Shambles von blackNunSadako ================================================================================ Kapitel 3: Die Augen des Sturms ------------------------------- Ein Killer ist nicht gleich ein Mörder... Die Art ihres Handelns unterscheidet sie wesentlich.   Ein Mörder meuchelt nach eigenem Willen... Ein Killer richtet einzig im Auftrag seines Befehlsgebers.   Ohne Kids Wort erhebe ich meine Sicheln nicht. Sein Befehl ist mein Wille.   Es macht mich weder menschlicher, noch schuldloser. Es nährt nur den Schatten meines inneren Dämons.   Ist mein Captain wahrlich der Teufel? Ich der Todesengel?   Wir das Böse, das andere glauben in uns zu sehen?   Welches Recht habt ihr, uns zu verurteilen? Ihr wisst nichts über uns...   Wo liegt der Unterschied zwischen Gut und Böse? In einer verdunkelten Welt existiert keines von beidem.   Wir segeln lediglich auf der falschen Seite des Himmels; Auf der des höllischen Meeres.   Wir sind keine Monster. Auch wir besitzen ein Herz.   Wir sind die Kid-Piraten. Männer mit einem Herz aus Metall.   Es hört einzig auf den Ruf der Freiheit, angezogen durch Magnetismus, bewegt durch Loyalität, schlagend im Rhythmus der See.   Ihre Wellen sind es gewesen, die dich zu mir gespült haben... Wie lange wirst du den Stürmen des Ozeans trotzen können, Heart-Pirat?   Dies ist eine Prüfung des Herzens... Dein Name wird dir nicht von Nutzen sein.   Denn du bleibst, wie ich ein Pirat... Frei von Schuld ist niemand von uns.   Eine weitere Sünde ist nichts... Bist du es würdig, die meinige zu sein?       ~ 愛 ~       Dumpf klopfte ich mit meinem Zeigefinger gegen die Metalltür von Kids Kajüte. Zwölf Schläge. Das Klopfzeichen im Takt der Liedstrophe: `Jo-ho... Jo-ho... Jo-ho und ne Bud-del voll Rum.´   Kid konnte Metall nach ihm rufen hören. Er nahm selbst die kleinste Schwingung dessen wahr. Es gehorchte seinem Meister bis auf die letzte Schraube.   Stark vibrierte die kühle Oberfläche an meinen Fingerrücken, ehe sich die schwere Tür in Begleitung eines quietschenden Surrens vor mir öffnete. Lautlosen Schrittes trat ich ein. Der Geruch von Öl, Schwarzpulver und Eisen schlug mir entgegen. Hinter mir ertönte der Türknall, vor mir das Geräusch der Stiefel, die mein Captain hart auf seinem Holztisch platzierte. Locker verschränkte er seine Arme hinter seinem Kopf und lehnte sich grinsend in seinem vergoldeten Königssessel zurück.   „Hast'e Rum mitgebracht?“, war seine belustigte Begrüßung, die mich hinter meiner Maske leicht schmunzeln ließ. Lässig warf ich ihm die Flasche zu, mühelos fing er sie mit einer Hand auf. „Frisch abgefüllt“, teilte ich ihm monoton mit und lehnte mich – seitlich zu ihm gedreht – gegen die Tischkante. Nicht umsonst war ich zuvor zu unserem Rumfässer-Lager gegangen. Heat stellte unseren Edel-Rum selbst her; durch Gärung aus Zuckersirup von Zuckerrohr, folgend dem Destillations-Prozess und abschließender Fass-Reifung. Wenn einer Schnaps brennen konnte, dann Heat.   Kid zog seinen Dolch aus seinem Brustgürtel und rammte die Dolchspitze zwischen Flaschenhals und Korken. Mit einer geübten Handbewegung hebelte er ihn aus, woraufhin der Korken ziellos durch den spärlich beleuchteten Raum flog. Die beiden schwarzen Kerzenständer hinter meinem Captain verliehen seiner machtvollen Erscheinung einen schattenhafte Hauch, ließen seine markanten Gesichtszüge gefährlicher wirken. Sein dunkles Grinsen, beim Ansetzen der Flasche, strahlte Selbstherrlichkeit und Unbeugsamkeit aus. Ich wusste, warum ich Kid die ewige Treue geschworen hatte. Mein Leben diente dazu, ihm zum Königstitel zu verhelfen.   „Die Neue Welt erwartet uns“, sprach ich meinen Gedanken nachdenklich aus und verschränkte meine Arme locker vor meiner gepunkteten Bluse. Meine versteckten Augen blieben auf den flackernden Kerzen hinter ihm. „Jedoch können wir nicht weitersegeln, solange unser Passagier hier ist.“   Kids goldene Augen schweiften zu mir, über den Flaschenrand sehend. Mit einem ungeduldigen Handschwenken forderte er mich auf, weiterzusprechen. Wie so oft, führte ich einen Monolog, statt eines Dialoges, indessen er in Ruhe seinen Rum trank.   „Die Heart-Piraten sind auf der Suche nach ihm. Trafalgar Law hat uns bereits in Verdacht. Es wird nicht lange dauern, bis er uns auf die Schliche kommt“, erklärte ich in gleichbleibend eintöniger Stimmlage und zog einen meiner Mundwinkel schmunzelnd nach oben. „Alles läuft gänzlich nach deinem Plan, Captain.“   „Ha! Wenn das kein Grund zum Saufen ist!“, lachte er rau auf und hob die Flasche, gegen deren Hals er grinste. „Wie macht sich unser Frischling?“   „Kann mich nicht beklagen“, wurde mein Schmunzeln untermalt von Amüsement, begleitet von einem Schweigen, in welches ich mich hüllte. Gedanklich ließ ich die Stunden mit dem Heart-Piraten Revue passieren, bis ich erneut zum Sprechen ansetzte. „Er ist der rebellische Typ. Nichts, womit ich nicht fertig werden würde.“   Kids rote Lippen formten eines seiner dreckigsten Grinsen. Und ich wusste bereits, was nun folgte.   „Nimm ihn nicht zu hart ran.“ Die pure Obszönität. „Wir brauchen ihn noch... und hör auf mit deinen Augen zu rollen, Kira. Ich weiß, dass du mindestens genauso dreckig grinst wie ich“, konnte er meine maskierte Mimik exakt deuten. Sein Grinsen verfinsterte sich, sowie seine raue Stimme tiefschwarze Bedrohlichkeit annahm. „Sobald er sich erinnert, weißt du, was du zu tun hast.“   Dunkel lachend knallte er die halb-leere Rumflasche auf den Tisch, sodass das Holz unter mir leicht bebte. Daraufhin fuhr er sich lässig durch seine rote Mähne, deren haltende Fliegerbrille er sich in der fließenden Fingerbewegung über seine Augen schob. „Ich mach mich zurück in die Werkstatt. Halt hier oben die Stellung.“   Schwungvoll stand er auf, warf seinen getragenen Mantel über die Stuhllehne und steuerte dann die metallische Luke hinter seinem Sessel an. Mit einer wegwischenden Handgeste öffnete er sie und zeitgleich ebenfalls die Kajütentür. „Aye, Captain“, nickte ich ihm noch zu, ehe ich ihn allein ließ. Wenn Kid in eines seiner Metallwerke vertieft war, durfte ihn nichts und niemand stören. Als Vize hatte ich dafür höchstpersönlich Sorge zu tragen. Darüber hinaus war es zurzeit früher Morgen, die meisten Männer befanden sich noch in ihren Kojen. Zumindest diejenigen, die es in Trunkenheit zurück aufs Schiff geschafft hatten. Der Rest schlief in dessen Nähe. Wie immer sollten sie nach und nach den Weg zur Adventure Galley finden – Den Pfad nachhause konnte ein Kid-Pirat niemals verfehlen.   Gespräche zwischen Kapitän und Vize oblagen stets strengster Geheimhaltung. Keiner durfte sich währenddessen im Gang zur Kapitänskajüte aufhalten. Obgleich die schwere Metalltür jedwedes Geräusch nach Außen abschirmte. Selbst ein einprozentiges Risiko war ich nicht gewillt einzugehen – Es war ein Prozent zu viel. Ich rottete Risiken aus, noch ehe sie entstehen konnten. Die chaotischen Jahre an Kids Seite hatten mich gelehrt, Pflicht und Verantwortung zu Präzision und Strategie zu modifizieren. Ich haftete für den kleinsten Fehltritt eines jeden Mannes an Bord, war autorisiert für jeden einzelnen von ihnen. Den Titel des Vize trug ich mit Stolz.   Gleicherweise fühlte ich mich für den Heart-Pirat ohne Namen verantwortlich. Dies jedoch weniger freiwillig; Hiergegen auf Befehl meines Captains. Er trug mir diese Aufgabe auf, die ich folgsam erledigte. Emotionen verbot ich mir selbst. Nüchtern und sachlich stand ich dem Ganzen gegenüber. Ich war ein Mann der Neutralität. Meine Wahrnehmung blieb stets objektiv. Wenn andere zwischen Schwarz und Weiß wählten, entschied ich mich für Grau.   Lautlosen Schrittes begab ich mich zum Deck. Dem Heart-Piraten wies ich zuvor an, dort auf mich zu warten. Nicht ohne Aufsicht; Wire sollte ihn unauffällig bewachen und keine Gewalt scheuen, falls nötig.   An Deck empfing mich ein Bild, welches mich meine Augenbraue nach oben ziehen ließ. Im Krähennest sah ich Wire, der mir einen kurzen Blick zuwarf und ratlos mit seinen Schultern zuckte. Selbst aus der Entfernung konnte ich seine stumme Lippenbotschaft lesen: `Der Heart-Pirat tut seit einer Stunde nichts anderes.´   Vor mir auf den Dielen lag der Kappenträger, der seine Umgebung vollends ignorierte. In regelmäßigen Abständen spannte er seine sichtbaren Muskeln an und richtete seinen freien Oberkörper auf. Seine Arme waren hinter seinem Kopf verschränkt, seine Beine angewinkelt. Sit-ups. In aller Ruhe trainierte er auf feindlichem Boden.   Als er mich bemerkte, stoppte er in seiner aufrichtenden Bewegung und drehte seinen Kopf schief zu mir. Seine linke Augenbraue war durch einen dünnen Schnitt gespalten, ebendiese hob er nun.   „Was? Mir war langweilig“, erklärte er beiläufig und nahm sein konstantes Bewegungsmuster wieder auf. Sein Blick auf den morgendlichen Himmel gerichtet, nuschelte er unter leicht angestrengtem Atem; „Zwischen all den Muskelpaketen hier kratzt das an meinem Stolz...“   Es ist nach wie vor interessant, wie er Dinge wahrheitsgemäß zugibt, obwohl sie ihm unangenehm sind..., analysierte ich sein Verhalten. Mit jeder meiner Beobachtung ergründete ich sein charakterliches Schema detaillierter. Zugegeben; Mit der spontanen Trainingsübung hatte er mich dezent überrascht. Nur dezent.   Seine Sportbewegungen gerieten leicht ins Unsichere, den Grund dafür teilte er mir murrend mit; „Du machst mich noch nervös, wenn du bloß rumstehst und mich angaffst“, gab er offen zu, ohne mich anzusehen, und seufzte leise. „Mach dich mal locker und sei nicht immer so verdammt steif.“   `Steif´...?, glitten meine Mundwinkel hinter meiner Maske schmunzelnd nach oben, für niemanden sichtbar. Öfter als manch einer vermuten würde. Zweideutigkeiten machten das Leben vergnüglicher. Langsam kniete ich mich auf einem Bein zu ihm herunter, in seine Distanzzone, ehe ich monoton erwiderte; „Soll ich dir zeigen, wie steif ich sein kann?“   Seine Reaktion fiel exakt so aus, wie ich es kalkulierte. Meine anzügliche Bemerkung, mitsamt meiner Nähe brachte ihn sichtlich aus dem Konzept. Knurrend drehte er seinen Kopf von mir weg; „Lass stecken-“, begann er und korrigierte sich dann schnell selbst. „Nicht wortwörtlich! Bild dir bloß nichts darauf ein.“   „Mir etwas einbilden?“, wurde mein amüsiertes Schmunzeln selbstgewiss. Ich war zentrovertiert und von mir selbst gänzlich überzeugt, von meinem Körper gleichermaßen. Geschickt, doch demonstrativ öffnete ich den einzigen Knopf, der meine über Muskeln gespannte Bluse geschlossen hielt. In meiner knienden Position vor ihm streifte ich sie mir fließend von meinen Schultern und ließ sie achtlos neben seinen Kopf fallen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er meine Bewegungen akribisch. Meinen Unterarm selbstbewusst auf meinem Knie abstützend, zeigte ich ihm mein Muskelspiel, indem ich meine Brustmuskulatur fest anspannte. „Ich habe es nicht nötig, mir etwas einzubilden; Die Fakten sprechen für mich.“   „Verfluchter Angeber...“, zischte er leise, rutschte jedoch keinen Zentimeter von mir weg und nahm seinen Seitenblick auch nicht von mir. Der anerkennende Unterton seiner undeutlich werdenden Stimme verriet seine wahren Gedanken, die er widerwillig knurrend aussprach. „Als ob mich das beeindrucken würde- ...Okay, tut es. Aber nur ein winzig kleines bisschen!“   Er streitet es ab und gibt es gleichzeitig zu... Tonlos lachte ich auf, für niemanden hörbar. Sein gegenteiliges Gedankenmuster ist höchst außergewöhnlich...   Wie unterhaltsam... Für mich – der ich einen Scharfsinn besaß, dem nichts entging – hatte es einen gewissen Reiz, seine Gegensätzlichkeiten zu demaskieren. Es forderte mein Denken. Trainierte meine Sinne. Und amüsierte mich gänzlich. Es war mir ein Vergnügen, ihn durcheinanderzubringen. Selbst jetzt noch versuchte er meinen präzisen Verstand zu überlisten. Was ihm nicht gelingen konnte. Ein netter Versuch, dessen ausdauernden Eifer ich anerkannte.   Einen Moment beobachtete ich ihn beim Trainieren, was jedoch schnell eintönig wurde. Training? Wieso eigentlich nicht... Wortlos erhob ich mich und holte eine große Zweihandhantel, bevor ich mich wie selbstverständlich neben den Heart-Piraten legte. Er besah sich argwöhnisch die schwarze Hantel, deren Stange ich fest umgriffen hielt, und grinste dann herausfordernd.   „Jetzt willst du's mir aber richtig zeigen, was?“, wurde sein Halb-Grinsen zu einem Ganzen, indessen er den gelben Schirm seiner Kappe tiefer zog. Dies ließ sein ehrliches Grinsen mit strahlend-weißen Zähnen noch deutlicher zur Geltung kommen. Es wirkte fies und heiter zugleich. „Dann zeig mir, was du drauf hast.“   Übermotiviert nahm er seine Trainingsübung wieder auf, woraufhin ich es ihm gleich tat. Mit angewinkelten Beinen begann ich das übergroße Gewicht zu stemmen. Zunächst langsam, immer schneller werdend, bis ich ein Rekordtempo annahm. Auch seine aufrichtende Sportbewegung gewann an Geschwindigkeit. Mit der meinigen mitzuhalten war jedoch unmöglich. Wir achteten nur noch aufeinander, nichts und niemanden sonst. Obgleich meine geschärften Sinne stets überall waren. Infolgedessen nahm ich unterbewusst Heats fassungslose Stimme wahr.   „Alter, was geht'n hier ab? Hab ich was verpasst?“, sah er vom Hauptmast aus blinzelnd auf das ungewöhnliche Bild, welches wir abgaben, und kratzte sich an seinem Rastas-zierenden Hinterkopf. Ein ratsuchender Blick zu seinem besten Freund, der vom Krähennest zu ihm herunter kletterte, und er erhielt seine Antwort in Begleitung eines seufzenden Kopfschütteln. Dabei hielt sich Wire mit schwarz lackierten Fingernägeln seinen Nasenrücken. „Sieh nicht hin. Sieh einfach nicht hin.“   „Ist das wie 'n Unfall?“ „So ähnlich... nur schlimmer.“   „Darauf brauch ich erst mal 'nen Schnaps“, lachte Heat schulterzuckend und schlurfte Richtung Schnapskeller. Er war nicht ansatzweise ausgenüchtert und trotz dessen viel zu nüchtern hierfür. Für den Phlegmatiker – die Trägheit in Person – war Training vor, während oder nach einem Saufgelage eine Paradoxie. So, wie für den ihm folgenden Wire – der personifizierte Gleichmut. Warum wir uns bewusst mit forderndem Krafttraining stressten, war ihnen beiden unerklärlich.   Da es mir gänzlich gleich war, was andere von meinem Handeln hielten, ließ ich mich keineswegs bei meinem Hantel-Training stören. Im Gegensatz zu dem Kappenträger, der Heats Bemerkung nicht kommentarlos auf sich sitzen ließ.   „Wen nennst du einen Unfall?!“, rief er ihm hinterher, setzte sich abrupt auf und durchbohrte Heats Rücken mit seinem giftigen Blick aus dunkelgrünen Augen. Ohne sich umzudrehen oder anzuhalten, zuckte Heat träge mit seinen Schultern, was den Heart-Piraten keinesfalls zufrieden stellte. Murrend verschränkte er seine Arme vor seiner freien Brust und knurrte unverständliche Flüche in den dunklen Seitenstoff seiner Kopfbedeckung. Dass er dabei nicht unbedingt bedrohlich aussah, rieb ich ihm – freundlich, wie ich war – nicht unter die Nase. Zumindest nicht direkt.   „Wem möchtest du deine 'Gefährlichkeit' beweisen?“, fragte ich ihn schmunzelnd und stemmte weiterhin das Gewicht in gleichbleibendem Tempo. Er drehte sich in sitzender Position leicht zu mir, schaute mich einen Moment stumm nachdenkend an und entspannte dann seine Körperhaltung. Als wenn ihn plötzlich die Ruhe selbst ergriffen hätte. Seine Schultern sackten nach unten, indessen er schwer seufzte.   „Mir selbst“, antwortete er und schwieg kurzzeitig, ehe seine Stimme merkbar leiser weitersprach. Dabei richtete er seine Augen auf den Boden zu seinen ausgestreckten Beinen. Sein Flüstern klang eher mit sich selbst sprechend. „Sehe ich denn wirklich so schwach aus?“   „Ja.“ Taktlos und monoton kam mir das Wort über meine Lippen, die keinen Hauch Amüsement mehr trugen. Seine grünen Augen weiteten sich leicht, als er seinen Kopf ruckartig zu mir drehte. Die Wahrheit schmerzte sichtlich. Bitter lachte er auf und versuchte seine Verletztheit mit Sarkasmus zu überspielen. „Du weißt wirklich, wie man jemanden aufbaut.“   Ich hingegen blieb vollkommen ernst. Sofort stoppte ich meine Trainingsbewegung, legte die Hantel geräuschvoll hinter mir ab und richtete mich sitzend auf, ihn eindringlich ansehend. Teilnahmslos sprach ich in unerschütterlichem Ton; „Dies ist weder meine Aufgabe, noch meine Absicht. Ich bin zwar ein Ganove, doch gewiss nicht zum Betrügen verpflichtet.“   „Soll das heißen, du hättest lügen müssen, um-“ „Lass mich aussprechen“, unterbrach ich ihn scharf und erhielt seine gesamte Aufmerksamkeit. „Du siehst in der Tat schwach aus“, wiederholte ich abermals und vollendete nun meine Worte. „Jedoch ist Muskelkraft nicht alles. Optik ist nur ein Trugbild von Stärke. Weiß man sie nicht einzusetzen, besitzt sie keinen Nutzen. Wahre Kraft kommt vom Inneren.“   Geistesabwesend blinzelte er mehrmals und schien durch mich hindurchzublicken. Er hatte meine Botschaft nicht verstanden. Nicht verstanden, dass sie versteckte Aufmunterung besaß. Bestimmend stützte ich meine Hand zwischen uns auf dem Boden ab und lehnte mich langsam weiter zu ihm, sodass meine freie Schulter beinahe die Seine berührte. Mein farbloser Stimmton nahm eine hörbar dunklere Nuance an.   „Du brillierst mit gänzlich anderen Reizen...“, gab ich ihm einen weiteren Hinweis, den ich unter düsterer Betörung verschleierte. „Deiner Attraktivität beispielsweise.“   Eine Sekunde. Exakt eine, bis er meine Worte verinnerlichte. Zeitgleich geschahen genau drei Dinge: Schnellstens zog er den Schirm seiner Kappe nach unten, die Hitze stieg sein Gesicht nach oben, indessen er ungeschickt von mir weg, nach hinten rutschte.   „Was...?“, brachte er mit irritierter Stimme hervor und schüttelte wild seinen Kopf. „Sag sowas nicht. Ich könnte fast glauben, dass du mit mir flirtest.“   `Fast´? Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt? Oder versucht er auch diese Tatsache abzustreiten?   Ich vermute Letzteres... Er sieht mich nicht als potenziellen Sexualpartner an...   Noch nicht... Dies wird höchst interessant werden...   „Nun...“, glitten meine Mundwinkel langsam nach oben. Lässig stand ich auf, steckte meine Hände in meine Hosentaschen und schlenderte gelassen an ihm vorbei. „Du solltest das Gewicht wegräumen, sonst könnte noch jemand darüber stolpern.“   Ich ließ ihn absichtlich im Dunkeln. Hörte dann das Rumpeln, als er mühevoll versuchte, die schwere Hantel aufzuheben und dabei zu viel Schwung verwendete. Folglich blieb er mit seinem Stiefel an ihrer Stange hängen, geriet ins Straucheln und fand fluchend sein Gleichgewicht wieder.   „Lach nicht!“, rief er mir noch hinterher und rollte das Gewicht stattdessen zurück an seinen Platz hinter einigen Fässern. Wie er mein stummes Auflachen hinter meiner Maske deuten konnte, blieb unklar.   Im Vorbeigehen griff ich nach meiner gepunkteten Bluse, die ich beiläufig anzog. Der Heart-Pirat tat es mir mit seinem schwarzen Shirt gleich. Dann holte er zu mir auf und stellte sich neben mich an den Bug. Mehrere Minuten blieb sein Blick zur winterlichen Insellandschaft gerichtet, ehe er ihn auf mich fixierte. Seine Ausstrahlung wirkte spürbar anders als zuvor, selbstbewusster und stolzer.   „Ich muss zurück“, spiegelte seine Stimme die Entschlossenheit wider, welche mir seine Smaragdgrünen Augen zeigten, „zurück auf die Insel.“ Mit seinem Zeigefinger schob er den Schirm seiner Kappe nach oben und sah mich ohne ihren Schutz an. Sein Stimmton wurde sanfter, verlor jedoch den Funken seiner Willensstärke nicht. „Ich weiß, dass ich nicht das Recht habe, dich zu fragen... Aber... Also... Würdest du mich begleiten?“   Dies ist das erste Mal, dass er meine Begleitung erbittet... Seit er hier ist, ist er stets unfreiwillig an mich gebunden gewesen...   Schweigend blickte ich ihn durch die Löcher meiner Maske an. Wägte ab, ob seine Beweggründe Hinterlist bargen oder er mich zu hintergehen versuchte. In dem Lebenslicht seiner Augen las ich keinen Trug, kein Hauch Misstrauen. Gar das Gegenteil dessen; ein kaum erkennbares Flackern von Vertrauen. Dies reichte mir nicht als Beweis. Ich wollte die gänzliche Gewissheit.   „Warum möchtest du dorthin?“, fragte ich ihn und verschränkte meine Arme vor meiner gepunkteten Bluse. Meine Körperhaltung blieb offen, zuhörend. Abermals schweifte sein Blick Richtung Insel, was einen Schimmer von Reue in ihm hervorrief. Kurz rang er mit sich, biss sich dabei sichtlich auf die Innenseite seiner Unterlippe. Doch antwortete er mir ehrlich, was ihm merkbar schwer fiel. „Ich... muss dagegen ankämpfen. Gegen das Gefühl, das ich seit dem Raubzug verspüre. Ich kann es nicht benennen, aber es lässt mich nicht los. Ich will nicht davor wegrennen, sondern mich ihm stellen. Allein geht es jedoch nicht.“   Tief atmete er ein, drehte sich mit seinem gesamten Körper zu mir und blickte langsam auf, in die Augenlöcher meiner Maske. Die finsternde Reue seiner Augen wurde abgelöst durch das Licht der wünschenden Hoffnung.   „Lass mich gehen“, wurde aus seiner Frage eine Bitte. „Komm mit mir, Killer.“   Mein Name. Ich hörte ihn erstmals von ihm. Von seiner Stimme, die ihn gegensätzlich zu seiner Bedeutung aussprach. 'Killer'; wer auch immer diese Silben aufsagte, tat dies mit einer Betonung von Hass, Ablehnung oder Aggressivität. Die Menschen sprachen ihn aus, als würden sie von einer tödlichen Krankheit reden. Selbst Kid verlieh ihm die Gefährlichkeit, die er besitzen sollte. Der Heart-Pirat untermalte die sechs Buchstaben mit etwas mir gänzlich Fremden: Einfühlsamkeit. Klingend wie keine Krankheit, sondern gar dem Heilmittel dessen. Es war, als hätte ich meinen Namen soeben zum ersten Mal in seiner Richtigkeit vernommen. Ein Gedanke, der meine rationale Vernunft splittern ließ. Nur kurz, dann fand ich sie vollständig wieder, mitsamt meiner Antwort.   „Einverstanden.“   Plötzlich lächelte er. Kein Grinsen, kein Schmunzeln. Ein aufrichtiges Lächeln, welches er mir für einen Sekundenbruchteil offenbarte. Es verschwand von seinen Lippen, doch blieb es in meinem Geist erhalten. Ich sah es selbst dann noch vor mir, als der Heart-Pirat längst nicht mehr vor mir stand.   „Worauf wartest du?“, rief er mir ausgelassen vom Ufer aus zu und winkte locker mit erhobener Hand. „Na, komm schon. Ich geh nicht ohne dich.“   Nun war er es, der auf mich wartete. Ich derjenige, der ihm folgte. Diese Rollen passten nicht in das gewöhnliche Verhaltensmuster, welches wir zueinander entwickelt hatte. Es warf Fragen auf, die ich versuchte zu analysieren. Später... Später würde ich ihnen auf den Grund gehen. Nicht jetzt, wo der Moment mehr Gewichtung besaß, als jeder Gedanke an Vergangenes.     Wenige Zeit später erkundeten wir die Insel. Dabei liefen wir nebeneinander, auf gleicher Augenhöhe. Nicht wie zu Anfang, wo er hinter mir lief und ich vor ihm. Was hat sich seitdem verändert?   Der Schnee wurde von unseren Fußabdrücken gezeichnet, die Luft von unserem sichtbaren Atem. Hier herrschten deutliche Minusgrade. An mir, der ich körperlich gegen alles abgehärtet war, prallte die Kälte ab. Die wenigen Schneeflocken schmolzen noch ehe sie meine Haut und Kleidung berührten. Wohingegen sie sich auf der dunklen Kappe des Heart-Piraten in einer Vielzahl sammelten. Fröstelnd rieb er sich seine nackten Arme, verlor jedoch kein Wort über die auskühlenden Wetterbedingungen. Er trug noch immer nicht mehr, als mein längeres Shirt und den provisorischen Männerrock.   „Du frierst“, sprach ich meine Beobachtung in sachlichem Ton aus. „Ein North Bluer friert nicht“, stritt er die Tatsache ab. Sein leises Zähneklappern war unüberhörbar.   „Warum sprichst du in der Verallgemeinerung von dir?“, fragte ich ihn nüchtern und schlug einen anderen Weg durch den ausgebrannten Wald ein, in Richtung zertrümmerter Stadt. Meine Stimme blieb teilnahmslos. „Meine Frage galt dir. Ich habe nicht wissen wollen, was andere tun.“   „Weil...“, rang er nach Worten, die ich vervollständigte. „Weil du das Gefühl der Zugehörigkeit benötigst.“   „Nein“, prägte absolute Selbstsicherheit seine Antwort. „Ich bin bloß stolz auf meine Heimat. Denn dort hat alles begonnen.“   „Alles?“ Erinnert er sich etwa an-? „'Alles' im Sinne von meinem Leben“, fügte er eilig hinzu. „Hast du niemals darüber nachgedacht was wäre, wenn du nie geboren worden wärst?“   „Dies habe ich nicht. Ich sehe meine Existenz als Selbstverständlichkeit an.“ Der Seitenblick, den er mir beim Laufen zuwarf, war einer der 'dein-Ernst?'-Sorte. „Okay, langsam glaube ich wirklich, dass du die Selbstverliebtheit in Person bist.“   „Und was ist verwerflich daran, sich selbst zu lieben?“ „Du gibst es auch noch zu“, seufzte er belustigt und rückte seine Kappe, von der gesammelter Schnee fiel. “Na gut, irgendwo hast du schon recht. Vielleicht ist es einfacher, sich selbst zu lieben, als andere... Vielleicht aber auch nicht.“   Er spricht in Rätseln... Das tut er, wenn er etwas verbergen will...   Was dies wohl ist?, versank ich in meinen sachlichen Gedanken. Kam jedoch nicht weit, da sein leises Knurren mich störte.   „Hör auf, mich zu analysieren“, murrte er und lief wenige Schritte voraus, auf kurze Distanz gehend. Vor uns lag die Siedlung, die wir bald erreichten. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass deine Gesellschaft unerträglich ist?“   „Jop“, gab ich offen zu, weil es mich schlichtweg nicht interessierte. „Viele. Doch niemand so direkt, wie du es tust.“   „Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen?“, grinste er, „oh, was für eine Ehre, 'dein Erster' zu sein.“   In scherzhaftem Sarkasmus sprach er es aus. Im Nachhinein erfasste er dessen Bedeutung. Seine Schultern spannten sich an, indessen er gänzlich verstummte. Seine doppeldeutigen Worte verblieben haltlos in der winterlichen Luft, die spürbar spannungsgeladen wirkte. Ich erwiderte nichts, ließ die Atmosphäre angeschärft. Dass er über sein Gesagtes nachdachte, war gewiss.   Wirst du von selbst darauf kommen, Heart-Pirat? Als welche Art von Gefahr siehst du mich?   Nur die lebensbedrohliche? Oder zusätzlich die der Verführung?   Du bist derjenige, der es erneut begonnen hat...   Abermals beschleunigte er seine Schritte, schaffte einen zusätzlichen Meter Abstand zwischen uns. Unterdessen sah ich mich flüchtig um und bemerkte die fehlenden Marine-Verletzten, die vermutlich von den weniger verwundeten in Sicherheit gebracht worden waren. Wir waren momentan allein hier.   Den Rest des Weges schwiegen wir. Nach und nach entschärfte sich die Anspannung von selbst, erschuf eine viel sagende Ruhe, untermalt von seinen Schritten im Schnee und dem leisen Pfeifen des kalten Windes. Der Heart-Pirat rieb sich weiterhin seine Arme und schüttelte sich merkbar vor Kälte. Sein blasser Hautton hatte mittlerweile eine noch hellere Farbe angenommen. Hin und wieder warf er einen heimlichen Blick zurück zu mir. Meine Anwesenheit nahm er nach wie vor wahr. Bis wir die Stadt erreichten und er sich einzig auf sie fixierte.   Nebeneinander standen wir vor ihr, sahen auf sie. Von der Siedlung war nicht mehr viel vorhanden. Verkohlte Trümmer ersetzten die einstigen Gebäude voller Leben. Die triste Trostlosigkeit war hier eingekehrt. Stumm besahen wir uns das Ausmaß der Zerstörung. Ich mit unbeteiligtem Blick, er mit reuevollem.   Was kümmert dich das Leid anderer? Warum lässt du es an dich heran?   Ich beobachtete ihn aufmerksamer. Er schien mich nicht mehr wahrzunehmen. Stattdessen blickte er nur auf Eines. Langsam lief er auf eine freie Fläche zwischen den Trümmern zu. Der Schnee leicht schwärzlich, von Asche bedeckt. Dann kniete er sich hernieder, zu der einzelnen Eisblume, die das Feuer überlebte. Mit beiden Händen schirmte er sie von der Außenwelt ab. In einer gar beschützenden Geste lagen seine Handflächen um die hellblauen Kristallblüten. Seine Augen einzig auf die Blume gerichtet, nahm seine Stimme einen leisen und sanften Ton an. Wärme tragend, sprechend zu niemand bestimmten.   „Selbst wenn die Welt stirbt, bleibt Leben erhalten. Wo Krieg ist, ist auch Friede. Letztlich wird es immer einen Kämpfer geben. Jemanden, der Hoffnung aufrecht erhält, auch wenn sie verloren scheint. Wie das Licht und sein Schatten; Ohneeinander können sie nicht existieren, miteinander ebenso wenig. Die Dunkelheit ist es, die sie voneinander trennt.“   Beim Flüstern leuchteten seine grünen Augen in Innigkeit. Als würde er von sich und seiner Überzeugung sprechen. Ich verstand die Bedeutung seiner Worte nicht. Kannte ihren Wert nicht. Für mich – einen Kid-Piraten – war der Heart-Pirat in diesem Augenblick undurchschaubar. Wie kann ein Pirat von Frieden reden? Für Hoffnung stehen? Wir sind Verstoßene... verrufen... von der Gesellschaft zu Außenseitern erklärt worden...   Warum wird er diesem Ruf nicht gerecht?, betrachtete ich ihn mehrere Momente mit intensivem Blick. Was lässt ihn so anders sein?   Ist es Unschuld? Reinheit? Mitgefühl?   Wenn ich seine Unverdorbenheit sehe, lässt es mich meine dunkle Seite noch deutlicher erkennen... Es erweckt in mir das Begehr ihn zu verderben...   Ich bin ein äußerst egoistischer Schurke...   Mein diebischer Plan war geschmiedet. Mit dem diabolischen meines Captains ergänzte er sich perfekt. Vorerst sollte dies mein Geheimnis bleiben. Alsbald würde der Heart-Pirat es ohnehin erfahren. Am eigenen Leib. Bis dahin verbannte ich meine dunkle Seite ins Schatteninnere.   Wortlos wandte ich mich von dem Kappenträger ab und ging zu einem der Trümmerberge, wo ich etwas Interessantes entdeckte. Ohne nennenswerten Kraftaufwand räumte ich mehrere Gebäudebrocken weg. Durch das geräuschvolle Rumpeln des Gerölls aufmerksam geworden, trat er neben mich und sah auf meinen Fund herab. Es war ein Kleiderberg.   „Du frierst“, wiederholte ich abermals. „Ich friere“, gab er nun offen zu und griff nach einer weißen Jacke und einer hellen Hose. Beides zog er an und versteckte seine untere Gesichtshälfte unter dem hohen Kragen, hinter dem er mich angrinste. Ein warmes Grinsen, das seine Stimme gleichermaßen reflektierte. „Vergiss was ich vorhin gesagt hab; Eigentlich bist du doch ganz erträglich.“   Bin ich dies tatsächlich? Oder ist deine Wahrnehmung trügerisch?   Seine Stimmung hob sich sichtlich, die meine blieb gleichbleibend neutral. Gefühle waren nur ein Hindernis, Trugbilder des Inneren. Sie riefen Schwäche hervor. Mein Selbst war auch dagegen abgehärtet. Im Gegensatz zu ihm, der Schwäche bewusst zulässt... Warum tut er dies?   „Ich hab nachgedacht“, begann er irgendwann, als wir weitergingen. Seine Körperhaltung war offener mir gegenüber. Seine Arme locker hinter seinem Kopf verschränkt und seine Schritte lässiger. „Schwäche ist zeitgleich auch Stärke. Ich mag schwach sein, doch kann ich so stärker werden.“   Ich war stiller Zuhörer, indessen er sprach. Nicht nur ich konnte Monologe führen. Daraufhin redete er über Belanglosigkeiten, nichts Nennenswertes. Wir wanderten noch einige Stunden schweigend durch das Schneegebiet, umrundeten die kleine Insel in ihrer Gesamtheit und gelangten wieder an unseren Ausgangspunkt; Die Stadt in der Inselmitte.     Schließlich fragte ich ihn: „Hast du deine Antwort gefunden?“ Den Grund, warum er nochmals hierher wollte, nannte er mir nicht. Doch war sein Grinsen nun sorgenfrei, als er mit fester Stimme nickte. „Ja-“   Abrupt verstummte er. Sein Körper spannte sich vor Alarmierung an, wie es der meine tat. Die Luft um uns wurde plötzlich rastlos und unruhig. Der Wind schlug um, gewann an Stärke. Zeitgleich sahen wir zum Himmel, sprachen synchron unseren Gedanken aus.   „Ein Schneesturm zieht auf./Ein Schneesturm zieht auf.“   Wir warfen uns einen kurzen Blick zu und drehten unsere Köpfe dann in Richtung Adventure Galley, die nur ein Punkt in der Ferne darstellte. Sie zu erreichen, bevor der Sturm seine volle Kraft erhielt, war unmöglich. Kid und die anderen mussten an Bord bereits die entsprechenden Vorkehrungen treffen. Da die Segel durch das Ankern seither eingeholt waren, musste nur noch die Fracht gesichert werden. Ich wurde dort nicht gebraucht.   „Wir suchen uns einen Unterschlupf“, beschloss ich für uns beide und ging ruhigen Schrittes vor. Meine Augen schweiften suchend über die Gegend, indessen ich meine Mini-Teleschnecke aus meiner Hosentasche holte und meinen Captain kontaktierte. Ein einziges Klingeln, bis ich durchgestellt wurde. In der selbigen Sekunde trug die Schnecke in meiner Hand rote Haare, eine Fliegerbrille und geschminkte Lippen, die sie zu einem Grinsen verzog.   „Eustass Captain Kid, der einzig wahre“, grinste die Schnecke dreckig. „Was gibt's, Killer-?“   Kid unterbrach sich selbst, um Befehle an seine Männer zu brüllen. Rumpeln war im Hintergrund zu hören, zusammen mit dem Trampeln mehrere Stiefelpaare, ehe er erneut zu mir sprach.   „Hast 'n scheiß Wetter angeschleppt“, lachte er rau auf, „bist'e dir sicher, dass du kein D. bist?“   Der neben mir laufende Heart-Pirat lachte tatsächlich leise über Kids Flachwitz. Verstummte jedoch sofort, als ich meine Maske leicht zu ihm drehte. Mit einem räuspernden Husten versuchte er sein Lachen zu überspielen. Mein Captain übergab mir das Wort, welches ich ergriff.   „Wir bleiben auf der Insel, bis der Sturm vorbeigezogen ist“, teilte ich ihm knapp mit und spürte den starken Wind, der meine blonde Mähne schwungvoll zur Seite wehte. Die Löcher meiner Maske gaben dabei ein leises Pfeifen von sich. Gedanklich berechnete ich die Witterung und sprach meine Einschätzung aus. „Spätestens am frühen Abend sollten wir wieder zurück sein.“   „Alles klar. Lass die Männer nicht verhungern. Du weißt, wie gierig sie auf deine Pasta lauern.“ Damit legte er auf, womit die Teleschnecke ihre Stielaugen schloss und wieder einschlief. Kids Kommentar entlockte mir ein Schmunzeln. Ich war der Einzige von uns, der die Kombüse benutzte, ohne sie dabei in Brand zu setzen – Heats einmaliges 'Futter-Fiasko' blieb bis heute in unseren Gedächtnissen. Und unser Captain war schlicht zu bequem, um für die gesamte Mannschaft zu kochen. So wurde es meine Aufgabe, für die Mahlzeiten zu sorgen.   Warum es noch immer keinen Pasta-Lieferdienst über das Meer gab, blieb mir schleierhaft. Briefmöven könnten doch genauso gut Essen ausliefern und bei Großbestellungen in Schwärmen ausfliegen. Nun, eventuell liefen sie dabei Gefahr, von den Ausgehungerten selbst als Nahrung angesehen zu werden – Ein Extra, das die Preise in die Höhe treiben könnte. Von moralischen Bedenken einmal abgesehen.   Ich verstaute den tierischen Kommunikator zurück in meiner Hosentasche und scannte die Umgebung eingehender nach einem Schutz vor dem rapide wachsenden Sturm. Das raue Wetter der Grandline war launisch und unberechenbar. Der Heart-Pirat und ich entdeckten die Ruine zeitgleich. Wortlos nickten wir uns zu und bezogen dort unser Quartier.   Unser Unterschlupf war eine Art Höhle aus Trümmern. Einst war es ein kleineres Haus, dessen vordere Seite niedergerissen wurde. Übrig blieb die Hälfte eines Zimmers. Die Möbel lagen in Asche. Jedoch währte die robuste Beschaffenheit der drei Wände. Sie sollten uns vor der Wettereinwirkung schützen können. Für unseren Kurzstopp reichte es.   Nebeneinander saßen wir auf engem Raum. Die Zeit schlugen wir mit Warten tot. Schweigen. Stumm sah ich den Heart-Piraten in aller Offensichtlichkeit an, meine Maske direkt auf ihn gerichtet. Locker winkelte er sein Bein an, legte seinen Unterarm auf seinem Knie ab und versuchte mein Beobachten zu ignorieren. Dies funktionierte wenige Sekunden. Unter meinem fixierenden Blick begann er bald mit seinen Fingern unruhig auf seinem Hosenbein zu trommeln. Mit seiner anderen Hand spielte er ruhelos mit seinem gelben Kappenschirm, dessen Rand er dabei entlangfuhr. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und knurrte mich leise an.   „Analysierst du mich schon wieder?“ „Ich? Niemals...“ „Im Ernst: Lass das. Damit machst du mich echt nervös“, gab er ehrlich zu, was mich schmunzeln ließ. „Vielleicht ist dies meine Absicht...“   „Herzlichen Glückwunsch; Du hast dein Ziel erreicht“, triefte seine Stimme vor Sarkasmus, ehe er lange seufzte. „Was ist überhaupt so toll daran? Jemanden einschätzen kann doch jeder.“   „Tatsächlich? Versuch dein Glück. Was denkst du über mich?“ Eine Trickfrage. Der Zufall spielte mir in die Hände. Unverhüllt zeigte ich ihm, dass ich mich für seine Antwort interessierte. Geduldig wartete ich auf seine Beurteilung.   Wie urteilst du über mich? Was siehst du in mir?   Sein Blick auf mich wurde abschätzend, von unten bis oben musterte er mich eingehend und dachte dabei angestrengt nach. Mehrere Sekunden verstrichen, werdend zu wenigen Minuten. Mit Absicht hielt er Spannung aufrecht, ließ mich warten.   Ehe er in sachlichem Ton und gänzlicher Ernsthaftigkeit sagte: „Du bist ein Idiot.“   Damit habe ich nun tatsächlich nicht gerechnet...   „Wooow“, erwiderte ich unbeeindruckt und lachte trocken auf. „Dies ist die neutralste Analyse, die ich je gehört habe.“   Zumindest ist es die ehrlichste...   Das ist nicht mal ansatzweise eine Beleidigung gewesen... Es sei denn...   „Du bezeichnest jemanden als 'Idiot', den du gut leiden kannst.“   Ertappt schaute er weg und zog den Schirm seiner Kappe tiefer; „Als ob...“, nuschelnd, was wenig Glaubwürdigkeit besaß. Verlegenheit zeichnete sein Knurren, das er gehetzt hinzufügte. „Analysiere meine Analyse nicht!“   Düster schmunzelnd lehnte ich mich weiter zu ihm. „Und wie möchtest du mich davon abhalten?“   Wenige Zentimeter rutschte er von mir weg, mit seiner Schulter an das andere Ende der Trümmerwand stoßend. Nervös lachend antwortete er; „Gar nicht. Bei dir ist Zuckerrohrsaft und Wasser verloren.“   Sobald er geringen Abstand geschafften hatte, fand seine Stimme erneut ihre Festigkeit. „Ich kann und will dir nichts verbieten. Treffe deine Entscheidungen in Freiheit. Du bist ein freier Mann.“   Dies bin ich... Doch...   „Bist du es auch?“ Kurz überlegte er, ehe er mir die Antwort gab, die ich vermutete. „Nein. Ich bin ein Gefangener-“   „Bist du dies tatsächlich?“, unterbrach ich ihn und zog seinen überraschten Blick zu mir. Als er merkte, wie nah unsere Gesichter sich waren, wandte er ihn schnell wieder ab. Sein Verstummen brachte mich zum Weitersprechen. „Ich habe niemals behauptet, dass du mein Gefangener bist. Du machst dich selbst zu dem, was du sein willst.“   Meine Worte waren wahr. Er konnte kein Gegenargument aufbringen. Seine gedanklichen Zahnräder drehten sich, dachten nach. Bis seine Stimme Irritation widerspiegelte.   „Aber du hast doch gesagt, dass ich nicht von deiner Seite weichen soll“, sprach er verwirrt und warf mir einen fragenden Seitenblick zu, den ich mit ausdrucksloser Maske erwiderte. Hinter ihr schmunzelte ich diebisch. „Soll das heißen... dass du mich im Grunde bloß in deiner Nähe haben wolltest?“   „Interpretiere es, wie du möchtest. Es ist deine Einschätzung, nicht die Meine.“   „Stopp. Stopp. Stopp! Ich versteh nur noch Seezughof“, seufzte er, hob seine Kappe an und fuhr sich wirr über seine kurzen, braunen Haare. Die linke Seite war kürzer geschoren, als die andere, welche einen langen Pony zierte, der ihm bei der unruhigen Bewegung über sein rechtes Auge fiel. „Argh! Du verwirrst mich.“   Und dies tue ich mit Vergnügen...   Die Antwort lautet: Ja, in meiner Nähe sollst du bleiben... Du hast nicht nach dem Warum gefragt...   Erneut umhüllte uns Schweigen. Zwischen uns schwankte die Atmosphäre stets von Ruhe zu Aufruhr, und umgekehrt. Ersteres strahlte ich aus, Zweiteres er. Beide Gegensätze duellierten sich, doch ab und an harmonierten sie miteinander. Wie jetzt, als die Ruhe die Oberhand gewann, gezeichnet von gedanklicher Rastlosigkeit.   Der Heart-Pirat ließ eine ฿erry-Münze zwischen seinen Fingern rotieren, ehe er sie mit seinem Daumen locker in die Luft flippte. Ein leises Kling ertönte in regelmäßigen Abständen, hallte kurz in der Trümmerhöhle wider. Übertönt werdend von dem pfeifenden Wind, dessen Kälte zu uns ins Innere drang.   Ein starker Luftzug brachte die aufwärts fliegende Bronzemünze ins Schlittern, fegte sie aus ihrer Flugbahn und brachte sie zum Fall gen Boden. Wo sie vor seinen braunen Stiefeln nach Draußen rollte. Aus Reflex kroch der Heart-Pirat ihr nach und streckte seine Hand nach der langsamer werdenden Münze am schneenassen Eingang aus, sodass nur sein Kappen-bedeckter Kopf außerhalb der Höhle herausragte. Plötzlich landete etwas auf seiner Kappe. Rutschte unbeholfen ihren Schirm herunter und fiel schließlich in seine Handflächen, die er intuitiv geöffnet hatte.   Ein heftiger Windstoß. Ein abgehaktes Piepen. Und seine grünen Augen weiteten sich.   „Ein Pinguinküken“, wisperte er verblüfft und sah dem grauen Fellball geschockt nach, der vom Sturm mitgerissen wurde. Dann sprang er ohne nachzudenken auf, wollte dem hilflosen Tier nacheilen. Hätte ich ihn nicht blitzschnell an seinem Handgelenk gepackt und ihn davon abgehalten. Aufgebracht schaute er zurück zu mir. Meine Mimik hinter der Maske blieb ausdruckslos und gleichgültig.   „Wenn du nun gehst, könnte es deinen Tod bedeuten“, erklärte ich ihm den Fakt mit monotoner Stimme. „Es ist das Gesetz der Natur, die das Todesurteil des Tieres entschieden hat.“   Er wollte mir nicht zuhören. Er wusste selbst um die Gefahr. Und es war ihm gänzlich gleich. Aggressivität. Sein furioser Knurrlaut loderte in Rage. Mit geschärft dunkler Stimmfarbe knurrte er mich an. Eine solch starke Gefühlsintensität besaß seine Stimme mir gegenüber bisher noch nie. Ihr Schliff glich dem meiner Sicheln.   „Lass. mich. los.“ Ein Befehl. Jedes Wort geprägt von einer Betonung absoluter Kompromisslosigkeit. Zeitgleich umgab uns ein ausdrucksvoller Wind. Nicht von Kälte hervorgerufen, sondern von Energie erfüllt. Der Seinigen. Es war sein erwachtes Haki, welches ich spürte. Der Bestienruf seines Innersten. Seine Stärke.   In diesem Augenblick brachte der Heart-Pirat mich – die Ruhe selbst – aus der Fassung. Keiner von uns beiden konnte begreifen, was hier geschah. Er selbst schien seine gefährliche Aura nicht zu bemerken. In Seelenruhe, viel zu ruhig für seinen Charakter, sprach er weiter, als ob sein Präsenz-Schatten nicht da wäre. Noch ein anderes Gefühl unterstrich nun seine farbkräftige Stimme: charakterfeste Entschlossenheit. Was nun sprach war sein Herz. Es verlieh ihm Macht.   „Jedes Leben ist es wert, gerettet zu werden.“   Mit diesen Silben seiner innersten Überzeugung riss er sich aus meinem gelockerten Griff. Ohne Zögern rannte er nach Draußen, inmitten des Sturms. Ohne einen letzten Blick zu mir zurückzuwerfen. Zum ersten Mal verspürte ich eine Emotion, die ich nicht deuten konnte. Sie war mir gänzlich fremd. Galt ihm. Und gab mir einen einzigen Befehl, den ich nicht imstande war zu verweigern: `Folge ihm.´   „Fuck...“, fluchte ich hauchend gegen die Innenseite meiner Maske. In ihr hallte das Wort kurz wider. Zeitgleich ballte ich meine rechte Hand zur Faust, die ich hart gegen die Trümmerwand schlug. Einige lockere Ziegel lösten sich und fielen geräuschvoll zu Boden. Durchatmen. Fassung erlangen. Handeln.   Mein Körper bewegte sich impulsiv, führte den Befehl meines Instinktes aus. Ein einziges Gefühl, das ich zuließ. Eine Ausnahme, die ich für ihn machte. Ein Fehler, dessen Richtigkeit ich später wiederherstellte. Zunächst musste ich den seinigen berichtigen.   Mit Höchsttempo preschte ich aus der Höhle heraus. Wo mir Schnee, Frost und die gewaltige Windströmung entgegenschlug. Beinahe fegte ihre Kraft mir meine Maske vom Kopf. Wie eine weiße Mauer, hatte sich der Schneesturm zu einem tobenden Luftwirbel aufgebaut. Ähnelnd einem weitflächigen Tornado, der über die Insel wütete, nur weniger zerstörerisch. Dennoch erschütterte seine Stärke das Land.   Die flimmernde Farbe Weiß verwehrte mir die Sicht auf meine Umgebung. Außer nebeligem Schnee sah ich nichts. Meine Geschwindigkeit hielt ich bei. Meine Arme nach hinten gestreckt – um an zusätzlichem Tempo zu gewinnen – jagte ich durch die Schneelandschaft. Meine überhöhten Schritte gaben kaum wahrnehmbare Knirschgeräusche von sich. Ihre Lautlosigkeit hatten sie kurzzeitig verloren, dafür an Geschwindigkeit gewonnen.   Wild drehte ich meinen Kopf hin und her. Erfolglos versuchte ich seine Figur auszumachen, irgendetwas zu erkennen. Die lautstarken Geräusche der Naturgewalt betäubten meine Ohren, beirrten meine Sinne und überreizten sie. Blind und taub konnte ich mich allein auf das Gefühl meiner Intuition verlassen. Ich fokussierte mich einzig darauf. Darauf, ihn zu finden.   Er war mein Fokus. Meine oberste Priorität. Mein Zenit.   Plötzlich fand die Welt ihren Stillstand. Alles wurde getaucht in Stille. Die Natur verstummte, bis selbst der Fall der letzten Schneeflocke erstarb. Das Ende der Zeit schien heraufbeschworen. Nur ich selbst blieb in Bewegung, mitsamt meinen geschärften Sinnen, die auf perfektionierter Höchstleistung arbeiteten. Mein klangloser Gehörsinn fand zu neuer Stärke. Als wenn ich die Fähigkeit des Hörens erstmals in seiner Gänze erlangte.   Ein stummes Rufen. Ich vernahm es deutlich in der Lautlosigkeit. Seine Stimme. Die seines Inneren. Seines Hakis. Sie war es, die mir den Weg zu ihm zeigte.   Sofort trieb ich meine Beine bis zum Äußersten, fühlte die Anspannung meiner Beinmuskulatur und fegte durch den Schnee, als ob ich selbst der Sturm wäre. Als ob mein Körper sich gar mit Wind und Eis vereinte, um mir ihre Kraft zu leihen. Die Luftströmung arbeitete nicht mehr gegen mich, sondern mit mir. Sie rammte gegen meinen Rücken, gab mir so noch mehr Schnelligkeit und brachte mich meinem Ziel rapide näher.   Wo bist du, Heart-Pirat?   Letztlich erblickte ich ihn. Seine helle Kleidung zwischen dem elementaren Weiß beinahe unkenntlich. Einzig das Dunkelblau seiner Kappe verschwommen sichtbar. Sie wurde mein Blickpunkt, auf den ich mich fixierte. Näher, immer näher kam ich ihm.   Wenige Meter trennten uns voneinander. Beide rannten wir. Ich schneller als er, womit ich von Sekunde zu Sekunde die Distanz zwischen uns reduzierte. Sein Kopf war Richtung Himmel gerichtet, wo ein grauer Punkt im Wirbel des Sturms kreiste. Das Küken. Es befand sich etwa drei Meter über der Erde, vom Wind immer höher getragen werdend. Wodurch er es nicht erreichen konnte.   Vier Meter... fünf. Bald würde das Tier gänzlich unerreichbar sein.   Mein scharfer Verstand wusste, was zu tun war. Schneller als der Wind holte ich zu ihm auf, jagte an ihm vorbei. Unsere Blicke trafen sich für einen Sekundenbruchteil, indessen wir das selbige dachten; `Lass uns dieses Leben gemeinsam retten.´   Durch meine gesteigerte Geschwindigkeit überholte ich ihn um mehrere Meter, verlangsamte dann mein Tempo bis zum Stillstand und drehte meinen Körper vollends zu ihm. Meine Körperspannung blieb jederzeit aufrecht, andernfalls wäre ich vom Sturm zur Seite gerissen worden. Dann faltete ich meine Finger vor mir ineinander, um ihm eine Räuberleiter zu ermöglichen.   Meine Augen waren auf seine Figur fokussiert, die sich mir flink sprintend näherte. Mit einem geschickten Sprung stieß er sich vom Boden ab und sprang direkt auf mich zu. Er hatte nur diese eine Chance. Würde er sie vergeuden, wäre das Tier des Todes geweiht. Die Sohle seines Stiefels traf auf meine gefalteten Handflächen, die ihn mit Schwung nach oben katapultierten. Meine gesamte Armkraft legte ich in diesen einen Hebelruck, mit welchem ich dem Heart-Piraten das Fliegen beibrachte.   Wenige Sekunden wurden zu fühlbaren Augenblicken. Immer höher trug ihn der Wind. Seine Hand gen Himmel gestreckt, bekam er das kleine Tier schließlich zu greifen. Doch zerrte ihn der reißende Strudel mit sich. Nicht zur Seite – in die Windbahn – sondern nach Vorne. Durch den Luftstrom, in die Mitte des Schneewirbels, in dessen toten Winkel; Ins Auge des Sturms.   Dort herrschte das Nichts. Die absolute Windstille. Was bedeutete, dass sein Absturz unvermeidbar war. Sein Haki erlosch binnen eines Herzschreis. Machtlosigkeit und Furcht ersetzten es. Von dem kraftvollen Ruf seines Innersten blieb nichts weiter, als das flüsternde Jaulen eines hilfesuchenden Tieres.   Ein Stich. Ich fühlte ihn. Wollte ihn nicht fühlen. Verdammte mich dafür. Beinahe schmerzvoll verzog ich mein Gesicht hinter meiner Maske. Gefühle sind... Sie sind- ...vernunftwidrig...   Du bist meine Unvernunft, Heart-Pirat...   Von seinem Wächter wurde ich zu seinem Hüter. Ihn zu beschützen meine Aufgabe. Es war mein stiller Schwur, den ich leistete.   Hinter meiner Maske schmunzelte ich. Warum, wusste ich nicht. ...Etwa über mich selbst? Ein Schmunzeln in seelenvoller Aufrichtigkeit, welches niemals das Licht der Welt erblickte. Es erhellte die Meinige, welche von Dunkelheit umhüllt ward. Nur kurz, bis die Düsternis meines Selbst erneut ihre Schatten über sie warf.   In den wenigen Momenten, die ihn der Wind oben hielt, handelten meine Reflexe. Ohne Zögern drehte ich mich in Richtung des Wirbelsturms, überkreuzte meine Arme vor meinem Oberkörper und sprang nach vorne, preschend durch die Windmauer. Meine Maske war längst gefroren, eisiges Metall brannte gegen meine Wangen, mein blondes Haar froststeif. Fühlen tat ich nichts mehr, meine Haut hatte vor Kälte ihren Tastsinn verloren. Zumindest Eines, was hinderliche Gefühle abstieß.   Im Auge des Sturms stand ich in dessen Mitte. Wie die Ruhe selbst, umringt von unbezwingbaren Unruhen. In gänzlicher Gelassenheit blickte ich nach oben, zu ihm, der er zu mir in die Tiefe fiel. Den jungen Vogel hielt er krampfhaft in der Innenseite seiner gepolsterten Jacke, die er schützend vor sich zuhielt.   Die rapide Geschwindigkeit, mit der er hinabstürzte, verlangsamte sich vor meinen Augen bis zur Zeitlupe. Reflexartig öffnete ich meine verschränkten Arme. Bereit, ihn aufzufangen. Und dies tat ich auch. Passte den Augenblick ab, in dem er beinahe den Boden erreichte und fing seinen Sturz mit meinem Körper ab. In einem unerschütterlichen Griff schloss ich meine Arme um ihn.   Durch die Wucht seines Aufpralls wurden wir zu Boden gerissen. Mein Rücken traf hart auf die schneebedeckte Oberfläche, die meinen Fall minder dämmte. Ein Knacken. Keine Knochen gebrochen. Dafür waren mir Blutergüsse über den gesamten Rücken, mitsamt Schrammen an meinen Armen sicher. Meine gepunktete Bluse war an den Schultern und der Wirbelsäule entlang zerrissen.   Der Heart-Pirat knallte bei seiner unsanften Landung gegen meine stählerne Brust. Niemand von uns landete weich. Beide zogen wir die Luft vor Schmerz scharf ein. Zeitgleich öffneten wir die Augen, sahen einander intensiv an. Keiner verlor ein Wort, welches nichtiger nicht sein konnte. Für uns stand der Sturm still. Für uns hatte nichts eine Bedeutung. Einzig wir sie seiend. Der Augenblick, in dem unsere Körper sich näher denn je waren.   Umringt von fliegenden Trümmern, Gewächs und Schnee lagen wir hier. Meine Arme blieben um ihn geschlossen, seine Hände an meiner Brust, in dessen gepunktete Bluse sie sich krallten. Nicht die Natur fand Friede, nicht ich war die Ruhe. Wir verkörperten die Harmonie.   Erst ein leises Piepen brach die Stille. Gab ihr Leben, welches wir gemeinsam wahrten.   Das hier bleibt unter uns... Wenn jemand erfährt, dass ich dies getan habe, sind mir die verstörten Blicke der Mannschaft gewiss...   Vorsichtig schaute das Pinguinküken hinter der weißen Jacke hervor, dessen Polsterung es schützte. Der Jungvogel sprang auf meine gepunktete Bluse und schüttelte sein kurzes Gefieder, als ob nie etwas gewesen wäre. Seine gleichmütige Gelassenheit war eine Absurdität. Die gesamte Situation war so grotesk, dass der Heart-Pirat bei dem Anblick des sich putzenden Vogels in innigem Lachen ausbrach.   Mir gefiel der sorglose Klang seiner Stimme. Dies gab ich reuelos zu. Ich war ein Mann der zu seiner Meinung stand. Ein freier Mann, der sich einzig selbst binden konnte.   Um uns legte sich der Sturm langsam. Bis er vorüber war, konnten wir hier in seiner sicheren Mitte bleiben. Wir waren erschöpft. Unsere Glieder geschwächt, unsere geschundenen Körper ermüdet. Der Heart-Pirat rollte sich seitlich von mir herunter, legte sich neben mich und lachte noch immer leise, ehe sein Lachen nach und nach verebbte.   „Killer“, war das erste Worte, welches er in gefühlvoller Erleichterung aussprach. „Verdammt... Du hast mich- ...Hast du dich ver-? ...Verflucht“, rang er nach Silben, die er nicht formulieren konnte. Er drehte seinen liegenden Kopf zu dem Meinen, der ihn wartend ansah. Einmal atmete er tief aus, ehe sein Lächeln erklang. „Danke.“   Auch ich schmunzelte; „Nun stehst du in meiner Schuld.“ Blinzelnd sah er mich an, knurrte dann leise. „Hey, so haben wir nicht gewettet!“ „Wir haben niemals gewettet.“   Er wusste, dass ich diese Diskussion gewonnen hatte. Sein unverständliches Murren ließ meine Mundwinkel weiter auseinander gleiten. Er ist so durchschaubar...   „Idiot.“ „Welch reizendes Kompliment.“ „Das ist kein Kompliment; Ich mein's ernst!“ „Gewiss tust du dies...“ „Ach, vergiss es! Da red ich lieber mit 'nem Stein, als mit dir.“   Stur zog er den Schirm seiner Kappe über seine Augen und verschränkte seine Arme vor seiner Brust. Sein Blick auf einen kleinen Kieselstein auf dem Boden gerichtet. Er schwieg mehrere Augenblicke, bis er grinsend seufzte.   „Obwohl... ein Stein ist mir dann doch zu langweilig. Du bist eigentlich 'n echt netter Zeitgenosse.“ „Sollte dies nun ein Kompliment sein?“ „Ja- Ich meine; Nein!“   Als 'nett' hat mich bisher noch niemand bezeichnet... Meine versteckte Mimik wechselte von Amüsement zu bitterer Resignation. Mein Blick mied seine aufrichtigen Augen, blickte stattdessen zur Aufschrift seiner Kappe. Ich bin nicht der, den du glaubst in mir zu sehen...     Wenn du wüsstest, wie falsch deine Einschätzung von mir doch ist... Wüsstest, wer ich wirklich bin...   Welch finsterer Dämon nach dir giert...   Würdest du dann deine Meinung über mich ändern? Würdest du dich von mir abwenden?   Gewiss... denn ich bin und bleibe ein Killer.   ...Ich werde dein Verderben sein, Penguin... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)