aufmerksamkeit der Aufseher wurde zusehends auf das brachiale Hacken des jungen Mannes gelenkt und so fiel es nicht auf, dass die anderen Sklaven ihr Tempo drosselten, um sich ein wenig erholen zu können. Nur Ratz, der Oberaufseher, ließ sich nicht ablenken. Sein liebstes Opfer war Wuleen, der junge, stoppelbärtige Mann mit dem blonden, strohigen Haar, das in alle Himmelsrichtungen abstand. Weder die Schmuggler, noch seine Mitgefangenen wussten, wer er war oder woher er kam. Wuleen sprach nicht viel. Er war einer der ersten Reisenden gewesen, die den Schmugglern in die Hände gefallen waren. In seinen Muskeln steckte deutlich mehr Kraft, als es sein drahtiger Körperbau erahnen ließ, doch Wuleen zeichnete sich im Besonderen durch seinen ungebrochenen Willen aus. Während andere Sklaven, die noch nicht ansatzweise solange in der Mine schufteten, jeden Augenblick vor Erschöpfung zusammenzubrechen drohten, arbeitete Wuleen noch immer mit derselben Verbissenheit, wie am ersten Tag und er nutzte jede sich bietende Gelegenheit, den Aufsehern Widerstand zu leisten. Wenn sich einer der Schmuggler zu nahe an ihn heranwagte, stürzte er sich sofort auf ihn und nahm dafür auch die Strafe in Form von Peitschenhieben in Kauf. Zahllose Striemen zogen sich über seinen Rücken und zeugten von seinen ständigen Versuchen, die Banditen anzugreifen. Obwohl sich die Wunden entzündet hatten, schien Wuleen noch immer im Vollbesitz seiner Kräfte zu sein und ließ seine Spitzhacke wieder und wieder niederfahren, ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben. Vances übermenschliches Arbeitstempo ließ aber auch ihn innehalten. Mit verbissenem Gesichtsausdruck starrte er zu dem Loch hinüber, das der Neuankömmling in kürzester Zeit in die Felswand geschlagen hatte. Ratz wartete nur auf eine solche Gelegenheit, um Wuleen bestrafen zu können. Der widerspenstige Sklave hatte sich unter den Aufsehern durch seine ständigen Angriffe keine Freunde gemacht. Ohne eine Warnung schwang der Oberaufseher seine Peitsche und ließ sie knallend auf den geschundenen Rücken des jungen Mannes niederfahren. Wuleen krümmte sich vor Schmerz, gab aber noch immer keinen Laut von sich. Stattdessen fuhr er herum, wie ein in die Enge getriebenes Tier, und in seinen Augen loderte der Wahnsinn. Sein aggressiver Blick verunsicherte Ratz, doch mit seiner Peitsche fühlte er sich stärker. „Glotz nicht so blöd“, rief er und holte erneut zum Schlag aus. Wuleen machte keine Anstalten, auszuweichen. Er ließ sich regungslos an der Schulter treffen und packte die Peitsche dann mit beiden Händen. Mit einem kräftigen Ruck zog er daran und bewirkte, dass Ratz nach vorn stolperte und der Länge nach hinschlug. Wuleen stürzte sich augenblicklich auf den am Boden liegenden Aufseher und schlug wie ein Besessener mit seinen Ketten auf ihn ein. Ratz rollte sich zu einer Kugel zusammen und versuchte, die wilden Angriffe des Sklaven irgendwie abzuwehren. „Helft mir!“, kreischte er mit schriller Stimme. „Schafft mir diesen Wahnsinnigen vom Hals!“ Die anderen Aufseher reagierten schnell, doch es waren vier von ihnen vonnöten, um Wuleen niederringen zu können. Er wehrte sich nach Leibeskräften und biss einem der Schmuggler in die Hand, doch am Ende musste er sich der Überzahl seiner Gegner geschlagen geben. Mit vereinten Kräften rangen ihn die Schurken nieder und zwangen ihn gewaltsam in die Knie. Ratz robbte auf dem Hintern ein Stück rückwärts und sprang dann erbost auf. Er blutete aus der Nase und sein Gesicht war an ein paar Stellen rötlich verfärbt und geschwollen, doch ansonsten hatte er den Angriff unversehrt überstanden. „Das reicht endgültig!“, schrie er zornig und zückte sein Kurzschwert. Mit der Spitze seiner Klinge deutete er auf Wuleen. Dieser wand sich im Griff der Schmuggler, doch er hatte keine Chance und konnte Ratz nur gehässig anzischen. „Bislang war ich sehr nachsichtig mit euch!“, rief der Oberaufseher den anderen Sklaven zu. „Aber jetzt ist das Maß voll! Ich werde an diesem Mistkerl ein Exempel statuieren! Seht genau hin, damit ihr wisst, was euch erwartet, wenn ihr Widerstand leistet!“ Ratz holte mit seinem Schwert aus, doch er kam nicht mehr dazu, zuzustoßen. Vance trat zwischen ihn und sein Opfer und der Oberaufseher war über dieses forsche Auftreten so überrascht, dass er seine Waffe senkte. „Was soll das?“, fragte er entgeistert. „Geh sofort zurück an die Arbeit!“ „Ihr solltet diesen Mann in Frieden lassen“, erwiderte Vance tonlos. „Er arbeitet gut.“ Eigentlich hatte Ratz das dringende Bedürfnis, Vance für seine Einmischung gleich mit aus dem Weg zu räumen, doch plötzlich befiel ihn ein beklemmendes Gefühl. Etwas im Blick des neuen Sklaven verunsicherte ihn und er trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Dann räusperte er sich. „Meinetwegen. Ich will ausnahmsweise Gnade walten lassen“, verkündete er und steckte sein Schwert zurück in den Gürtel. Er schenkte Wuleen einen verächtlichen Blick. Die vier Aufseher ließen den aufmüpfigen Sklaven auf einen Wink von Ratz los und entfernten sich schleunigst aus seiner Reichweite. Doch der Unruhestifter war plötzlich seltsam friedlich geworden. Ungläubig starrte er seinen Retter an und rührte sich nicht. „Du hast noch mal Glück gehabt“, knurrte Ratz verärgert. „Aber wehe, du erlaubst dir nochmal so eine Aktion. Dann bist du dran.“ Er streifte Vance mit einem flüchtigen Blick. „Und wenn du dich dann erneut einmischst, geht es dir auch an den Kragen, verstanden? Und jetzt geht zurück an die Arbeit!“ Nach dem kleinen Zwischenfall ließ man die Sklaven erbarmungslos weiterschuften. Die Schmuggler gönnten ihnen keine Ruhepausen und nur ab und zu einen Schluck Wasser, wenn einer der Schürfer vor Erschöpfung umzukippen drohte. Vance schlug unermüdlich auf das seltsame Metall ein. Große Gesteinsbrocken lösten sich aus der Wand und plötzlich wurde der Stollen in einen schwachen, blauen Schimmer gehüllt. Vance ließ die Spitzhacke sinken. Das seltsame Licht erinnerte ihn an die feinen Adern, die sich leuchtend durch das Sturmerz zogen, doch es war deutlich intensiver und strahlte durch den Fels hindurch. Vance setzte die Spitzhacke an, holte aus und schlug noch einmal kräftig zu. Ein greller Blitz schoss aus der Felswand und riss ihn von den Beinen. Instinktiv kniff er die Augen zusammen. Sengende Hitze schoss über seine Handflächen durch seinen Körper schoss und seine Haare stellten sich begleitet von einem intensiven Kribbeln auf. Als dann von einem Moment auf den anderen Ruhe einkehrte, öffnete Vance seine Augen wieder und blinzelte in die Dunkelheit. Von seinen Handflächen stiegen dünne Rauchfäden auf. Er hatte sich leichte Verbrennungen zugezogen, die aber nicht der Rede wert waren und schnell wieder verheilen würden. Der Schaft seines Pickels war der Länge nach gesplittert und die Spitze war nach oben verbogen. Vor ihm lag ein unförmiger, bläulich leuchtender Gesteinsklumpen auf dem Höhlenboden. Knisternde Funken sprühten aus dem Brocken und wurden zusammen mit dem seltsamen Leuchten immer schwächer. Als der Stein schließlich erlosch, sah er aus wie ein einfacher, schwarzer Felssplitter. Den Aufsehern war der grelle Lichtblitz nicht entgangen und sofort liefen sie zu Vance hinüber, um nach dem Rechten zu sehen. Sie blieben in einiger Entfernung tuschelnd stehen und überlegten, was sie mit dem mysteriösen Stein tun sollten. Vance rappelte sich auf und schüttelte seine Benommenheit ab. Dann streckte er seine Hand nach dem seltsamen Bruchstück aus. „Finger weg!“ Ratz bahnte sich energisch seinen Weg durch die Schaulustigen. Er drohte Vance mit seiner Peitsche, blieb dabei aber auf Sicherheitsabstand. „Verdammt, das ist jetzt schon die zweite Spitzhacke, die du geliefert hast“, knurrte er wütend. „Mach, dass du wegkommst!“ Vance starrte den Oberaufseher für einen Moment trotzig an, ehe er zur Seite trat. Ratz stieß den seltsamen Stein mit dem Fuß an. Er blieb dunkel und schwarz, das Leuchten und die Funken schienen vollkommen erloschen zu sein. Der Aufseher bückte sich und hob den unförmigen Klumpen auf. „Was ist das?“, fragte Vance. „Ich hab da so eine Ahnung“, entgegnete Ratz. „Aber die geht dich nichts an! Für heute habt ihr alle genug geschuftet.“ Er drehte sich zu den anderen Aufsehern um und wedelte mit seiner Peitsche. „Schafft die Arbeiter zurück in den Sklavenverschlag! Wir schicken sie morgen früh zurück in die Mine!“ Als die Schürfer Ratz‘ Befehl hörten, stöhnten die meisten von ihnen erleichtert auf und ließen erschöpft ihre Spitzhacken fallen. Ihre dunkelelfischen Aufpasser packten sie sofort bei den Armen und schleppten sie zurück in die Gefangenenhöhle. Auch Vance wurde rüde durch die Tunnel geschoben. Man sperrte ihn und die anderen Arbeiter in den Verschlag mit dem schimmligen Stroh und verschloss die Gittertür. Die meisten der Gefangenen waren von den Strapazen des Tages so erschöpft, dass sie auf der Stelle einschliefen. Wuleen wirkte zwar nicht müde, doch er zog sich in den hintersten Teil des Sklavenverschlags zurück, ließ sich dort auf dem blanken Fels nieder und drehte sich demonstrativ von den anderen Arbeitern weg. Auch zwei der Pardel legten sich schlafen. Die dritte Katzenfrau setzte sich neben sie, als würde sie über ihre Kameraden wachen. Der großgewachsene Mann, mit dem sich Vance kurz nach seiner Ankunft unterhalten hatte, rückte unauffällig ein Stück näher in seine Richtung. Unter der Beobachtung des Aufsehers Ratz hatten die beiden ihr Gespräch nicht fortführen können, denn der grausame Sklaventreiber hatte ihre Worte augenblicklich mit drohendem Peitschenknallen im Keim erstickt. Vance warf dem bärtigen Mann einen kurzen Blick zu und sah, dass seine blonde Gefährtin todmüde aussah. Trotzdem legte sie sich nicht schlafen, sondern blieb wach und beobachtete, wie sich ihr Partner Vance näherte. „He, du!“, zischte er. „Wie heißt du?“ „Ich bin Vance.“ „Ich bin Ratford“, stellte sich der kräftige Mann vor und deutete auf seine blonde Gefährtin. „Und das ist Lazana.“ Vance nickte der erschöpften Frau ausdruckslos zu. „Sehr erfreut.“ Ratford rückte noch ein Stück näher und sah sich verstohlen um. Vor dem Gitter hielten ein paar Dunkelelfen Wache, doch sie waren in Gespräche vertieft und beachteten die Gefangenen gar nicht. „Seit man dich heute hierhergebracht hat, überschlagen sich die Ereignisse“, raunte er. „Ist das so?“, brummte Vance und starrte auf seine Hände. Die Verbrennungen heilten bereits wieder. „Ich dachte, es sei völlig normal, dass Blitze aus Felswänden schießen.“ „Was ist da eigentlich genau passiert?“, fragte Ratford lauernd. Vance zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Da war so ein seltsames Schimmern im Gestein und als ich erneut zugeschlagen habe, gab es auf einmal diesen Blitz. Und zurückgeblieben ist ein Felssplitter, aus dem Funken sprühten. Der Oberaufseher war ziemlich interessiert daran, wollte mir aber nicht sagen, worum es sich bei diesem merkwürdigen Stein handelt.“ „Es scheint, als hättest du einen Blitzstein gefunden“, murmelte Lazana erschöpft. „Einen Blitzstein?“, wiederholte Ratford skeptisch. „Was soll das denn sein?“ „Ich weiß nicht viel darüber“, erklärte Lazana. "Aber man sagt, dass diese Steine die urtümliche Kraft eines Blitzes speichern können und dazu in der Lage sind, die Energie von Sturmmagie zu absorbieren." Ratford kratzte sich nachdenklich an der Wange. „Klingt ja höchst interessant“, seufzte er. „Aber was wollen diese Mistkerle damit?“ „Ich kann nur mutmaßen“, erwiderte Lazana und zuckte die Schultern. „Blitzsteine sind selten und entsprechend wertvoll.“ „Ist ja auch egal“, brummte Ratford und wandte sich Vance zu. „Du hast uns mit deiner Entdeckung jedenfalls eine frühere Pause ermöglicht. Diese Mistkerle hätten uns garantiert noch ein paar Stunden schuften lassen, bis der Erste vor Erschöpfung umgekippt wäre.“ „Gern geschehen“, murmelte Vance. „Ein schwacher Trost“, brummte Ratford niedergeschlagen. „Offenbar machen die Soldaten aus Eydar mit den Schmugglern hier gemeinsame Sache. Ich hatte die Hoffnung, dass wir von der Oberfläche Hilfe bekommen könnten, aber unter diesen Umständen können wir das vergessen! Wir kommen hier nie raus!“ „Spürst du das nicht?“, flüsterte Lazana und sah Vance an. Ihre Lider hingen müde herab. „Ihn umgibt die gleiche Aura wie Cord.“ Ratford riss überrascht die Augen auf. „Du bist ein Dorashen?“, rief er entgeistert. Er schlug sich hastig die Hand vor den Mund, doch die Wachen hatten ihn nicht gehört. „Dann kannst du uns alle hier rausholen!“ Vance rang verzweifelt die Hände. „Ich…ich kann nicht“, stammelte er „Natürlich kannst du!“, zischte Ratford und klang gereizt. „Du hast die Kraft, uns alle zu befreien.“ „Aber ich kann diese Kraft nicht kontrollieren“, stöhnte Vance. „Und ich will nicht schon wieder Schuld an jemandes Tod sein.“ „Ach, und deshalb überlässt du diese Leute ihrem Schicksal?“, rief Ratford und stand wütend auf. Er ballte die Fäuste und blickte verächtlich auf den Dorashen hinab. „Sieh sie dir doch mal an! Sie sind fast halbtot! Nicht jeder kann so viel einstecken wie du. Wenn du sie nicht rettest, bist du Schuld an ihrem Tod. Dein feiger Egoismus widert mich an!“ Ratford gab sich keine Mühe mehr, seine Stimme zu senken. Er wollte Vance treten, aber mit seinen gefesselten Füßen gelang ihm das nicht besonders gut. Stattdessen rief er die Wachen auf seinen Plan. Sofort standen vier Dunkelelfen vor dem Gitter und funkelten ihn böse an. „Halt dein Maul!“, zischte einer von ihnen verärgert. „Beim nächsten Mucks schneide ich dir die Zunge ab!“ Lazana griff nach Ratfords Hand und zog ihren Gefährten sachte zurück auf den Boden. „Lass gut sein“, flüsterte sie, als sich die Wachen wieder umgedreht hatten. „Es sind ohnehin zu viele. Selbst für einen Dorashen. Wir würden nicht weit kommen.“ Ratford strafte Vance noch einmal mit einem wütenden Blick, ehe er sich wortlos auf dem kalten Höhlenboden ausstreckte und den anderen Gefangenen den Rücken zudrehte. Ein paar Sklaven, die sein Wutausbruch geweckt hatte, ließen sich ebenfalls wieder auf ihren Lagern aus altem Stroh nieder. Bald waren außer der Pardelfrau in der hinteren Ecke nur noch Vance und Lazana wach. Die blonde Frau beäugte den Dorashen mitfühlend, obwohl sie offensichtlich völlig erschöpft war. „Du hast eine Menge durchgemacht, was?“ Vance antwortete nicht. Er knetete zerknirscht seine Hände und starrte ins Leere. „Lazana…“, murmelte er schließlich. „Erkennt man eine zweite Chance, wenn man sie bekommt?“ Die junge Frau lächelte schwach. „Das ist nicht immer so eindeutig“, erwiderte sie. „Das Schicksal wählt manchmal seltsame Methoden, um uns unseren Weg zu weisen.“ Vance nickte nachdenklich. „Schlaf jetzt“, riet ihm Lazana gähnend und ließ sich neben Ratford nieder. „Auch wenn du ein Dorashen bist, solltest du mit deinen Kräften an diesem Ort haushalten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)