Feliz Navidead von Ixtli ================================================================================ Kapitel 2: Wreck the Halls -------------------------- "Und hier ist die Weihnachtsbäckerei." Sie standen vor einem Lebkuchenhaus in vermutlich Lebensgröße, denn wenn es Hänsel & Gretel wahrlich gegeben hätte, dann wäre dies das Hexenhaus aus dem Märchen. Rot-weiße Zuckerstangen in der Größe von Spazierstöcken waren um das Haus herum aufgereiht, die Dachziegel waren flache, mit Mandeln verzierte Lebkuchen und die Fenster aus bunten geschmolzenen Bonbons. Ned blieb vor Staunen der Mund offenstehen. Er war versucht, sich etwas von dem Zuckerguss des Lebkuchenhauses abzubrechen, um zu probieren, ob es tatsächlich richtiger war, doch der süße Duft, der alles umgab, sagte ihm auch so, dass es echter Lebkuchen, echter Zuckerguss und echte Bonbons waren. Kringels Pop-Up Weihnachtsdorf war ungelogen ein eigenes Dorf in Miniaturform. "Und alles nur, damit die Eltern in Ruhe einkaufen und sich ohne ihre nervige Brut vergnügen können", erklärte Rudolph stolz als hätte er die Gedanken des Kuchenbäckers gelesen. "Dann ist es jetzt wohl an der Zeit, dich deinem Chef vorzustellen."   "Hey, Nussknacker, hier ist dein neuer Handlanger. Und er schaut gar nicht mal so dumm aus, wenn du mich fragst." "Also ich muss schon bitten..." Säuerlich sah Ned Rudolph an, der die Tür zur Bäckerei aufgestoßen hatte und den Kuchenbäcker hineinschob. "Oh, endlich, ich habe schon auf Sie gewartet!" Ein Mann in dunkelblauer Husarenuniform und mit gezwirbelten Bartspitzen kam freudestrahlend auf sie zu. Er griff nach Neds Hand und schüttelte sie erfreut, wie Ned leicht amüsiert zur Kenntnis nahm. Sein Griff war fest und das Schütteln wirkte nach einiger Zeit, in der er partout nicht loslassen wollte oder konnte, verzweifelt – passend zu seinem wie eingemeißelten Lächeln, das die roten Wangen noch mehr betonte. "Na dann lasse ich euch mal alleine und schaue nach, was die anderen drei Grazien so machen." Rudolph stolzierte davon und endlich ließ der Nussknacker Neds Hand los. "Freut – freut mich ebenso", Ned öffnete und schloss seine Hand, um sicherzugehen, dass auch nichts gebrochen oder ausgerenkt war. "Reden sich hier eigentlich alle mit den Namen ihrer Rolle an?" Der Nussknacker blinzelte kurz als verwirre ihn die Frage. "Natürlich." "Dann bin ich wohl der Kuchenbäcker – hier und Zuhause irgendwie auch." "Freut mich", rief der Nussknacker und machte abermals Anstalten, Neds Hand ein weiteres Mal zu ergreifen, um sie zu schütteln, doch der Kuchenbäcker reagierte schneller und schob seine Hände in die Hosentaschen. "Wo bekommt man hier denn eine Schürze her?", lenkte Ned geschickt vom Thema ab. Der Nussknacker lächelte und nickte in eine Richtung. "Komm mit."     Emerson pustete empört die Backen auf und rollte mit den Augen. "Nie im Leben lasse ich das Zeug an!", polterte er die zierliche Frau an, die etwas peinlich berührt vor sich hin murmelte und an einem roten Gürtel zupfte, der sich gefährlich eng um Emersons Bauch spannte. Sie pustete sich eine ihrer feuerroten Ringellocken aus der Stirn und murmelte wieder etwas kaum hörbares. "Ich kann Sie leider nicht verstehen", kommentierte Emerson entnervt das Gemurmel der kleinen Frau. Diese richtete sich plötzlich auf. Ihre Wangen waren rot angelaufen und sie stemmte ihre Hände seitlich in die Hüften. "Ich sagte, dass Ihnen die Farbkombination sehr gut steht, Mister." Emerson lächelte die Frau an. "Danke für das Kompliment", meinte er in einem Tonfall, der sein Lächeln Lüge strafte. Er versuchte, sein Spiegelbild zu ignorieren, das wie er eine rot-weiß geringelte Hose mit einem grünen Wams und Schuhe trug, deren Spitzen sich nach oben bogen. "Hören Sie zu, Lady", säuselte Emerson und betonte dabei jede Silbe. "Carol", unterbrach ihn sein Gegenüber unbeeindruckt. "Christmas Carol." "Also schön, Carol", fuhr Emerson fort. "Sehen Sie mich doch einmal genauer an und überdenken Sie bitte Ihre Meinung." Carol zuckte ahnungslos mit den Schultern, ohne den Privatdetektiv anzusehen. Emerson strich mit beiden Händen langsam und bedeutungsvoll an seiner Vorderseite hinab. "Ich sehe aus wie die Dr. Seuss Version von Peter Pan", half er Carol auf die Sprünge. "Ich finde-" "Ja, Carol, ich weiß, wie Sie es finden." Emerson schloss die Augen und atmete tief ein und doppelt so tief aus. Heu-wä-gel-chen. Heu-verdammtes-wä-gel-chen-noch-mal-und-zugenäht. "Nun, Sie haben gewonnen, Carol. Der große Emerson Cod gibt auf", sprach's und setzte sich das grüne Hütchen mit dem gekräuselten Geschenkband an der Spitze auf. Niemand würde ihn hier in dem Häuschen, das wie ein riesiges überdimensioniertes Geschenkpaket aussah, zu Gesicht bekommen - und wenn doch, wusste er, wie man Zeugen verschwinden ließ.     "Was hältst du von Rudolph? Ist er nicht ein kleinkarierter Stänkerer?" Die junge Frau, die wie eine Puppe gekleidet und geschminkt war, kicherte und ihre dicken Zöpfe aus blauer Wolle wippten dabei im Takt ihres Lachens mit. Olive mochte Mary, oder Mary Christmas, wie sie sich ihr vorgestellt hatte, auf Anhieb. Außerdem konnte sie Rudolph ebenfalls nicht ausstehen, was ein weiterer Pluspunkt auf ihrer Skala für Leute mit der gleichen Wellenlänge wie sie selbst war. "Ich glaube, es reicht, wenn wir dir ein Kleid geben, deine Haare sind schön genug", beschloss Mary fachmännisch. "Sie sehen auch so schon aus wie eine Perücke." Olive stockte kurz in ihrer Bewegung. "Aber sie sind echt!" "Selbstverständlich sind sie es", sprach Mary mit beruhigender Stimme auf Olive ein, die wie ein begossener Pudel da stand und an ihren Haarspitzen zupfte. So etwas unerhörtes hatte noch niemand zu ihr gesagt. Olive fühlte eine plüschige Rentierschnauze, die ihre Hand wie zum Trost anstupste. Schnell schluckte Olive ihren Ärger hinunter und brachte sogar ein Lächeln zustande, obwohl sie das Gefühl hatte, gleich in Tränen auszubrechen.     Gemächlich schlenderte Chuck hinter der fröhlichen Frau her, die wie eine Ballerina angezogen war und quirlig den Weg durch einen Tannenwald entlang tänzelte. Sie schien nie länger als einige Sekunden stillzustehen. Ab und zu, wenn sie das Gefühl hatte, dass Chuck vor lauter Staunen nicht mehr nachkam, drehte sie sich um, machte ein paar Schritte zurück zu Chuck und ermunterte sie, weiterzugehen. "Hier ist es wirklich wunderschön", hauchte Chuck ehrfürchtig. Sie spazierten durch eine künstliche Winterlandschaft, vorbei an einem kleinen extra angelegten eisbedeckten See, auf dem ein paar Kinder auf Schlittschuhen lachend ihre Kreise zogen. Künstlicher Schnee rieselte auf die ebenso künstlichen Tannen herab, und von der Decke hingen silbern schimmernde Sterne, die im Licht der versteckt angebrachten Strahler aufblitzten. Mit jedem neu entdeckten liebevoll in Szene gesetzten Ding schlug Chucks Kinderherz höher und höher. Die Zuckermandelfee lachte leise vor sich hin und ihr wallendes Tüllkleid raschelte. "Beeindruckend, nicht wahr?" "Sind das da echte Kaninchen?", rief Chuck verblüfft, als sich die kleinen Fellknäuel im Halbdunkel des Fußes einer Tanne bewegten. "Ja, selbstverständlich", freute sich die Zuckermandelfee über Chucks ständige Jubelrufe. "Und sind das etwa Schienen?" Freudig klatschte Chuck in ihre Hände, als sie die beiden schimmernden Metallschienen auf dem Boden entdeckte, die sich in einem abgesperrten Teil des Waldes zwischen den Bäumen hindurch schlängelten. "Noch besser: hier fährt sogar ein kleiner Zug!" Die Zuckermandelfee legte ihren Zeigefinger an ihre Lippen und bedeutete Chuck, still zu sein. Ein entferntes Tuten wie aus einem Mini-Schlot eines Mini-Zuges erklang und kurz darauf schnaufte er tatsächlich zwischen den Bäumen durch. Ein Zug im Kleinformat, mit einer Lok, die gerade so groß war, dass ein Erwachsener darin Platz fand. Hinter der Lok ruckelten kleine Waggons in denen auf kleinen Sitzbänken lachende Kinder saßen. Die Zuckermandelfee winkte dem Zugführer zu, der zur Antwort die Signalpfeife des Zuges singen ließ. "Komm, wir gehen zum Bahnhof und helfen den Kindern beim Besteigen des Zuges", forderte die Zuckermandelfee Chuck auf, die bei der Erwähnung eines Bahnhofs ungläubig mit dem Kopf schüttelte.     Ned merkte schnell, dass ihn die Arbeit in der Weihnachtsbäckerei nicht erfüllte. Schlimmer noch, es machte sich lähmende Langeweile in ihm breit und er begann darüber nachzudenken, was sich wohl verbessern ließe. An seiner Situation leider nichts, aber das ein oder andere Rezept hier war ganz ausbaufähig. "Ähm, Entschuldigung", Ned hielt einen der Bäckerelfen an. "Wo finde ich hier den Gewürzvorrat?" "Oh, zu dem hat niemand außer dem Nussknacker Zugang." "Heißt das, nur er hat einen Schlüssel dazu?", hakte Ned nach. Der Elf sah sich schnell um, bevor er dem Kuchenbäcker antwortete. "Das nicht, aber wenn jemand außer ihm dort erwischt wird, gibt es 'ne saftige Strafe." Ein Lächeln huschte über Neds Gesicht. "Nun denn, ich denke, diese Gefahr werde ich eingehen." Der Elf wollte noch etwas hinzufügen, doch Ned klopfte ihm väterlich auf die Schulter. Das Gespräch war beendet. Er hatte alle Informationen bekommen, die er gewollte hatte. Der Elf durfte abtreten.     Nicht weit von der Weihnachtsbäckerei entfernt hob plötzlich die Zuckermandelfee wie auf ein unhörbares Kommando hin den Kopf. Sie schnupperte in sämtliche Himmelsrichtungen und sah sich dann irritiert um. "Irgendetwas ist hier anders", raunte sie vor sich hin, während sie zusammen mit Chuck den Kindern, die als nächstes mit dem Zug fahren durften, dabei half, in den Waggons Platz zu nehmen. Chuck hob ihre Nase und schloss die Augen. Ein wunderbarer Duft kroch über den verschneiten Styroporberg hinüber zu dem kleinen Bahnhof. Ein Duft nach Gewürzen und Honig und etwas, was nur einer Zustande brachte, wenn er buk. "Das kommt von Ned", wisperte Chuck freudig. "Wer ist Ned?", wollte die Zuckermandelfee nun neugierig wissen. "Der Kuchenbäcker." Die Zuckermandelfee seufzte bedauernd. "Ich wünschte, wir könnten schnell hinüber flitzen und uns etwas von dieser Köstlichkeit nehmen. Nur ein kleines bisschen..." "Dann gehen wir in der Pause", schlug Chuck vor. "Wie ich Ned kenne, wird er schon genug backen. Da können wir dann jede Stunde hin." "Bloß nicht!", rief die Zuckermandelfee auf. Sie war blass um die schmale Nasenspitze geworden. "Die Pausen sind hier streng reguliert. Wenn man uns außerhalb erwischt, bekommen wir eine Strafe." Chuck seufzte leise auf. Das konnte ja heiter werden.     Währenddessen hatte Olive an ihrem Platz nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, welch wohlriechende Düfte draußen durch Kringels Pop-Up Christmas Carnival zogen, denn ihre Arbeitsstelle befand sich in einer gigantischen Schneekugel, wo sie inmitten von umherwirbelnden Kunstschneeflocken auf einer unbequemen Echtholzbank saß und darüber nachdachte, welchen Spaß ihre Freunde wohl gerade hatten. Dass dem ganz und gar nicht so war, sollte Olive so schnell nicht erfahren. Ihre Frage nach einer kurzen Pause wurde von Mary mit einem hilflosen Lachen quittiert. Sollte jemandem der leere Platz zwischen den Wunschzettelschreibern auffallen, könnte das die Kinder verunsichern, die sich an den durchsichtigen gewölbten Wänden der Schneekugel die Nasen plattdrückten, um einen Blick nach drinnen zu erhaschen. Wehe ihnen, wenn der Eindruck entstehen sollte, dass ihre Wünsche nicht an Santas Werkstatt weitergeleitet wurden, dann mussten sie wieder Nachtschichten einlegen... Ob das denn schon einmal der Fall gewesen sei, hatte Olive wissen wollen, und Mary hatte sich zu ihrer neuen Kollegin gebeugt und ihr zugeflüstert, dass sie mal raten solle, weshalb sie die Stelle hier bekommen hätte. Danach hatte Olive geschwiegen. Angefressen sah sie zu, wie in diesem Augenblick zwei Elfen einen weiteren Korb voller Wunschzettel brachten und ihn vor ihnen auf dem Tisch auszuleeren begannen. Mary zuckte hilflos mit den Schultern und konzentrierte sich wieder darauf, das zum Teil unleserliche Kindergekrakel in leserliche Worte zu fassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)