Hin und her gerissen von Melora (zwischen Liebe und Freundschaft) ================================================================================ Kapitel 31: 13. Januar – Jeder gegen jeden Teil 1 ------------------------------------------------- Es war noch dunkel, als der Schwarzhaarige die Treppe herunterkam. Es war ruhig, vermutlich schliefen alle noch. Auf dem Weg hinab, suchte er die Küche. Diese war nicht schwer zu finden, wenn man nur dem Duft folgte. Frische Brötchen würde er wetten. Da fing ihn eine Bedienstete ab. „Good morning, Mister Ashida“, sprach sie ihn an und er drehte sich erschrocken zu ihr herum. Bei seinem Erfahrungsschatz sollte ihn so etwas nicht mehr erschrecken, dennoch… Ihm entgegnete ein freundliches Lächeln. „Bitte folgen Sie mir ins Esszimmer“, wies sie mit leichtem Akzent an, zweifellos war sie keine Asiatin. Anders als der Hausherr. „Ich muss ganz früh los, für Essen ist keine Zeit.“ „Aber ich habe Anwei-“ „Nicht notwendig“, entgegnete er, als ihn eine liebliche Stimme ansprach. „It’s okay, Thes. I care for him.” Perplex richtete sich sein Blick auf die Dunkelblonde, die ihn anstrahlte. „Care?“ Natürlich hatte er die Worte verstanden, so ungläubig er klang, er hatte genügend Zeit in Amerika verbracht, dass er die Sprache tadellos beherrschte. „Wieso bist du schon wach? Es ist fünf“, kommentierte er die unglaubliche Sache. „Ja, ich bin früh aufgestanden, da ich wusste, wie wichtig ein gutes Frühstück ist, wenn man kaum Pausen hat.“ „Was?“ Das sollte keinen Mann schockieren, trotzdem war das der Fall. Sie legte beide Hände aneinander. „Du hast richtig verstanden. Ich bin deinetwegen schon auf. Komm, ich gebe dir dein Frühstück für unterwegs.“ Er wurde am Handgelenk genommen und einfach mitgezogen. „Darfst du das überhaupt? Serena-san wird ausrasten.“ Die junge Dame von 20 Jahren blieb stehen und sah ihn verärgert an. „Das ist mir egal. Komm!“ Sie gingen in die Küche, wo sie ihm ein in Stoff gewickeltes, kleines Bündel vor die Nase hielt. Jetzt mit ein bisschen mehr Scham im Gesicht. „Lass es dir schmecken.“ Seine Hand griff zaghaft nach dem Bündel und nahm es entgegen. „Ich bin überwältigt. Das machst du jetzt aber nicht jeden Morgen, oder?“ Scheinbar konnte er sein Glück kaum fassen. „Mich um dein Wohlergehen kümmern? Du fühlst dich doch nicht etwa bemuttert? Dann tut’s mir leid.“ Kenichi stellte das Bento neben sich auf dem Tisch ab, jedoch nur, weil er die rechte Hand frei haben wollte, mit der er jetzt die ihre griff, und ihr einen wahren Schreckmoment bescherte, als er sie sanft zu sich zog, so dass sie ihm zwei Schritte näherkam. Der Zug an ihrer Hand war nicht grob, nur ein bisschen plötzlich, ehe er wieder etwas lockerließ. „Mich stört es nicht. Sofern du deswegen tust, weil ich dir wichtig bin.“ Der Schrecklaut war noch drüben im Esszimmer zu hören, so laut war die Schnappatmung von ihr. Ihre Lippen bebten, als sie ihn fixierte, dabei in die wunderschönsten Augen der Welt sah und für einen Moment alles um sich herum vergaß. Gott, ihr Herz schlug einige Takte schneller, als sie seine Worte langsam begriff. Er wollte wichtig für sie sein. Ohne ihn wäre sie vermutlich so arm dran wie Serena. Dann hätten die Hyänen sie zerfleischt. Er hatte sie davor bewahrt. Wie könnte er da nicht wichtig sein? Doch halt, meinte er damit etwa, dass er mehr wollte…? Freunde? Nein, ganz sicher hatte er anderes im Sinn. Kein Wunder, dass sie nun errötete und schambehaftet wirkte. „Du bringst mich in Verlegenheit. Geh jetzt!“ sagte sie beharrlich, legte die Hände auf seine Oberarme und strich einmal sanft darüber. Es schauderte ihn angenehm, da es das erste Mal war, dass sie ihn wirklich anfasste. Eine kurze Geste. Sie zog beinahe erschrocken von sich selbst beide Hände zurück und an ihren Körper. Er nahm wieder ihre Hand und strich einmal darüber. „Aber-“ „Fahr vorsichtig.“ Die junge Frau nahm allen Mut zusammen, schnellte vor und drückte ihm den Kuss schnell auf die Wange, dann riss sie sich von seiner Hand los und stürmte aus dem Raum. Verrückt. In den letzten Jahren hatte er wahrlich nichts anbrennen lassen, aber ihr Küsschen brachte ihn aus dem Konzept. Er war kurz bewegungsunfähig. Das Einzige, was funktionierte, war seine eigene Hand, die sich gedankenverloren über die Wange fuhr, auf die sie ihn gerade geküsst hatte. Dann erst kam ihm der Gedanke und er rief nach ihr. „Vanessa, warte!“ Er stürmte los, der davonlaufenden Frau hinterher und erwischte sie kurz vor der Treppe. Dort umschlang er sie von hinten und beide blieben stehen. „Du musst doch gehen…“ Ihre Stimme zitterte. Aber sie ließ sich von ihm festhalten. Dennoch klang sie scheu. Er fischte die langen Haare aus ihrem Nacken – das machte sie nervös und zittrig – und ließ sie auf die andere Seite fallen, damit er Platz hatte. Sein Kopf kam ihr sehr nahe, direkt neben ihr Gesicht. „Ich revanchiere mich, wenn ich von der Arbeit zurück bin“, flüsterte er, legte die Arme noch etwas mehr um sie und hielt sie noch einen Moment länger fest. Ihn so nah zu haben machte sie kribbelig. Ihr ganzer Körper bebte. Dann küsste er sie ganz langsam und vorsichtig auf die linke Wange, sanfter als sie jemals von einer Person geküsst worden war. Ihr Gesicht war feuerrot. Seine Hände ließen sie los, aber sie wagte es nicht, sich zu ihm zu drehen, aus Angst, er könnte dann vollkommen die Beherrschung verlieren und sie direkt auf den Mund küssen. Natürlich wusste sie, dass er in sie verliebt war. Das war kaum zu übersehen, oder? „Bis später.“ Jetzt stürmte sie endgültig die Treppe hoch, weg von ihm. Er hatte sogar die Angst, sie könnte stürzen, so eilig hatte sie es. Vom Getrampel der Blondine wurden einige aufgescheucht, vor allem ihre Cousine, die doch allen Ernstes deswegen kurz darauf in der Tür stand. Mit verschränkten Armen. Und die Jüngere anstarrte, als hätte sie etwas verbrochen. „What’s with that noise? Are you nuts? Didn’t you see the time? It’s five in the morning.” „Oh, I’m sorry, Serena.” „Why you run up the stairs? at such an hour?” Die Neugierde siegte und das errötete Gesicht gab Anlass zur Sorge. Auch, wie sie sich vehement in ihre Kleider griff und den Stoff zerknüllte. „Vanessa! Did he do something to you?” Die Ältere wusste ganz genau, dass Kenichi bereits zur Arbeit musste – sie wusste alles – ja genau, alles! Nur was war vorgefallen? Das wusste sie nicht, aber sie wollte es in Erfahrung bringen. „What?“ Erschrocken riss sie die Augen auf und begann fast zeitgleich wie wild den Kopf zu schütteln. „How can you ever think something bad about him? He is such a gentle person.” Gerade so vermied sie, die Augen zu rollen, als ihre Cousine zum ersten sofort wusste, von wem die Rede war und zum zweiten auch gleich sagte, dass er eine liebevolle Person war. „Yes, he’s gentle. Just as long, as he needs time to seduce you. Stupid woman!” Das glaubte sie nicht. Er hatte sie so verdattert angesehen, nur weil sie sich um ihn kümmern wollte, das war nicht gespielt, niemals. „Are you jealous? Yes, you are jealous!” „About what?” Serena kam aus der Tür gelaufen, direkt auf sie zu und engte sie direkt an der gegenüberlegenden Wand ein. „About the games, the men play, to get a woman? Don’t make me laugh. All men are animals. They are only nice as long as you keep them at distance. So don’t let him too near, got it?” Was auch immer Serena hatte, diese war total sauer. Auf Kenichi? Sicher nicht. Auf alle Männer? Schon eher. Sie selbst sah nicht in jedem Mann ein Monster. Schon gar nicht in ihm. Er war doch nun wirklich der netteste Mensch, den sie kannte. Und sie stufte ihn nicht auf seine Männlichkeit herab. „Why should I? He makes me happy only with his attendance. Don’t destroy this, okay?” Serena lachte. “He will ruin the entire thing himself, no need for me to do. I know you. When his animal comes out the cage, you are the first one to run. So, if you wanna go on to be stupid, then take him in your room. You will see how he reacts.” Schock trat der Jüngeren ins Gesicht. Allein die Idee, ihn so hinterhältig zu testen, entrüstete sie. „So, you really think only because of a stupid room and a bed he will lose his good manners? He’s not such a person.” „Person? Doesn’t matter. He’s a man and know what, he is just waiting to enter your room. Than you can say by to your holy innocence. Try keep it. If you take him, you will see he’s a simple man. He just wanna fuck, like all of them. And he won’t wait for you to say yes. Neither at the weeding nor at your simple yes. No guy will take a woman with whom he can’t be sure she knows how to do it.” Es war zu viel, einfach zu viel. Ein klarer Angriff auf ihre Ehre, ihre Bestimmung und ihren Selbstwert. „I don’t wanna marry a man who makes my love depending on whether the intercourse is good or not. If he loves me, he will wait. Don’t interfere in my matters, okay? That’s none of your business!” Ihre kleinlaute Cousine verschlug ihr mit dem anmaßenden Ton die Sprache. „How dare to talk to me like this?” „It would make you sick if I’m right, isn’t it true? You are afraid. Can it be you had a crush on him and he didn’t want you, Serena?” Konfrontationen waren nicht Vanessas Gebiet, sie war still und leise und hielt meist den Mund. Die Vorlaute von ihnen war sie selbst. Deswegen war sie auch so schockiert. „Did Chris teach you this, huh? Even if you try, they will always see the sheep in you. Even Kenichi knows, how to deal with you. He will drag you into it with lovely words and you will lose your guard. You aren’t in the position to ever reject a guy.“ „I can no longer bear your bitterness. You should care for your man instead of trying to make me insecure. You cannot. He’s a good man. Nobody can tell me the opposite.” ‚She’s totally under his spell. Under these circumstances she will be getting laid by him. Soon. Stupid. Good man. He killed people. The wrong ones. Seems she forgot about this little thing. Surely she will remember when the next time reaches and he needs to protect her again. Last time he was able to hide his ugly doings when it comes to men hurting women. A pity he didn’t used his magnum. She would be afraid of him then. Stay calm, Serena. Maybe it will be from use.’ Es stieß ihr auch ziemlich bitter auf, dass sie wagte, ihr Verhalten zu kritisieren. Von wegen, sie solle sich doch lieber um ihren Mann kümmern. Sollte das heißen, sie sei eine schlechte Ehefrau? In aller Frühe hatten sie sie herbestellt. Um genau zu sein, Merlot war es gewesen. Die hatte sie ganz wuselig gemacht mit all ihren Versprechungen. Sie sollte mit einem heißen Typen zusammenarbeiten. Jedenfalls wurde ihr das versprochen. Mehr oder minder war es Zufall, als sie vom Parkplatz des Universitätsklinikums kam und da dem jungen Kerl über den Weg lief. Es war schon ein bisschen pervers, den eigenen Sohn als heißen Typen zu bezeichnen, fand sie, aber es stimmte. Er war jetzt ein bisschen mehr Mann als damals noch. „Welch ein Zufall. Da ist deine Mutter aber sicher stolz, dass du dich jetzt doch entschieden hast, in ihre Fußstapfen zu treten“, sprach sie ihn frech an und er wäre fast rückwärts zurückgewichen, als er die Schwarzhaarige erblickte. „Haben die dich etwa wieder rausgelassen?“ fragte er ganz echauffiert und sie begann zu lachen. „Dachtest du, dass sie mir irgendetwas anhaben können, oder wie? Außerdem war es ja deine liebe Großmutter, nicht ich. Meinen Freund haben sie noch ein bisschen behalten, du verstehst? In Sachen Drogen verstehen sie eben keinen Spaß.“ Sie klang hochmütig, aber auch kein Stück traurig, dass sie jetzt auf ihren Freund verzichten musste. „Für ein Medizinstudium muss man viel tun, Sêiichî“, sagte sie, dabei strich sie ihm provozierend über die Brust und himmelte ihn regelrecht an. „Ich bin auf dem Weg zur Teitan, zur Schule. Ich bin in der vorletzten Klasse. Und ob ich auf die Uni will, weiß ich noch nicht. Und selbst wenn, sicher nicht um mir einen Doktortitel zu angeln, wie meine Mutter.“ Es klang fast verachtend. Auch, wenn seine Großmutter mütterlicherseits ebenfalls Ärztin war, jedoch nicht so eine schreckliche Frau, wie die Mutter seines Vaters. Alles, was mit Medizin und Forschungen zu tun hatte, machte ihn nicht besonders an, er war eher angewidert von dem, was seine Eltern taten. So wollte er niemals werden. „Wie jetzt? Dann hat deine Mutter gar nicht dich gemeint?“ „Was redest du da für einen Scheiß? Und lass mich endlich los! Die Leute gucken schon!“ Er schob sie von sich und sie sah ihn reichlich verstört an. „Seit wann bist du denn so penibel, sag mal? Nicht doch! Du hast doch nicht etwa eine feste Freundin?“ Eingeschnappt wirkte er, dann drehte er den Kopf weg. „Traust mir wohl nichts Ernsthaftes zu, wie? Dir ist wohl entfallen, wie dein Typ drauf war, als wir uns das letzte Mal begegnet sind, mhm? Auf das Affentheater hab ich keinen Bock.“ Kurz darauf sah er sie fragend an. „Was meintest du damit, dass meine Mutter mich dann nicht gemeint hat? Womit gemeint?“ Sein Blick fiel auf das riesige Gelände der Uni-Klinik. „Sag nicht, sie arbeitet hier?“ Stille herrschte. „Ähm ja, also… Mach’s gut, Sêiichî, man sieht sich!“ Dafür, dass sie ihn beinahe gleich angesprungen hätte, hatte sie es daraufhin aber ziemlich eilig davon zu kommen. „Merkwürdig“, murmelte er, schüttelte dann aber den Kopf. Obwohl sie abblockte, hatte er einen Verdacht… Einer, der mit dem langen Blick auf das weiße Gebäude nur verstärkt wurde. ‚Also ist sie gar nicht tot…‘ Das war schlimmer, als am Grab zu heulen wie ein Baby. Und was machte Kiuchi bitte in dieser Klinik? Er hatte seinen Eltern versprochen, diesen Ort zu meiden… Und er hätte sich vermutlich nicht drangehalten, wenn man ihm nicht von hinten auf die Schulter getippt hätte. „Hey, wir kommen zu spät!“ Erschrocken zuckte er, mit dem Gefühl, dass sein bester Freund ihm jeden Gedanken ansehen konnte. „Ich weiß, was du willst! Und ich halte das für keine gute Idee!“ sagte Ryochi, doch sein Freund sah ihn nur traurig an. „Willst du das nicht auch wissen?“ „Vater will nicht, dass wir hier rumschnüffeln, außerdem müssen wir zur Schule! Mach nicht immer solchen Ärger!“ Er wurde am Arm genommen und mitgezogen. „Oi, oi… Ryo-chan! Warte! Das kannst du doch nicht… Wart doch mal!“ Doch dieser hatte gar keine Lust sich darauf einzulassen. Sie waren eh schon total spät dran… Unterdessen wartete die Chirurgin bereits auf ihre Ankunft. Es war kurz nach sieben, als sie in den Fahrstuhl stieg und dieser mit einem ~Bling~ in der fünften Etage zum Stehen kam. Als die Türen sich öffneten, stand sie bereits in dieser. Nun war es die Schwarzhaarige, die zurückwich, denn ihr wurde ein nicht gerade freundlicher Blick zugeworfen. Man warf der Armbanduhr einen Blick zu und deutete mit ebenso strengem Blick auf die Uhrzeit. „Wir hatten sieben Uhr ausgemacht. Dein Kollege ist schon lange da!“ „Oh, entschuldigen Sie! Ich bin auf dem Parkplatz jemandem begegnet. Den hätten Sie auch nicht einfach so ziehen lassen, ohne hallo zu sagen!“ „Was Sie nicht sagen! Ich nehme meinen Beruf sehr ernst und ich erwarte von allen Mitkollegen, dass sie ihre Arbeit ebenso ernstnehmen, todernst, verstanden?“ Die 25-jährige schluckte schwer. „Es tut mir außerordentlich Leid. Kommt nicht wieder vor!“ Wie sie diese arrogante Tussi verabscheute. Nur, weil sie Chirurgin war und irgendwie wichtig für dieses Krankenhaus ließ sie so den Boss raushängen. Hoffentlich war diese heiße Schnitte umgänglicher als sie. Sie ließ sich nicht von Typen herumkommandieren, schon gar nicht, wenn sie angeblich noch total jung sein sollten. Die Frau mit den blauen Augen wurde ins Besprechungszimmer gebeten, daraufhin ließ sie den jungen Arzt zu ihnen stoßen. Dieser war heilfroh, endlich psychiatrische Unterstützung zu bekommen und hatte es eilig, diese auch kennenzulernen. Als es gegen die Tür klopfte, ließ die Chirurgin ihn herein und er warf sein strahlendes Lächeln in den Raum. Noch sah er sie nicht, da sie den Rücken zu ihm gewendet der 41-jährigen gegenübersaß. Doch, als er sich zu Wort meldete, drehte sie sich zu ihm herum. „Guten Morgen die Damen.“ Er kam mit der Krankenakte ihres gemeinsamen Falles, die er auf dem Tisch ablegte und dann in ihr Gesicht sah. „Das ist die Therapeutin?“ fragte er vorsichtig nach. „Kenichi Ashida?“ Sie wirkte ganz verblüfft, dann aber schüttelte sie den Kopf. „Das ist ja eine Überraschung, dich habe ich ja ewig nicht gesehen!“ „Na ewig stimmt nicht so ganz, höchstens ein Jahr ist vergangen.“ „Oh – wirklich? Stimmt! Du kamst drei Jahre nach mir an die Uni.“ „Wie wir sehen ist die Welt klein – ihr kennt euch?“ „Natürlich kenne ich den Kleinen!“ meinte die Schwarzhaarige frech grinsend und wuschelte ihm über den Kopf. „Hey, lass das! Ich bin volljährig, also gar nicht mehr so klein, also nenn mich nicht Kleiner!“ „Na, dann eben Ken-chan!“ Sie hatte wachsende Freude daran, ihn zu ärgern, was die Chirurgin einen Moment mit Argusaugen beobachtete. „Das professionelle Niveau lässt stark zu wünschen übrig! Er ist in der gynäkologischen Abteilung tätig. Auch, wenn er dein Kohai ist, hat das nichts zu bedeuten. In dieser Welt ist er dein Vorgesetzter, also gewöhn dich schon mal daran, dich etwas respektvoller zu verhalten!“ „Bitte?“ Danach verstummte sie. So schockiert war sie. „Wie kann er denn mein Vorgesetzter sein?“ fragte sie. „Das Alter spielt hier keine Rolle. Du wirst ihm gehorchen, ansonsten werde ich dafür sorgen, dass man dich mit den Regeln noch einmal vertraut macht!“ Ein missbilligender Blick wurde auf die Ältere geworfen, dann auf den jungen Mann. „Ich will gar nicht wissen, was du dafür gemacht hast, mein Lieber…“ Grinsend zuckte er mit den Schultern. „Ich glaub mir wird schlecht!“ „Soll ich dir nen Eimer bringen?“ fragte er frech und sie verzog angewidert das Gesicht. „Hast dich ganz schön verändert, seit du mit meiner kleinen Schwester angebändelt hast.“ „Natürlich hat er das, er ist der Typ mit Namen Jami!“ Osiris begann mit einem Mal zu husten, was Merlot nur ziemlich gehässig grinsen ließ. „Na, hat es dir die Sprache verschlagen?“ Sie war seit knapp vier Jahren Mitglied in der Karasuma Corporation. Ihre Eltern waren leider nicht so reich, um ihr das teure Studium zu finanzieren. Sie wollte damals unbedingt machen, was Yakko machte. Aber nach zwei Jahren Studium ging ihr Vater bankrott und sie musste sich allein durchschlagen. Ihr Freund war drogenabhängig, der konnte sie nicht unterstützen, der brauchte all sein Geld, um seine Sucht zu befriedigen. Wenigstens hatte er ihr beigestanden, als es darum ging, der Organisation dienlich zu sein… ‚Hätte mich wohl eher für Ashida-kun begeistern sollen, so wie meine Schwester.‘ Man sagte von diesem Kerl, dass man als Frau das große Los gezogen hatte, weil man immer darauf bauen konnte, dass er einem helfen würde. Im Gegensatz zu ihrem Typen, der vor den anderen Kerlen kuschte, würde Kenichi das wohl kaum tun. Ihr wäre im Traum nicht eingefallen, dass dieser Jami Ashida sein könnte. Sie war wirklich schockiert. War es Chardonnays Ernst, dass er Schiss vor diesem Bubi haben wollte? Sie fasste es nicht. Der war doch kaum älter als Sêiichî und den hatte er eiskalt niedergeschossen. „Also. Kommen wir zum Wesentlichen. Warum genau bin ich hier?“ „Eins unserer Mitglieder hat seine kleine Schwester Tagelang im Haus festgehalten, um sie zu vergewaltigen. Die Organisation hat dafür gesorgt, dass er damit nicht fortfahren kann“, sagte die Chirurgin nüchtern. „Das arme Ding ist ein nervliches Wrack. Sie braucht mehr Betreuung, als nur die rein Medizinische.“ Obwohl sie das Mädchen als ein armes Ding bezeichnete, klang sie kein bisschen so, als würde sie sie wirklich bemitleiden. „Ich bin für das Körperliche zuständig – du für das Mentale“, sagte der Schwarzhaarige, dabei faltete er die Hände. „Jedenfalls habe ich mir das so gedacht. Ich soll für die Organisation herausbekommen, wie viel und was sie weiß. Ob es uns gefährlich werden kann und wie wir weiter verfahren müssen.“ „Na sie umlegen, was sonst?“ schlussfolgerte die 25-jährige und bekam deswegen direkt einen bösen Blick von der Seite. „Was, wenn sie nützlich ist? Karasuma lässt sich so etwas nicht durch die Lappen gehen. Also müssen wir genau nachforschen.“ „Phe“, meinte sie und drehte den Kopf von ihm weg. „Ich spritze ihr was und dann ist die Sache erledigt!“ „Sachte. Da bist du bei ihm an der falschen Adresse.“ „Was Sie nicht sagen.“ Das war ja langweilig. Keine Psychospielchen mit dem armen Ding. „Ist wohl besonders hübsch, Ken-chan, huh?“ „Mehr als du auf jeden Fall!“ Erzürnt sah sie ihn an, nur gerade so konnte sie sich beherrschen, ihm nicht direkt eine zu schmieren. Was bildete er sich ein, sie so zu beleidigen? Kurz darauf wurde Osiris hinausgeschickt. „Echt jetzt? Mit so einer kann ich nicht zusammenarbeiten!“ Kenichi schnaubte. Nach einer Psychologin hatte er verlangt, die ihm bei der Genesung seiner Patientin helfen konnte. Und was bekam er stattdessen? Eine mordlustige Pussy, die Probleme damit hatte, auf einen Typen zu hören. „Beruhig dich, Kenichi!“ „Da kann ich mich nicht beruhigen! Die würde sie ohne mit der Wimper zu zucken einfach umbringen!“ „Sie macht gute Arbeit.“ „Ach, tut sie das? Was kann sie denn gut? Patienten davon zu überzeugen, dass sie entweder spuren oder wir sie eiskalt umbringen? Herrlich.“ Zusätzlich hatte er die Arme verschränkt. „Wenn sie nicht das tut, was sie soll, musst du ihr eben ein bisschen wehtun. Osiris glaubt, weil du jünger als sie bist, könnte sie irgendwelche krummen Dinger mit dir drehen. Spring eben mal über deinen Schatten und mach ihr klar, dass sie damit nicht durchkommt. Du weißt ja, was bei den meisten Frauen zieht… Oder hat Chardonnay versäumt dir das beizubringen?“ Die Methoden von diesem Schandfleck anzuwenden, war nun wirklich nicht seine Lieblingsbeschäftigung. „Und du meinst, dass ich das so überzeugend kann, dass sie dann auch wirklich Angst kriegt?“ „Hat Giró nicht gezittert wie Espenlaub, als die mit ihm fertig waren und du dich mit ihm angefangen hast zu beschäftigen? Hat er nicht um sein jämmerliches Leben gebettelt, obwohl die ihn so übel zugerichtet hatten, dass das eh nichts mehr wert gewesen wäre?“ „Das ist was Anderes, Typen wehtun macht mir immer Spaß. Vor allem solchen.“ Kurz hatte er einen ziemlich psychopathischen Blick im Gesicht und seine Augen schienen noch heller aufzuleuchten, als sowieso schon. In verängstigte Gesichter zu sehen machte Spaß, wenn man wusste, dass die Anderen Schrecklicheres angetan hatten, man also irgendwie Vergeltung dafür forderte. „Also pass besser auf, dass dein Lover seine Triebe im Griff behält… Wenn du ihn behalten willst, dann sorg dafür, dass er nichts Dummes tut. Wenn ich den noch mal dabei erwische, dass er Jungfrauen jagt, brauchst du nicht mehr auf ein weiteres gemeinsames Kind mit ihm hoffen.“ Eine Frau, wie sie, die diesen Abschaum liebte, damit zu bedrohen, war schwierig. Die Meisten würde sie – ähnlich wie Osiris – einfach mit einer Spritze lahmlegen. Doch bei ihm konnte sie das nicht. Aus den diffusesten Gründen. Und er nutzte das ganz und gar schamlos aus, so wie man es ihm beigebracht hatte. Schwachstellen der Anderen herausfinden und sie für die eigenen Zwecke nutzen. Andere würde sie töten, ihn sah sie nur pikiert an. „Ich versuche alles, um ihn glücklich zu machen, Kenichi. Mehr kann ich nicht tun… Also lass ihn bitte leben.“ Was musste Seyval diese Frau hassen. Während sie selbst diesem Bastard den Tod wünschte und dafür sogar mit ihm in die Kiste gegangen wäre, wollte Merlot das Gegenteil. Deswegen war sie lieb und nett zu ihm, außerdem erinnerte er sie an jemanden. Sie wollte ihn ja unbedingt mögen. Darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. Sie war kein guter Mensch. Alles andere als das. Kein Wunder, dass sie ihm eine Psychopathin anschleppte, wenn er sich Hilfe erhoffte. Er wollte das arme Mädchen nicht am Boden sehen, das war sie doch schon. Er wollte retten, was zu retten ist, das war immerhin sein Job. Merlot hatte durch ihre Liebe zu diesem Mistkerl offenbar schon lang vergessen, was Menschlichkeit überhaupt bedeutete… Der Frau war nicht mehr zu helfen. Genau so, wie Vermouth ihm vor einigen Jahren prophezeit hatte. Es war halb zehn, als die Polizei im Krankenhaus eintraf. Der Kriminalist, der damit beauftragt worden war, Informationen einzuholen, wirkte äußerst kühl. Alles wurde sehr oberflächlich und mehr als sachlich gehandhabt. Auch, als der Arzt ihm mitteilte, dass sie innere Blutungen gehabt hatte. Sie wäre beinahe an ihnen gestorben und ihre Fähigkeit Kinder zu gebären, gehöre auch der Vergangenheit an, beeindruckte diesen Kerl kaum. Er nickte stumm, machte Notizen und verlangte alle Unterlagen, die ihnen vorlagen. Es interessierte sie gar nicht, was mit dem Mädchen geschehen war, sie interessierten sich mehr für das, was ihrem Peiniger angetan worden war. Er nahm den Arzt in die Zange, geradezu, als hätte man ihm angemerkt, dass er diesem Kerl den Tod gewünscht hatte. Vielleicht war dem auch so, er bedauerte den Toten kein bisschen. Sah man es ihm an? Verdächtigten sie ihn? Offenbar konnte die Polizei diese Sache nicht einfach ruhen lassen. Es war ihre Pflicht und Schuldigkeit jedem Mordfall nachzugehen. Und wer interessierte sich für das Mädchen, das verletzt worden war? Niemand. Dass sie sie aus dem Haus geholt hatten. Sie nichts von ihren Taten gesehen hatte. Oder hatten die sogar vor, sie der Tat zu überführen? Niemand verstand es besser, aus einer Frau, die Opfer geworden war, einen Täter zu machen. Er erlaubte den Bullen nicht, sie zu befragen. Nicht so ohne Weiteres. Sie war nicht vernehmungsfähig. Man ignorierte die Versuche, ihnen das klarzumachen. Ob er etwas zu verbergen hatte, hatten sie gesagt. Da kam sie. Und gesellte sich zu ihnen. „Informationen wollen Sie, über die vergewaltigte 17-jährige? Kann ich Ihnen geben.“ Ihre Augen funkelten gemeingefährlich und Kenichi ließ sie vor sich. Seine Hand wanderte in die Tasche seines Kittels. Frauen wie sie musste man mit Vorsicht genießen, aber gerade war es ihm recht. „Sie können es ja gern versuchen, die Kleine zu befragen. Sie schweigt. Man bekommt keinen Ton aus ihr, so verängstigt ist sie von dem, was ihr angetan worden ist. Wissen Sie, vielleicht haben Sie ja mehr Glück, als ich. Erwarten Sie aber bloß keine Wunder.“ Der 25-jährige schnaubte einmal, weil ihre Stimme darauf schließen ließ, dass sie sich nicht nur mit ihm anlegen wollte, sondern ihn auch noch auslachte. „Ach, lassen Sie das mal unsere Sorge sein.“ „Wollen Sie etwa zu dritt ins Krankenzimmer gehen?“ fragte der 21-jährige, den sie daraufhin mit hämischem Grinsen ansahen. „Die Polizei hat noch jeden zum Reden gekriegt.“ Dann gingen sie an ihm vorbei. Er lief ihnen nach und schnappte sich das Handgelenk des Kriminalisten. „Ey, was soll das?“ „Das kann ich unter keinen Umständen zulassen!“ „Dann verhafte ich Sie wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen. Dafür gibt es bis zu fünf Jahre Haft. Versauen Sie sich doch nicht so ihre herrliche Zukunft… Herr… Facharztanwärter!“ „Gynäkologischer Assistenzarzt!“ Er hatte sich richtig vor dem Polizisten aufgebaut. „Was auch immer, kommt auf das Gleiche raus. Noch nicht mal fertig mit dem Studium und sich gleich in Schwierigkeiten bringen. Halten Sie sich mal ein bisschen zurück.“ Ungehindert schafften sie es zum Zimmer der Patientin, allerdings nur, weil sie ihn sich schnappte und sogar zwei Schwestern darum bemüht waren, ihn zu bremsen. „Nicht, Ken, am Ende verlierst du deine Stelle hier. Der Oberarzt mag keinen Krawall gegen Polizisten.“ „Feiger Scheißkerl!“ zischte der Schwarzhaarige, während seine Augen vor Wut und Hass nur so aufloderten. „Nicht auffallen“, flüsterte Osiris ihm ins Ohr – er hasste, zu wissen, was sie damit andeuten wollte. Da entriss er ihr grob seinen Arm. „Kümmer dich um deine Angelegenheiten!“ Dann stampfte er davon und sie gab einen angepissten Laut von sich. „Undankbarer Mistkerl!“ Der Oberarzt, der gerade von einer Visite kam, fühlte sich belästigt. Wegen einer Lappalie. „Tun Sie bitte etwas. Sie wissen doch wie in diesem Land mit Opfern verfahren wird, vor allem weiblichen.“ „Man richtet sich nicht gegen die Polizei, genauso wenig wie gegen die Regierung. Das ist schlicht und ergreifend dumm.“ „Aber… Sie werden sie hart angehen und alles nur noch schlimmer machen. Sie müssen das Mädchen beschützen. Sie hat genug durchgemacht.“ Ein genervtes Seufzen war zu hören. „Wir sind für die Körperliche Genesung zuständig. Sie werden die Kleine schon nicht fressen. Sie versuchen nur einen Fall aufzuklären.“ „Einen, den man nicht aufklären sollte!“ „Warum? Jemand wurde brutal hingerichtet. Das könnten genauso gut Sie sein, so wie Sie sich immer aufführen. Suchen Sie sich ’ne Frau, genießen Sie den Feierabend. Und kommen Sie endlich runter.“ „Wie bitte?“ Er war überhaupt nicht abgehoben, er war im Recht. Die Anderen waren nur feige. „Sie wollen allen Ernstes dabei zusehen, wie das arme Mädchen weiter terrorisiert wird?“ „Heiliges Kanonenrohr. Hören Sie sich reden. Die Polizei macht nur ihren Job, also behindern Sie sie nicht. Das ist eine Anordnung, verstanden?“ Die Arzthelferin, die das Ganze von der Ecke beobachtete, war sichtlich besorgt. Er konnte doch nicht so mit seinem Chef streiten, das würde ihm nur schaden – und das nur wegen einer Patientin. Kaum, dass er stehen gelassen worden war, ballte er die Hand zur Faust und murmelte so etwas wie: „Wie ich dieses Land manchmal verabscheue!“ Die Regierung und ihre widerwärtigen Regeln aus dem 19. Jahrhundert. Manche Gesetze bedurften dringender Auffrischung. Unter anderem das Vergewaltigungsgesetz, knapp 100 Jahre war es jetzt schon alt und man beharrte immer noch auf dieser frauenfeindlichen Gesellschaft. Dreiviertel der Opfer zeigten ihre Peiniger nicht mal an, weil sie schon alleine bei der Aussage im Revier der Polizei hart angegangen wurden. Man fragte sie nicht bloß einmal, ob sie sich vollkommen sicher waren. Ob ihnen bewusst war, dass sie sich selbst schaden könnten. Die meisten würden diesen Kampf scheuen. Man sollte ihnen helfen und sie nicht einschüchtern. Die Scham und Pein waren groß genug. Vor der Tür hatten sie einen Polizeibeamten abgestellt, der niemanden in den Raum ließ, während sie sich darin befanden. Nicht mal die zuständigen Ärzte. Als ob er nicht wüsste, was sie zu verbergen hatten. Ihre Methoden, die beinahe schlimmer waren, als Folterungen. Sie nannten das Überführung Straffälliger. Er nannte es Manipulation von Menschen. Aus Angst gaben sie manchmal Dinge zu, die nicht der Wahrheit entsprachen. Aus Unschuldigen wurden Schuldige gemacht. Fast zwanzig Minuten waren sie da drin. Einen hörte er immer lauter werden – fast angeschrien wurde sie. Und als sie hinausgingen, knallten sie so heftig die Tür, dass es ihn entsetzte. „Sie sind in einem Krankenhaus, benehmen Sie sich dementsprechend.“ „Oh, ich glaube, der vorwitzige, Assistenzarzt möchte gerne Ärger, Chef. Vergreift sich ganz schön im Ton, finden Sie nicht.“ „Ach, wissen Sie… Man hat mir schon gesagt, dass der immer so ist.“ „Junger Mann, ich rate Ihnen ein letztes Mal, sich etwas zu zügeln, sonst nehmen wir Sie mit aufs Revier!“ Man lachte. „Wollen wir ja nicht, oder?“ Pure Provokation. Er ließ sie ziehen und betrat das Zimmer seiner Patientin. Wie er sie vorfand, war alles andere als angenehm. Er hätte auf der Stelle aus der Haut fahren können. Doch nicht hier. Sie zuckte beim öffnen der Tür, als würde sie befürchten, das Gleiche noch mal durchmachen zu müssen. Sie sank runter und klammerte sich ängstlich in ihre Decke. Diese hatte sie so fest umklammert, als wolle sie direkt unter sie kriechen. Ihre Augen sahen ihn an, als sei er so etwas wie ein Feind. Mit jedem Schritt, den er tat, wurden ihre Augen größer und panischer. „Nein, bitte nicht mehr“, sagte sie. Das Erste, was er sie sagen hörte. Trotzdem wagte er, vorsichtig und langsam die letzten Schritte auf sie zuzumachen. Ihr Körper rutschte rückwärts, so dass sie fast aus dem Bett fiel. Im letzten Moment konnte er sie daran hindern. Auch, wenn es hieß, dass er ihren Arm greifen musste, was sie gewiss in noch mehr Angst versetzte. Die zweite nahm sie an der Schulter und hielt sie fest. „Keine Angst, ich will dir nichts tun. Alles ist gut.“ Erstaunt, perplex, aber auch mit großen Augen sah sie ihn an. Abcheckend, ob er wohl die Wahrheit sagte und man ihm trauen konnte. Ihre Lippen zitterten und sie krallte sich in den weißen Kittel. In ihren Augen standen die Tränen, die sie mit Gewalt versuchte am Fließen zu hindern. „Sie wollten wissen, ob ich mich selbst verletzt habe… Ob nicht vielleicht ich derjenige war, der ihn so zugerichtet hat. Ich hab mich bloß gewehrt… Sie redeten von Mord. Man hat ihn umgebracht. Das ist doch nicht wahr, oder?“ „Doch, es ist wahr“, sagte er ruhig, während er ihr über die Schulter strich. „Sie haben dich offenbar rausgeholt“, es stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht, „und ihn dann dafür bestraft, was er dir angetan hat. Er wird dir nie mehr etwas tun können.“ Nun kniff sie die Augen zu, drückte den Kopf an ihn und begann bitterlich zu weinen. Die Tür wurde geöffnet und die Schwarzhaarige betrat das Zimmer. Einen Moment lang beobachtete sie die Szene. ‚Redet kein Wort, keiner schafft es an sie heran… Usw. Ja, das sehe ich. Frauen sind solche verlogenen Biester. Je jünger, umso schlimmer.‘ Lautstark räusperte sie sich, absichtlich, um zu stören. „Oh, wie ich sehe, sind Sie jetzt willig zu reden. Keine Sorge, keiner hier will Ihnen was Böses. Wir wollen Ihnen helfen“, sagte sie – er jedoch hörte das Scheinheilige in ihrer Stimme. „Kiuchi-san“ sagte er. „Niiza-san, das ist deine Therapeutin. Ich habe nach ihr verlangt, weil ich für die körperlichen Sachen zuständig bin. Sie wird versuchen, dir in deiner schwierigen Lage zu helfen!“ Das, was er sagte, klang wie eine versteckte Drohung an die Therapeutin, die diese bewusst ignorierte. „Ich brauche keinen Seelenklempner!“ sagte das Mädchen. „Ach so? Ich bin nicht gebraucht? Man sagte mir, dass sexuelle Gewalt im Spiel war. Sie sollten dringend mit einer Fachärztin für Traumata sprechen. Er kann nur innere Schäden beseitigen. Das ist nicht sein Gebiet, obwohl es natürlich angenehm ist, sich von ihm behandeln zu lassen, nicht wahr?“ fragte sie zynisch, schließlich klammerte sich das kleine Miststück ja regelrecht an ihn. „Reiß dich zusammen!“ sagte er zu seiner Kollegin, bewusst ruhig, aber doch irgendwie tadelnd. „Ich weiß nicht, was du meinst. Herr Kayama möchte dich sprechen. Geh schon. Ich komm alleine hier zurecht.“ ‚Wag es ja nicht, sie zu ärgern, dann ärgere ich dich!‘ Der Satz musste nicht mal gesagt werden, so drohend wie er sie ansah. Sie lächelte ihm ins Gesicht. „Keine Sorge, ich fasse sie mit Samthandschuhen an. Immerhin weiß ich ja, was für schreckliche Dinge sie erlebt hat.“ Sein Blick, verbissen und drohend, blieb auf ihr, auch als er an ihr vorbei zur Tür ging. Doch, als er sich herumdrehte und der Blondine ins Gesicht sah, lächelte er. „Keine Angst. Du kannst mich jederzeit rufen.“ Die 17-jährige nickte stumm, wurde aber wesentlich steifer, als sie mit der Psychiaterin alleine gelassen wurde. Diese legte die Akte neben ihr auf den Tisch und setzte sich zu ihr ans Bett. „Ich möchte keinerlei Barrieren zwischen uns aufbauen, sondern, dass wir einander vertrauen können. Dazu sollten wir ehrlich zueinander sein. Mhm? Alles, was Sie mir sagen, wird vertraulich behandelt. Ich unterliege der Schweigepflicht. Ihnen gefällt der junge Arzt, oder?“ Sie lächelte milde. „Kann ich gut verstehen. Mir auch.“ „Ach ja? Gerade habe ich von Typen die Schnauze voll!“ äußerte sie sich. „Sie leugnen, dass Sie ihn attraktiv finden? Aber wieso denn?“ „Ich finde gar nichts.“ Interessant. Eingeschüchtert, geradezu verängstigt. So sehr, dass sie kein Wort sagte. Was für ein abgebrühtes kleines Miststück. „Wie mir scheint, geht es Ihnen den Umständen entsprechend mehr als gut. Also, erzählen Sie mir, was genau vorgefallen ist. Wie hat er es getan? Wie oft? Was waren Ihre Gedanken dabei?“ „Warum soll ich das beantworten?“ fragte sie – sie wollte es vergessen, so, als sei es nie passiert. Das, was die Polizei sowieso wollte. Es unter den Tisch kehren, was ihr Bruder für ein Scheißkerl gewesen war. Er war jetzt ein armes Opfer, dessen Täter sie suchten. „Möchten Sie sich bei ihrem Helfer bedanken?“ „Meinem Helfer. Sie meinen denjenigen, die ihn umgebracht haben?“ fragte sie unsicher. „Das wird mich ein Leben lang verfolgen. Sie haben mir nur gezeigt, wie klein, schwach und wehrlos ich war. Man musste mich retten. Wer auch immer das war, wird dafür zur Rechenschaft gezogen.“ Ihr Gesichtsausdruck war nun traurig geworden. „Oh, glauben Sie mir, es gibt Menschen, die kommen mit solchen Schweinereien davon.“ Sie lächelte kühn. „Wovon reden Sie?“ „Von Menschen, die für Gerechtigkeit kämpfen und alles dafür tun, um diesen Kampf auch zu gewinnen. Die lassen sich nicht erwischen.“ „Das glaube ich nicht.“ „Würden Sie nicht auch gerne zu diesen Menschen gehören, die mit allem davonkommen?“ „Ich dachte, das wird eine therapeutische Sitzung?“ „Das wird es auch. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit deinen Rettern dienlich zu sein.“ Verwirrt sah sie die Psychiaterin an. Die war ihr nicht geheuer. Beinahe wirkte sie, wie der Wolf im Schafspelz. „Haben Sie etwas gesehen? Wissen Sie, wer die sind? Werden Sie das der Polizei mitteilen?“ „Denen sage ich gar nichts. Die wollen eh nur den Sündenbock aus mir machen“, äußerte sie sich. „Das beantwortet meine Frage nicht. Kennen Sie die?“ „Weiß nicht.“ Leise war sie geworden. „Vielleicht.“ In ihr Gesicht trat ein minimales Lächeln. „Jedenfalls kenne ich Leute, die sich vielleicht so für mich einsetzen würden. Die würde ich nie verraten.“ Von wem genau sie sprach, wusste Osiris nicht, aber aus irgendeinem Grund glaubte sie nicht, dass ihre Vermutung richtig war. „Nun gut. Jetzt will ich aber alles erfahren. Alles, was dieser Kerl Ihnen angetan hat. Von Anfang an. Von dem Tag an, an dem er das erste Mal übergriffig geworden ist.“ Man sah sie schlucken. Es war ihr zuwider darüber zu reden, wie er sie in der Küche eines Tages aus heiterem Himmel angetatscht hatte – und noch mehr. Hätte sie sich damals nur gewehrt, dann hätte er nicht geglaubt, dass sie so etwas wie sein Eigentum war. Dann hätte er sie nicht geschlagen und gefesselt. Bestimmt wäre er dann nie so brutal geworden. Alles war bloß ihre Schuld, weil sie einen anderen Jungen gernhatte und ihm das unter die Nase reiben musste, dass er sie nicht mehr haben konnte. Das Therapiegespräch dauerte eine gute Stunde, länger als üblich. Danach konnte sie direkt in die Mittagspause gehen und ihren Kollegen darüber informieren, was sie von diesem Fall hielt. Sie stand vor der Kaffeemaschine und drückte gerade den Knopf, als er ebenfalls das Zimmer betrat und sich mit einem Seufzen auf den Stuhl fallen ließ. Sie drehte sich zu ihm und sah, wie er gegen die Wand starrte und sie nicht beachtete. Bestimmt hatte der Chef ihn ordentlich gerügt. Für sein vorlautes Mundwerk. Sie konnte nicht sagen, dass solche Männer ihr nicht gefielen. Sêiichî war auch so, der musste sich auch mit jedem anlegen und fiel damit immer auf die Schnauze, trotzdem machte er es immer wieder. „Du siehst aus, als wärst du in die Mangel genommen worden.“ „Als Assistenzarzt muss man sich echt alles bieten lassen. Das nervt.“ „Was du nicht sagst.“ Sie setzte sich mit der Tasse Kaffee zu ihm und grinste. „Vielleicht solltest du lernen die Klappe zu halten. Dann bist du weniger genervt, wenn du auf den Deckel kriegst.“ „Die Klappe halten ist aber nicht meine Art.“ „Übrigens kannst du dich beruhigen. Die Kleine feiert eher noch ihre Helden. Sie wird nicht reden. Wahrscheinlich weiß sie nicht mal, wer die waren. Sie kann sich nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die mit ihren Taten davonkommen.“ Jetzt stand sie auf und stellte sich hinter ihn. Ihre Hände legten sich auf die Schultern und fuhren nach vorne. „Und die Vergewaltigung war nicht so schlimm. Jedenfalls nicht schlimm genug… Sie steht auf dich“, meinte sie verführerisch und wanderte nach vorn zu seiner Brust. Ihr Kopf legte sich leicht an seinen, da sie sich vorgebeugt hatte. „Ich bitte dich.“ Kenichi griff ihre Hand. „Hör auf mich anzutatschen!“ „Ach, stell dich nicht so an. Bestimmt bist du bei Merlot ganz handzahm, sie ist total von dir angetan. Wie hast du das gemacht? Mir war so, dass sie immer bloß ihren Seitensprung liebte. Aber so, wie sie dich ansieht, hast du sie mindestens schon mal rangelassen. Ist das nicht irgendwie ekelhaft? Ist’n bisschen alt für dich die Gute.“ „Ach? Wen soll ich stattdessen nehmen? Dich? Sorry, ich steh nicht so drauf, mich mit Handlangern einzulassen.“ „Was hast du da gesagt, du Kleiner…“ Ihre Hände legten sich an seinen Hals und streiften mit den Nägeln gefährlich der Halsschlagader entlang. „Ich hab gesagt, du sollst deine Hände von mir nehmen…“ Seine Stimme war nachdrücklicher geworden, obwohl er sich nicht mal bewegte. Nicht aufstand, oder brüllte, hatte es etwas Bedrohliches, allein die Betonung. „Meinst du, ich hab Angst vor einem, der vier Jahre jünger ist? Du bist das Weichei gewesen, das meine kleine Schwester entjungfert hat. Mir kannst du nichts vormachen.“ „Nimm sie weg!“ Sie huschte rückwärts, als er aufsprang und dabei fast der Stuhl umkippte, so ruckartig tat er es. „Ach, und was, wenn nicht?“ Sie lächelte kühl. „Wegen so einer kleinen Schülerin, die geschickt ihr Umfeld manipuliert, legst du dich mit Kriminalisten an. Weil sie eine kleine Hure ist, die die Beine für ihren Bruder breitgemacht hat, heult sie jetzt überall rum, dass er sie misshandelt hat. Er hat sie nicht vergewaltigt, höchstens genötigt. Sie hat sich drei ganze Jahre von ihm durchnehmen lassen. Jetzt hatte sie keinen Bock mehr, weil sie in so einen Typen verliebt ist. Ich würde mal sagen, dass sie ein bisschen selbst schuld ist.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es war nur eine Vergewaltigung. Das passiert schon mal, wenn man immer die Schönste sein will.“ „Nur?“ Bei diesem Thema verstand er keinen Spaß. „Ja, nur? Es gibt Schlimmeres.“ Der letzte Idiot, der gewagt hatte, ihm ins Gesicht zu sagen, dass es Schlimmeres gab, als Gewalt an Frauen, hatte nichts zu lachen gehabt. Sie hatten sich damals so schwer geprügelt, dass derjenige es sicher nie vergessen würde. Er hatte ihn krankenhausreif geschlagen und ihn gefragt, ob er ihm auch mal Gewalt antun soll. Der hatte nie mehr auch nur einen Piep von sich gegeben. „Wie kann man als Frau nur so etwas Kaltschnäuziges sagen?“ „Weil’s stimmt. Reg dich ab. Sie wird daran nicht zugrunde gehen. Höchstens lässt sie ein paar Tränen fließen, nur damit du weich wirst. Merkst du das eigentlich nicht? Sie wurde gezwungen. Tja. Davon geht die Welt nicht unter. Halt dich von ihr fern, die verdreht dir nur den hübschen Kopf.“ „Und du glaubst, dass du mir was befehlen kannst? Was glaubst du, wer du bist?!“ Was daraufhin geschah, war so ziemlich das Überraschendste, was sie sich von diesem Typen vorstellen konnte. Er hatte sich verändert. So sehr, dass sie sich danach fürchtete. Er war ein lieber Junge gewesen, der nur ab und zu die richtigen Menschen geärgert hatte. Diesen Tokorozawa zum Beispiel. Kenichis Privileg war, dass Frauen so etwas Unantastbares waren. Sie hätte ihm nicht zugetraut, dass er seinen Willen durchsetzte. Und dabei auch den Willen einer Frau ignorieren könnte. Aber danach war ihr übel. Sie würde ganz bestimmt nicht nochmal versuchen ihn anzufassen. Schon gar nicht, wenn er so miese Stimmung hatte. Nein, sie würde das jemand wissen lassen, der das nicht lustig finden würde. Weil es in seinem Umfeld schon viel zu oft passiert war. „Er ist ein Sadist…“ „Ein Sadist sagst du?“ Verwirrt sah er die Schwarzhaarige an. „Wie kommst du darauf? Hat er dir was getan?“ „Kann man so sagen… Du solltest auf jeden Fall deinen Vater wissen lassen, dass er sich den Typen mal ansehen sollte. Der hat sich im Krankenhaus fast mit den Ermittlern geprügelt.“ Der Jüngere verzog die Augen zu Schlitzen. „Wieso sollte er so etwas Dämliches denn tun?“ „Weil die Polizisten eine Vernehmung durchführen sollten, die ihm nicht gefiel. Da ist er völlig ausgerastet.“ Unangenehme Neuigkeiten. Die hatte der 42-jährige am liebsten. Er drehte sich in seinem Stuhl herum. Dabei faltete er mysteriös die Hände. „Sie können gehen, ich werde mich damit auseinandersetzen.“ Diese Frau fand sich ganz schlau. Ging zu seinem Sohn, erzählte ihm etwas von Ärzten ohne Beherrschung und glaubte dann noch, dass er gegen diese vorgehen würde. Er war jung, unerfahren und manchmal etwas ungehalten, wie sein Sohn Yuichi. Das war kein Grund, ihm gleich Ärger zu machen. Es gefiel ihm nicht, was er hörte. Das Mädchen, das Opfer, welches von den Tätern gerettet worden war, hatten sie also regelrecht eingeschüchtert. Da war Kenichi Ashida aus der Haut gefahren. Er selbst wusste nicht einmal, ob die Täter, die sie suchten, nicht vielleicht Bekannte von ihnen waren. Genauso gut könnte das sein Sohn sein, der das Mädchen befreit hatte. Nur würde er so etwas Barbarisches wie die nie tun – jedenfalls war er davon überzeugt. Aber Polizisten sollten sich auch zurückhalten können. Das arme Mädchen. Wie konnten sie sie nur so hart angehen? Kein Wunder, dass alle die Polizei fürchteten, dabei sollte sie der Freund und Helfer sein. Etwas, was er einigen noch mal klarmachen musste, wie es schien. Derartiges Verhalten mochte vielleicht unter einem Frauenfeind, wie Tokorozawa geduldet sein, aber bei ihm gab es so etwas nicht. Musste er sich also wieder einmal einige Ermittler zur Brust nehmen, um ihnen Manieren beizubringen. Er seufzte. Wie gut, dass Sêiichî einen Gerechtigkeitssinn besaß und sofort zu ihm gekommen war, auch wenn es ihm nicht gefiel, dass man in seiner Gegenwart über Vergewaltigung gesprochen hatte. Diese Sache damals hatte ein Trauma bei seinem Adoptivsohn hinterlassen. Es machte ihn krank, das war durchaus nachvollziehbar. Aber er wollte ihn von diesen Abgründen fernhalten, die ihn am Ende noch zu einem Verbrecher machen würden, wenn er nicht ein Auge auf ihn hatte. Er hatte mit Grund Ryochi aufgetragen, dass er seinen besten Freund vom Krankenhaus fernhielt. Er sollte die Kleine nicht so sehen, er würde sofort merken, was mit ihr passiert war… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)