[Beta Ver.] CONDENSE von YukihoYT (An jenem schicksalhaften Regentag) ================================================================================ Kapitel 5: Vol. 1 - "Tsundere" Arc: Fata Morgana ------------------------------------------------ Heute ist der große Tag. Heute gehen wir auf Klassenfahrt. Ich habe alles gepackt, mindestens dreimal kontrolliert und wieder ausgeleert, um ja nichts zu vergessen. Ich hasse Busfahrten. Ich habe einen schwachen Magen. Mir ist jetzt schon irgendwie schlecht. Super, echt! Aber ich versuche, gezwungenermaßen, positiv zu bleiben, bis ich wieder versuchen muss, meine Kotze zu behalten. Jetzt stehe ich hier mit den anderen und warte auf den Bus, während Akira das letzte Bisschen Dosenbier ausschlürft, bevor er eine ganze qualvoll lange Woche nichts mehr davon schmecken wird. "Akira-chan, da kommt nichts mehr. Lass los!", ermutigt ihn Shuichiro. "Da ist was drin. Da ist immer noch ein Rest drin, wenn du nur fest genug dran glaubst!", bleibt er stur wie ein Esel. Frag mich nicht, was er an dieser Beleidigung von Getränk findet. "Gib es auf, Egaoshita-san. Es ist leer und du weißt es. So viel von diesem Zeug zu trinken ist sowieso nicht gut für die Gesundheit.", entgegnet Kaishi. "Du bist nicht gut für die Gesundheit…", brummt er, während er die Bierdose ansieht wie einen Verstorbenen und einsieht, dass da nun wirklich nichts mehr zu holen ist. "Eeeeeeellie! Guten Mooooorgen!", ruft Chika mir in ihrer typischen Sanftheit nach und klebt mir wieder am Rücken. Wann lernt sie das endlich? "Ich bin zu spät gekommen, weil ich die ganze Nacht vor Aufregung gar nicht schlafen konnte, das wird so toll!", ihre Begeisterung ist durch nichts zu bremsen. Sie lässt wieder von mir ab und strahlt mich an. Herrschaft noch mal. Ich sollte eigentlich gar nicht überrascht sein. Ich bin es trotzdem. Ich sehe sie zum ersten Mal in etwas anderem als ihrer Schuluniform. Na ja, zumindest seit sie wieder in der Stadt ist. Die Chinobara Oberschule erlaubt das. Man könnte sagen, was die Schule und die doch recht liberale Klassenlehrerin angeht, so habe ich Glück. "Ellie, alles in Ordnung? Du bist so still.", reißt sie mich aus den Gedanken. "Verzeihung. Ich hab nur nachgedacht.", antworte ich kühl. Chika sieht kurz etwas verwirrt aus, dann grinst sie. "Gefällt dir, was du siehst?", versucht sie, mich zu ärgern. "Ich hasse es... zumindest nicht direkt.", formuliere ich um, was ich eigentlich meine. Sie trägt die gleichen Kniestrümpfe wie sonst, nur hat sie anstelle der Schuluniform eine ziemlich kurze Hose, ein schwarzes, tiefausgeschnittenes top und eine dunkelblaue Lederjacke. "Juhu, Ellie hat mich gelobt!", freut sie sich und fällt mir ein weiteres Mal um den Hals. Wenn sie bloß wüsste, wie sie aussieht. Ich kann nicht glauben, wie sehr mich ihre freizügige Erscheinung aus dem Konzept bringt. Das nervt. Ich verstehe es nicht. Das, was ich da sehe ist nichts als eine Demo-Version ihres nackten Körpers. Und wie nackte Köper aussehen, weiß ich. Wieso also bin ich so beunruhigt bei ihrem Anblick? Ich weiß fast alles, was es über die Chemie, Physik, Biologie und die Wissenschaft allgemein zu wissen gibt. Wenn der Kopf so leergeräumt ist, wie meiner es war, kann man ihn mit unsäglich vielen Informationen über diese Welt füllen und diese Leere ausgleichen. Dieser Ausgleich geht bei mir seit drei Jahren von statten. Einmal war ich sogar so neugierig, dass ich auf PornHub gelandet bin. Das endete damit, dass sich meine sprachbehinderte Wenigkeit über den PC meines Vaters übergeben, geschrien und geweint hat vor Schock. Ich habe tatsächlich vergessen, was ein Porno ist. Ich hatte nur noch die wage Vermutung, zu wissen, wie man Babys macht. Ich wusste bloß nicht, wie Menschen beim Akt aussehen. Meine Eltern sind dann reingekommen und haben gesehen, wie ich vollgekotzt und heulend auf dem Boden kaure, vor einem PC hocke, auf dem noch ein Porno läuft. Sie waren nicht mal böse auf mich. Mein Vater hat den PC saubergemacht und gewischt, meine Mutter hat mir Wasser gegeben und beruhigend auf mich eingeredet. Ich hatte mich beim Hören dieser hohen Frequenzen zu Tode erschreckt. Ich habe schon einmal jemanden in einer ähnlichen Frequenz schreien hören. Diese leise Erinnerung hat gereicht, damit mein Essen mich verlässt. Ich wurde schon wieder ins Krankenhaus gebracht, weil der Trigger der Erinnerung an den Schrei mich so zerstört hat. Das war das letzte Mal, dass ich den Begriff PornHub jemals wieder in die Suchleiste eingegeben habe. Wenig später sitzen wir alle zusammen im Bus. Vor mir sitzen Kaishi und Shuichiro, hinter mir Akira und neben mir aus dem Fenster spähend sitzt Failman. Ich kann Akiras Lennyface-Blick förmlich riechen. Kann er nicht wie alle normalen Menschen aus dem Fenster gucken oder Handyspiele zocken? Mist, wieso musste ich auch gestern so übertreiben mit dem Essen? Ich fühle mich ekliger als ein Brot in Gammelwasser. Widerlich. Aber ich muss mich zusammenreißen. Shuichiro dreht sich nach hinten zu uns und bietet uns Chips an, während ich versuche, mich möglichst nicht zu übergeben. Ich hasse Busfahrten. So sehr. Ich fahre nicht oft mit einem, aber meistens esse ich vor einer erwarteten zumindest nichts zu Abend. Nur habe ich bereits Tage vorher gepackt, sodass ich die Klassenfahrt nicht unbedingt im Kopf hatte. Warum haben Taiyo und ich gestern nochmal alle Folgen dieser spannenden Serie geschaut und dabei nicht aufgehört zu essen? Wieso habe ich heute morgen im Halbschlaf nach diesem komischen Joghurt auf ex getrunken? Elvis, du bist doch endblöd! Fuck, ich will die fröhliche Klassenfahrtsstimmung nicht ruinieren mit meiner Übelkeit. Ich muss mich zusammenreißen, wenn ich mich jetzt nicht komplett unbeliebt machen will. Jeder hasst den Geruch von Erbrochenem. Als einer der beliebtesten Jungs im Jahrgang hab ich umso mehr Angst. Wehe, du schreist jetzt Luxusproblem, ich habe jetzt wirklich ein bisschen Panik. Ein bisschen in Größe eines Dinosauriers. Von einem… der in Flammen steht. Die Fahrt soll angeblich nicht so lang sein. Gut für mich. Denn nach einer Stunde glaube ich, das Schlimmste hinter mir zu haben und nicht alles vollzukotzen. Entspann dich, Elvis. Entspann dich. Einen abgelaufenen Joghurt ohne volles Bewusstsein in dir drinzuhaben, hält dich nicht davon ab zu entspannen… Fahrerpause. Mir doch egal. In diesem Moment glaube ich fast, dass mein Unwohlsein komplett verschwunden ist. Ich lockere den Arm um meinen Bauch und seufze. Es wird alles gut. Ich habe alles unter Kontrolle. "Das hättest du wohl gern~", säuselt die altbekannte Stimme deren Klang ich mehr verachte als die jeder anderen jemals. Es fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Schlagartig, ohne, dass es einen weiteren vernünftigen Grund hat, zieht sich alles in mir zusammen. Ich schlage die Hand vor den Mund und renne kopflos aus dem Bus. Da ist nichts als pure Panik in meinem Innern. Ich bin fast an der Raststätte angekommen, stolpere über meinen Fuß und... übergebe mich mitten auf dem Asphalt der Raststätte. Mir war bei Busfahrten ja oft schlecht und so, aber das ist das erste Mal, das ich mich wirklich übergeben habe. Er war es schon wieder. Dieses verdammte Schwein. Auf Klassenfahrt, vor einer Raststätte, in der Öffentlichkeit, wo es jeder sehen kann! Das ist einfach nur grausam! Ich habe einen Ruf zu verlieren. Er nimmt mir alles weg. "So ein Scheiiiiiß!", schreie ich auf dem Boden kauernd, vor der gelblichen Pfütze, deren Anblick mich gleich nochmal zum Kotzen bringen könnte, wäre nicht längst alles draußen, was irgendwie drinnen war. Das mag zwar lächerlich klingen, für jeden, der nach dem Kotzen, wieder voll auf den Beinen war, aber nachdem ich die ganze Raststätte und den Bus mit meiner alles gesehen habenden Klasse zusammengeschrien habe, wird alles um mich herum schwarz. Wer hätte gedacht, das ich so schwach bin, dass ich sowas schon ohnmächtig machen könnte? Dass ich nach wie vor so ein zerbrechliches Kind bin? Aber das war wirklich bis zum Gehtnichtmehr peinlich und wirklich zu viel für mein armes Herz. Es war wirklich viel zu viel. Ich wäre bestimmt die Heulsuse in Zombiefilmen, die als Erste stirbt. Den genauso fühle ich mich gerade, denke ich, ehe mein Bewusstsein wie die Titanic im Meer aus endlosem Schwarz untertaucht und letztendlich ertrinkt. Nur gehöre ich nicht zu den Passagieren, die gerade sterben. Auch, wenn sich das so anfühlt. Dieser Kerl bringt mich von innen um. Er zerreißt meine Eingeweide. Dann springt er mir aus der Brust und grinst mich grausamer an als mein eigenes Gesicht überhaupt dürfte. Ich hasse dieses Gesicht. Dabei ist es gleichzeitig auch meins. Dann gibt meine Körperkraft nach und mein schwerer Kopf sinkt auf den kalten Steinboden. Das ist mir mehr als nur peinlich. Man hat alles gesehen. Ich wurde gerade, selbst wenn man ihn nicht sehen kann, live von diesem Kerl gedemütigt. Ich hasse ihn. Und jetzt bin ich eine Lachnummer. Das, was ich niemals sein wollte. Ich sah diese Menschen. Lagen da so, wie Gott sie geschaffen hatte und die Frau schrie immer lauter und lauter. Mein Herz raste wie verrückt, ich hatte das Gefühl, es würde mit jeder weiteren vergehenden Sekunde in meiner Brust explodieren. Kalter Schweiß rannte mir die Stirn hinunter, ich fühlte mich, als würde ich gerade innerlich sterben. Hör doch auf, hör doch bitte auf!, flehte ich in Gedanken, doch war unfähig, etwas zu tun. Als die Frau diesen einen Dezibel zu hoch kam, war es aus mit mir. Nicht so laut, nicht so laut, bitte nicht!, dachte ich stetig, doch war zu gefangen, um abzuschalten. Diese eine Oktave zu schrill und ich schrie. Das war das mit Abstand erste Wort, dass ich seit dem Krankenhaus jemals in den Mund nahm. "Neeeeeiiiiiin!!!!! Nein, nein, nein, nein, n-", keifte ich dem Computer entgegen und ehe ich zum nächsten Nein übergehen konnte, erbrach ich mich bereits auf den Bildschirm und die Tastatur. Immer noch heiser wimmernd ruschte ich dann vom Stuhl weinte. Ich hörte sie immer noch stöhnen und schreien, ich raufte mir die Haare und hielt mir die Ohren zu. Die Tür wurde aufgerissen und meine Eltern waren da. Die Eltern, deren Sohn sie vergessen hatte. "Elvis, Kind, was ist denn… PornHub? Kind, was ist los?", wollte meine Mutter energisch wissen, als sie sich bückte und an sich zog. Ihr war egal, dass Erbrochenes an meinem Shirt klebte. "Shun, mach das aus! Wir müssen ins Krankenhaus!", sagte die Frau ihrem Mann, der die vollgekotzte Maus betätigte, um den Tab zu schließen. Er verließ das Zimmer wieder, um Putzutensilien zu holen. Ich hielt mich noch an meiner Mutter fest und weinte. "Es wird alles gut! Es wird alles gut, Schatz. Du brauchst keine Angst zu haben! Wir sind da! Bitte wein nicht mehr, Elvis! Egal, was du gesehen hast, es ist nicht real und kann dir nicht wehtun! Hörst du? Nichts dergleichen ist echt!", flehte sie mich an, mich zu beruhigen.   Sie hörte nicht auf, mich zu halten, bis mein Vater alles saubergemacht, wir ins Krankenhaus gefahren sind und ich daran erinnert wurde, dass ich mich mit dem Erinnern nicht allzu stressen soll, da sonst sowas passiert. Damit endet der Flashback.   *** Schon wieder bin ich im Dunkeln. Eine Art Meer, nur ist es schwarz wie die Nacht. Es gibt keinen Sand und ich kann atmen. Ich bin also wieder hier. Als ich sitzend merke, dass ich unter mir wieder mein Selbst reflektiert bekomme, zucke ich, wie damals, zusammen, als es mich schon wieder zweimal gibt. Der gleiche Bastard. Das gleiche skrupellose Arschloch. "Du.", murmle ich und habe nicht weniger Angst vor meiner Kopie als früher. "Schau an, schau an, du bist noch ganz der Alte.", dieser Typ macht sich über mich lustig. So war er schon immer. Er reibt mir unter die Nase, wofür ich nichts kann. "Du verschwindest auch nie, oder, Idris?", antworte ich, stehe auf und zwinge mich zu einem herausfordernden hämischen Lächeln. "Am Ende bin ich am Steuer, miese Fälschung.", ich werde gegen ihn nicht verlieren. Anscheinend ist er schuld an allem, was mit meinem Kopf nicht stimmt. Die Seite an mir, die alles beendet hat. Idris. Im Grunde unterscheiden wir und vom Aussehen her gar nicht, außer dass meine Augen rot sind und seine grün. Er ist so etwas wie meine diabolische Seite. Bis jetzt habe ich sie im Zaum halten können und es gelang ihm nie, tatsächlich Besitz über mich zu ergreifen. Trotzdem kann ich nahezu spüren, wie viel mehr er kurz davor ist... "Ich sehe, du hast da eine ziemlich heiße Freundin am Start. Ich wusste gar nicht, dass Elvis auf solch oberflächlichen Weiber steht? Aber na ja, das bist du ja schließlich auch, nicht wahr?", "Träum weiter, ich bin nur so oberflächlich, weil es oben sicher ist. Du bist ja selbst aus den Tiefen meiner Amnesie entstanden. Tief. Unten. Merkst du was?", mache ich einen auf cool. "Tu was du willst, lange wirst du mich nicht aufhalten. Schließlich sind wir ein und die gleiche Person!" Ich liege in einem Bett. Als ich langsam wieder aufwache, ist das Erste, was ich wahrnehme, der Geruch von Birnenshampoo und Haare, die mich kitzeln. Obwohl, ganz so stimmt das nicht. Das wirklich Erste, was mir in den Sinn kommt, ist die Weichheit eines anderen Körpers nah an meinem Herzen. Ganz nah. Viel zu nah. "Wie schön, dass du endlich aufgewacht bist...", eine vertraute Stimme höre ich da. Sie. "Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht, als du da plötzlich unsere schöne Runde verlassen, vor die Raststätte gekotzt und anschließend so komisches Zeug durch die Gegend geschrien hast. Hast die ganze Fahrt und das Auspacken verschlafen. Die Gang und ich habe geholfen, dich und dein Gepäck hier hoch zu schleppen. Shuichiro hat versucht, nicht zu weinen. Und dann habe ich diese Situation genutzt und dich dann als Kuschelkissen missbraucht. Tut mir leid, wenn das selbstsüchtig war.", erzählt sie mir und drückt mich stärker sich. Ich kann irgendwie nicht reden. Nicht nur, weil sich mein Mund so trocken anfühlt, sondern auch, weil ich wieder einmal am eigenen Leib spüre, wie viel Holz sie vor der Hütte hat. "Chika, ich-", Die Tür wird aufgerissen vor Schreck fallen und wir beide aus dem Bett. "Was zur Hölle..", entfährt es einer rauen Mädchenstimme. "Also... für sowas ist es wirklich weder der richtige Ort noch die richtige Zeit. Ich soll kommen, um euch zu holen.", meint das blonde Mädchen und ist etwas errötet. Erst verstehe ich nicht, worauf sie hinaus will, dann sehe ich herunter. "Ellie?", Chika ist verlegen, weil nicht von ihr runtersteige. Ich springe sofort auf. Ich sehe erst zu Chika, dann zu dem kleinen mürrischen Mädchen. "Es ist nicht das, wonach es aussieht.", brumme ich und schiebe mich an ihr vorbei. *** "Kotzbrocken, ahoi, wie schön, dass du endlich aufgewacht bist, oh Mann, was hast du dir dabei gedacht? Wir haben uns wirklich Sorgen gemacht!", Akira begrüßt mich mit einer Nackenschelle und ich bin etwas angefressen davon, wie er sich über mich lustig macht. "Blödmann, Idiot, ich hab mir voll Sorgen gemacht!", höre ich Shuichiros leicht erstickte Stimme, als er aus dem Nichts angestürmt kommt und mir in die Arme rennt. "Es tut mir ja leid. Gestern war mir auch nicht gut und sagen wir mal so, die nächsten Tage werde ich jeden Joghurt meiden, der sich mir in den Weg stellt, aber... jetzt ist alles wieder gut.", rede ich auf ihn ein und fahre ihm durch die blonden Haare, als ich sein leises Schluchzen höre.   Asahina verdreht im Hintergrund die Augen. Der konnte weder Shuichiro noch mich jemals leiden. Shuichiro, weil er ein melodramatischer Romantiker ist, dem man schnell zum Heulen bringen kann, mich, weil ich... ich bin. Und weil ich mal kurz davor war, ihm die Nase zu brechen, als er versucht hat, meine Narbe zu entblößen. Von da an, wusste ausnahmslos jeder Junge in Kabine 5, dass es keine gute Idee ist, mich ernsthaft wütend zu machen. "Herrschaft noch mal, hast du gerade meinen Pullover vollgeschleimt?!", stelle ich ihn entsetzt zur Rede, als wir uns voneinander lösen und sein Rotz uns noch verbindet. Shuichiro errötet etwas und sagt nur ganz kleinlaut: "S-sorry..."   *** Das war ein wirklich langer Tag. Ich bin, zu meiner Überraschung, nicht unbeliebt geworden oder so was. Jetzt weiß nur jeder, dass sich die Kombination Kyokei und Bus nicht besonders verträgt. Mir soll's recht sein. Nun sitze ich mit der Gang friedlich am Tisch und esse zu Abend. Das Essen hier ist besser als ich dachte. "Alter, wie langsam isst du eigentlich?", entfährt es Akira bei der gemeinsamen Nahrungsaufnahme. "Ich esse nicht zu langsam. Ich kaue bloß effizient.", verteidige ich mich. "Bitch, bis wir mit Essen fertig sind, ist es bei dir schon kalt, ich schwör auf alles.", findet er und ich finde, dass er übertreibt. "Dann bin ich auch fertig. Und dann ist es nicht kalt, sondern in mir drin.", erkläre ich ihm freundlicherweise. "Das hat deine Mutter letzte Nacht auch zu mir gesagt.", grinst er sein Lennyface-Gesicht und erwartet wohl, dass ich reagiere. "Noch ein Kommentar und ich ramme dir meine Wurst so tief in den Rachen, dass dir die Worte im Hals steckenbleiben.", hoffe ich, dass er sich damit zufriedengibt. "Das hat deine Mutter letzte Nacht- … Aua! Kaishi, warum kneifst du mich?!" "Du hast danach geschrien.", entgegnet Kaishi sachlich und unberührt. "Ich bin sicher, Kyokei-chans Mutter ist nicht so Eine.", versucht Shuichiro, die Ehre meiner Mutter wiederherzustellen. "Gewiss nicht.", bestätige ich, denn ich bin ebenfalls der Meinung, dass diese Frau nicht mit jemandem wie Akira verkehren würde.  "Ich bin gleich zurück.", lässt uns Kaishi wissen und macht Anstalten, aufzustehen. "Ich möchte mir noch etwas Milch holen." "Nicht nötig, da steht schon Asahina daneben.", teilt ihm Akira mit und raunt daraufhin durch den Raum: "Yo Asahina, lass das Tittenwasser rüberwachsen!" Dieser findet das gar nicht lustig. Weil er nämlich nicht nur Shuichiro und mich nicht ausstehen kann, sondern ebenfalls einen Groll gegen Akira hegt. "Du blöder Bastard, hol dir die scheiß Milch doch selber!", regt er sich und läuft mit der Milchpackung davon. Wohin genau, wenn nicht an seinen Platz zurück, werden wir wohl nie erfahren. Wissensbedarf nicht vorhanden. Asahina kann meinetwegen auch Zigaretten holen gehen. Die Milch hat er ja schon. Diesen Milch und Zigaretten Witz habe ich von Akira. Die Pointe besteht daraus, dass irgendein Vater Frau und Kinder zurücklässt und Milch beziehungsweise Zigaretten nur als Ausrede nutzt, um für immer zu verschwinden. Was genau daran jetzt so witzig ist, verstehe ich nicht.    Mein Blick fällt auf den Fenstersims und aus dem Fenster ins Freie. Draußen ist es inzwischen am dunkel werden, aber nicht zu dunkel, um den Sand noch glitzern zu sehen, der das Mondlicht reflektiert. Dieser Strand ist wirklich schön. Ich mag das Meer. Mir egal, dass ich nie wieder halbnackt dort herumschwimmen werde. Ich habe mich in der freien Zeit rausgeschlichen. Meine Gang spielt gerade Super Smash Bros. Ultimate. Ich habe ihnen gesagt, ich würde noch rausgehen wollen. Zuvor habe ich ihnen hoch und heilig versprochen, wieder hochzukommen und mit ihnen zu spielen. Es gibt keinen Grund, dieses Versprechen zu brechen, ich denke, ich halte es. Ich bin gerade dabei, den Strand entlang zu laufen, da sitzt dann wer. "Chika? Was machst du denn hier? Willst du nicht mit den anderen Smash spielen?", möchte ich wissen. "Nein, irgendwie nicht. Ich habe dich vorhin so begeistert aus dem Fenster gucken sehen, da dachte ich, du willst bestimmt zum Strand und habe auf dich gewartet.", erzählt sie mir. "War das falsch?", auf diese Frage antworte ich nicht. Auf mich zu warten, weil ich so aussah, als würde ich später hier aufkreuzen, ist auf allen Ebenen falsch. Ihre Augen sind auf das Spiegelbild vom Mond auf der Wasseroberfläche gerichtet, welches sich in ihren tränenfeuchten Augen widerspiegelt. "Ist alles in Ordnung?", wessen Augen so aussehen, der kann mir nicht erzählen, das mit ihm alles in Ordnung sei. Und weil sie es ist, interessiert es mich fast wirklich. Sie hat schließlich etwas, das mir gehört, darum sollte ich gut zu ihr sein. "Es ist nur, ich habe das Gefühl, als stünde ich dir im Weg oder würde ich dir mit meiner Art auf die Nerven gehen. Wegen der Sache von vorhin als du ohnmächtig warst... Ich dachte, du würdest dich besser fühlen, wenn du mit jemand Bekanntem im Bett aufwachst und ich... Das war absolut unverschämt von mir, es... es tut mir leid.", Reue erfüllt ihre Stimme, sodass ich mich berufen fühle, ihr zu sagen, was Sache ist. "In der Tat war, war was du getan hast ein ziemlicher Eingriff in meine Selbstbestimmung. Du bist mehr als nur im übertragenen Sinne über meinen wehrlosen Körper hergefallen, als ich bewusstlos war. Jeder andere Typ in der Klasse fände das Aufgrund deines Erscheinungsbildes vielleicht spitzenklasse oder wäre eingeschnappt, würde er Kaishi heißen und das Grundgesetz besser kennen als seine eigene Blutgruppe. Jedoch bin ich weder ein normaler Mensch herkömmlichen Sinnes noch habe ich das Bedürfnis, dich leiden zu sehen. Mit anderen Worten… alles in bester Ordnung." Wieder ist es so still zwischen uns und ich weiß nicht, ob ich etwas Falsches gesagt habe. Dabei ist es doch nichts als die Wahrheit. Einer der Wahrheiten, die zwar nüchtern und kalt sind, aber niemandem das Herz brechen. "Vielen Dank, für diese lieben Worte, Ellie.", bedankt sie sich bei mir. "Ich habe mich auch sicher gefühlt. Ich wünsche mir, dass du irgendwann wieder so in mir bist." "Wie bitte?", verstehe ich da etwas ganz gehörig falsch. "A-a-ach nichts! Ich meinte das nicht sexuell oder sowas! I-i-ich wollte auch gar nicht sagen, sagen, dass du in mir sein sollst, d-d-das ist gegen die Regeln! Nicht zweideutig denken, Ellie! Ich wollte nur… Ich wollte…", sie überlegt, was sie eigentlich sagen wollte. "Dass du irgendwann wieder so friedlich schlafend in meinen Armen liegst...", beendet sie ihren Satz und sieht mich an. "Wenn du dich anstrengst, bringst du mich vielleicht eines Tages dazu.", kommt es von meiner Seite und ich wünschte, ich wüsste selbst, ob das gerade konstruktiv oder destruktiv von mir war. Vielleicht ja auch beides. "Ja, das wäre schön..", flüstert sie kichernd und sieht zum Mond herauf.   Diese Nacht fühlt er sich besonders nah an. Und wieder einmal verharren wir in derselben Position länger als man meinen könnte. Wir beide starren in den Nachthimmel und obwohl wir nach der Lehre der Proxemik die nahe Phase der Intimzone des jeweils anderen nicht betreten haben und uns längst nicht mehr so nah sind wie nachmittags im Bett, liegt da doch eine komische Spannung zwischen uns, welche ich nicht ganz in Worte zu fassen vermag. Ob wie es auch spürt? Ich sehe sie an und studiere ihr Seitenprofil. Sie ist komplett in ihrer eigenen Welt versunken. Ein Ort weit weg von hier. Nicht wissend, was ich sonst tun soll, wende ich den Blick am und starre wieder dorthin, wo sie auch hinstarrt. Die Spannung verzieht sich nicht, ich kann sie noch immer spüren. Irgendwo zwischen Herz, Lunge und Zwerchfell. Ob uns irgendjemand sieht? Bald sollten wir schließlich wieder rein. Rein und mit den Jungs smashen, bis der Arzt kommt. Und doch bleibe ich fürs Erste hier. Mit ihr hier. Und das auf allen Ebenen verdächtig. Shuichiro und Akira freuen sich gerade vermutlich einen Ast ab, falls sie mir gerade auflauern. Vermutlich tun sie das gerade, aber ich mache mir nicht die Mühe, mich umzudrehen und nachzusehen. Ich habe zwar weder Sinn für Romantik noch bin ich gut darin, welche zu versprühen, aber dass in Serien solche Momente die Fangirls sterben lässt, erkenne sogar ich. Dass die Gang mich mit der da zusammen shippt, ist nichts worüber ich glücklich bin. Uns verbindet nur, was ich nicht habe. Ich könnte ihr so schrecklich wehtun. Niemand weiß, warum Chika an mir so klebt und ich sie nicht wie andere Mädchen der Wohlfahrt übergebe. Absolut niemand hat mich jemals so mit einer Mitschülerin umgehen sehen. Mein Blick fällt auf eins ihrer Armbänder. Schutzmechanismus. Es gibt so viele Dinge, die ich nicht weiß. So schrecklich viel davon. Und hinterfragt habe ich schon lange nicht mehr, wie meine Welt aussieht. Ich brauche mich nicht zu fragen, wie ihre Haut unter dem Leder aussieht. Es ist ebenfalls nicht nötig, sich zu fragen, ob die blaue Schleife in ihrem Haar vielleicht eine tiefere Bedeutung hat. Genauso wenig muss ich mich zu diesem Zeitpunkt noch oder schon fragen, in was für einer Beziehung ich wirklich mit ihr stand. All das würde ich - oder würde ich nicht - herausfinden, würde sie ihre Wirkung entfalten und beweisen, dass sie stärker ist als die Gesetze der Neurowissenschaft. Ich muss mich, unabhängig vom Endergebnis unserer Handlungen, gedulden. Gedulden und weitermachen. Sie vorsichtig auf den richtigen Pfad zurückdrängen, weil das alles ist, was ich für sie tun kann. Ich stecke im Körper ihrer ersten Liebe, ich bin sie aber nicht. Alles, was ich in meiner Position tun kann, ist, sie vorsichtig über "mich" hinwegkommen zu lassen. Ich muss behutsam umgehen, mit ihren zarten Gefühlen für ihn, die sie glaubt, für mich zu empfinden. Ich muss behutsam vorgehen. Deshalb toleriere ich sie. Deshalb werde ich sie weiter tolerieren. Weil sie der erste Mensch seit meinem Erwachen ist, der alles hautnah miterlebt zu haben scheint. Ich weiß praktisch nichts, sie weiß praktisch alles. Es wäre nett von ihr, mir eine Zusammenfassung dessen zu geben, was sich abgespielt hat, als wir im Leben voneinander noch eine Rolle gespielt haben. Aber so etwas aus dem Nichts heraus zu verlangen und ihr damit den Traum zu nehmen, ich könne mich erinnern, wäre wiederum nicht besonders nett von mir. Auch wenn ich schlussendlich nicht besonders nett sein kann, weil ich sie nicht liebe. Ich muss mir gut überlegen, was ich sage oder tue, um keinen unnötigen Scheiß in seinem Leben anzustellen. Fürs Erste verschiebe ich die Sache mit der Zusammenfassung auf ein andermal. Wenn ich nichts anderes zu tun habe. Wenn mir sterbenslangweilig ist.  Denn diese Information hat für dieses normale Leben keinen Nutzen. Hier geht es nur darum, Failman sanft abzuschieben und ein möglichst normales Leben zu führen. Nicht mehr und nicht weniger. Dieses Leben ist geliehen und objektiv betrachtet würde mir dieses Wissen beim Ausführen meiner Pflicht weiterzuleben viel mehr im Weg stehen als dass es mir helfen würde. Ich bin zufrieden. Das Leben ist ganz nett und leicht zu bewältigen, wenn man es erstmal akzeptiert hat. Die Menschen um einen herum sind nett und leicht, wenn man erstmal lernt, wie man mit ihnen umgeht und sichergeht, dass sie keine Gefahr für einen darstellen.  Wissen ist Macht, aber Nicht-Wissen ist nicht direkt Machtlosigkeit. Es ist alles nur eine Frage des Lernens. Das Einschätzen der Situation, wann es zu akzeptieren und wann es zu lernen gilt. Zu wissen. Zu wünschen. Auch wenn ich weiß, dass alles Wünschen sich nicht auszahlt, wenn es von mir kommt, wäre ich imstande, mir als Elvis' Platzhalter tatsächlich etwas für mich zu wünschen, dann wünschte ich, ich würde zumindest einen Bruchteil von dem erfahren, was sie über mich erfahren hat. So viele Fragen würde ich stellen. Ich wüsste nicht, wo ich anfangen soll. Was liegt da alles zwischen uns, was ich verdrängt habe? Wie kommt es, dass du ununterbrochen meine Mauern einreißen willst, als hättest du längst alles gesehen? Und wieso um alles in der Welt liebst du mich überhaupt nur so sehr? Wieso liebst du "mich" weiter, obwohl der Mensch, den du einst liebtest, gar nicht mehr existiert? Das hier ist nur eine Hülle, Chika Failman. Nichts weiter als das. Unbekannt: Die Zielperson ist nicht allein. Diese Observationen von Missionen lösen gemischte Gefühle in mir auf. Es ist langweilig, wenn ich nicht gegen etwas oder jemanden kämpfe. Nichts reizt meine Sinne, was meinen Adrenalinspiegel lässt wie er sein sollte. Nicht, dass es ich liebe zu töten. So grausam bin nicht einmal ich. Es ist nur so, dass ich einzig und allein deshalb am Leben bin. Um der Meisterin von Nutzen zu sein. Und jene Meisterin will, dass ich diese Zielperson überwache und diese Informationen zur Verarbeitung an die Meisterin, und damit dem Clan, weitergebe. Doch diese Mission ist für die Machenschaften der Meisterin völlig nutzlos. Ich erfahre nichts, was mir helfen könnte, ihn dorthin zu locken, wo er erledigt werden kann. Lediglich das Mädchen könnte vielleicht noch von Wert sein. Dieses Mädchen, das bei ihm ist, könnten wir benutzen, um ihn zu brechen. Es wird ihm doch wohl irgendetwas an diesem Mädchen liegen. Und genau das wird eventuell sein Untergang sein... Ich schüttle den Kopf. Das kann man jetzt nicht sagen, es ist ja noch gar nicht so weit. Und dennoch ergreift mich das Bedürfnis, dieses Mädchen zu benutzen, um die Zielperson meiner Meisterin zu übergeben. Meine Kampfkraft gegen sie zu benutzen, ihr wehzutun. Ich bin mit allem einverstanden, wenn das heißt, den Sinn, den mein Leben hat, zu erfüllen. Es spielt keine Rolle, wie sehr mein Herz dabei zerreißt. Dabei habe ich, um so zu fühlen, noch nicht einmal das Recht dazu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)