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Date oder Deal?

von

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Dienstag I

Kapitel 1

 

Dienstag

 

Das mentale Netzwerk seiner Ratten meldete ihm seine Ankunft in dem Moment, wo er den kleinen Bahnsteig verlassen hat und in den Waldweg eingebogen ist. Von dort aus ist es noch ein zwei Meilen Fußmarsch quer durch den Wald. Der Rattenkönig hatte also genug Zeit, sich auf ihn vorzubereiten.

Von daher ist er höchstens darüber überrascht, wie leise er sich bewegen kann, als er neben ihm auftaucht.

Wortlos nimmt Rat King das Fernglas herunter und reicht es ihm. Noch immer ohne ein Wort zu sagen, deutet er in die Richtung, in die er sehen soll.

Und während Shredder also durch den Feldstecher über den Bach und auf das hundert Meter entfernte Ufer schaut, nutzt Rat King die Gelegenheit für einen etwas genaueren Seitenblick.

Er hat sich also tatsächlich umgezogen, wollte wohl nicht auffallen, denn immerhin ist er mit dem Zug gefahren. Rat King ist beeindruckt – in zivil sieht er so normal, so unauffällig aus. Und die Camouflage-Jacke samt Cap ist die perfekte Tarnung für diese Gegend.

Er kommt sich in seinem braunem Flicken-Ledermantel und dem Fischerhut dagegen wie ein Vagabund vor – oh, na gut, ehrlich gesagt, war das ja auch seine Intention. Seine Tarnung, sozusagen. Nur – im Gegensatz zu Shredder sieht er bestimmt richtig schäbig aus.

„Ich habe dich nicht so früh erwartet."

„Wirklich?", murmelt Shredder ironisch, während er weiter durchs Fernglas starrt. „Dabei haben mich deine kleinen Freunde doch schon seit dem Bahnhof so gut im Auge."

Rat King ist beeindruckt, aber der Teufel soll ihn holen, wenn er das zugibt.

„Ich habe dich frühestens morgen erwartet", gibt er daher höchstens zu. „Falls überhaupt."

Shredder nimmt das Fernglas herunter und mustert ihn scharf, dann verziehen sich seine Lippen zu einem dünnen Grinsen.

„Das ist endlich mal ein Plan, der funktioniert und deshalb will ich mir jetzt auch das Ende ansehen." Er richtet seine Aufmerksamkeit zurück auf das gegenüberliegende Ufer und sieht wieder durch das Fernglas. Dann ergänzt er leise: „Bevor ich die nächsten vierzehn Tage deine uneingeschränkte Aufmerksamkeit genießen werde."

Vierzehn Tage? Rat Kings Augenbrauen zucken überrascht in die Höhe. Seiner Rechnung zufolge sollten es höchstens acht sein. Doch dann denkt er genauer darüber nach und begreift. Ach so - Shredder zählt also ab jenem Moment, wo er ihn anrief und wörtlich sagte: „Sorge dafür, dass sie alle um halb elf aus der Stadt sind und mindestens bis zwölf auch nicht wieder auftauchen können.“

Das ist wirklich sehr, sehr großzügig von ihm.

Aber Rat King wird ganz bestimmt nicht widersprechen.

„Was ich dich schon immer mal fragen wollte", beginnt Shredder nach einigen Sekunden plötzlich, „wie funktioniert das mit dir und den Ratten? Ist das wirklich Telepathie?"

Rat King sieht ihm zu, wie er da so neben ihm liegt und dabei angestrengt durchs Fernglas starrt und spürt, wie etwas in seiner Brust richtig warm und weich wird. In all der Zeit hat ihm noch niemand diese Frage gestellt – oder auch nur eine annähernd ähnliche. Sie halten ihn einfach für einen verrückten Spinner.

„Das geht nicht von mir aus.“ Rat King beschließt, ihn mit der Wahrheit zu belohnen. „Vor acht Jahren gab ich einer Wanderratte ein Stück Brot und sie entschied, dass ich es wert wäre, mit mir zu reden. Es sind die Tiere, die bestimmen, ob ein Mensch sie hören soll oder nicht. Es sind auch keine Worte, sondern eher Bilder und Emotionen, die sie mir schicken.“

Während er spricht, lässt Shredder wieder das Fernglas sinken und betrachtet ihn aufmerksam. Langsam wandert sein Blick zu der Ratte auf Rat Kings Schulter. Das Tier starrt ihn einen Moment nur unbewegt an, blinzelt dann, springt von Rat Kings Schulter und huscht geschwind durchs Gras davon.

Shredder sieht ein wenig enttäuscht aus, aber Rat King lächelt nur. Wortlos schnappt er sich Shredders Hand, haucht einen Kuss auf seinen Handrücken und verschlingt dann ihre Finger miteinander. Rücksichtsvoll übersieht er, wie Shredder verlegen errötet und deutet mit seiner freien Hand vielsagend hinüber zum anderen Ufer.

„Ich glaube, da tut sich was.“

Sofort sieht Shredder wieder durch den Fernstecher. Selbst ebenfalls das Ufer neugierig im Auge behaltend, lehnt sich Rat King zu ihm hinüber und flüstert in sein Ohr:

„Aber das ist nicht das einzige, was sich hier tut."

Zuerst reagiert Shredder überhaupt nicht, dann murmelt er, weiterhin zum gegenüberliegenden Ufer starrend:

„Vorsicht. Man könnte meinen, du würdest mich mögen."

Da Rat King immer noch seine Hand hält, drückt er sie jetzt als stumme Antwort darauf. Shredder würde ihm sowieso nicht glauben, wenn er darauf jetzt antworten würde. Noch ist er nicht so weit. Außerdem, angestrengt starrt er hinüber zum Ufer, interessiert ihn auch, was da passiert.

Durch das Fernglas konnte er besser sehen, aber er gönnt Shredder gerne diesen Vorteil.

Er weiß schließlich genau, wer dort drüben im weichen Gras liegt und schlummert. Wen er mit seiner Flötenmelodie aus den Abwasserkanälen New York Cities bis hierher in die Wälder von New Jersey gelockt hat. Es war ein meilenweiter Fußweg für sie beide und ihm tun immer noch die Füße weh.

Der Ratte wird es nicht anders ergehen, wenn sie endlich aus ihrem tranceähnlichen Zustand erwacht.

„Ah", murmelt Shredder neben ihm, „da sind sie ja, die Retter in der Not."

Er hat recht. Im Gebüsch dort drüben bewegt sich etwas und dann treten die vier Turtles ans Ufer und finden nach kurzer Zeit auch ihren Sensei.

Angestrengt starrt Rat King hinüber, die Augen zusammengekniffen. Shit. Ohne Fernglas kann er nicht erkennen, welch eine Miene die Ratte zieht. Er liebt diesen Ausdruck auf den Gesichtern seiner Opfer, wenn sie verstehen, dass ihr Geist in den letzten Stunden von jemandem kontrolliert wurde. Vor allem bei diesem Splinter ist es ihm immer wieder eine ganz besondere Genugtuung, schließlich glaubt er ja immer wieder, seinen Flötentönen widerstehen zu können.

Als hätte er seine Gedanken gelesen, reicht ihm Shredder da das Fernglas zurück. Die lauten, begeisterten „Sensei, Sensei"-Rufe haben die Ratte eindeutig aus ihrem Schlummer geweckt, denn er setzt sich gerade auf und blinzelt sie träge an. Ah, ja, wie herzerwärmend, diese Freude, sich wiedergefunden zu haben. Unwillkürlich gibt Rat King ein abfälliges Schnauben von sich.

Shredder neben ihm gluckst leise.

Plötzlich werden die Rufe lauter und aufgeregter, und dann hebt einer der Turtles den Kopf und sieht direkt zu ihnen herüber. Einen leisen Fluch zwischen den Zähnen hervorzischend, duckt sich Rat King und zieht Shredder ebenfalls zu sich hinunter ins Gras.

„Angsthase", schmunzelt Shredder. „Die haben uns bestimmt nicht gesehen."

Um Rat Kings Lippen zuckt ein unheilverkündendes Grinsen und dann packt er Shredder an den Schultern, rollt ihn auf den Rücken und sich selbst mit einer einzigen, fließenden Bewegung direkt auf ihn. Er küsst ihn schon, bevor Shredder noch richtig weiß, was los ist.

Doch er erholt sich schnell von seiner Überraschung, und dann entgegnet er Rat Kings Kuss mit genau dieser stürmischen Leidenschaft, wie Rat King sie so an ihm liebt.

„Das gehört also immer noch zum Deal?" murmelt Shredder augenzwinkernd während einer kleinen Atempause.

„Gefällt's dir nicht?" neckt ihn Rat King, ganz so, als liege er nicht direkt auf ihm und spüre nicht ganz genau, wie sehr es Shredder gefällt.

Shredder lächelt nur, packt ihn an seiner Hutkordel und zieht ihn wieder zu sich hinab. Nur allzu begeistert stürzt sich Rat King in diesen Kuss hinein. So oft und viel er schon andere Lippen und Zungen gekostet hat, seien sie von erfahrenen oder unerfahrenen Männern und auch wenn einige sehr wohl besser oder süßer geschmeckt haben, möchte er Shredders Küsse gegen keinen einzigen davon eintauschen. Denn Shredders Küsse sind absolut ehrlich.

Natürlich bildet er sich nicht ein, dass Shredder ihn liebt - das wäre doch wirklich lächerlich - aber seine Sympathie ist echt. Er mag es, wie der Rattenkönig mit ihm umgeht und das führt zu Vertrauen und echter Zuneigung. Shredder hat viel zu geben, wenn man seine harte Schale erst einmal geknackt hat und genau danach schmecken seine Küsse. Es war so richtig, ihn vorgestern mit einem ausgedehnten Programm zu verführen - auch, wenn die Reihenfolge etwas verquer war.

„Hey", unterbricht Shredder ihren Kuss schließlich atemlos und dreht den Kopf Richtung Bach und Ufer. „Haben wir nicht etwas vergessen?"

Rat King starrt ihn einen Moment lang einfach nur an. Shredders Cap ist ihm vom Kopf gerutscht und liegt jetzt neben ihm im Gras, lässt ihm sein Haar völlig ungebändigt ins Gesicht fallen. Ein Gesicht, dessen Wangen jetzt ganz rot geworden sind. Dieser Mann ... ein einziger Kuss genügt, um diese typisch japanische Fassade einzureißen.

Reizend, ist das Adjektiv, was Rat King dazu einfällt.

Dann erinnert er sich an Shredders Frage und richtet sich etwas auf, um über Felsen und Gestrüpp einen Blick ans andere Ufer zu werfen.

Nur, um gleich wieder erschrocken zurück zu zucken.

„Wa-", beginnt Shredder alarmiert, doch Rat King murmelt nur ein „nichts“ und drückt ihm wieder einen wilden Kuss auf.

Diesmal kniet er über ihm, pinnt seine Hände links und rechts neben seinem Kopf ins Gras, während er sein linkes Knie zwischen seine Beine zwängt – eine hauchzarte, vielversprechende Berührung in Shredders Schritt, die diesen tatsächlich erregt Aufknurren lässt. Und da weiß Rat King – er hat ihn. Jetzt gehört ihm seine gesamte Aufmerksamkeit.

Rat King lässt nicht locker – er plündert Shredders Mund, spielt mit seiner Zunge und lässt ihn nach allen Regeln der Kunst in diesem Kuss, in seiner schieren Wärme und Präsenz regelrecht ertrinken.

 

 

Dienstag II

 

Kapitel 2

 

Dienstag

 

„Wer seid ihr? Warum beobachtet ihr uns?“ Die scharfe, fordernde Stimme eines Turtles reißt sie unbarmherzig zurück in die Gegenwart.

Shredder zuckt zusammen und reißt erschrocken die Augen auf, doch Rat King hebt nur langsam den Kopf ohne seine derzeitige Position auch nur um einen Zentimeter zu verändern.

„Ihr seid unhöflich“, funkelt er erst Raphael und dann dessen Brüder strafend an, als diese sich um sie scharen. „Seht ihr nicht, dass wir beschäftigt sind?“

„Die Turtles!" entfährt es Shredder unter ihm da.

Sekundenlang herrscht eine geradezu gespenstische Stille. Langsam senkt Rat King den Blick und starrt ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Kann es sein", will er langsam wissen, „dass das bei dir schon zu einem Reflex geworden ist?"

Sich seines Fehlers beschämt bewusst werdend, beißt sich Shredder auf die Lippen und wispert eine leise Entschuldigung. Rat King aber lächelt nur und zieht ihn mit sich erst in eine sitzende Position und dann gänzlich auf die Füße.

„Shredder!" keuchen die Turtles da auch schon im Chor, denn mehr als durch seinen erschrockenen Ausruf hätte sich Shredder nun wirklich nicht verraten können.

„Oroku Saki!" strahlt Splinter zur selben Zeit, der gerade, gestützt von Donatello, bei ihnen eintrifft.

Er hinkt tatsächlich etwas. Es war eben wirklich ein langer Fußmarsch bis hierher.

Shredder räuspert sich, bückt sich nach seinem Cap und stülpt es sich hastig wieder aufs Haupt.

„Was hast du mit Sensei Splinter gemacht?" donnert Leonardo da auch schon los.

Der stets sehr aufmerksame Donatello hat derweil die Querflöte entdeckt, die teilweise aus Rat Kings Manteltasche lugt und zählt sehr schnell eins und eins zusammen.

„Der Rattenkönig! Was hast du mit unserem Sensei gemacht?" Drohend baut er sich vor Rat King auf und zückt seinen Bo.

„Nichts", gibt dieser schnippisch zurück. „Er lebt doch noch und ist wohlauf. Und jetzt zischt ab, ihr stört!"

Besitzergreifend schlingt er seinen rechten Arm um Shredders Taille und zieht diesen an seine Seite. Der völlig überrumpelte Shredder vergisst glatt, sich zu wehren. Letztendlich grinst er nur verlegen und klammert sich an Rat Kings Mantelaufschlag fest.

„Dieses Mal habe ich gewonnen", feixt er dabei triumphierend. „Während ihr eurem Sensei nachgerannt seid, haben wir seelenruhig unsere Besorgungen erledigt. Dieses Mal kommt ihr zu spät, Panzerrücken."

„Nicht zu spät, um dir den Hintern zu versohlen", knirscht Raphael und zieht seine Sai.

„Kommt doch!" Lachend löst sich Shredder aus Rat Kings Griff und nimmt Kampfhaltung ein. Auch Rat King macht sich - zumindest mental - schon mal bereit. Große Lust dazu hat er nicht, aber wenn man ihm einen Kampf aufdrängt, lässt er sich nicht lumpen.

Keiner kämpft hier gegen irgendwen!" durchschneidet plötzlich Splinters scharfe Stimme die angespannte Atmosphäre. Obwohl er ziemlich leise spricht, erstarren die Turtles sofort und sogar Shredder lässt die Fäuste wieder sinken.

„Aber Sensei", wagt es Raphael einzuwenden, doch ein tadelndes Zungenschnalzen seitens seines Senseis und der Turtle zieht beschämt den Kopf ein.

Die Ratte mustert Raphael, Leonardo, Donatello, Michelangelo und sogar Shredder eindringlich, bevor er seinen Blick auf Rat King richtet. Er scheint ein wenig zu ... schmunzeln?

„Das hier ist ein wirklich schönes Plätzchen", erklärt Splinter dann mit einem wohlwollenden Blick auf die Natur um sie herum. „Ich habe schon lange nach einem Ort gesucht, wohin ich mich zum Meditieren zurück ziehen kann. Ich werde wohl öfter hierher kommen. Vielen Dank, Rattenkönig."

Mit diesen Worten verbeugt er sich in Rat Kings Richtung. Der verbeißt sich ein Grinsen.

„Gern geschehen. Ich vertrete die Ansicht, wenn man aus meiner Hypnose erwacht, so sollte das an einem friedlichen Flecken Erde geschehen."

Er hätte ihn während der Trance ganz leicht dazu bringen können, sich umzubringen, aber das will er hier nicht so deutlich betonen. Er ist kein Mörder und das sollten sie in den letzten Jahren alle kapiert haben und wenn nicht, ist es nicht seine Schuld.

„Es ist auch nett von euch, dass ihr auf mich aufgepasst habt, bis mich meine Turtles fanden. Ich wäre ungern Futter für Wölfe und Bären geworden."

„Ja, sicher", Shredders Stimme trieft nur so vor Ironie. „Daran haben wir auch ganz bestimmt gedacht, als wir dich im Auge behielten."

Rat King hat ungelogen noch nie einen solch verschmitzten Gesichtsausdruck bei einer Ratte gesehen wie jetzt, als sich Splinter ganz seinem ehemaligen Schüler und jetzigem „Feind“ zuwendet.

„Du musst dich vor mir doch nicht verstellen, ich kenne dich."

Shredder starrt ihn für einen Moment einfach nur verdattert an, dann greift er sich mit der linken Hand an die Stirn und schüttelt fassungslos den Kopf.

Innerlich ganz breit grinsend legt ihm Rat King eine Hand auf die Schulter. Diese Ratte. Also wirklich. Ganz schön durchtrieben. Aber es funktioniert - niemand hier hat mehr Lust auf einen Kampf. Nicht einmal die Turtles.

„Aber Sensei", klagen diese trotzdem noch einmal enttäuscht und verwirrt, „die haben dich entführt und hier ausgesetzt. Wie kannst du das einfach so ignorieren?"

„Habe ich euch beigebracht, so nachtragend zu sein?“ entgegnet Splinter vorwurfsvoll. „An einem so schönen Tag? Genießt lieber diese wilde Natur um uns herum."

Nach seinen Worten herrscht so etwas wie kollektive, ungläubige Stille. Rat King findet es faszinierend, wie sehr sich der Ausdruck auf den Mienen der Turtles und der auf Shredders doch ähneln.

„Man muss auch mal anerkennen können, wenn man verloren hat“, erklärt Splinter seinen Turtles in einem sehr belehrenden Tonfall. „Diese Runde geht eindeutig an Shredder und Rat King. So sehr es mir auch missfällt, wenn mir ein fremder Willen aufgezwungen wird, so war ich doch keinen Augenblick in Gefahr und das weiß ich zu schätzen. Es war ein gut durchdachter Plan. Völlig gewaltlos.“ Lächelnd dreht er sich zu Shredder um: „Eines wahren Ninjas würdig.“

Der blinzelt ihn im ersten Moment einfach nur fassungslos an, dann kickt die gute Erziehung wieder ein.

„Domo arigato, Sensei.“ Und dann kann man ihm deutlich ansehen, dass er sich vor allem für diese respektvolle Anrede am liebsten sofort die Zunge abgebissen hätte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er sich wieder in Hamato Yoshis Lieblingsschüler zurückverwandelt. Dieser Respekt, diese Verbindung stirbt nie. Rat King kennt das aus seiner Zeit bei der Army. Wahre Führungspersönlichkeiten haben diese Wirkung auf diejenigen, die sie befehligen – vor allem, wenn sie ihnen unerwartet ein Lob aussprechen.

Splinters Lächeln wird ein wenig herzlicher, als er Shredders Worte hört, doch er hackt nicht weiter darauf herum. Und auch seine Turtles nicht – auch, wenn diese sich ziemlich verdutzte Blicke zuwerfen. Während Shredder nur mal wieder die Hand vor die Augen schlägt. Er seufzt einmal tief auf und erklärt dann, sehr zur Überraschung aller:

„Es war nicht meine Idee, sondern Krangs. Und Vic... Rat King hat diesen Platz hier ausgewählt. Ich war nur der Vermittler.“ Er nimmt die Hand herunter und starrt Splinter grimmig an. „Ich werde Krang dein Lob ausrichten. Aber bilde dir bloß nichts ein. Das hier war eine totale Ausnahme. Das nächste Mal stehen wir uns wieder in einem richtigen Kampf gegenüber.“

Splinter nickt nur wortlos. Aber seine Vibrissen und Ohren zucken vergnügt.

Rat King kann sich allmählich des Gefühls nicht erwehren, dass irgendwann zwischen dem letzten Mal, wo er Zeuge wurde, wie sie aufeinandertrafen und heute, zwischen dieser Ratte und Shredder irgend etwas passiert ist, was ihr Verhältnis zueinander grundlegend änderte. Er jedenfalls kann da keinen Hass mehr erkennen.

Die Turtles dagegen scheinen ziemlich verwirrt zu sein, wagen es aber nicht, ihrem Sensei zu widersprechen. Und so entsteht zwischen ihnen wieder eine merkwürdige Stille. Als ein Teil der neuen Informationen gesackt ist, kann man förmlich zusehen, wie sich etwas anderes an die Oberfläche schleicht. Rat King erkennt es an den Blicken, die die Turtles ihm und Shredder plötzlich zuwerfen, an der Art wie sie zwischen ihnen beiden hin und her pendeln. Er wartet auf das Unvermeidliche.

„Ihr", stößt Michelangelo dann auch plötzlich hervor und deutet anklagend mit dem Finger auf Shredder und Rat King, „habt euch eben doch geknutscht, oder?"

Aufstöhnend vergräbt Shredder das Gesicht in den Händen, während Rat King nur vergnügt auflacht. Er sieht keinen Grund dafür, das zu leugnen oder sich gar dessen zu schämen.

Außerdem hatte er es ja provoziert, dabei ertappt zu werden.

„Allerdings", bestätigt er daher belustigt. Doch dann runzelt er die Stirn und mustert sie herausfordernd. „Habt ihr etwa was dagegen?"

Sie beeilen sich hastig, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, machen abwehrende Gesten und schütteln unter lauten „nein, niemals, nicht doch"-Rufen die Köpfe.

Shredder ist das eindeutig unsäglich peinlich und allmählich befürchtet Rat King, dass er sein Gesicht ewig hinter seinen Händen verstecken und er dieses hübsche Antlitz nie wieder sehen wird.

Aber diese Art der Provokation macht ihm einfach viel zu sehr Spaß. Andererseits weiß er auch, wann er damit aufhören sollte. Und das nicht nur, damit Shredder wieder hinter seinen Händen hervorkommt.

„Sowas passiert eben", erklärt er daher großmütig und dem ist einfach nichts mehr hinzu zu fügen.

Denkt er. Die Turtles sind da aber ganz anderer Meinung.

„Sowas passiert doch nicht einfach so!“ protestiert Michelangelo. „Seit wann könnt ihr euch überhaupt so gut leiden? Und seid ihr jetzt wirklich zusammen oder ist das nur reine Spielerei?“

„Michelangelo“, weist ihn Splinter streng zurecht, „das geht uns nichts an. Bitte entschuldigt ihn“, wendet er sich an die beiden Männer, „er ist jung und ungestüm und“, ab hier wirft er Michelangelo einen ausgesprochen tadelnden Blick zu, „sieht eindeutig viel zu viele schlechte Serien.“

Schmollend verschränkt der jüngste der Turtles die Arme vor dem Brustpanzer.

„Ich hab doch nur gefragt“, murrt er dabei. „und ist ja nicht so, als wäre ich hier der einzige, den das interessiert.“

Dabei wirft er seinen Brüdern auffordernde Blicke zu, die diese jedoch gekonnt ignorieren.

„Echt jetzt?“ enttäuscht funkelt er sie der Reihe nach an. „Kommt schon, Jungs, ich meine, wir reden hier von Shredder. Der kann doch Candlelight-Dinner und Romantik noch nicht einmal buchstabieren. Und wenn, hätte ich dem eher eine Romanze mit April zugetraut, so oft, wie der sie entführt. Aber er und der Rattenkönig? Dass der Rattenfan schwul ist, überrascht mich jetzt nicht sonderlich, welcher normale Kerl spielt schon Querflöte - aber Shredder?“

„Michelangelo, es reicht!“ Splinter schwingt nicht oft seinen knorrigen Spazierstock gegen einen seiner Schüler, aber diesmal hält er es für angebracht. Erschrocken zuckt Michelangelo zusammen und reibt sich den schmerzenden Hinterkopf, während sich Splinter wieder wortreich für ihn entschuldigt.

Aber Rat King winkt nur ab, schließlich hat der Turtle nichts gesagt, was nicht der Wahrheit entspricht. Viel mehr interessiert ihn Shredders Reaktion. Der winkt auf Splinters Entschuldigung hin nämlich auch nur ab, wirft Rat King einen kurzen Blick zu und strafft dann entschlossen die Schultern.

„Es geht euch zwar wirklich nichts an, aber ich habe auch kein Problem damit, es euch zu erzählen. Wenn du nichts dagegen hast?“ wendet er sich an Rat King.

Der starrt ihn einen Moment lang nur fassungslos an und mustert ihn dann nachdenklich. Irrt er sich, oder hat Shredder tatsächlich diesen ganz bestimmten Glanz in seinen Augen, dem Rat King schon so lange nicht mehr begegnet ist, den er aber so gerne an anderen sieht, besonders an jenen, die er gerne als Partner hätte?

Kann es möglich sein, dass Shredder ihm doch mehr als bloße Zuneigung entgegenbringt? Dass er glücklich ist und das einfach mit jedem teilen möchte, selbst mit seinen Feinden?

Vielleicht, grübelnd richtet Rat King seinen Blick auf Splinter, der einfach nur geduldig dasteht und so rätselhaft lächelt, will er aber auch nur, dass ihn sein ehemaliger Sensei versteht?

Was auch immer ihn antreibt – alleine die Tatsache, dass er sich nicht in fadenscheinigen Rechtfertigungen flüchtet und zu ihm und diesem Kuss steht, lässt hoffen. Rat King ist gespannt, wie weit Shredder gehen will und daher stimmt er zu. Unter einer Bedingung:

„Das geht aber nicht von unserer Zeit ab.“

„Nein“, beruhigt ihn Shredder sofort, „die Uhr läuft erst, sobald wir in deiner Wohnung sind.“

Rat King weiß diese Großzügigkeit wirklich zu schätzen. Immerhin haben sie noch eine halbstündige Zugfahrt vor sich und wie er diese dreißig Minuten nutzen wird, weiß Rat King auch schon ganz genau. Er hat schon lange nicht mehr in einem Zugabteil so richtig herumgeknutscht und herumgefummelt.

Aber selbst für danach hat er noch Pläne.

„Klingt gut für mich“, nickt er daher. „Ich wollte nämlich vorher noch mit dir in eine Bar gehen.“

„Ich lass mich nicht abfüllen.“

„Hab ich nicht vor.“ Rat Kings Lippen verziehen sich zu einem sehr, sehr breiten Grinsen. „Hab ich auch nicht nötig. Und das weißt du.“

Auf Shredders Wangen bildet sich ein leichter Rotschimmer und er räuspert sich einmal verlegen, bevor er es mit einem betont lässigen Schulterzucken überspielt.

„Okay. Es sind deine Spielregeln.“

Eine Minute später sitzen sie alle einträchtig im Kreis im Gras und hören Shredder und Rat King zu, und das ist so friedlich, dass es bizarr und surreal anmutet, aber wie Splinter es ständig betonte: es ist ein schöner Tag mit blauem Himmel und Sonnenschein und die Luft ist hier so rein und klar, da kann man sich ruhig eine Stunde des Waffenstillstandes gönnen.

Natürlich erzählen sie ihnen nicht alles...

 

Rückblende Samstag

Kapitel 3

 

Rückblende - Samstag

 

Als der „große, böse Shredder“ sein Territorium betritt, ist Rat King ziemlich angepisst. Er schickt seine Lieblingsratte Dora aus, damit sie diesen verblödeten Japaner zu ihm bringt, bevor dieser Vollidiot noch seine ganze Kolonie durcheinanderbringt.

Wenn Shredder vor der vergessenen Subway-Station auftaucht, gibt es dafür immer nur zwei Gründe und sie haben immer beide mit dieser nervenden Ratte Splinter und dessen sogenannten Söhnen zu tun. Entweder Shredder taucht jetzt bei ihm auf, um ihn bei seinem Kampf gegen die Genannten um Hilfe zu bitten oder er bittet ihn darum, sich rauszuhalten und nicht einzumischen.

Andererseits – und das muss ihm der Rattenkönig widerwillig zugestehen – ist Shredder der einzige, der seinen Rang als Rattenkönig samt dazugehörigem Territorium respektiert. Alle anderen – vor allem Splinter und Konsorten – gehen ihm zwar so gut es geht aus dem Weg, aber behandeln ihn, wenn sie sich doch mal begegnen, nur mit Frechheiten.

Darin unterscheiden sie sich nicht im Geringsten von den Menschen.

Rat King hat sowieso schlechte Laune, weil heute dieser verdammte Jahrestag gewesen wäre, wenn ihm sein Lover nicht vor drei Wochen den Laufpass gegeben hätte. Dieser Mistkerl hat sich von ihm getrennt, weil er so „langweilig“ sei.

Scherzkeks!

Dafür hat er ihm gestern - nachdem aus Sehnsucht und Trauer endlich Wut wurde - ein paar seiner Ratten aufs teure Apartment geschickt, damit sie ihm in sein glutenfreies, vegetarisches Müsli kacken. Wohl bekommt's!

Er ist wirklich nicht gut drauf heute. Aber dann steigert sich seine Laune doch noch, denn als Dora diesen Ninja in seiner stacheligen Metallrüstung, samt Helm und wallendem Cape vor seinen Thron führt, da sinkt dieser zur Begrüßung tatsächlich vor ihm auf ein Knie.

Rat King versucht sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Er weiß nicht, ob das Ernst gemeint war oder blanker Hohn, und so lange das unklar ist, nimmt er das jetzt einfach mal so hin.

Er will es aber auch nicht übertreiben und so gestattet er Shredder mit einer lässigen Handbewegung, wieder aufzustehen.

Dora huscht zu ihm, klettert auf sein Knie und macht es sich dort zufrieden mit sich bequem. Sie bettelt nie um Lob oder Aufmerksamkeit wie alle anderen, sie hat ihren Stolz, aber er fährt ihr trotzdem lobend mit der Zeigefingerspitze durchs weiche Rückenfell.

Er hört Shredder zu, lässt ihn vortragen, was er zu sagen hat ohne ihn dabei zu unterbrechen und muss am Ende zugeben, dass er diesen Plan gerne unterstützen würde. Er klingt simpel und kostet keine Mühe und noch weniger Ressourcen. Er soll nur seine Querflöte einsetzen und Splinter fortlocken, damit die Turtles damit beschäftigt sind, ihren Sensei zu suchen, während Shredder, Krang, das Rhino und das Warzenschwein auf der Oberfläche ihr Ding durchziehen können.

Er wird etwas herumexperimentieren müssen, um für Splinter die richtige Melodie zu finden und er muss einen guten Ort ausbaldowern, wohin er ihn locken kann – aber das bekommt er hin.

Aber sollte er wirklich einfach so „ja“ sagen?

Gedankenverloren lässt Rat King seine Blicke über den Mann vor sich wandern. Der Kerl scheint sich dessen nicht bewusst zu sein, aber sein ganzes Auftreten – von der Art, wie er sich bewegt bis hin zu der Rüstung und der enganliegenden Kleidung - ist für jeden Homo mit einigermaßen Sinn für Ästhetik eine knallharte Herausforderung für die Selbstbeherrschung.

Und wenn man dann so wie er auch noch an zunehmender sexueller Frustration leidet... seufzend wickelt sich Rat King fester in seinen Mantel. Dora wirft ihm einen beleidigten Blick zu, denn dafür muss sie kurzfristig ihren Lieblingsplatz auf seinem Knie räumen.

Rat King folgt seiner spontanen Eingebung und knüpft seine Mitarbeit und Hilfe an eine Bedingung, die so absurd ist, dass Shredder sie einfach ablehnen muss.

Man kann von Shredder halten was man will, aber er zuckt mit keiner Wimper und nimmt es so regungslos entgegen, als sprächen sie übers Wetter.

Dieser Mangel an Schock ärgert den Rattenkönig, denn vielleicht hatte Shredder ja von Anfang an gar nicht vor, seinen Teil des Deals einzuhalten?

„Ich verlange außerdem eine Anzahlung“, fordert er deshalb noch und funkelt Shredder vor sich finster an. „Ich traue dir nicht. Du könntest vorhaben, mich zu betrügen. Aber mit Anzahlung gehe ich wenigstens nicht völlig leer aus.“

Shredder mustert ihn eine Weile schweigend.

„Ich brauche Bedenkzeit.“

„Sei morgen früh um acht da. Dora wird auf dich warten.“ Liebevoll streichelt er die schwarze Ratte auf seinem Knie am Köpfchen.

„Morgen ist Sonntag“, erwidert Shredder abwehrend. „Sorry, da arbeite ich nicht.“

Rat King verbeißt sich ein Schmunzeln. Er liebt es, wenn sich das Opfer widerspenstig gibt, obwohl es doch weiß, dass ihm eigentlich gar keine andere Wahl mehr bleibt.

„Morgen früh um acht“, wiederholt er daher unnachgiebig und gibt ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er wieder verschwinden darf. Als Shredder sichtlich zögert, springen ungefähr fünfzig Ratten heran und stellen sich einen Meter vor ihm auf die Hinterpfoten und zischen drohend.

Es sind nur Ratten, ein Fußtritt und sie sind Geschichte, aber Shredder respektiert Rat Kings Reich und seine Bewohner tatsächlich. Er verbeugt sich kurz in Richtung des Rattenkönigs auf sehr japanische Art und kreiselt dann auf dem Absatz herum, wobei sich das Cape hinter ihm eindrucksvoll aufbauscht und lässt sich von der Meute schwarzer Ratten hinausbegleiten.

Rat King sieht ihm nachdenklich hinterher. Dann seufzt er einmal tonlos auf, sinkt wieder etwas in sich zusammen und schlägt den Teil seines geflickten Mantels zurück, mit dem er seinen Schoss bedeckte. Anklagend starrt er auf die deutliche Beule, die sich in seinem Schritt abzeichnet.

Jesses. Das wird wohl wieder eine lange, frustrierende Nacht.

„Alles Gute zum Jahrestag“, murmelt er, setzt sich dann so hin, dass er den Rücken an einer Armlehne abstützen und die langen Beine über die andere baumeln lassen kann und starrt bitter nach oben an die rissige, pilzverseuchte Mauerdecke.

„Ich hoffe, du hast das Müsli gegessen, bevor dir aufging, dass das keine Rosinen, sondern Rattenköttel sind, du Scheißkerl.“

 

Rückblende Sonntag I

Kapitel 4

 

Rückblende - Sonntag

 

Rat King hat nie wirklich damit gerechnet, dass Shredder pünktlich – oder überhaupt – bei ihm auf der Matte steht. Er erscheint wenigstens nicht unangemeldet. Rat King war vorgewarnt, seine Ratten haben ihm seine Ankunft gemeldet, noch bevor sich Dora wieder auf den Weg machte, von daher gelingt es ihm, sich seine Verblüffung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.

Er kann sein Glück gar nicht fassen. Nicht nach dieser beschissenen Nacht.

Er hasst Liebeskummer.

Shredder begrüßt ihn auf die gleiche Weise wie am Vortag und erklärt ihm dann, dass er bereit ist, seine Bezahlung wie vorgeschlagen zu akzeptieren.

„Ich habe nur eine Bitte“, schließt er dann und gibt sie, auf ein aufforderndes Kopfnicken von Rat King hin, kund.

Der verzieht keine Miene, gönnt sich aber den Luxus, kurz darüber nachzudenken. Shredder hat sich die Entscheidung eindeutig nicht leicht gemacht, Körperhaltung und Stimme sind dazu viel zu beherrscht, und Rat King fragt sich: würde er Shredders Wunsch abschlagen, würde dieser dem Deal dennoch zustimmen? Diesmal ohne Wenn und Aber?

Jesses. Der Kerl kann froh sein, dass er auf diese Spielart selbst nicht steht. Außerdem braucht er es wirklich, wirklich dringend. Von daher...

„Einverstanden.“

Oh. Ist das ein Aufatmen? Hat Shredder gerade eben erleichtert aufgeatmet? Rat King kann sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, doch dann fällt ihm etwas ein und er runzelt die Stirn.

„Bist du hier, weil Krang es dir befohlen hat?“

Der Gedanke daran behagt ihm aus irgend einem Grunde nicht.

„Musste er nicht“, erwidert Shredder leise. „Ehrlich gesagt, weiß er gar nichts von deinen Bedingungen. Aber was soll ich machen? Dieser Clou ist unsere letzte Chance. Das Technodrome fällt auseinander und … Wir sterben da draußen!“

Jesses. Sprachlos starrt Rat King ihn an.

Jetzt tut er ihm fast ein wenig leid.

Aber nur fast.

Sekundenlang starren sie sich nur an.

„Also“, räuspert sich Shredder irgendwann, „wie soll das jetzt ablaufen?“

 

 

Dienstag III

Kapitel 5

 

Dienstag

 

„Was ist denn das für ein verrückter Deal?" Splinter ist fassungslos. „Steht es mit dem Technodrome wirklich so schlimm, dass du so etwas machen musst?" will er von Shredder regelrecht entsetzt wissen.

„Ab heute nicht mehr", gibt dieser triumphierend zurück. „Mit dem, was wir heute erbeutet haben, wird es besser. Und wir kehren eher zurück als dir lieb ist, doppelt so stark und entschlossener als je zuvor."

Splinter starrt ihn einen Moment lang einfach nur an und schüttelt dann den Kopf.

Die Turtles sagen nichts, wirken allerdings etwas bedröppelt, ob nun wegen dem, was sie eben über den Deal gehört haben oder wegen Shredders Reaktion. Die Drohung selbst wird sie wohl kaum erschrecken, so etwas sind sie von ihm gewohnt.

Mit zurückgelegten Ohren und gesträubten Fell richtet sich Splinter an den Rattenkönig.

„Du hast seine Notlage ausgenutzt! Das ist schäbig, selbst für dich! So geht man nicht mit Menschen um!"

„Es war meine Entscheidung!" zischt Shredder ungehalten. „Und ich habe es bisher nicht bereut. Außerdem geht das niemanden etwas an, mit wem ich warum eine Beziehung führe."

Beziehung? Sowas nennst du Beziehung?" beginnt Splinter fassungslos. Er will noch mehr sagen, doch jedes weitere Wort erstirbt ihm auf der Zunge, als er zusehen muss, wie sich Rat King zu dem neben ihm sitzenden Shredder hinüberlehnt, um ihn zu küssen.

Rat King legt alles an Gefühl in diesen Kuss hinein, was er aufbringen kann. Nicht nur für Splinter, sondern vor allem für Shredder.

Er hat das, was sie haben, schließlich „eine Beziehung" genannt!

Damit hatte er nie gerechnet, als er Shredder zum ersten Mal ohne Maske sah.

 

Rückblende Sonntag II

Kapitel 6

 

Rückblende - Sonntag

 

Der Rattenkönig benötigt für gewisse Aktivitäten zumindest ein Mindestmaß an Sauberkeit, von daher geht er mit Shredder in einen anderen Raum, der wohl mal einen Kiosk oder so beherbergte. Rat King nutzt ihn hauptsächlich als Rückzugsort, wenn er mal in Ruhe lesen oder Musik hören will. Jedenfalls ist er groß genug, möbliert und vor allem – sauber.

„Du bist tatsächlich einverstanden?“ hakt er noch einmal nach und sieht zu, wie Shredder mit den Schultern zuckt und sich dann daran macht, sich Stück für Stück von seiner Rüstung zu befreien.

„Wirklich?“ Er kann es nicht glauben. Das Geräusch, mit dem Shredders metallene Rüstungsteile zu Boden fallen, erscheint ihm wie blanker Hohn. „Ich werde dich nicht schonen“, warnt ihn der Rattenkönig. „Das wird so laufen wie ich es will und zwar nur so.“

Shredder steht mit dem Rücken zu ihm, und daher kann er nicht sehen, wie er mit den Augen rollt, aber er kann es ihm anhören.

„Deine Hilfe bei meinem Plan, die Turtles abzulenken gegen meinen jungfräulichen Arsch. So schwer ist das nicht zu verstehen.“

Er schnaubt einmal und lässt sein Cape zu Boden gleiten.

Jetzt steht er nur noch in Shirt, Hose und Stiefeln vor ihm. Und Helm natürlich. Der Blick des Rattenkönigs saugt sich gierig an dem Mann vor ihm fest. Ja, sehr vielversprechend. Wie erwartet, ist seine Silhouette ohne diese Rüstung viel schlanker. Dass er einen ganzen halben Kopf kleiner ist als Rat King fällt jetzt richtig auf.

Und dann hebt Shredder die Arme und der Rattenkönig spürt, wie ihm das Blut südwärts rauscht. Dieses sichtbare Muskelspiel von Bizeps und Trizeps unter dieser köstlichen, goldbraunen Haut und dann das, was durch dieses enganliegende Shirt schimmert … unbewußt leckt er sich über die Lippen.

„Die Anzahlung jetzt“, wiederholt er ihren Deal, nur, um das wirklich noch einmal klar zu stellen. „Und für jede Stunde, die wir für die Ausübung deines Plans brauchen, bekomme ich einen ganzen Tag mit dir, an dem ich es so oft mit dir treiben kann, wie ich es will.“

Argh, er hätte eine Woche verlangen sollen, nicht nur einen Tag!

„Keine SM-Spielchen“, wiederholt Shredder seine Bitte und zieht sich dann den Helm vom Kopf. Wieder leckt sich der Rattenkönig über die Lippen, als er das schwarze, halblange Haar sieht, das darunter zum Vorschein kommt.

Sekundenlang saugt sich sein Blick einfach an diesem schlanken, verwundbaren Nacken fest.

Anders als bei dem Rest seiner Rüstung geht Shredder mit seinem Helm viel sorgsamer um. Als er sich bückt, um ihn behutsam auf den Boden zu legen und ihm dabei sein Hinterteil präsentiert, hätte ihn Rat King fast von hinten angesprungen. Er kommt nur nicht dazu, weil sich Shredder in diesem Moment wieder zu ihm umdreht.

Wie betäubt starrt ihn Rat King an.

„Das mache ich nicht“, stößt er schließlich enttäuscht hervor. „Ich bin doch kein Päderast.“

Shredder blinzelt verdutzt. „Was?“

Der Rattenkönig deutet mit einem anklagenden Zeigefinger auf ihn.

„Ich vernasche keine Minderjährigen. Eigentlich vernasche ich gar nichts, was unter fünfundzwanzig ist.“ Er holt einmal tief Luft, während Shredder nur amüsiert die linke Augenbraue hebt und will dann lautstark wissen:

„Wie alt bist du?“

Shredders Lippen verziehen sich zu einem feinen Lächeln.

„Definitiv älter als fünfundzwanzig, so viel kann ich dir versichern.“

„Glaub ich nicht“, murmelt der Rattenkönig und kann dabei nicht aufhören, diese einladenden Lippen anzustarren. Sie scheinen ihm förmlich zuzuschreien: Küss mich. Küss mich. „Du bist nie im Leben älter als neunzehn. Höchstens zwanzig.“

„Willst du meinen Pass sehen?“

„Der ist bestimmt gefälscht.“

„Ja, klar, ich gehe auch das Risiko ein und lasse mich wegen Passfälschung einbuchten, während ich versuche, die Welt zu erobern.“

Einige Sekunden lang starren sie sich nur an, dann geht der Rattenkönig auf ihn zu und bleibt erst einen halben Meter vor ihm stehen, um dieses so verdammt jugendliche, absolut faltenfreie Gesicht genauer zu mustern. Aber das ist ein Fehler, denn jetzt, wo er ihm so nah ist, kann er ihn auch riechen. Und er riecht … er riecht … unwillkürlich lehnt er sich vor, bis seine Nasenspitze fast Shredders Wange berührt. Sauber. Er riecht sauber. Einfach nur sauber.

Sein Geruchssinn, hier im Untergrund durchweg nur Beleidigungen gewohnt, erleidet fast einen Freudenschock.

„Ich gehe mal davon aus, dass das bedeutet, dass du meinen Pass nun doch nicht sehen willst?“ dringt plötzlich Shredders leise, amüsierte Stimme an sein Ohr.

Erschrocken wird sich der Rattenkönig zweierlei bewusst: erstens schmiegt er seine Wange gegen Shredders und zweitens haben es sich seine Hände schon wie von selbst auf dessen Hüften bequem gemacht. Oh, und was für Hüften das sind!

Und in diesem Moment wird ihm klar, dass er seinen ursprünglichen Plan nicht mehr durchziehen kann.

„Es tut mir leid“, erklärt er grollend, während sich seine Finger unter Shredders Gürtel verhaken. Streng sieht er in diese braunen Mandelaugen. „Eigentlich wollte ich es das erste Mal schnell machen. Dich ohne Rücksicht auf Verluste einfach gegen die Wand vögeln. Aber jetzt werde ich mir Zeit nehmen. Sehr viel Zeit.“

„Stehe ich unter Welpenschutz?“ flachst Shredder. Ihn scheint das alles wirklich zu amüsieren.

Schreckt ihn die Vorstellung wirklich nicht oder strotzt er tatsächlich nur so vor Selbstvertrauen?

„Nein“, erklärt der Rattenkönig grimmig und zieht ihn mit einem Ruck zu sich heran, so dicht und noch näher, bis sich ihre Körper berühren – vor allem ihre Unterleiber und Shredder spüren kann, was da auf ihn wartet.

„Kein Welpenschutz. Schlimmer. Viel schlimmer. Ich bin ein Mann, der schöne Dinge zu schätzen weiß. Ich gebe nicht auf, bis sie mir gehören.“ Er lehnt sich etwas nach vorne und flüstert in Shredders Ohr: „Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du mich anbetteln, diesen Deal zu verlängern.“

Und jetzt erhält er seine langersehnte Reaktion, auch, wenn er nicht weiß, ob das an seinen Worten oder der Art liegt, wie er sie gegen Shredders Ohrmuschel haucht: Shredder erschauert.

Für ein paar Sekunden lang bleiben sie einfach, wo und wie sie sind – Shredder, weil er nicht weiß, was er sonst tun soll und der Rattenkönig, weil er es einfach genießt.

Und versucht, eine Entscheidung zu treffen.

„Nimm deine Sachen“, befiehlt er Shredder schließlich, während er ihn auffordernd von sich schiebt. „Das, was ich mit dir vorhabe, mache ich bestimmt nicht hier unten.“

 

Dienstag IV

Kapitel 7

 

Dienstag

 

„Er ist vor einem dreiviertel Jahr in diesen mutagenverseuchten Tümpel in Florida gefallen“, erklärt Splinter an dieser Stelle ungefragt. „Und sieht deshalb so jung aus.“

„Ja, stimmt, ich erinnere mich“, lacht Leonardo. „Da ist er doch zu einem Kleinkind geschrumpft.“

„Ja, ist er“, erwidert Shredder ungehalten. Er kann es nicht ausstehen, wenn man über ihn redet, als wäre er nicht da, obwohl er direkt daneben sitzt. „Und es hat vierzehneinhalb beschissene Tage gedauert, bis ich wieder erwachsen war. Danke“, zischt er spitz, „wie nett, dass ihr mich daran erinnert.“

„Ah ja“, meint Rat King nur vergnügt, denn ein sich ärgernder Shredder ist ein niedlicher Shredder, „von diesem Jungbrunnen-Gerücht habe ich auch schon gehört.“

Irgendwie, an der Art, wie Splinter davon geredet hat und von den Blicken, die dieser Shredder dabei zuwarf, erwacht in ihm der Verdacht, dass damals noch irgend etwas vorgefallen ist, etwas, das Shredders Hass auf diese übergroße Ratte besänftigt hat.

Nun, er hat vierzehn Tage Zeit, ihn danach zu fragen.

Auf jeden Fall hat er sich wohl gründlich geirrt: anscheinend ist der Altersunterschied zwischen ihm und Shredder doch nicht so groß wie angenommen. Zumindest nicht jener, was die Anzahl der Jahre betrifft, die sie schon auf dieser Erde wandeln. Bei Shredders emotionaler Seite ist er sich da nicht so sicher. Ihm erscheint es eher so, als hätte sich sein Aussehen diesem Teil seines Selbst angepasst.

Jesses. Kein Wunder, dass Splinter hier so den Daddy spielt.

„Und deswegen seid ihr also jetzt zusammen?“ bringt Michelangelos Frage sie wieder auf ihr ursprüngliches Thema zurück. Der Turtle klingt irgendwie … enttäuscht. „Aber na ja“, meint er dann beinahe vorwurfsvoll in Shredders Richtung. „Mehr kann man von dir wohl auch nicht erwarten. Du bist und bleibst eben 'n blöder Schrottfresser und wirst nie ein Romantiker.“

Shredder schnaubt nur und funkelt ihn unter dem Schirm seiner Cap böse an.

„Das war's. Mir reicht's jetzt mit euch. Mehr bekommt ihr nicht zu hören.“

„Brauchen wir auch nicht“, kommt es abfällig von Raphael zurück. „Den Rest können wir uns denken.“

Vielleicht ist es dieser Tonfall, der Shredder explodieren lässt, vielleicht ist sein Nervenkostüm auch nur extrem dünn geworden – jedenfalls springt er mit geballten Fäusten auf. Er vibriert regelrecht vor unterdrückter Wut, die sich jetzt in gar nicht mal so wenigen Sätzen Bahn bricht:

„Das ist sowieso alles nur eure Schuld! Nur wegen euch hängt das Technodrome jetzt schwer beschädigt in der DimensionX fest! Wir haben kaum genug Luft zum Atmen! Wieso müsst ihr immer gleich riesige Löcher in unser Zuhause sprengen? Ich gieße ja auch kein Benzin in eure verdammte Kanalisation und zünde sie an, oder? Und du-“, zornig tippt er dem verdutzten Splinter mit dem Zeigefinger gegen die Nase, „-bring deinen Söhnen“, bei diesem Wort trieft seine Stimme nur so vor Hohn, „doch endlich mal bei, dass ihre Aktionen immer Konsequenzen nach sich ziehen! Meist für andere! Aber ich nehme an, mit den Bösen darf man es ja machen, oder?“

Der verbale Angriff auf ihren hochgeschätzten Sensei lässt die Turtles geschlossen aufspringen und wilde Beschimpfungen ausstoßen, Beleidigungen, die Shredder ihnen nur zu gerne zurückgibt.

Splinter derweil sitzt nur da und beobachtet das Ganze traurig. Und in diesem Moment tut er Rat King einfach nur leid.

Die vier Turtles sind jetzt wie alt? Ungefähr sechzehn? Ja, das Leben mit vier temperamentvollen Teenagern nagt an der Substanz. Kein Wunder, dass Splinter immer auf der Suche nach einem schönen Ort zum Meditieren ist.

Während um sie herum der verbale Austausch kreativer Nettigkeiten in unveränderter Lautstärke weitergeht – was einige von Rat Kings Ratten schon neugierig aus ihren Verstecken lugen lässt – begegnen sich Splinters und Rat Kings Blicke.

Und dann, ganz plötzlich, spürt Rat King ein mentales Zupfen und eine Frage, die nicht von ihm stammt, bildet sich in seinem Geist.

Er blinzelt Splinter erstaunt an. Jede Ratte entscheidet selbst, ob sie Kontakt mit ihm aufnehmen möchte, und was für die kleinen gilt, gilt erst recht für diejenige, die einst ein Mensch war wie Splinter. Bisher hat Splinter sich ihm immer verschlossen, und jetzt sucht er freiwillig Kontakt? Und dann auch noch mit richtigen Worten?

Er ist so verblüfft, dass er zuerst zu antworten vergisst. Doch dann nickt er einmal und wagt auch ein kleines, beruhigendes Lächeln.

Ja, formuliert er klar und deutlich in Gedanken, das werde ich.

Und dann – und das ist ein Experiment, weil das selbst bei seinen Ratten nicht immer funktioniert – schickt er ihm eine Kostprobe seiner Emotionen. Es scheint zu funktionieren, denn Splinters Augen weiten sich kurz und er faltet die Hände vor der Brust, er scheint für einen Augenblick regelrecht ergriffen zu sein.

Für die Dauer einiger Sekunden starren sie sich einfach nur in die Augen und auch wenn die mentale Verbindung von Seiten Splinters wieder gekappt wurde, fühlt sich Rat King ihm immer noch irgendwie nahe.

Erst als ihm eine wilde Geste von Donatello fast den Hut vom Kopf wischt, schreckt Rat King aus dieser merkwürdigen Kommunikation auf.

Seufzend ob dieser Kindereien erhebt er sich, wischt sich Gras und Erde von den Mantelschößen und drängt sich dann rücksichtslos zwischen den Turtles vorbei direkt vor seinen Shredder.

„Lass es jetzt gut sein“, unterbricht er diesen mitten in seiner sehr schönen Schimpftirade. „Das geht alles von meiner Extra-Zeit mit dir ab. Die kann ich viel besser nutzen...“ die Stimme zu einem leisen Gurren senkend, legt er die Finger seiner rechten Hand unter Shredders Kinn und dirigiert seinen Kopf ein wenig höher, damit er ihn besser küssen kann.

Als er diesen viel zu kurzen Kuss wieder beendet und Shredder ansieht, weiß er nicht, ob dieser so erhitzt und atemlos ist, weil er ihn eben geküsst hat oder ob das noch von seiner „Diskussion“ stammt.

Egal.

Der Anblick törnt ihn einfach nur an.

Es wird Zeit, dass sie dieses überflüssige Meeting hier beenden und sich wieder um ihren eigenen Kram kümmern.

Er hat noch einiges vor.

Es soll alles noch viel besser werden als vorgestern.

 

 

Rückblende Sonntag III

Kapitel 8

 

Rückblende - Sonntag

 

Außer seinen kleinen Rattenfreunden hat er noch nie jemanden mit in sein kleines Zuhause gebracht, aber manche Blicke sind es einfach wert, seine eigenen Prinzipien über den Haufen zu werfen.

„Du lebst also nicht in der Kanalisation“, stellt Shredder fest, während er sich in der kleinen Souterrainwohnung umsieht. Dass sie über einen verborgenen Mauerdurchbruch verfügt, der in einen Abstiegsschacht hinunter in den Untergrund führt, überrascht ihn nicht im Geringsten.

Der Rattenkönig grinst nur, bedeutet ihm, sein Bündel, bestehend aus Helm, Cape und Rüstung, auf die Kommode zu legen und zupft sich dann seine eigene Maskierung vom Gesicht. Er fährt sich einmal mit den gespreizten Fingern durch sein rotblondes Haar und dreht sich dann zu dem Japaner um.

„Nur weil mir die Gesellschaft von Ratten besser behagt und ich oft in der Kanalisation bin, heißt das nicht, dass ich ein sauberes, ordentliches Heim nicht zu schätzen weiß.“ Vor allem seiner Nase zuliebe hat er sein bürgerliches Leben noch nicht ganz aufgegeben.

Plötzlich wird er sich bewusst, dass Shredder ihn anstarrt.

„Was ist?“ Unwillkürlich fährt seine linke Hand hoch zu der Narbe an seiner Wange. „Das ist eine Schusswunde. Ich hab Glück, dass es nicht ein paar Zentimeter höher ging. Ich hab mal meinem Land gedient, weißt du? Der Fehler meines Lebens. Aber ich war jung und brauchte das Geld.“

„Es ist nicht die Narbe“, erklärt Shredder gedehnt. „Es ist nur: ich wusste immer, dass sich unter deinen Bandagen nichts verbirgt, dass die nur dienen, um deine Identität zu verbergen. Aber ... du siehst aus wie ein gottverdammter Bankier.“

Das löst bei dem Rattenkönig ein herzliches Gelächter aus.

„Ich bin Bankier“, erklärt er vergnügt.

Shredder fällt in sein Lachen mit ein und zeigt das Victory-Zeichen. Und sein Lachen ist so … wow. Der Rattenkönig hat noch nie etwas so Schönes gehört. Jedenfalls nichts in der Form, dass es ihm ohne Umwege direkt in den Schritt fährt.

Eine Sekunde später ist er bei ihm und zieht ihn zu einem Kuss heran.

 

 

Dieser erste Kuss bestätigt, was er von Anfang an ahnte: diese Lippen sind zum Küssen da. Sie sind weich und zart und der dazugehörige Mann weiß genau, wie man sie einsetzt. Ihm fehlt zwar die Raffinesse eines geübten Küssers, aber das bestätigt den Rattenkönig nur in einem anderen Verdacht: Shredders letzter richtiger Kuss ist lange, lange her.

Das ist schade, aber sein Glück, denn so hat er ihm noch etwas voraus. Ihn zu verführen wird so viel leichter.

Und er schmeckt nach Zahnpasta.

Um Rat Kings Mundwinkel zuckt es amüsiert. Er war also nicht der einzige, der sich auf das hier mit einer Dusche und geputzten Zähnen vorbereitet hat.

„Gehörte küssen zum Deal?“ murmelt Shredder, als sie sich atemlos wieder voneinander trennen.

„Natürlich“, grinst der Rattenkönig im Brustton der Überzeugung, packt ihn am Kragen und verschlingt ihn in einem weiteren Kuss, während seine Hände auf neugierige Wanderschaft gehen.

Und dann merkt er es – Shredder ist nicht halb so cool, wie er sich gibt. Rat King hat schon lange niemanden mehr in den Armen gehalten, der so sehr unter einer harmlosen Berührung von ihm zusammenzuckt und erzittert.

Mit leisem Bedauern beendet er ihren Kuss legt seine rechte Hand locker auf Shredders Schulter nahe des Halses und streichelt mit dem Daumen sanft über die warme, goldbraune Haut, während er ihm prüfend in die Augen blickt.

„Bist du nervös?“ fragt er ihn schließlich direkt.

„Natürlich nicht!“

Das ist so offensichtlich eine Lüge, dass Rat King tatsächlich leise glucksen muss.

„Hey, ist schon okay, wenn du nervös bist. Ich bin es auch. Zumindest ein klein wenig“, schränkt er schnell ein. „Schließlich kennen wir uns kaum.“

Shredder schüttelt ihn ab, weicht einen halben Schritt zurück, ballt die Fäuste und starrt ihn unter ein paar ihm vorwitzig in die Augen fallenden Haarsträhnen finster an.

„Das hier ist nur ein Deal. Es besteht keine Notwendigkeit, uns unsere Lebensgeschichte zu erzählen.“

Rat King mustert ihn einen Moment nur kühl und entgegnet dann trocken:

„Ich bin schwul. Und ich bin sowohl Top wie auch Bottom gerne. Ich weiß genau, was ich tue und worauf ich mich eingelassen habe. Kannst du das auch von dir sagen? Weißt du, was dich erwartet? Weißt du es wirklich?“

Shredder schluckt schwer, starrt ihn aber weiterhin nur grimmig an.

Das ist irgendwie süß. Und Rat King hat ein Faible für Männer, die den Mund zu voll nehmen, sich aber standhaft weigern, sich daran zu verschlucken. Weil er sie dann eines Besseren belehren kann.

Shredder weiß nicht, wieviel Glück er hat. Einzig und allein sein jugendliches Aussehen schützt ihn davor, dass der Rattenkönig ihn einfach packt und aufs Bett wirft, um ihm zu demonstrieren, was er meint.

„Es ist doch egal, ob ich es weiß oder nicht“, schleudert ihm Shredder da herausfordernd entgegen. „Mach mit meinem Körper was du willst, meine Seele bekommst du nicht!“

Das ist so theatralisch, aber Rat King verbeißt sich jegliche Heiterkeit. Shredder ist jung und unerfahren und Rat King verspürt kein Bedürfnis danach, ihm weh zu tun, aber Rat King ist auch kein Heiliger. Der Wunsch, ihm eine harte Lektion zu erteilen, wird ja wohl noch erlaubt sein.

Er atmet einmal tief durch, auch, um seine ansteigende Erregung wieder in den Griff zu bekommen und deutet vielsagend auf sein Bett.

„Wenn du also meinst, du bist bereit – bitteschön. Lass uns anfangen.“

Shredder wird blass, doch er reckt nur entschlossen das Kinn in die Höhe, wirft ihm einen glühenden Blick zu und geht mit stolzer Haltung und festen Schritten direkt auf sein selbstgewähltes Schafott zu.

Bevor er ihm folgt, geht der Rattenkönig noch einmal kurz in die Küche, wo er sich zwei volle Halbliter-Wasserflaschen schnappt. Wenn das hier vorbei ist, werden sie beide durstig sein – vielleicht auch hungrig, aber vor allem durstig – und er kennt sich: er hat dann ganz bestimmt keine Lust, das warme Bett zu verlassen, nur um Wasser zu holen. Und Shredder wird dann wohl kaum noch dazu fähig sein.

Jesses. Er hofft nur, der Idiot hat sich heute nichts mehr vorgenommen.

 

 

Rückblende Sonntag IV

 

Kapitel 9

Rückblende - Sonntag

 

Als er zurückkommt, sitzt Shredder mit gesenktem Kopf im Schneidersitz auf dem Bett und es ist eindeutig, dass er sich ganz weit weg wünscht. Fast bereut der Rattenkönig, was er jetzt machen muss, aber es ist wichtig.

Als Shredder ihn kommen hört, strafft er die Schultern und richtet sich gerade auf. Aber es ist schon zu spät, Rat King hat es gesehen. Und geht schweigend darüber hinweg. Shredder ist nicht nur nervös, er will das hier nicht. Für ihn ist das wohl wie das Ziehen eines faulen Zahnes - wenn es schon sein muss, dann bitte schnell.

Er sieht Rat King aufmerksam entgegen und lässt ihn auch keine Sekunde aus den Augen, als dieser die Flaschen auf den Nachttisch stellt und dann die Utensilien aus der Schublade holt.

Rat King setzt sich ihm gegenüber auf die Matratze und legt die Präservative und die Vaseline zwischen sie.

Er sagt nichts und beobachtet nur Shredders Reaktion. Der verzieht nicht einen Gesichtsmuskel.

Er hat sich gut unter Kontrolle, das muss ihm der Rattenkönig lassen.

„Bevor wir loslegen: hast du irgendwelche Krankheiten, von denen ich wissen sollte?"

Diese Frage erwischt Shredder kalt und lässt die Maske der Gelassenheit zerspringen.

Dennoch sieht er Rat King tapfer in die Augen.

„Nein. Krang ist da sehr kompromisslos. Als die Krankenstation noch voll funktionsfähig war, also so vor zwei Jahren, hat er mich gegen alle irdischen, ansteckenden Krankheiten, die schlimmer als eine Erkältung sind, immunisiert. Und als ich dann vor einem dreiviertel Jahr schrumpfte und wieder groß wurde, hat er die ganze Prozedur sicherheitshalber nochmal wiederholt. Er ist nur ein Gehirn und fürchtet sich daher zurecht vor allem, was krank macht." Er zögert einen Moment. „Also nein, ich bin nicht ansteckend." Er holt einmal tief Luft und funkelt ihn dann auffordernd an. „Und du?"

Rat King mustert ihn kurz und legt dann einen Teil der Utensilien wieder zurück in den Nachttisch.

„Gut", kommentiert er dabei trocken. „Ich mag es auch lieber ohne."

„Hey! Wer sagt mir, dass du nicht ansteckend bist?"

„Da musst du mir wohl vertrauen. Außerdem bist du doch gegen alles geimpft."

„Ja, schon ...", gibt Shredder gedehnt zu. „Aber trotzdem... und wieso jetzt? Da unten hast du mich das auch nicht gefragt. Da warst du bereit, mich einfach ohne Rücksicht auf Verluste … also, wieso jetzt auf einmal diese Vorsicht?"

Die Frage ist gar nicht mal so dumm. Nur leider kann Rat King sie nicht beantworten. Er weiß nur, dass er, sobald er begriff, dass Shredder zwischen fünf bis zehn Jahren jünger ist als er, nicht mehr bei seinem ursprünglichen Plan bleiben konnte.

Jetzt will er mehr als einen Quickie. Viel mehr.

„Du musst mir vertrauen", wiederholt Rat King. Er schiebt die Cremedose aus dem Weg und rutscht ganz dicht an ihn heran. „Ich gebe mir hier Mühe, weißt du? Ich müsste das nicht machen, ich könnte dich mir auch einfach nehmen. Aber das wäre nur ein kurzer Spaß."

Während seiner Worte hat er sich immer weiter zu ihm nach vorne gelehnt, und jetzt berühren sich fast ihre Nasenspitzen und jeder kann den warmen Atem des anderen auf seiner Haut spüren. Rat King starrt eindringlich in diese braunen Mandelaugen und haucht ihm dann einen sachten Kuss auf die Lippen.

„Wenn du willst, dass es für dich auch angenehm wird, musst du mir vertrauen."

Seine rechte Hand landet auf Shredders Knie und streichelt sich langsam über seinen Oberschenkel. Er versucht ihn wieder zu küssen, doch Shredder dreht den Kopf beiseite, stemmt seine Hände gegen Rat Kings Brust und schiebt ihn von sich.

„Komm endlich mal zur Sache. Umso eher haben wir das hinter uns. Ich habe einen vollen Terminkalender." Shredder funkelt ihn ungeduldig an und beginn schon mal, Rat Kings Gürtel zu öffnen.

Verblüfft lässt ihn Rat King erst einmal gewähren. Als sich dann Shredders Mut wie erwartet in Luft auflöst, sobald die Hose offen steht und Shredder sehen kann, wie erregt er ist, packt Rat King diese frechen Hände und hält sie fest.

„Ich sagte doch: ich bestimme die Regeln", erklärt er dabei streng. „Und ich sage: mir ist dein angeblich so voller Terminkalender egal. Ich nehme mir Zeit. Sehr viel Zeit."

Shredder schluckt einmal schwer. In seinen Augen flackert es für einen kleinen Moment unruhig auf.

„Ich...", beginnt er trotzig, doch dann erinnert er sich daran, was hier alles von ihm abhängt und senkt ergeben den Kopf. „Natürlich. Es tut mir leid."

Rat King mustert ihn noch einmal streng und gibt dann ein zustimmendes Brummen von sich. Er lässt Shredders Hände los, und während Rat Kings rechte Hand wieder auf Shredders Oberschenkel landet, legt er seine andere in Shredders Nacken und zieht ihn so wieder zu einem Kuss zu sich heran.

Shredder sieht das hier natürlich immer noch als einen reinen Deal an, und das spornt den Rattenkönig nur noch mehr an. Daher legt er sein ganzes Können in diesen Kuss – was ihm nicht schwer fällt, denn er hat wahrlich noch niemals sinnlichere Lippen geschmeckt,.

Und nachdem er genug von diesen süßen Lippen gekostet und Shredder völlig atemlos gemacht hat, flüstert er ihm leise und detailverliebt alles darüber ins Ohr, was er gleich so mit ihm zu machen gedenkt.

Er hat noch keine zwei Sätze gesagt, da wird Shredder schon rot und wendet beschämt den Blick ab. Um Rat Kings Mundwinkel zuckt ein kleines Grinsen, als er das sieht, aber das hindert ihn nicht daran, weiter zu machen und diesmal auch, quasi als Hintergrundbemalung, seine Finger über jeden erreichbaren Flecken nackter Haut wandern zu lassen.

Irgendwann werden seine Worte von hauchzarten Küssen auf Shredders Wange begleitet und es dauert auch gar nicht lange, da ist Shredder noch röter und verlegener und Rat Kings Lippen haben wieder Shredders Mund erreicht und vorbei ist es mit dem bildhaften Heraufbeschwören der Dinge, die da kommen werden. Rat King verwickelt Shredder in einen sanften und zugleich fordernden Kuss und zwingt ihn dabei rückwärts in die Kissen, wo er damit anfängt, seine Worte in die Tat umzusetzen.

 

 

Er packt ihn aus wie ein kostbares Geschenk. Langsam, Stück für Stück weicht die Kleidung. Er streicht sie geradezu zärtlich von dieser warmen, goldbraunen Haut, während er selbst noch völlig bekleidet über ihm kniet.

Es muss Jahre her sein, dass sich Rat King die Zeit und Muße genommen hat, einen anderen Körper so gründlich zu erforschen, wie er es sich jetzt gönnt. Es ist ein seltenes Vergnügen, das es jetzt auszukosten gilt.

Es dauert nicht lange, dann tritt seine eigene Begierde in den Hintergrund und er konzentriert sich ganz darauf, den Körper unter sich erbeben zu lassen.

Aber Shredder ist ein harter Brocken – er ergibt sich nicht leicht und schon gar nicht schnell.

Von daher ist es für den Rattenkönig ein großer Triumph, als er ihm endlich mal ein Seufzen entlockt.

In dem Bestreben, noch mehr solcher Töne zu hören, verdoppelt er seine Anstrengungen.

 

 

Shredder ist so stur und stolz.

Nur passiv da zu liegen und sich verwöhnen zu lassen, behagt ihm eindeutig nicht. Rat King ist größer und stärker als er, aber das hält ihn nicht davon ab, den Widerstand zu proben. Zuerst schleudert er Rat King ein „du bist absolut overdressed“ entgegen und zerrt diesem dann auch schon das Shirt über den Kopf. Der Rest folgt schnell, unter anderem auch Dank Rat Kings tatkräftiger Mithilfe.

Und dann gelingt es ihm irgendwie, sich in eine kniende Position aufzusetzen. Er verkrallt seine Finger in Rat Kings rotblondem Haar und zieht ihn daran grob zu sich heran, um ihm einen unsanften, dominierenden Kuß aufzudrücken.

Rat King geht eine Weile auf dieses Spiel ein, aus eigener Erfahrung wissend, wie wichtig es in dieser Situation manchmal sein kann, vor sich selbst zumindest den Anschein von Kontrolle zu wahren.

Als Shredders warme Finger über seinen Körper streicheln und sich sogar in seine Intimzone wagen, ist er derjenige, der kurz erschauert. Diesmal schreckt Shredder nicht vor seinem eigenen Mut zurück, auch wenn er ruhig etwas beherzter zupacken könnte.

Rat King belohnt ihn damit, dass er sich langsam, aber stetig, die Kontrolle zurückholt.

Er ist behutsam.

Und einfühlsam.

Er bietet sein gesamtes Reservoir an zärtlicher Verführung an, jeden Trick, den er je gelernt hat. Und auch ein paar, die ihm spontan einfallen. Und ehe er es sich versieht, liegt Shredder wieder vor ihm auf dem Rücken und diesmal hat er gar nichts dagegen einzuwenden.

Lächelnd küsst sich Rat King quer über Shredders Brustkorb und dann immer tiefer. Dieser anbetungswürdige Körper vor ihm hungert regelrecht nach Hautkontakt, so sehr, dass er sich in die hauchzarteste Berührung lehnt, jedem geisterhaften Streicheln sehnsüchtig entgegenkommt und es dauert nicht lange, da zittert er vor ungestilltem Verlangen.

Aber Rat King will mehr. Er will nicht nur seinen Körper, er will – und das hat Shredder selbst vorhin so treffend bemerkt – auch seine Seele. Er soll ihm gehören.

Er muss das hier wollen. Unbedingt wollen. Nur so wird er dieses gewisse Level an Vergnügen spüren, das ihn zu einem Süchtigen macht.

Und daher überschüttet er ihn weiterhin mit Zärtlichkeiten, auch wenn sein Körper schon mehr als bereit für ihn ist. Er küsst und streichelt sich gefühlt über jeden Quadratzentimeter dieser schönen, warmen Haut und flüstert süße Nichtigkeiten in sein Ohr, die Shredder verlegen erröten lassen.

Er könnte ihn sich jetzt einfach nehmen, sich rücksichtslos in ihn hineinrammen und doch würde, trotz der Schmerzen, die das verursacht, Shredder nur nach mehr betteln. Mit ein paar harten Stößen hätte er ihn zum Höhepunkt getrieben und könnte dann selbst glücklich und zufrieden in ihm kommen, aber – diese Vorstellung widert ihn nur noch an.

Das ist nicht das, was er will. Nicht das, wie er es will.

Er will, dass sie miteinander verschmelzen. Er will, dass er wenigstens für ein paar kostbare Sekunden das wichtigste in Shredders Leben ist. Er soll alles andere vergessen außer ihm. Nur so wird Shredder ihm je gehören.

Und er will diese göttliche Stimme seinen Namen stöhnen hören. Seinen richtigen, von dem er weiß, dass Shredder ihn kennt.

 

 

„Vic...“ Shredders Stimme versagt, er ringt nach Luft. Seine Finger graben sich noch fester in den Rücken des Rattenkönigs. Der sieht, wie Shredders Lider flattern, spürt, wie er sich ihm entgegenbäumt und dann löst sich aus seiner Kehle ein Röcheln, das schließlich zu einem keuchenden Laut wird:

„Victor!“

Es ist kein Schrei, aber es ist auch sehr schön. Ganz tief aus Victors Brust kommt ein gegrolltes „Saki“, und dann lässt er sich von Shredders Körper mit über die Klippe ziehen und ergibt sich seinem eigenen Höhepunkt.

Der ist so heftig, dass ihm für einen Moment schwarz vor Augen wird. Wow. Wow. Das ist das erste, was ihm durch den Kopf schießt, als er wieder einigermaßen bei sich ist und während er auf das Dröhnen seines eigenen Herzens in seinen Ohren und Knochen lauscht. Wann war das letzte Mal, dass er so heftig kam?

Wann hat es sich zum letzten Mal so wahnsinnig gut angefühlt?

Für die Dauer einiger kostbarer Herzschläge genießt er einfach nur, während Shredder unter ihm noch immer ganz benommen nach Atem ringt.

Dann, bevor sein Partner wieder bei sich ist, rollt Victor sie beide auf die Seite, schnappt sich die Decke, breitet sie über sie beide aus und zieht seinen noch immer heftig zitternden Ninja fest an sich.

Es dauert sehr, sehr lange, bis sich der wieder rührt.

„Arsch“, sagt Shredder schließlich mit erstickter Stimme gegen Victors Schulter.

„Arsch!“ wiederholt er dann etwas lauter und gibt ihm einen Faustschlag gegen die Brust.

Da Victor ihn immer noch sehr nah bei sich hält, hat er kaum Raum, um richtig auszuholen, also wird es kein sehr starker Hieb.

„Du bist so ein gottverdammtes Arsch, Victor Falco!“

„Ich weiß.“ Nicht im geringsten schuldbewusst, drückt Victor ihn enger an sich und streichelt ihm durch das dichte, jetzt etwas verschwitzte Haar. Shredder sträubt sich noch ein wenig, versucht auch wieder, ihn zu schlagen oder nach ihm zu treten, doch er sieht schnell ein, wie sinnlos das ist.

„Ich habe dich gewarnt“, lächelt Victor und haucht ihm einen Kuß auf die Schläfe. „Du wirst mich anbetteln, diesen Deal zu verlängern.“

„Niemals.“

„Doch“, erwidert Victor ruhig und über jeden Zweifel erhaben, „das wirst du, Oroku Saki.“

Danach passiert nichts Spektakuläres mehr. Nach seinem kleinen, eruptiven Temperamentsausbruch ist Shredder erstaunlich handzahm. Er schläft sogar ein, und darüber kann sich Victor nur wundern. Aber er sieht es als Vertrauensbeweis.

Für Victor ist es eine gefühlte Ewigkeit her, dass er etwas Warmes, Lebendiges in seinen Armen hielt und er bemerkt schnell, wie sehr er das vermisst hat. Doch bevor seine Gedanken romantischer Natur werden, setzt er sich vorsichtig, damit Shredder nicht aufwacht, auf und angelt nach seiner Wasserflasche, um diese ungebetenen Sentimentalitäten mit einem großen Schluck Wasser hinunter zu spülen.

Das hier macht er nicht, um sich neu zu verlieben.

Rückblende - In der Nacht von Samstag auf Sonntag

 

Kapitel 10

Rückblende - In der Nacht von Samstag auf Sonntag

 

Dumpf vor sich hinbrütend sitzt Shredder vor seinem Futoni in seinem Quartier und starrt in die Düsternis vor sich. Die Öllampe neben ihm gibt sich alle Mühe, aber sie kann die Dunkelheit gerade mal so auf Abstand halten.

So gerne er würde – er kann nicht aufhören, über Rat Kings Bedingungen nachzudenken. Und das, obwohl er sich schon längst entschieden hat. Es kann nur eine Antwort geben, wenn das Zuhause um einen herum zerfällt und alles mitzunehmen droht, was man sich aufgebaut hat.

Er kann jederzeit auf der Erde neu anfangen, aber Rocksteady, Bebop und vor allem Krang haben nicht diese Chance. Es ist seine Pflicht, alles ihm menschenmögliche in Bewegung zu setzen, damit seine kleine Familie nicht auseinanderfällt.

Seine Antwort steht also fest.

Aber trotzdem kann er nicht aufhören, darüber nachzudenken. Was ihn erwartet. Wie es wohl sein wird. Und wieso in Drei Teufels Namen, er sich auf dem Rückweg Gay-Porno-Hefte besorgt hat! Er hat sie sogar bezahlt!

Beschämt über sich selbst, tastet er hinter sich, um besagte Hefte noch ein wenig tiefer unter sein Bett zu schieben.

Aber ist es denn ein Wunder? Müde verschränkt er seine Arme auf seinen angezogenen Knien und legt sein Kinn auf seine Unterarme. Er ist weich geworden, seit er damals in diesen Tümpel fiel und zu einem Kleinkind schrumpfte. Bebop und Rocksteady und auch Krang haben sich so liebevoll um ihn gekümmert und am Ende hat ihm sogar Splinter geholfen, von den Punk-Fröschen mal ganz zu schweigen – so etwas geht nicht einmal an ihm spurlos vorbei.

Und jetzt sehnt er sich nach Dingen, die er für immer aus seinem Leben verbannen wollte. Weil er vieles erträgt, aber nicht den Schmerz der Zurückweisung. Und dann kommt jemand wie Rat King und stellt ihm wenigstens einen Teil dieses unerreichbaren Kuchens in Aussicht. Einen vergifteten Kuchen, denn es geht hier nur um eine Seite der Medaille. Sex ohne Liebe. Sex ohne Gefühl.

Definitiv nicht sein Fall.

Aber wahrscheinlich in der Hinsicht das Beste, was er jemals bekommen wird.

Und auf alle Fälle das Beste, was er in den letzten Jahren hatte.

Ach – Rocksteady und Bebop sind so glücklich miteinander, er wünschte, er hätte etwas ähnliches. Er gönnt es ihnen von Herzen und ihnen dabei zuzusehen, wie sie Zärtlichkeiten austauschen ist einfach nur wunderbar, aber er ist auch nur ein Mensch und er wird nun einmal schnell neidisch.

Ich will auch sowas.

Aber Rat King? Ernsthaft jetzt? Der Kerl ist einen halben Kopf größer als er und viel stärker – so etwas hat ihn schon immer eingeschüchtert. Natürlich lässt er sich das niemals anmerken, aber sich selbst muß er in der Hinsicht ja nicht belügen, oder?

Immerhin ist Rat King kein Unbekannter, sie haben schon ein paar Mal „zusammengearbeitet“ - wenn man zweimal ein „paar Mal“ nennen kann. Und er ist ein sehr angenehmer Charakter – wenn man ihn nicht sofort als Verrückten abstempelt und sich die Mühe macht, ihm zuzuhören. Der Mann ist intelligent und verfolgt seine Ziele mindestens genauso hartnäckig wie er selbst.

Er ist eine faszinierende Persönlichkeit.

Und hat schöne blaue Augen zu noch schönerem rotblondem Haar. Ob sich seine helle Haut so weich anfühlt, wie sie aussieht?

Argh! Was denkt er hier?

Aufstöhnend rauft er sich die Haare.

Hm … nachdenklich lässt er ein paar Strähnen durch seine Finger gleiten. Puh, die sollte er sich wirklich langsam mal wieder richtig waschen. So richtig mit Shampoo. Aber sie müssen Wasser sparen. Also bleibt ihm nur der Gang in ein öffentliches Schwimmbad irgendwo in New York City. Was das wieder kostet!

Aber so wie jetzt kann er morgen definitiv nicht vor dem Rattenkönig erscheinen.

Und – verdammt nochmal - wie verzweifelt und sexuell ausgehungert muss man bitteschön sein, dass es einem egal wird, ob man mit einer Frau oder einem Mann ins Bett geht?

Rückblende - Sonntag V

Kapitel 11

 

Rückblende - Sonntag

 

Shredder schläft zwei Stunden. Victor hat in der Zwischenzeit sein Wasser ausgetrunken, war einmal im Bad, um das Wasser wieder los zu werden und kroch dann wieder unter die Decke zu seinem lebendigen, so schön warmen Kuscheltier zurück. Desweiteren hat er den restlichen Ablauf dieses Tages durchgeplant. Sie haben bei dieser Anzahlung niemals eine Zeitspanne festgelegt, sondern nur eine Aktivität und die sollte für heute auch besser einmalig bleiben, schon um die Wirkung nicht zu zerstören, aber Victor ist gut gelaunt und hat Lust auf einen Ausklang, der Shredder freiwillig nach noch mehr lechzen lässt. Wobei er wieder bei Romantik und Sentimentalitäten wäre, aber was soll's?

Als Shredder die ersten Anzeichen zeigt, dass er langsam erwacht, verlässt Victor schweren Herzens seine Seite. Er hält es für klüger, wenn Shredder allein aufwacht. Er soll sich ja nicht bedrängt fühlen. Also schlüpft er schnell in Jogginghose und T-Shirt und bleibt ansonsten in der Nähe. In Sichtweite.

Wie weitsichtig diese Entscheidung war, wird ihm bewusst, als Shredder von einer Sekunde auf die andere in die Höhe fährt und sich mit wildem Blick umsieht.

„Willkommen, Dornröschen", neckt Victor ihn und versucht, sich ansonsten so ungezwungen wie möglich zu benehmen. „Wenn du Durst hast, das Wasser steht neben dir, wenn du ins Bad musst, das ist diese Tür." Vielsagend deutet er auf eine Tür, auf der groß und deutlich ein Messingschild vom Brüsseler Männeken-Pis prangt.

Shredder entscheidet sich fürs Badezimmer und um ihm die notwendige Privatsphäre zu geben, verzieht sich Victor in die Küche.

Von dort hört er, wie Shredder seine Kleidung vom Fußboden zusammenrafft und dann im Bad verschwindet.

Victor lässt die Spaghetti in den Topf kochenden Wassers fallen, lauscht auf das Wasserrauschen der Dusche und fragt sich, wann er zum letzten Mal solches Herzklopfen hatte.

 

 

„Und es ist wirklich alles in Ordnung?" begrüßt Victor Shredder besorgt, als dieser vollständig bekleidet und mit einem Handtuch um den Nacken aus dem Bad tritt. „Verletzungen? Schmerzen? Irgendwas in der Richtung?"

Shredder blinzelt ihn verblüfft an.

„Nein. Alles okay. Wirklich." Und dann stutzt er und runzelt die Stirn. „Das... ist das ungewöhnlich? Ich gebe zu, ich habe auch überall gelesen, dass eigentlich..." er verstummt verunsichert, lächelt schief und rubbelt sich mit dem Handtuch die Haare trocken.

Gelesen? Victors linke Augenbraue zuckt kurz in die Höhe, doch er sagt nichts dazu. Er mustert Shredder noch einmal gründlich von oben bis unten und wieder zurück, aber ihm will da jetzt auch nichts auffallen, daher freut er sich einfach mal, so gute Arbeit geleistet zu haben.

„Du hast ein paar Stunden geschlafen", erklärt er dabei. „Wenn du nach einigen Stunden Ruhe mit Problemen aufwachst, heißt das, dein Partner hat Mist gebaut." Seine Lippen verziehen sich zu seinem selbstgefälligen Grinsen. „Ich hab es wohl wirklich drauf, das musst du zugeben."

Shredder starrt ihn für einen Moment einfach nur an und schnaubt dann einmal abfällig.

„Idiot."

Victor grinst noch ein wenig breiter. Ein Schritt, und er steht direkt vor ihm. Er legt seine Hände um Shredders Wangen und gibt ihm einen kleinen Kuss mitten auf den Mund.

„Bleib noch etwas", bittet er ihn. „Ich hab was zum Essen vorbereitet. Mach es dir gemütlich, während ich auch mal schnell unter die Dusche springe."

Er will ihn damit auf die Probe stellen.

Bleibt er oder verschwindet er ganz ninjamäßig, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet?

„Prima“, lächelt Shredder zu seiner großen Überraschung und Freude. „Ich habe einen Bärenhunger.“

 

Dienstag V

Kapitel 12

Dienstag

 

„Hmmmm...“ genüßlich nippt Rat King an dieser schönen, goldbraunen Haut, vergräbt seine Nase unter Shredders linkem Ohr und atmet seinen Duft, seine Wärme zufrieden ein. Endlich. Endlich allein. Na gut, allein waren sie schon auf dem Weg zum Bahnhof, weil Splinter trotz schmerzender Füße darauf bestanden hat, dass er und seine Turtles den ganzen Weg zurück laufen, um die Natur zu genießen. Was Rat King hier wirklich mit „allein“ meint, ist: nur sie beide, ungestört in einem Zugabteil auf einem bequemen Sitz.

Mit einem weiteren „hmmm“ zieht er eine Reihe kleiner Küsse über Shredders Kiefer, hoch zu dessen Mund, wo er sofort diese vollen, weichen Lippen als Sein deklariert. Begeistert stürzt er sich in ihren nächsten Kuss, taucht tief nach diesem unvergleichlichen Geschmack, saugt quasi alles in sich auf, was Shredder ihm gibt. Und er gibt ihm so viel! So viel! Begeistert preßt sich Rat King noch enger an ihn, nicht nur seine Lippen, sondern seinen ganzen Körper, kriecht förmlich auf seinen Schoß, schmiegt und reibt sich an ihm, genießt den geradezu schmerzhaften Druck von Shredders Fingern in seinem Rücken und an seinem Hintern, während sich seine eigenen Finger unkoordiniert durch Shredders seidiges Haar wühlen. Das Basecap ist ihm schon längst vom Kopf gerutscht und auch Rat Kings Fischerhut baumelt eher lästig als elegant in seinem Nacken.

„Hmmm...“ wiederholt Rat King, als sie sich atemlos wieder aus diesem Kuss lösen, legt seine Hände an Shredders Wangen und mustert ihn hingerissen. „Gott“, stöhnt er dann, „hoffentlich kommt hier keiner rein. Die verhaften mich doch sofort wegen Pädophilie.“

Shredder verdreht nur die Augen, verkrallt seine Finger fester in Rat Kings Hintern und ruckt mit seinem Knie einmal nach oben. Rat King stöhnt unwillkürlich auf, grinst aber trotzdem, denn das war ja mal eine nette Art, ihm in den Allerwertesten zu treten.

Er hat schnell herausgefunden, wie leicht es ist, Shredder wegen seines jugendlichen Aussehens zu ärgern und er wird es nie müde, ihn deswegen zu triezen. Denn er liebt es, wenn dann dieses wütende Funkeln in diesen schönen braunen Augen erwacht.

„Du gehörst mir in den nächsten zwei Wochen“, raunt er dunkel, während er Shredder an den Schultern hinunter auf die Sitzfläche drückt, wobei er Shredders Hände von seinem Körper pflückt, um diese dann über seinem Kopf in die Polster zu drücken. „Aber“, ein zärtlicher, viel zu kurzer Kuss, gefolgt von einem tiefen Blick in kastanienbraune Augen, „das heißt nicht, dass ich will, dass du dich unterwirfst, kapiert?“

„Ich sagte, keinen SM-Scheiß“, zischt Shredder aufgebracht. Und dann zeigt er ihm, wie schnell, stark und gelenkig er wirklich ist, denn von einer Sekunde auf die andere findet sich Rat King wieder in sitzender Position mit dem Rücken gegen die Lehne gedrückt und einen vor unterdrückter Wut – oder ist es Erregung? - bebenden Shredder über sich.

„Ich rede nicht von SM“, schmunzelt er beeindruckt, diesen Anblick wilden Temperaments – dunkelglühende Augen, zerzauste Haare und erhitzte Wangen - regelrecht in sich aufsaugend. Er legt seine rechte Hand an Shredders linke Wange, sucht seinen Blick und hält ihn fest.

„Saki“, schnurrt er dann. „Hey – Saki.“ und, als er sich dessen uneingeschränkter Aufmerksamkeit sicher ist: „Sei einfach du, okay? Keine Spielchen.“

Sekundenlang blinzelt dieser ihn einfach nur an. Es dauert eine Weile bis er begreift, was Rat King ihm damit sagen will, aber dann nickt er eifrig.

„Das gilt auch für dich, Victor, okay?“

Seine Wut ist weg, dafür leuchtet jetzt so etwas wie Erleichterung und Dankbarkeit in diesen schönen Mandelaugen.

Hey – Rat King lächelt breit und nickt zustimmend – sie führen eine Beziehung, nicht wahr?

 

 

Dienstag VI

Kapitel 13

Dienstag

 

„Das ist ja 'ne ganz normale Bar", meint Shredder überrascht, kaum dass sie besagte Bar betreten und sich einen Tisch gesucht haben.

Victor grinst amüsiert und hilft ihm, die Reisetasche mit Shredders Klamotten (Helm, Rüstung, Cape, diverses), die sie aus dem Bahnhofsschließfach geholt haben, auf der Sitzbank zu verstauen.

„Dachtest du, ich bringe dich in eine Schwulenbar?"

„Ja", erwidert Shredder erbarmungslos ehrlich.

„Ich mag diese Schwuletten-Treffs nicht", gibt Victor genauso ehrlich zurück. „Die tragen ihr Schwulsein vor sich her wie ein Schild. Nicht meine Community", ergänzt er kopfschüttelnd.

Shredder wirkt irgendwie erleichtert und Victor kann ihm das nicht mal verübeln.

Sie bestellen sich ein Steak mit den dazugehörigen Beilagen zu ihrem Bier und Rat King hat ungelogen noch nie jemanden gesehen, der ein schlichtes Steak mit so viel Genuss verspeist wie Shredder. Und mit so einem schlechten Gewissen.

„Im Technodrome gibt es nur Instant- Fraß", erklärt Shredder auf Victors Nachfrage bereitwillig. „Und das Fleisch, das wir das letzte Mal vom Metzger geklaut haben, mussten wir zu Pökelfleisch verarbeiten, weil die Kühlanlage genauso kaputt ist wie alles andere. Schon mal Pökelfleisch gegessen? Einfach nur ekelhaft. Kein Wunder, dass die Seefahrer früher immer gemeutert haben." Nachdenklich schiebt er seine letzte Pommes Frites mit der Gabel auf seinem Teller hin und her, bevor er sie aufspießt und isst.

„Ich hoffe, sie haben daran gedacht, wenigstens noch einen Supermarkt auszurauben, bevor sie zurückgegangen sind. Ich hab sie immer wieder daran erinnert, aber..." er seufzt einmal tief auf und starrt bedrückt in sein Bier.

Für Victor ist es offensichtlich: es geht ihm nicht um die Nahrungsmittel - er macht sich ganz einfach Sorgen.

„Bevor du in vierzehn Tagen wieder zurück gehst, plündern wir eine ganze Lieferhalle, wenn du willst", verspricht ihm Victor sofort. „Aber zuerst - du hast doch deinen Kommunikator dabei, oder? Gut. Dann ruf sie an."

Shredder zieht ein zweifelndes Gesicht.

„Krang wird nicht gerne ungebeten gestört."

Das ist eine dämliche Ausrede, aber Victor lässt es erst einmal dabei bewenden. Ihn treibt inzwischen eine ganz andere Frage um.

„Wie hast du ihm unser kleines Arrangement eigentlich verkauft?"

Um Shredders Lippen zuckt ein kleines, verlegenes Lächeln.

„Ich hab ihm die Wahrheit gesagt, was sonst? Krang anzulügen bringt nichts. Er bekommt alles irgendwann heraus. Und", setzt er mit blitzenden Augen hinzu, „ich schäme mich nicht für dich."

Er ist wirklich entzückend.

„Und wie", neugierig beugt sich Victor vor, „hat er reagiert?"

Wieder dieses verlegene Lächeln.

„Besser als befürchtet ... Krang war nicht das Problem..."

 

Rückblende - Sonntag VI

Kapitel 14

Rückblende - Sonntag VI
 

Shredder erschauert, kaum dass er durch das Portal getreten ist. Unwillkürlich wickelt er sich in seinen wärmenden Umhang. Es ist kühl im Technodrome, dazu noch ziemlich dunkel und in der Luft hängt immer dieser merkwürdige Staub, in dem sich weiß Gott für Keime und Pilze verstecken. Shredder war noch nie so froh, gegen so gut wie alles immun zu sein.

Nach der frischen (Stadt)Luft auf der Erde fällt es erst richtig auf, wie schlecht die Luft hier ist.

Es gibt Bereiche des Technodromes – und es kommen täglich mehr dazu - die kann man nur noch mit Atemmaske betreten.

Ein großer Teil von ihm wünscht sich zurück zum Rattenkönig, aber das wäre Verrat, also schämt er sich dafür.

„Ah, Shredder, da bist du ja endlich." Krang erwartet ihn schon ungeduldig. Die altmodische Öllampe in einem seiner Tentakel wirft ein ungesundes gelbes Licht auf die Plexiglaskugel, in der er als Schutz vor Kälte und Staub sitzt. Licht, das sich in seinen violetten, müden Augen bricht. „Hat es sich gelohnt, kostbare Portalenergie zu verschwenden? Hat der Rattenkönig sich entschlossen, uns zu helfen? Und warum hat das überhaupt so lange gedauert?"

Krangs Anblick verursacht Shredder ein gewisses Druckgefühl im Brustbereich, aber er ringt sich ein kleines, triumphierendes Lächeln ab.

„Ja, Krang, er wird uns helfen."

Langsam lässt er sich auf ein Knie herab, damit er mit Krang auf Augenhöhe sein kann.

„Diesmal wird uns niemand in die Quere kommen. Diesmal wird es klappen, Krang. Das schwöre ich dir."

Krang mustert ihn durchdringend. Das Ganze mag auch an seinen Kräften zehren, aber seinen Argusaugen entgeht nichts.

„Irgendwas ist anders an dir. Was hat er mit dir gemacht, Saki-chan?"

Shredder verdreht die Augen.

„Du sollst mich doch nicht so nennen, Krang."

„Ich nenne dich, wie ich will, Saki-chan." Krang schweigt einen Atemzug lang und meint dann in geradezu zuckersüßem Tonfall: „Du trägst deinen Helm in der Hand und dein Obi ist sehr nachlässig gegürtet. Und verzeih, aber: du trägst dein Shirt auf links gedreht."

Peinlich berührt legt Shredder erst einmal seinen Helm richtig ab, nämlich auf den Fußboden, während er fieberhaft nach einer intelligenten Antwort sucht. Aber was soll's - früher oder später muss er doch mit der Wahrheit heraus.

„Rat Kings Bedingungen sind etwas ... prekär."

Chefchen!!" Bevor er weiterreden kann, stürmen Bebop und Rocksteady in die Kommandozentrale und begrüßen ihn jeder mit einer freundschaftlichen Umarmung - wobei sie sich zu ihm auf den Boden gesellen und ihre Öllampen gefährlich hin und her schwenken. Klaglos läßt es Shredder über sich ergehen, auch, wenn er das jetzt für stark übertrieben hält - so lange war er schließlich nicht weg und sie wußten ja, bei wem er war.

Trotzdem - sie kommen ungünstig. Alles in ihm sträubt sich dagegen, ihnen zu erzählen, wie genau sein Deal mit Rat King aussieht.

„Uh, Chefchen?" meint Rocksteady plötzlich naserümpfend und weicht etwas zurück, um ihn dann verwirrt zu mustern. „Schweinebacke..." meint er dann leise, zögernd.

„Ja, ich riech's auch, Nasi", erwidert Bebop, der anders als Rocksteady nicht zurückweicht und mit seiner empfindlichen Nase noch einmal prüfend an Shredder schnuppert.

Der läuft puterrot an und schiebt ihn entschlossen von sich.

„Was fällt dir ein-", beginnt er, wird jedoch von Bebop unterbrochen.

„Saki-chan", will er streng wissen. „Ich rieche diesen verrückten Rattenfan überall an dir. Was hat er mit dir gemacht? Oh bitte", jammernd rauft er sich den Irokesen, „sag mir, dass es nicht gegen deinen Willen geschah!"

„Ist das der Preis für seine Hilfe?" entsetzt greift Rocksteady nach Shredders linkem Oberarm und beginnt, ihn zu schütteln. „Sag, dass das nicht wahr ist! Das darfst du nicht machen! Wir können das bestimmt auch ohne seine Hilfe regeln! Wir brauchen ihn nicht! Du musst das nicht machen!"

Mit einem Ruck reißt sich Shredder von ihm los und funkelt dann sowohl ihn wie auch Bebop erbost an.

„Das geht euch nichts an! Das ist ganz allein meine Entscheidung! Und..." er schluckt einmal schwer, als er ihre Mienen sieht, seufzt dann tief und streicht sich das Haar aus der Stirn.

„Hört zu", beginnt er versöhnlich, „ich weiß, ihr macht euch Sorgen um mich, aber das ist völlig unnötig. Ich bin erwachsen und treffe meine Entscheidungen selbst. Und...", er spürt, wie er wieder errötet, „... Victor ist gut zu mir. Ich... will das, okay?"

Seinen Mutanten hat es eindeutig die Sprache verschlagen, sie starren ihn nur fassungslos an.

Krang nutzt diese Pause, um jetzt auch mal zu Wort zu kommen.

„Saki-chan? Wie genau sieht dein Deal mit Victor Falco aka Rat King aus?"

Shredder schluckt einmal schwer, wirft seinen beiden Mutanten noch einen entschuldigenden Blick zu und wendet sich dann um zu Krang. Zuerst überlegt er sich, beschönigende Umschreibungen zu benutzen, aber unter Krangs glühendem Blick entscheidet er sich doch für die schonungslose Wahrheit. Auch, weil ihm keine wirklich beschönigenden Worte einfallen wollen. Manche Dinge sind eben, was sie sind, ganz egal, wie warm die Gefühle sind, die ihn dabei durchströmt haben.

Nach seinen Erklärungen herrscht erst einmal eine angespannte Stille in der Kommandozentrale. Er dreht sich nicht um, aber er kann Bebops und Rocksteadys Blicke regelrecht spüren, wie sie sich ihm in den Nacken bohren. Die beiden sind nicht begeistert.

„Das gefällt mir nicht", meint Krang schließlich und stößt dabei einen heiseren Knurrlaut aus. „Du musst das wirklich nicht tun. Nicht für uns. Wir können auch wie immer gegen die Turtles kämpfen. Es ist ja nicht gesagt, daß sie uns überhaupt erwischen."

„Aber mir gefällt es", murmelt Shredder leise.

„Was?" Krang hat ihn nicht richtig verstanden. Vielleicht traut er auch nur nicht seinem Hörvermögen.

„Ich sagte", wiederholt Shredder laut und deutlich, „dass es mir gefällt. Ich habe letzte Nacht schon gründlich darüber nachgedacht, und ich habe mich entschieden, sonst wäre ich heute gar nicht zu ihm gegangen. Es ist die Sache wert, finde ich."

Hinter sich hört er seine Mutanten entsetzt aufstöhnen, doch er hebt nur den Kopf etwas höher und sieht Krang entschlossen in die Augen.

„Er kann zu einem wertvollen Verbündeten werden, Krang. Auch das ist es wert, finde ich."

Krang mustert ihn mit jenem sezierenden Blick, der ihm immer verrät, dass er durchschaut wurde.

„Gut. Es ist deine Entscheidung, mein Bester. Du hast dir ein wenig Spaß verdient."

 

 

Dienstag VII

Kapitel 15

Dienstag

 

Ungeduldig verlagert Victor sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und wirft einen Blick nach oben. Aber die Stadt ist zu hell, er kann nur den Mond sehen, keine Sterne.

Schade.

Irgendwo da hinten bei den Müllcontainern hört er eine Ratte rascheln. Sie denkt ans Fressen und an ihre hungrigen Kinder im Nest. Und an Sex. Uh. Frivoles kleines Ding.

Victor verbeißt sich ein Grinsen und sieht zu Shredder hinüber, der drei Schritte neben ihm mit seinen Leuten im Technodrome „telefoniert". Jeder vernünftige Mensch hätte das im Warmen, in der Bar erledigt, aber nicht Shredder, oh nein. Aber seine Begründung war einfach nur süß: sie würden die Bar im Hintergrund hören und er wolle ihnen nicht noch unter die Nase reiben, dass er sich amüsiere, während sie in dieser Ruine festsitzen ...

Ehrlich, dieser Mann ist einfach nur süß.

Er will nicht lauschen, aber den wenigen Satzfetzen nach, die er auffängt, scheint die Energiequelle, die sie heute geklaut haben, den erwünschten Effekt zu haben. Es dauert zwar noch etwas, bis alle Reparaturen abgeschlossen sind, aber mit dem Technodrome geht es wieder bergauf.

Man kann Shredder anhören, wie erleichtert er ist.

Als sich das „Telefonat" offensichtlich dem Ende zuneigt, fasst Victor den Riemen der Reisetasche über seiner Schulter etwas fester und geht langsam auf Shredder zu. Er erreicht ihn, als dieser gerade seinen Kommunikator in seiner Jackentasche verschwinden lässt.

„Na, alles paletti da drüben?" erkundigt sich Victor lässig.

„Ja. Danke, dass ich sie anrufen durfte."

Victor starrt ihn einen Moment nur völlig perplex an.

„Gern geschehen", meint er und setzt dann, nur, damit das zweifelsfrei klar ist, hinterher: „Du darfst jederzeit nach Hause telefonieren. Dafür musst du mich nicht fragen."

„Danke."

Wieder starrt Victor ihn nur verdutzt an, beschließt dann aber, das Thema nicht weiter zu vertiefen.

„Komm", meint er nur und wirft ihm seine Tasche zu - er ist schließlich nicht sein Butler, „wird Zeit, dass du deine Schulden bei mir einlöst."

Shredder wird wieder so hübsch rot, doch er lächelt auch. Und bei diesem Anblick fragt sich Victor, wie lange er es wohl noch aushält. Aber er hat auch seine Prinzipien - kein Geknutsche auf offener Straße.

 

 

Es fällt ihm verdammt schwer, seinen Prinzipien treu zu bleiben. Shredder geht zu dicht neben ihm und die Erinnerungen sind noch alle viel zu frisch. Sogar die von Sonntag haben sich tief in sein Hirn geätzt. Sie sind teilweise sogar stärker als die von der Zugfahrt, und dabei sind Letztere gerade mal ein paar Stunden her.

Victor findet es irritierend, wenn sein Körper seinem Verstand etwas diktieren will. Normalerweise, wenn sein Körper sagt: ich will Sex, dann hat sein Verstand das letzte Wort. So gut sollte Mann sich im Griff haben, findet er. Egal, wie hoch der Alkoholspiegel im Blut auch sein mag. Das ist es, was zivilisiertes Benehmen ausmacht.

Aber diesmal ist es nicht die Spannung in seinem Unterleib, dieser Ruf nach Sex, der ihm zu schaffen macht – das empfindet er sogar als sehr angenehm – sondern noch etwas völlig anderes. Etwas viel Emotionaleres. Etwas, was er schon lange nicht mehr verspürt hat. Nicht einmal – und das tut ihm leid, vor sich selbst zugeben zu müssen – bei seinem Ex. Wenn er genauer darüber nachdenkt, gab es dieses Gefühl zwar als sie zusammenkamen, aber selbst damals war es viel schwächer als das, was er jetzt fühlt, wenn er den Mann neben sich nur ansieht.

Und wenn er daran denkt, wie groß sein Liebeskummer war, als sein bescheuerter Ex ihn verließ, obwohl er nur im Ansatz dasselbe für ihn empfand wie jetzt augenscheinlich für Shredder …. dann sollte er schleunigst Reißaus nehmen.

Das wird nicht gut enden. Das wird dich umbringen. Davon erholst du dich nie wieder...

und dennoch …

Als sie schließlich das Mietshaus erreichen, in dem er wohnt, hält er es nicht mehr aus. Er weiß, es ist ein Fehler. Einer, den er immer wieder begeht und den er sich irgendwie nie abgewöhnen kann. Er weiß doch, dass es ein Fehler ist, diesmal ein noch viel größerer als sonst und trotzdem...

Vor der Wohnungstür zieht er Shredder - so warm und bildschön und genauso leicht angetrunken wie er selbst - dicht an sich und in seine Arme. Er riecht nach der Bar, aus der sie gerade kommen - nach kaltem Zigarettenrauch, Steaksoße und Bier - und das hat sich mit seinem Eigengeruch vermischt, daraus ist etwas herbes, absolut männlich-verwegenes geworden und noch nie, nie, niemals hat sich ein Mann in seinen Armen so verdammt gut angefühlt.

Und trotzdem sind die Worte, die auf seiner Zunge liegen, ein Fehler. Aber er kann nicht anders.

„Hm, Saki", murmelt Victor leicht beduselt in Shredders schwarzen Haarschopf, „ich glaube, ich verliebe mich hier gerade in dich. So richtig, mit Haut und Haaren."

Shredder schweigt zuerst darauf, klammert sich nur stärker an Victors Mantel fest und schmiegt sein Gesicht an dessen Hals.

„Gut", gibt er schließlich leise zurück. „Das geschieht dir ganz recht."

 

 

Vielleicht war es diese Bemerkung, die Victor zu dieser Entscheidung veranlasste. Vielleicht der unangenehme Stich in seiner Brust, den diese auslöste. Vielleicht war es aber auch nur zu lange her, vielleicht sehnte sich sein Körper schon viel zu lange danach, mehr zu spüren.

Vielleicht fühlt er sich auch unter Druck gesetzt, Shredder zu beweisen, dass er es ernst meint.

Letztendlich ist es unwichtig, wieso er es tut.

Wichtig ist nur der Ausdruck in Shredders Gesicht, als Victor seine Erwartungen darüber, wie es diese Nacht ablaufen soll, auf den Kopf stellt. Victor kann es ihm nicht einmal verübeln – er hat ihm mit seiner Wortwahl und seinen Forderungen, was diesen Deal betrifft, ja keine andere Wahl gelassen als genau so zu denken.

Victor hat nicht gelogen, als er ihm verriet, er sei genauso gerne Bottom wie Top. Und ja, Shredders überraschte Miene, als Victor sich einfach selbst kompromisslos auf ihn pfählt, ist Gold wert.

Den leichten Schmerz in seinem Hinterteil, den das verursacht, weiß er zu würdigen – selbst Schuld, wenn man es so eilig hat.

Und als er Shredder da so liegen sieht, mit diesem glühenden Blick, der sich ihm tief unter die Haut brennt, und ihn dazu noch in sich spürt, diese Verbindung, kann er gar nicht anders als sich zu ihm hinunterzubeugen. Nicht nur, um sich einen leidenschaftlichen Kuss zu stehlen, sondern auch, um ihn zu spüren. Es war ihm bisher nicht klar, aber sein Hunger nach Wärme und Nähe steht dem Shredders in nichts nach.

Und an dieser Stelle sagt er Vernunft und Verstand nur zu gerne Adieu und lässt sich fallen.

 

 

Es dauert ziemlich lange, bis sein Verstand wieder zurückkehrt. Das erste, was er spürt, ist das tiefe, singende Gefühl tiefster Befriedigung irgendwo ganz tief drin in ihm, das nur langsam durch andere, weltliche Dinge abgelöst wird. Ein heftig pochendes Herz, ein kleiner Anfall von Luftnot und vor allem – das Wichtigste: Wärme. Ein warmer, lebendiger Körper und klebrige Nässe überall.

Der scharfe Duft von Schweiß und Sex umhüllt ihn, weist sein träges Hirn darauf hin, was hier geschehen ist und wieso er sich so matt und zufrieden fühlt.

Und dann erinnert er sich langsam auch wieder und für einen kurzen, kostbaren Moment badet er darin.

Aber je klarer er wird, desto bewusster wird er sich, dass er Shredder immer noch in seinen Armen hält.

„Hey, wo willst du hin?“ Shredder klingt leise und erschöpft, doch der Griff seiner Hand um Victors Taille ist sehr, sehr fest.

Victor, der gerade dabei war, sich von ihm fort auf die andere Seite zu drehen, erstarrt verwirrt mitten in der Bewegung und fällt gehorsam wieder zurück in seine alte Position. Das heißt von Angesicht zu Angesicht, dicht an dicht, zurück in Wärme und Nähe. Zuerst zögerlich, doch dann immer sicherer werdend, wagt er es, Shredders Geste zu entgegen und seinerseits einen Arm um ihn zu legen. Es dauert eine Weile, bis seinem benebelten Gehirn bewusst wird, dass er dabei war, in alte Gewohnheiten zurück zu fallen.

„Du magst das?“ fragt er leise, hoffend, während seine Hand sanft über diese schöne, goldbraune und jetzt auch sehr verschwitzte Haut streichelt.

Shredder gibt nur ein zustimmendes Brummen von sich und kuschelt sich enger an ihn. Sein Atem ist ein warmer, schneller Hauch an Victors Schulter. Er schmiegt sich so mühelos an Victors Körper, als wäre er dafür geschaffen. Noch nie war ein Größenunterschied von einem halben Kopf so perfekt!

„Wir sind so kompatibel“, stellt er leise staunend fest.

„Sagte der, der mir eben die kalte Schulter zeigen wollte...“ grummelt es verschnupft gegen seine Schulter.

„Verzeih“, lächelnd schließt Victor seine Arme etwas fester um ihn. „Die Macht der Gewohnheit. Mein Ex stand gar nicht auf Kuscheln nach dem Sex.“

„Und was war das vorgestern?“

„Ich sagte nicht, dass ich nicht darauf stünde, oder?“

Shredder schweigt einen Moment.

„Wie lange hast du es denn mit diesem idiotischen Produkt eines Eisschranks ausgehalten?“ fragt er dann mit kaum verhohlener Verachtung für diesen „Eisschrank“ in seiner Stimme.

„Drei Jahre.“ Victor hört und spürt, wie Shredder etwas hin und her rutscht, um eine bequemere Position zu finden. Als er sie schließlich gefunden hat, fühlt er sich von Armen und Beinen gleichermaßen umschlungen. Jesses – er hat sich einen Oktopus eingefangen!

Er liebt das!

Begeistert senkt er den Kopf etwas, vergräbt seine Nase in Shredders schönem, schwarzem Haar und zieht seinen Duft tief in seine Lungen. Es riecht nach Schweiß und Sex und kaltem Rauch, Steaksoße und einem letzten Hauch von Wald und Laub und Gras. Ein ganzer Tag steckt in diesem Duft.

„Er hat sich vor drei Wochen von mir getrennt“, hört er sich plötzlich selber sagen. „Erklärte mir, ich sei zu langweilig, nahm mir den Schlüssel zu seiner Wohnung ab und setzte mich vor die Tür wie einen Sack Müll.“

Daraufhin schnaubt Shredder nur und platziert einen kleinen Kuss an seinem Hals, bevor er sich wieder eng an ihn schmiegt.

„Ich nehme mal an, er kannte nur Victor, aber nicht den Rattenkönig?“

„Soll das heißen, ich bin langweilig, wenn ich nicht als Rat King unterwegs bin?“ protestiert Victor leicht gekränkt.

„Nee.“ Mit einem genervten Seufzer hebt Shredder den Kopf und reckt sich ihm entgegen, bis ihre Gesichter auf gleicher Höhe sind. Jedes seiner Worte verursacht einen warmen Hauch auf Victors Lippen und sie sind sich so nahe, dass er die kleinen goldenen Sprenkel in Shredders braunen Augen sehen kann. „Das heißt nur, dass das nicht passiert wäre, wenn du du gewesen wärst.“ Er lächelt und Victor lächelt unwillkürlich zurück, als er versteht, dass sie beide gleichzeitig an seine Worte im Zug denken.

Sei einfach du, okay?

„Victor Falco ist Rat King und Rat King ist Victor Falco“, fährt Shredder dann fort. „So, wie ich Oroku Saki und immer gleichzeitig auch Shredder bin. Kann man nicht trennen. Ist nun mal so. Ich hab auch lange versucht, Oroku Saki abzuschütteln, aber das geht einfach nicht. Eine Maske hilft nur, so zu tun, als wäre man jemand anders. Du hast dich in deiner Beziehung mit diesem Eisschrank verbogen, und was hat es dir eingebracht?“

„Dich“, stößt Victor spontan hervor. Er will ihn küssen, aber Shredder kommt ihm zuvor.

Und schon wenig später wälzen sie sich in den Laken und machen da weiter, wo sie vor zehn Minuten aufgehört haben.

 

Mittwoch

Kapitel 16

Mittwoch

 

Jeder Mensch hat so seine Macken. Victor weiß das nur zu gut. Er hat drei Jahre lang mit dem König aller Macken zusammengelebt – zumindest die meiste Zeit über. Er wusste schon, wieso er seine kleine Souterrainwohnung nicht aufgab, selbst, als sie offiziell zusammenzogen. So gerne er sich in die verlassene Subway-Station zurückzieht – es stinkt dort unten!

Aber er brauchte einen Rückzugsort. So etwas wie diese Souterrainwohnung.

Sein Ex war ein furchtbarer Gesundheitsfanatiker – „das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages“, sagte er immer und tafelte sich den Tisch dann mit Eiern, Salat, Obst, Müsli, Brot und Käse voll. Und dazu gab es immer einen Smoothie – je nachdem, welche Geschmacksrichtung gerade angesagt war. So ein Frühstück konnte bei ihm locker eine Stunde dauern. Er hat es regelrecht zelebriert.

Victor hat es gehasst, vor allem, weil er zum Frühstück höchstens ein paar Cornflakes runterschlingt. Wenn überhaupt. Meist reicht ihm eine Tasse Kaffee. Die Umerziehungsversuche seines Ex' waren eine seiner Macken, die er zu tolerieren gelernt hatte.

Er hatte noch viele andere, vor allem beim Sex, der schon sehr bald nach den ersten wirklich befriedigenden Monaten so gut wie gar nicht mehr stattfand. Victor muss es sich eingestehen: er war in eine Diva und Dramaqueen verliebt. Und kann sich jetzt gar nicht mehr erklären, wieso.

Shredder dagegen … als Victor ihn fragte, was er zum Frühstück haben wolle, meinte der zuerst verschmitzt „dich“, und dann lachten sie gemeinsam über diesen Scherz, der eigentlich gar keiner war, weil Shredder sich dann tatsächlich ein Kuss von ihm stahl. Letztendlich stellte sich heraus, dass Shredder keine Ansprüche ans Essen stellt, und ans Frühstück schon mal gar nicht.

Das ist so herrlich unkompliziert, dass Victor ihm dafür fast um den Hals fiel.

Von daher fiel es ihm besonders schwer, was er ihm dann sagen musste. Aber Shredder nahm es erstaunlich gelassen auf.

Und auch jetzt ist da kein Anzeichen von Groll an ihm, als sie zusammen vor Victors Ankleidespiegel stehen.

Shredders Hände sind schnell und geschickt und sehr zielsicher. Auch seine Miene wirkt sehr konzentriert. Victor kann seinen Blick gar nicht von ihm abwenden. Nur in Jeans und T-Shirt sieht er wieder erschreckend jung aus.

„Lästig."

„Tut mir leid", murmelt Victor geknickt.

„Nein", erwidert Shredder, während er ihm die Krawatte fertig bindet, „ich meine diesen blöden Windsor-Knoten, nicht dein Kundengespräch. Du arbeitest nun einmal bei der Bank und wenn der Kollege ausgefallen ist und du der einzige bist, der sich noch da auskennt..." Er zuckt mit den Schultern. Victor hat eben erst heute mit ihm gerechnet, und so wie es aussieht, erst Mittags herum und es wundert ihn überhaupt, dass Victor sich so spontan Urlaub nehmen kann. Er muss bei seiner Bank ein angesehener Mitarbeiter sein, anders kann er sich das nicht erklären.

„Geh zu deinem Großkunden, verdien' dir eine saftige Provision. - So, fertig."

Er streicht noch einmal glättend über das Revers und tritt dann einen Schritt zurück, um sein Werk kritisch zu betrachten. Er muss schon sagen, dieser beigefarbene Anzug steht ihm wirklich ausgezeichnet.

Er sieht richtig gediegen aus.

Victor Falco, der Bankier. Hol's der Teufel.

Er muss sich sehr beherrschen, um ihm nicht auch noch ein paar vorwitzige Strähnen seines rotblondes Haares aus der Stirn zu streichen. Sicherheitshalber verschränkt er die Arme hinter dem Rücken.

„Perfekt", meint Victor, nachdem er einen prüfenden Blick in den Spiegel geworfen hat. „Danke. Lernt man sowas als Ninja?"

„Der Knigge gehörte zwar auch zum Programm, aber wie man eine Krawatte bindet, wusste ich schon weitaus früher, dank meiner Schuluniform."

Ein langer, geradezu hungriger Blick aus stahlblauen Augen streift ihn.

„Du sahst bestimmt bezaubernd aus in deiner Schuluniform."

Aber als Victor nach ihm greifen will, gibt ihm Shredder nur einen Klaps auf die Finger und tänzelt außer Reichweite.

„Musst du nicht los? Na los, hau ab. Ich stopp derweil die Zeit."

„Ich versuche, in drei Stunden zurück zu sein“, verspricht Victor, durch Shredders Angebot, ihm die nächsten Stunden gut zu schreiben, nur zusätzlich motiviert. Er macht es schon wieder – das muß etwas bedeuten, nicht wahr?

„Gut. Soll ich mich schon mal um den Lunch kümmern oder hattest du in der Hinsicht andere Pläne?"

Victor blinzelt ihn für einen Moment verdutzt an, fasst sich aber schnell wieder.

„Überrasch mich."

„Gut. Ich schau mal, was ich aus deinen Vorräten so zaubern kann. Aber“, setzt er mit erhobenem Zeigefinger hinzu, „bilde dir nicht ein, dass das jetzt immer so läuft."

„Nein, natürlich nicht“, erwidert Victor, schnappt sich blitzschnell sein Handgelenk und zieht ihn daran zu sich heran, um ihm einen leidenschaftlichen Kuss aufzudrücken. Es dauert eine Weile, bis sie sich wieder trennen, und dann sind sie beide ziemlich atemlos.

„Du bist schließlich mein Gast“, erklärt Victor dann noch. Jesses, er wünschte, er müsste nicht gehen!

Bevor er endgültig die Wohnung verlässt, gibt er ihm noch einen weiteren Abschiedskuss – diesmal jedoch nur auf die Wange. Und dann rutscht es ihm heraus:

„Bye, Cutie.“

 

 

Cutie – huh? Ein wenig aus der Fassung gebracht starrt Shredder dem Rattenkönig hinterher, wie dieser die Treppe hinaufgeht und durch die Haustür verschwindet. Dann fällt ihm siedendheiß ein, dass ihn Nachbarn sehen könnten und schließt hastig die Wohnungstür hinter sich.

Er weiß nicht, wie das ist mit dem Getratsche der Nachbarn in diesem Haus, aber er will Victor nicht in Schwierigkeiten bringen. Besser, er verhält sich so unauffällig wie möglich. Also auch keine laute Musik oder TV.

Langsam schlendert er in die Küche und macht sich an eine Bestandsaufnahme des Inhalts des Vorratsschrank. Victor scheint ein sehr ordentlicher Mensch zu sein. Alles ist gut gefüllt und gut sortiert. Gefriertruhe und Kühlschrank sind etwas leerer, aber auch das ist immer noch mehr als sie im Technodrome haben. Bei dem Gedanken und dem Anblick bekommt er sofort wieder ein schlechtes Gewissen...

Aber laut Krang haben sie daran gedacht, Lebensmittel mitzunehmen und sind jetzt gut versorgt. Und vielleicht sollte er wirklich einmal auf Krang hören und die Zeit hier einfach genießen.

Etwas, was ihm in Anbetracht der letzten achtzehn Stunden nicht schwer fallen wird. Er muss zugeben – er hat sich in Victor getäuscht. Das am Sonntag hielt er für einen vergifteten Köder, schließlich gehört die Masche, jemanden mit wahnsinnig gutem Sex gefügig zu machen, zu den ältesten der Welt. Aber dann gestattet ihm Victor auch noch danach einzuschlafen, die Dusche zu benutzen und kocht für ihn … und danach kuscheln sie zusammen auf dem Sofa und sehen sich einen Videofilm an, von dem er am Ende gar nichts mehr weiß, weil Victors Hände überall auf seinem Körper waren und wieder all diese warmen Gefühle in ihm auslösten.

Und als es daran geht, dass Shredder seinen Part der Abmachung einhält, macht Victor genau da weiter, wo sie Sonntag aufgehört haben. Er ist sanft, zärtlich und aufmerksam; lässt sich von Shredder vögeln, obwohl es eigentlich anders herum sein sollte, und er sagt ihm, er habe sich in ihn verliebt und nennt ihn zum Abschied Cutie...

„Oh, verdammt, Victor“, seufzend fährt sich Shredder mit der rechten Hand über die Stirn. „Wenn das so weitergeht, fange ich auch noch an, mich in dich zu verlieben.“

 

 

Es fühlt sich an, als wären sie in einer richtigen Beziehung - auf dem ganzen Weg von seiner Arbeitsstätte zurück in seine Wohnung und erst recht, als er die Tür aufschließt und Shredder da steht und ihm ein fröhliches „Willkommen Zuhause“ entgegen schmettert.

What the fu – das ist ihm noch nie passiert, noch niemals!

Victor ist so begeistert darüber, dass er sich ganz vergisst. Und ehe er es sich versieht, hat er Shredder an den Hüften gepackt, gegen die nächstbeste Wand gedrückt und küsst ihn so lange und ausgiebig, bis ihnen beiden der Atem wegbleibt.

„Wow!“ schnappt Shredder überrascht nach Luft.

„Du bist großartig!“ lobt Victor zur gleichen Zeit und macht sich gleich wieder daran, diese köstlichen Lippen in Besitz zu nehmen.

Als er diesen leidenschaftlichen Kuss irgendwann wieder löst, starrt er in ein erhitztes Gesicht und dunkelglühende Augen.

„Naschen vor dem Lunch?“ fragt Shredder mit unglaublich kehliger Stimme, während seine Finger schon zielsicher Victors Krawatte lösen und die ersten Hemdknöpfe öffnen.

„Bett“, raunt Victor und küsst ihn noch einmal. „Sofort.“

„Laß mich nur rasch den Herd ausschalten.“

 

 

 

Zweimal Sex innerhalb von sechs Stunden am helllichten Tage … Victor fühlt sich, als wäre er in einer erotischen Fantasie gelandet. Oder in einem feuchten Traum. Oder zurückversetzt in seine Highschoolzeit. Das ist fantastisch! Er darf und kann endlich mal wie er will. Und er will so viel!

„Du bist wunderbar...“ Er zieht eine Spur heißer Küsse nach der anderen über diese schöne, goldbraune Haut.

Es scheint ihm selbst so, als könne er nie wieder damit aufhören. Es gefällt ihm, wie sich ihm Shredder wohlig aufseufzend entgegenschmiegt, und er liebt es, wie Shredders Finger als Antwort auf diese Zärtlichkeiten entweder in seinem Haar herumwühlen oder sich an ihn klammern. Diese Hingabe, dieses Vertrauen, diese Ehrlichkeit erwärmen sein Herz.

Plötzlich gibt der Mann unter ihm ein sehnsüchtiges Wimmern von sich.

„Victor..." die Finger in seinem Haar ziehen ihn in die Höhe, und dann liegen warme Hände um seine Wangen und er starrt wieder in so dunkelglühende Augen.

„Victor..." ein Raunen, fast nur ein Hauch, ein Atemzug gegen seine Lippen und er fühlt sich gefangen von diesen Augen, diesem schönen Antlitz und diesem erhitzten Körper, der sein Verlangen (nach ihm!) regelrecht herausschreit. Victor glaubt, in diesen Augen etwas zu lesen, etwas, was er schon so lange nicht mehr gesehen hat - jedenfalls nicht auf sich gemünzt.

„Saki...", beginnt er, doch weiter kommt er nicht, denn da zieht dieser ihn schon zu einem tiefen, alles verschlingenden Kuss zu sich herunter. Und nur einen zielgerichteten Hüftschwung später versinkt Victors gesamtes Sein in Leidenschaft, Wärme und Glückseligkeit.

 

 

„Das ist Wahnsinn." Träge und immer noch mit stark klopfendem Herzen streichelt Victor über Shredders Rippen. Der schmiegt sich nur fester und wohlig aufseufzend in seine Arme. Die klebrige Feuchtigkeit zwischen ihnen stört keinen von ihnen.

„Ist es nicht das, was dir vorschwebte?" neckt ihn Shredder leise. „Wilder, hemmungsloser Sex wann immer es dir passt?"

Victor gibt nur ein unbestimmtes Brummen von sich und vergräbt seine Nase in Shredders dichtem Haarschopf, zieht seinen Duft tief in seine Lungen. Wie von selbst folgen seine Finger dem Verlauf von Shredders Wirbelsäule. Das lässt diesen unwillkürlich erschauern und sich noch näher an ihn kuscheln.

„Das magst du, hm?" will Victor wissen und wiederholt seine Liebkosungen.

„Ja", kommt es leise zurückgemurmelt. „Aber sag's nicht weiter. Hab 'nen schlechten Ruf zu verlieren."

Still in sich hineinlächelnd lässt Victor seine Finger noch ein paar Mal zur Belohnung über Shredders Wirbelsäule tanzen. Shredders Verhalten lässt keine Zweifel offen - er genießt das hier nicht nur, sondern will es auch und vor allem: er lässt es zu.

Nun ja, er könnte es als Erfolg verbuchen, schließlich wollte er ihn doch süchtig nach dem hier machen, und genau das ist jetzt der Fall. Oder? Verdammt. Innerlich tief aufseufzend, vergräbt Victor sein Gesicht noch fester in Shredders Haar. Es ist also passiert. Er hat sich verliebt. So richtig. Denn immer, wenn das passiert, regen sich diese kleinen Selbstzweifel in ihm. Hat er alles richtig gemacht? Genügt er? Was kann er tun, um seinen Auserwählten von sich zu überzeugen?

„Victor?" holt ihn Shredders Stimme aus seinen Gedanken.

„Hm?"

Langsam rückt Shredder etwas von ihm ab, ohne sich jedoch vollständig aus seiner Umarmung zu befreien.

„So gerne ich hier auch so mit dir liege, ich habe nicht umsonst diesen Gulascheintopf gekocht. Ich schlage also jetzt vor, wir stehen auf, springen unter die Dusche und essen, okay?"

Wie pragmatisch! Wie unromantisch! Obwohl - Moment mal...

Wir springen unter die Dusche?" wiederholt er stirnrunzelnd.

„Natürlich wir", grinst Shredder, wuschelt fröhlich durch Victors rotblondes Haar und zieht ihn dann mit sich in die Höhe. „Komm schon. Ich habe deine Dusche gesehen - die ist groß genug für uns beide."

 

Mittwoch Abend

Kapitel 17

Mitwoch Abend

 

Dieser Tag war grandios, aber Victor freut sich darauf, ihn perfekt enden zu lassen. Auch wenn Shredder im Moment ein eher zweifelndes Gesicht zieht.

„Wenn ich gewusst hätte, wohin du mich bringst, als du sagtest, dass wir Essen gehen..."

Mit einer betont unschuldigen Miene langt Victor über den Tisch und wischt ihm ein nicht vorhandenes Staubkorn von der Schulter.

„Du passt toll hier rein, keine Sorge", lächelt er dann. „Dieses schwarze Jeanshemd steht dir fantastisch."

So fantastisch sogar, dass er kaum die Hände von ihm lassen kann. Aber so viele unsichtbare Staubkörner gibt es gar nicht und irgend wann wird es auffällig, also nimmt er jetzt lieber die Weinkarte zur Hand.

Dies hier ist zwar ein französisches Restaurant, aber eher eines für „normale" Leute. In Jeans und T-Shirt sollte man hier zwar nicht sitzen, aber Jeans und Hemd sind völlig okay.

„Hier bekommt man doch ohne Reservierung gar keinen Tisch", leichtes Misstrauen schleicht sich in Shredders Miene, je gründlicher er sich umsieht. Gehobenes Ambiente, stilvolle Tischdekoration und der Getränkekarte nach gute Weine.

Und eines muss er zugeben: Victor sieht in seinen hellen Jeans und dem blauen Hemd mit den abgesetzten hellen Brusttaschen einfach nur blendend aus. Es fällt ihm schwer, ihn nicht ständig anzustarren, also kaschiert er das wie schon so oft an diesem Tag mit vorgeschobenen Pragmatismus.

„Wann hast du hier angerufen und diesen Tisch bestellt?"

Denn es ist bestimmt kein Zufall, dass sie einen der besonders schönen Tische, den einzigen mit Sitzbank und etwas abseits gelegen, einen Platz, wo ihre Privatsphäre gewährleistet wird, bekommen haben.

„Sonntag", kommt es verschmitzt zurück, „gleich, nachdem du weg warst."

Und als Shredder ihn daraufhin nur verdattert anstarrt: „Ja, du sagtest, dein Clou steige Dienstag. Und ich habe dich ja eigentlich erst Mittwoch, also heute, erwartet. An deinem ersten Abend wollte ich dir etwas Besonderes bieten. Um", fügt er mit gesenkter Stimme und blitzenden Augen hinzu, „dich in die richtige Stimmung zu bringen."

Shredder starrt ihn weiterhin verdutzt an, blinzelt einmal und weicht dem herausfordernden stahlblauem Blick des Rattenkönigs geflissentlich aus. Stattdessen betrachtet er lieber die noch nicht angezündete Kerze und die gläserne Vase mit den Tulpen und Narzissen zwischen ihnen auf dem Tisch.

„Ich verstehe...", er räuspert sich, hebt tapfer den Blick und wagt ein kleines Lächeln. „Du scheust wirklich keine Kosten und Mühen."

Victor blinzelt schelmisch. „Wofür soll ich meine heute verdiente Provision sonst ausgeben?"

Shredder lächelt zurück, aber noch bevor er etwas darauf erwidern kann, taucht die Bedienung an ihrem Tisch auf. Charmant lächelnd reicht sie ihnen die Speisekarte und zückt dann erwartungsvoll ihren Block.

„Haben die Herren schon die Getränke gewählt?"

Shredder gibt Victor mit einer Geste zu verstehen, dass er ihm allein die Auswahl überlässt, und so bestellt Victor einen guten Rotwein.

Die Frau zögert und wendet sich dann mit einem verlegenen Lächeln an Shredder.

„Tut mir leid, aber kann ich Ihren Ausweis sehen? Alkohol ist für Minderjährige verboten."

Victor bricht in haltloses Kichern aus, tarnt es aber schnell als Hustenanfall, während Shredder erst ihm und dann der Bedienung einen wahren Todesblick zuwirft. Er holt aus seiner Gesäßtasche seine Brieftasche hervor und aus der seinen Pass, den er ihr wortlos reicht.

Sie nimmt ihn mit spitzen Fingern und verwirrter Miene.

„Was ist das?" fragt sie und beginnt ratlos darin zu blättern.

„Ein japanischer Reisepass", erklärt Shredder betont freundlich.

Sie wirft einen kurzen Blick hinein und reicht ihn dann verlegen zurück.

„Ich bringe Ihnen Ihren Wein." Mit diesen Worten eilt sie davon.

Victor gibt auf und bricht in unterdrücktes Gelächter aus.

„Das arme Kind." Dann schnappt er sich das Dokument aus Shredders Hand, bevor dieser es wieder zurück stecken kann, um selbst mal einen Blick hinein zu werfen.

Japanische Reisepässe, stellt er fest, sehen unglaublich cool aus.

Abgesehen von dem Foto, interessiert ihn natürlich besonders das Geburtsdatum.

„Stimmt, du bist definitiv älter als fünfundzwanzig", erklärt er in Anspielung auf ihr erstes Gespräch zu diesem Thema und gibt ihm den Pass zurück. „Aber trotzdem bist du jünger als ich. Und-", fügt er verschmitzt hinzu, „du siehst fast noch jünger aus als auf deinem Foto im Pass."

Shredder steckt erst einmal ganz ruhig seinen Pass wieder ein, dann schnellt er nach vorne, packt ihn am Kragen und zieht ihn quer über den Tisch zu sich hinüber, ganz knapp an der Tischdeko vorbei. Wortlos drückt er ihm einen wilden Kuss auf und lässt ihn wieder los, bevor Victor Gelegenheit hatte, anständig darauf zu reagieren.

Ein tadelndes Räuspern von einem der besetzten Nachbartische erinnert sie daran, dass sie hier nicht alleine sind.

„Keine Sorge", erklärt Shredder dem Pärchen mittleren Alters kühl. „Das geht wirklich in Ordnung. Ich bin viel älter als ich aussehe."

Victor versucht, nicht in hysterisches Gelächter auszubrechen. Wirklich gelingen will es ihm nicht. Es dauert eine Weile, bis er sich wieder gefasst hat. In der Zwischenzeit blättert sich Shredder durch die Speisekarte.

„Na, zum Glück bieten die hier keine Froschschenkel an, dann müsste ich dich nämlich bitten, mit mir dieses Restaurant zu verlassen."

Victor wirft ihm über seine eigene Speisekarte einen neugierigen Blick zu.

„Nicht dass ich Froschschenkel mag, aber: was hast du dagegen, abgesehen von der brutalen Ernte-Methode?"

„Hast du schon mal von den Punk-Fröschen gehört?"

„Ja. Sie sind mit den Grünen befreundet, oder?" Aus Rücksicht auf alle, die hier zuhören, vermeidet er den Namen „Turtles". Sie haben mit diesem Kuss schon genug provoziert, für verrückt muss man sie nicht auch noch halten.

„Leider." Shredder seufzt einmal tief auf. „Ich habe sie gefunden und trainiert. Sie sollten mir gegen die Grünen helfen, aber die haben sie umgedreht und gegen mich gehetzt. Seitdem versuchen die Froggies einfach nur neutral zu bleiben. Irgendwie gelingt es ihnen sogar, sowohl mit denen wie mit mir befreundet zu sein."

„Das klingt wie eine spannende Geschichte."

„Vielleicht erzähle ich sie dir mal", erwidert Shredder ausweichend.

Victor nickt nur und hakt nicht weiter nach. Alles an Shredder verrät ihm, dass er es ihm entgegen seiner Zurückhaltung sehr wohl erzählen will, und so überrascht es ihn auch nicht, dass Shredder es nur bis zum Hauptgang durchhält.

Glücklicherweise.

Victor hat nichts gegen seichten Small Talk, vor allem nicht mit Shredder, aber die letzte halbe Stunde, wo sie erst auf ihr Essen gewartet und dann ihre Vorspeise (vier kreative Grüße aus der Küche) genossen haben, fiel es Victor immer schwerer, sich auf Worte zu konzentrieren. Seine Gedanken wanderten zunehmend in ganz andere Richtungen - und keine davon jugendfrei.

Also nein, als Shredder ihm von sich und den Punk-Fröschen erzählt, ist er geradezu erleichtert. Shredders Stimme ist eine gute Untermalung zum Filet von der Dorade.

Aber es ist, findet Victor, keine schöne Geschichte, auch wenn Shredder sie mit viel Selbstironie würzt.

Victor hasst Illoyalität. Man kann und darf konträrer Meinung sein, aber darüber sollten Freundschaften nicht zerbrechen. Und eine Freundschaft war es, das verrät ihm Shredders schiefes Lächeln.

Es hat ihn sehr getroffen, und er ist eindeutig froh, dass sie inzwischen wieder so etwas wie eine vorsichtige, freundschaftliche Basis gefunden haben.

Aber das wundert Victor nicht im Geringsten.

In Anbetracht der Tatsache, wie gerne und ausgiebig er nach dem Sex kuschelt, ist Shredder unter seiner harten Schale ein sehr harmoniebedürftiger Mann.

Je länger er sich mit Shredder in diesem entspannenden Rahmen unterhält, desto besser versteht er, wieso er sich in ihn verliebt hat. Dieser Kerl besitzt nicht nur ein ansprechendes Äußeres, sondern auch einen brillanten Verstand. Er kann herrlich stur sein, aber er ist nicht engstirnig. Mit den richtigen Argumenten kann man ihn erreichen - wenn auch nicht immer überzeugen. Sich mit ihm zu unterhalten ist niemals langweilig.

Und dazu dieser tiefschwarze Humor...

Er ist einfach nur perfekt.

 

 

War das Essen schon eine Herausforderung für seine Selbstbeherrschung, so ist es der Heimweg jetzt erst recht. Deshalb bemüht sich Victor, den neben ihm schlendernden Mann möglichst nicht öfter anzusehen als nötig. Er versucht, nicht mal daran zu denken, wie bezaubernd Shredder in diesem Kurzmantel mit der Doppelreihe Goldknöpfen aussieht und wie gut ihm dieser lässige Military-Look einfach steht. Er könnte sonst seine Prinzipien vergessen.

Zum Glück ist seine Wohnung nur zehn Minuten entfernt. So lange kann er sich bestimmt beherrschen.

„Das fühlte sich irgendwie an wie ein Date", meint Shredder schon auf den ersten fünfzig Metern vergnügt. „War das ein Date?"

Victor atmet einmal tief durch und ringt sich ein kleines Lächeln ab.

„Das war nur ein Abendessen."

„Oh." Weder Shredders Stimme noch seine Miene verrät, ob er darüber enttäuscht ist.

Victor spürt, wie Schmetterlinge in seinem Bauch erwachen.

„Du merkst es schon, wenn es ein Date ist", verspricht er ihm und schlägt sicherheitshalber einen scherzhaften Tonfall an.

Dabei hat es sich auch für ihn wie ein Date angefühlt.

Verdammt nochmal.

Blöder Mist.

Shredder gibt ein unbestimmtes Brummen von sich. Für die Dauer einiger Atemzüge gehen sie schweigend nebeneinander her.

„Na", meint Shredder dann und tätschelt sich grinsend den eigenen Bauch, „auf alle Fälle habe ich lange nicht mehr so gut und viel gegessen."

Victor stockt einen Moment. In Anbetracht der Schwierigkeiten, in denen das Technodrome und seine Bewohner steckten, ist diese Bemerkung nicht im Geringsten witzig.

Scheiß drauf, denkt er dann, dreht sich zu ihm um und nimmt ihn fest in seine Arme.

„Oh, mein armer Liebling. Dann wirst du ab jetzt gemästet." Und er meint das durchaus ernst. Nicht das mit den Mästen, aber auf regelmäßige Mahlzeiten wird er bestehen.

„Unterstehe dich!" Lachend schiebt Shredder ihn von sich. „Ich muss die überflüssigen Pfunde dann nur wieder abtrainieren."

Victor verbeißt sich ein Schnauben. Als ob Shredder das nötig hätte. Der Mann besteht quasi nur aus Muskeln. Aber trainieren klingt gut.

„Ich gehe regelmäßig zum Kickboxen. Kannst gerne mitkommen. Ich hab schon lange keinen guten Sparringspartner mehr gehabt."

„Ich auch nicht. Rock und Beeps sind keine richtigen Gegner für mich. Ich hab immer Angst, sie kaputt zu machen."

Sie sehen sich einen Moment lang nur an und lachen dann beide beinahe gleichzeitig los. Und können dann irgendwie gar nicht mehr damit aufhören. Sie sind albern, stellt Victor bei sich fest. Das ist schön. Er hat schon lange nicht mehr so unbedarft herumgealbert. Immer noch lachend hakt er ihn bei sich unter und zieht ihn so dicht an seine Seite. Shredder ist hübsch und warm und riecht gut, und ehe es sich Victor versieht, hat er schon seine Nase in diesem schwarzen Haarschopf vergraben und zieht diesen Duft tief in seine Lungen.

„Beeilen wir uns", raunt er verdorben. „Ich hab heute noch einiges mit dir vor."

„Das hoffe ich doch", kommt es regelrecht zurück geschnurrt und dann ist nicht mehr so wirklich klar, wer hier wen eifrig mit sich zieht...

 

Rückblende - Dienstagmorgen

Kapitel 18

Rückblende - Dienstagmorgen

 

Das Licht von zwei weiteren Öllampen macht sein Quartier zwar erfreulicherweise etwas heller, aber trotzdem ist es Shredder nicht wirklich recht, als die beiden Mutanten plötzlich hier auftauchen, während er gerade dabei ist, seine Reisetasche zu packen.

Er braucht das zusätzliche Licht nicht, um ihre grimmigen Mienen zu erkennen. Alles an ihnen verrät ihm, dass sie stinkwütend auf ihn sind. Sie haben bisher zwar keine Diskussion mit ihm losgetreten, aber es gärt in ihnen schon seit anderthalb Tagen und das ist selten gut.

Von daher erwartet er jetzt entweder eine Schimpftirade oder Gejammer und auf beides kann er gut verzichten.

Seine Begrüßung, als sie ungefragt sein Quartier betreten, fällt daher alles andere als freundlich aus.

„Wenn ihr hier seid, um mir das auszureden, könnt ihr gleich wieder gehen."

„Du hörst doch so wieso nicht auf uns", grollt Rocksteady ungnädig.

„Ja“, stimmt ihm Bebop in etwas jammervollem Tonfall zu, „du hast dich entschieden und was wir davon halten, ist dir völlig schnurz."

Oje, wenn sie jeder eine bestimmte Rolle in ihren Auseinandersetzungen einnehmen, fühlt sich Shredder immer gleich doppelt so schuldig. Und so ungerne er es zugibt: Bebops Jammern tut ihm am meisten weh.

„Das stimmt nicht“, widerspricht Shredder, sich um eine kühle Fassade bemühend. „Ich höre mir immer gerne eure Meinung an. Sie ändert nur nichts an meiner Entscheidung."

„Nur weil er vorgestern so nett zu dir war, heißt das nicht, dass es so bleiben wird“, Rocksteady hebt die Öllampe etwas höher, um ihm damit direkt ins Gesicht zu leuchten. „Vierzehn Tage können verdammt lange sein."

Shredder entscheidet sich, lieber nichts darauf zu entgegnen und eine völlig neutrale Miene beizubehalten. Es dauert eine Weile, aber schließlich lässt Rocksteady die Lampe wieder sinken und stellt sie neben sich auf den Fußboden.

„Und weil wir dich kennen..." grimmig stapft Bebop zum Kleiderschrank, sucht kurz darin herum und kommt dann mit ein paar Hemden zurück.

Verdutzt sieht Shredder zu, wie er die Kleidungsstücke an Rocksteady übergibt, der sie prüfend mustert, zufrieden nickt und sie dann in die Reisetasche packt, während Bebop wieder zum Schrank zurückgeht, um mit seinem wollenden Kurzmantel zurückzukommen.

„Ich dachte, ihr seid dagegen?" findet Shredder schließlich seine Sprache wieder, während sich der Mantel zu den anderen Sachen in der Tasche gesellt.

„Sind wir auch", grollt Rocksteady, ein paar der T-Shirts wieder aus der Reisetasche heraussortierend. „Aber wenn du rumläufst wie ein wandelnder Kartoffelsack, könnte er denken, es wäre nichts dabei, dich zu entehren. Wenn du aber in einer eleganten Verpackung steckst, behandelt er dich vielleicht auch dementsprechend."

Entehren? So sehen sie das? Shredders linke Augenbraue wandert in die Höhe. Er beschließt, besser nicht auf diese Bemerkung einzugehen und stattdessen eine andere zu wählen, die genauso sehr nach einer Kommentierung schreit.

„Elegant? An den Hemden und dem Kurzmantel ist gar nichts elegant."

Bebop, den Arm voll mit seinen neueren Jeans und T-Shirts schüttelt nur betrübt den Kopf.

„Du hast echt keine Ahnung..." übersetzt Rocksteady das.

Shredder weiß, er sollte sauer sein, weil sie ihn so bevormunden, aber er bringt es nicht über sich, ihnen auch nur ansatzweise böse zu sein.

„Ihr macht euch viel zu viele Sorgen. Wirklich."

Die beiden werfen ihm nur einen langen Blick zu – jeder auf seine Weise so warm, dass es Shredder fast den Atem verschlägt.

„Im umgekehrten Falle“, erwidert Bebop mit einem kleinen Lächeln, „wäre es doch genauso, oder?“

Daraufhin kann Shredder nur stumm nicken. Etwas zu sagen wagt er nicht, weil er seiner Stimme nicht mehr traut.

 

 

Donnerstag

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Freitag I

Kapitel 20

Freitag

 

Er erwacht, weil irgendetwas an seinen Haaren zupft. Nur sehr unwillig löst er sich aus den letzten Resten eines tiefen, traumlosen Schlafes. Aber die Welt, in die er zurückkommt, ist auch nicht schlecht: sie ist kuschelig und warm. Wieder ist da etwas an seinem Hinterkopf, und als er es instinktiv wegwischen will, berührt er etwas Weiches.

Huh.

Fell?

Vorsichtig, um Victor nicht aufzuwecken, rückt er etwas von dessen Rücken ab und stemmt sich in die Höhe.

„Victor?" vorsichtig rüttelt er den neben ihm Liegenden an der Schulter. „Victor!"

„Hm?" grunzt dieser unwillig und dreht sich noch unwilliger von der Seite auf den Rücken, um ihn unter zerzausten, rotblonden Haaren verschlafen anzublinzeln. Er ist müde und es war gerade alles so gemütlich!

„Entschuldige Victor, aber da sind Ratten auf meinem Kopfkissen. Ist das normal oder gibt es Probleme in deiner Kolonie?"

Noch nicht ganz wach, starrt Victor auf die vier Ratten, die es sich auf dem Kopfkissen bequem gemacht haben. Zwei andere sitzen auf dem Nachttisch und drei weitere hocken auf dem Betthaupt. Sie tun nichts. Sie sitzen nur da und beobachten sie.

Victor stemmt sich in eine sitzende Position und kratzt sich verlegen im Nacken.

„Oh. Nein. Das ist meine Schuld." Er lächelt zerknirscht. „Ich war zu lange nicht mehr unten. So benehmen sie sich immer, wenn ich vergessen habe, die Kolonie zu besuchen. Sie machen sich dann Sorgen und schicken eine Delegation hoch, um nach dem Rechten zu sehen."

Shredder gibt ein undefinierbares Brummen von sich und beäugt die Tierchen kritisch.

„Deine Lieblingsratte scheint nicht darunter zu sein", meint er schließlich nachdenklich. „Wie heißt sie doch gleich? Dora?"

Beeindruckt starrt Victor ihn an. Erstens fällt es den meisten schwer, Ratten voneinander zu unterscheiden und zweitens hat er Doras Namen bisher doch erst einmal erwähnt, oder?

„Du hast dir ihren Namen gemerkt?"

Shredder starrt zurück, zuckt mit den Schultern und gibt ein gedehntes „jaaa?" von sich. Mit einem großen Fragezeichen, als verstünde er nicht, was daran so besonders wäre. Dafür könnte Victor ihn küssen! Aber er unterlässt es. Vorerst.

„Dora mag die Oberwelt nicht. Sie zieht es vor, in der Kanalisation zu bleiben."

Shredder gibt nur wieder dieses unbestimmte „hm" von sich. Sein Blick ruht auf den Ratten, aber er macht keine Anstalten, sie zu verscheuchen. In seiner Miene spiegelt sich nur mildes Interesse.

„Stören sie dich?" fragt Victor ihn leise.

„Sie besetzen mein Kopfkissen", kommt es nur vorwurfsvoll zurück.

Victor ist angenehm überrascht. Die meisten Menschen ekeln sich vor Ratten und die wenigsten wollen sie in ihrem Bett wissen. Shredder dagegen sieht eher aus, als wüßte er nicht, ob er sich wieder hinlegen soll, weil er Angst hat, die Tiere zu zerquetschen.

Mit einem breiten Grinsen packt Victor ihn am Unterarm, zieht ihn zu sich und drückt ihn auf seine Bettseite, während er sich gleichzeitig mit einer einzigen fließenden Bewegung über ihn kniet. Zuerst gibt Shredder einen protestierenden Laut von sich, doch dann zuckt dieses kleine, herausfordernde Lächeln um seine Lippen.

„Was hast du vor, Victor?"

Als ob er sich das nicht denken könnte!

Grinsend presst er Shredders Hände links und rechts neben seinem Kopf ins Kissen und beugt sich so tief zu ihm hinab, bis sich ihre Nasenspitzen fast berühren.

„Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn die Abgesandten meines Volkes uns dabei zusehen?" Seine Stimme ist ein tiefes, dunkles Grollen.

Shredder erschauert unwillkürlich und dann zischt er leise auf, als Victor sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf ihn sinken lässt - so schwer und geradezu unverschämt präsent. Und dann rollt Victor nur einmal mit den Hüften und aus dem Zischen wird ein wolllüstiges Seufzen.

Victor grinst nur in sich hinein.

Oh ja, so gefällt er ihm.

So will er ihn haben.

Genau so.

 

 

Fertig.

Total am Ende.

Nicht mehr als ein zitternder, nach Luft schnappender Haufen Mensch.

Vielleicht ist an ihm doch ein Sadist verloren gegangen.

Genüßlich streichelt Victor über diese breite, schweißnasse Brust, die sich in heftigen Atemzügen senkt und hebt. Einem Impuls folgend senkt Victor seinen Kopf und leckt und küsst sich über diese schöne goldbraune Haut. Tief in seinem Rachen kann er ihn immer noch schmecken und das Salz seiner Haut ist ein anregender Kontrast dazu.

„Vic..." schwach zupft Shredder an Victors Haaren und der zieht ihn als Antwort darauf nur fest in seine Arme. Es dauert lange, sehr lange, bis sich Shredders Atem wieder etwas normalisiert hat und fast genauso lange, bis er zu zittern aufhört. Fast bekommt Victor ein schlechtes Gewissen. Vielleicht war es wirklich etwas viel: erst der Blow Job und dann einmal langsam und genüsslich in die Matratze vögeln ... Aber immerhin war es diesmal nur halb so klebrig und schmutzig wie sonst.

„Alles in Ordnung?" will Victor schließlich besorgt wissen und als Shredder daraufhin stumm nickt, beugt sich Victor zu einem sanften Kuss zu ihm hinab. Shredder entgegnet den Kuss träge und lässt sich noch träger gegen ihn sinken.

„Deine Entourage ist immer noch da", bemerkt er dann nach einer Weile. Schmunzelnd schiebt Victor mit dem Fuß einen allzu frechen Nager beiseite.

„Ich werde heute mal wieder zu ihnen runter müssen", meint er nachdenklich und auch ein wenig schuldbewusst.

„Aber nicht jetzt gleich", protestiert Shredder. „Können wir bitte damit warten, bis ich mich nicht mehr wie Gelatine fühle?"

Er hat schon wieder „wir" gesagt! Und er will ihn freiwillig begleiten! Dafür belohnt Victor ihn mit einer extra festen Umarmung und einem besonders zärtlichen Kuss.

 

 

Ein Nickerchen, eine Dusche und ein kleines Frühstück später stellt Rat King fest, dass er faul geworden ist. Es ist schon fast zwölf Uhr, als sie sich endlich dazu bereit machen, hinunter in die verlassene Subway-Station zu gehen. Die kleine Rattendelegation nimmt es gelassen und drängelt nicht. Wieso auch nicht? Sie wissen, dass es ihrem König gut geht, haben dies ihren Verwandten in der Kanalisation mitgeteilt und nun können sie auch abwarten, bis Ihre Hoheit ihren Hintern zu ihnen nach unten bewegt, um mal Präsenz zu zeigen. Rat King kennt die Denkweise seines Volkes und nicht einmal, als er mit seinem Ex zusammen war, fiel es ihm schwer, alle zwei oder drei Tage hinunter in die Kolonie zu steigen, diese Pflicht hat ihn niemals gestört, aber jetzt ist er unheimlich froh, dass Shredder ihn von sich aus begleiten will. Es ist peinlich, aber Rat King will keine Sekunde von ihm getrennt sein. Und er hofft, dass es Shredder genauso geht.

„Du bist ein richtiger Verwandlungskünstler", stellt Shredder bewundernd fest, als er darauf wartet, dass sich Victor Falco auch äußerlich wieder in den Rattenkönig verwandelt. „Bankier, Rat King und ganz normaler Typ von nebenan - ich staune immer wieder."

Verlegen lächelnd tastet Rat King noch einmal prüfend über seine Gesichtsbandagen.

„Du musst grad reden", gibt Rat King den Ball zurück, während er seinen Blick anerkennend über den Mann neben sich wandern lässt. „Du bist hier der Ninja."

Der vergräbt nur die Hände in den Taschen der alten Collegejacke, die ihm Rat King geliehen hat und zuckt mit den Schultern. Unter dieser Jacke trägt er sein graues Kampfshirt, dazu die schwarze Hose und seine Kampfstiefel. In der Kanalisation ist es schmutzig und es stinkt und abgesehen von seiner Kampfausrüstung hat er nur gute Klamotten dabei, die man nicht mit dem Odeur der Kanalisation ruinieren sollte. Also hat ihm Rat King seine ausrangierte Collegejacke geliehen und er muss sagen: sie steht ihm wirklich gut. Es liegt bestimmt nicht nur am College-Look, dass Shredder aussieht wie ein Student. Im ersten Semester.

„Ich werfe mir nur eine Rüstung über", meint Shredder. „Das ist nicht mal 'ne Verkleidung. Du dagegen veränderst dich tatsächlich."

Unwillkürlich muss Rat King an ein anderes Gespräch denken, das sie vor drei Tagen im Zug geführt haben.

„Ich fürchte, meine Persönlichkeit ändert sich auch jedes Mal", seufzt Rat King und starrt betrübt in den Wandspiegel vor sich.

„Nein", widerspricht ihm Shredder. „Du bist immer Victor Falco. Nur nach außen erweckst du ein anderes Bild, und das gelingt dir mit einem minimalen Aufwand. Du wärst beim Theater oder Film viel besser aufgehoben. Hast du mal daran gedacht, nach Hollywood zu gehen?"

„Nein", grinst Rat King geschmeichelt, „denn dann müsste ich Rollen spielen, die ich nicht mag. Den selbstlosen Helden zum Beispiel."

Bei dieser Vorstellung müssen sie beide lachen. In heiterer und ausgelassener Stimmung verlassen sie Rat Kings Souterrainwohnung durch das Loch in der Wand, begleitet von neun munteren Ratten.

 

 

Dora begrüßt ihn an der Spitze Hunderter Ratten, kaum dass er die Grenze zu ihrem Territorium betreten hat. Und dann macht sie etwas ganz Erstaunliches: zuerst klettert sie wie gewohnt an ihrem König hinauf auf seine Schulter, wo sie einmal kurz begrüßend an seinem Hals schnuppert, aber dann wendet sie sich ab und springt mit einem großen Satz direkt auf Shredder. Sie landet in seinem Haar, hangelt sich daran herunter, und als Shredder instinktiv die Hand hebt, um sie notfalls aufzufangen, klettert sie in seine Handfläche, wo sie kurz an seinen Fingern leckt, bevor sie blitzschnell wieder an seiner Kleidung hinab zu den anderen Ratten klettert.

„Sie hat dich adoptiert", übersetzt Rat King erfreut und stolz zugleich.

„Ich rieche wohl nach dir", versucht Shredder abzuwiegeln.

„Beleidige nicht die Intelligenz meines Volkes", widerspricht ihm Rat King grinsend. „Sie können uns sehr wohl auseinander halten. Dora mag dich. Hm-", setzt er dann mit einem verschmitzten Seitenblick hinzu, „wenn ich sie richtig deute, ist sie sehr zufrieden mit meiner Partnerwahl."

Shredder stutzt kurz und lacht dann leise. „Das freut mich. Ich weiß doch, wie wichtig dir die Meinung deiner Untertanen ist. Und Dora ist doch immerhin so etwas ähnliches wie deine Statthalterin, oder?"

Rat King nickt nur und versucht, ihn nicht allzu verblüfft anzustarren. Ehrlich, Shredder ist so ... Wow.

 

 

Später, als sie zusammen auf seinem Thron sitzen - Shredder quer auf seinem Schoss, teils gegen ihn, teils gegen die Armstütze gelehnt - und sich vor ihnen die Masse seines Volkes versammelt, um ihnen kleine Geschenke in Form von Futterresten zu überreichen, stellt Rat King fest, dass Shredder tatsächlich der erste und einzige ist, der ihn und seine Ratten wirklich ernst nimmt.

„Wieso nicht?" erwidert Shredder auf Rat Kings Nachfrage. „Deine Ratten wissen schon, was sie an dir haben." Er zögert und fügt dann mit einem bühnenreifen, absolut übertriebenen Augenaufschlag und viel zu süßen Stimme hinzu: „Genau wie ich, Majestät."

Seine Hand auf Rat Kings Brust macht Anstalten, nicht nur unter den Mantel, sondern gleich unters Shirt zu krabbeln. Rat King fängt sie schnell ab und verschlingt lächelnd ihre Finger miteinander. Ihm gefällt Shredders Gewicht auf seinem Schoß, seine Nähe, seine Wärme und ja, er streichelt sich gerne über Shredders Oberschenkel und Knie, aber wenn Shredder auch noch damit anfängt, befürchtet er, dass aus der leichten Anspannung in seinem Unterleib schnell etwas anderes werden kann - aber nein, nicht hier. Nicht an diesem Ort. Andererseits kann er aber auch nicht gehen, bevor ihm nicht alle Ratten ihre Aufwartung gemacht haben. Da es ihm aber naturgemäß schwer fällt, Shredders verlockenden Lippen zu widerstehen, stiehlt er sich bald den einen oder anderen Kuss.

Es ist gemütlich.

Und auch Shredder scheint das so zu empfinden, weil er sich immer enger an ihn schmiegt.

Vor ihnen wächst der Haufen von „Geschenken" zu einem ansehnlichen Berg heran.

„Sie sind sehr eifrig", flüstert Shredder irgendwann in Rat Kings Ohr und leckt neckisch über seine Ohrmuschel. „Was machst du mit dem ganzen Zeug? Du isst das doch nicht wirklich, oder?"

Rat King erschauert kurz unter dieser feuchten Liebkosung und wispert dann ebenso leise zurück: „Ich mache dasselbe, was ein Katzenbesitzer macht, wenn ihm Mieze einen Vogel bringt."

Also: das Tier wird gelobt und das „Geschenk" klammheimlich entsorgt. Shredder nickt ernst, schlingt Rat King einen Arm um den Nacken und rückt sich etwas bequemer auf ihm zurecht. Das ist viel zu viel Reibung an einer besonders empfindlichen Stelle, aber Rat King hält sich tapfer mit jeder Lautäußerung zurück. Auch wenn ihm Shredders dunkelglühender Blick verrät, dass er das absichtlich gemacht hat.

Eine Zeitlang sehen sie nur weiterhin zu, wie Ratte um Ratte ein kleines Geschenk ablegt und sich dann fröhlich wieder zu den anderen gesellt.

„Sag mal..." wieder ein Flüstern, dicht an Rat Kings Ohr, „glaubst du wirklich an das, was du immer sagst? Dass den Ratten die Welt gehört?"

„Glaubst du daran, dass du die Welt erobern kannst?"

Sekundenlang herrscht Stille, nur unterbrochen vom Kratzen kleiner Rattenfüßchen auf Stein.

Krang glaubt daran", erwidert Shredder schließlich leise.

„Und meine Ratten glauben an meine Worte." Rat King zögert und fügt dann weiterhin im Flüsterton hinzu: „Sie brauchen ein Ziel, um sich weiter zu entwickeln. Ratten haben eine kurze Lebensspanne, es muß mehr für sie geben als Fressen und Sex. Dafür sind sie viel zu intelligent."

Shredder nickt langsam, den Blick dabei unablässig auf die Masse kleiner, pelziger Körper vor ihnen gerichtet.

„Krang ist manchmal mehr Wissenschaftler als Kriegsherr", beginnt er dann, den Kopf bequem an Rat Kings Schulter gelehnt. „Dieser Planet fasziniert ihn. Wäre das Technodrome funktionstüchtig, hätte die Menschheit keine Chance gegen ihn. So aber versuchen wir uns nur irgendwie über Wasser zu halten." Er zögert einen Moment und fährt dann leise, beinahe verschämt fort: „Welteroberung? Zur Zeit denke ich gar nicht mehr so weit. Jetzt zählt einfach nur, dass die Lebenserhaltung wieder funktioniert. Oh, da fällt mir ein..." Hastig kramt er seinen Kommunikator hervor und hält ihn mit ausgestrecktem Arm von sich, das Auge der eingebauten Kamera auf sie beide gerichtet. „Sag cheeeeese."

Rat King kann nicht widerstehen. Kurz bevor Shredder den Auslöser betätigt, dreht Rat King den Kopf und drückt seinem Ninja einen Kuss auf die Wange. Dafür kassiert er von Shredder zwar einen ungnädigen Stoß zwischen die Rippen, aber dann wird es doch genau so ins Technodrome gesendet.

 

 

„Das ist verrückt", meint Shredder, als Rat King das alte Grammophon einschaltet.

Du bist verrückt", präzisiert er, sobald die ersten Töne durch die Luft wehen.

Rat King deutet nur grinsend eine Verbeugung an und hält ihm auffordernd die Hand entgegen.

„Total verrückt", bestätigt Shredder, als er die ausgestreckte Hand ergreift.

„Jemand wie du wird doch wohl noch einen flotten Walzer aufs Parkett legen können, oder?" neckt ihn Rat King. In seinen stahlblauen Augen blitzt es übermütig.

Shredder zögert plötzlich und lässt seine Blicke nervös über den dunklen, verlassenen Bahnsteig wandern. Hinter ihnen, aus dem, was mal ein Kiosk war, dringen die beschwingten Töne eines bekannten Walzers, untermalt von gelegentlichem Kratzen und Rauschen wie es für eine alte Schellackplatte üblich ist.

„Niemand sieht uns hier", beruhigt ihn Rat King. Zwei Männer wie sie, die zusammen Walzer tanzen? Er versteht, dass sich Shredder erst an diesen Gedanken gewöhnen muss.

„Dein Rattenvolk sieht uns zu", wendet Shredder ein und deutet mit einem Kopfnicken nach links. Dort, auf der stillgelegten Rolltreppe, hat sich eine neugierige Gruppe von Ratten versammelt.

„Die petzen und tratschen nicht", verspricht ihm Rat King. „Komm schon. Du kannst doch tanzen, oder? Wenn nicht, macht das nichts, ich führe."

„Ich kann tanzen." Entschlossen funkelt Shredder ihn an und fasst ihn fest an der Hüfte. „Gehörte zur Ninja-Ausbildung." Er zögert und fügt dann widerstrebend hinzu: „So lange es beim Walzer bleibt. Mit dem Tango stehe ich auf Kriegsfuß und dieses neumodische Herumgezappel erinnert mich nur an einen Veitstanz."

Es gibt einen kurzen Moment, wo sie sich darüber uneinig sind, wer die Führung übernimmt, aber das endet schnell, weil Rat King nicht darauf besteht. Er lässt sich gerne von Shredder über die „Tanzfläche" führen.

 

 

Rat King liebt es, zu tanzen. Nur ist es schon eine Ewigkeit her, dass er die Gelegenheit dazu hatte. Sein Ex war ein furchtbarer Tänzer. Shredder dagegen - präzise Tanzschritte, geschmeidige Bewegungen ... Vielleicht etwas ernst. Er sollte mehr lächeln.

„Saki... Sag, abgesehen von ein paar Ratten, die uns dabei zusehen, ist es dir unangenehm, mit einem Mann zu tanzen?"

Shredder denkt kurz darüber nach, während er sie in eine kleine Drehung entführt und schüttelt dann den Kopf.

„Es ist mir nicht unangenehm. Es ... gehört sich nur einfach nicht. Einerseits. Und andererseits ... Ich bin nicht sehr gut im Tanzen und bei Dingen, die ich nicht gut kann, werde ich nicht gerne beobachtet. Auch nicht von Ratten. Aber das hat alles nichts mit dir zu tun. Ich tanze sehr gerne mit dir. Vielleicht", fügt er nachdenklich hinzu, „nicht gerne mit anderen Männern, aber gerne mit dir."

Rat King spürt, wie sich ein breites Grinsen auf seinen Zügen ausbreitet. Oh Mann, er liebt diese erfrischend ehrliche, offene Seite an ihm!

„Sei nicht so bescheiden. Du bist ein exzellenter Tänzer."

Daraufhin schleicht sich ein entzückendes Rot auf Shredders Wangen. Und bei diesem Anblick kann sich Rat King nicht mehr beherrschen. Begeistert zieht er Shredder an sich heran und küsst ihn.

 

 

Die Platte dreht sich immer noch und die stimmungsvollen Klänge wehen weiterhin durch die Station, aber sie haben schon längst aufgehört, sich dazu zu bewegen. Engumschlungen stehen sie da, in einen zärtlichen Kuss vertieft. Rat King schwebt auf Wolke Sieben. Und nur deshalb erreicht ihn die Warnung seines Rattenvolkes nicht. Aber dann ist es auch schon zu spät. Aus den dunklen Tiefen des stillgelegten Tunnels schält sich eine anderthalb Meter große, pelzige Gestalt.

„Oh", macht Splinter leise und bleibt überrascht stehen, als er die beiden Männer auf dem Bahnsteig sieht.

 

 

Es ist das mentale Äquivalent zu einem beleidigten „das hast du jetzt davon“, gefolgt von einem schadenfrohen Zwicken in die Wade (selbst durch die Jeans hindurch sehr schmerzhaft), das Rat King aus seiner rosaroten Blase holt.

Instinktiv schielt er zuerst nach unten, zu dem kleinen Übeltäter – niemand geringeres als Dora – doch dann wird er sich endlich der anderen Präsenz eines rattenscharfen Verstandes gewahr. Eine Ratte, mehr als eine Ratte, die er sehr gut kennt.

Er dreht den Kopf und zur selben Zeit dreht auch Shredder seinen Kopf.

„Splinter!“ hört er ihn überrascht keuchen und er spürt, wie sich Shredders Finger für einen Moment fester in seinen Mantelkragen krallen.

Und dann fangen sie alle an, gleichzeitig zu reden.

„Was machst du hier?“ will Rat King ungnädig wissen.

„Das ist ein Zufall, ehrlich!“ erklärt Splinter im selben Moment. „Ich war nur spazieren! Ich war ganz in Gedanken und hatte kein Ziel und schon gar nicht diese Richtung! Aber irgendwie bin ich wohl hier gelandet. Es tut mir leid.“

„Wieso haben dich deine Ratten nicht gewarnt?“ will Shredder bei Splinters „hatte kein Ziel“ vorwurfsvoll von Rat King wissen.

„Es tut mir leid, wirklich!“ kommt Splinters Stimme aus dem Hintergrund, aber weder Rat King noch Shredder achten auf ihn.

„Sie haben mich gewarnt“, erklärt Rat King seinem verlegenen und zugleich erbosten Ninja. Die Hand, die eben noch Shredders Frisur zerzaust hatte, liegt jetzt auf dessen linker Schulter, dicht genug am Hals, um mit den Fingerspitzen besänftigend darüber streicheln zu können.

„Ich war nur gerade mit etwas anderem beschäftigt.“

Daraufhin errötet Shredder leicht und verbeißt sich die Schimpftirade, die ihm schon auf der Zunge lag. Er ist nicht wütend. Und schon gar nicht auf Victor. Wenn, dann sollte er es auf sich selbst sein, aber auch das gelingt ihm nicht. Dazu ist die Verlegenheit, ausgerechnet von Splinter in flagranti erwischt worden sein, zu groß.

„Es tut mir wirklich sehr, sehr leid.“ Endlich dringt Splinters ernst gemeinte Entschuldigung zu ihnen durch. Tatsächlich bietet die große Ratte das Sinnbild des zerknirschten Sünders mit hängenden Schultern, gesenktem Kopf und unsicher vor sich gefalteten Händen. Und dann, als er die Aufmerksamkeit der beiden jungen Männer auf sich gerichtet sieht, entschuldigt er sich zusätzlich mit einer tiefen, typisch japanischen Verbeugung vor ihnen.

Shredder starrt ihn erst überrascht und dann so offensichtlich ratlos an, dass Rat King sich gezwungen sieht, dem Drama ein Ende zu bereiten, bevor es wirklich eines wird.

„Wo du schon mal hier bist: kann ich dir etwas anbieten? Ich habe bestimmt irgendwo noch ein paar Kekse. Aber an Getränken habe ich leider nur Bier und Mineralwasser da...“

Splinter zögert deutlich.

„Das ist ein nettes Angebot...“ Er spricht das „aber“ nicht aus, doch es hängt sehr deutlich in der Luft und seine Blicke wandern unsicher zwischen Shredder und Rat King hin und her.

Shredders Miene verdüstert sich. „Kann ich dich mal kurz sprechen?“ Er packt Rat King am Arm und zieht ihn ein paar Meter weiter weg aus Splinters Hörweite. „Du lädst ihn doch jetzt nicht ernsthaft zum Kaffeeklatsch ein?“ zischt er aufgebracht.

Rat King bewundert das Funkeln in diesen schönen Mandelaugen und hat wirklich Mühe, beim Thema zu bleiben. Seine rechte Hand ist da weniger streng – beinahe ohne sein eigenes Zutun streicht sie Shredder eine Haarsträhne zurück hinters Ohr und bleibt dann sanft an seiner Wange liegen.

„Nicht, wenn du es nicht willst, Cutie.“ Rat King schenkt ihm ein besänftigendes Lächeln. „Aber vielleicht solltet ihr doch mal darüber reden.“ Er denkt kurz an Splinters mentale Frage vor ein paar Tagen im Wald zurück und setzt daher leise hinzu: „Dein Wohl ist ihm immer noch wichtig.“

Shredder gibt ein kleines Schnauben von sich und dreht unbehaglich den Kopf beiseite. Doch sein Blick huscht dabei zu Splinter hinüber, der immer noch da unten auf den verrosteten Gleisen steht und sie still beobachtet. Als sich ihre Blicke kurz begegnen, macht Splinter etwas total untypisches: er weicht ihm aus und tut so, als würde er sich für die Ratten interessieren, die ihn neugierig von der Bahnsteigkante aus beschnuppern.

„Er war lange Zeit dein Sensei“, beginnt Rat King vorsichtig, ergreift seine Hände und drückt sie. „Du warst sein bester Schüler, sogar sein Lieblingsschüler. Das verbindet euch, ob dir das gefällt oder nicht. Und ich glaube nicht, dass er wirklich nur zufällig hierher gekommen ist. Es war ihm vielleicht nicht bewusst, aber etwas in ihm hat ihn hierher geführt. Zu dir. Weil ihm unser Deal zu schaffen macht. Er muss sich davon überzeugen, dass es dir gut geht. Genauso, wie du dich immer davon überzeugen musst, dass es deiner Familie im Technodrome gut geht.“

Shredders genervtes Schnaufen verrät ihm, dass Shredder das alles weiß, aber nicht gerne zugibt.

„Es schert ihn nicht, wenn seine blöden Turtles unser Technodrome in einen Haufen Schrott verwandeln, aber in mein Liebesleben will er seine neugierige Nase stecken?“

„Dann sag ihm das.“

Shredder zögert einen Moment, doch dann strafft er die Schultern, schüttelt Rat Kings Hände ab und geht entschlossenen Schrittes zu dem geduldig wartenden Splinter hinüber. Kurz bevor er ihn erreicht, springt er zu ihm hinunter auf die Bahngleise, damit sie wenigstens ansatzweise auf gleicher Höhe sind.

Rat King folgt ihm etwas langsamer und hört ihnen neugierig zu. Ohne jede Scham. Wieso auch nicht? Wenn Shredder nicht wollte, dass er jedes Wort versteht, würde er japanisch reden, nicht wahr?

„Wenn es darum geht, uns aufzuhalten, ist dir jedes Mittel recht und es ist dir scheißegal, wieviel von meinem Zuhause dabei zu Bruch geht. Aber meine Beziehung mit Victor beunruhigt dich so sehr, dass dich dein sechster Sinn hierher führt? Was stimmt nicht mit dir, alter Mann?“

Splinter ist zu klug und selbstreflektierend, um weiter auf einem „Zufall“ zu beharren. Und alles andere kann er auch nicht abstreiten, also seufzt er einmal tief.

„Ich gebe zu, ich habe nie darüber nachgedacht, welche Folgen unsere Kämpfe für dich haben können, außer dem Offensichtlichen. Ich versichere dir, meine Turtles waren darüber genauso entsetzt wie ich und sie werden in Zukunft etwas vorsichtiger sein. Und was dich und Victor betrifft...“ Splinter holt einmal tief Luft, sieht kurz zu Rat King und richtet seine Aufmerksamkeit dann wieder auf Shredder vor sich. „Ich weiß, dass es mich nichts angeht, Shredder, aber du musst doch selbst zugeben, dass dieser Deal eine beunruhigende Ausgangslage für dieses Etwas ist, was du eine Beziehung nennst.“

„Du bist nicht meine Mutter!“

„Stimmt“, kontert Splinter zurück, „denn mir liegt dein Wohl am Herzen. Trotz allem. Und das weißt du auch ganz genau, Saki-kun.“

„Ich bin erwachsen, Splinter. Ich entscheide selbst, mit wem ich in die Kiste springe. Das geht niemanden etwas an. Und dich schon mal gar nicht!“

„Und doch mache ich mir Sorgen um dich. Das kannst du mir nicht verbieten.“

„Das ist unnötig. Victor sieht nicht nur gut aus, er ist auch ein intelligenter, vielschichtiger Mann und ein sehr rücksichtsvoller, einfühlsamer Liebhaber. Seine Gegenwart lässt wirklich keine Wünsche offen.“ Es scheint, als wollte Shredder noch mehr sagen, aber an dieser Stelle wird ihm bewusst, wie schwärmerisch das klingt, und so hält er errötend inne.

„Ich – ich meine...“ stottert er ausweichend, „es ist alles in Ordnung. Es geht mir gut, Danke der Nachfrage.“

Rat King, der inzwischen neben ihnen inmitten seiner Ratten an der Bahnsteigkante hockt, lacht leise und vor allem geschmeichelt.

„So etwas Schönes hat noch nie jemand über mich gesagt. Ich liebe dich auch, Saki.“

„Ich habe nicht-“ beginnt dieser, stockt dann aber und verflucht im Stillen seine verräterisch brennenden Wangen. „Na, jedenfalls sind deine Sorgen völlig überflüssig, Splinter. Du kannst beruhigt nach Hause gehen.“

Und das macht Splinter tatsächlich – nach einer freundlichen Verabschiedung – und mit einem kleinen, erleichterten Lächeln.

 

Freitag II

Kapitel 21

Freitag, später Abend

 

Die Begegnung mit Splinter hat Shredder völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Er versucht, es zu verbergen, aber Victor durchschaut ihn. Shredder ist furchtbar nervös und angespannt und seine Konzentrationsspanne ist unterirdisch. Das ist nicht hinnehmbar! Vielleicht bringt ihn ja ein Kinobesuch auf andere Gedanken.

„Das letzte Mal ging ich in Osaka ins Kino", gibt Shredder auf Victors Vorschlag hin zu. „Da war ich noch Oberschüler. Im Technodrome haben wir eine Heimkinoanlage und Rocks und Beeps Raubkopiensammlung." Es soll nicht abweisend klingen, aber sie sind noch nicht lange aus der Kanalisation zurück und sind gerade erst in saubere, wohlriechende Klamotten geschlüpft. Von ihm aus könnten sie den Abend ruhig in der Wohnung verbringen. Aber, nun ja, je länger er darüber nachdenkt, desto besser gefällt ihm die Idee.

„Ich bin gar nicht mehr up to date. Was läuft denn gerade?"

Das weiß Victor auch nicht. Er will aber auch nicht nachsehen, denn das würde doch die ganze Spannung verderben.

„Laß uns das ganz altmodisch handhaben. Gehen wir einfach zu einem dieser Multiplex-Tempel und suchen uns spontan was aus. Ich lade dich natürlich ein."

Schmunzelnd zieht Shredder die linke Augenbraue hoch.

„Oh, ein Date?"

Victor denkt kurz darüber nach. Ja, eine Einladung ins Kino ist ein durchaus klassisches Date, nicht wahr? Aber für seine Ansprüche viel zu banal.

„Nicht wirklich. Wenn ich dich zu einem Date einlade, merkst du es schon."

Shredder wirft ihm einen schiefen Seitenblick zu. „Allmählich beschleicht mich der Gedanke, deine und meine Definition von einem Date sehen sehr unterschiedlich aus."

Daraufhin lächelt Victor nur geheimnisvoll und zuckt mit den Schultern. Das hier, das zwischen ihnen und vor allem natürlich Shredder selbst ist etwas besonderes, also verdient Shredder auch etwas Besonderes und nicht so ein 08/15 Date.

Shredder zögert, gibt sich dann aber einen Ruck.

„Mir kam der ganze Nachmittag schon vor wie ein Date."

Immerhin haben sie zusammen einen flotten Walzer aufs Parkett gelegt und selbst nach Splinters unerwünschtem „Besuch" hat sich dieses Gefühl nicht verändert. Immerhin hat Rat King ihn voller Stolz in seinem Reich herumgeführt, sie haben sich angeregt unterhalten, geflirtet und geküßt.

Seine ernstgemeinten Worte haben einen überraschenden Effekt auf Victor: zum ersten Mal sieht Shredder ihn verlegen erröten. Das ist so süß!

Blitzschnell packt er ihn am Kragen und zieht ihn zu sich heran. Einen Moment lang starrt er einfach nur in diese schönen, blauen Augen. Genau wie Victor es immer so oft bei ihm macht, legt er seine Hand an Victors Wange. Sanft fährt er mit dem Daumen die gezackte Narbe dort nach. Dann stellt er sich etwas auf die Zehenspitzen und haucht ihm einen Kuß auf die Lippen.

Vielleicht hat er damit gerechnet, vielleicht auch nicht, auf alle Fälle hätte er damit rechnen sollen, dass ihn der Rattenkönig nicht davon kommen läßt. Victor reißt schnell die Kontrolle über diesen Kuß an sich, schlingt besitzergreifend beide Arme um ihn und drückt ihn rückwärts gegen die nächstbeste Wand. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist klar, daß sie es frühestens zur Nachtvorstellung ins Kino schaffen werden.

 

 

Als sie dann eine Stunde vor Mitternacht vor der Kasse stehen, können sie sich nicht entscheiden. Die Titel sagen ihnen alle nichts. Gerade, als sie sich für einen Actionthriller entschieden haben und sich in die Schlange an der Kasse einreihen wollen, stürmt ein Pärchen herbei, bei dessen Anblick Shredder instinktiv zurückschreckt.

„Der heutige Tag hat es echt in sich", knurrt er. „Ständig trifft man Leute, die einem gestohlen bleiben können."

Victor nickt nur und versucht dabei, die beiden nicht allzu offensichtlich mit seinen Blicken zu erdolchen. Manhattan ist so groß, und wem müssen sie begegnen? Ausgerechnet April O'Neil und Casey Jones!

Doch dann schiebt er trotzig den Unterkiefer vor. Von denen läßt er sich doch nicht den Abend verderben! Entschlossen reiht er sich hinter ihnen ein und zieht Shredder dabei am Ärmel mit sich.

„Die erkennen uns doch gar nicht", wispert er ihm dabei aufmunternd ins Ohr.

Damit soll er Recht behalten. Die zwei beachten sie gar nicht. Eigentlich beachten sie niemanden außer sich selbst.

„Glücklicherweise habe ich die Karten reserviert", schimpft die rothaarige Starreporterin mit ihrem Begleiter. „Nie kannst du pünktlich sein. Wegen dir habe ich mir da draußen fast den Hintern abgefroren!"

„Wär schade um den schönen Hintern."

„Casey, ich meine das ernst. Du wolltest doch unbedingt ins Kino, da könntest du auch mal pünktlich sein."

„Ich kann doch nichts dafür, wenn mein Wagen verreckt."

„Die Batterieanzeige leuchtet schon seit Wochen!" April holt einmal tief Luft und zieht es vor, zu schweigen.

Shredder und Victor wechseln einen amüsierten Blick. Sie haben sie noch nie so aufgebracht erlebt.

An der Kasse geht der Disput weiter. Casey Jones hat seine Geldbörse vergessen.

„Echt jetzt?" April funkelt ihn wütend an, zückt jedoch schon ihre Brieftasche. Ihre Miene verrät, daß so etwas nicht zum ersten Mal vorkommt.

Aber dann nennt April laut und deutlich den Titel des Films, für den sie sich die Karten hat reservieren lassen und Shredder verzieht unwillkürlich das Gesicht. Den wollten sie auch sehen!

Sofort schlägt Victor vor, daß sie sich einen anderen Film aussuchen, aber das ist leider leichter gesagt als getan. Der netten Studentin an der Kasse zufolge, sind alle anderen Filme außer einem ausverkauft.

Und dieser eine ist erst ab einundzwanzig, so daß Shredder mal wieder seinen Pass vorzeigen muß, was die junge Frau hinter dem Verkaufstresen dazu veranlasst, ihnen freudestrahlend von ihrem Austauschjahr auf Hokkaido zu erzählen. Bevor sie damit anfangen kann, ihre Japanischkenntnisse hervorzukramen, schnappt sich Victor die Tickets und seinen Shredder und zieht ihn weiter.

 

 

Sie haben noch eine gute Viertelstunde bis sie in den Kinosaal eingelassen werden und das scheint für alle Kinos auf dieser Etage zu gelten, denn auch April und Casey haben sich an einen dieser kleinen Tische gesetzt und gönnen sich eine Familienpackung Popcorn.

Victor und Shredder kaufen lieber Cola und Käse-Nachos. Sie finden sogar noch einen freien Platz, auch wenn der, zu ihrem Leidwesen, nicht sehr weit von April und Casey entfernt ist. Victor glaubt immer noch nicht, daß die beiden sie erkennen, aber wenn Shredder nicht damit aufhört, sie anzustarren, kann sich das doch noch ändern.

„Starr sie nicht an", zischt er ihm schließlich zu. „Sonst bemerken sie uns noch."

Schuldbewusst richtet Shredder seine Aufmerksamkeit auf ihn. Er nuschelt sogar eine Entschuldigung. Doch schon eine Minute später schielt er wieder in ihre Richtung.

„Was meinst du? Sind die wirklich zusammen? Und wenn, was findet April nur an diesem Versager? Hey-", jetzt wendet er sich doch wieder ganz und gar Victor zu. „Was sagt dein pelziges Informationsnetzwerk dazu? Haben sie darüber was mitbekommen?"

Das haben sie tatsächlich. „Jeder weiß doch, daß Casey schon immer hinter ihr her war", erwidert Victor sehr leise und sehr darum bemüht, nicht zu den beiden hinüber zu sehen. Lieber greift er nach Shredders Hand und sieht ihm tief in seine schönen Mandelaugen. „In letzter Zeit gibt sie öfter nach, aber als Paar würde ich sie nicht bezeichnen."

Shredder starrt kurz auf Victors Hand auf seiner, denkt daran, daß sie sich in der Öffentlichkeit befinden und zieht seine Hand dann fort, um damit nach seinem Getränk zu greifen. Dabei schenkt er Victor ein kleines, entschuldigendes Lächeln.

Scheiß auf April und Casey. Was geht es ihn an?

Es ist eine nützliche Information, wenn er April mal wieder entführen muß, aber deswegen ist er nicht hier.

 

 

Derselbe Gedanke schießt Victor eine halbe Stunde später durch den Kopf, während er spürt, wie er langsam den Kampf gegen seine Hormone verliert. Jesses, dieser Film besteht eindeutig aus mehr Erotik als Thriller. Victor ist schwul, aber für ihn bedeutet das nur, daß er ausschließlich mit Männern ins Bett geht, nicht, dass er Frauen nicht zu schätzen wüsste. Er steht auf schöne Dinge und dazu können auch gut gemachte Hetero-Sexszenen gehören.

Er überlegt, ob er es wagen soll, schon jetzt seine Hand auf Shredders Oberschenkel zu legen oder ob er damit vielleicht warten soll, bis die beiden da auf der Leinwand richtig zur Sache kommen. Shredder kommt ihm zuvor. Warm und schwer spürt er plötzlich das Gewicht von Shredders Hand auf seinem Knie. Langsam und spielerisch arbeitet sie sich nach oben. Er wirft einen schnellen Blick neben sich, doch Shredder starrt nur weiter wie gebannt auf die Leinwand. Doch um seine Mundwinkel zuckt es verräterisch.

Victor kann er ein leises Aufzischen nicht zurückhalten, als Shredders Hand seinen Schritt erreicht.

Ganz kurz blitzen in seinem Verstand folgende Satzfetzen auf:

Das geht nicht.

Benimm dich.

Wir sind hier in einem Kino.

In der letzten Reihe.

Es ist dunkel.

Niemand sieht uns.

Das ist ein verdammter Erotikstreifen, was erwarten die? Selbst schuld...

Schon einen Herzschlag später hat er die Armlehne zwischen ihren Sitzen hochgeklappt, Shredder am Kragen zu sich gezogen, bis er quer auf seinem Schoß liegt und verschlingt ihn in einem gnadenlos leidenschaftlichen Kuss.

Es beginnt mit dieser wilden Knutscherei und gieriger Fummelei und endet schließlich mit offenen Hosen und damit, dass jeder von ihnen die Hand am besten Stück des anderen hat.

Mitten im schönsten Kuß, im schärfsten Zungenduell und heißesten Gefummel stockt Shredder plötzlich und versucht, ihn weg zu schieben.

„Nicht, Vic", keucht er atemlos und präzisiert dann ganz leise: „Nicht hier."

Sekundenlang starren sie sich nur in die Augen und wegen des flackernden Lichts von der Leinwand wirken Shredders noch tiefgründiger als je zuvor. Dann, ganz langsam, senkt Victor den Blick, grinst diabolisch und läßt sich dann mit einem „dem kann abgeholfen werden", vom Kinosessel rutschen. Shredders Augen weiten sich erstaunt, als er begreift, was er vorhat.

„Nein", wehrt er ab, muß sich dann aber auf die Lippen beißen, um nicht verräterisch aufzustöhnen.

Victor grinst nur. Er geht nicht für jeden auf die Knie, aber bei Shredder macht er immer wieder gerne eine Ausnahme. Außerdem gibt es nur diese eine Lösung für ihr Problem.

Und mal ehrlich: er genießt es, seinen Ninja auf diese Art und Weise wehrlos zu machen.

Er ist noch keine acht Sekunden bei der Sache, da krallen sich schon Shredders Finger in die Sitzpolster. Beruhigend legt Victor eine seiner Hände auf Shredders Knie, während seine andere unter Shredders Kleidung schlüpft, um seinen warmen Bauch zu streicheln.

Und während Victor ihn also mit Lippen, Zähnen, Zunge und Fingern nach allen Regeln der Kunst verwöhnt, ist Shredder so verzweifelt darum bemüht, kein verräterisches Geräusch zu machen, daß er sich schließlich nicht anders zu helfen weiß, als sich in den Unterarm zu beißen, als er kommt.

Victor schluckt alles, was er ihm gibt und zieht ihn dann wieder sorgfältig an. Er klettert auf seinen Schoß und zieht Shredders Arm beiseite, um ihn auf den Mund küssen zu können. Er küsst ihn langsam und genüßlich und tief, läßt ihn sich selber schmecken.

„Du bist dran", flüstert er schließlich augenzwinkernd, rutscht zurück auf seinen eigenen Sitz, wo er auffordernd die Beine spreizt. Ohne zu zögern sinkt Shredder vor ihm auf die Knie, um es ihm auf gleiche Weise zurück zu zahlen.

 

 

Als sie nach dem Abspann den Kinosaal verlassen, wissen sie nicht, worum es in diesem Film überhaupt ging, aber sie haben die letzten anderthalb Stunden sehr genossen.

Doch ihre gute Laune erhält einen empfindlichen Dämpfer, als einer von ihnen plötzlich angesprochen wird.

„Shredder!"

Der verharrt unvermittelt mitten im Schritt und verflucht sich für diese instinktive Reaktion sofort. Der an ihnen vorbeiströmende Pulk der anderen Kinobesucher bietet keinen Schutz, schon gar nicht vor April O'Neils scharfen Augen.

Und dann steht sie auch schon grinsend vor ihnen, während sich der Gang, auf dem sie stehen, allmählich leert.

„Sieh an", feixt die Rothaarige triumphierend, „da habe ich mich also doch nicht geirrt."

„Woher-", beginnt Shredder.

„Ehrlich?" unterbricht sie ihn lachend. „Ein einsachtzig großer Japaner in Begleitung eines knapp zwei Meter großen, rotblonden Muskelprotzes? Ihr seid nicht zu übersehen. Und im Doppelpack erst recht nicht. Ich wußte ja, daß ihr zu zweit seid. Die Turtles haben mir alles erzählt", fügt sie erklärend hinzu.

Shredder knurrt ungnädig. „Können die nicht einmal ihre Klappe halten?"

Unwillkürlich legt ihm Victor den linken Arm um die Schultern und funkelt April ungehalten an.

„Willst du was Bestimmtes, April?"

Tatsächlich weicht sie einen kleinen Schritt zurück und hebt gleichzeitig in einer besänftigenden Geste die Hände.

„Nein. Es ist nur irritierend, euch ohne eure ... Hm, Berufskleidung zu sehen." Sie wäre nicht April O'Neil, Starreporterin und die Freundin der Turtles, wenn sie nicht schnell wieder zu ihrer alten Selbstsicherheit zurückfinden würde. Beinahe schon frech mustert sie Victor von oben bis unten und meint dann:

„Ich dachte immer, deine Bandagen verstecken eine Entstellung oder so. Ich bin froh, daß es nicht so ist. Denn die Narbe da ist ja nun wirklich nicht der Rede wert. Sag mal, wie lautet eigentlich dein richtiger Name?"

„Santa Claus."

Sie lacht nur. „Schon okay, ich finde ihn schon heraus. Ich kenne ja jetzt dein Gesicht."

Shredder wirft ihr einen giftigen Blick zu. „Mußt du deine neugierige Nase überall reinstecken?"

„Natürlich, ihr kennt mich doch. Aber keine Angst, das wird keine Enthüllungsstory. Ich steh einfach nur auf Hintergrundinfos."

Die beiden Männer mustern sie skeptisch. Aber dann muß Victor daran denken, daß April nicht einmal Shredders wahre Identität im TV breitgetreten hat, obwohl sie oft genug die Gelegenheit dazu hatte. Das ist genau genommen sehr anständig von ihr. Aber vielleicht kann man damit auch einfach nur keine Einschaltquoten gewinnen.

„Mußt du nicht zu deinem Freund?" Shredder versucht, höflich zu sein, aber es gelingt ihm nicht. Sie bemerkt, daß sie nervt, kann aber nicht aufhören, ihn anzustarren.

„Das ist unfair", klagt sie auf sein barsches „was?". „Du siehst jetzt so jung aus. Ich hätte mich auch in diesen Tümpel werfen lassen sollen."

„Das willst du ganz bestimmt nicht", murmelt Shredder leise vor sich hin - zu leise für sie, aber nicht zu leise für Victor, der direkt neben ihm steht. Der macht sich sofort eine gedankliche Notiz, Shredder endlich mal nach diesem Ereignis auszufragen.

„Können wir dir sonst noch irgendwie helfen?" will Victor wissen.

Sie zögert einen Moment, während ihre Blicke zwischen ihnen hin und her huschen und räuspert sich dann einmal.

„Mal ehrlich, Jungs: ist das ein Date oder ein Deal? Für mich sieht das nämlich mehr wie ein Date aus."

„Das ist doch kein Date", erwidert Victor beleidigt, während sich sein Griff um Shredders Schultern festigt. „Wenn ich meinen Ninja hier zu einem Date ausführe, dann ist das bestimmt etwas Besseres als so ein 08/15-Kinobesuch."

Daraufhin starrt sie Victor nur noch intensiver an und Shredder spürt, wie er mal wieder errötet. Ihm würden 08/15-Dates völlig genügen.

Doch dann verändert sich etwas in Aprils Blick und sie runzelt die Stirn.

„Dir ist das ernst damit", stellt sie perplex an Victor gewandt fest.

Natürlich ist es das, aber er sieht nicht ein, wieso er ihr noch mehr aus seinem Privatleben auf die hübsche Nase binden sollte. Und - ein schneller Seitenblick auf Shredder überzeugt ihn, dieses Thema ruhen zu lassen. Der Arme kämpft geradezu verzweifelt darum, eine neutrale Fassade zu bewahren.

Zum Glück taucht in diesem Moment Casey Jones am anderen Ende des Ganges auf.

„April, da bist du ja. Kommst du? Wir wollten doch noch was essen. Das hier ist schließlich ein Date."

„Ja, Casey, ich komme ja schon." April klingt nicht sehr begeistert, aber sie wünscht den beiden noch schnell viel Spaß, bevor sie sich umdreht und zu ihrem Freund eilt.

 

 

Die Begegnung mit April und vor allem Shredders merkwürdige Bemerkung bezüglich dieser Verjüngungsgeschichte hat Victor nachdenklich gemacht. Allmählich wird er wirklich neugierig. Aber er spricht die Sache erst an, als er mit seinen alten Mustang den Broadway verlässt und Richtung Yorkville einbiegt. Und nachdem Shredder sein kleines Telefongespräch mit dem Technodrome beendet hat. Er wirkt danach immer besonders gut gelaunt, also fasst sich Victor diesmal ein Herz.

„Diese Geschichte mit diesem Jungbrunnen-Tümpel..." Er lässt die Frage absichtlich unvollendet ausklingen und wirft ihm nur einen auffordernden Seitenblick zu. Er will Shredder selbst entscheiden lassen, ob und wenn, was und wieviel er ihm jetzt erzählt.

Shredder schweigt zuerst und spielt nur nervös mit dem Kommunikator in seinen Händen herum, während sein Blick immer abwesender wird. Das rote Licht der Ampel, an der sie stehen, malt faszinierende Lichtreflexe in seine ernste Miene.

„Es tat weh", stößt er plötzlich hervor. „Ich bin in Schüben gewachsen und jedes Mal war es schlimmer als davor. Beim letzten wurde ich vor Schmerzen fast wahnsinnig. Das hat Krang, Bebop und Rocksteady so große Angst eingejagt, daß sie sogar Splinter zu Hilfe gerufen haben." Während er redet, starrt er stur aus dem Fenster. Die Sache ist ihm sichtlich unangenehm.

„Ich verstehe", nickt Victor, während die Ampel wieder auf grün springt und er auf seine typisch ruhige Art wieder anfährt. Er ist ein guter Fahrer und das weiß er auch. Und jetzt nutzt er dieses Talent, um dem Mann neben sich die Sicherheit zu vermitteln, die dieser offensichtlich braucht.

„Das erklärt einiges", fügt er dann noch hinzu. Und dann, auf Shredders fragenden Blick: „Splinters Überfürsorglichkeit dir gegenüber. Und wieso die Beziehung zwischen dir, Krang und deinen Mutanten so eng geworden ist."

Shredder gibt nur so etwas wie ein zustimmendes „hrmpf" von sich, aber mehr hat Victor gar nicht erwartet. Es ist nicht nötig, daß Shredder ihm die tiefsten Tiefen seiner Seele offenbart - er versteht ihn.

Bis zur nächsten Kreuzung setzen sie die Fahrt schweigend fort.

„Und trotzdem", beginnt Shredder plötzlich wie aus heiterem Himmel, „wäre ich auf den Deal eingegangen. Sie waren immer meine Familie, auch wenn ich das erst brauchte, um es zugeben zu können."

Victor legt ihm seine rechte Hand aufs linke Knie und schenkt ihm ein kleines, zärtliches Lächeln. „Es war unfair von mir, dir diesen Deal vorzuschlagen. Aber es tut mir nicht leid."

Shredder pflückt Victors Hand von seinem Knie und verschlingt ihre Finger miteinander.

„Mir auch nicht."

Zum Glück kommt schon die Auffahrt in Sichtweite, die auf den Parkplatz führt, der zu dem Mietshaus gehört, in dem Victor wohnt.

Es ist ewig her, daß Victor jemanden im Auto vernascht hat, aber er kann nicht garantieren, der Versuchung jetzt zu widerstehen...

 

 

Samstagabend

Kapitel 22

Samstagabend

 

Er weigert sich standhaft, diese schicksalsschweren Wörter auszusprechen. Nicht einmal dann, wenn sich sein Verstand seinem Körper anschließt und vor Wonne zerschmilzt, sagt er sie. Auch nicht ganz leise. Worte wie diese machen einen angreifbar. Verletzlich. Und das kann er sich einfach nicht erlauben.

Aber all das hindert ihn nicht daran, die Wahrheit, die diese Wörter verkörpern, zu fühlen. Mit jeder Faser seines Körpers, jeder Nervenzelle und jedem Schlag seines Herzens.

Nur sagen wird er es nicht. Eher beißt er sich die Zunge ab. Es sind doch sowieso nicht die Worte, die zählen.

Auch für ihn sind es schließlich nicht die Dinge, die Victor zu ihm sagt, die Shredder dazu gebracht haben, so für ihn zu fühlen.

„Träumst du? Hey, Saki!" Victors Stimme dicht an seinem rechten Ohr bringt ihn zurück ins Hier und Jetzt. Und das ist heiß und naß und riecht nach wilden Beeren.

„Was?" Blinzelnd dreht Shredder den Kopf ein wenig, um in diese schönen, blauen Augen sehen zu können. „Entschuldige."

Nachsichtig lächelnd festigt Victor seinen Griff um Shredders Taille, vergräbt seine Nase in dessen schwarzen, jetzt feuchtem Haar und atmet seinen Duft nach Wildbeeren und Wasser tief ein. Er fühlt sich rundum zufrieden.

Es war ein schöner Tag. Ausschlafen, Sex und kuscheln, nach einem kleinen Frühstück in den Supermarkt um die Ecke und die Zutaten fürs Mittagessen eingekauft, eine Runde Nintendo gespielt (er hatte schon ganz vergessen, daß er so etwas besitzt), gemeinsam gekocht und gegessen, dann die Kalorien zuerst mit ein bißchen Sex und dann im Sportstudio abtrainiert. Und jetzt gönnen sie sich ein schönes, heißes Schaumbad.

Victor ist ein großer Mann, seine Wanne ist riesig. Sie passen bequem hinein und Victor genießt es, wie Shredder zwischen seinen Beinen sitzt und sich mit dem Rücken an seine Brust lehnt. Es wäre allerdings noch besser, wenn er sich ganz auf ihn konzentrieren könnte.

„Wo warst du eben mit deinen Gedanken?"

„Bei dir", ist Shredders ehrliche Antwort.

Sein Blick fällt auf die beiden, inzwischen fast leeren Gläser auf dem Wannenrand und wandert dann weiter über die sanft flackernden Kerzen.

„Uns. Das hier", ergänzt er dann.

Wasser plätschert und Schaum tropft, als er mit einer weitausholenden Geste auf die Dekoration aus Teelichtern und - um Himmels Willen (!) - Rosenblütenblättern deutet. Dazu noch der teure Champagner.

„Das ist so dekadent. Und ... kitschig."

„Kitschig?" wiederholt Victor. Er klingt nachdenklich. Aber auch ein klein wenig enttäuscht.

Shit. Der Alkohol hat ihn nicht nur träge und matt, sondern auch unvorsichtig gemacht. Hätte er doch nichts gesagt! Aber Shredder will ihn auch nicht belügen.

„Der Champagner ist in Ordnung", erwidert er daher versöhnlich, „die Kerzen gehen auch noch, aber die ... Rosenblätter sind ein wenig zuviel des Guten."

„Ich finde es romantisch."

„Ja, ist es auch. Wenn einer von uns eine Frau wäre." Shredders Stimme ist immer noch Normallautstärke, gewinnt aber deutlich an Schärfe. „Und auch, wenn ich in achtzig Prozent der Fälle unten liege, heißt das nicht, daß ich dein Frauchen bin."

Victor verbeißt sich ein Grinsen und ist froh, daß Shredder das nicht gesehen hat. Da ist er wieder: dieser Stolz, der seinen Ninja auszeichnet und den er so an ihm liebt. Er versteht Shredders Worte nicht als Vorwurf, denn die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache: Shredder liegt zwar wirklich oft unten, aber in mindestens der Hälfte aller Fälle ist er nicht der Bottom. Victor behält eben auch gerne die Kontrolle – in jeder Situation.

„Wärest du eine Frau“, haucht er ihm daher ins Ohr. „wärest du gar nicht hier. Und ich würde ganz bestimmt nicht das mit dir machen.“

Vielsagend läßt er seine rechte Hand von Shredders Hüfte tiefer wandern. Ganz bewußt lässt er die offensichtlichen Körperteile links liegen und streichelt sich dafür höchst penetrant über Shredders Oberschenkelinnenseite. Etwas, was diesen wie immer sofort zum Erschauern bringt.

„Später“, wehrt ihn Shredder leise ab, pflückt diese freche Hand von seinem Oberschenkel und verschlingt ihre Finger miteinander.

Victor gibt sich geschlagen.

Für den Moment.

„Also keinen Rosenstrauß“, resümiert er. „Schade.“

„Sieht doch bescheuert aus, wenn ein Mann einem anderen Mann Blumen schenkt“, platzt es aus Shredder heraus. Er zögert kurz und grinst ihn dann an: „Mir genügt ein Bonsai.“

Ja, klar. Die kosten ja auch nur ein kleines Vermögen.

Victor wirft den Kopf zurück und beginnt schallend zu lachen. Er entzieht Shredder seine Hand und umschlingt ihn dann mit beiden Armen, um ihn ganz fest an sich zu drücken. Der grinst nur noch breiter und läßt seinen Kopf gegen Victors Schulter sinken.

„Und was ist mit dir, Vic? Soll ich dir einen Blumenstrauß, Pralinen und flauschige Dinge schenken?“ Der Spott in seiner Stimme kann die Ernsthaftigkeit darunter nicht ganz übertünchen.

„Nein“, kann ihn Victor, immer noch leise glucksend, beruhigen. „Die Pralinen nehme ich gerne, aber den Rest brauche ich nicht.“

„Ach?“ fragend hebt Shredder die linke Augenbraue, nimmt eines der Blütenblätter zwischen Zeigefinger und Daumen und hält es ihm vielsagend vor die Nase. „Und was ist das hier?“

„Ein Test, um herauszufinden, wie romantisch du bist?“

Wasser schwappt und Schaum stiebt auf, als sich Shredder mit einem Ruck zu ihm herum dreht. In seinen braunen Augen flackert etwas, das Victor nicht bestimmen kann. Vielleicht liegt es auch nur am Kerzenlicht.

Sekundenlang starrt Shredder ihn einfach nur an, während eine feine Röte seine Wangen überzieht. Und dann senkt er den Blick und vergräbt sein Gesicht in einer Hand.

„Victor … du bist ...“ Er holt einmal tief Luft, versucht, sich zu sammeln, und in diesem Moment ist Victor schon dabei, ihn zurück in seine Arme zu ziehen.

„Ich verlange nichts von dir, Saki.“ Ihm wird bewußt, wie sehr er Shredder mit solchen Aktionen unter Druck setzt. Er ist ein Mann, der niemandem etwas schuldig bleiben will, und Victor versteht das. Aber er muß auch lernen, Geschenke und Freundlichkeiten einfach mal nur anzunehmen.

Schmunzelnd berührt er ihn am Handgelenk.

„Und jetzt nimm deine Hand von deinem schönen Gesicht, damit ich dich küssen kann.“

 

 

Vielleicht liegt es an den Nachwirkungen des heißen Wassers. Oder am Alkohol. Eventuell auch nur an der entspannten Stimmung und der leichten, sexuellen Spannung, die zwischen ihnen herrscht. Letztendlich ist es egal, wieso sie so in Kuschelstimmung sind. Sie lümmeln auf der Couch herum, nur mit ihren Bademänteln bekleidet - die genaugenommen beide Victor gehören. Aber wozu sollten sie sich ankleiden? Sie wissen, wo das hier früher oder später endet. Wahrscheinlich früher. Noch bevor der Blockbuster, der im TV läuft und den sie sowieso nicht mehr beachten, zu Ende ist.

„Ich mag deine Sommersprossen." Shredder liegt halb auf Victor und streichelt und küsst sich andächtig über dessen Gesicht.

„Oh", erwidert Victor mit einem feinen Lächeln. Er hat seine Hände unter Shredders Bademantel geschoben und lässt seine Finger genüßlich über dessen vom Bad noch ganz erhitzte Rückenhaut wandern. Er liebt es, wenn Shredder so anschmiegsam ist. „Nur meine Sommersprossen, ja?"

„Nein", lacht Shredder leise auf, nur allzu bereit, auf das Spiel einzugehen. Sanft streicht er ihm eine Haarsträhne aus der Stirn und platziert einen kleinen Kuß auf Victors Stirn. „Die Farbe deines Haares erinnert mich immer an den Sonnenuntergang über dem Ozean. Dessen Wasser so blau ist wie deine Augen. Und deine Haut..." seine Lippen und Zunge zeichnen eine feuchte Spur über Victors Gesicht, Kiefer, Hals und Brustkorb. „Deine Haut ist so hell und schön wie kostbarster Alabaster."

Victor schluckt einmal schwer. Shredders schöne Worte schmeicheln ihm, auch, wenn er sie für grenzenlos übertrieben hält.

„Äußerlichkeiten?" In gespieltem Tadel schnalzt er mit der Zunge. „Ist das alles, was dir an mir gefällt?"

„Natürlich nicht.“ In Shredders dunklen Augen erwacht ein schelmisches Glitzern. „Aber es ist so schwer, das alles aufzuzählen. Ich wäre schneller fertig, wenn ich mich auf das beschränke, was mir nicht an dir gefällt."

„Oh. Gut. Dann erzähl mal. Was gefällt dir nicht an mir?"

Lachend schüttelt Shredder den Kopf. „Ich bin doch nicht lebensmüde." Doch dann wird er wieder ernst. „Um ehrlich zu sein, an Negativem will mir auf die Schnelle nichts einfallen."

Für einen Moment starrt Victor ihn einfach nur an, dann packt er ihn fester um die Taille und dreht sie beide so, daß er nun oben liegt. Während er sich mit einer Hand im Polster abstützt, legt er seine andere an Shredders Wange und sieht ihm dabei tief in die Augen.

„Oroku Saki, weißt du was? Ich. Liebe. Dich."

Er sieht und spürt genau, wie Shredder daraufhin der Atem stockt. Und für einen Moment ist da wieder dieses sonderbare Flackern in seinen Augen wie vorhin in der Badewanne. Er öffnet den Mund, um etwas zu entgegnen, doch Victor läßt ihm keine Gelegenheit dazu und verschließt diese göttlichen Lippen mit einem Kuß, der sanft beginnt und sehr schnell, sehr leidenschaftlich wird.

 

 

Sonntag

Kapitel 23

Sonntag

 

Es ist das leise, plätschernde Geräusch von dicken, fetten Regentropfen, die an sein Fenster klopfen, die ihn wecken. Das und das triste Licht verraten ihm, dass, auch wenn die Uhr seines Radioweckers schon acht Uhr am Morgen zeigt, es heute wohl nicht mehr richtig hell werden wird. Normalerweise hasst er solche Regentage, sie drücken aufs Gemüt, aber heute ist alles warm und kuschelig.

Victor dreht sich auf die Seite, betrachtet den neben ihm liegenden Mann lächelnd und streichelt ihm behutsam durchs Haar. Jesses, wenn er schläft, sieht er noch jünger aus. Wie gut, dass ihm das nichts mehr ausmacht.

Langsam, vorsichtig, lässt er seine Finger über dieses wunderschöne Gesicht wandern. Über die feingeschwungenen Augenbrauen, die gerade Nase und über diese küssenswerten, vollen Lippen. Behutsam öffnet er die obersten Knöpfe von Shredders Pyjama, streift den Stoff etwas beiseite und küsst sich über diese schöne, goldbraune Haut. Eine Zeitlang geschieht nichts, Shredder schläft einfach weiter. Aber dann hat sich Victor zu seiner linken Brustwarze vorgearbeitet und erntet ein leises, verschlafenes Seufzen.

Und dann spürt Victor, wie sich warme Finger träge durch seine Haare kraulen.

„Hmmmm... Guten Morgen, Victor."

Noch ein letzter, spielerischer Zungenschlag und Victor hebt lächelnd den Blick.

„Einen wunderschönen guten Morgen auch dir, Cutie." Dann stockt er, hingerissen von dem verschlafen-lasziven Ausdruck auf Shredders Miene. Und plötzlich weiß er, was er heute unbedingt machen will. Mit einem vorfreudigen Funkeln in den Augen streckt er sich, bis ihre Gesichter wieder auf gleicher Höhe sind.

„Hm... Heute ist Sonntag. Und es regnet."

Shredder schielt kurz hinüber zum Fenster.

„Und?" murmelt er dann neugierig gegen Victors Lippen.

Der grinst nur höchst verdächtig, gibt ihm einen kleinen Kuss und springt dann mit einem „warte es ab" aus dem Bett, um hinüber in die Küche zu eilen. Shredder hat kaum Gelegenheit, seinen nackten Rücken und den festen Hintern unter den tiefhängenden Pyjamahose zu bewundern, da ist Victor schon wieder zurück - bewaffnet mit einem Sechserpack Mineralwasser. Misstrauisch sieht ihm Shredder dabei zu, wie er die Getränke auf dem Nachttisch deponiert und in ihm keimt ein gewisser Verdacht.

„Was planst du, Rattenkönig?"

Mit einer betont unschuldigen Miene schlüpft dieser wieder zu ihm unter die Bettdecke.

„Weißt du, was ich schon immer mal machen wollte und nur noch nie dazu kam?" Victors Stimme ist ein leises, rauhes Flüstern dicht an Shredders Ohr.

„Du wirst es mir sicher gleich sagen...", kommt es schmunzelnd zurück. Er ahnt schon, in welche Richtung das hier führt, denn abgesehen von den Wasserflaschen (Victor hat immer großen Durst nach dem Sex), sind Victors freche Hände auf seinem Körper ein eindeutiger Hinweis.

„Ich wollte schon immer mal den ganzen Sonntag faul im Bett verbringen und mich dort mit unaussprechlichen Dingen beschäftigen." Er klingt so verdorben, so verrucht ... Shredder spürt, wie es ihm heiß und kalt zugleich den Rücken hinunterläuft.

„Und ... für diese unaussprechlichen Dinge brauchst du ... Hilfe?"

„Allein würden sie keinen Spaß machen." Es ist kaum zu glauben, aber Victors Stimmlage ist noch tiefer gerutscht. Jetzt klingt er nicht nur verdorben, sondern auch gefährlich. Eine Kombination, die Shredder unheimlich anmacht.

„Und ...", erkundigt er sich atemlos, denn inzwischen liegt Victor der Länge nach auf ihm, „du willst mir diese Dinge zeigen?"

Um Victors Mundwinkel zuckt ein kleines, gemeines Lächeln, als er Shredders Hände packt und sie rechts und links neben seinem Kopf in die Kissen drückt.

„Du wirst mich anbetteln."

Shredder funkelt ihn nur herausfordernd an.

„Ich bettle nicht, Victor. Niemals."

„Ich wette, ich bringe dich dazu."

„Versuch's doch."

Victor konnte noch nie einer guten Herausforderung widerstehen, daher besteht seine Antwort aus einem kleinen, vorfreudigen Knurren, garniert mit einem Hüftschwung, der Shredder überrascht nach Luft schnappen lässt.

 

 

Er bettelt wirklich nicht.

Das sollte Victor eigentlich frustrieren, aber dem ist nicht so.

Es muß schließlich nicht immer verbal sein.

Der Körper hat seine ganz eigene Sprache, um sich auszudrücken.

Um zu betteln.

Jeder hungrige Kuß, jede Berührung, jedes leise Seufzen kann ein Ausdruck von Bettelei sein. Und wenn ihn diese Arme ganz fest umklammern, wenn ihm dieser göttliche Körper in der heißen Phase ihrer Vereinigung sehnsüchtig entgegenkommt, wenn quasi das ganze Sein dieses Mannes unter ihm erbebt - was ist das dann anderes als ein Flehen nach mehr? Nach mehr Wärme, Nähe, Geborgenheit und nach Berührungen und Leidenschaft?

Er muss es nicht laut aussprechen, genauso wenig, wie er ihm sagen muss, wie er für ihn fühlt. Victor sieht es. Er sieht es daran, wie oft sich Shredders Wangen vor Verlegenheit röten, wenn er ihm ein Kompliment macht. Er erkennt es an den Blicken, die Shredder ihm zuwirft, wenn er sich unbeobachtet glaubt. Und er fühlt es an der Herzlichkeit, die von Shredder auf ihn überstrahlt.

Und all das macht Victor sehr, sehr glücklich. Nur leider, leider ganz offensichtlich auch extrem enthusiastisch.

„Alles in Ordnung?" Schuldbewusst streichelt Victor über Shredders linken Unterarm und hofft, dass die roten Abdrücke dort schnell wieder verschwinden. Wie konnte er sich nur so vergessen?

„Es tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun."

Shredder liegt flach auf dem Rücken, ab den Hüften abwärts züchtig mit einer Decke bedeckt und versucht, immer noch zu Atem zu kommen. Seine rechte Hand befindet sich unter der Decke und Victor weiß nicht, was die da macht, aber der Anblick genügt trotzdem, um sein schlechtes Gewissen zu verstärken. Er hat das Gefühl, sich diesmal tiefer als jemals zuvor in ihm vergraben zu haben.

„Alles okay", beruhigt ihn Shredder lächelnd. Er atmet einmal tief durch und lässt die Luft dann mit einem gedehnten „puh" entweichen. „Das war verdammt ... stürmisch." Und als Victor die Hand ausstreckt, um ihm eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn zu streichen, fügt er noch in scherzhaft-vielsagendem Tonfall hinzu: „Sehr intensiv."

So kann man es natürlich auch nennen", lächelt Victor schief zurück.

„Hey!" spielerisch schlägt Shredder nach ihm, doch Victor fängt seine Hand schnell ein und hält sie fest. Doch es ist Shredder, der ihre Finger miteinander verschränkt.

„Ich bin vielleicht etwas groggy, aber ansonsten geht es mir gut. Ich bin nicht aus Glas, Vic."

Victor sagt nichts, er starrt ihn nur bekümmert an und zieht ihn dann zögerlich in seine Arme. Um ihm zu zeigen, dass wirklich alles in Ordnung ist, schmiegt sich Shredder ganz fest an ihn.

Es dauert eine Weile, aber mit Hilfe von ein paar Küssen und zärtlichen Streicheleinheiten über Victors muskelbepackten Oberkörper, Schultern und Gesicht, entspannt sich dieser allmählich wieder.

Ein wenig tut er Shredder leid. Aber nur ein wenig.

„Ich schätze mal", beginnt er daher mit sanften Spott, „das eben war so ungefähr das, was du dir bei diesem Deal vorgestellt hast."

Es kommt zumindest dem sehr nahe, womit Shredder in dieser Hinsicht gerechnet hatte.

Victor räuspert sich einmal und fährt dabei versonnen mit den Fingerspitzen Shredders Wirbelsäule nach. Er spürt, wie dieser daraufhin in seinen Armen erschauert und sich noch enger an ihn kuschelt, denkt dabei an seinen Ex, der ihm so viel unbeherrschte Leidenschaft niemals verziehen hätte und kann sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen.

„Ich mag es manchmal wild und hart", gibt er dabei zu. „Aber normalerweise spreche ich das vorher mit meinem Partner ab. Es tut mir leid, ich weiß nicht, was über mich gekommen ist."

Shredder grunzt nur, hebt seinen Arm etwas und krault sich durch dieses schöne, rotblonde Haar. Dann reckt er sich und haucht ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen.

„Diesmal war ich nahe dran", erklärt er schließlich leise.

„Womit?" kommt es verdattert zurück.

Shredders Lippen verziehen sich zu einem geradezu wölfischen Grinsen.

„Ich hätte fast nach mehr gebettelt. Aber", schränkt er schnell ein, „wirklich nur fast."

Victor blinzelt ihn für einen Moment einfach nur verdutzt an, und dann öffnet er den Mund, um etwas zu sagen, aber Shredder kommt ihm zuvor:

„Wer weiß", in seinen dunklen Augen erwacht ein spitzbübisches Funkeln, während er die Finger seiner rechten Hand neckisch über Victors Brust wandern lässt, „nur ein kleines bißchen mehr, nur ein wenig, dann könnte ich zumindest darüber nachdenken, ob ich nicht doch mal betteln sollte."

Victors Augen weiten sich für einen Moment fassungslos und er starrt ihn an, als hätte er sich in seinen Armen in einen Fisch oder so verwandelt. Der Anblick ist so komisch, daß Shredder sich nur mit Mühe das Lachen verbeißen kann.

Aber dann sieht er, wie sich Victors Pupillen weiten und spürt, wie sich dessen Körper schon vor Erwartung anspannt.

„Nicht jetzt, du Gierschlund!“ Er lacht auf und hebt abwehrend die Hand. „Gönn mir wenigstens eine kleine Verschnaufpause.“

„Natürlich“, grinst Victor zurück und streckt sich dann etwas, um eine der Wasserflaschen auf dem Nachttisch zu erreichen. Er bietet Shredder auch eine an, doch der schüttelt nur den Kopf.

„Ich gönne dir deine Verschnaufpause“, erklärt Victor dann noch einmal, und in seinen Augen leuchtet Lust mit dem Schalk um die Wette, während er die Flasche an seine Lippen setzt. „Und zwar genau so lange, wie ich brauche, um das hier auszutrinken.“

Shredder, nicht im Geringsten entsetzt, dafür aber sehr froh, dass Victor offensichtlich seine (in seinen Augen überflüssigen) Schuldgefühle vergessen hat, grinst nur nachsichtig zurück.

 

 

Ich liebe dich.

Ich. Liebe. Dich.

„Victor, ich ...“ doch weiter kommt Shredder nicht. Victors nächster Hüftstoß läßt ihn Sterne sehen und dann presst Victor seine Lippen auf Shredders und stiehlt ihm mit einem wilden Zungenkuß nicht nur die Worte, sondern auch den Atem.

Shredder, der Victors stürmischen Leidenschaft schon lange nichts mehr entgegen zu setzen hat, bleibt nichts anderes übrig, als sich haltsuchend an ihm festzuklammern. Victor ist eine Naturgewalt, ein Monster, das ihn mit gesamten Körpereinsatz in die passive Rolle gedrängt hat. Aber das stört ihn schon lange nicht mehr – er kommt ja gar nicht mehr zum Denken.

Seine Welt besteht nur noch aus verwirrenden, heißglühenden Emotionen, die dem Feuer in seinem Unterleib in nichts nachstehen. Es ist diese Art von Gefühlen, vor denen er immer Angst hatte, weil sie alles in ihm zu Asche verbrennen können, wenn nichts ähnliches zurück kommt. Deshalb will er diese drei Worte auch nie sagen – einmal ausgesprochen, bedeuten sie immer den Anfang vom Ende.

Abermals sieht er Sterne und die Welt um ihn herum beginnt, sich zu drehen... geradezu verzweifelt klammert er sich noch fester, sucht Halt in Victors Körperwärme, seiner Stärke, seiner Präsenz ...

„Scht!“ entsetzt hält Victor ihm mit der Hand den Mund zu, erstickt damit Shredders Schrei.

So laut! Das kam jetzt unerwartet, schließlich gehört Shredder doch normalerweise zu den stillen Genießern.

Aber diesmal ist es wohl besonders heftig für ihn. Hypersensibel. Überstimuliert.

Jesses.

Aber so schön. So unendlich schön...

„Nachbarn“, kann er selbst noch erklärend keuchen, ersetzt seine Hand durch seine Lippen und entschuldigt sich für seine Grobheit mit einem besonders zärtlichen Kuß, während er es zulässt, daß sein eigener Höhepunkt über ihn hinwegrauscht.

Shredder gibt nur einen erstickten Seufzer von sich, schlingt seine Arme noch fester um Victors Nacken und zieht ihn dadurch enger auf sich. Zitternd und bebend, ineinander regelrecht ertrinkend, kämpfen sie sich gemeinsam durch die Nachwirkungen ihres Höhepunktes.

 

 

Atmen.

Einfach nur atmen.

Daran muss sich Victor immer wieder selbst erinnern, denn, oh Himmel, sein Körper scheint vergessen zu haben, wie das geht. Shredder in seinen Armen zittert immer noch und Victor hält ihn fest, ganz fest.

„Ich liebe dich." Erst drückt er ihm einen Kuss auf das verschwitzte Haar, dann auf die Schläfe.

Shredder nimmt einen tiefen, zitternden Atemzug.

„Victor..." schwach hebt er die Hand und berührt sanft die Narbe an seiner Wange. „Ich..."

Lautes Rufen und Klopfen an der Wohnungstür übertönt alles, was er sagen wollte.

„Mister Falco? Hallo? Ist alles in Ordnung?"

Während Shredder regelrecht zusammenzuckt, schnellt Victor mit einem „Oh Gott!“ in die Höhe.

„Meine Nachbarin“, ächzt er, und dann hören sie schon, wie ein Schlüssel ins Schloß geschoben wird.

„Mister Falco? Ich bin's: Mrs Sawyer von oben. Ich habe einen Schrei und Lärm gehört. Ist alles okay bei Ihnen da drinnen? Haben Sie sich verletzt? Ich hab noch Ihren Zweitschlüssel. Ich komme jetzt rein, okay?“

„Bleib liegen“, Victor gibt Shredder noch einen schnellen Kuß, springt dann aus dem Bett, stolpert dabei fast über seine eigenen Füße, denn er hat noch mit weichen Knien zu kämpfen, rafft einen der Bademäntel vom Fußboden und wirft ihn sich im Laufen über, während er zur Tür hastet. Er erreicht sie in jenem Moment, wo sie geöffnet wird.

„Mrs Sawyer.“ Atemlos stellt er sich in den Türspalt und schenkt seiner besorgten Nachbarin ein strahlendes Lächeln. „Es ist alles in Ordnung. Mir geht es gut. Bitte entschuldigen Sie den Lärm. Ich habe ...“ er legt eine kleine Kunstpause ein und betont das nächste Wort auf eine eindeutige Art und Weise, „Besuch und wir wurden wohl etwas laut. Bitte entschuldigen Sie.“

Mrs Sawyer, ihres Zeichens sehr verantwortungsvolle Hausmeisterin und sehr tolerant, was alternative Lebensstile betrifft, registriert seinen derangierten Zustand und den hastig übergeworfenen Bademantel genauso schnell wie die Tatsache, daß er unter dem Kleidungsstück absolut nackt ist, schiebt sich die Brille auf ihrer spitzen Nase zurecht und mustert ihn streng.

„Bleibt er länger, ihr Gast? Sie wissen doch noch, daß Sie es melden müssen, wenn jemand länger als einen Monat bei Ihnen wohnt, weil das dann als Untermiete gelten könnte?“

„Ich werde daran denken. Danke, Mrs Sawyer.“

„Nun, ich denke, ich werde mich noch erst wieder daran gewöhnen müssen, dass Sie wieder hier wohnen“, sie lächelt nachsichtig. „Ich hatte mich schon ganz an die Stille unter mir gewöhnt. Wie lange waren Sie nur immer auf Stippvisite hier? Drei Jahre? Nun, ich bin froh, dass Sie die Wohnung nie aufgegeben haben. Sie sind einer der unkomplizierteren Mieter. Zahlen immer pünktlich, machen keine Scherereien, sind zu jedem höflich...“ Ihre Stimme senkt sich zu einem nachdenklichen Murmeln, für eine Sekunde starrt sie ihn einfach nur an und dabei wird ihre Miene immer weicher. „Wissen Sie“, meint sie dann etwas leutselig und tätschelt seinen Arm, „Sie haben diesen Kerl ja nie mit hierher gebracht, also wußte ich schon immer, dass er nicht der Richtige für Sie ist. Viel Glück mit Ihrer neuen Flamme und machen Sie sich keine Sorgen wegen des Lärms. Ich weiß ja jetzt Bescheid.“

Sie zwinkert ihm nocheinmal verschwörerisch zu, dreht auf dem Absatz um und geht.

Seufzend schließt Victor hinter ihr wieder die Tür und legt diesmal zur Sicherheit auch noch die Kette vor, bevor er ins Schlafzimmer zurückgeht.

Dort sitzt Shredder, züchtig in die Decke gewickelt, und blinzelt ihm aus dunklen Augen entgegen. Er wirkt immer noch nicht ganz klar. Aber seine Miene verrät: er hat jedes Wort mitangehört.

„Tut mir leid“, begrüßt er ihn zerknirscht. „Ich war wohl etwas laut, hm?“

„Scheiß drauf“, erwidert Victor nur, lässt den Bademantel von seinen Schultern gleiten und klettert zu ihm ins Bett.

„Du hast sie doch gehört: sei so laut du willst.“ Mit diesen Worten zieht er ihn wieder in seine Arme.

„Und was ist mit deinen anderen Nachbarn?“ wagt es Shredder, das Gesicht behaglich gegen Victors Schulter geschmiegt, einzuwenden. „Was ist, wenn die sich auch noch beschweren?“

„Mrs Sawyer hat sich nicht beschwert. Sie dachte nur, mir wäre etwas passiert. Und glaub mir, weit und breit ist sie die einzige, die deshalb vor meiner Türe steht. Die anderen kümmern sich nur um sich selbst.“ Lächelnd läßt er sich mit ihm in den Armen zurück auf die Matratze sinken. „Vertrau mir“, murmelt er dabei. „Alles ist gut.Sei so laut wie du willst. Halte dich nicht zurück. Sei einfach du.“

„Victor, ich...“ doch Shredders Stimme, sowieso nur ein leises Wispern, erstirbt mitten im Satz, wird zu einem langgezogenen, zitternden Seufzer, während sich Shredder noch enger in seine Arme schmiegt.

Victor sagt nichts, er hält ihn nur fest, bis er eingeschlafen ist und noch lange darüber hinaus.

 

Montag

 

Kapitel 24

Montag

 

„War da eben jemand an der Tür?" gähnend tritt Shredder aus dem Badezimmer. Trotz der Dusche ist er immer noch nicht ganz wach. Er fühlt sich etwas erschöpft, aber auf eine gute Art. Als hätte er einen anstrengenden Kampf hinter sich und - gewonnen.

Victor starrt ihn einen Moment lang einfach nur an. Niemand trägt eine Jeans und ein rotes T-Shirt lässiger als sein Shredder. Und niemand sieht so verschlafen so süß aus. Über diesen Anblick vergisst Victor fast alles andere. Doch dann schnappt er schnell wieder zurück ins Hier und Jetzt, und er erinnert sich an das, was er hinter seinem Rücken versteckt.

„Hier, für dich." Vielsagend hält er Shredder sein Geschenk entgegen. Der blinzelt überrascht, starrt erst auf die kleine bepflanzte Schale und dann hoch in Victors strahlendes Gesicht. Und dann wieder auf die Schale.

„Was... ist das?" bringt er schließlich hervor, während er das Geschenk andächtig entgegennimmt.

„Ein Bonsai", erwidert Victor vergnügt. „Steineibe, wenn ich mich nicht irre."

„Ja, natürlich ... Aber...", stammelt Shredder sichtlich überwältigt, „aber woher ... und wie ...? Hast du dich rausgeschlichen, als ich schlief?"

Victor lächelt über Shredders vorwurfsvollen Blick.

„Nein, war nicht nötig", erklärt er und ist sehr mit sich zufrieden. „Lieferservice.“ Und dann fügt er erläuternd hinzu: „Ich habe eine Kollegin aus der Kundenbetreuung angerufen und sie um die Nummer des Blumenhändlers gebeten, bei dem wir immer die Blumensträuße für unsere Stammkunden bestellen."

„Was seid ihr denn für 'ne Bank? Ihr schenkt euren Kunden Blumen?"

„Service wird bei uns noch groß geschrieben", kommt es vergnügt zurück. „War übrigens meine Idee und hat mir eine hübsche Prämie eingebracht." Und weil ihm sein eigener Stolz plötzlich peinlich ist, strebt er einen Themenwechsel an und nickt vielsagend auf das Bäumchen in der Schale. „Gefällt er dir?"

Shredder nickt nur stumm, tritt dicht an Victor heran und stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen kleinen Kuß auf die Wange zu hauchen, bevor er den Bonsai dicht vor seine Augen hält und ihn mit Kennermiene ganz genau mustert.

Victor genügt das als Antwort, also lässt er ihn mit seinem Geschenk erst einmal alleine und geht zurück in die Küche, wo seine Kaffeemaschine schon um Aufmerksamkeit bettelt.

 

 

„Das ist jetzt aber ein Date", stellt Shredder im Brustton der Überzeugung fest, als er sich neben Victor auf dem Beifahrersitz anschnallt. Und als Victor daraufhin nicht antwortet und nur die rechte Augenbraue in die Höhe zieht, während er gleichzeitig den Motor startet, zählt Shredder an den Fingern ab: „Erstens: du hast mir eine Blume geschenkt. Den Bonsai. Zweitens: du lädst mich zum Essen ein und lächelst nur so geheimnisvoll, wenn ich dich frage, wohin es geht. Und drittens: du bist ganz nervös."

Nervös? Also, bitte! Victor wischt sich die rechte Handinnenfläche noch einmal an der Jeans trocken und nimmt die Hand dann wieder ans Lenkrad.

Für einen Moment denkt er daran, es abzustreiten, aber nur so lange, bis er aus der Parklücke heraus ist.

„Ich sagte doch", erklärt er dabei grinsend, „dass du es merkst, wenn es ein Date ist."

„Also habe ich recht?"

„Das habe ich nicht gesagt."

Shredder mustert ihn scharf und lehnt sich dann im Sitz zurück, verschränkt dabei die Arme vor der Brust und um seine Mundwinkel zuckt ein triumphierendes Lächeln.

Aber er sagt nichts.

Doch schon an der ersten Kreuzung, als sie an der ersten roten Ampel anhalten müssen, seufzt Victor einmal tief auf und gibt widerstrebend zu:

„Ja, okay, du hast Recht. Das hier ist ein Date."

 

 

Und welch ein Date!

Victor hatte ihm ja immer versprochen, es würde etwas Besonderes werden. Nicht, dass Shredder so etwas brauchen würde, aber es ist ... nett, wenn sich jemand so viel Mühe gibt. Und obwohl das Parkhaus, in das Victor seinen Mustang nach zwanzig Minuten fährt, zu einer beliebten Hauptstraße mit noch beliebteren Geschäften gehört, weiß er sofort, welches Restaurant sich Victor für sie ausgesucht hat.

„Das hier ist doch auch wieder so eine Sache, die du weit im voraus gebucht hast", kann es sich Shredder nicht verkneifen, als sie vor dem schlichten, aber sehr eleganten Eingang stehen.

„Rate mal, bei welcher Bank die Geschäftsführerin Kundin ist?" Lächelnd legt ihm Victor einen Arm um die Schultern, während sie gemeinsam den Anblick genießen. „Blumensträuße für gute Kunden zahlen sich aus. Ein Anruf heute morgen genügte. Natürlich waren die Dinner schon ausgebucht, aber mittags war noch ein Tisch frei. Und es ist doch viel skurriler, wenn es draußen noch hell ist, oder?"

„Du steckst voller Überraschungen", lobt Shredder, der mit der letzten Bemerkung nichts anfangen kann, aber sich auch nicht die Blöße geben will, danach zu fragen. Er weiß, dass es etwas mit der Art dieses Restaurants zu tun haben muss.

„Ich gebe mir Mühe", erwidert Victor. Es klingt scherzhaft, ist aber ernst gemeint.

Das ist kein normales Restaurant, schon die verdunkelten Fenster und der Name deuten darauf hin. Carpe Noctum. Nutze die Nacht.

Shredder wirft Victor einen fragenden Blick zu, sieht dann aber den Schalk in diesen schönen blauen Augen blitzen und schenkt ihm nur ein kleines Lächeln. Victor mag es geheimnisvoll, also will er ihm den Spaß nicht verderben. Er kann auf die Beantwortung seiner unausgesprochenen Frage warten, bis sie ihm von Victor freiwillig präsentiert wird.

Und als Victor ihn dann mit diesem begeisterten Lächeln am Handgelenk ins Carpe Noctum zieht, lässt er es sich geduldig gefallen.

Gleich hinter der Eingangstür befindet sich ein Empfangstresen und an diesem steht die Besitzerin höchstpersönlich, um sie - und besonders natürlich Victor - zu begrüßen. Es folgt die übliche Anbiederei eines Kreditnehmers bei einem Repräsentanten seiner Bank. Aber Victor hält den Ton so locker und ohne jede Arroganz, dass es letztendlich nicht zu einer völlig würdelosen Begegnung wird. Sie müssen ihre Mäntel und Wertsachen an der bewachten Garderobe abgeben - nur das Portemonnaie dürfen sie mitnehmen. Sie wählen das Menü im voraus und sie zahlen im voraus. Und es gibt Regeln, die sie beachten müssen.

Das Carpe Noctum ist ein Restaurant, bei dem in absoluter Dunkelheit gespeist wird. Die Kellner sind alle blind und somit die einzigen, die sich sicher zwischen den Tischen bewegen können. Sie sind auch die einzigen, die die Gäste zu den Waschräumen und zum Ausgang bringen können. Diese Art der Abhängigkeit gefällt Shredder nicht, aber er schluckt gerne sein Unbehagen herunter, denn der Rest klingt wahnsinnig faszinierend.

 

 

Es ist dunkel.

Pechschwarz.

Im ersten Moment ist es ein Schock, aber dann sind da die Geräusche - das Murmeln der anderen Gäste, das Klirren von Besteck und Geschirr, die Schritte der Kellner und ihre eigenen - und sein Herz beruhigt sich wieder. Vielleicht liegt es aber auch nur an Victors warmen Fingern um sein Handgelenk. Ganz bestimmt liegt es an seinen Fingern!

Victor ist ihm so nah, er kann sein After Shave riechen. Er kann sogar seinen Atem hören.

Wie er angewiesen wurde, hat Victor dem Kellner eine Hand auf die Schulter gelegt und lässt sich so von ihm zu ihrem Tisch führen. Eigentlich sollte ihm Shredder auch die Hand auf die Schulter legen, doch Victor findet es besser, wenn er ihn an die Hand nehmen kann. Das ist irgendwie... intimer.

Und ist das nicht viel schöner? Hier sieht sie niemand - allein der Gedanke daran, was sie alles unbemerkt hier machen können, lässt Victors Herz höher schlagen. Natürlich werden sie nicht so weit gehen können wie im Kino, das verbietet selbst ihm der Anstand - aber ein paar Zungenküsse und sonstige Schmusereien werden ja wohl noch drin sein.

Sie bekommen einen Tisch an einer Eckbank, genau wie er es bestellt hat. Die Finsternis ist ein wenig irritierend, aber im Untergrund kann es auch sehr dunkel sein, also macht es ihm nicht viel aus. Es ist irgendwie aufregend, sich seinen Weg um den Tisch herum auf die Sitzbank zu ertasten. Das Tischtuch, erfühlt er, ist mit Wachs beschichtet, nicht sehr edel, aber verständlich. Die meisten Gäste werden mehr kleckern als ein Kleinkind. Er vielleicht auch. Shredder eher nicht, das kann er sich bei ihm nicht vorstellen. Dazu ist er viel zu gut ausgebildet.

„Gehörte zum Ninja-Training eigentlich auch so etwas wie bei Luke Skywalker?" platzt es spontan, aber angemessen leise, aus ihm heraus, kaum dass er sicher sitzt. „Schwertschwingen bei verbundenen Augen und so?"

Shredder, der neben ihm, aber an einer anderen Tischkante sitzt, schüttelt erst den Kopf, wird sich dann aber bewusst, dass Victor das nicht sehen kann.

„Nein. Das war verboten. Zu gefährlich. Aber er hat uns in Neumondnächten Hindernislauf im Park machen lassen."

„Das ist auch gefährlich."

„Stimmt. Aber er hat die Regeln nicht gemacht."

Victor hält immer noch Shredders Hand und zieht ihn daran etwas näher zu sich. Und dann spürt er auch schon, wie Shredders Oberschenkel seinen berührt und kann ihn riechen.

Er riecht nach Seife. Er riecht sauber und nach sich selbst.

Victor liebt das.

Japaner parfümieren sich nicht offensiv und Shredder beschränkt sich sogar nur auf Seife. Er braucht auch kein After Shave, weil er keinen nennenswerten Bartwuchs hat. Und wahrscheinlich ist das nicht einmal seiner unfreiwilligen Verjüngungskur geschuldet. Beneidenswert.

Ein sanfter Lufthauch an seiner Wange reißt ihn aus seinen Gedanken. Etwas Warmes streift über seine Haut und dann, als er begreift, dass er hier Shredders Nasenspitze spürt, lehnt er sich in diese Berührung hinein. Und dann findet Shredder seine Lippen und sie küssen sich, während ihre Hände auf dem Körper des anderen auf Wanderschaft gehen.

Ja, aus genau diesem Grund wollte Victor einen Tisch mit Eckbank haben!

Es ist nicht einfach, leise zu bleiben, aber es gelingt ihnen irgendwie. Das Rezept dafür ist denkbar einfach: keine hastigen Bewegungen, immer schön langsam bleiben. Und das macht das Ganze nur noch viel anregender.

 

 

Hören.

Riechen.

Schmecken.

Fühlen.

Das sind die Sinneswahrnehmungen, die ihnen in dieser absoluten Finsternis bleiben. Und von denen sie ausgiebig Gebrauch machen. Niemand kann sie sehen und das nutzen sie weidlich aus.

„Weißt du, welcher Sinn hinter diesem Konzept steckt?" erkundigt sich Victor leise, während er sich genüßlich über jeden einzelnen Fingerknöchel von Shredders rechter Hand küsst.

„Damit auch Blinde einem gut bezahlten Job nachgehen können?" ist die geflüsterte Gegenfrage. Shredder hockt mit angezogenen Beinen auf der Bank und lehnt sich bequem an Victors Seite. Sein Kopf ruht an Victors Schulter und sein linker Arm, der, an dem nicht die Hand hängt, über deren Fingerknöchel sich Victor gerade küsst, hat sich besitzergreifend um Victors Taille geschlungen.

Wie Shredder so an ihm lehnt, wie schwer das Gewicht seines Kopfes an Victors Schulter ist - Victor hat noch nie eine willkommenere Last verspürt. Er könnte ewig so hier mit ihm sitzen!

„Nein. Es geht darum, dass sich die Gäste ohne jede Ablenkung auf ihr köstliches Mahl konzentrieren können. Letztendlich geht es um Sinnlichkeit."

„Sinnlichkeit", wiederholt Shredder gedehnt, während er sich vielsagend gegen ihn schmiegt. Und dann spürt Victor Shredders Lippen auf seinem Kiefer, wie sie sich langsam zu seinem Mund vortasten. Er kommt ihm entgegen, dreht den Kopf etwas und als sich ihre Lippen endlich berühren, entfährt ihnen beiden unwillkürlich ein kleiner, zufriedener Seufzer.

Doch dann erinnern sie sich wieder, wo sie sind, kaschieren ihre Seufzer mit einem Räuspern (Shredder) und einem kleinen Glucksen (Victor), bevor sie weitermachen.

Leiser diesmal.

Hören. Riechen. Schmecken. Fühlen. Victor wähnt sich im Himmel. Shredders Lippen sind so weich und zart und sein Körper ist so schön präsent. Er riecht und schmeckt so gut - ja, das nennt er mal einen Aperitif!

Das Mittagessen ist schon längst zur Nebensache geworden. Auch wenn der Kellner es schnell bringt und es noch so verlockend duftet.

Zum Essen setzt sich Shredder wieder ordentlich hin, denn dazu brauchen sie beide Hände. Aber das gilt nicht für ihre Füße, Unterschenkel und Knie.

„Es ist wirklich finster hier", murmelt Shredder plötzlich und Victor hört, wie er die Kartoffeln von einer Seite seines Tellers auf die andere schiebt. „Schlimmer als im Technodrome. Da haben wir wenigstens Öllampen."

Victor tastet nach seinem Knie und drückt es einmal tröstend.

„Ist es zu dunkel hier?" erkundigt er sich besorgt und schuldbewusst zugleich.

„Nein", hört er Shredders Stimme plötzlich ganz nah an seinem Ohr. Und dann wird ihm ein Kuss auf die Wange gedrückt. „Du bist doch hier."

Victor stockt für einen Moment der Atem und sein Herz schlägt so heftig, dass es regelrecht schmerzt, denn das ist mal wieder so furchtbar süß, dass er ihn am Liebsten an Ort und Stelle vernaschen würde. Leider geht das hier nicht. Das einzige, was er hier machen kann, ist, mit seiner Hand von Shredders Knie höher an dessen Körper hinauf zu wandern, bis er ihm den Arm um die Schultern legen und ihn für einen kurzen, aber sehr intensiven Moment an sich drücken kann.

„Ich liebe dich", nuschelt er leise gegen Shredders Haarschopf. Seine Haare kitzeln und riechen nach Shampoo und Victor kann nicht widerstehen, erst mit seiner Nase darin herumzustreichen und dann sein gesamtes Gesicht darin zu vergraben.

Shredder murmelt irgendwas.

„Was?" hakt Victor erstaunt nach. Er glaubt, sich verhört zu haben. Vielleicht spielt ihm auch einfach seine Fantasie einen Streich.

„Dito", wiederholt Shredder und Victor kann hören, wie rot seine Wangen wieder leuchten.

Er sagt nichts. Er drückt ihm nur einen Kuss auf den Kopf und lässt ihn los. Aber auch wenn er sich wieder gerade hinsetzt und sie ihre Mahlzeit weiter essen, bleibt seine Hand die ganze Zeit auf Shredders Knie liegen.

 

 

Etwas benommen blinzelt Shredder in das helle Tageslicht - das eigentlich gar nicht so hell ist, weil sich dicke Wolken vor die Sonne geschoben haben. Aber im Gegensatz zu der Dunkelheit eben ist es regelrecht blendend.

„Wahnsinn", meint Victor neben ihm mit einem Blick auf seine Armbanduhr. „Das war nur eine Stunde. Kam mir viel länger vor."

Shredder schielt ihn vorsichtig von der Seite her an. Jetzt, bei Tageslicht betrachtet, ist ihm sein kleines Geständnis doch etwas peinlich.

Er steht dazu, aber ...

In diesem Moment dreht Victor den Kopf und schenkt ihm ein Lächeln und alle Zweifel verschwinden. Unwillkürlich lächelt Shredder zurück.

„Du hast nicht zuviel versprochen. Das war ein außergewöhnliches Date, Vic."

War?" Schmunzelnd nimmt Victor seine Hand. „Aber Cutie, das ist doch noch nicht alles. Wie wäre es mit einem kleinen Ausflug?"

Montagnachmittag I

Kapitel 25

Montagnachmittag

 

Victor ist geneigt, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Ein Blick in Shredders Gesicht zeigt ihm, wie viel Freude er ihm mit dieser kleinen Überraschung macht. Die Hamptons sind nicht umsonst so beliebt bei den Reichen und Schönen - und nur knappe zwei Autofahrtstunden von New York City entfernt.

„Leider ist das Wetter nicht so gut", meint Victor, während er sich mit dem Rücken zum Wind dreht. Es weht eine ziemlich steife Brise.

„Das macht nichts", erwidert Shredder. „Ich mag den Ozean. Egal bei welchem Wetter." Um seine Lippen spielt ein kleines Lächeln, während er seinen Blick über den wolkenverhangenen Himmel und das heute eher schiefergraue, unruhige Meer schweifen lässt. Der durchdringende Geruch nach Algen und Salzwasser weckt nostalgische Gefühle in ihm.

„Das dachte ich mir." Vergnügt zwinkert Victor ihm zu. Und dann er erklärt er, auf Shredders fragenden Seitenblick: „So, wie du meine Haare mit den Sonnenuntergang über dem Meer beschrieben hast. Und meine Augen mit dem Ozean... Du hättest auch andere Vergleiche nennen können."

Shredder starrt ihn für einen Moment einfach nur an, dann errötet er leicht und senkt verlegen den Blick.

„Du bist süß!" Lachend zieht Victor ihn in seine Arme, läßt ihn jedoch nach einmal kräftig drücken wieder los, immerhin stehen sie mitten auf der Strandpromenade, umgeben von anderen Spaziergängern, die das unfreundliche Wetter genau so wenig stört wie sie.

Sie reden nicht viel, während sie hinunter zum Strand gehen. Und auch nicht viel mehr, als sie über den feinen, weißen Strand schlendern. Es gibt hier Privatstrände, aber die paar Schilder oder Zäune halten sie nicht auf.

Da Victor immer einen Fotoapparat im Handschuhfach seines Mustangs hat, ist Shredder diesmal nicht der einzige, der Bilder schießt. Natürlich könnte er es dabei belassen, sich später von Shredder Abzüge geben zu lassen, aber er will etwas eigenes. Er will Fotos von Shredder ... Saki. Saki macht hier schließlich keine Selbstporträts und Victor will ihn in diesen ganz besonderen Momenten ablichten, wenn er sich unbeobachtet wähnt.

Wie jetzt - wenn er einfach so dasteht und übers Meer hinausstarrt, während ihm die steife Brise das Haar durcheinanderwirbelt.

Nachdenklich lässt Victor die Kamera wieder sinken. Shredder ist stiller geworden, seit er dieses eine Wort in der Dunkelheit hauchte. Victor fragt sich, ob es ihm jetzt wohl peinlich ist. Oder ob er nur vorsichtiger sein will mit dem, was er sagt.

Was auch immer dahintersteckt - Victor findet, nach der langen Autofahrt und der halben Stunde hier am Strand, hatte sein Ninja genug Zeit, um über alles und nichts nachzugrübeln.

„Saki..." Vorsichtig tastet er nach seiner Hand und verschlingt ihre Finger miteinander.

Mit einem fragenden „hm?" dreht Shredder den Kopf in seine Richtung. Mit ungewohnt ernster Miene tritt Victor dicht an ihn heran, legt ihm die Finger seiner rechten Hand unters Kinn und hebt es etwas in die Höhe, damit er ihn besser küssen kann. Zuerst lässt es sich Shredder protestlos gefallen, aber gerade, als Victor dabei ist, diesen Kuss zu intensivieren, sträubt sich Shredder plötzlich und zieht seinen Kopf ruckartig zurück.

„Victor", beginnt er warnend und wirft dabei unruhige Blicke um sich. Er will zurück weichen, doch Victor hält ihn fest.

„Die paar Leute... Es stört mich nicht, wenn sie uns sehen. Lass sie doch gucken."

Shredder erstarrt und blinzelt irritiert. „Was?"

Dann sieht er sich wieder um. Es befinden sich wirklich gerade mal eine Handvoll Menschen in Sichtweite. Das Wetter ist schlecht und die Urlaubssaison hat noch nicht begonnen, sonst wäre es hier wesentlich belebter.

Widerstandslos lässt sich Shredder wieder zurück an Victors Brust ziehen. Und noch widerstandsloser heißt er Victors Zunge in seinen Mund willkommen. Schon zwei Herzschläge später schlingt Shredder seine Arme um Victor und erkämpft sich die Kontrolle über diesen Kuss. Und Victor lässt ihn nur zu gerne gewinnen.

Am Ende sind sie beide völlig außer Atem.

„Du überraschst mich immer wieder, Vic", keucht Shredder schließlich.

„Ja", kommt es gedehnt zurück. „In letzter Zeit überrasche ich mich selbst. Denn normalerweise habe ich meine Prinzipien, weißt du? Knutschen in der Öffentlichkeit gehört sich nicht. Aber seit ich mit dir zusammen bin..." lächelnd streicht er ihm eine Strähne seines windzerzausten Haares zurück, „... ertappe ich mich dabei, meinen eigenen Regeln untreu zu werden."

„Es sind wirklich nicht viele Leute hier", beruhigt ihn Shredder und lässt seine Blicke ein letztes Mal prüfend hin und her schweifen. „Ich glaube nicht, dass uns jemand gesehen hat."

„Das ist nicht der Punkt, und das weißt du auch. Nicht wahr?"

Shredder starrt ihn für einen Moment einfach nur an und senkt dann verlegen den Blick.

„Ja", murmelt er dabei.

Victor nickt nur, drängt ihn aber nicht weiter. Er konnte schließlich regelrecht spüren, wie seinem Ninja bei ihrem Kuss ein ganzer Felsbrocken vom Herzen fiel. Und irgendwie ist Victor auch sehr erleichtert darüber, wie schwer es sich Shredder mit seiner kleinen, indirekten Liebeserklärung gemacht hat - und wahrscheinlich immer noch macht. Das erinnert ihn an seine eigene Unsicherheit. Männer, die ihre eigenen Gefühle prüfen und hinterfragen sind ihm tausendmal lieber als solche überschwänglichen, von ihrem eigenen Charme überzeugten Typen, die in der Hitze des Gefechts Versprechungen machen, an die sie sich eh nicht halten. Kurz: Kerle wie sein Ex.

Victor sehnt sich nach etwas von Dauer und verdammt, ja, mit Saki kann er sich das vorstellen.

„Ich bin nicht gut in sowas." Shredders leise Stimme holt ihn aus seinen Gedanken zurück. Um seine Lippen spielt ein selbstironischer Zug. „Noch vor einem Dreivierteljahr wär das hier nichts weiter als ein Deal geblieben. Ganz egal, was ich wirklich fühle. Ich...", er hält kurz inne, schenkt ihm diesmal ein etwas schiefes Lächeln und zuckt mit den Schultern. „Ich dachte immer, ich wäre besser damit bedient, mir jeden auf Abstand zu halten."

Ja, das hat sich Victor schon gedacht. Er kennt ihn ja schließlich nicht erst seit letztem Samstag. Aber er weiß, wie viel Überwindung es Shredder kosten muss, ihm das so freimütig zu erzählen, und daher behält er alles, was ihm jetzt auf der Zunge liegt, für sich.

„Du hast Glück." Shredder gibt ihm einen betont übermütigen Knuff gegen den Oberarm. „Du kannst dich bei Rock, Beeps und Krang bedanken. Sie haben mich weich werden lassen."

„Nun ja", meint Victor daraufhin und legt ihm grinsend einen Arm um die Schultern, während er ihm gleichzeitig mit der anderen Hand den Kommunikator aus der Manteltasche stibitzt und das handliche Gerät weit von sich streckt. „Dafür haben sie sich ein besonders schönes Foto von uns beiden verdient, was meinst du?"

Shredder gibt ihm lachend recht. Es klingt irgendwie ... befreit.

Und genau in diesem Moment kämpft sich ein blasser Sonnenstrahl durch die Wolken, als wolle Mutter Natur ihnen höchstpersönlich zur Seite stehen.

Montagnachmittag II

 

Kapitel 26

Montagnachmittag

 

„Eh... Shredder? Weinst du?"

„Nein", wehrt dieser sofort ab, verzweifelt bemüht, sich die Nässe aus dem Gesicht zu wischen. „Es ist nur so verdammt windig hier."

Krang mustert ihn vom kleinen Bildschirm des Kommunikators aus skeptisch, hackt aber nicht weiter darauf herum. Es weht tatsächlich eine ziemlich steife Brise vom Ozean her, auch wenn sich das Wetter jetzt zum Abend hin aufgeklart hat. Inzwischen sieht man schon mehr blauen Himmel als Wolken. Das Meer ist immer noch sehr unruhig und die Wellen brechen sich mit einem so lauten Rauschen am Ufer, dass es garantiert über den Kommunikator bis ins Technodrome hinein zu hören ist.

„Ein Date also, ja?" wiederholt Krang dann mit einem verräterischen Zucken um die Mundwinkel.

Shredder nickt nur und wischt sich wieder über die Wangen und dabei auch gleich das Haar aus dem Gesicht. So, wie er steht, erwischt ihn der Wind direkt von der Seite. Aber nur so steht er mit dem Rücken zu Victor. Die Ausrede mit dem Wind würde bei ihm noch weniger ziehen als bei Krang.

Krang mustert ihn noch einmal durchdringend und wechselt dann das Thema.

„Den Fotos nach zu urteilen, hat sich dein Victor ja richtig Mühe gegeben. Willst du dir das Fotoalbum selbst zusammenstellen oder darf ich das machen?"

Krangs Begeisterung bringt Shredder unwillkürlich zum Lächeln.

„Ich vertraue da ganz dir und deiner Kreativität, Krang."

Schon die Tatsache, dass Krang ihm das anbietet, verrät ihm, wie gut es inzwischen um das Technodrome steht. Die Verbindung ist auch stabiler geworden. Und das, was er im Hintergrund von der Zentrale erkennen kann, sieht auch sehr zufriedenstellend aus.

„Vielleicht lasse ich deine beiden Idioten mit helfen", überlegt Krang generös und sofort ist Rocksteadys und Bebops eifriges „oh ja, bittebitte, Boss", aus dem Hintergrund zu vernehmen. Shredders Lächeln vertieft sich, als er das hört.

„Es scheint, als wäre bei euch alles bestens. Das Technodrome ist jetzt wieder wie neu, was?"

„Och", kommt es süffisant von Krang zurückgeschnurrt, „für dich bleibt bestimmt die eine oder andere kleine Reparatur übrig."

„Ja", schmunzelt Shredder. „Das dachte ich mir."

Aber Krang ist mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders. Shredder erkennt es an seinem Blick und der Art, wie er seine Tentakel rollt. Und er ahnt, es ist nichts Erfreuliches, noch bevor Krang den Mund aufmacht.

„Hm... Morgen ist Halbzeit, Saki-chan."

Shredder weiß sofort, was er damit meint. Heftig schüttelt er den Kopf.

„Nein, übermorgen. Das habe ich dir doch erklärt, Krang."

„Nein, mein Lieber. Du kommst am Dienstag um fünfzehn Uhr zurück, wie abgemacht."

„Wir haben gar nichts abgemacht. Du hast es einfach so bestimmt. Aber ich lasse mich von dir nicht tyrannisier-"

„Wenn du deinen Victor noch einen Tag länger behalten willst, dann nimm ihn doch einfach mit", unterbricht ihn Krang in scharfem Tonfall, aber auch amüsiert. Und Shredders gekeuchtes „was?" amüsiert ihn nur noch mehr.

„Gib ihn mir mal. Na los!"

Shredder gehorcht rein automatisch und dreht sich zu dem drei Meter weiter entfernt stehenden Victor um, streckt ihm den Kommunikator entgegen.

„Vic? Krang möchte dich sprechen."

Victor, der mehr gehört hat als es höflich gewesen wäre - aber der ihm das ganz gewiß nicht auf die Nase bindet - tritt zu ihm, nimmt ihm das kleine, außerirdische Gerät aus der Hand und drückt ihm, quasi im Vorbeigehen, einen Kuss auf die Wange.

„Victor Falco", begrüßt ihn Krang, kaum, dass ihn die Kamera erfasst hat und kommt auch sofort zum Punkt: „Es ist nicht meine Schuld, wenn Shredder seinen Deal mit dir, was die Dauer betrifft, einfach ändert. Es ist aber auch nicht deine. Er sollte am Dienstag um fünfzehn Uhr nach Hause kommen, nicht am Mittwoch. Ich verlange von meinen Untergebenen, dass sie sich an ihre Abmachungen mit mir halten. Aber ich verstehe auch deine Position. Also schlage ich dir einen Kompromiss vor: den letzten Tag verbringst du bei uns im Technodrome. Was hälst du davon?"

Was er davon hält? Sehr viel und das sagt er dem rosa Gehirn auch.

„Einverstanden."

Krang scheint überrascht, Shredder dagegen eher erfreut und etwas unangenehm berührt.

„Ich wollte schon immer mal das Technodrome sehen", erklärt Victor lässig und dann haucht er, während er Shredder den Kommunikator zurück gibt, seinem Lieblingsninja ins Ohr:

„Keine Angst, so schnell wirst du mich nicht los."

Er drückt ihm einen liebevollen Kuss auf die Schläfe und entfernt sich wieder ein paar Meter, lässt Shredder das mit Krang alleine regeln.

In seinen Augen ist erstmal alles gesagt.

Montagnachmittag III

 

Kapitel 27

Montagnachmittag im Technodrome

 

Wie immer nach einem Telefonat mit Shredder, hängt dieser Hauch von Wehmut in der Kommandozentrale des Technodromes.

Und jedes Mal will es ihnen seltsamer erscheinen, denn mit jedem Tag wird die Luft hier immer besser, die Temperatur angenehmer und das Licht heller, während ihnen so etwas Wichtiges wie Shredder fehlt. Es fühlt sich nicht richtig an. Er sollte daran teilhaben.

„Der hat ja schnell zugesagt", bemerkt Rocksteady knurrend und starrt dabei bitter auf den jetzt wieder dunklen Hauptbildschirm. Er macht aus seinem Ärger keinen Hehl mehr, weiß er sich doch in guter Gesellschaft. Alleine der Anblick des Rattenkönigs macht ihn wütend.

„Ja", stimmt ihm Bebop leise zu, „das bedeutet, er meint es ernst, oder?"

„Das will ich ihm jedenfalls geraten haben. Ich zieh ihm die Haut ab, wenn er unseren Saki-chan weh tut!"

Krang lässt Rocksteadys Drohung an sich vorbeirauschen, dazu hat er diese und ähnliche schon viel zu oft in den letzten Tagen gehört. Sein Blick geht ins Leere, als er - mal wieder - über Shredder nachdenkt und die letzten Anrufe vor seinem geistigen Auge Revue passieren lässt. Hatten sie an den ersten beiden Tagen noch den Charakter reiner Berichte, die meistens nur aus einem „ja, mir geht's gut, wir haben heute dies und jenes gemacht und haben noch dies und jenes vor, aber jetzt erzähl mal, wie geht es euch so?" bestanden, das aber sehr häufig pro Tag, Berichte also, wo sie und das Technodrome im Fokus standen, änderte sich das langsam. Am Anfang war es Shredder vielleicht peinlich, darüber zu reden oder vielleicht machte er sich tatsächlich Sorgen um sie - auf alle Fälle aber hatte er ein wahnsinnig schlechtes Gewissen, dieser arme Kretin - doch schon am dritten Tag änderte sich das und in seine anfangs neutralen Berichte schlichen sich immer mehr Gefühle hinein. Dass ihm die Zeit mit dem Rattenkönig gefällt, wurde immer offensichtlicher. Und die Fotos, mit denen sie bombardiert werden, sprechen auch eine deutliche Sprache.

Es ist offensichtlich: Saki, dieser dumme Kerl, hat sich verliebt.

Trotzdem weiß Krang immer noch nicht, ob es der Rattenkönig genauso ernst meint. Er hat sich schon lange vorgenommen, ihn sich mal vor die (nicht vorhandene) Brust zu nehmen. Das mit der Aufforderung an Falco, zu ihnen ins Technodrome zu kommen, war eine ganz spontane Idee, aber das sind immer Krangs beste Ideen. Ihn überrascht es aber mindestens genauso sehr wie die beiden Mutanten, dass Falco seinem Vorschlag so ohne Zögern zugestimmt hat. Und genau wie Bebop hofft er, dass das ein gutes Zeichen ist.

Nun, entschlossen knirscht er mit den Zähnen und ballt seine Tentakel, sollte Falco das wirklich ernst meinen und Shredder begleiten, wird er, Lord Krang, tyrannischer Welteneroberer und Kriegsherr, die Gunst der Stunde nutzen und diesen rotblonden Menschen auf Herz und Nieren prüfen.

Und wehe, er besteht diese Prüfung nicht, dann wird er ihn höchstpersönlich an seine ach so geliebten Ratten verfüttern!

In kleinen Stückchen natürlich!

Denn niemand, aber wirklich niemand bricht seinem kleinen Saki-chan das Herz!

Montagnacht

Kapitel 28

Montagnacht

 

Postkoital entspannt und gleichzeitig doch mit immer noch heftig klopfendem Herzen und nur allmählich von seinem Höhepunkt herunterkommend, starrt Victor an die Zimmerdecke. Er liegt auf seinem Rücken im Bett, Shredder neben sich und sie sind beide noch nackt unter der Daunendecke. Durch das einen Spaltbreit hochgeschobene Fenster dringen die gedämpften Großstadtgeräusche mit einem kühlen Windzug herein. Es riecht nach Regen. Nach Wasser, und das erinnert ihn sofort an ihren kleinen Ausflug.

Das war wirklich ein besonders schöner Tag.

Victor ist sehr zufrieden mit sich.

Er hat Shredder glücklich gemacht und wurde dadurch selbst auch glücklich. Aber nicht nur das: er ist nicht nur glücklich, weil es ihm gelungen ist, Shredder eine Freude zu machen, sondern auch, weil es ihm selbst mindestens genauso viel Spaß gemacht hat. Das hatte in seinen Beziehungen bisher Seltenheitswert.

Nur ein Grund mehr, seinen süßen Ninja nie wieder gehen zu lassen.

Mit einem tonlosen Seufzer verstärkt er seinen Griff um Shredders Taille und sonnt sich in der Wärme, die dieser ausstrahlt. Er liebt es, diesen Mann einfach nur in den Armen zu halten. Er liebt es, wie perfekt sich dieser Körper an seinen eigenen schmiegt, als wäre er eigens dafür geschaffen.

Shredders leise Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken.

„Hast du sowas schon öfter gemacht? Deine ...", vor dem nächsten Wort zögert er kurz, „Liebhaber mit so einem fantastischen Date überrascht?"

Victor sieht an sich hinab und begegnet dunklen, ernsten Augen und einem erstaunlich schüchternen Lächeln. Unwillkürlich streckt er die Hand aus und streicht ihm eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn.

„Du meinst mit dem Besuch eines Dunkelrestaurants und einem Strandspaziergang in den Hamptons? Nein", erwidert er dann ehrlich. „Ich versuche bei einem Date immer den Geschmack meines Liebhabers", er betont diesen Begriff auf dieselbe Art wie Shredder, „zu treffen. Für meinen Ex zum Beispiel bestand das perfekte Date aus einer Travestieshow. Mein Freund davor war ein Kletterfreak. Und der davor..."

„Schon gut, ich hab's kapiert", wird er mürrisch unterbrochen.

Victor kann sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Es ist schon lange her, dass jemand eifersüchtig auf seine Verflossenen war. Es schmeichelt ihm ungemein. Um ihn zu beruhigen, legt Victor auch seinen anderen Arm um ihn und drückt ihn fest an sich.

„Aber das heute war das erste Date, das mir selbst auch Spaß gemacht hat", gibt er dabei vergnügt zu.

„Du sollst dich nicht verbiegen", tadelt Shredder gegen seine Halsbeuge genuschelt.

„Tu ich nicht. Das ist es ja." Victor wartet einen Moment, bis sich Shredder in seinen Armen zurechtgekuschelt hat und dann noch etwas länger, bis er auf seine unvergleichliche Oktopus-Art seine Beine um ihn geschlungen hat.

Jesses, aus Erfahrung weiß er, dass er so irgendwann Klaustrophobie bekommt, aber im Moment ist diese Position einfach nur wunderschön.

„Wir sind wirklich sehr kompatibel. Bei allem", lobt er dann, dabei vielsagend mit den Hüften rollend.

Shredder gibt ein kleines Glucksen von sich und erwidert diese Bewegung. Und das, was er da fühlt, lässt Victor erstaunt und beeindruckt die Augenbrauen nach oben ziehen.

Wow. Immer noch oder schon wieder? Oh, der Segen der Jugend. Oder zumindest - eines jugendlichen Körpers samt seines hohen Testosteronspiegels.

Doch Shredder scheint es völlig zu genügen, sich an ihn kuscheln zu können.

„Und du bist dir wirklich, wirklich sicher, dass du dir meine Vollidioten im Technodrome wirklich antun willst?" will Shredder da leise wissen.

Victor nickt und drückt ihm einen Kuss auf den schwarzen Haarschopf.

„Und danach", scherzt Shredder, „stellst du mich deiner Familie vor."

„Hm, das wird schwierig. Irgendwo lebt noch ein Cousin, aber den hab ich nie kennen gelernt. Meine Eltern starben, kurz bevor ich die Highschool beendete. Für die nächsten Jahre wurde dann die Army zu meiner Familie. Und jetzt besteht meine Familie aus Hunderten von kleinen Nagern. Und die haben dich ja schon adoptiert."

„Tut mir leid, das mit deinen Eltern." Es klingt anders als die üblichen Beileidsbekundungen. Es klingt wirklich ehrlich. Shredder reckt sich und haucht ihm einen Kuss auf die Lippen, bevor er es sich wieder in Victors Umarmung bequem macht.

„Ich teile gerne meine Mutter und meinen Bruder mit dir", bietet er dann an.

„Uh, danke. Und deine Technodrome-Familie bekomme ich nicht?"

„Die werden sich dir aufdrängen, ob du willst oder nicht. Vor allem, wenn du wirklich mitkommen willst."

Natürlich will er das! Das ist doch gar keine Frage!

Und das sagt er ihm auch und er besiegelt es mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss.

Und schon bald weht ein zweistimmiges, sehnsüchtiges Seufzen aus dem halbgeöffneten Fenster nach draußen, als sich Victor auf ihn rollt und sich (wieder) daran macht, ihn langsam und genüßlich zu erobern.

 

 

Dienstag I

Kapitel 29

Dienstag I

 

Rat King hält sich selbst für einen Mann, den nichts mehr überraschen kann. Oder doch zumindest nicht mehr viel.

Er hätte wissen müssen, dass das nicht für Shredder gilt.

Gar nicht gelten kann.

Dazu ist er zu still und wie jeder weiß, sind stille Wasser besonders tief.

Und so kann er nur staunen, als Shredder sich auf seinen Schoß setzt, ihm einen glühenden Blick zuwirft, sich streckt, sich die Collegejacke von den Schultern streift und dann damit beginnt, sich das Sweatshirt über seinen Kopf zu ziehen.

„Cutie", meint Rat King vorsichtig, während er seine Hände an Shredders Hüften legt, um ihn so wenigstens daran zu hindern, dass sein T-Shirt dem Sweater folgt. „Ich weiß das zu schätzen, aber - nicht hier."

Damit wirft er erst einen Blick auf die schmutzigen Wände und Boden und dann nach oben an das pilzverseuchte Gewölbe über ihnen.

Shredder stockt, den Sweater in den Händen.

„Das hier ist dein Thronsaal", brummt er dann vergrätzt. „Dein Thron. Was passt dir jetzt nicht daran? Doch nicht etwa das Publikum?"

Vielsagend nickt er zu den wild herumwimmelnden Ratten hinüber, die auch heute wieder ihre Gaben aufhäufen. Rat King schüttelt den Kopf.

„Nicht hier", wiederholt er, zieht ihn, entgegen seiner Worte, jedoch noch näher an sich heran. „Das ist mir hier zu schmutzig", gesteht er dann.

Shredder legt den Kopf schief und mustert ihn skeptisch. Dann zuckt er nur mit den Schultern, murmelt ein „okay", schlingt ihm die Arme um den Nacken, beugt den Kopf und verwickelt ihn in einen zärtlichen Kuss.

Und abermals ist Rat King überrascht.

Er spürt genau, wie erregt Shredder ist und hat wirklich mit etwas Stürmischeren gerechnet.

Aber dieser Kuss ist ruhig, besonnen, ganz einfach nur zuckersüß.

Und das macht ihn viel mehr an, als es jeder ungeduldige Zungenkuss gekonnt hätte. Binnen Sekunden ist ihm mehr Blut in den Schritt gerauscht als gut für ihn ist. Fast hätte er deshalb wieder eines seiner Prinzipien gebrochen.

Beinahe barsch zieht er seinen Kopf aus der Reichweite von Shredders Lippen und schubst ihn beinahe von seinem Schoß.

„Komm mit", knurrt er nur, während er aufspringt. Er packt seinen leicht strauchelnden Ninja am Handgelenk und zerrt ihn kompromisslos mit sich.

 

 

Rat King bringt ihn an seinen bevorzugten Ort - den, der früher wohl mal einen Kiosk beherbergte. Heute wirkt er viel kleiner als die anderen beiden Male, die sie hier waren. Zwölf Quadratmeter, an einer Wand steht ein Bücherregal und daneben ein altmodischer TV-Tisch, auf dem das noch altmodischere Grammophon thront. Ein Rattansessel samt dazu passendem Beistelltisch rundet das Ambiente ab. An der Wand kleben Kalenderbilder - Naturaufnahmen und realistisch erscheinende Fabelwesen. Es ist das erste Mal, dass sich Shredder hier so genau umsieht. Es ist tatsächlich sauber hier. Sauber und gemütlich.

Aber auch ein wenig eng und kein Möbelstück außer dem Rattansessel lädt zu einem Tête-a-tête ein. Zum Glück legt er im Moment keinen Wert auf Romantik.

Rat King geht es ganz offensichtlich genauso, so, wie er Shredder Collegejacke und Sweater aus den Händen nimmt und schwungvoll auf den Beistelltisch wirft, die Finger unter Shredders Gürtel hakt und ihn mit einem Ruck an sich zieht.

Einen Herzschlag lang blicken sie sich tief in die Augen.

„Warte einen Moment", meint Rat King plötzlich, streckt die Hand aus und nimmt etwas aus dem Regal ohne dabei ihren Blickkontakt zu unterbrechen. Oder gar seine andere Hand von Shredders Hintern zu nehmen.

„Du hast wirklich überall was dabei", bemerkt Shredder amüsiert, als er sieht, was der Rattenkönig da hervorholt.

Der grinst nur. Irgendwie hat Shredder da schon recht. Wann und wo immer sie es bisher miteinander trieben, war immer eine Creme oder Lotion zur Hand. In der Wohnung sowieso, aber auch im Handschuhfach seines Autos liegt stets eine Sonnenmilch.

Was soll er dazu sagen? Er hat nun mal eine sehr empfindliche Haut.

Und hier unten...

„Das ist Lippenbalsam", erklärt er und hält ihm vielsagend die Dose vor die hübsche Nase. „Ich spiele Querflöte, und das geht nicht, wenn man spröde und trockene Lippen hat."

Shredders Blick bekommt etwas Vorwurfsvolles.

„Du hattest es die ganze Zeit über hier, aber als du mich das allererste Mal hierher brachtest, da hast du nicht daran gedacht, es zu benutzen?"

Sie sind zwar gar nicht soweit gekommen, aber das bedeutet nicht, dass er mit dieser Annahme nicht ins Schwarze getroffen hat. Und Rat King respektiert ihn zu sehr, um ihn zu belügen.

„Wieso sollte ich sowas Gutes dafür opfern?" fragt er ihn neckend zurück. Er hält kurz inne, um die Dose zu Shredders Kleidungsstücke auf den Beistelltisch zu werfen und zwinkert ihm dann verschmitzt zu.

„Das war damals. Aber jetzt", genüßlich lässt er seine Hände unter Shredders T-Shirt wandern, „ist das natürlich etwas ganz anderes."

„Ist es das?" Shredders Stimme senkt sich zu einem wahren Schnurren. Und dann wirft er Rat King diesen ganz bestimmten Blick zu.

„Ist es", bestätigt der Rattenkönig im selben Tonfall.

„So? Und warum ist das so?"

„Vielleicht ..." Rat King dehnt das Wort in die Länge und macht eine theatralische Pause, bevor er diese eine, unumstößliche Wahrheit kund tut: „Weil ich dich liebe, Oroku Saki."

Shredder schluckt sichtbar und plötzlich verschwindet alles Schalkhafte aus seiner Miene.

Über seine Wangen zieht sich die inzwischen nur allzu gut bekannte Röte, als er leise, beinahe schüchtern zugibt:

„Ich liebe dich auch, Victor Falco."

 

 

Der Rattansessel hält mehr aus als man ihm vom Aussehen her zumutet. Er knarzt beschwerend, aber das ist auch schon alles. Rat King war sich da anfangs nicht so sicher, normalerweise lümmelt er sich hier nur in die Kissen und gönnt sich ein gutes Buch.

Heute - gönnt er sich einen Ninja.

Ein letzter, kräftiger Hüftstoß, gefolgt von einem zufriedenen Knurren und Rat King schlingt seine Arme noch fester um Shredders Oberkörper und schmiegt sich wohlig an diesen schönen, warmen Körper.

„Oh Gott", seufzt er leise und sehr, sehr atemlos gegen einen muskulösen Brustkorb und verschwitzte, goldbraune Haut.

Shredder auf seinem Schoß gibt nur ein verträumtes „hmmmm" von sich und vergräbt seine Nase tief in Rat Kings rotblondem Haar, während sich seine Finger nur langsam aus ihrem straubstockartigen Griff um Rat Kings Schultern lösen.

„Jesses", seufzt dieser erneut. Für einen Moment kämpft er gegen die übliche Ermattung an, doch dann gibt er sich doch geschlagen. Was soll's? Ist doch gemütlich, wie er hier auf dem Rattansessel sitzt mit Shredder auf seinem Schoß und immer noch in ihm und zwischen ihnen diese klebrige Nässe, die immer erst unangenehm wird, wenn sie auf der Haut trocknet und die er ansonsten als ein kostbares Zeugnis ihrer innigen Liebe empfindet.

„Hm", macht er und verstärkt seine Umarmung, presst sich so eng an Shredder, als wolle er auch mit dem Rest von sich in ihn hineinkriechen. „Bleib so", meint er dann noch.

Shredder, der sich gar nicht bewegt hat, grinst nur heimlich in sich hinein.

„Ich mag das auch", gibt er leise zu und schließt behaglich die Augen.

Und so sitzen sie nur einige Zeit da, eng aneinander geschmiegt, gegenseitig in ihrer Wärme und Nähe badend.

„Hm", meint Shredder plötzlich, während er versonnen an Rat Kings Bandagen herumzupft, „mir fällt grade auf: das ist das erste Mal, dass ich von Rat King gevögelt wurde."

Rat King denkt ein paar Sekunden darüber nach.

„Stimmt", gibt er ihm dann Recht. „Das könnte man durchaus so sehen."

Er ist gespannt, worauf Shredder hinauswill.

„Dann... Habe ich heute eigentlich erst meinen Teil unseres Deals erfüllt."

„Ich glaube nicht, dass Krang da mitzieht", erwidert Rat King amüsiert.

„Ich auch nicht", Shredder seufzt tief auf und schiebt dann ein gedehntes „Schade" hinterher.

Rat King gibt nur ein zustimmendes Brummen von sich.

„Und? Gefiel es dir? Oder willst du gerne auch mal den Rat King vögeln?" erkundigt er sich dann und kann sich einen neckischen Hüftstoß nach oben nicht verkneifen.

Shredder ist nicht der einzige, der diese Bewegung mit einem scharfen Luftholen quittiert. Rat King ist selbst ganz überrascht, wie erregend sich das anfühlt. Dabei haben sie doch gerade erst...

Und dann hebt er den Kopf und diese braunen Augen brennen sich in ihn hinein. Und mehrere Dinge passieren gleichzeitig: ein Schwarm Schmetterlinge erwacht in Rat Kings Bauch. Es läuft ihm heiß und kalt zugleich über den Rücken. Dazu fühlt er plötzlich so viel Wärme, dass ihm glatt die Luft wegbleibt. Und dann erübrigt sich die Antwort auf seine Frage, denn Rat Kings Körper entscheidet für sie beide...

 

 

Etwas schwerfällig zieht sich Rat King die Hose wieder über die Hüften, schließt Knöpfe und Gürtel und versucht vergeblich, Shredder nicht allzu sehr anzustarren. Normalerweise starrt er aber auch aus anderen Gründen. Shredder versucht oft, sich hinter seiner typisch japanischen Fassade zu verstecken, aber er ist nicht besonders gut darin. Jetzt bemüht er sich gerade, keine angeekelte Miene zu ziehen. Nachdem er sich die letzten verräterischen Spuren von seinem Körper gewischt und sich wieder angezogen hat, steht er nun da und hält das Papiertaschentuch mit spitzen Fingern von sich.

Ach herrje. Rat King nimmt sein eigenes schmutziges Taschentuch und wirft es einfach so aus der schmalen Türöffnung auf den Bahnsteig. Shredder zögert, aber da kommt die erste Ratte, schnappt sich das Tuch und rennt damit davon. Und als eine zweite angerannt kommt, zögert Shredder kurz, doch dann macht er es Rat King nach, wirft ihr seines zu und sie schnappt es sich noch aus der Luft mit einem großen Sprung und flitzt der anderen hinterher.

„Meine privaten Müllentsorger", schmunzelt Rat King nicht ohne Stolz. „Damit polstern sie sich jetzt ihr Nest aus."

Jetzt verzieht Shredder tatsächlich das Gesicht.

„Igitt."

Rat King starrt ihn einen Moment lang einfach nur an.

„Du bist ganz schön etepetete für jemanden, der gerade erst so viel geschluckt hat wie du."

Shredder wird Rot bis über beide Ohren und reckt dann aber trotzig die Nase in die Höhe.

„Ich bin nicht etepetete. Du bist doch derjenige, dem es in seinem Thronsaal zu schmutzig war."

Wow. Verteidigung durch Angriff. Er hat da anscheinend einen Nerv getroffen. Aber er liebt ihn und dann ist er immer sehr geduldig, also bleibt er völlig gelassen. Stattdessen schlüpft er erstmal in sein Shirt und dann in seinen alten Ledermantel, bevor er das Kissen des Rattansessels wieder ordentlich zurechtrückt, während er über eine angemessene Antwort nachdenkt.

„Es gibt viele Arten von Schmutz. Guten und schlechten Schmutz. Und Sex-Schmutz ist gut." Er zwinkert ihm zu, aber Shredder gibt nur ein Schnaufen von sich und starrt ihn unter zusammengezogenen Brauen verärgert an.

„Der Fluch der langen Enthaltsamkeit", fährt Rat King schnell fort, bevor sein Ninja wirklich sauer wird. „Mit der Zeit gewöhnst du dich wieder daran, wie klebrig und eklig Sperma sein kann."

Und mal ehrlich: wenn das ihr einziges Problem ist, können sie sich doch glücklich schätzen. Shredder fühlt sich ja offensichtlich nur mit seinen eigenen Körperflüssigkeiten unwohl. Rat Kings stören ihn da weniger.

Und das ist, findet der Rattenkönig, eine sehr süße Macke.

Nachdenklich streicht er sich erst über die Bandagen in seinem Gesicht und dann durch sein rotblondes Haar.

„Ich gebe zu, für mich ist das auch eine große Umstellung. Mein Ex bestand auf Kondome. Immer." Um seine Lippen zuckt ein klägliches Lächeln. „Kannst du dir das vorstellen? Drei Jahre lang nie wirklich spontan sein können, denn trotz allem hat man schließlich nicht immer so'n Teil dabei. Andererseits", in seine Stimme schleicht sich ein bedauernder Unterton, „war nach dem ersten halben Jahr sowieso tote Hose im Bett. Jedenfalls zwischen uns. Ich bin mir nicht sicher, ob er es nicht hinter meinem Rücken mit anderen getrieben hat."

Oh, verdammt, was ist nur mit seiner Stimme los? Er war doch schon über ihn hinweg...

„Der Typ ist ein Idiot." Mit einem einzigen großen Schritt ist Shredder bei ihm und umarmt ihn.

„Vergiss ihn, er hatte dich gar nicht verdient."

Diese trostspendende Geste tut richtig gut! Dankbar lässt sich Rat King hineinfallen. Schon eine Sekunde später klammert er sich so fest an ihn, als wolle er ihn nie wieder loslassen.

Und ... das will er auch nicht.

 

Dienstag II

Kapitel 30

Dienstag II

 

Der Untergrund inklusive Kanalisation ist nie der richtige Ort für einen romantischen Spaziergang. Aber Rat King muss sein Territorium inspizieren, also machen sie das Beste daraus. Ist ja nicht das erste Mal. Der Gestank hier unten ist nasenbeleidigend, aber die menschliche Nase ist bekannt dafür, sich schnell an jeden noch so widerwärtigen Geruch zu gewöhnen.

Außerdem hatten sie gerade erst den besten Sex dieses Tages und all die daraus resultierenden Glückshormone lassen sie selbst diese düstere Kloake in einem positiven Licht sehen. Zumindest so weit, wie das Licht ihrer Taschenlampe fällt.

Rat King weiß unheimlich viel über die Geschichte dieser Gänge und auch über die verlassene Subway-Station. Einiges hat er Shredder schon erzählt, aber es gibt noch sehr viel mehr. Er ist ein großartiger Erzähler. Shredder liebt den Klang seiner Stimme. Er könnte ihm ewig zuhören.

Ratten begleiten sie - mal sind es mehr, mal weniger, aber sie sind immer da. Sie sind neugierig, aber niemals aufdringlich. Nur Dora sitzt die ganze Zeit auf Rat Kings Schulter. Plötzlich wird erst sie unruhig und dann Rat King. Er stockt mitten im Wort und Schritt und runzelt dabei die Stirn.

Irritiert bleibt Shredder ebenfalls stehen.

„Wir haben Besuch", erklärt Rat King grimmig und kommt damit Shredders Frage zuvor. „Meine Außenposten melden mir, dass sich da jemand nahe der westlichen Territoriumsgrenze herumtreibt. Und", er holt einmal tief Luft und wirft Shredder einen ernsten Blick zu, „du wirst nicht glauben, wer das ist."

 

 

„Was suchst du hier?"

Der Turtle mit der orangen Maske zuckt erschrocken zusammen, fasst sich aber schnell wieder. Trotzig funkelt er die beiden Männer vor sich an.

„Kann man denn nicht mal in Ruhe Skateboard fahren?" Vielsagend - oder doch zum Schutz? - drückt er sein buntes Skateboard gegen seinen Brustpanzer.

Shredder verschränkt die Arme vor der Brust und mustert ihn stirnrunzelnd.

„Ausgerechnet hier?"

„Na?" hakt Rat King scharf nach, als Michelangelo nur verstockt schweigt.

Nach zehn Sekunden strengen Schweigens und bohrenden Blicken, gibt der Turtle auf.

„Ja, okay. Ich hab's einfach versucht. Gehofft, dass ihr da seid. Oder wenn nicht, dass euch die Ratten Bescheid geben." Er hält inne, zögert und reckt dann entschlossen das Kinn in die Höhe, während er Shredder gerade in die Augen sieht. „Ich muss es dir sagen."

Dass er etwas von ihnen will, ist klar, aber die Art, wie er hier vorgeht, seine Verlegenheit, diese nervöse Höflichkeit, das ist irritierend.

Shredder versucht sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen und versteckt es hinter einer besonders grimmigen Miene.

Was musst du mir sagen?"

Michelangelo weicht seinem bohrenden Blick kurz aus, räuspert sich dann, nimmt seinen ganzen Mut zusammen und starrt dem Feind seines Senseis offen in die Augen. Und dann sprudelt es nur so aus ihm heraus:

„Dass es mir Leid tut. Ich meine, uns tut es Leid. Mir und meinen Brüdern. Es tut uns Leid. Was wir mit dem Technodrome gemacht haben. Wir wollten nie, dass es so schlimm wird. Wir wollten doch nur, dass das rollende Monster nicht zurück zur Erde kann. Dass alle sicher sind vor Krang und dir. Wir wollten ganz bestimmt nicht, dass du deswegen mit Rat King ..."

Er stockt, zuckt verlegen mit den Schultern und schenkt Shredder ein schiefes Lächeln. Doch der und Rat King starren ihn nur unvermindert an.

„Es ist nicht richtig", stößt Michelangelo schon beinahe hilflos hervor. „Deswegen sollte man nicht... Das ist doch Prostitution!"

„Meine Güte!" aufstöhnend schlägt Shredder die rechte Hand vors Gesicht. Mehr kann er dazu nicht sagen. Es hat ihm schlichtweg die Sprache verschlagen.

„Was stört es dich?" knurrt Rat King, schlingt ganz offensiv einen Arm um Shredders Taille und zieht ihn eng an seine Seite. „Ganz egal, wie groß dein schlechtes Gewissen sein mag: ihr seid Feinde. Du hast kein Recht, das irgendwie zu verurteilen."

„Es ist einfach nicht richtig", beharrt Michelangelo und schiebt diesmal trotzig den Unterkiefer vor. „Und natürlich hab ich ein schlechtes Gewissen, wenn es doch unsere Schuld ist, dass er sich jetzt dazu verpflichtet sieht, dein Sexsklave zu sein."

Da bleibt auch Rat King kurzfristig die Spucke weg.

Michelangelo dagegen interpretiert dies als Schuldeingeständnis.

„Natürlich bildest du dir jetzt ein, dass du ihn liebst", fährt er an Shredder gewandt fort. „Aber das ist doch keine Liebe! Ich weiß, ich werde deine Meinung nicht ändern können, aber ich wollte, dass du wenigstens weißt, wie Leid es mir tut. Und ja, du hast recht", wendet er sich an Rat King, „er ist unser Feind. Aber das heißt doch noch lange nicht, dass wir ihm was Böses wollen. Solange er unsere Freunde oder unseren Sensei nicht bedroht oder versucht, die Welt zu erobern, gibt es keinen Grund, gegen ihn zu kämpfen." Atemlos hält er inne und um seinen Mund zuckt wieder dieses schiefe Lächeln.

„Okay, Grünling", Shredder holt einmal tief Luft und macht dann mit beiden Händen eine beschwichtigende Geste, „um mal eines ganz klar zu stellen: außer eurer Zerstörung des Technodromes muss euch gar nichts Leid tun. Das zwischen Rat King und mir läuft super. So gut, dass wir sogar eine dauerhafte Zusammenarbeit anstreben. Du und deine Brüder könnt euch schon mal darauf einstellen, dass unsere geballte Superschurken-Power euch noch das Leben so richtig schön schwer machen wird."

Rat King versucht, sich seine freudige Überraschung über Shredders Worte nicht anmerken zu lassen, aber sein Griff um Shredders Taille festigt sich unwillkürlich.

Michelangelo scheint noch nicht so ganz überzeugt zu sein, aber ihm sind die ohnehin kargen Argumente ausgegangen. Und so verabschiedet er sich höflich, klemmt sich das Skateboard fest unter den Arm und verschwindet in der Finsternis der Kanalisation.

Rat King und Shredder sehen ihm lange nach.

„Dauerhafte Zusammenarbeit?" meint Rat King schließlich leise.

Shredder grinst nur, packt ihn am Kragen und drückt ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf.

 

Dienstagnacht

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Dienstagnacht II

Kapitel 32

Dienstagnacht II

 

„Es tut mir leid."

Victors bedrückte Stimme ist nur ein Murmeln gegen sein Ohr und gerade mal knapp über dem Geräuschpegel der schnulzigen Musik aus der Jukebox.

„Ist schon okay."

Und das ist es wirklich. Obwohl Shredder nicht auf wimmernden Blues steht und obwohl das hier eine Schwulen-Kneipe ist. Nach einem Bier und einem zunehmend melancholischer werdenden Rattenkönig ist es ihm geradezu ein Vergnügen, mit einem engen Schunkeln und ein paar trägen Drehungen Victors Laune wieder etwas zu heben.

„Wenn es darum geht, jemanden eins auszuwischen, bin ich immer dabei. Da würde ich auch so mit dir tanzen, wenn wir nicht zusammen wären."

Dankbar vergräbt Victor sein Gesicht noch fester in Shredders dunklen Haarschopf und atmet seinen Duft tief ein. Er versteht sich selbst nicht, aber als sie an dieser Eckkneipe vorbeikamen, in der er so viele Nächte verbracht hat, wurde er ganz nostalgisch. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er nie wieder hierher kommen wird, ja, sogar das ganze Viertel wird er meiden, wo er nur kann. Und irgendwie wollte er plötzlich noch ein letztes Mal Johns Spezialbier genießen, auf seinem Stammbarhocker sitzen und die armen Idioten beobachten, die es tatsächlich wagen, sich hier zum Wimmern der Jukebox zu bewegen. Er steht nicht auf solche Kneipen, aber die hier ist akzeptabel. Vielleicht, weil man ihn hier kennt und garantiert nicht anbaggert. Damals nicht, weil er mit Roger ging und jetzt erst recht nicht, weil Shredder wirklich sehr einschüchternd wirken kann.

Jeder der hier Anwesenden wird es sich nicht nehmen lassen, Roger davon zu erzählen. Hoffentlich platzt der Scheißkerl vor Neid!

„Verschwindest du anschließend mit mir Richtung Waschräume?" fragt er seinen Ninja leise und lässt dabei seine rechte Hand vielsagend von Shredders Kreuz tiefer auf dessen knackiges Hinterteil wandern.

Selbst durch den dicken Stoff seines Kurzmantels, Jeans und Unterwäsche kann Shredder die Wärme dieser Hand spüren - aber das ist nicht alles, was er fühlt.

„Du willst wirklich das volle Programm, was?" spöttelt er leise und hofft dabei, dass Victor ihm sein Unbehagen nicht anmerkt.

„Nur zum Schein", Victor dreht den Kopf und gibt ihm einen kleinen Kuss auf die Schläfe. „Ich würde da nie eine Nummer schieben. Viel zu versifft da."

Ja, natürlich, wie konnte er das vergessen? Wo Victor das ja nicht mal in seinem eigenen Thronsaal wollte!

Shredder versucht, nicht allzu erleichtert zu klingen.

„In einem Alfa Romeo reicht mir auch völlig", scherzt er. Da war ja Victors Rattansessel bequemer. Und verdammt - Victor war eindeutig zu groß für diesen Sportwagen. Dass er sich keine Beule geholt oder nichts im Rücken verknackst hat, ist ein wahres Wunder. „Man muss es nicht übertreiben."

Victor zögert unsicher.

„Das ist kindisch, nicht wahr?" fragt er dann kleinlaut.

Aber Shredder schüttelt nur den Kopf, schlingt ihm seine Arme um den Nacken und haucht ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen. Oh, wie es ihn ärgert, dass er sich vor all diesen neugierigen Augen hier dafür etwas in die Höhe recken muss!

Der Gedanke, ihnen allen eine tolle Show zu liefern, wird immer verlockender.

„Ich will dich", erklärt er daher laut und verständlich und - um die Sache eindeutig werden zu lassen - reibt sich an ihm wie eine rollige Katze.

„Ich brauche dich", setzt er noch einen stöhnend und keuchend drauf. „Jetzt. Hier. Sofooooort."

Einen irritierenden Moment lang hätte Victor ihm das fast abgekauft.

Aber - Shredder bettelt nicht!

Wortlos packt er ihn am Handgelenk und eilt mit ihm Richtung Waschräume.

 

 

„Liebe Güte."

Stöhnend hält sich Shredder die Hand vor die Nase. Die Waschräume sind nicht nur klein - zwei Urinale, zwei Kabinen - sondern auch sowohl eine Beleidigung für Nase und Augen. Allein vom Anblick bekommt er schon Hepatitis.

„Das ist ja wirklich eklig hier. Machen die hier nie sauber? Ich dachte, ihr Homos seid da etwas pingeliger."

Victor schämt sich richtig fremd, denn es ist hier noch widerlicher als er es in Erinnerung hat, ringt sich aber zu einem schmalen Lächeln durch, während er Shredder in eine der Kabinen zieht. Wenigstens funktioniert das Schloß noch. Victor entschließt sich dagegen, den Haken an der Kabinentür zu benutzen und rückt sich die Umhängetasche über seiner Schulter stattdessen nur zurecht. Nichts kommt hier mit diesem Saustall in Berührung, wenn es nicht unbedingt sein muß.

„Ich schätze, putzen lohnt sich nicht, bei dem Verkehr, der hier herrscht."

Und das kann man ruhig genauso anstößig verstehen, wie es klingt. Selbst ihm kommt fast das Würgen bei den eindeutigen Spuren sowohl an der Toilette wie auch an den Kabinenwänden.

Aber wozu haben sie die drei von der Lack- und Lederfraktion gerade hier herausgescheucht, wenn sie nicht wenigstens so tun als ob?

Shredders Miene wechselt plötzlich von angeekelt zu klinisch interessiert, als sein Blick über dieses Sammelsurium von Körperflüssigkeiten wandert. In seine Augen tritt ein distanzierter Glanz, wie ihn Victor zum letzten Mal bei ihm gesehen hat, als sie die alte Ratte durchs Fernglas beobachtet haben. Es ist, als würde er sich selbst beiseiteschieben und zu einem rein rational denkenden Wesen mutieren.

„Bei all den Spuren hätte mein Bruder seine wahre Freude."

„Ah ja, hab gehört, der ist Polizist. Erzähl mir doch etwas mehr über ihn. Ist er so attraktiv wie du?" Lächelnd zieht Victor ihn am Mantelkragen zu sich heran und freut sich über Shredders vor Verlegenheit gerötete Wangen. Jesses - ein Blick in dieses schöne Gesicht, in diese unglaublichen, braunen Augen und er vergisst glatt diese ekelhafte Umgebung. Und - hm, Shredder riecht mal wieder so gut ... Selbst an diesem Ort.

„Kazuo würde den Laden hier wegen Verstoßes gegen die Hygienevorschriften sofort dichtmachen. Und uns würde er festnehmen."

Grinsend nimmt Victor seine Nase aus Shredders Haarschopf.

„Oh, ich hätte nichts dagegen, mit Handschellen an dich gefesselt zu sein."

Shredder zögert.

„Wenn es nur das wäre, könnte ich damit leben“, gibt er schließlich stockend zu.

Stimmt ja. Victor erinnert sich wieder. Keinen SM-Scheiß.

„Das wäre auch für mich die einzige Art von Fesselung, mit der ich mich anfreunden könnte“, beruhigt er ihn daher schnell. Lächelnd legt er seine Hände um Shredders Wangen und sieht tief in diese schönen, dunklen Augen.

„Nichts, was du nicht willst, Saki. Niemals.“

Bevor Shredder darauf irgendwie antworten kann, hat Victor schon seine Lippen auf seinen Mund gepresst und taucht mit der Zunge nach seinen Mandeln.

Binnen Sekunden ertrinkt Shredder regelrecht in Victors Geschmack und als Victor dann irgendwann ein atemloses und aufforderndes „Stöhn für mich. Stöhn so laut du kannst“ wispert, kommt Shredder dem sofort nach.

Wieviel davon nur Show für die Leute hier und was davon echt ist, weiß er in diesem Moment allerdings selbst nicht so genau.

 

 

Mittwochmorgen

 

Kapitel 33

Mittwochmorgen

 

Unbemerkt, geradezu völlig geräuschlos, schleicht sich Shredder aus dem Bett. Kurz bevor er den Raum verlässt, wirft er noch einen schnellen Blick zurück. Der Anblick des noch tief schlummernden Victors lässt ihn beinahe aufseufzen, doch er hält sich gerade noch rechtzeitig den Mund zu.

Leise huscht er hinüber Richtung Küche und wagt es erst ungefähr ab der Hälfte, dem Drang zu hinken nachzugeben. Es ist schon komisch: nicht der Sex als solcher ist das, was manchmal schmerzt, sondern irgendwelche Muskeln oder Gelenke, weil er sich dabei irgend etwas verrenkt oder angeschlagen hat. Dieser blöde, enge Sportwagen hat ihm einen schönen blauen Fleck am linken Knie eingebracht. Autsch.

Aber davon mal abgesehen - mit Victor wird es niemals langweilig. Himmel, er bringt es sogar fertig, ihn in einer völlig versifften Toilettenkabine allein durch Küsse und Streicheleinheiten dazu zu bringen, fast in seiner Hose zu kommen!

Das war ein Verlust der Selbstkontrolle, dem sich Shredder ausnahmsweise einmal gern hingab. Nicht einmal er weiß, wie viel von dem, was er da gestöhnt und gekeucht hat, echt oder gespielt war.

Und dennoch - trotz all der tiefen Emotionen, die da so offensichtlich zwischen ihnen sind, fühlt er sich jetzt plötzlich unsicher. Schließlich muß dieser Roger dich irgend etwas an sich gehabt haben, wovon sich Victor angezogen fühlte. Und solange Shredder das nicht weiß, kann er nicht anständig mit ihm konkurrieren.

Und als er dann auch noch sah, wie Victor die Fotoalben zum zweiten Mal durchblätterte - und sei es auch nur, um sich von ihrem einwandfreien Zustand zu überzeugen - um sie erst danach in ein Regal zu stellen, fühlte er diesen Stich im Herzen.

Und deswegen steht er jetzt auch zu dieser unchristlichen Zeit in der Küche und sucht die Zutaten für einen Pralinenkuchen zusammen. Denn soviel hat er in der letzten Woche gelernt: Victor Falco, der Rat King, steht unheimlich auf Pralinen.

Und dieser Kuchen wird ihm bestimmt gefallen.

Ganz bestimmt.

… Oder?

Zögernd starrt er auf die Mikrowelle, in der sich die Schüssel mit der Schokolade dreht und nagt dabei unschlüssig an seiner Unterlippe herum. Fatalerweise erinnert ihn das hier zu sehr an einen Teil seiner Vergangenheit, den er am liebsten für immer vergessen hätte:

Genauso hat er nämlich früher versucht, sich die Zuneigung seiner Mutter zu erkaufen. Brav sein, gute Noten und Pokale nach Hause bringen und ihr so viel Hausarbeit abnehmen wie möglich. Putzen. Aufräumen. Den Müll rausbringen. Einkaufen gehen. Ihr und seinem kleinen Bruder jeden Sonntag einen Kuchen backen.

Es hat nicht viel gebracht: seinen Bruder könnte er mit so einer Geste heutzutage nicht mehr versöhnen und seiner Mutter konnte und kann er sowieso nichts recht machen.

Victor ist anders, das weiß er, aber tief in seinem Inneren lauert dieses nagende Unbehagen, dieses Gefühl der Unzulänglichkeit.

Das leise „Pling" der Mikrowelle reißt ihn zurück ins Hier und Jetzt. Entschieden schüttelt er all diese düsteren Gedanken ab und macht sich an diesen Kuchen.

Aber schon wenig später stellt er fest:

Er scheint noch sehr müde zu sein, denn plötzlich geraten ihm da gewisse Details der Rezeptur im Kopf durcheinander. Waren es ein halbes Pfund Butter oder doch nur ein Viertel? Und wie war das mit dem Zucker? Verdammt.

Und schon holt er sich seinen Kommunikator und hofft, dass Krang nicht allzu genervt von ihm ist.

Keine fünf Minuten später könnte Victor, wenn er denn wach wäre, ein denkwürdiges Gespräch mitanhören und dabei sehr viel über seinen Ninja erfahren.

„200 Grad und höchstens 30 Minuten backen", selbst über eine Dimension hinweg gelingt es Krang, sehr generös zu klingen. Aber er beweist auch eine Engelsgeduld.

„Danke." Ehrlich erleichtert über diese Hilfe, heizt Shtedder erst den Ofen an und rührt dann weiter den Teig zusammen.

Der Kommunikator steht an die Wand gelehnt auf der Anrichte und Krang grinst ihn über den Bildschirm hinweg verschlagen an.

„Ich krame gerne in deinem Schreibtisch nach deiner Rezeptesammlung. Du warst also tatsächlich in einer Back-AG? Du warst ein komischer Oberschüler."

Shredder lächelt still in sich hinein. Ach ja, die Schulzeit. Zehn Jahre her und trotzdem … Manchmal scheint das Ganze schon Ewigkeiten her zu sein und dann, in Momenten wie diesen, kommt es ihm fast vor, als wäre es erst gestern gewesen, wo es ihm noch gelang, irgendwo hineinzupassen.

„Die Haiku-AG war schon voll.“

„Den Kurs hättest du sowieso nicht nötig gehabt."

„Danke...", erwidert Shredder errötend, zögert dann aber und wirft ihm einen schiefen Blick zu. „Glaube ich."

Krangs Grinsen wächst nur in die Breite. Kein Alien kann seine haifischartigen Beißerchen besser zur Schau stellen als er.

„Weiß Victor schon, dass er sich einen Dichter geangelt hat?" flötet er unschuldig.

„Ich bin kein..." wehrt Shredder sofort laut ab, hält dann jedoch inne und lauscht ängstlich Richtung Schlafzimmer. Als sich dort nichts regt, rührt er weiter und meint dann mit gedämpfter Stimme tadelnd:

„Das ist doch nur ein Hobby. Mach nicht mehr daraus, als es ist, Krang."

Krang ist nicht dieser Meinung, aber er ist bereit, dieses Thema fallen zu lassen. Es gibt noch andere Bemerkungen, mit denen er Shredder piesacken kann.

„Sag mal, stehst du nur um vier Uhr morgens in der Küche und backst diesen Pralinenkuchen, weil du deinem Victor beweisen willst, dass du besser bist als sein Ex?"

Shredder stockt kurz damit, den Holzlöffel in der Schüssel zu schwingen und beißt sich ertappt auf die Unterlippe. Verdammt. Wieso hat er Krang nur von heute Abend erzählt?

„Nein", erklärt er dann kühl und rührt mit doppelter Kraft und Geschwindigkeit weiter. „Er mag Pralinen, aber dafür fehlen mir die Zutaten, also bekommt er einen Pralinenkuchen. Wenn er ihm nicht schmeckt, friere ich ihn für euch Pappnasen ein."

„Ich hoffe, er schmeckt ihm nicht", feixt Krang sofort.

Shredder brummt nur und macht sich daran, den Teig in eine Springform zu gießen.

„Dir ist schon klar, dass du nichts beweisen musst, oder?" versucht Krang ihn derweil aufzumuntern. „Dieser Ro-geeer scheint die reinste Flachpfeife zu sein. Wie ich Victor einschätze, ist er nur aus Bequemlichkeit bei ihm geblieben. Ihr Menschen seid bereit, so viel zu ertragen, nur, um nicht einsam zu sein."

Shredder hält wieder inne und wirft ihm einen stirnrunzelnden Blick zu.

„Höre ich da einen versteckten Vorwurf heraus? Willst du mir das hier jetzt doch noch madig machen?"

Krang zögert eine Sekunde zu lange mit der Antwort und bemerkt seinen Fehler sofort. Er versucht gar nicht mehr, es abzustreiten.

„Bei jedem anderen außer dir würde ich jetzt etwas darüber sagen, daß du etwas in meine Worte hineininterpretierst, weil ich nur deine eigenen Gedanken ausspreche", beginnt er im Versuch, zu retten, was noch zu retten ist. „Aber du denkst immer negativ von anderen. Shredder ... Saki-chan... Wann kapierst du endlich, dass es Personen gibt, die dich um deiner selbst Willen mögen? Ich gönne dir deinen Victor, aber ich brauche dich hier. Du arbeitest für mich." Er zaudert kurz und fügt dann, nach einem schnellen Blick in Shredders irritierte und verlegene Miene, leise hinzu: „Das Technodrome ist dein Zuhause, vergiss das nicht."

Shredder schluckt schwer und räuspert sich einmal.

„Ich bringe euch einen Kuchen mit", verspricht er mit belegter Stimme.

Krang verdreht die Augen und klatscht sich mit einem Tentakel gegen die Stirn.

„Das ist nett", erklärt er trocken. „Und beweist nur, dass ich wie immer Recht habe."

Shredder stellt nur schweigend die gefüllte Backform in den vorgeheizten Ofen. Krang beobachtet ihn und seine Miene wird dabei ungewohnt weich.

„Glaub mir, Oroku Saki - Victor Falco ist derjenige, der beweisen muß, daß er dich verdient hat. Nicht anders herum."

Shredder zieht ein zweifelndes Gesicht, aber bevor er darauf etwas erwidern kann, bemerkt er, wie sich Krangs Blick plötzlich auf etwas hinter ihm richtig und sich der Mund des Aliens zu einem stummen "oh" öffnet.

Schlimmes ahnend wirbelt Shredder herum. Dort am Türrahmen lehnt Victor, nur mit seiner Jogginghose bekleidet und mit vor der nackten Brust verschränkten Armen und mustert ihn mit ernster Miene.

„Victor!" stößt Shredder erschrocken hervor. „Was... Wieviel hast du gehört?"

Über Victors blaue Augen hat sich ein beunruhigender Schatten gelegt. Was ist das? Trauer oder - Wut?

Shredder spürt, wie ihm der Atem stockt und ihm wird fast schlecht, als er Victors Antwort hört:

„Ich habe genug gehört."

Shredder starrt ihn einen Moment nur geschockt an und streckt dann die Hand zum Kommunikator aus.

„Nein." Victor schüttelt den Kopf. „Laß ihn zuhören."

Krang und Shredder wechseln einen kurzen Blick und dann lässt Shredder zögernd die Hand wieder sinken.

Victor atmet einmal tief durch und kommt dann zu ihm hinüber. Auf dem Weg dahin wirft er einen anerkennenden Blick in den Ofen.

„Sieht lecker aus. Ich kann es nicht erwarten, ihn zu essen."

Kleinlaut senkt Shredder den Blick.

„Es sollte eine Überraschung werden..."

„Um diese Uhrzeit solltest du lieber neben mir im Bett schlafen", erwidert Victor scharf, bleibt dicht vor ihm stehen und funkelt ihn an.

Shredder schluckt einmal schwer, aber bevor er etwas zu seiner Verteidigung vorbringen kann, legt Victor ihm eine Hand an die Wange, sieht ihm tief in die Augen und haucht ihm dann einen Kuß auf den Mund.

„Aber ich weiß es zu schätzen." Seine Stimme ist nur ein leises Murmeln gegen Shredders Lippen, doch es genügt, um dessen Herz noch heftiger schlagen zu lassen. Ob aus Angst oder Erregung weiß Shredder selbst nicht so genau.

Victor mustert ihn einen Augenblick einfach nur und diese Unsicherheit, die er in diesen schönen Mandelaugen sieht, versetzt ihm einen Stich ins Herz.

Er faßt ihn an den Hüften und dirigiert ihn so auf einen der Hocker an der Küchentheke, während er sich selbst auf den daneben setzt.

Er nimmt die Wasserflasche, die dort steht und gießt etwas davon in die beiden Gläser, die noch vom Vorabend hier stehen. Eines davon schiebt er ihm auffordernd zu, das andere behält er für sich.

Er nimmt einen großen Schluck und kaut geradezu auf der Flüssigkeit herum, während er nach den richtigen Worten sucht. Ein Teil von ihm würde Shredder am liebsten durchschütteln und anschreien, aber das ist derselbe gemeine Teil, der ihm damals eine Lektion erteilen und ihn quasi vergewaltigen wollte. Man muss seiner dunklen Seite nicht immer nachgeben.

„Ich habe Roger bei einem Geschäftsessen kennen gelernt", beginnt er, stellt das Glas ab und greift stattdessen nach Shredders Hand. „Anfangs konnte ich ihn noch nicht mal leiden. Aber er kann sehr charmant sein, wenn er will und ich war gerade mal wieder seit zwei Jahren Single und ja", bestätigt er in Krangs Richtung, „ich war einsam und deshalb angreifbar. Nachdem wir ein paar mal freundschaftlich miteinander ausgegangen sind, hat er mir gesagt, dass er mich liebe und ich fühlte mich geschmeichelt. Aber", fährt er mit einem Schulterzucken fort, „ich wollte etwas langfristiges, er nicht. Und zu allem kam noch dazu, dass ich nicht in seine Community reinpasste."

An dieser Stelle holt er einmal tief Luft und starrt auf ihre verschränkten Hände. Ohne es selbst zu bemerken, hat sein Daumen damit begonnen, Shredders Handrücken zu streicheln. Für einen Moment ist er ganz hingerissen von dem Kontrast seiner eigenen hellen Haut und Shredders Goldbrauner. Jesses, er liebt diese Farbe.

„Als ich ihn heute wiedersah, wusste ich gar nicht mehr, was ich so toll an ihm fand. Wieso hatte ich mich in ihn verliebt? Nur, weil er mir das Gefühl gab, ich sei ihm wichtig? Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist das sehr traurig, nicht wahr?"

„Victor..."

„Bei dir ist es ganz anders, Saki", unterbricht dieser ihn sofort. „Bei und mit dir fühle ich mich einfach wohl. So etwas habe ich noch nie zuvor bei jemanden gespürt." Er hebt den Kopf und starrt Shredder eindringlich in die Augen. „Ich will nicht, dass du mir deinen Wert beweist, denke nie, dass du das musst. Den Kuchen nehme ich gerne an, aber nur als Geschenk, weil du mir eine Freude machen willst. Nicht, weil du glaubst, mir etwas beweisen zu müssen."

Das war einer der längsten und emotionalsten Monologe, den er je gehalten hat, und er fühlt sich fast ein wenig erschöpft.

Aber ein Blick in Shredders Miene und er weiß - es hat sich gelohnt.

„Du bist das Beste, was mir je passiert ist", erklärt er noch einmal ganz deutlich, bevor er sich zu ihm hinüberlehnt und ihn in einen langen, zärtlichen Kuß verwickelt.

Leise aufseufzend schmilzt Shredder regelrecht gegen ihn. Und ehe er es sich versieht, ist er vom Barhocker direkt auf Victors Schoß gerutscht, hat ihm beide Arme um den Nacken geschlungen, schmiegt sich fest an ihn und stürzt sich noch tiefer in diesen Kuß hinein.

Begeistert über Shredders Gewicht auf seinem Schoß, legt Victor seine Arme um ihn, stützt ihn mit einer Hand im Kreuz und legt die andere besitzergreifend auf Shredders Hinterteil. Er kann seine Körperwärme durch den dünnen Stoff seines Pyjamas spüren. Und er riecht wieder so gut! Diesmal sogar mit einem Hauch von Zucker und Schokolade.

Ich liebe dich, Saki.

Plötzlich reißt Shredder den Kopf zurück und starrt ihn aus dunkelglühenden Augen an.

„Ich liebe dich, Victor", keucht er, als hätte er Victors Gedanken gelesen.

„Ich liebe dich auch, Saki", lächelt Victor und wischt ihn zärtlich die Nässe aus den Augenwinkeln.

Für die Dauer eines Herzschlages starren sie sich nur an, um sich dann mit doppelter Intensität aufeinander zu stürzen.

Ein ungeduldiges Räuspern reißt sie schließlich aus ihrem süßen Nirwana.

Es ist Krang.

Er räuspert sich erneut und dann noch einmal, bis er sich ihrer Aufmerksamkeit ganz sicher ist. Tadelnd schnalzt er mit der Zunge und verschränkt die Tentakel.

„So gerne ich euch dabei zusehe, ihr solltet damit aufhören, bevor der Kuchen verbrennt. Wär echt schade drum. Schließlich habe ich dabei mitgeholfen."

Verlegen rutscht Shredder von Victors Schoß herunter, aber Victor ist damit nicht ganz einverstanden. Seine Hände ruhen weiterhin auf Shredders Hüften, bereit, ihn jederzeit wieder an sich zu ziehen.

„Macht weiter, wenn der Kuchen fertig ist", befiehlt ihnen Krang mürrisch, bevor er selbst die Verbindung unterbricht.

Normalerweise lässt sich Victor ja nicht von jedem Befehle erteilen, aber in diesem Falle stimmt er dem Alien ausnahmsweise mal zu.

 

Mittwoch-Nacht

Kapitel 34

Mittwoch - Nacht

 

Victor atmet tief ein und schließt für eine Sekunde die Augen, bevor er sie wieder öffnet und den Anblick der Lichter dieser Stadt genießt, wie sie mit dem Funkeln der Sterne wetteifern. Selten kann man die Sterne so deutlich sehen - aber das bedeutet auch, dass es eine ziemlich kalte Nacht ist.

„Das ist wirklich eine grandiose Aussicht." Shredders Stimme neben ihm klingt irgendwie ... zu dünn.

Irritiert dreht Victor den Kopf. Und dann noch etwas, weil Shredder weiter von der Brüstung entfernt steht als erwartet. Zum Schutz vor der Kälte trägt er einen von Victors Beanies samt dazu passendem Halstuch und darin sieht er so süß aus, dass Victor ihm beides wohl schenken wird.

Aber jetzt wirkt Shredders Miene sehr angespannt und er hat die Hände tief in den Taschen seines Kurzmantels vergraben, während sich sein Blick starr nach vorne richtet. Etwas zu starr.

„Saki?" überrascht tritt Victor zu ihm und nimmt seine Hand. Er mustert ihn prüfend. „Ich dachte, du bist schwindelfrei?"

Shredder schüttelt den Kopf und lächelt schief.

„Bin ich nicht. Es ist nur so ... Wenn ich keine andere Wahl habe, während eines Kampfes oder wenn ich am Technodrome etwas reparieren muss, dann kann ich es ausblenden. Gib mir ein bisschen Zeit, dann habe ich mich daran gewöhnt."

„Entschuldige." Victor nimmt ihn in den Arm. Shredder sträubt sich nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann lehnt er sich dankbar an ihn. „Warum hast du mir das nicht gesagt? Ich wäre doch dann nie mit dir..."

„Eben deshalb", unterbricht ihn Shredder. „Du wolltest mir deinen Lieblingsplatz zeigen. Und ich wollte ihn sehen. Wenn ich dir davon erzählt hätte, hättest du ihn mir vielleicht nicht gezeigt und dann hätte ich diese tolle Aussicht verpasst." Und das meint er wirklich ernst. Das ist eine tolle Aussicht, erst recht, wenn Victor ihn so hält. Shredder lächelt gegen den rauhen Stoff von Victors Parka, während er über seine Schulter hinweg das nächtliche Panorama seiner drittliebsten Metropole nach Osaka und Tokio bewundert.

„Verbiege dich nicht", hört er Victors vorwurfsvolle Stimme direkt neben seinem Ohr.

„Tu ich nicht", widerspricht er sofort. „Es ist eine Schwäche, die ich mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit abgewöhnen will."

Victor empfindet Höhenangst nicht als Schwäche - jedenfalls nicht ab dem dritten Stock aufwärts und schon gar nicht im zwölften wie hier - aber er nickt nur und umarmt ihn noch ein wenig fester.

Es war ein ruhiger, gemütlicher Tag, ähnlich dem Sonntag (nur mit etwas weniger Sex), und sie sind beide immer noch in dieser absolut harmonischen Grundstimmung. Ihnen beiden tat die Ruhe gut. Sie mussten nicht einkaufen gehen, der Vorratsschrank ist voll, bei seinem Volk waren sie erst gestern und wann sie zum Kickboxen gehen, können sie sich völlig frei einteilen. Daher verbrachten sie den Tag kuschelnd auf dem Sofa bei einer neuen Staffel von Twillight Zone. Sie brauchten das, um ihr seelisches Gleichgewicht wieder zu finden. Die Begegnung mit Roger wirkte noch erstaunlich lange nach, und vor allem ärgerte es ihn, dass sein Saki nicht davon verschont wurde. Victor hofft allerdings, wenn er ihm das nächste Mal so einen köstlichen Kuchen backt, dass er es dann aus den richtigen Gründen macht.

Er ist so herrlich kompliziert, sein Ninja! Es wird ihm eine Freude sein, ihn jeden Tag davon zu überzeugen, wieviel er wirklich wert ist.

Moment mal - jeden Tag? Was denkt er denn hier? Ohne Shredders Sicht zu kennen, sollte er so etwas wirklich nicht einmal denken.

„Denkst du manchmal darüber nach?" hört er sich plötzlich selber fragen. „Wie es wäre, wir zwei, länger als bis nächsten Mittwoch?"

Er hat kaum ausgesprochen, da würde er sich am liebsten die Zunge abbeißen. Da! Er macht es schon wieder! Er will aus einer lockeren Sache eine feste Beziehung erzwingen.

„Uh, vergiß es", rudert er hastig zurück. „Es ist erst eine Woche. Es ist viel zu früh-"

„Ich denke daran", unterbricht ihn Shredder leise und seine Finger verkrallen sich fester in Victors Parka. So fest, als wolle er ihn nie wieder loslassen.

Ja, Victor erinnert sich an Shredders Worte zu Michelangelo. Natürlich denkt er daran.

Für die Dauer einiger Herzschläge stehen sie einfach nur da und halten sich gegenseitig im Arm, wie sie es an diesem Tag schon so oft getan haben.

Als sie sich trennen, ist es nur von kurzer Dauer, denn Victor stellt sich nur wortlos hinter ihn, umschlingt ihn locker mit den Armen, schiebt ungeduldig mit der Nase das Halstuch etwas herunter, um ihm einen kleinen Kuss in den warmen Nacken drücken zu können. Gemeinsam starren sie dann in die Sterne. Hinter dem Chrysler Building schiebt sich gerade der Mond hervor - eine perfekte, hell strahlende Sichel.

Plötzlich seufzt Shredder einmal tief und leise auf.

„Das fehlt mir am meisten - dieser Nachthimmel."

„Gibt es in der DimensionX denn keinen Sternenhimmel?"

„Doch", kommt es leise zurück. „Aber der ist da natürlich ganz anders. Viel … dunkler. Irgendwie kälter. Aber das Komische ist, ich kenne mich da besser aus als hier." Dass das an den total bekloppten und meist sexuell angehauchten Namen liegt, verschweigt er erstmal lieber. Das ist ihm viel zu peinlich. „Und bevor du fragst: ja, Astronomie war Teil meiner Ninja-Ausbildung, aber ich kann mir gerade mal die wichtigsten Sternbilder merken. Es reicht zur Navigation, aber mehr auch nicht."

„Wie schön", lachend gibt ihm Victor einen Kuss auf die Schläfe. „Dann gebe ich dir jetzt eine kleine Nachhilfestunde in Astronomie."

Shredder lacht nur gutmütig. Früher wäre es ihm nie eingefallen, eine Schwäche zuzugeben, aber Victor gegenüber erscheint es ihm plötzlich so einfach wie Atmen.

Es macht sogar richtig Spaß, sich von ihm die Sternbilder zeigen zu lassen. Er ist so warm und sicher und wenn er jetzt hinter ihm steht, hat das gar nichts Beunruhigendes mehr an sich. Jetzt fühlt sich Shredder einfach nur noch wohl und gut aufgehoben. Und Victor hat eine so schöne Stimme ... er könnte ihm ewig zuhören. Und ja, er stellt sich manchmal extra dumm an, damit er ihn noch einmal so schöne Namen wie Cassiopeia und Corona Borealis sagen hört. Da Victor dazu auch die antiken Geschichten kennt, wird das alles zu einem kleinen Unterricht in griechischer Mythologie. Auch nichts, was Shredder nicht schon kennt, aber … nun, Victor hat wirklich eine schöne Erzählstimme.

Victor ahnt, dass Shredder einen Großteil von dem, was er hier von sich gibt, schon längst weiß, und bei jedem anderen käme er sich doch jetzt sehr veräppelt vor, aber nicht bei seinem Ninja. Schließlich genießt er es offensichtlich, ihm zuzuhören.

Was sollte Victor dagegen einzuwenden haben? Es geht ihm doch genauso, wenn Shredder mal einen etwas längeren Monolog hält.

Irgendwann allerdings weiß auch Victor keine Geschichten mehr, aber die Stille, die dem folgt, ist nicht im Geringsten unangenehm. Victor schließt seine Arme nur etwas fester um den Mann vor sich und der dreht sich etwas, um sich an ihn zu kuscheln, und das ist einfach nur perfekt.

 

 

Victor bemerkt sie zuerst.

Bewegungen.

Gestalten in der Dunkelheit der Nacht, nur ein paar Dächer entfernt. Zuerst ist er sich nicht sicher, aber dann fängt sich das Mondlicht im Metall einer langen Klinge. Ein Katana.

„Sieh mal einer an, deine ganz speziellen Freunde", schmunzelt er ironisch, verstärkt seine Umarmung um den Mann vor sich und haucht ihm einen Kuß auf die Schläfe, ohne dabei jedoch den Blick von den vier Gestalten zu nehmen.

Sie sind zu weit weg, um sie zu bemerken, außerdem müssten sie dafür ihre Aufmerksamkeit nach oben lenken, aber das ist eher unwahrscheinlich. Sie patrouillieren die Straßen, nicht die Dächer. Aber es ist merkwürdig - er hat sie noch nie in dieser Gegend gesehen.

„Die Turtles." Shredders Kehle entringt sich ein wahrer Stoßseufzer. „Hat man vor denen denn nie seine Ruhe?"

Schweigend sehen sie zu, wie sich die vier Ninja Turtles ihren Weg über die Dächer suchen. Sie würden es nie zugeben, aber sie sind sehr erleichtert, dass sich die Brüder von ihnen entfernen. Schon ein paar Minuten später sind sie wieder in der Dunkelheit verschwunden.

„Irgendwie ein komisches Gefühl", meint Shredder nach einer Weile nachdenklich, „wenn sie mal hinter jemand anderem her sind."

„Bist du etwa enttäuscht?" will Victor amüsiert wissen.

Aber Shredder schüttelt nur lächelnd den Kopf und lehnt sich schwerer an ihn. Victor drückt ihn nur allzu gerne fester an sich.

Wenn es nach ihm ginge, würde er ihn nie wieder loslassen.

 

Donnerstag I

Kapitel 35

Donnerstag

 

„Kann ich Ihnen behilflich sein?"

Victor schüttelt den Kopf und scheucht die aufdringliche Verkäuferin mit einer Handbewegung wieder davon. Er verschränkt die Arme vor der Brust und beobachtet weiter seinen Shredder und wie dieser durch die Regale und Auslagen stöbert.

Ehrlich - Shredder als Souvenirjäger? Wer hätte das gedacht?

Er jedenfalls ganz bestimmt nicht.

Dabei wollten sie doch eigentlich nur ins Aquarium. Heute ist der letzte Tag der Quallen-und Tintenfisch-Ausstellung und Victor wollte da schon seit Wochen hin. Aber soweit sind sie noch gar nicht gekommen, weil der dazugehörige Souvenirladen im Weg steht. Da war dieser Plüsch-Tintenfisch, den Shredder unbedingt für seine Mutanten kaufen will. Und für Krang gibt es die Doku-Reihe „Wunder der Meere" und überhaupt gibt es hier so viele tolle Sachen - erst recht, nachdem sie festgestellt haben, dass die Kreditkarte, die Victor in seiner Brieftasche gefunden hat und die auf Rogers Namen läuft, immer noch nicht gesperrt ist. Seitdem befindet sich Shredder in einem regelrechten Kaufrausch und das Allermerkwürdigste: alles, worüber er in Entzückung gerät, gefällt Victor ebenfalls. Was Kitsch und unnütze Dinge betrifft, haben sie eindeutig denselben Geschmack.

Und wäre da diese alles andere als unbedeutende Tatsache mit Rogers Kreditkarte nicht, wäre Shredder über das preiswertere Studententicket hier hereingekommen, aber weil es für sie beide quasi gratis ist, hat er nur wieder seinen Pass gezückt und damit mal wieder eine Ticketverkäuferin in Verlegenheit gebracht.

In Erinnerung daran kann sich Victor ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Ihm fällt es ja gar nicht mehr so sehr auf, wie jung Shredder aussieht. Für ihn ist es quasi nur noch abhängig von der jeweiligen Situation. Zum Beispiel, wenn Shredder wieder so schön verlegen errötet, wenn er schläft oder etwas ausheckt. So wie gerade jetzt...

Shredder steht vor ihm, strahlt ihn an und zeigt ihm zwei Sweatshirts samt dazugehörigen Caps. Sie sind weiß, mit dem Aufdruck eines pink- und blauschimmernden Tintenfisches und zum Teufel, irgendwie erinnert er an Krang. Und dann steht da auch noch „Team Tentakel" und ja, klar, natürlich müssen sie das kaufen. Für sich und Bebop und Rocksteady. Und für Krang gibt es ein entsprechendes Plüschkissen, damit er es in seinem Androidenkörper bequemer hat.

Und nicht nur, dass Victor irgendwann selbst nicht mehr widerstehen kann und sich Dinge kauft, die er eigentlich gar nicht braucht - am Ende haben sie soviel, dass sie dafür noch einen großen Rucksack kaufen müssen, um das alles irgendwie verstauen zu können. Die Caps allerdings behalten sie gleich auf.

Als sie dann endlich in die Ausstellung gehen, sehen sie aus wie typische Touristen und es ist ihnen nicht im geringsten peinlich.

 

 

Sie haben etwas Beruhigendes an sich, diese Medusen. Wie sie so majestätisch und elegant durch das Wasser gleiten, das ist schon fast märchenhaft. Vielleicht gilt es als Tierquälerei, sie in diesen Röhren und Säulen zu halten, aber sie machen einen sehr munteren Eindruck.

Sie sind schön.

Victor kann sich nicht helfen - er ist ganz fasziniert davon. Die Tintenfische sind auch cool, aber die scheinen eher Shredders Interesse geweckt zu haben.

Er hockt vor einem anderen in die Wand eingelassenes Bassin. Neben sich den Rucksack und spielt mit einem Tintenfisch. Irgendwie hat er das Tier dazu gebracht, dass es mit einem Tentakel der Bewegung seiner Hand folgt.

Um Shredders Lippen zuckt dabei dieses kleine, gedankenverlorene Lächeln, das Victor so an ihm liebt.

Victor verabschiedet sich im Stillen von den Quallen und schlendert dann zu Shredder hinüber. Doch anstatt sich hinzuhocken wie dieser – seine Knie protestieren schon allein bei diesem Anblick - bleibt er nur neben ihm stehen und legt ihm eine Hand auf die Schulter.

Für die Dauer einiger Herzschläge starren sie nur stumm in das Wasserbecken und der Tintenfisch starrt zurück.

„Es ist schön hier, nicht wahr?" meint Victor schließlich.

Shredder nickt nur und nimmt dankend Victors ausgestreckte Hand an, um sich von ihm in die Höhe ziehen zu lassen.

„Wir hätten nachts kommen sollen“, murmelt er dann leise und fügt, mit einem vielsagenden Blick zu den anderen Besuchern hinzu: „Da wäre es ruhiger und vor allem leerer."

„Können wir ja nachholen." Schmunzelnd packt Victor ihn um die Hüften und drückt ihn an sich. Aber leider nur sehr kurz und möglichst unauffällig, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen.

„Nein, danke.“ Für den Bruchteil einer Sekunde berühren Shredders Lippen diese kleine, empfindliche Stelle unter Victors linkem Ohr, doch schon ein Augenblinzeln später hält er wieder den angemessenen Abstand von dreißig Zentimetern ein. „Ich hab Urlaub, da breche ich nicht irgendwo ein."

„Außer in Alfa Romeos", bemerkt Victor trocken.

„Außer in Alfa Romeos", bestätigt Shredder im selben Tonfall.

Eine Bewegung im Bassin lässt sie die Blicke senken. Jetzt klebt der Tintenfisch mit allen saugnapfbeschwerten Fangarmen am Glas. Er starrt sie direkt an und das sieht irgendwie... vorwurfsvoll aus.

„Der mag dich", stellt Victor amüsiert fest.

„Er ist niedlich“, gibt Shredder leise zu, klopft noch ein letztes Mal zum Abschied an das Glas und schultert dann seinen Rucksack.

Für einen kleinen Moment huscht so etwas wie Bedauern über seine Miene, als er sich abwendet, aber wenig später lächelt er schon wieder.

Wie selbstverständlich hakt er sich bei Victor unter und der erstarrt auch nur den Bruchteil einer Sekunde vor Schreck, doch das ist nur das Echo einer uralten Gewohnheit. Derart untergehakt schlendern sie weiter, von Wassertank zu Wassertank und bewundern ausgiebig die bunte, lebendige Welt, die sich ihnen dort offenbart.

„Ich gestehe dir jetzt mal was“, flüstert Shredder ihm plötzlich verschwörerisch zu, als sie vor dem Becken mit den Kompassquallen stehen. Sie haben wirklich eine sehr deutliche, klare Zeichnung. Sie sind wunderschön – und hochgiftig. „Aber sag es niemandem weiter. Ich mag auch Schildkröten. Die Tiere. Die normalen."

Im ersten Moment weiß Victor nicht, wie er gerade jetzt darauf kommt, aber dann fällt sein Blick auf einen der Wegweiser an der Wand. „Schildkröten und Frösche“ steht dort und daneben der entsprechende Pfeil, der die Richtung angibt.

„Wollen wir uns die auch noch ansehen?“

Shredder zuckt nur mit den Schultern und brummt ein „wenn wir schon mal hier sind“. Victor hat auch genug Quallen und Tintenfische gesehen und so lassen sie sich mit der Masse treiben und folgen dem Pfeil.

Die Abteilung „Frösche" steht denen der Meeresbewohner in Licht- und Farbeffekten in nichts nach und all die bunten Geschöpfe sind in ihrem kleinen, in sich geschlossenem Biotop gut in Szene gesetzt. Vor dem Terrarium mit den Sumpffröschen bleibt Shredder besonders lange stehen. In seine Miene schleicht sich ein wehmütiger Ausdruck und sein Blick wird ganz abwesend. Victor beobachtet das eine Weile und stupst ihn dann sachte an.

„Woran denkst du?"

Blinzelnd schreckt Shredder auf.

„Die Froggies. Meine Froggies." Er schenkt Victor ein schiefes Lächeln. Er zögert kurz, entschließt sich dann aber, dass Victor es verdient hat, alles zu erfahren. Auch die peinlichen Einzelheiten.

„Als ich zu einem Kleinkind schrumpfte, bin ich weggelaufen und hab mich prompt in den Everglades verirrt", erzählt er ihm, noch immer mit diesem schiefen Lächeln, während er seine Fingerspitzen gegen das Glas presst. Es ist verboten, an die Glasscheiben der Terrarien zu fassen, aber das war es bei den Tintenfischen auch und genau wie dort schert er sich nicht um so etwas. Den Bewohnern, den Fröschen, ist es ebenfalls egal.

„Rocksteady und Bebop haben mich gesucht und die Froggies auch. Ich war da ganz allein in den Sümpfen und hatte eine Scheißangst. Rasputin, einer der Frösche, hat mich gefunden und zurückgebracht. Ich war noch nie so froh, ihn zu sehen. Oder Rock und Beeps. Und ... Krang."

Das ist einer dieser Momente, in denen Victor ihn gerne in seine Arme nehmen würde, aber hier und jetzt muss er sich damit begnügen, ihm einen Arm um die Schultern zu legen.

„Wieso bist du weggelaufen?" will er leise wissen. Er ahnt die Antwort, aber er will ... er muss sie hören.

Wieder spielt da dieses schiefe Lächeln um Shredders Lippen, als er kleinlaut mit den Schultern zuckt.

„Ich war überzeugt davon, dass Krang mich so schnell wie möglich loswerden will, und dem wollte ich zuvorkommen."

„Wieso sollte Krang dich loswerden wollen?"

„Weil ich ein kleines, unnützes Gör war?" kommt es unnötig schroff zurück.

Victor rollt nur mit den Augen und schüttelt dann den Kopf.

„Da hattest du aber eine sehr schlechte Meinung von deinen Freunden."

Zu seiner großen Erleichterung stimmt Shredder ihm da zu. Er klingt sogar angemessen zerknirscht.

„Ja. Und das war dumm von mir."

Victor drückt ihn einmal kurz an sich und mustert ihn dann nachdenklich.

„Hätte es einen deiner Freunde getroffen - Bebop, Rocksteady oder Krang, dann hättest du dich doch auch nicht von ihnen abgewandt, oder?"

„Hör auf, ja?" peinlich berührt und mit rötlich verfärbten Wangen windet sich Shredder unter seinem Arm hervor und tritt einen Schritt beiseite. „Natürlich hätte ich das nicht, aber woher sollte ich wissen, dass sie auch so denken? Am Ende haben mir alle geholfen, sogar Splinter. Ich habe meine Lektion gelernt. Ich habe kapiert, dass unsere Werte unterm Strich gar nicht so verschieden sind."

„Und dass sie dich mögen", fasst Victor das Wesentliche unbarmherzig zusammen. „Wenn", raunt er ihm dann mit seidenweicher Stimme ins Ohr, „sie dich auch bestimmt nicht so sehr lieben wie ich."

Shredder erschauert unwillkürlich. Ob das an seinen Worten liegt oder seinem Atem, der über Shredders empfindliches Ohr geistert, weiß Victor nicht genau, aber es ist ihm auch egal.

„Auf mich kannst du dich auch verlassen, Oroku Saki. Ich hoffe, das weißt du? Und vergiss es ja nicht."

„Victor..." Shredder wird hochrot und vergräbt das Gesicht in seiner rechten Hand.

Uh, das ist schon so lange nicht mehr passiert, Victor hat fast vergessen, wie rührend das aussieht. Für einen kurzen Augenblick denkt er daran, ihn Richtung Waschräume zu zerren und ihn dort in einer Kabine zu vernaschen, aber dann verwirft er diese Idee wieder und begnügt sich damit, ihn einfach nur in eine bärenstarke, herzliche Umarmung zu ziehen.

 

 

Als sie später dem Ausgang zustreben, sind zwei Stunden vergangen. Es kam ihnen weitaus kürzer vor. Es ist wirklich immer wieder erstaunlich, wie tief sie in eine fremde Welt abtauchen können, so lange sie nur zusammen sind. Victor liebt solche Ausstellungen, aber ohne Shredder wäre ihm schnell langweilig geworden.

Am Ausgang kaufen sie sich noch ein paar schöne Postkarten – Victor, weil man da drin nicht fotografieren durfte, er aber ein paar Andenken haben möchte und Shredder aus fast denselben Gründen. Er will Krang, Bebop und Rocksteady damit überraschen. Und dann kauft er noch eine für seinen Bruder. Und für seine Mutter. Für die Frösche und, nach kurzem Zögern, auch für Splinter.

Dafür schämt er sich fast, und beinahe hätte er sie wieder zurückgelegt, doch Victor schenkt ihm nur ein aufmunterndes Lächeln und winkt dann mit einer identischen Karte.

„Und ich schick eine an meine Kollegen“, grinst er und zwinkert ihm dabei spitzbübisch zu.

Er kann förmlich zusehen, wie daraufhin alle Zweifel von Shredder abfallen.

Victor sieht ihm zu, wie er an die Kasse tritt und die Ansichtskarten bezahlt und fühlt, wie dabei ein Gefühl der Wärme von ihm Besitz ergreift. Tief in seinem Magen tanzen wieder Schmetterlinge. Unwillkürlich fährt er sich mit der rechten Hand hoch zur Brust, kann jedoch glücklicherweise den ergriffenen Seufzer, der ihm auf den Lippen liegt, gerade noch rechtzeitig zurückdrängen.

Das höfliche Lächeln, das Shredder mit der Verkäuferin tauscht, erinnert ihn fatal an dieses Lächeln, mit dem er ihm sagte, dass er mit ihrem Deal einverstanden wäre. Höflich, nichtssagend, aber mit so viel Potential, dass es Victors Jagdinstinkt weckte.

Mit einem gewissen Gefühl des Besitzerstolzes lässt Victor seine Blicke über die Gestalt dieses Mannes wandern, den er kennen und schätzen und vor allem lieben gelernt hat, und tief in ihm wächst ein Entschluss heran. Noch ist er zu vage, um ihn in Worte zu kleiden. Noch ist die Zeit nicht gekommen. Aber wenn es soweit ist, wird es kein Zurück mehr geben.

Er ist so tief in Gedanken versunken, dass er regelrecht aufschreckt, als Shredder wieder vor ihm steht und kaschiert es damit, dass er sich sofort lächelnd bei ihm unterhakt.

„War da nicht ein kleines Café? Was hältst du von einer heißen Schokolade?“

 

 

Donnerstag II

Kapitel 36

Donnerstag II

 

„Das nenne ich mal guten Kakao“, lobt Shredder, lehnt sich zufrieden in dem kleinen Bistrostuhl zurück und leckt sich den Schokoschaum von der Oberlippe.

Grenzenlos fasziniert beobachtet Victor diese kleine, freche Zungenspitze. Ihm stockt fast der Atem bei diesem Anblick. Außerdem stellt diese kleine, harmlose Aktion noch ganz andere, weniger jugendfreie Dinge mit seinem Körper an.

Geradezu gewaltsam muß er sich daran erinnern, dass sie hier auf einer belebten Straße sitzen und es da einen Straftatbestand wie „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ gibt.

Und Pädophilie nicht zu vergessen, erinnert er sich streng. Vergessen wir nicht die Pädophilie. Bis Shredder seinen Pass gezückt und das Mißverständnis aufgeklärt hat, befinde ich mich schon auf dem halben Weg zur Wache.

Er holt einmal tief Luft und nimmt einen Schluck von seinem eigenen Kakao. Hm, süß und cremig – Shredder hat Recht, das ist ein guter Kakao. Bei fünf Dollar pro Tasse kann man das aber auch erwarten – wie gut, daß sie Rogers Kreditkarte haben.

„Hmmm...“

Als er eine leichte Berührung an seinem Mundwinkel spürt, schreckt Victor zurück aus seinen Gedanken. Seine Augen weiten sich entsetzt.

„Hmmm“, wiederholt Shredder nur, wischt ihm noch einmal mit dem Daumen über Mundwinkel und Oberlippe und lehnt sich dann wieder zurück. In seinen Augen funkelt es verschmitzt, als er sich genüßlich ebendiesen Daumen ableckt.

„Was?“ entgegnet er betont unschuldig auf Victors fassungsloses Starren, „du hattest da etwas Schokolade.“ Und dann senkt er die Stimme und lehnt sich verschwörerisch vor: „Ich hätt's dir ja weggeküsst, aber wir sind hier leider nicht unter uns.“

Victor holt einmal tief Luft, winkt ihn mit dem Zeigefinger wieder näher zu sich heran, und flüstert ihm dann ins Ohr, wie genau er gedenkt, sich dafür zu revanchieren, sobald sie wieder in seinem Auto sind, das in der Tiefgarage zweihundert Meter weiter steht.

Zu seiner großen Überraschung wird Shredder diesmal gar nicht rot. Er gluckst nur leise, lässt seine Finger neckisch unter dem Tisch über Victors Oberschenkel tanzen und weicht dann wieder züchtig zurück.

„Schuft“, zischt ihm Victor über den Rand seiner Tasse noch zu und erntet doch nichts weiter als ein amüsiertes Lächeln. Den Rest ihres Kakaos genießen sie schweigend.

Plötzlich entsteht auf dem Gehweg vor dem Ausgang des Aquariums und somit keine zehn Meter von ihnen entfernt, eine Bewegung, die sich von der üblichen Masse der herausströmenden Besucher unterscheidet. Und da weht auch schon eine ihnen nur allzu bekannte Stimme zu ihnen hinüber.

„... verzeichnete das Aquarium bei den Besucherzahlen einen neuen Rekord. Werden diese Themenwochen zu einer neuen Erfolgsgeschichte? Wenn, erfahren Sie es von uns vor allen anderen. Das war April O'Neil von Channel Six.“

Die Starreporterin, diesmal wieder in ihren üblichen gelben Jumpsuit mit den weißen Stiefeln, gibt ihrem Kameramann das „Cut“-Zeichen und drückt ihm ihr Mikro in die Hand. Ihr Lächeln und die Art, wie zielstrebig sie zu ihnen hinüberkommt, tötet sofort jeden Funken Hoffnung, dass sie ungeschoren davon kommen könnten. Natürlich hat sie sie schon längst bemerkt. Höchstwahrscheinlich sogar noch viel früher als die beiden Männer sie.

„Hi Jungs“, begrüßt sie sie so locker-flockig als wären sie alte Freunde. Sie schnappt sich einen leeren Stuhl vom Nachbartisch und setzt sich dann ungefragt zu ihnen.

„Hallo, April“, grüßen die beiden im Chor zurück.

„Machst du jetzt auch schon Bildungsfernsehen?" will Shredder dann spöttisch wissen.

Sie streicht sich nur grinsend eine rotbraune Locke zurück hinters Ohr.

„Na“, gibt sie im selben Tonfall zurück, „wenn die Superschurken mit sich selbst beschäftigt sind, bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig. Und ihr? Habt ihr ein Date zwischen Quallen und Tintenfischen und anderem Meeresgetier?"

„Das ist kein Date", knurrt Victor sofort.

In gespieltem Entsetzen reißt sie die Augen auf. „Schon wieder nicht? Oder hattet ihr inzwischen eins? Ehrlich, Victor, wenn du Shredder behalten willst, musst du ihm schon was bieten. Ja“, fügt sie auf ihre verdutzten Blicke sehr selbstzufrieden hinzu, „ich weiß, wer du bist. Ich sagte doch, ich finde es heraus, Mr Victor Falco."

Doch er lächelt sie nach dem ersten Schock nur gutmütig an.

„Du bist wirklich gut“, lobt er.

„Ich behalte es für mich, wie ich es versprochen habe“, versichert sie von sich aus. Die beiden nicken nur grimmig. Das wollen sie ihr auch geraten haben.

In der nun eintretenden verlegenen Stille wandern Aprils Blicke prüfend zwischen Victor und Shredder hin und her.

„Du hast da was“, meint sie dann zu Victor und zeigt dabei auf ihren eigenen Hals, um ihm so zu zeigen, wo. Rein instinktiv fährt dessen Hand hoch zu seiner rechten Halsseite. Noch bevor seine Finger die entsprechende Hautpartie erreichen, fällt ihm ein, daß sie nur seinen neuesten Knutschflecken meinen kann.

„Ehrlich“, meint sie da auch schon vorwurfsvoll an Shredder gewandt, „geht's noch offensichtlicher?“

„Steht ja nicht drauf, dass er von mir ist“, grinst der nur zurück.

„Ich hab nunmal 'ne empfindliche Haut“, verteidigt Victor seinen Ninja schnell, woraufhin sie nur noch breiter grinst.

„Ihr seid niedlich“, kommentiert sie dann. „Echt. Ihr passt gut zusammen. Zwischen euch stimmt die Chemie.“ Sie zögert kurz und fährt augenzwinkernd an Shredder gewandt fort: „Ich hoffe, wenn du mich das nächste Mal entführst, dass Rat King dann auch dabei ist und ich einen Kuss zu sehen bekomme.“

Zuerst starrt Shredder sie nur geschockt an, aber als ihm langsam ins Bewußtsein tröpfelt, was sie da gesagt hat, färben sich seine Wangen ein kleines bißchen Rot und er wendet den Blick ab und räuspert sich verlegen.

Victor dagegen ist weder geschockt noch verlegen. Dafür ist er viel zu entzückt über Shredders Reaktion.

„Vielleicht sogar etwas mehr“, bietet er verschwörerisch, aber nicht wirklich ernst gemeint, an.

Das bringt sie zum Kichern. „Ich kann es kaum erwarten.“

Jesses. Victor ist baff. So, wie sie sich hier unterhalten, käme niemand auf die Idee, daß sie auf verschiedenen Seiten stehen. Kein Wunder, dass diese Frau seinem Ninja immer so leicht entkommt – jede Wette, er zieht die Knoten nie richtig fest, wenn er sie fesselt. April O'Neil ist witzig und intelligent – sie hat jemand besseren verdient als diesen Kindskopf Casey Jones.

„Na gut, Jungs, war schön, euch zu sehen. Aber ich muss jetzt los.“

„Wartest du noch einen Moment?“ Shredder hat sich endlich aus seiner Schockstarre erholt und hält sie hastig am Handgelenk zurück, als sie sich erheben will. Als sie sich gehorsam wieder gesetzt hat, wuchtet er seinen Rucksack auf seine Knie und beginnt wild darin herumzukramen.

„Ich hab hier eine Karte, könntest du die Splinter geben?“ fragt er, zieht einen Stift und die Karte mit dem Schildkrötenmotiv hervor und kritzelt schnell etwas auf die weiße Rückseite.

„Äh … na klar“, erklärt sie sich zögernd bereit und verengt misstrauisch die Augen. „Da steht jetzt aber nichts, was ihm einen Herzschlag verpasst, oder?“

Sie kann es nicht entziffern, weil es sich um japanische Schriftzeichen handelt und weiß eindeutig nicht, was sie davon halten soll.

„Nein, keine Sorge. Außerdem braucht es mehr als ein paar Worte, um die alte Ratte zu seinen Vorfahren zu schicken.“

„Darf ich auch noch was dazuschreiben? Danke.“ Ohne wirklich eine Antwort abzuwarten, nimmt Victor ihm den Stift aus der Hand und schreibt mit kleinen, aber lesbaren Druckbuchstaben „mein Ninja wird mich nie wieder los“ in eine leere Ecke. Shredder blinzelt verdutzt, als er das liest und das Rot auf seinen Wangen vertieft sich etwas.

Ohne weiter darauf einzugehen, reicht Victor die Ansichtskarte an April, die sie kurz überfliegt und sie dann lächelnd in ihrer Tasche verstaut. Sie verspricht ihnen hoch und heilig, dass Splinter sie noch heute erhalten wird.

Kurz bevor sie endgültig geht, zögert sie noch einen Moment, ehe sie Shredder eine Hand auf die Schulter legt.

„Diese Karte wird ihn sehr freuen. Ich danke dir in seinem Namen.“ Mit diesen Worten beugt sie sich blitzschnell zu ihm herunter und gibt ihm einen Kuss auf die Wange.

Sie ist verschwunden, bevor sich einer der beiden von seiner Überraschung erholt hat.

 

 

Die Begegnung mit April hat sie ein wenig aus dem Konzept gebracht, aber Victor brauchte nicht lange, um wieder in die richtige Stimmung zu kommen. Wenn es um Shredder geht, ist das immer so. Er versucht, sich zusammen zu reißen. Wirklich.

Aber als sie die Tiefgarage betreten und sein Mustang in Sicht kommt, erinnert er sich wieder an seine kleine schmutzige Revanche-Fantasie und – Jesses! - Shredder muss nicht seinen hautengen Kampfanzug tragen, um wie das Sinnbild der Verführung schlechthin auf ihn zu wirken.

Mit einem Ruck reißt Victor die hintere Tür seines alten Mustangs auf und deutet vielsagend ins Innere.

Shredder lässt sich nicht hetzen und verstaut erst einmal in aller Seelenruhe seinen Rucksack im Kofferraum. Dann schlendert er zu seinem immer ungeduldiger werdenden Freund und mustert erst ihn und dann das Wageninnere skeptisch.

„Und du bist dir sicher, dass du das willst?" neckt er ihn. „Mitten in der Tiefgarage? Was ist, wenn uns jemand sieht?"

„Rückbank", befiehlt Victor knurrend.

„Bist du dir sicher?"

„Rückbank. Sofort." Victor legt ihm die flache Hand auf die Brust und stößt ihn ins Wageninnere. Zum Glück hat Shredder mit etwas ähnlichen gerechnet und besitzt dazu noch die Reflexe einer Katze, sonst hätte er sich garantiert den Kopf am Türrahmen gestoßen, so aber landet er nur mit dem Rücken auf dem Rücksitz. Er lacht herausfordernd, als Victor zu ihm in den Wagen klettert, die Tür hinter sich zu zieht und sich dann der Länge nach auf ihn wirft.

„So stürmisch", schmunzelt Shredder. „Kannst es wohl nicht mehr aushalten, bis wir Zuhause sind?"

„Nein, kann ich nicht", knurrt Victor, während er sich in eine knieende Position aufrichtet - jedenfalls soweit es das niedrige Autodach zulässt. Mit einem Ruck öffnet er den Reißverschluß seines Parkas und nestelt dann ungeduldig an seiner Hose herum.

„Wow." Wie hypnotisiert sieht ihm Shredder dabei zu leckt sich gierig die Lippen. Der Anblick gefällt ihm sichtlich. „Was, wenn man uns sieht?" gibt er neckend und provozierend zugleich zu bedenken.

„Halt die Klappe", grummelt Victor nur, während er sich die Jeans samt Unterhose halb über die Hüften zerrt und sich dann an Shredders Hose zu schaffen macht. „Hilf mir lieber."

Nun, das lässt sich dieser nicht zweimal sagen.

 

Freitag

Kapitel 37

Freitag

 

Summend spült Victor seinen Nassrasierer unter klarem Wasser ab und legt ihn dann ordentlich wieder in den Spiegelschrank zurück. Noch ein letzter prüfender Blick in den Spiegel - oh, er beneidet Shredder so sehr um seinen quasi nicht existenten Bartwuchs.

Er spart soviel Zeit und Geld!

Noch ein letztes Mal streicht er sich ein paar widerspenstige rotblonde Strähnen aus der Stirn und zupft sich dann seinen dunkelblauen Sweater zurecht. Dann schimpft er sich selbst gedanklich einen eitlen Fatzken - ehrlich, wenn er wie ein aufgedonnerter Pfau aus dem Bad stolziert, würde Shredder ihn doch nicht mehr ernst nehmen. Okay, er fühlt sich gut und beschwingt, weil wieder eine fantastische Nacht hinter ihm liegt, weil das hier mit jedem Tag besser wird, und natürlich würde er das am Liebsten der ganzen Welt auf die Nase binden, aber - mit einem leichten Grinsen denkt er an ihr kleines Intermezzo in seinem Mustang gestern - er benimmt sich schon albern genug, da muss er nicht in sein altes Muster zurückfallen. Er sollte sich darauf konzentrieren, der zu bleiben, wer er ist und sein Glück anders zeigen.

Indem er Shredder noch öfter küsst und umarmt zum Beispiel, davon hat der Verursacher seiner guten Laune nämlich auch etwas.

Als er das Bad verlässt, empfängt ihn der erquickende Duft frisch aufgebrühten Kaffees - dabei mag Shredder doch gar keinen Kaffee! (Victor dagegen schon)

Shredder sitzt an der Küchentheke und ist damit beschäftigt, seine restlichen Ansichtskarten zu schreiben. Er trägt schwarze Jeans und über einem weißen T-Shurt ein rot-schwarz kariertes Flanellhemd, das sehr kuschlig aussieht. Ob es daran liegt, an Victors aufgekratzter Grundstimmung oder dass Shredders Anblick allein schon wieder die Schmetterlinge in Victors Bauch wachruft - ehe er weiß, was er da macht, stürzt Victor schon zu ihm und schlingt von hinten beide Arme um ihn.

Shredder wäre vor Schreck fast vom Barhocker gefallen. Doch anstatt sich zu beschweren, lehnt er sich nur genüßlich in diese Umarmung hinein.

Victor vergräbt seine Nase an seinem Hals und holt einmal tief Luft. Er riecht wieder so gut - nach Seife, Shampoo und ganz einfach nur er selbst. Und er ist so warm!

Ehe er es sich versieht, hat er eine seiner Hände unter Shredders Hemd und Shirt geschummelt. Seine Haut ist so warm und seine Bauchmuskeln so beeindruckend. Victor liebt es zu spüren, wie sie sich bei jedem Atemzug bewegen. Während die eine Hand über Shredders Bauch streichelt, findet die andere ihren Platz auf seiner Brust, direkt über seinem Herzen. Es klopft so hart und schnell wie sein eigenes.

Eine gefühlte, wunderschöne Ewigkeit lang verharren sie einfach so in dieser Position. Es ist das Gluckern der Kaffeemaschine, das sie aus ihrer kleinen Wohlfühlblase holt.

Mit einem Seufzer des Bedauerns lässt Victor ihn los und holt sich seinen Kaffee. Als er sich mit seiner gefüllten Tasse ihm gegenüber hinsetzt, klebt Shredder gerade die letzte Briefmarke auf.

„Sag mal, du schreibst häufiger an deinen Bruder, oder?" vielsagend deutet Victor auf die Karte und auf Shredders verdutztes „hah?", erklärt er, nicht ohne Stolz auf seine detektivischen Fähigkeiten: „Du musst das öfter machen, woher solltest du sonst das Porto von hier nach Japan kennen?"

Verlegen legt Shredder die Karte mit dem Quallen- und Oktopusmotiv auf den Stapel zu den anderen, die sie nachher noch in den Briefkasten werfen müssen.

„Na ja, er ist mein kleiner Bruder. Und ich hoffe, es ärgert ihn, wenn er merkt, dass ich immer noch auf freiem Fuß bin und mich amüsiere."

Victor schmunzelt, sagt aber nichts dazu. Und weil er sich im Bad nicht nur Gedanken um sein Aussehen gemacht hat, schlägt er ihm, nachdem er seinen ersten Schluck Kaffee genossen hat, vor:

„Was hälst du davon, wenn wir Rogers Kreditkarte noch etwas ausreizen? Lass uns wegfahren."

Neugierig geworden legt Shredder seinen Kopf schief.

„Hast du einen Vorschlag?"

„Gibt es etwas, was du immer schon mal machen wolltest?" gibt Victor den Ball zurück, denn für ihn gibt es nicht viel, wohin er mit Shredder nicht fahren würde.

„Fliegenfischen", kommt es wie aus der Pistole geschossen zurück.

„Fliegenfischen?" wiederholt Victor verdutzt. Er hat mit vielem gerechnet, aber das... „Kannst du das? Hast du das schon mal gemacht?"

„Nö. Aber die Angelruten sollen sehr, sehr teuer sein." Shredders schalkhaftes Grinsen ist Gold wert.

Na gut, wieso sollten sie nicht mal etwas ganz Neues ausprobieren? Aber zum Fliegenfischen braucht man einen Fluß ... Der Gedanke an Wald, Wasser und Natur löst gewisse Assoziationen in Victor aus. Sie waren doch schon mal an einem Fluß ...

„Blockhütte oder Zelt?" will er wissen.

„Das klingt, als hättest du schon eine konkrete Idee."

„Oh ja, Cutie, die habe ich. Also: Blockhütte oder Zelt?"

 

 

Auch, wenn er Urlaub hat, kann Victor nicht einfach so von jetzt auf gleich verreisen, denn er hat Verpflichtungen.

Er weiß, dass Rat King in den Augen der meisten Menschen wie ein Spinner dasteht und er weiß auch, dass er es vielleicht wirklich übertreibt, aber - er kann nicht anders. Umso erleichterter ist er, dass Shredder ihn nicht auslacht. Er wirft ihm nicht einmal einen schiefen Blick zu. Er sagt einfach nur „okay" und „kein Problem".

„Man sollte sich schon von seinem Volk verabschieden", fühlt sich Shredder durch Rat Kings offensichtliche Überraschung bemüßigt zu erklären. „Es sind vielleicht nur ein oder zwei Tage, aber so höflich sollte man als ihr König schon sein."

„Du findest nicht, dass ich übertreibe?"

Shredder, der schon auf der anderen Seite des Wanddurchbruchs steht, reicht ihm die Hand, um ihm hindurch zu helfen. Dabei erklärt er:

„Verantwortung bedeutet auch, die Sorgen und Ängste deiner Leute ernst zu nehmen. Auch, wenn es sich dabei um Ratten handelt."

Wow. Ist dieser Mann nicht einfach nur umwerfend? Rat King kann nicht widerstehen. Er bleibt stehen, packt Shredder am Kragen seiner Collegejacke und zieht ihn zu einem leidenschaftlichen Kuss zu sich heran.

„Wow", macht Shredder atemlos, als sie sich wieder trennen. „Wofür war der denn?"

„Weil du so großartig bist", erwidert Rat King vergnügt.

Und Shredder – errötet wieder so schön.

Er hat wirklich Probleme damit, dass Victor ihn ständig wegen Dingen lobt, die für ihn einfach nur selbstverständlich sind.

Schließlich geht er auch niemals weg - wohin auch immer - ohne Krang, Bebop oder Rocksteady Bescheid zu sagen, das gehört sich einfach so! Und das eine Mal, wo er zu einem Kleinkind geschrumpft war und ohne ein Wort davonlief, das war bewusste Unhöflichkeit seinerseits.

„Die Kolonie wird immer wissen, wo ich bin, dazu müssen sie uns nicht mal begleiten", bricht Rat King das kurze Schweigen zwischen ihnen, während sie die Abdeckplatte des Schachtes beiseite schieben, um dann die fünf Meter in die Kanalisation hinunterzusteigen.

Puh.

Der Gestank nach Fäulnis, der ihnen entgegenschlägt, schockt ihn jedes Mal aufs Neue. Unwillkürlich dreht er den Kopf beiseite und atmet flach durch den Mund. Shredder neben ihm rümpft auch angewidert die Nase.

„Das ist genauso wie letzten Dienstag", fährt Rat King fort, während sie die ersten Sprossen hinunter steigen. Er redet, um sich von dem Gestank abzulenken. Heute erscheint ihm die Gewöhnungsphase länger und schwieriger als sonst. „Das Rattennetzwerk ist unglaublich riesig und sehr zuverlässig, wenn sie es darauf anlegen. Schließlich gibt es überall Ratten."

Inzwischen ist er unten angekommen und wartet, bis Shredder neben ihm aufkommt. Wie von selbst saugt sich sein Blick dabei an Shredders Hintern fest. Falls Shredder etwas bemerkt, lässt er sich nichts anmerken.

Sie schalten ihre Taschenlampen ein und machen sich auf den Weg.

„Nur, weil sie dir sowieso hinterher spionieren und daher immer wissen, wo du bist, heißt das nicht, dass du respektlos zu ihnen sein kannst", nimmt Shredder den Faden wieder auf. „Sie tun es schließlich nicht aus Gemeinheit." Shredder denkt kurz nochmal über seine eigenen Worte nach. „Zugegeben, bei Krang würde ich auf die Barrikaden gehen, aber es sind Ratten. Tiere. Die kennen keine Hinterlist."

Rat King blinzelt verblüfft. Wenn er so denkt, ist es ja kein Wunder, dass er es so locker nahm, als die Ratten auf seinem Kopfkissen auftauchten.

„Du...", stößt er begeistert hervor, hält dann aber inne und setzt noch einmal neu an. „Nein, wir sind wirklich kompatibel!"

Diesmal wird Shredder nicht rot. Aber um seine Mundwinkel zuckt ein hauchfeines Lächeln. Es ist zu dunkel hier, sonst hätte Rat King bestimmt das verschlagene Glitzern in seinen Augen gesehen...

 

 

Das ist Absicht! Er hat darauf von Anfang an hingearbeitet, dessen ist sich Rat King bewußt, allein – er kann sich nicht wehren. Und dann will er es auch gar nicht mehr.

Shredders leise Stimme an seinem Ohr ist der reinste Sirenengesang, seine Küsse süßester Nektar und seine Berührungen neckische Versprechungen auf mehr. Schon in dem Moment, wo er sich zu ihm auf den Schoß setzte, hatte Rat King verloren. Zweimal hatte er ihm schon an diesem Ort erfolgreich widerstanden, aber jetzt, dieses dritte Mal, da gibt er auf. Im Grunde seines Herzens ist er eben doch nur ein schwacher Mann, der den Verlockungen nicht widerstehen kann.

Shredders schlanker, muskulöser Körper und überhaupt seine starke Präsenz, sind wie ein großer, atmender Schild zwischen ihm und allem anderen und er läßt sich nur zu gerne in diese kleine Wohlfühlblase entführen.

Er gibt auf, weil die Belohnung es einfach wert ist.

Shredders Hände sind schon längst unter seine Kleidung gerutscht; warme, zielstrebige Finger ziehen brennende Spuren über seinen Bauch, seine Brust und die Rippen, ja, sogar über seinen Rücken; und da ist sein Gewicht auf seinem Schoß, zuerst die reinste Provokation, doch inzwischen eine grausame Folter.

Shredders Kuss, anfangs so sanft und zärtlich, nimmt ihm zunehmend den Atem.

„Schuft“, keucht Rat King nach einigen Minuten, nachdem es ihm gelingt, sich von diesen gierigen Lippen und der noch gierigen Zunge zu befreien. „Ich kann nicht glauben, dass du mich jetzt doch noch rumgekriegt hast.“

Blinzelnd stellt er fest, dass er inzwischen halb auf seinem Thron liegt, den Hinterkopf auf einer Armlehne abgestützt und Shredder über und auf sich. Shredders breit grinsendes Gesicht füllt fast sein gesamtes Sichtfeld aus, doch er kennt den Anblick der pilz- und schimmelverseuchten Gewölbedecke über ihnen und für einen kurzen Moment flammt er wieder auf – der Ekel, der Widerwillen, in dieser Umgebung mehr Haut als nötig zu zeigen.

Ihm muß etwas davon anzusehen gewesen sein, denn plötzlich verschwindet Shredders übermütiges Grinsen, er hält inne und mustert ihn prüfend.

„Sag's einfach, wenn's dir nicht gefällt.“

Seufzend starrt Rat King zu ihm hoch, während er seine Hände unter Collegejacke und Shirt wandern läßt. Shredders Haut ist warm und seine schmale Taille einfach nur perfekt.

„Cutie“, murmelt er und sieht dabei hingerissen in diese wunderschönen Mandelaugen. „Für dich werfe ich alle meine Prinzipien über Bord und bereue es nicht eine Sekunde.“

Ohne es selbst richtig mitzubekommen, beginnt er, sich verlangend an ihm zu reiben.

„Vertrau mir“, gurrt Shredder in sein Ohr, „du musst dich hier nicht groß entblößen, um auf deine Kosten zu kommen.“

Warm und schwer ruht seine Hand plötzlich mitten auf Rat Kings Schritt, und noch während dieser sehnsüchtig aufseufzt, ist Shredder schon an ihm herabgerutscht und kniet nun zwischen seinen Beinen vor seinem Thron. Erwartungsvoll rückt sich Rat King bequemer zurecht.

Das Geräusch, wie langsam ein Reißverschluß aufgezogen wird, begleitet von Rat Kings leisen Seufzen, lässt Hunderte von Ratten im gesamten Thronsaal sich neugierig auf die Hinterbeine setzen und die Köpfe recken. Einzig Dora besitzt genug Dreistigkeit, auf die Rücklehne des Thrones zu klettern, um sich das Ganze genauer anzusehen.

Es ist zu viel. Einfach zu viel!

Aufstöhnend wirft Rat King den Kopf zurück, während sich seine Finger unwillkürlich fester in Shredders Haaren verkrampfen. Dora schickt ihm Bilder, die er nicht abblocken kann, da sind soviele Gerüche und Emotionen und wenn er den Blick senkt, seine eigenen Augen benutzt, wird er mit einem der erotischsten Anblicke aller Zeiten konfrontiert – das, zusammen mit dem Gefühl von Shredders Lippen und Zähnen und der Wärme seines Mundes … es ist einfach zu viel! Sein Höhepunkt rauscht so schnell über ihn hinweg, dass er es erst bemerkt, als es schon zu spät ist.

Grenzenlos ermattet fällt er regelrecht in sich zusammen, mit pfeifenden Atemzügen nach Luft ringend, während er verzweifelt versucht, einen Weg zurück in diese Welt zu finden. Seine Hände zittern genauso wie der Rest von ihm, als er seine Finger aus Shredders Haarschopf löst, nur, um sich sofort haltsuchend in seiner Jacke festzukrallen, während sich Shredder an ihm hinaufschiebt und ihm dann mit einem langen, tiefen Kuss das bisschen Atem raubt, das ihm noch geblieben ist.

Er kann sich selber schmecken, vermischt mit Shredders Speichel und dieser Geschmack wird zu seinem Anker, zu seiner Rettungsleine.

Es dauert sehr, sehr lange, aber irgendwann wird er sich seiner selbst und seiner Umgebung wieder bewusst. Und es ist ganz sicher kein Zufall, dass das erste, was er klar und deutlich spürt, Shredders Körper ist, wie sich dieser der Länge nach an ihn schmiegt. Und Shredders Arme, die ihn halten und Schutz geben.

Seufzend vergräbt Rat King sein Gesicht an Shredders Halsbeuge und klammert sich fester an ihn. So knochenlos, so ausgesaugt hat er sich noch nie gefühlt.

„Jesses“, stöhnt er schließlich ungläubig. „Ich habe ein Monster erschaffen.“

Shredder lacht nur, und das ist das schönste Geräusch, das Rat King je gehört hat...

 

 

Samstag I

Kapitel 38

Samstag I

 

Mit dem Zug hätten sie nur eine halbe Stunde gebraucht, mit dem Auto dreimal so lange - Dank einer gesperrten Brücke, Stau und Umleitung. Wieso wollen eigentlich so viele Leute am Wochenende hinaus in die Natur? Aber die Fahrt ging gefühlt trotzdem schnell vorbei. Wie jeder richtige US-Amerikaner fährt er gerne Auto und mit Shredder als Beifahrer ist es ihm ein besonderes Vergnügen. Man kann sich nicht nur gut mit ihm unterhalten, sondern auch gut mit ihm zusammen schweigen. Und die Lieder im Radio mitgröhlen.

Irgendwo im Fond haben sich zwei Ratten zusammengerollt. Man sieht sie nicht, man hört sie nicht, aber er kann sie spüren. Er weist Shredder darauf hin, doch der zuckt nur mit den Schultern und wirft ein paar Krümel seines Sandwichs nach hinten, bevor er Victor mit dem Rest davon füttert.

Sie sind schon ein merkwürdiges Paar...

Sie fahren an dem Bahnhof vorbei, an dem sie vor zwölf Tagen mit dem Zug abgefahren sind; heute ist hier viel mehr los als damals. Liegt wohl auch am Wochenende. Es gibt ein kleines Motel, das noch freie Zimmer hat, in das sie schnell einchecken, bevor sie noch etwas weiter in den Wald hineinfahren, in dem es, laut Ausschilderung, einen Parkplatz gibt, von dem aus man mehrere Wanderwege nehmen kann.

Victor ist mit seinen Gedanken schon ganz woanders. Vor seinem inneren Auge hat er es sich schon längst alles ausgemalt: wie sie da am Ufer des Flusses stehen, mit den Angeln in den Händen und verdammt, Shredder wird so cool aussehen in seiner Cargohose und der Camouflage-Jacke samt passender Cap. Er wird aussehen, als passe er dorthin. Als sei er ein Teil dieser Wildnis.

Diese Vorstellung ist natürlich viel verlockender als die letzten fünfzig Meter zum Parkplatz.

Er wird unaufmerksam und erleidet daher fast einen Herzinfarkt, als er von einem grasgrünen, klapprigen Ford geschnitten wird. Instinktiv tritt er mit voller Wucht auf die Bremse, um einen Unfall zu vermeiden. Dabei flucht er aus vollstem Herzen.

„Vollidiot! Rindvieh! Führerschein in der Lotterie gewonnen, oder was?"

Der so beschimpfte Kleinwagen tuckert unbeeindruckt in einen freien Parkhafen.

Ein leises „autsch" lässt Victor sofort besorgt den Kopf drehen. Da ist ein nasser Fleck auf Shredders T-Shirt, und auch seine Camouflage-Jacke hat etwas davon abbekommen. In der rechten Hand hält er eine halbvolle, jetzt tropfende Wasserflasche, während er mit den Fingern seiner anderen Hand seinen Mund betastet.

„Alles in Ordnung?" erkundigt sich Victor besorgt.

„Ja", erwidert Shredder, nachdem er sich prüfend gegen die Zähne getippt hat. „Alles noch dran."

„Zeig her", fordert Victor ihn sofort auf, doch Shredder wehrt seine ausgestreckte Hand kopfschüttelnd ab und deutet dafür vielsagend nach vorne.

„Fahr lieber weiter, du hälst noch den ganzen Verkehr auf."

Victor wirft ihm noch einen letzten, prüfenden Blick zu, steigt aber endlich von der Bremse und gibt wieder Gas. Er hält sich nicht lange mit der Suche auf und lenkt sein Auto in die nächstbeste Parklücke. Er umklammert das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. Um seine Mundwinkel hat sich ein grimmiger Zug geschlichen.

Er hat vor, mit diesem bescheuerten Ford-Fahrer ein Hühnchen zu rupfen. Er kann Verkehrsrowdys nicht ausstehen und noch viel weniger, wenn deswegen ein Mitfahrer verletzt wird. Normalerweise ist er ja nicht der Typ, der deswegen aussteigt und den Anderen aus dem Wagen zerrt, um ihn windelweich zu prügeln, aber dieser Kerl hat es gewagt, seinen Saki zu verletzen!

Und so stürmt er sofort aus dem Wagen, kaum dass er den Motor ausgeschaltet hat.

Leider neigt er in Momenten wie diesen aber auch zum Tunnelblick, also fällt ihm nicht sofort auf, vor wem er sich da so drohend aufbaut.

„Du Sonntagsfahrer! Was sollte das? Wegen dir hat sich mein Freund fast die Zähne ausgeschlagen!"

„Victor, komm, alles halb so wild." Shredder, der ihm regelrecht hinterher gestürzt ist, versucht nun verzweifelt, ihn am Arm weg zu zerren, aber Victor bleibt nur wie festgenagelt stehen.

Seine Augen weiten sich ungläubig, als er plötzlich das erkennt, was Shredder schon vor ihm bemerkt hat, nämlich wer das da vor ihm ist.

Casey? Casey Jones??

Von allen Menschen auf dieser Welt ... in diesem Land ... müssen sie unbedingt dem begegnen?

Hier??

Victor hat sich noch nicht einmal von dieser Überraschung erholt, da kommt schon die nächste.

„Was? Was? Ehrlich? Oh." Eines muss man Casey Jones lassen: dafür, dass sich da plötzlich ein knapp zwei Meter großer Mann in voller Army-Montur vor ihm aufbaut und herumpoltert, ist er nicht das kleinste bißchen eingeschüchtert.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung", wendet er sich an Shredder und er meint es wirklich ernst damit. „Ich weiß, mein Fahrstil ist kriminell, sagt jedenfalls meine Freundin immer. Ich komme natürlich für alle Schäden auf. Hier..." er zieht eine Visitenkarte aus der Innentasche seiner alten Baseballjacke hervor und reicht sie ihnen. Dabei spielt um seine Lippen ein so zerknirschtes, verlegenes Lächeln, dass Victor seinen kleinen Wutausbruch sofort bereut.

Da Victor immer noch wie völlig versteinert da steht, nimmt Shredder die Karte entgegen.

„Danke, Mr.-", er wirft nur zum Schein einen Blick auf das kleine Stück Papier und muss unwillkürlich schmunzeln - wer, der bei Verstand und kein Imker ist - lockert seine Visitenkarte bitteschön mit dem Bild eines Bienchens auf? „-Jones", beendet er seinen Satz dann. „Aber es ist ja nichts passiert."

Das schreckt Victor aus seiner Starre.

„Nichts passiert?" knurrt er, wendet sich Shredder zu, legt seine Finger um sein Kinn und hält seinen Kopf so in Position, während er ihn - insbesondere seinen Mund - prüfend mustert.

„Alles okay", bestätigt Shredder verlegen. Ihm ist das Ganze vor Casey sichtlich unangenehm. Victor brummt nur und haucht ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen.

„Da hast du aber nochmal Glück gehabt", funkelt er Casey Jones dann grimmig an.

Dieser hat sie für einen Moment einfach nur angestarrt und schreckt jetzt auf.

„Ja", erwidert er hastig. „Ich weiß. Und... Und... Es tut mir leid. Wirklich."

„Schon okay, alles in Ordnung", versichert Shredder, packt Victor am Arm und zerrt ihn mit sich. „Wir wollen Sie nicht weiter aufhalten. Komm mit, Vic."

Victor gehorcht nur widerstrebend und er glimmt Casey so lange böse an, wie es ihm möglich ist. Und das ist so lange, bis sie seinen Mustang erreichen.

Sie holen ihre Angelruten und den Proviant aus dem Kofferraum - zum Glück steht ihr Wagen so, daß sie Jones nicht mehr im Blickfeld haben. Und mit etwas noch mehr Glück ist er irgendwo im Wald verschwunden, sobald sie abmarschbereit sind.

„Dieser Vollidiot. Er hat uns nicht einmal erkannt", knurrt Victor. Das kratzt irgendwie an seinem Stolz, auch wenn er sich darüber freuen sollte. Auch wenn Casey sie nicht als Shredder und Rat King erkannt hat, wenigstens als die beiden Männer, mit denen April im Kino geredet hat, hätte er sie wiedererkennen müssen. Der Typ ist wohl einfach nur bescheuert.

„Ausgerechnet dem müssen wir hier begegnen.“ Er wirft Shredder einen Seitenblick zu. „Ist denn wirklich alles in Ordnung?"

Shredder nickt, streicht sich dann seufzend über nasses Shirt und Jacke.

„Na ja, es scheint ja die Sonne, das trocknet schnell wieder. Und was meine Zähne betrifft", plötzlich grinst er bis über beide Ohren, präsentiert seine strahlendweißen, gesunden Beißerchen wie man es sonst nur von Krang und seinem Haifischgrinsen gewohnt ist, „die sind so stabil wie sie im Alter von neun Monaten sein sollten."

Victor starrt ihn für einen Moment einfach nur an, dann dämmert es ihm.

„Beneidenswert."

„Ja, etwas Gutes hatte der ganze Sch... Streß damals."

Die Art, wie er sich mitten im Wort berichtigt, lässt Victor schmunzeln. Da kickt die gute Erziehung wieder ein - ist das nicht niedlich?

Sie schultern Rucksäcke und Angelruten, schließen das Auto ab und machen sich dann auf den Weg. Sie freuen sich auf den Fluß, die Fische, die sie nicht fangen werden und darauf, Zeit in der Natur zusammen zu verbringen. Ihre Begegnung mit Casey Jones tritt allmählich in den Hintergrund und es wäre ihnen auch gelungen, ihn zu vergessen.

Fast.

Casey Jones selbst macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Denn sie haben kaum einen Fuß auf „ihren" Waldweg gesetzt, da läuft er ihnen direkt vor die Füße..

„Seid ihr auch unterwegs zum Fluß? Prima. Dann können wir ja zusammen gehen, oder?"

Ihnen liegt ein entschiedenes „nein" auf den Lippen, aber sie bezweifeln, dass sich Jones davon abschrecken lässt. Dafür müsste er sie außerdem erst einmal zu Wort kommen lassen.

„Ich entschuldige mich nochmal für die Probleme, die ich euch gemacht habe. Und danke, dass ihr mir nichts nachtragt. Ich bin zur Zeit nämlich ziemlich klamm und hätte das alles sowieso nicht bezahlen können. Oh, versteht das nicht falsch, natürlich wäre ich euch nichts schuldig geblieben, aber dafür hätte ich einen Kredit aufnehmen müssen. Zum Glück seid ihr ja so nett. Danke nochmal. Studierst du vielleicht irgendwas mit Finanzen? Kannst du mir nicht ein paar Tipps geben, wie man reich wird?"

„Was?" schreckt Shredder, derart angesprochen, verwirrt auf. Er hat versucht, Caseys Stimme auszublenden und sich ganz auf die Geräusche des Waldes und Victors Nähe zu konzentrieren.

„Na, du bist doch Student, oder?"

„Nein, bin ich nicht. Sehe ich so aus?"

„Oh, ich dachte..." Verlegen grinsend reibt sich Casey im Nacken. „Entschuldigung." Und dann überholt er sie plötzlich, versperrt ihnen den Weg und streckt ihnen vergnügt die Hand entgegen. „Oh, ihr könnt mich übrigens ruhig Casey nennen. Oder CJ. Und ihr seid...?"

„Victor", brummt Victor und versucht dabei, nicht allzu genervt zu klingen, während er die ihm dargebotene Hand kurz und kräftig drückt. In Gedanken zerquetscht er ihm jeden einzelnen Fingerknochen. Kann der Typ nicht einfach verschwinden? Er wäre gerne mit Saki allein.

Shredder zögert einen Moment, in dem er sich entscheidet, wie er sich Casey gegenüber vorstellen soll. Eine kurze Sekunde denkt er sogar daran, es einfach mit einem falschen Namen zu versuchen, entscheidet sich dann aber dagegen.

„Nenn mich Oroku-san." Denn mal ehrlich: Saki geht gar nicht, so lässt er sich nur von seinen Freunden nennen. Aber Casey Jones' Reaktion ist schon irgendwie enttäuschend:

„Okay. Nett, euch kennen zu lernen."

Victor und Shredder wechseln einen Blick. Ist Jones so dämlich oder weiß er wirklich nicht, wie Shredders richtiger Name lautet?

Es scheint fast so, denn er zuckt mit keiner Wimper und quasselt schon gleich weiter.

„Seid ihr öfter hier in der Gegend? Ich nicht. Ich bin ein absoluter Stadtmensch. Normalerweise ist mir so viel Natur ja unheimlich, aber ich treffe mich heute hier mit einem Freund. Einem richtigen Meister." Bei der Erwähnung dieses „Meisters" wird vor allem Shredder hellhörig, aber bevor er dazu kommt, eine Frage zu stellen, redet Casey schon weiter. „Er soll mir bei meinen Aggressionsproblemen helfen. Ehrlich, ich finde ja, das ist gar nicht der Rede wert, ein Mann muß nun mal auch mit den Fäusten reden, wenn es nötig ist. Aber meine Freundin sieht das anders. Sie hat dieses Treffen eingefädelt, also gehe ich hin, auch wenn das völlig überflüssig ist."

„Ah, diese Freundin...", Victor und Shredder werfen sich bedeutungsvolle Blicke zu und versuchen, nicht zu lachen, schließlich wissen sie ja, um wen es sich bei Caseys Freundin handelt und nein, es wundert sie nicht im Geringsten, dass die gute April diesen hockeyschwingenden, selbsternannten Helden so gut im Griff hat.

„Ja", unterbricht Casey begeistert, „sie ist echt etwas ganz besonderes. Manchmal frage ich mich auch, womit ich sie überhaupt verdient habe. Wisst ihr, es hat lange gedauert, bis ich sie mal zu einem Date überreden konnte. Aber ich habe nie aufgegeben, weil ich immer wußte: sie oder keine. Kennt ihr das, wenn man jemanden begegnet, dessen Gegenwart einem einfach nur Spaß macht? Wenn man über dieselben Dinge lacht und mit dem es nie langweilig wird?"

Hier wechseln Shredder und Victor einen langen Blick und lächeln sich zu. Ja, das kennen sie. Für einen kurzen Moment berühren sich ihre Fingerspitzen. Victor zögert, doch dann denkt er sich nur „scheiß drauf" und verschränkt ihre Finger miteinander.

Das hier sollte ihr Ausflug werden, ihr kleiner Urlaub, den lässt er sich doch nicht vermiesen!

Und als Shredder den sanften Druck seiner Finger erwidert, fühlt er wieder diese Schmetterlinge in seinem Bauch erwachen.

„Ja, natürlich bin ich nicht ihre Liga", plappert Casey weiter, der nichts davon mitbekommen hat, „aber ich versuche, zu ihr aufzuschließen und ich bin froh, dass sie mir diese Chance gibt. Und wenn sie mit mir schimpft, dann habe ich es auch nicht besser verdient." Er hält kurz inne, kickt einen Ast aus dem Weg und lacht dann auf. „Ich weiß nicht, wieso sie sich mit mir abgibt. Aber wer versteht schon die Frauen, nicht wahr?"

„Ich nicht", erwidert Victor trocken. „Und deshalb überlasse ich sie gerne anderen."

Shredder neben ihm verbeißt sich ein Grinsen.

Aber Casey versteht ihn völlig falsch.

„Ach, das kommt noch", tröstet er ihn. „Du hast nur noch nicht die Richtige kennengelernt. Aber keine Sorge", generös klopft er Victor, der einen guten Kopf größer ist als er und auch weitaus mehr Muskeln besitzt, auf die Schulter, „das passiert manchmal schneller als man denkt."

So, das reicht.

Victor bleibt stehen und da er immer noch Shredders Hand hält, dieser ebenfalls. Casey läuft noch zwei Schritte, bevor er das registriert und als er sich dann verwirrt zu ihnen umdreht, hebt Victor ihre ineinander verschränkten Hände und sagt:

„Ich muß niemanden mehr suchen. Ich habe den Richtigen schon gefunden."

Auf Shredders Wangen schleicht sich eine feine Röte, aber er richtet den Blick tapfer geradeaus.

Casey starrt sie einen Moment nur an und blinzelt dann ein paar Mal schnell.

„Oh", meint er und mustert dann Shredder stirnrunzelnd. „Bist du nicht noch etwas jung dafür?"

„Ich bin erwachsen!" platzt es aus Shredder heraus. „Hast du überhaupt eine Ahnung, mit wem du hier redest? Ich bin..."

Der Rest seines Satzes erstirbt in einem leisen Keuchen, denn Victor hat ihn blitzschnell zu sich heran gezogen und bringt ihn mit einem Kuss zum Schweigen.

Es ist nur ein kurzer Kuss, aber er genügt, um Shredder leise aufseufzen zu lassen.

„Nicht aufregen, Cutie", murmelt Victor, während er mit dem Daumen sanft die Konturen von Shredders Lippen nachzeichnet. Fast wäre er in diesen schönen, braunen Augen versunken, aber dann erinnert er sich wieder daran, wo er ist.

Leider.

„Er ist viel älter als er aussieht", erklärt er Casey. Der wiederum hat sich verlegen etwas abgewendet.

„Japaner sehen in unseren Augen immer viel jünger aus als sie tatsächlich sind und manchmal sind diese Unterstellungen einfach nur lästig."

Casey blinzelt sie mal wieder nur an. Er scheint nicht nur peinlich berührt, sondern auch absolut und hilflos überfordert zu sein.

„Äh...", beginnt er dann stotternd, „... das ist doch ... also, ich meine..." Er strafft sich, wirft einen überdeutlichen Blick auf seine Armbanduhr und hat es plötzlich sehr, sehr eilig. „Tut mir leid, ich bin schon viel zu spät dran. Ich muss gehen. Hab keine Zeit mehr für ein Schwätzchen. War nett, euch kennen zu lernen, macht's gut!"

Verdutzt sehen ihm die beiden hinterher, wie er den gewundenen Waldweg hinunterjoggt, bis er hinter Bäumen und Sträuchern außer Sicht verschwindet.

„Oooookay", sagt Victor dann gedehnt. Sein Arm liegt noch immer um Shredders Taille und er hat auch nicht vor, ihn so schnell da wieder weg zu nehmen. „Also, wenn ich gewußt hätte, dass wir ihn dadurch loswerden, hätte ich das schon viel früher gemacht."

Shredder lehnt sich bequem in diese Umarmung hinein, doch seine Gedanken sind ganz woanders.

„Er hat dich gesehen, wie du mich auf dem Parkplatz geküsst hast", meint er verständnislos. „Wieso hat ihn das jetzt in die Flucht geschlagen?"

Victor seufzt einmal schwer. „Ich war ihm zu offensiv. Ich habe sowas schon oft erlebt. Solange man sie nicht mit der Nase darauf stößt, ziehen es viele Menschen vor, einfach nichts zu bemerken. Aber bei Casey Jones überrascht mich das jetzt doch."

Shredder nickt nur, geht aber nicht weiter darauf ein. Er hat keine Lust, sich Gedanken über so jemanden wie Casey Jones zu machen.

Stimmen schrecken sie auf und erinnern sie daran, dass dies hier ein gern genutzter Waldweg ist. Die kleine Gruppe ist noch nicht in Sichtweite, aber sie sind laut genug, um alle Tiere im Umkreis von hundert Metern zu verscheuchen. Und sie.

„Komm mit." Victor nimmt Shredders Hand und zieht ihn mit sich vom Weg herunter und quer durchs Gestrüpp. „Wir sollten uns eine andere Stelle am Fluß suchen. Weit weg von Casey Jones und..."

„Splinter", unterbricht ihn Shredder düster.

 

 

Samstag II

Kapitel 39

Samstag II

 

Sie haben keine Ahnung vom Fliegenfischen. Aber das ist letztendlich auch gut für die Fische - falls es in diesem vier Meter breiten Bach überhaupt so etwas wie Fische gibt. Wenigstens stellen sie sich beim Auswerfen der Angelleinen nicht allzu dämlich an.

Sie haben sich einen Platz an einer Stelle gesucht, wo der Bach eine leichte Biegung macht und die Sonne durch die Baumwipfel kommt, denn im Schatten ist es wirklich empfindlich kühl, vor allem hier am Wasser und wenn man sich nicht bewegt.

Victor ist der erste, der nach ein paar Minuten seine Angelrute zwischen zwei Steine klemmt und sich dann auf die Blumenwiese sinken lässt. Die ersten Bienen und Hummeln des Jahres lassen sich dabei nicht von ihm stören.

Victor legt sich auf den Rücken, verschränkt die Arme im Nacken und starrt nach oben in den blauen Himmel. Aus dem Augenwinkel beobachtet er, wie Shredder seine Angel ebenfalls sichert, um sich dann neben ihm ins Gras zu fläzen.

„Das ist schön hier."

„Und friedlich", ergänzt Shredder. Er liegt so, dass er mit dem Hinterkopf Victors linke Seite berührt. Victor muss nur den linken Arm senken und kann seine Hand dann bequem unter Shredders Jacke schlüpfen lassen. Und genau das macht er jetzt auch. Er kann spüren, wie sich der Brustkorb seines Ninjas bei jedem Atemzug hebt und senkt.

Es dauert nicht lange, dann gleicht sich seine eigene Atmung unbewusst an.

„Was melden dir deine kleinen Spione?" will Shredder irgendwann leise wissen.

„Casey und Splinter sind weit weg", beruhigt Victor ihn. „Splinter versucht tatsächlich, Casey beizubringen, wie man meditiert." Er zögert einen Moment. „Splinter hat sie bemerkt. Aber er hat ihnen signalisiert, dass er nicht vorhat, uns zu stören."

Shredder stöhnt unterdrückt. Victor kann fühlen, wie er einmal besonders tief durchatmet.

„Zieh sie ab. Sollen sie sich irgendwo im Wald amüsieren. Es ist sinnlos, ihn noch länger zu überwachen. Wenn er seine Meinung ändert und uns dennoch besuchen will, dann entweder so heimlich, dass deine Ratten ihn gar nicht bemerken oder so offen, dass wir ihn schon von Weitem kommen hören."

Victor brummt zustimmend und gibt den Befehl gedanklich an seine beiden Ratten weiter. Es gibt viele Ratten hier und jede einzelne von ihnen hätte, obwohl nicht zu seiner Kolonie gehörig, ihm gerne geholfen, aber die beiden sind genauso stur wie ihre Mutter Dora. Und sie sind Rebellen. Wahrscheinlich werden sie die Überwachung trotz seines gegenteiligen Befehls weiterführen und er kann gar nichts dagegen unternehmen. Er mag ihr König sein, aber nur, weil sie ihn dazu gemacht haben.

Shredder neben ihm stößt noch einen kleinen Seufzer aus, langt nach Victors Hand und verschränkt ihre Finger miteinander.

„Irgendwie kann ich ihm nicht einmal böse sein, wenn er wirklich noch hier auftaucht. Mit Casey als Schüler ist er wirklich mehr als genug gestraft."

Victor gluckst leise. Da hat sein Ninja nicht mal so unrecht. Er ist froh, dass er das Ganze so locker sieht.

Eine Zeitlang sagt niemand von ihnen etwas und die einzigen Geräusche sind das Rauschen des Wassers, das Rascheln der Blätter im Wind und das Zwitschern der Vögel um sie herum. Es riecht nach altem Herbstlaub, Erde, Gras und Wasser und die Luft ist so mild und frisch zugleich wie sie es nur mitten im Frühling sein kann.

„Das ist wirklich schön hier", seufzt Shredder plötzlich leise. „Ich liebe das einfach." Mit einer weitausholenden Geste, die den ganzen Wald und sie beide einschließt, zeigt er, was er damit meint, nur, um sich dann verlegen zu räuspern.

„Ich bin jetzt kein Baumumarmer oder so ... Aber sowas hier ... Ich hab als Knirps ein paar Jahre auf dem Bauernhof meiner Großeltern gelebt, daher kommt das wohl."

Victor, schon fast eingedöst, schreckt, neugierig geworden, sofort auf. Wenn Shredder einmal etwas über sich selbst erzählen will, muß man die Gelegenheit sofort wahrnehmen, sonst redet er nie wieder über diesen Teil seiner Vergangenheit. Außerdem will Victor alles über ihn wissen. Alles.

„Ich dachte, du stammst aus Osaka?"

Shredder zögert einen Moment und Victor, der begreift, dass das ein sehr heikles Thema ist, nimmt seine andere Hand hinter seinem Kopf hervor, um ihm erst das Cap abzunehmen, damit er dann besser durch diesen schwarzen Haarschopf streicheln kann.

Eine ganze Minute lang kämpft Shredder noch gegen sich selbst, aber Victors engelsgleiche Geduld zahlt sich letztendlich wie immer aus.

„Ich bin in Osaka geboren und bin dort die ersten drei Jahre meines Lebens auch aufgewachsen. Dann hat sich mein Vater davongemacht und meiner Mutter eine Menge Schulden hinterlassen. Kazuo war noch ein Baby und das alles war irgendwie zu viel für sie. Also gab sie mich zu ihren Eltern. Sie hatte ihr Leben gerade wieder einigermaßen im Griff, da starb mein Großvater, meine Großmutter verkaufte den Hof und alle Tiere, gönnte sich von dem Erlös ihre heißersehnte Weltreise und ich kam wieder zu meiner Mutter und Kazuo nach Osaka. Das war kurz, bevor ich eingeschult wurde."

Es ist gut, daß er Victors Miene nicht sehen kann, denn die pure Verachtung, die Wut und schiere Mordlust, die sich in ihr abzeichnet, hätte ihm einen Heidenschrecken eingejagt. Denn egal, wie neutral Shredder seine Stimme und Worte gehalten hat oder wie sehr er sich bemüht hat, keine Anschuldigungen auszusprechen, Victor bringen schon alleine die Fakten auf hundertachtzig. Wie kaltherzig muss eine Mutter denn bitteschön sein, um ihr Kleinkind ohne wirkliche Not bei alten Leuten abzuladen?

Aber bevor er irgend etwas Aufmunterndes dazu sagen kann, redet sein Ninja schon weiter.

„Ich war noch sehr klein, kann mich also gar nicht mehr richtig daran erinnern. Ich weiß noch nicht mal mehr, wie meine Großeltern ausgesehen haben, aber ich erinnere mich ganz deutlich an das Wäldchen, durch das ich auf dem Weg zum Kindergarten immer musste. Die Blätter haben im Wind genauso geraschelt wie die hier. Ich habe das geliebt. Es kam mir immer so vor, als sprächen sie mit mir. Oh, aber woran ich mich erinnere, das sind die Tiere. Vor allem das Minischwein. Boo. Er war mein bester Freund." Er hält kurz inne und fährt dann leise lachend fort: „Vielleicht habe ich deshalb ein Warzenschwein aus dem Zoo entführt, als wir unsere Mutanten erschufen."

Victors Miene glättet sich gerade rechtzeitig wieder, als Shredder den Kopf in seine Richtung dreht und ihm ein verschmitztes Grinsen schenkt.

Unwillkürlich grinst Victor zurück.

„Ach, das war gar kein Unfall? Gerüchten zufolge hat der Roboter einen Fehler beim Einfangen gemacht und du wolltest eigentlich Löwen und Tiger."

„Roboter machen keine Fehler, nur ihre Programmierer", kommt es vergnügt zurück. „Rocksteady und Bebop wissen, daß der einzige Zufall in der Geschichte der ist, wer von ihnen mit welcher Tier-DNS in Berührung kam."

„Haben sie dir das eigentlich niemals übel genommen, daß du sie in Mutanten verwandelt hast?"

„Dafür gibt es keinen Grund. Glaubst du, ein geniales Gehirn wie Krang hat nicht für alles, was er erfindet, das passende Gegenmittel parat? Oder, in dem Fall, die passende Strahlenwaffe? Sie wissen, wo das Ding liegt und sie können es jederzeit benutzen. Wir zwingen sie nicht, so zu bleiben."

„Pst, nicht so laut", amüsiert legt ihm Victor den Zeigefinger auf den Mund. „Wenn das jemand hört, ist es vorbei mit deinem schlechten Image."

Shredder lächelt leicht und spitzt die Lippen gegen diesen frechen Finger. Doch plötzlich schießt er mit einem unflätigen Fluch in die Höhe.

„Oh, verdammt, ich habe die Fotos vergessen!“

Noch während er hastig seinen Kommunikator hervornestelt, ist Victor schon lachend aufgesprungen, um ihre Angelruten zu holen. Und so verbringen sie die nächsten fünfzehn (!) Minuten damit, sich verschiedene Anglerposen auszudenken und sich darin abzulichten. Victor kommt aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Wie grau und trostlos war sein Leben doch, bevor dieser verrückte Ninja in sein Leben trat!

 

 

Später, als die Schatten wieder länger werden, folgen sie dem Sonnenschein und setzen sich auf einen Felsen am Ufer. Er ist hart, aber dafür schön warm. Sie holen ihre Lunchboxen heraus - „Bentobox", berichtigt Shredder seinen Victor lächelnd - und gönnen sich Shredder-originales, japanisches Fingerfood.

Victor ist voll des Lobes über dieses Sushi, bei dessen Zubereitung er vor ein paar Stunden zusehen durfte und stellt sich mit nachdenklich gerunzelter Stirn die Frage, welche der Zutaten wohl für diesen besonderen Geschmack zuständig seien.

Er wird sich erst bewusst, diese Frage laut gestellt zu haben, als er Shredders Miene gewahr wird. Zuerst sieht er Unglauben, dann Überraschung und letztendlich wieder verlegen gerötete Wangen. Er hört ein leises „danke“ und weiß mit plötzlicher Sicherheit, daß Shredder noch nie ein Lob für seine Sushi-Kochkünste erhalten hat.

Das kann er kaum fassen.

„Ich war mir sicher, du bekommst das von deinen Mutanten und dem Alien jeden Tag zu hören.“

Doch Shredder schüttelt nur den Kopf und schielt ihn unter dem Schirm seiner Cap verlegen an.

„Ich habe, seit ich Japan verlassen habe, heute zum ersten Mal wieder Sushi gekocht. Und im Technodrome gehört die Küche zu Beeps und Rocks Reich. Und mal ehrlich – ich wär doch schön blöd, wenn ich ihnen das einzige, was sie ganz ordentlich hinkriegen, wegnehmen würde.“

Victor mustert ihn lange und denkt dabei genauer darüber nach. Inzwischen kennt er ihn gut genug, um ihn zu durchschauen. Das eben ist bestimmt nur die halbe Wahrheit.

„Ich fühle mich sehr geehrt“, beginnt er daher schließlich langsam und ihn dabei stets wachsam im Auge behaltend, auf jedes noch so kleine Muskelzucken achtend, das ihm verrät, wie nahe er der Wahrheit mit seinen nächsten, wohl gesetzten Worten kommt. „Jahrelang hast du deine Kochkünste vor deinen Freunden geheimgehalten, aber mir gegenüber bist du schon nach so kurzer Zeit so offen. Du bist ein Mann mit vielen, kleinen Geheimnissen – umso mehr freue ich mich über dein Vertrauen mir gegenüber.“

Große, braune Mandelaugen starren ihn einen Herzschlag lang verdutzt an, dann senkt Shredder den Kopf und nagt betreten auf seiner Unterlippe herum.

„Ich wollte mir lange Zeit nicht eingestehen, wie wichtig sie mir wirklich sind“, gibt er zerknirscht zu. „Und wollte daher nie mehr als nötig von mir preisgeben, schon gar nichts Persönliches. Mit dir ist es etwas anderes. Wir schlafen miteinander, viel persönlicher geht es doch gar nicht mehr!“

„Ich weiß.“ Victor greift nach seiner rechten Hand und drückt sie, während er sich gleichzeitig zu ihm vorlehnt, und nach seinem Blick sucht, um ihm tief in die Augen zu sehen.

„Hey, ich weiß, wiederholt er sanft. „Das macht dir schwer zu schaffen, dein schlechtes Gewissen, sie so behandelt zu haben, nicht wahr?“ will er nach einem kurzen Moment schließlich behutsam wissen.

Um Shredders Lippen zuckt ein unglückliches Lächeln.

„Ich sagte doch schon: ich bin nicht gut in solchen Sachen.“

Da muß ihm Victor widersprechen.

„Doch. Doch, ich finde, du bist sehr gut darin. Jahrelang warst du nur ihr Anführer, aber als solcher hast du sie zusammengehalten und immer weiter getrieben. Du hast nie einen von ihnen zurückgelassen, wenn es brenzlig wurde. Und glaub einem alten Soldaten, wenn ich dir sage: diese Art der Loyalität ist unbezahlbar. Und sehr selten.“

Er hält kurz inne, wartet, bis Shredder den Kopf wieder etwas hebt und überbrückt die letzten Zentimeter Abstand zwischen ihnen, um ihm einen sanften Kuß auf die Lippen zu drücken.

Er legt es nicht darauf an, aber als Shredder beinahe sofort seinen Mund etwas öffnet, kann Victor nicht widerstehen und es dauert nicht lange, und sie sind in einem aufregenden Zungenduell gefangen.

Aber da sie beide eine gewisse Abneigung gegenüber Sex im Freien haben – zuviel Erde und Gras an empfindlichen Körperteilen und von den Insekten mal ganz zu schweigen – belassen sie es bei diesen harmlosen Zärtlichkeiten und freuen sich dafür nur noch mehr auf ihr Bett im Motelzimmer.

So vergehen die Stunden ohne dass sie es wirklich bemerken, erst als die Schatten immer länger werden und die Kälte ihnen die erste Gänsehaut beschert, beschließen sie, dass es auch für sie langsam Zeit wird, diesen schönen Platz zu verlassen.

Das Rauschen des Baches, das Zwitschern der Vögel und das sanfte Rascheln der Blätter an den Baumkronen über ihnen und um sie herum wurde zu ihrer beständigen Hintergrundmusik und sie werden das schmerzlich vermissen.

Mit einer gewissen Wehmut im Herzen, aber einer wohltuenden Ruhe in ihren Seelen, machen sie sich daran, ihre Sachen zusammen zu packen.

Splinter und Casey haben sie schon längst vergessen, werden aber sofort daran erinnert, als aus dem Gebüsch Victors zwei Ratten angesprungen kommen, kurz an Victor hinauf und dann auf der anderen Seite wieder hinunterklettern, dabei aufgeregte Piepstöne von sich geben und schließlich hastig in einem der Rucksäcke verschwinden.

Dafür braucht Shredder keine Übersetzung. Er streicht sich nur seufzend durchs Gesicht und drückt sich das Cap tiefer in die Stirn, während er mit den Augen rollt.

Victor dagegen fährt unbeeindruckt damit fort, ihre Angelruten auseinanderzubauen und sicher zu verstauen. Wenn er ehrlich sein soll, ist er ein kleines bißchen angespannt. Wenn Shredder und sein ehemaliger Sensei aufeinandertreffen, kann man nie sicher sein, wie die Sache ausgeht.

Die letzten beiden Mal war es Zufall, davon kann jetzt nicht mehr die Rede sein und er fragt sich, was Splinter seinem Ninja zu sagen hat.

Er versucht gar nicht erst, Splinters Stimmung zu checken, um kein unnötiges Wasser auf irgendwelche Mühlen zu schütten und hofft, daß die große Ratte es als die weiße Fahne erkennt, die es ist.

Samstag III

Kapitel 40

Samstag III

 

Es ist genau, wie Shredder es prophezeit hat: Splinter gibt sich gar keine Mühe, sein Kommen zu verbergen – sie hören das Rascheln der Blätter unter seinen Schritten schon von Weitem, und als er dann zwischen den Bäumen hervortritt, ist das auch keine Überraschung mehr.

Er bleibt stehen und lächelt sie freundlich an.

„Darf ich näherkommen?"

Und als Shredder und Victor nur nicken, schlendert er bis auf anderthalb Meter zu ihnen heran.

„Danke für die Karte", meint er an Shredder gewandt.

Der blinzelt verdutzt.

„Das...“, beginnt er, senkt dann aber verlegen den Blick beiseite. „Oh."

Schon wieder etwas, weswegen er keinen Dank erwartet hat. Vorsichtig rückt Victor bis auf Armlänge an ihn heran, um ihn notfalls an Hand, Arm oder Schulter berühren zu können. Wenn es jemanden gibt, den man mit purer, ehrlicher Freundlichkeit schocken kann, dann seinen Shredder.

„April hat sie mir noch am selben Abend gegeben“, fährt Splinter fort. Es ist ihm eindeutig ein Bedürfnis, die Zuverlässigkeit der Starreporterin zu unterstreichen. „Sie hat mich ständig gelöchert, was dort stand. Ich habe ihr nichts gesagt."

„Das hättest du ruhig machen können. Es war nur ein 08/15 Gruß."

Splinter sieht ihn an, als hole er in Gedanken mit seinem Knüppel aus, um seinen nächsten Worten damit die gewünschte Nachdrücklichkeit zu geben.

„Für mich bedeutet es viel mehr."

„Bilde dir ja nicht ein, daß du jetzt immer eine bekommst", kommt es brüsk zurück. Es wäre überzeugender, wenn Shredders Wangen nicht wieder so rot leuchten würden.

Splinter schmunzelt nur.

„Wie steht es um das Technodrome?" erkundigt er sich im selben sanften Tonfall.

„Wieso willst du das wissen? Damit ihr es gleich wieder zerstören könnt?"

Über soviel Starrsinn stößt Splinter nur einen tiefen Seufzer aus und wirft ihm einen müden, traurigen Blick zu.

„Ach, Saki-kun..."

Die beiden eiern vielleicht herum! Ist ja nicht zum Mitansehen. Victor beschließt, hilfreich einzuspringen.

„Wie war denn Casey so als Schüler?“ schneidet er ein neues, unverfänglicheres Thema an, damit sich sein Shredder wieder etwas fangen kann. „Wie hat er sich bei den Meditationsübungen geschlagen?"

Splinter verliert kein Wort darüber, daß er ausspioniert wurde, und allein das rechnet ihm Victor schon hoch an. Victor liest ihn nicht, aber jeder, der ein wenig von Ratten versteht, erkennt an seinen aufgerichteten Ohren, dem glatten Fell und dem entspannten Schwanz, daß er ein sehr zufriedenes Exemplar vor sich hat.

„Zuerst war er sehr abgelenkt, irgend etwas muß kurz vorher passiert sein, aber er wollte nicht mit mir darüber reden. Letztendlich hat er sich beruhigt und ab da hat er tatsächlich Fortschritte gemacht", erklärt er dann auch und ja, er klingt auch sehr zufrieden.

„Ich kann nicht glauben, dass du dich dazu hast überreden lassen“, grummelt Shredder und es klingt fast vorwurfsvoll. Und – ein kleines bißchen eifersüchtig? „Hast du mit deinen Turtles nicht genug zu tun, musst du dir jetzt auch noch diesen Chaoten ans Bein binden?"

Splinter reckt nur den Kopf in die Höhe und schafft es tatsächlich, ihn unter halbgeschlossenen Lidern gefühlt von oben herab anzuglimmen, obwohl er ihm gerade mal bis zur Schulter reicht.

„Je schwieriger der Schüler, desto größer die Herausforderung und später der Erfolg."

„Anwesende ausgeschlossen", stellt Shredder scharf klar. Er zählt sich nicht zu Splinters Erfolgen.

Doch er hat wie so oft die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

„Du warst nie ein schwieriger Schüler“, entgegnet Splinter ruhig und lächelnd.

Er und Shredder starren sich so lange an, bis Splinter den Funken der Erkenntnis über das Gesicht seines ehemaligen Schülers huschen sieht, dann entspannt sich seine gesamte Haltung wieder und er wechselt das Thema.

„Wie geht es Krang, Bebop und Rocksteady?"

„Gut. Soll ich sie von dir grüßen?" kommt es spitz zurück.

„Das wäre nett." Völlig ernst und mit einem entwaffnenden Lächeln.

Shredder starrt ihn nur komplett sprachlos an. Es ist nicht allein Splinters ehrliche Freundlichkeit, die ihn irritiert, sondern auch die Selbstverständlichkeit, mit der er sie vor sich herträgt. Als wären sie niemals Feinde gewesen.

Das hier ist nicht der erste Olivenzweig, den Splinter nach ihm ausstreckt, aber noch niemals war Shredder so dicht davor, ihn tatsächlich anzunehmen.

Er braucht Zeit, das emotional zu verarbeiten, sonst rutscht er wieder in sein altes Muster zurück.

„Übrigens waren wir wohl daran schuld, dass Casey so durcheinander war“, mischt sich Victor daher ablenkend und in betont munterem Plauderton ein. „Erst ist er uns fast reingefahren und dann sind wir ins Gespräch gekommen. Zuerst war er eine richtige Plaudertasche, aber als er mitbekam, daß wir ein Paar sind, hat ihn das ziemlich geschockt. Ich schätze mal, das passte nicht in sein Weltbild.“

Splinter richtet seine Aufmerksamkeit sofort von Shredder auf ihn.

„Casey meint es nicht böse. Er denkt nur langsamer als er handelt. Und sein Weltbild ist tatsächlich etwas starr. Er ist ein erwachsener Mann, aber ihm fehlt einfach noch die nötige Lebenserfahrung.“ Er zögert einen Moment und wirft einen vorsichtigen Blick zu Shredder hinüber. „Nicht jeder von uns führt so ein gutes Leben wie Casey Jones. Er hat gute Absichten und das Herz am rechten Fleck, aber manchmal kommt er selbst mir vor wie der Prinz aus dem Elfenbeinturm, der auszieht, um die Welt zu retten.“

„Keine Sorge, wir tragen ihm nichts nach“, erwidert Victor beruhigend und plötzlich zieht sich ein breites, verschmitztes Grinsen über sein Gesicht. „Wir sind es gewohnt, dass man vor uns davonrennt. Auf die eine oder andere Art.“

Dabei sieht er zu Shredder hinüber und stößt ihm kumpelhaft mit dem Ellbogen in die Seite. Der stupst zurück und lacht herzlich und es dauert nicht lange, da fällt Victor mit seinem rollenden, tiefen Gelächter ein.

Splinter beobachtet das Ganze und kann sich dabei ein feines Lächeln nicht verkneifen.

„Ich gebe zu, ich hatte meine Vorbehalte“, gibt er leise zu, als sich die zwei wieder halbwegs beruhigt haben und hebt sofort besänftigend die Hand, als Shredder protestierend den Mund öffnet. „Ich weiß, es geht mich nichts an, aber ich kann nichts für meine Gefühle. Ich fühle mich immer noch für dich verantwortlich und möchte nicht, daß du unglücklich bist, Saki-kun. Aber je öfter ich euch so zusammensehe, desto überzeugter bin ich davon, daß ihr euch gegenseitig gut tut. Ich weiß, ihr braucht meinen Segen nicht, aber ich wünsche euch, dass ihr sehr, sehr lange miteinander glücklich werdet. Und...“, um seine Mundwinkel zuckt es verräterisch, „... ich spreche bestimmt auch im Namen meiner Söhne, wenn ich sage, daß wir uns schon darauf freuen, wenn wir beim nächsten Mal auf eure geballte Superschurken-Power treffen.“

„Vielleicht lassen wir uns einen Kampfschrei einfallen“, scherzt Victor mit einem Augenzwinkern.

Shredder sagt nichts. Er starrt seinen ehemaligen Sensei nur sehr, sehr nachdenklich an.

„Warum bist du so großmütig, alter Mann?“ will er schließlich leise wissen. „Ich habe versucht, dich und deine Turtles umzubringen. Mehr als einmal. Wie kannst du mir das verzeihen? Wieso hast du...“ er schluckt einmal schwer und stößt dann beinahe widerwillig hervor: „... mir damals geholfen? Du hast zu Rock und Beeps gesagt, sie hätten dich nicht entführen brauchen, du wärst freiwillig mitgekommen, um mir zu helfen. Wenn ich dir etwas bedeute, wie du immer sagst – wieso hast du mich in Japan so behandelt? Wieso hast du mich hintergangen?“

„Ach, Saki-kun...“, wieder seufzt Splinter ganz tief auf. „Sag mir bitte ehrlich: diese Stelle als Dojo-Meister – wieso wolltest du sie unbedingt? Du warst damals schon auf dem besten Weg zum Anführer des Footclans und das in deinem jungen Alter – wieso wolltest du unbedingt noch mein Nachfolger werden? Was war dir an diesem kleinen Dojo so wichtig? Es wurde nach meiner Flucht zu einem Trainingslager für Diebe – war es das, wieso du es unbedingt haben wolltest?“

Er klingt, als würde er die Antwort schon kennen.

„Nein“, erwidert Shredder ungehalten. „Das Dojo und der Titel waren mir da schon völlig egal. Ich wollte es, weil du es mir versprochen hattest, Sensei.“ Die schneidende Bitterkeit in dieser Anrede lässt Splinter regelrecht zusammenzucken. „Du hattest es mir jahrelang versprochen. Wenn ich mich dir beweise, hast du gesagt, wenn ich es mir verdiene, dann wird es eines Tages mir gehören. Und dann willst du es jemanden geben, der nicht halb so viele Turniere gewonnen hat wie ich? Wenn du mir wenigstens einen anständigen Grund dafür genannt hättest...“ Auch nach der langen Zeit ist noch so viel Wut, Kränkung und Enttäuschung in ihm, dass ihm am Ende seines Satzes die Stimme wegbricht.

„Ach, Saki-kun“, wiederholt Splinter betrübt. „Es tut mir leid, ich habe schon lange verstanden, daß ich mich damals dir gegenüber wohl falsch ausgedrückt habe. Laß es mich dir noch einmal erklären: du wolltest weder den Titel noch das Dojo jemals wirklich haben. All deine Anstrengungen hatten nur ein Ziel: du wolltest mir beweisen, dass du etwas wert bist. Und das ist der denkbar schlechteste Grund, um ein Dojo zu leiten. Vor allem“, er macht einen Schritt nach vorne, nimmt Shredders Hand und drückt sie fest, „weil mein Lieblingsschüler mir das doch niemals beweisen musste.“

Für einen Moment starrt Shredder nur auf diese Hand, die seine hält, dann entzieht er sich Splinters Griff. Aber er weicht keinen Schritt zurück und zeigt auch kein Anzeichen von Wut, und Splinter deutet das als ein gutes Omen.

„Du hast mich betrogen“, stellt Shredder stattdessen völlig ruhig klar fest und sein ehemaliger Sensei senkt daraufhin in stiller Demut den Kopf.

„Ja, daß dir das so vorkommen musste, weiß ich jetzt. Ich habe einen Fehler gemacht. Aber“, hier hebt er den Kopf und seine Augen funkeln vergnügt, „ich kann ihn nicht bereuen, denn dann müsste ich auch alles andere bereuen. Meine Turtles, meine Freunde und … diesen Moment hier. Und du darfst das auch nicht bereuen, denn sieh nur, was du erreicht hast: in Bebop, Rocksteady und Krang hast du eine neue Familie gefunden, mit den Fröschen hast du vier ganz wunderbare, loyale Freunde und du hast jetzt Victor an deiner Seite.“

Das ist sein Stichwort! Grinsend legt Victor seinem Ninja einen Arm um die Schultern und zieht ihn zu sich heran. Shredder, froh über diese Ablenkung, lässt sich das nur zu gerne gefallen.

Sie wissen alle, daß Splinter einen Namen bei dieser Aufzählung vergessen hat, aber es gibt Dinge, die sind so offensichtlich, dass man sie nicht aussprechen muß.

Für die Dauer einiger Herzschläge stehen sie sich nur gegenüber, jeder auf seine ganz eigene Art verlegen und ergriffen zugleich, und niemand traut sich wirklich, die Stille zwischen ihnen zu brechen, aus Angst, diesen heiligen Moment zu zerstören.

Das erledigt jemand anderes für sie.

„Huhu, Splinter! Hallo, bist du hier irgendwo?“ Hinter der Biegung des Baches schält sich eine Gestalt aus den länger werdenden Schatten. Dort, sich immer am Ufer haltend, kommt Casey Jones in Sicht. Er stockt kurz, als er sie sieht und kommt dann näher, nur, um in zwanzig Meter Entfernung von ihnen stehenzubleiben. Er hat sie wiedererkannt und scheint unsicher, wie er nun reagieren soll.

Splinter nimmt ihm die Entscheidung ab.

„Ich komme gleich, Casey!“ ruft er zu ihm hinüber und wendet sich dann wieder an die beiden Männer vor sich. „Ich dachte nicht, daß er mir folgen wird. Bitte entschuldigt. Ich nahm an, er wartet auf dem Parkplatz auf mich. Er nimmt mich mit dem Auto mit zurück.“

„Oh, diesmal nimmst du nicht den langen Weg durch die herrliche Natur? Wirst du faul, alter Mann?“ Doch Shredders Sarkasmus will diesmal die richtige Schärfe fehlen. Sein „alter Mann“ klingt beinahe sanft.

„Ich will nur überprüfen, ob sich die Meditationsübungen schon auf Caseys Fahrstil auswirken“, entgegnet Splinter daraufhin scherzend, und dann wird sein Lächeln sehr, sehr herzlich. „Es war schön, euch wiederzusehen.“

Er wendet sich zum Gehen, doch er hat keine fünf Schritte gemacht, da stürzt ihm Shredder hinterher und hält ihm am Ärmel seines roten Gis zurück.

„Splinter, warte. Hör zu, wir haben …“, er holt einmal tief Luft und wagt ein kleines, unsicheres Lächeln, „also, wenn du irgendwann mal...“, er hält kurz inne, wirft einen sichernden Blick zu Casey hinüber und fährt dann im gedämpften Tonfall fort: „...das Rattendasein leid bist, wenn du wieder ein Mensch sein willst ...wir haben eine Waffe, die das bewerkstelligen kann. Ich … du mußt nur fragen, okay?“

Splinter zieht die Luft einmal scharf ein und blinzelt gerührt.

„Danke, Saki-kun.“

Der nickt nur einmal kurz auf sehr japanische Art und Weise und tritt wieder einen Schritt zurück, wo Victor auf ihn wartet, um stolz seine Arme um ihn zu legen.

Gemeinsam sehen sie zu, wie Splinter zu dem wartenden Casey geht und dann weht der Wind ihre Worte zu ihnen hinüber.

„Kennst du die beiden, Splinter?“

„Ja, natürlich, Casey. Das sind Rat King und Shredder.“

Splinter dreht sich noch einmal um, winkt ihnen grüßend mit seinem knüppelartigen Stock zu und zieht dann den sichtlich schockierten Casey mit sich fort.

Das letzte, was sie hören, ist Caseys quietschendes, entgeistertes „What the fuck?“, bevor die beiden sowohl aus ihrer Sicht- wie Hörweite verschwunden sind.

 

 

Samstagabend

Kapitel 41

Samstagabend

 

Im Motelzimmer steht ein Bett. Das ist alles, was sie im Moment interessiert. Na gut, es sind zwei Betten, aber sie brauchen ja nur eins, und welches ist eigentlich egal. Zwei sind aber auch viel besser, weil, so können sie eines einsauen und in dem anderen einfach nur schlafen. Dem Zimmermädchen lassen sie zur Entschädigung ein großzügiges Trinkgeld da, schließlich haben sie doch nicht grundlos vorhin das gesetzliche Tageslimit von Ro-gers Kreditkarte am Bankautomaten abgehoben. Ehrlich, wenn der Typ sie nicht endlich sperren lässt, hat er es nicht anders verdient. Sie jedenfalls haben sich jetzt erstmal ein Schäferstündchen verdient.

Die Schuhe und die Jacken und Kopfbedeckungen sind als erstes irgendwo auf dem Fußboden gelandet, neben Angelkasten und Rucksäcken, und jetzt machen sie sich daran, sich von dem Rest auch noch zu befreien. Das geht nur nicht so schnell wie gedacht, nicht, wenn man sich zwischendurch immer mal wieder atemlos knutschen muß.

Es ist nichts Neues, gar nichts davon, sie machen das seit anderthalb Wochen jeden Tag und Nacht – mehrmals – aber trotzdem spielen da immer Schmetterlinge im Bauch, wildes Herzklopfen und unhörbare Geigenklänge mit.

So glücklich hat sich Victor noch niemals zuvor gefühlt.

„Ich liebe dich, Saki.“ So oft hat auch noch nie jemanden seine Liebe gestanden. Und es war ihm noch niemals so ernst. Scheiße, für diesen Mann würde er sterben!

„Anshin Suru“, murmelt Shredder zwischen zwei leidenschaftlichen Küssen.

„Hab keine Ahnung, was das heißt“, grinst Victor, während er sich an Shredders Hals festsaugt. „Aber es klingt toll.“

Leise seufzend dreht Shredder seinen Kopf etwas zur Seite, um ihm mehr Angriffsfläche zu bieten, während seine Hände Victors T-Shirt am Rücken immer höher schieben und sich seine Finger fest in Victors warmes Rückenfleisch vergraben. Etwas, von dem er weiß, dass Victor es gerne hat.

„Es bedeutet, ich fühle mich sicher bei dir...“

Oh. Victor fühlt, wie es ihm ganz warm ums Herz wird. Das ist sooooo romantisch!

„Ich muss dringend japanisch lernen“, murmelt Victor, leckt noch einmal über das rote Mal, das er seinem Liebsten eben verpasst hat und richtet sich dann wieder auf, um diese göttlichen, küssenswerten Lippen einzufangen.

Als sich ihm Shredder seufzend entgegenwölbt, kann er spüren, wie erregt er schon ist und das sorgt bei ihm dafür, dass nur noch mehr Blut südwärts rauscht. Es folgt ein kurzes Ringen um die Dominanz, aber Shredder gibt sich heute nicht besonders viel Mühe, er wehrt sich nicht einmal richtig, als Victor ihn an den Handgelenken packt und seine Hände links und rechts neben seinem Kopf ins Kissen pinnt.

Das lässt Victor innehalten. Shredder bemerkt sofort, dass etwas nicht stimmt. Blinzelnd öffnet er die Augen, nur um direkt in ein intensiv leuchtendes Stahlblau zu starren. Als Victor dann auch noch seine Hände loslässt, wird es beinahe unheimlich.

„Victor?“

Vorsichtig hebt Shredder die rechte Hand und streicht ihm eine vorwitzige rotblonde Strähne seines Haares aus der Stirn. Doch Victor starrt ihn weiterhin nur so intensiv an. Zögernd, und weil er nicht weiß, was er mit ihnen machen soll, legt er seine Hände links und rechts an Victors Oberarme. Haltend, stützend, aber auch jederzeit bereit, ihn von sich zu stoßen, sollte es notwendig werden. Allmählich bereitet ihm Victors Verhalten eine gewisse Sorge.

Was ist los? Hat er etwas falsch gemacht?

„Bevor wir weitermachen, muß ich dich etwas fragen“, murmelt Victor schließlich leise. Er hat gespürt, wie sich Shredders Körper unter ihm regelrecht verspannt und versucht es nun mit einem beruhigenden Lächeln. Er wartet noch auf Shredders aufforderndes Nicken, dann platzt es aus ihm heraus:

„Sei bitte ehrlich: wie gefällt dir der Sex zwischen uns am besten? Bist du lieber Bottom oder Top? Denn weißt du, ich kann mich im Moment echt nicht entscheiden, aber wir sollten einen Konsens finden, wenn du eines von beiden vorziehst.“

Shredder blinzelt ihn nur verdutzt an. Echt? Jetzt will er das wissen? Jetzt? Wo sie nur noch Sekunden voneinander entfernt sind, sich die Klamotten vom Leib zu reißen?

Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, schließt ihn dann aber wieder und mustert ihn stirnrunzelnd.

„Victor“, erinnert er ihn sanft, „nicht verbiegen. Es klappt doch gut so, wie es jetzt ist. Laß uns das weiter spontan entscheiden. Wenn mir etwas gefällt, sage ich es dir schon und ich hoffe, du mir dann auch?“

Victor nickt nur. Um seine Lippen spielt ein zärtliches Lächeln, während er dazu übergegangen ist, mit seinen Daumen Shredders Jochbein nachzufahren.

„Ich will nur wissen, ob du inzwischen eine Vorliebe entwickelt hast, verstehst du, Saki-Cutie?“

Dieser Kosename ist furchtbar albern. Shredder beschließt, sich deswegen zu rächen.Vorsichtig bewegt er die Hüften, presst sie nach oben gegen Victors. Dadurch kann er dessen Männlichkeit spüren, wie sie sich hart unter dem Baumwollstoff abzeichnet und wie sie sich sehr präsent gegen seine eigene drückt. Victors sehnsüchtiges Stöhnen ist eine wahre Provokation.

Und so wiederholt er diese Bewegung, während er gleichzeitig über eine Antwort nachdenkt. Daß er überhaupt noch denken kann, ist ein wahres Wunder.

Kein Wunder ist es, daß seine Gedanken zunehmend konfuser geraten.

Die Vorstellung allein, in Victors Körper einzudringen und tief in ihm zu kommen, jagt einen wahren Hitzesturm durch seine Genitalien, jede Zelle seines Körpers erinnert sich an dieses wahnsinnige Gefühl, aber auch der Gedanke an die Alternative lässt ihn erwartungsvoll erbeben.

Das Gefühl von Victors starken Körper auf ihm, wie er ihn zielsicher erobert, ihn an den Rand des Wahnsinns bringt und unbarmherzig mit über die Klippe reißt, die wilde, geradezu animalische Gier und Nähe – oh ja, das braucht er jetzt.

Aber dann gibt es auch Tage, wo er derjenige sein muß, der verwöhnt, erobert und mitreißt. Heute … jetzt ist allerdings keiner dieser Tage.

„Ist mir egal“, keucht er schließlich mit zunehmend rauher werdender Stimme. Verdammt, diese Gedanken, diese Erinnerungen … er platzt gleich, wenn Victor nicht endlich richtig zur Sache kommt.

„Ich mag beides sehr. Und wenn wir uns mal nicht einigen können, ziehen wir eben Streichhölzer. Himmel, Victor“, schnaufend klammert er sich an ihn, vergräbt sein Gesicht an seiner Halsbeuge und versucht, atmen und reden gleichzeitig hinzubekommen, „stell solche Fragen doch nicht in solchen Momenten.“

Und plötzlich setzt irgend etwas in seinem Gehirn aus und Worte perlen von seiner Zunge, für die er sich normalerweise in Grund und Boden schämen würde. Victor, der Dirty Talk in ihrer Beziehung immer für seine alleinige Spezialität gehalten hat, ist für einen Moment wie erstarrt.

Doch dann beginnt er es zu lieben.

„Wenn du es so willst, mein Schatz...“ Mit fliegenden Fingern, gieriger Zunge und erwartungsvoll pochenden anderen Körperteilen macht er sich daran, erst den Mann unter sich und dann sich selbst von jedem Stückchen Stoff zu befreien, um ihm dann all das das zu geben, wonach er so atemlos und sehnsüchtig bebend verlangt.

 

 

„Ich bin süchtig“, stellt Shredder später trocken fest, als sie wieder einigermaßen vernünftig atmen können und restlos befriedigt und absolut zufrieden und glücklich einander in den Armen liegen. „Ich war noch nie nach irgend jemanden süchtig. Ich wußte gar nicht, daß das geht.“

„Alles okay“, Victor summt es fast, während seine Finger sachte über Shredders Wirbelsäule tanzen. Unter der Decke ist es warm und gemütlich und dazu hat er noch den noch immer leicht erhitzten Körper desjenigen in seinen Armen, den er so sehr liebt, dass es fast schmerzt – was braucht es mehr? „Ich glaube, das gehört dazu.“

„Ach, du glaubst?“ Shredder hebt den Kopf von Victors Schulter und starrt ihn vorwurfsvoll an. Es wäre überzeugender, wenn er nicht wie so oft Arme und Beine so fest wie ein Oktopus um ihn geschlungen hätte. „Du bist doch hier derjenige mit der wahnsinnig großen Erfahrung.“

Oh, Eifersucht steht ihm so gut! Und sie ist gleichzeitig so überflüssig.

„Ich glaube, ja“, bestätigt er und platziert einen sanften Kuß auf Shredders Stirn. „Weil es das erste Mal ist, daß ich so für jemanden fühle. Splinters komisches Gerede heute lässt mich fast an so etwas wie Schicksal glauben. Glaubst du ans Schicksal, Saki? Glaubst du daran, daß wir...“ Nein, das ist doch zu kitschig. Es ist zu peinlich, das auszusprechen, selbst nach all dem, selbst, wenn sie noch erschöpft und erhitzt vom Sex und furchtbar klebrig von Schweiß und anderen Flüssigkeiten einander in den Armen liegen und das Gefühl der Nähe in ihren Zellen schon fest verankert zu sein scheint.

„Ich bin mit einer Mischung aus Shinto und Buddismus aufgewachsen und lebe in einer rollenden Kampffestung mit einem körperlosen Gehirn als Commander und zwei Mutanten als Azubis in der DimensionX. Ich glaube inzwischen an so ziemlich alles, Victor.“ Tief aufseufzend vergräbt er sein Gesicht wieder an Victors Schulter. Er fühlt sich wie Gelatine, vor allem unterhalb der Hüften, aber am Schlimmsten ist dieser unstillbare Hunger in ihm, dieses Sehnen – nicht nach mehr, jedenfalls nicht in diesem Moment, aber danach, dass es immer so sein möge. Und das macht ihm Angst.

Weil er weiß, was das mit ihm macht, sollte diese Beziehung scheitern.

An ihm soll es nicht liegen, es lag nie an ihm, er ist bereit für das, was ihm am Herzen liegt, zu kämpfen. Er schon – aber das traf nicht immer auf die anderen zu.

„Du bist mein Ninja.“ Victors leise Stimme klingt fest und sicher und als wäre er zu allem entschlossen und es ist, als hätte er seine Gedanken gelesen: „Schöne Dinge gebe ich nie wieder her, erinnerst du dich noch? Also, Saki – was hältst du davon: ich kündige meinen Job und meine Wohnung und ziehe zu euch ins Technodrome?“

Shredder erstarrt, zieht zischend die Luft durch die Zähne und richtet sich dann ruckartig auf.

„Aber – deine Ratten! Dein Volk! Die Kolonie!“

„Ich bin sicher, sie haben nichts dagegen.“ Er ist so egoistisch, aber er fühlt sich nicht so. Er liebt seine Ratten, aber sie sind Tiere. Sie sind vor ihm allein zurechtgekommen und sie werden es auch ohne ihn. Es waren schöne Jahre und als solche wird er sie in Erinnerung behalten. Es wird Zeit, weiter zu ziehen.

Shredders Blick wandert von ihm unwillkürlich hinüber zum Nachttisch, wo sich ihre beiden tierischen Begleiter zusammengerollt haben.

„Na ja“, meint er dann gedehnt, „wir werden ja nicht mehr lange in der DimensionX bleiben...“

„Ich ziehe trotzdem zu euch“, erwidert Victor ruhig, fast träge. Hat er erst einmal einen Entschluß wie diesen gefaßt, kann er sehr, sehr starrsinnig sein. Seine Hand schießt vor, vergräbt sich in Shredders halblangem Haar und zieht ihn daran zu einem zärtlichen Kuss zu sich herunter.

 

 

Sonntag I

Kapitel 42

Sonntag I

 

Wanderungen durch Wälder erinnerten ihn bisher immer an seine Zeit bei der Army und unterbewusst checkt er noch heute jeden Baum, Busch und Schatten darauf ab, wieviel Deckung sie ihm im Falle eines Angriffs geben würden.

Aber ab heute wird sich das ändern, dessen ist er sich bewußt. Ab heute wird er vieles anders sehen.

Seufzend dreht er seinen Kopf etwas, um ein wenig Druck von seinem Unterarm zu nehmen. Er spürt, wie der Stoff seiner Jacke über seine Wange reibt und die Struktur der Rinde an seinem teilweise entblößten Unterarm und löst vorsichtig die verkrampften Finger seiner anderen Hand aus der Borke.

Ihm ist schwindlig, aber es ist ein angenehmer Schwindel.

„Eigentlich mag ich sowas nicht im Freien“, gibt Victor leise zu. Das ist nicht unbedingt die Neuigkeit des Tages, aber im Zusammenhang mit dem hier von sehr großer Bedeutung.

„Ich auch nicht“, flüstert Shredder hinter ihm schweratmend.

Victor atmet tief durch und versucht, sich zu sammeln. Sein Herz pocht so heftig, er kann es bis in seine Fingerspitzen hinein spüren und die Welt ist ein einziges wildes Potpourri aus den unterschiedlichsten Sinneseindrücken, die sein überlastetes Hirn nur ganz langsam sinnvoll sortiert. Das alles überlagernde Gefühl ist das der Leere in seinem Hintern.

Er hasst es. Schnell konzentriert er sich auf all das, was er liebt.

Da ist zum einen Shredders Körper – obwohl fünfzehn Zentimeter kleiner als er, ist er doch so stark und präsent. Er steht hinter ihm, so nah, daß er seine Atemzüge nicht nur hören, sondern auch spüren kann. Sie sind schwer und zitternd und verraten ihm, daß es seinem Partner in der Hinsicht nicht viel anders ergeht als ihm selbst. Er spürt Shredders warme Finger, wie sie ihm behutsam wieder Unterwäsche und Hose über die Hüften ziehen und erschauert dann wohlig unter seinen Küssen. Er hat einen sehr empfindlichen Nacken!

„Du hast mich eben gegen einen verdammten Baum gefickt“, stellt er dann mit einem Hauch von Empörung und Unglauben fest. „Gegen einen gottverdammten Ahorn.“

Shredder gibt nur ein zustimmendes Brummen von sich, zieht seelenruhig den Reißverschluß von Victors Cargohose hoch und schließt dann Knopf und Gürtel, während er sich weiter über Victors Nacken küßt.

Victor schielt über seine Schulter und versucht, einen Blick auf ihn zu erhaschen, kann außer einem dunklen Haarschopf und dem olivfarbenen Tarnmuster seiner Jacke aber nicht viel erkennen.

„Von hinten“, ergänzt Victor dann noch.

Allmählich kehrt die Erinnerung zurück. Dieses jungenhafte Grinsen, die erwartungsvoll blitzenden Mandelaugen und dann diese stürmische, kompromißlose Leidenschaft, mit der er gegen diesen Baumstamm gepresst wurde. Wow.

Wieder gibt Shredder nur diesen zustimmenden Brummton von sich. Es klingt verdammt selbstzufrieden.

„Ohne Hilfsmittel“, fährt Victor erstaunt fort und zermartert sich dann den Kopf. Wann genau … wann genau ist das passiert, daß sich ihre Körper so gut aneinander gewöhnt haben, daß etwas Spucke genügt? Das eben hier war hart und kam überraschend, aber sein Hinterteil schmerzt nicht im Geringsten.

Als Shredder ihn dann an den Schultern zu sich herumdreht, zuckt um Victors Lippen so etwas wie ein seliges Lächeln.

„Das darfst du gerne öfters machen. Auch ohne Wald.“

Mit diesen Worten packt er Shredder am Jackenkragen und zieht ihn zu sich heran, um sich einen adäquaten Ersatz für dieses deprimierende Gefühl der Leere zu holen – einen wilden, leidenschaftlichen Kuss mit sehr viel Speichel und noch viel mehr Zunge.

 

 

„Warte!“ Fünfhundert Meter, bevor sie wieder die Zivilisation erreichen – sie können schon das Läuten der Kirchenglocken hören, mit denen der Reverend seine Schäfchen zum Nachmittagsgebet ruft, hält Shredder ihn am Jackenärmel zurück.

Victor stoppt nur unwillig. Seine Füße tun ihm vom stundenlangen Wandern durch teils sehr unwegsames Waldgelände weh, der Rucksack auf seinem Rücken wird auch mit jeden Schritt lästiger, auch wenn er jetzt leichter ist als heute morgen, weil die Hälfte darin in seinem Magen verschwunden ist und er freut sich ganz einfach nur noch auf ihr Motelzimmer und ihr Bett. Er hat vor, dort noch ganz viele, unanständige Dinge mit seinem Ninja anzustellen – der letzte Blow Job vor einer halben Stunde hat ihm wirklich, wirklich Appetit gemacht.

Mit einem sonderbar ernstem Ausdruck auf dem hübschen Gesicht, tritt Shredder ganz dicht an ihn heran, schlingt ihm die Arme um den Nacken, und reckt sich um die paar fehlenden Zentimeter, um ihn küssen zu können. Rein automatisch kommt ihm Victor auf halbem Wege entgegen.

Er weiß jetzt nicht wirklich, was das soll, aber es ist schön, also spielt er nur zu gerne mit.

Shredders Lippen, die er vor einer halben Stunde noch an einem ganz anderen Körperteil gefühlt hat, sind weich und warm und er schmeckt nach dem Snickers-Riegel, den sie vorhin geteilt haben.

Es ist ein denkwürdiger Kuß – ruhig, sanft, mit ganz viel Liebe und darunter … Wehmut?

Als Shredder diesen Kuß wieder beendet, starrt Victor ihn verwirrt blinzelnd an.

Was … war das?

Es fühlte sich fast an wie … ein Abschiedskuß?

Er spürt Shredders Hand an seiner linken Wange, spürt, wie seine Finger sanft die Narbe dort nachzeichnen. Doch viel wichtiger als das ist das kleine Lächeln um Shredders Lippen und diese Wärme in seinen Augen. Also doch kein Abschiedskuß …

oder doch, wenn auf eine ganz andere, unendlich süße Art und Weise, wie Shredders folgende Worte beweisen:

„Wegzehrung. Bis wir wieder im Motel sind.“

Denn wenn sie erst mal wieder raus aus der Wildnis, zurück in der Zivilisation sind...

Victor nickt verstehend. Und dann zieht er ihn wortlos in eine Umarmung und drückt ihn so fest an sich, wie es geht, ohne ihn zu verletzen.

 

 

Leider sehen sie schon von Weitem, dass ihr Bett wohl noch etwas auf sie warten muß. Denn sie sind kaum auf dem Gelände ihres Motels angekommen, da sehen sie die beiden Gestalten, die direkt vor ihrer Zimmertür herumlungern.

Sie stocken mitten im Schritt und wechseln einen entsetzten Blick. Sodann lässt Shredder seine Blicke über den Parkplatz schweifen, und da steht er, sozusagen als letzter, unumstößlicher Beweis: ein alter, klappriger, grasgrüner Ford.

Wieder tauschen sie einen Blick und nicken sich dann in einem stummen Einverständnis zu. Unwillkürlich drückt jeder von ihnen noch einmal den Rücken durch, bevor sie hoch erhobenen Hauptes weitergehen.

Da die beiden tatsächlich nach ihnen Ausschau gehalten haben, werden sie bemerkt und dann trifft man sich auf halbem Wege.

„Was wollt ihr denn hier?“ knurrt Shredder sie anstatt einer höflichen Begrüßung nur an.

April O'Neil, gekleidet in eine gefütterte Jeansjacke mit Fransen, in einen Stufenrock und hellen Wildlederstiefeln – und verdammt, das müssen die beiden ihr neidlos anerkennen, der Wildwest-Look steht ihr fantastisch – schmettert ihnen nur ein fröhliches „Hi“ entgegen und deutet dann vielsagend zu ihrem Begleiter hinüber.

„Casey möchte euch etwas sagen.“

Als dieser aber außer einem leisen „Hi“ nichts herausbekommt und die zwei nur aus großen Augen anstarrt, gibt sie ihm einen auffordernden Stups.

„Ja, okay, ah...“, druckst er schließlich herum und wirkt in seiner augenfällig neuen Jeans und dem grauen Fleecepulli mit der hellen Weste darüber plötzlich wie ein übergroßer Junge, vor allem, als er verlegen innehält und hilfesuchend zu April hinüberschielt.

Er fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Victor bezweifelt, dass er sich für sie so schick gemacht hat, ganz offensichtlich hatte er entweder vorher oder er hat nach dem hier ein Date mit April.

Es wäre also für beide Seiten besser, wenn sie das hier schnell hinter sich bringen.

„Wollen wir erstmal reingehen? Das muß ja nicht jeder gleich mit anhören“, bietet er ihnen daher an, denn das scheint doch das Vernünftigste zu sein. Shredder neben ihm nickt auch schon zustimmend.

Keine Minute später stehen sie in ihrem Motelzimmer und können zusehen, wie sich Casey Jones verlegen im Nacken kratzt und wieder herumdruckst.

„Ja, also, ich... wollte mich entschuldigen. Ich habe gestern etwas... hm... übertrieben reagiert. Es war unhöflich von mir. Ja, dafür wollte ich mich entschuldigen.“

Shredder starrt ihn einen Moment einfach nur ungläubig an.

„Meine Güte, und deswegen bist du extra hierher gekommen?“

„Ja?“ entgegnet Casey auf eine Art, als verstünde er die Frage nicht. „Ich meine, ich war echt total neben der Rolle, als mir Splinter sagte, wer ihr seid. Das ist schon irgendwie komisch, das müßt ihr zugeben. Splinter hat mir dann den Rat gegeben, einfach mit euch drüber zu reden.“ Er wirft ihnen beiden unsichere Blicke zu, zuckt erst mit den Schultern und gestikuliert dann mit jedem Wort mehr. „Es geht mich ja nichts an, solange es freiwillig geschieht. Ihr müsst ja wissen, was euch glücklich macht. Es ist nur … ah, ich komme nicht drauf klar. Daß ihr beide... ehrlich! Ehrlich jetzt?“ Für einen Moment rauft er sich sogar die Haare. Er wirkt so verzweifelt, wie es nur ein Mann sein kann, dessen Weltbild von einer Sekunde auf die andere auf den Kopf gestellt wurde. „Und ich kenne mich, das geht mir wochenlang nicht mehr aus dem Kopf, macht mich ganz kirre und dann dreh ich wieder durch oder so. Mein ganzes Antiaggressionsdingens ist dann doch völlig umsonst gewesen. Und was ist, wenn wir mal wieder gegeneinander kämpfen? Ich kann dann doch nicht einfach tun, als wäre nie etwas gewesen!“

Während Shredder ihn immer noch völlig fassungslos anstarrt, gelingt es Victor, die ganze Situation auf eine einzige Frage zu reduzieren:

„Wow. Du hast uns nie als Menschen gesehen, oder?“

„Ah... doch. Nur eben nicht … ah...“ Ratlos zuckt Casey mit den Schultern und wirft April wieder diesen hilflosen Blick zu. Sie lächelt ihm nur aufmunternd zu.

„Du dachtest, weil wir zu den Bösen gehören, haben wir keine Gefühle?“ hakt Victor grimmig und ja, auch irgendwie amüsiert, nach. „Und könnten uns nicht verlieben?“

„Na ja, ihr seid böse. Knallhart und gemein. Und brutal. Und Schwule sind doch eher... na ja...“ Casey stellt sich in eine wahrhaft übertriebene Tunten-Pose, macht dazu eine gezierte Geste mit der Hand und flötet dann mit gespitzten Lippen: „Mimimimi?

April schlägt sich die Hand vor den Mund und versucht, nicht zu kichern.

Shredder allerdings liegt vor Lachen fast auf dem Bett.

Und Victor verbeißt sich nur mühsam ein Grinsen. Im Gegensatz zu allen anderen hier hat er Erfahrung mit den seltsamsten Reaktionen, wenn die Leute erfahren, daß er auf Männer steht und wenn alle so wie Casey darauf reagiert hätten, wäre vieles in seinem Leben leichter gewesen.

„Ich bin schwul“, bestätigt er daher völlig gelassen, genau wissend, was er Casey sagen muß, damit dieser sich hier nicht länger zum Affen macht. Auch wenn es ein grandioser Anblick ist, wofür er gerne noch etwas auf sein Schäferstündchen mit seinem Ninja verzichtet. „Aber ansonsten bin ich ein ganz normaler Kerl. Wußtest du, daß ich bei der Army war?“

„Ehrlich? Aber da gehen doch nur harte Kerle hin...“

„Ich bin ein harter Kerl. Frag ihn.“ Vielsagend nickt er in Shredders Richtung. Der hockt auf dem Bett und hat sich gerade wieder etwas beruhigt, aber bei Victors Worten kichert er sofort wieder los.

„Oh ja. Und wie hart er sein kann.“

Dafür bewirft ihn April mit ihrer Handtasche. Doch auch sie hat Mühe, ernst zu bleiben.

Lächelnd sieht Victor zu, wie Shredder die Handtasche auffängt und sie auf dieselbe Art und Weise ihrer Besitzerin zurückgibt.

„Shredder dagegen …“, fährt er dabei fort und hat sofort Shredders ungeteilte Aufmerksamkeit, „ist eher bi. Ihm ist es egal, ob ihn eine Frau oder ein Mann auf Touren bringt.“

„Nur wenn der Mann Victor heißt, rotblonde Haare und schöne blaue Augen hat“, ergänzt Shredder in leicht flirtenden Tonfall. „Was?“ faucht er Casey dann an, weil dieser ihn unaufhörlich anstarrt.

Der zuckt schuldbewusst zusammen.

„Du siehst so jung aus, sorry. April hat mir erklärt, woran das liegt, aber … Victor“, wendet er sich warnend an den rotblonden Mann, dessen schiere Größe und Präsenz ihm eindeutig immer noch großen Respekt einflößt, „du mußt aufpassen, dass man dich nicht wegen Pädophilie verhaftet.“

Er klingt ehrlich besorgt.

Victor blinzelt ihn nur verdutzt an, hat er diesen Gedankensprung doch jetzt wirklich nicht erwartet. Aber seine ehrliche Sorge ist schon rührend, das muß er zugeben.

„Victor könnte ja in denselben Tümpel springen, schnell schrumpfen und wenn er dann wieder erwachsen ist, fällt der Altersunterschied nicht mehr so auf“, schlägt April scherzhaft vor. Der Gedanke an einen Mini-Victor erheitert sie sichtlich.

Victor öffnet schon den Mund, um ihr ein wenig beleidigt klar zu machen, daß der tatsächliche Altersunterschied zwischen ihnen nur drei Jahre betrifft – sieht er etwa aus wie ein alter Mann? Was denkt sie sich dabei? - aber Shredders scharfe, mißbilligende Stimme lässt ihn den Mund wieder zuklappen.

„Nein!“

„Warum nicht?“ will April mit neugierig schräggelegtem Kopf wissen. Irgend etwas an ihrer Haltung und ihrer Miene verrät Victor, daß sie auf etwas ganz bestimmtes wartet.

Shredder funkelt sie düster an, während er langsam auf sie zugeht, um dann einen Meter vor ihr stehen zu bleiben, um sie, die Fäuste auf Hüfthöhe geballt, in Grund und Boden zu starren. Und doch ist es eine eher defensive als offensive Haltung.

„Wenn dich die Wachstumsschmerzen nicht umbringen, dann wünschst du dir, sie hätten es getan, darum!

Seine leise, zischende Stimme beeindruckt sie nicht im geringsten.

Sie lächelt nur.

„Ich weiß“, erwidert sie sanft. „Ich wollte es nur mal aus deinem Munde hören.“ Und dann erklärt sie, als er sie nur grenzenlos verdattert anstarrt: „Splinter hat es mir erzählt. Er hat mir alles darüber erzählt. Auch er braucht mal jemanden zum Reden, einen Erwachsenen. Und er weiß, ich kann ein Geheimnis für mich behalten.“

Shredders Augen weiten sich für einen Augenblick, doch dann fängt er sich wieder und seine Miene wird zu dieser stoischen, asiatischen Maske, wie Victor sie schon seit langer Zeit nicht mehr an ihm gesehen hat.

„Gut, dann hör auf mit diesen Sprüchen. Diese zwei Wochen waren kein Zuckerschlecken und diesen Horror wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht.“

„Ist okay. Ich habe verstanden“, besänftigend hebt sie die Hände.

Shredder nickt nur und starrt erst sie und dann Casey eindringlich an.

„Gut. Ist noch was? Oder war das alles?“

Casey und April wechseln einen Blick und dann schüttelt Casey den Kopf.

„Nein“, übersetzt April laut. „Das war alles, was wir wollten.“

Shredder Augenbrauen kriechen kurz in die Höhe, dann schnaubt er, rollt mit den Augen, dreht sich um, stapft zur Tür und reißt sie vielsagend auf.

„Ihr Amis seid komisch. Einen schönen Tag noch!“

Sie protestieren nicht, wünschen ihnen noch einen schönen Abend und schlendern dann zu Caseys grasgrünem Wägelchen. Die beiden Männer sehen ihn zu, wie sie hineinsteigen und verfolgen sie mit ihren Blicken, bis der Ford auf die angrenzende Straße abgebogen und völlig aus ihrer Sicht verschwunden ist.

Erst dann ziehen sie sich in ihr Zimmer zurück, schließen die Tür hinter sich und legen vorsichtshalber noch die Kette vor.

 

 

Sonntag II

Kapitel 43

Sonntag II

 

Mit einem schweren Seufzer läßt sich Shredder auf das nächststehende Bett sinken.

Auf ihre ehemals ausgelassene, gute Stimmung hat sich ein unangenehmer Schatten gelegt, und Victor könnte dem jetzt nachtrauern, aber er beschließt stattdessen, es als Herausforderung zu sehen. Es ist eindeutig, daß Aprils Bemerkung alte Wunden wieder aufgerissen hat, und es ist an Shredder, ihm zu signalisieren, wie er damit umgehen wird. Victor hofft nur, daß er nicht darüber schweigen will. Seiner Meinung nach schweigt er nämlich schon viel zu lange darüber.

Schließlich ist Splinter nicht der einzige, der jemand Außenstehenden zum Reden braucht.

Zu Victors großer Freude und Erleichterung beweist ihm Shredder, daß er genau ihn in dieser Rolle sieht, indem er einladend neben sich aufs Bett klopft.

„Willst du wissen, wieso Rock und Beeps damals wirklich Splinter entführten, damit er mir hilft?“ fragt er ihn leise, nachdem Victor ihm gegenüber Platz genommen hat.

Vorsichtig greift Victor nach seinen Händen und drückt sie.

„Nur, wenn du darüber reden willst.“

„Ich will. Ich muß. Du mußt es wissen, wenn du zu mir ins Technodrome kommst. Dann wirst du besser verstehen, wieso sie so sind, wie sie sind.“

Sie. Damit meint er offensichtlich Krang, Bebop und Rocksteady.

Abermals drückt Victor seine Hände und sieht ihm dabei ernst in die Augen.

„Saki... ich verstehe es. Du warst deutlich genug. Ich habe schon stärkere Männer als dich nach Erlösung betteln sehen. Das ist keine Schande.“

Shredder schluckt einmal schwer. Ihm ist deutlich anzumerken, wie er für seine nächsten Worte all seinen Mut zusammenrafft.

„Ich habe nicht gebettelt. Ich hatte das Skalpell schon in der Hand.“ Beschämt senkt er den Kopf und starrt auf ihre ineinander verschlungenen Hände. Victor wartet geduldig, auch wenn es geschlagene zehn Sekunden dauert, bis sein Ninja wieder genug Courage zum Weitersprechen gefunden hat.

„Wir haben nie darüber geredet. Wir sind danach einfach zur Tagesordnung übergegangen. Mit ein paar kleinen Änderungen natürlich, was unsere Freundschaft betraf. Sie haben es zwar geschafft, Splinter diese kleine Begebenheit zu verschweigen, denn wenn er davon wüßte, wäre er noch schlimmer, von daher glaube ich nicht, daß er das weiß. Es geht ihn auch nichts an.“ Er holt einmal tief Luft und befreit seine rechte Hand aus Victors Griff, um sich damit müde durchs Gesicht zu fahren. Dann lässt er sie wieder sinken und platziert sie beinahe schüchtern auf Victors rechtem Knie. „Aber wir wissen es“, murmelt er dabei, so leise, daß Victor es nur mit Mühe verstehen kann. „Es ist unser kleines, schmutziges Geheimnis. Und jeder von uns fühlt sich deswegen schuldig.“

„Saki …“ Victor rutscht ganz nah an ihn heran und umarmt ihn tröstend. So verharren sie für einige kostbare Sekunden, bevor Victor ihn vorsichtig an den Schultern von sich schiebt und ihm prüfend ins Gesicht sieht.

„Saki … Cutie... Schatz, wie alt warst du zu dem Zeitpunkt? Also, deinen Körper meine ich.“

„Das waren meine beiden letzten Wachstumsschübe.“ Auch wenn Shredder nicht weiß, wohin diese Frage zielt, durch diese reine Abfrage von Fakten gewinnt er einen Teil seiner alten Selbstsicherheit zurück. „Ich war da in der Pubertät.“

Victor nickt nachdenklich.

„Also in der schwierigsten Phase, die ein Mensch auf dem Weg zum Erwachsenwerden durchmacht. Kein Wunder, dass es da zu einer Kurzschlußreaktion kam.“

Wieder senkt Shredder den Blick. Doch diesmal beißt er sich auch noch betreten auf die Unterlippe.„Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich eine Kurzschlußreaktion war. Und sie auch nicht.“

Victor ist weder so überrascht noch entsetzt wie er es sein sollte. Oh, ihm kommt das alles so bekannt vor!

„Nach dem Tod meiner Eltern“, beginnt er leise und diesmal ist es Shredder, der ihn alarmiert ansieht, „da dachte ich oft daran, aber erst später, als ich im Einsatz war … mit meiner Einheit … es gab Tage, da saß ich auf meiner Pritsche, meine Waffe in der Hand, bereit, sie mir in den Mund zu stecken.“

„Vic“, hört er Shredder leise aufkeuchen, und dann fühlt er, wie sich Shredders Finger besorgt in sein T-Shirt klammern, doch er redet ungerührt weiter. Auch er hat zu lange geschwiegen.

„Es waren nicht die Dinge, die ich sehen und tun musste, die mich fertig machten, sondern, dass das ganze so sinnlos war. Egal, wie viele Feinde wir ausschalteten, es änderte sich nichts. Die Welt war immer noch dasselbe, stinkende Drecksloch und das Leben eine unerträgliche Bitch.“

Shredder sieht ihn fragend an und streicht dabei sanft über seine Narbe, aber Victor schüttelt nur den Kopf.

„Nein, nein, das war ich nicht. Feindkontakt. Eine Geheimoperation in Südamerika. Dabei war ich nur der Fahrer, irgendein wichtiger Bonze von A nach B. Wir gerieten in einen Hinterhalt. Aber als ich da im Hospital lag und begriff, wie knapp das war, da verstand ich, dass ich eigentlich gar nicht sterben wollte. Ich wollte nur anders leben. Also quittierte ich den Dienst und sah mich nach etwas Neuem um. Das war ziemlich genau vor acht Jahren.“

Und jetzt … ist es nicht unglaublich, wo er jetzt in seinem Leben steht?

„Vor acht Jahren sprach auch die erste Ratte zu dir.“

Wow. Woran sich dieser Mann doch alles erinnert!

Um Victors Lippen zuckt ein kleines, amüsiertes Lächeln, als er den Mann vor sich einfach nur betrachtet. Sein Ninja. So wunderschön und klug und aufmerksam und zugleich so kompliziert und mit seelischen Narben, die seinen eigenen in nichts nachstehen. Er ist einfach nur perfekt.

Shredder betrachtet ihn nicht minder eindringlich und ihm gehen ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf.

„Und?“ erkundigt er sich dann zögernd bei Victor. „Denkst du manchmal noch daran?“

Victor schüttelt den Kopf.

„Und du?“

Auch Shredder schüttelt den Kopf, wenn auch etwas zögerlicher.

„Das kann ich ihnen nicht antun.“

Nun, das ist immerhin ein Anfang, und Victor hat die Lebensfreude gespürt, die da in seinem Ninja brennt. Manchmal braucht es nur ein bißchen Hoffnung und Liebe und die gibt er ihm doch gern. Und so lehnt sich Victor nach vorne, sucht Shredders Lippen und lädt seine Zunge zu einem zärtlichen Duell ein, während er ihn langsam, aber unnachgiebig auf die Matratze drängt.

Und es dauert gar nicht lange, da sind all diese dunklen Erinnerungen und Gedanken verschwunden, haben sich schlichtweg in Luft aufgelöst und Platz gemacht für etwas ganz anderes, etwas viel, viel Größeres.

Und als Victor Shredders T-Shirt immer höher und höher schiebt, um sich über diese köstliche, goldbraune Haut zu lecken und küssen, kommt ihm der Gedanke, daß es an der Zeit ist, sein Leben erneut zu ändern und zwar schneller als ursprünglich geplant.

Es gibt keinen Grund, zum Zögern.

 

 

Montag

Kapitel 44

Montag

 

Victor weiß, was er will und er war selten so entschlossen, das auch durchzuziehen. Ein besonnenerer Mann als er würde nicht so handeln, sondern erst jedes Für und Wider gründlich gegeneinander abwägen und ihn daran erinnern, dass ihm genau diese Art von Voreiligkeit nicht bekam, als er bei seinem Ex einzog. Dann würde Victor ihm entgegensetzen, dass es auch eine spontane Idee war, zur Army zu gehen und diese ein paar Jahre später zu verlassen und sich bei der Bank zu bewerben, bei der er dann immerhin sieben erfolgreiche Jahre gut und gerne gearbeitet hat. Und war es nicht auch eine spontane Eingebung, die ihm Shredder diesen Deal vorschlagen ließ? Eben.

Hat er sich das gut überlegt? - Nein.

Macht es ihn glücklich? - Ja.

Wird er von verschiedenen Seiten auf Widerstand treffen? - Bestimmt.

Fühlt es sich richtig an? - Ja, absolut.

„Überrenne ich dich?“ fragt er Shredder, während er auf dem Sofa am kleinen Couchtisch sitzt und seine Unterschrift unter seine Kündigung setzt, bevor er den Briefumschlag dann zuklebt. „Ist es zu viel? Zu schnell?“

Shredder kniet vor ihm auf höchst japanische Weise auf dem Teppich, schüttelt lächelnd den Kopf und pappt die Briefmarke aufs Kuvert.

„Nein“, erwidert er dann und strahlt ihn an, wird dann aber jedoch wieder ernst. „Ich habe ja gemerkt, dass dir, seit wir von unserem kleinen Urlaub zurück sind, etwas im Kopf herumgeht. Nur habe ich befürchtet, dass es etwas anderes ist. Dass du es dir anders überlegt hättest. Und ich wäre dir deswegen nicht mal böse gewesen. Das Technodrome liegt in einer anderen Dimension, das ist etwas ganz anderes, als würdest du nur in einen anderen Bundesstaat ziehen.“ Und als Victor ihm daraufhin nur einen vorwurfsvollen Blick zuwirft, hebt er schnell beschwichtigend die Hände. „Tut mir leid, so meinte ich das nicht. Ich zweifle nicht an dir. Und ein Rückzieher hätte doch auch nicht zwangsläufig bedeutet, dass wir uns trennen.“ An dieser Stelle hält Victor mitten in der nächsten Unterschrift inne und runzelt unwillig die Stirn.

„Ich bin verdammt froh über deine Entscheidung“, beeilt sich Shredder ihm zu versichern.

„Aber?" hakt Victor mit hochgezogener rechter Augenbraue nach.

„Aber? Es gibt kein aber!"

Doch unter Victors stahlblauem Blick gibt er sich schnell geschlagen. Er seufzt einmal schwer auf und schenkt ihm ein schiefes Lächeln.

„Ich weiß, dass ich eigentlich versuchen sollte, dir das auszureden und wahrscheinlich wartest du darauf, aber ich habe keine Lust, dich anzulügen. Ich bin ein furchtbarer Egoist, ich will dich bei mir haben und dafür sollte ich mich schämen, aber auch das tue ich nicht." Er lacht verlegen. „Ich glaube, die haben alle Recht. Ich bin ein böser Mann."

„Ich steh auf böse Männer." Victor rutscht von der Couch und umarmt ihn fest. Für ihn war das eben eine der schönsten Liebeserklärungen, die er je bekommen hat.

Shredder gibt nur ein Geräusch von sich, das wie ein unterdrücktes Auflachen klingt und vergräbt sein Gesicht an Victors Hals. Der schmunzelt unwillkürlich vor sich hin. Ja, natürlich. Das ist ja auch lustig, schließlich sind sie beide böse Jungs.

Nach ein paar kostbaren Sekunden, die er unendlich genießt, packt er ihn an den Schultern und schiebt ihn auf eine halbe Armlänge Abstand.

„Hey, Saki. Weißt du was?" Er hält inne, sieht ihm tief in die Augen und erklärt dann, jedes Wort deutlich betonend: „Ich. Liebe. Dich."

Er wartet gar nicht erst auf eine Antwort oder Einladung und nimmt Shredders Lippen schon in Beschlag, kaum dass er ausgesprochen hat. Der zögert auch nicht eine Sekunde und kommt ihm sofort entgegen, heißt Victors Zunge in seinem Mund mehr als willkommen. Begeistert schlingt er ihm die Arme um Schultern und Nacken und Victor tut es ihm gleich. Sie versinken in einem langen Kuss, der sanft und träumerisch beginnt und stürmisch endet.

Irgendwann findet sich Shredder auf dem Rücken liegend wieder, Victor über und auf ihm.

Mit ungebrochener Begeisterung, denn das wird auch nach fast zwei Wochen nicht langweilig, küssen sie einander atemlos, und als sie sich dann nach Luft schnappend doch voneinander trennen müssen, geht Victor sofort dazu über, Shredders Shirt so weit wie möglich nach oben zu schieben, um sich über dieses schöne, beeindruckende Sixpack zu küssen. Seine Zunge taucht kurz in Shredders Bauchnabel, was diesem ein zitterndes Glucksen entlockt – er ist dort kitzlig – um sich dann wieder nach oben zu diesem ausladenden Brustkorb und die verlockenden Brustwarzen hoch zu arbeiten.

Während sich Victor also über diesen muskulösen Oberkörper küsst, leckt und knabbert, sind seine Finger schon mit Knopf und Reißverschluß von Shredders dunkler Jeans beschäftigt.

Shredders Finger sind allerdings auch nicht gerade untätig.

Als sie dann beide nackt da liegen, gibt es einen kurzen Moment, in dem sie beide wie auf ein stummes Kommando hin innehalten, um sich tief in die Augen zu sehen, bevor sie wieder in einem leidenschaftlichen Kuss versinken, während auch der Rest ihrer Körper routiniert zusammenfindet.

 

 

 

Zum ersten Mal, seit er hier unten ist, kommt ihm die alte Subway-Station richtiggehend düster vor, beinahe unheimlich. Shredder schluckt einmal schwer und versucht, das leichte Zittern seiner Hände damit zu überspielen, indem er sie leicht zu Fäusten ballt.

Unwillkürlich rutscht er etwas näher an den neben ihm stehenden Rat King heran, ertappt sich dann dabei und rückt wieder ein paar Zentimeter zur Seite.

Der Rattenkönig steht breitbeinig vor seinem Thron, die Arme locker hinter dem Rücken verschränkt und nie trat seine militärische Vergangenheit deutlicher zu Tage als in dieser Haltung. Den Kopf erhoben, die Augen geschlossen, so konzentriert er sich darauf, seinem Volk die Neuigkeit beizubringen, dass er als ihr König abdankt und sie erstmal nicht mehr wieder sehen wird.

Shredder bezweifelt stark, dass das so einfach ablaufen wird wie Mrs Sawyer das Kündigungschreiben für die Souterrainwohnung in die Hand zu drücken. Sie hat ja noch den Zweitschlüssel und versprach, sich um alles zu kümmern, auch um den Verkauf der Einrichtung. Victor besitzt erstaunlich wenig, an dem er hängt und was er mitnehmen will, und das meiste davon sind Erinnerungsstücke von seinen Eltern oder aus seiner Army-Zeit.

Und Shredder kann sich auch nicht vorstellen, dass er hier so gnädig davon kommt wie bei der netten Hausmeisterin, denn die hat nur einen Blick auf ihn geworfen und Victor aus vollstem Herzen zu seiner Wahl gratuliert.

„Sie sehen jung aus“, meinte sie dann tatsächlich auch noch an Shredder direkt gewandt. „Aber ich kenne Victor gut genug, um zu wissen, dass er nicht auf Minderjährige steht. Er ist ein anständiger Mann. Und Ihre Augen verraten mir, dass Sie viel älter sind, als Sie aussehen. Passen Sie gut auf meinen Lieblingsnachbarn auf, okay, junger Mann? Weiß Gott, er hat es verdient.“

Und Shredder ist sich sicher, dass die Ratten ihn nicht zum Abschied umarmen werden wie diese Frau.

Es sind nur Tiere, aber auch Tiere können in ihren Gefühlen verletzt werden und Rattenbisse sind, wie er aus leidvoller Erfahrung weiß, sehr, sehr unangenehm. Um mögliche übertragene Krankheiten macht er sich da weniger Gedanken, gegen Tollwut ist er Krang sei Dank geimpft, aber er ist nicht unverwundbar. Auch bei ihm entzünden sich manchmal Wunden nach einer Infektion.

Krangs Krankenstation sollte jetzt zwar wieder voll funktionstüchtig sein, aber der Gedanke hat wenig Tröstliches. Er hasst Schmerzen.

Für einen kurzen Augenblick fährt ihm der Gedanke durch den Kopf, daß die Ratten so sauer werden könnten, dass sie sogar ihren König angreifen, aber dann schüttelt er nur innerlich den Kopf. Niemals. Rat King würde nie so ungeschützt hier stehen, wenn er seinem Volk nicht restlos vertrauen könnte.

Sinnend betrachtet Shredder den Mann neben sich. Die Gesichtsbandagen, der lange Ledermantel, die Lederkleidung darunter und die knöchelhohen Schnürstiefel – nie war er mehr Rat King als jetzt, in seinen letzten Minuten. Seine gerade, aufrechte Haltung, der klare, wache Blick seiner blauen Augen... oh.

Rat King hat seine Zwiesprache mit seinem Volk beendet und natürlich bemerkt, dass er angestarrt wurde. Shredder weiß nicht, ob es an den schlechten Lichtverhältnissen hier liegt oder an etwas anderem, dass er Rat Kings Miene plötzlich nicht mehr zu deuten vermag, aber ehe er gründlicher darüber nachdenken oder ihn gar fragen kann, kommt in die Ratten vor ihnen Bewegung.

Beinahe synchron setzen sie sich alle auf ihre Hinterläufe und starren ihn an.

Dutzende von Ratten. Hunderte! Er fühlt sich ... unbehaglich. Und das ist noch untertrieben. Er fühlt sich schuldig, und das zurecht, wie er weiß, schließlich nimmt er ihnen ihren König weg.

Gerade in dem Moment, wo er sich entschieden hat, sich bei ihnen zu entschuldigen - wie auch immer er das anstellen soll, aber so ein tiefer Kniefall wie ein Dogeza kann doch nie schaden und er wäre dann mit ihnen fast auf Augenhöhe – geschieht es.

Es beginnt mit seiner Sicht. Das Bild, das ihm seine Augen melden, wird plötzlich von einem anderen überlagert, und als er instinktiv die Augen schließt, ist dieses fremde Bild immer noch vorhanden. Er sieht … sich selbst und den Rattenkönig, aber aus der Frosch- … nein, der Rattenperspektive. Die Farben sind falsch und irgendwie ist alles verschwommen. Dafür steigt ihm plötzlich ein Geruch in die Nase, bei dem er den Eindruck hat, er würde dieses Bild vor seinen geschlossenen Augen vervollständigen. Und das, was er da riecht, ist ihm so fremd, dass er keinen Namen dafür findet. Aber er mag es. In seinen Ohren beginnt es zu rauschen und dann spürt und sieht er sich selbst schwanken, spürt und sieht Rat Kings stützenden Arm um seine Taille.

Noch während er versucht, diese Überflutung seiner Sinne irgendwie zu ordnen und zu verkraften, fühlt er so etwas wie eine warme, goldene Welle auf sich herabstürzen und einen ganzen Atemzug lang schwimmt er darin.

Und dann … nichts mehr.

Es ist so schnell vorbei, wie es begonnen hat.

Er findet sich in Rat Kings Armen wieder, leise schluchzend, das Gesicht gegen Rat Kings Schulter gepresst, die Finger haltsuchend in seinem Mantel verkrallt und am ganzen Körper zitternd.

Er spürt, wie ihm Rat Kings Fingers durchs Haar streichen, riecht dessen After Shave und allmählich beruhigt sich sein heftig klopfendes Herz wieder.

„Beim ersten Mal ist es immer überwältigend.“ Tröstend drückt Rat King ihn ganz fest an sich und wirft seinen Ratten dabei einen tadelnden Blick zu. Einige, nicht alle, aber allen voran Dora, scheinen nur frech zu grinsen.

Shredder fällt es erstaunlich leicht, das Erlebte zu interpretieren.

„Sie freuen sich für uns“, stellt er überrascht fest. „Und – sie wünschen uns … viele Nachkommen?

Rat King lacht einmal verlegen auf.

„Na ja, es sind Ratten.“

Shredder nickt nur und drückt sein Gesicht so fest an Rat Kings Schulter, bis ihm das Leder seines Mantels schmerzhaft gegen die Wange scheuert. Er ist so erleichtert, er könnte heulen vor Glück.

 

 

Rat King hat sich entschieden, aber das Herz wird ihm trotzdem schwer, als er und Shredder zusammen zurück in seine kleine Souterrainwohnung gehen. Er dreht sich nicht um, denn das würde ihm den Abschied nur noch schwerer machen. Auch wenn es kein Abschied für immer ist, er hat vor, so bald wie möglich zurück zu kehren und nach dem Rechten zu sehen, aber dann als Victor Falco und nicht als der Rattenkönig. Und er weiß nicht, wann das sein wird. Es kann schon übermorgen sein oder nächste Woche. Vielleicht aber auch erst in einem Jahr, das liegt nicht in seiner Macht.

Seine Stimmung ist gedrückt, als sie durch den Wanddurchbruch zurück in seine Wohnung klettern. Für einen Moment bleibt er stehen und starrt das Loch einfach nur an. Schmerzhaft wird ihm bewusst, dass sein Nachmieter dieses „Tor“ in sein Königreich verschließen wird ohne je zu wissen, was sich so Bedeutendes dahinter verbirgt. Und in diesem Moment wird es ihm erst so richtig bewusst.

Ich stehe an einem Scheideweg und ich habe mich für eine Richtung entschieden. Ich lasse mein gewohntes Leben zurück, um etwas gänzlich Neues zu beginnen. Schon wieder.

Langsam hebt er die rechte Hand, um sich von seinen Gesichtsbandagen zu befreien – das letzte Mal! - da spürt er warme, kräftige Finger, die sich um sein Handgelenk legen.

„Lass mich das machen.“ Shredders Stimme ist sanft.

Rat King zögert verdutzt, aber ein Blick in diese dunklen, verständnisvollen Augen und er lässt seine eigene Hand gehorsam sinken.

Doch anstatt sich um seine Maskierung zu kümmern, hilft ihm Shredder erst einmal aus dem schweren Ledermantel und hängt ihn ordentlich auf einem Bügel an die Garderobe. Seine Bewegungen sind ruhig und irgendwie würdevoll. Beinahe zeremoniell. Auf dieselbe Art streift er ihm die Bandagen vom Gesicht, rollt sie ordentlich zusammen und legt sie dann auf ihren Platz auf dem Wandregal ab.

Victor hat die ganze Zeit über stillgehalten, mit einem merkwürdigen Kloß in der Kehle und Schmetterlingen in seinem Bauch. Und als Shredder dann ganz dicht an ihn herantritt, mit diesem seltsamen Lächeln und ihn dann sanft ein paar verirrte rotblonde Haarsträhnen zurückstreicht, um ihm dann hauchzart über die rechte Wange zu streicheln, mit diesem Glanz in den Augen, als wäre er das kostbarste auf dieser Welt, da verschlägt es ihm glatt den Atem.

Shredder sagt nichts, er reckt sich ihm nur entgegen und versiegelt Victors Lippen mit einem Kuss, so zart und liebevoll, dass Victor zum ersten Mal seit Langem die Knie weich werden.

Es ist nicht irgend ein Kuss.

Er ist die Zukunft.

 

Dienstag I

Kapitel 45

Dienstag I

 

Victor ist noch nie durch eines dieser Dimensionsportale gegangen und vor allem das elektrische Aufflackern in allen möglichen Pinkschattierungen macht ihn skeptisch. Das sieht einfach nicht gesund aus. Aber Shredder ist das nicht mal ein Augenblinzeln wert, also will er sich mal nicht so zieren wie die Jungfrau vor ihrer Hochzeitsnacht.

Und so schultert er nur seinen alten Armeerucksack, nimmt den Trageriemen eines anderen Rucksacks und den seiner Reisetasche in die rechte Hand, während er in der Linken Shredders Bonsai balanciert und folgt dann seinem Ninja, der nicht weniger bepackt ist als er samt ofenfrischen Schoko-Kuchen in den Händen. Versprochen ist schließlich versprochen. Und weil sich Victor auch nicht lumpen lassen will, hat er seine besten Flaschen Wein und Champagner in seinem Rucksack – stoßsicher verpackt zwischen seinen Lieblingssweatshirts. Er kann sie trotzdem bei jedem Schritt klirren hören. Ihnen zuliebe hofft er nur, dass der Übergang sanft sein wird.

Es wäre gelogen, zu behaupten, er wäre nicht aufgeregt. Er hofft nur, dass Shredders kleine Ersatz-Familie keine allzu großen Einwände gegen seine längerfristige Anwesenheit hat, aber auch wenn – da muß er durch. Und sie auch. Er hat nicht vor, ihnen irgend eine Wahl zu lassen, denn dieser wunderbare Ninja gehört ihm.

„Komm.“ Shredder wirft ihm über die Schulter einen aufmunternden Blick zu. Victor nickt nur und tritt neben ihn. Sie wechseln noch einen Blick, dann machen sie gleichzeitig einen Schritt nach vorne und …

Wow. Es ist nicht anders, als würde man über eine Türschwelle treten. Warmes, weiches Licht schmeichelt seinen Augen, es ist angenehm und vermittelt ihm ein heimeliges Gefühl. Er hatte etwas grelleres, Weißeres erwartet, immerhin ist das hier eine Kampffestung. Fasziniert sieht er sich um. Sie stehen auf einer Art Metallplattform, von der zwei Stufen hinunter in etwas führen, was so eindeutig nach der Brücke eines Raumschiffes aussieht, daß es sich dabei nur um die Kommandozentrale handeln kann: Konsolen, Bildschirme und ein auffälliger Kommandosessel.

Vor der Plattform stehen Krang und die beiden Mutanten und erwarten sie schon. Während Krang im Bauchraum seines wohlbekannten Androiden steckt, kann Victor nicht umhin, Rocksteady und Bebop eines etwas längeren Blickes zu würdigen. Er kennt sie nur in ihrem Kampfoutfit, sie jetzt in Sweatern und ausgebeulten Cargohosen zu sehen, kommt etwas überraschend. Zumindest sind sie sich farblich treu geblieben, auch wenn Victor gestehen muß, dass ein zitronengelbes Sweatshirt mit einem Katzenaufdruck und ein knallroter Hoodie mit weißer Eule irgendwie gewöhnungsbedürftig, weil einfach nur zu niedlich, sind. So kann man die beiden trotz Hörnern (Rocksteady) und Hauern (Bebop) doch gar nicht richtig ernst nehmen.

Sie strahlen bis über beide Ohren, sobald sie Shredder sehen. Und dann geht plötzlich alles sehr schnell. Krang kommt noch nicht einmal dazu, das, was er eindeutig sagen will, loszuwerden, denn da stürmen die beiden Mutanten schon los. Einer nimmt Shredder den Kuchen ab und der andere reißt seine Hand vom Trageriemen seines Gepäcks, um ihn daran die Stufen hinunter zu zerren.

„Chefchen! Chefchen! Da bist du ja endlich!“

„Willkommen zurück, Boß!“

„Komm mit, komm mit, wir müssen dir etwas zeigen.“

Ihre Begeisterung ist niedlich. Victor verbeißt sich ein Schmunzeln, das aber schnell gefriert, als Rocksteady plötzlich zu ihm herumwirbelt.

„Ach, sei still, beschwer dich nicht!“ Unvermittelt sieht sich Victor einem grauen Zeigefinger gegenüber, der anklagend auf ihn zeigt, begleitet von wild blitzenden goldenen Augen. „Du hattest ihn zwei Wochen für dich. Jetzt sind wir dran.“

Victor, der noch gar nichts gesagt hat und das auch gar nicht vorhatte, blinzelt nur verdutzt und sieht mit zunehmender Erheiterung zu, wie die beiden Mutanten seinen Ninja schlichtweg entführen. Augenscheinlich viel zu überrumpelt, um sich zu wehren, lässt sich Shredder beinahe widerstandslos mitziehen. Erst als sich die große Tür zischend vor ihm öffnet, scheint er aus seiner Überraschung aufzuwachen, denn jetzt zögert er und wirft Victor einen entschuldigenden Blick zu.

Victor aber wirft ihm nur einen Luftkuß zu und winkt schmunzelnd.

Bebop und Rocksteady schenken Victor noch einen gerade mörderischen Blick und ziehen und stoßen ihr Chefchen dann mit vollem Körpereinsatz aus der Kommandozentrale, hinaus in den Gang.

Leise zischend schließt sich die Tür hinter ihnen.

Fassungslos starrt Krang auf die geschlossene Tür. Das ist … er ist von den beiden ja viel gewohnt, aber das ist ja wohl die größte Frechheit aller Zeiten! Krang spürt, wie eine Ader über seiner Großhirnrinde gefährlich zu pochen beginnt. Wie können diese beiden Vollhonks es wagen...

ein leises, glucksendes Geräusch lässt ihn zurück zur Plattform sehen. Dort steht Victor Falco, und er ist sichtlich bemüht, nicht in lautes Gelächter auszubrechen.

„Uh“, räuspert sich Krang, plötzlich eher verlegen als erzürnt, „das war so nicht geplant.“

Victor gibt noch einen letzten, erstickten Lacher von sich und starrt kopfschüttelnd auf Shredders zurückgelassenes Gepäck. Seine Hände sind schon voll, also schafft er erst einmal seinen eigenen Kram von der Plattform, stellt den Bonsai vorsichtig auf der Bedienungskonsole für das Portal ab und holt dann das restliche Gepäck herunter.

Krang denkt nicht daran, ihm zu helfen, aber er sieht ihm sehr interessiert dabei zu.

„Ziemlich viel Gepäck“, stellt er dann fest. „Habt ihr so viel eingekauft oder willst du hier einziehen?“

„Genau“, kommt es fröhlich zurück.

„Was?“ irritiert runzelt Krang mit der Stirn.

„Ich wohne ab heute hier.“

Krang starrt ihn eine ganze Weile einfach nur an. Nach ungefähr einer halben Minute blinzelt er mehrmals hart und will dann einfach nur wissen:

„Warum?“

„Weil ich ihn liebe.“

„Warum?“

Diesmal ist es an Victor, irritiert zu blinzeln. „Was?“

„Warum liebst du ihn?“ präzisiert Krang seine Frage völlig sachlich. Ihm ist nicht anzusehen, was er denkt, Stimme und Miene bleiben völlig ruhig, beinahe emotionslos. „Es war nur ein Deal. Was versprichst du dir jetzt davon?“

Victor hat nicht vor, über jedes Stöckchen der Provokation zu springen, das man ihm vorhält, schon gar nicht gegenüber einem Alien. Die Menschheit hat schon jetzt einen schlechten Ruf, es ist nicht sein Ziel, dieses Image noch weiter zu schädigen. Also schluckt er seinen Stolz herunter und spart sich das Kommentar, dass das alles schon längst kein Deal mehr ist und Krang das nach all den Fotos auch wissen sollte.

„Wie könnte ich ihn nicht lieben, Krang?“ entgegnet er daher nur und sieht dem körperlosen Gehirn dabei ehrlich und offen in die violetten Augen. „Oroku Saki ist ein fantastischer Mann.“

Wieder blinzelt Krang, dann platzt es aus ihm heraus:

„Du kannst nicht hierbleiben!“

Victor schmunzelt nur und beugt sich etwas hinab, bis sie fast auf Augenhöhe sind.

„Ich bleibe“, entgegnet er fest. „Täte ich das nicht, würde das unseren Saki-chan nämlich sehr, sehr traurig machen. Und das willst du doch bestimmt nicht, oder?“

Krangs Tentakel rollen sich zusammen und er verzieht den Mund zu etwas, was man bei einem Menschen als „Schmollmund“ bezeichnen würde – nur, daß es bei Krang aufgrund des einen und anderen spitzen Zahns immer noch gefährlich wirkt.

„Nenn ihn nicht Saki-chan. Das dürfen nur wir.“

„Gar kein Problem“, lächelt Victor zurück, während er sich wieder aufrichtet. „Ich habe sowieso meine eigenen Kosenamen für ihn.“

Aus Krangs Richtung kommt so etwas wie ein dumpfes Knurren, aber laut meint er nur etwas schnippisch.

„Na, dann willkommen im Technodrome, Victor Falco.“

 

 

Kurz hinter der Tür schaltet sich Shredders Verstand wieder ein. Er bleibt so abrupt stehen, daß ihm der hinter ihm laufende Bebop fast den Kuchen in den Rücken gerammt und ihm Rocksteady vor ihm fast den Arm ausgerissen hätte.

„Jungs“, erklärt er betont ruhig, während er Rocksteady sein Handgelenk entzieht. „Das eben war sehr unhöflich von euch.“

Das ist die Untertreibung des Jahres, aber er will sie nicht anbrüllen, auch, wenn sie es verdient hätten. Irgendwie schmeichelt es ihm, wie sehr sie sich über seine Rückkehr freuen. Besitzergreifend und übergriffig - anders kennt er sie gar nicht mehr seit er letztes Jahr in diesen vermaledeiten Tümpel fiel. Trotzdem können sie sich natürlich nicht alles erlauben.

Rocksteady und Bebop wissen genau, daß sie sich daneben benommen haben und Shredders strafende Blicke tun ihr Übriges dazu.

Während Bebop schon sofort betreten den Blick senkt, reckt Rocksteady im ersten Moment noch trotzig die Nase in die Höhe, bevor auch er zerknirscht den Blick abwendet.

„Tut uns leid.“

Rocksteady öffnet zwar sofort den Mund, um an Bebops gemurmelte Entschuldigung ein „aber“-Argument anzuhängen, überlegt er es sich dann aber nochmal und nickt nur bestätigend und mit einem schiefen Grinsen.

Doch Shredder bleibt unnachgiebig.

„Entschuldigt euch nicht bei mir, sondern bei Victor.“

Die beiden wechseln einen unsicheren Blick und zögern widerwillig.

Na, das kann ja was werden. In seinem Inneren seufzt Shredder einmal tief auf. Er wußte ja, daß es nicht einfach wird, wenn er ihnen Victor quasi vor die Nase setzt, aber er sieht auch nicht ein, wieso er sich von ihnen diesbezüglich irgendwie beeinflussen lassen sollte. Er hat nicht vor, auf ihre Launen mehr als nötig einzugehen.

Was aber nicht bedeutet, daß er jetzt nicht doch noch mal Gnade vor Recht ergehen lassen kann. Um des lieben Friedens Willen.

„Okay, wenn ihr mir versprecht, euch später bei ihm zu entschuldigen, könnt ihr mir jetzt zeigen, was ihr mir so unbedingt zeigen wolltet.“

Vielleicht ist er zu nachsichtig, aber der Anblick, wie sich ihre Mienen bei seinen Worten unwillkürlich aufhellen, ist es wert. Und immerhin sah Victor nicht aus, als würde er es ihnen übelnehmen – sogar ganz im Gegenteil. Hat er ihm nicht zugewunken? Na also.

Und daher lässt sich Shredder gutmütig von seinen Mutanten weiterziehen.

 

 

Eigentlich hatte es sich Victor schwieriger vorgestellt und mehr Widerstand von Krang erwartet, aber das Alien scheint seine Entscheidung zu respektieren. Mit einem gemurmelten „Ich zeig dir, wo du das Gepäck hinbringen kannst", führt er ihn sogar zu Shredders Quartier. Und nicht nur das - er hilft ihm sogar beim Tragen!

Der Gang, den er ihm vorauseilt, ist erstaunlich hell und freundlich und er riecht frisch renoviert. Victor ist beeindruckt. Er weiß ja von Shredder, dass das Technodrome weitgehend zerstört war, aber wenn er vom Zustand dessen, was er bisher gesehen hat - Kommandozentrale und diesen Gang - ausgehen kann, dann haben sie in den letzten beiden Wochen eine erstaunliche Arbeit geleistet. Selbst mit Reparaturrobtern ist das immer noch erstaunlich. Ob er einen dieser Roboter mal im Einsatz zu sehen bekommt? Er findet diese außerirdische Technologie einfach nur faszinierend.

Aber auch, wenn er in diesem Bereich wohl keine dieser Maschinen sehen wird, liefert ihm die Architektur dieses mobilen Gebäudes doch genug zum Staunen.

Da es sich beim Technodrome um eine kugelförmige Kampffestung handelt, beschreibt der Gang eine Kurve. Wie Speichen eines Rades führen gerade Gänge von ihm ab und in einen von diesen führt ihn Krang.

Victor bemerkt sehr schnell, dass hier der private Bereich beginnt, denn plötzlich hängen gerahmte Fotos an den Wänden. Unwillkürlich verlangsamt er seinen Schritt, um sie sich genauer anzusehen. Krang - denn wer sonst außer ihm - hat Sinn für Ästhetik bewiesen, denn jedes dieser Fotos ist perfekt ausgeleuchtet.

Langsam schreitet er sie ab.

Es handelt sich um Gruppenaufnahmen von immer gleicher Anordnung und doch sind alle gänzlich verschieden. Sie zeigen alle Krang, Bebop, Rocksteady und - Shredder.

Saki.

In verschiedenen Altersstufen. Vom Kleinkind zum Kind über einen Teenager bis hin zu einem jungen Erwachsenen.

Süß. Wirklich süß.

Victor hofft, dass es dazu auch ein Fotoalbum gibt, denn das würde er sich wirklich zu gerne ansehen.

„Beeindruckend", lobt Victor Krang. Er hält es für besser, nicht auch noch Sakis Niedlichkeit auf den Fotos extra zu erwähnen. Er weiß, er grinst auch so schon dümmlich genug. „Ich habe ja mitbekommen, dass du die Fotografie liebst, aber ich hätte nie gedacht, dass deine Fotos so professionell sind."

„Oh, du meinst, weil ich keine Finger und Hände habe?" kommt es spitz zurück.

„Nein", erwidert Victor völlig ernst. „Weil du ein Kriegsherr und Welteneroberer bist."

„Auch ein Kriegsherr und Welteneroberer braucht ein Hobby."

„Das ist zu professionell um nur Hobby genannt zu werden."

Krang starrt ihn für einen Moment einfach nur an. Dann räuspert er sich vernehmlich.

„Danke", meint er schließlich mit einem verlegenen Grinsen und setzt sich langsam wieder in Bewegung. Victor folgt ihm, vorbei an noch mehr Fotos. Schnappschüsse von den Mutanten und Shredder. Jesses. Krang ist ja ganz besessen von seiner kleinen Mannschaft - oder sollte er lieber sagen: Familie?

„Wir sind da", erklärt Krang plötzlich und bleibt vor einer Tür stehen, die sich nicht von der aller anderen hier unterscheidet. Sie misst drei mal zwei Meter und erscheint so massiv wie die Wände.

Victor zögert unsicher.

„Und du bist sicher, dass es okay ist, jetzt da einfach so reinzugehen?"

„Natürlich." Krang mustert ihn kühl. „Schließlich ist das hier ab sofort auch dein Quartier."

Victor mustert ihn zweifelnd, nickt dann aber.

Wäre dies sein Quartier, wäre er nicht begeistert, würde jemand es ungefragt betreten, selbst dann, wenn es sich dabei um seinen Ninja handeln würde. Nicht beim ersten Mal. Beträte jemand zum ersten Mal sein Zimmer, würde er ihn begleiten und ihm alles zeigen wollen.

Von daher hofft er nur, dass Shredder es ihm verzeiht, als er durch die Tür tritt.

Er vermeidet es auch, sich genauer in dem dahinterliegenden Quartier umzusehen.

Zuerst schlüpft er hastig aus seinen Schuhen, um wie der höfliche Mann, der er ist, auf Socken einzutreten. Das Gepäck schiebt er in die erstbeste Ecke, wo es nicht stört, um sich dann nach einem guten Platz für den Bonsai umzusehen. Der Schreibtisch bietet sich sofort an, auch, wenn er dafür erst fast den gesamten Raum durchqueren muss.

Victor versucht dennoch, sich nicht unnötig aufzuhalten, aber auch, sich nicht mehr als nötig umzusehen. Das ist nur leider leichter gesagt als getan, sowohl seine natürliche Neugier wie auch sein militärisches Training machen es ihm schwer. Von daher registriert er sehr wohl die gerahmten, japanischen Zeichnungen an den Wänden, die Regale mit den Büchern, die verschiedensten Hieb- und Stichwaffen an den Wänden, den breiten Futoni (oh, wie gemütlich der aussieht, sie werden viel Spaß dort haben!) und die Ecke mit den Tatami-Matten und der hölzernen Schlagpuppe. Der Schreibtisch selbst ist mindestens genauso aufgeräumt wie alles hier und es gibt viel Platz für den Mini-Baum neben der Holzschachtel mit den Farbtuben und der Holzschale mit den Rosshaarpinseln. Und dann liegt da noch dieses Notizbuch mit dem Seidenpapier-Cover. Irgend etwas sagt Victor, dass es sich dabei nicht um einen Terminkalender handelt.

Doch er widersteht seiner Neugier und wendet sich entschieden wieder ab.

Krang schiebt gerade „seinen" Teil der Gepäckstücke zu den Rucksäcken und Taschen, die schon dort liegen. Und wartet dann geduldig, bis sich Victor die Schuhe wieder übergestreift hat und dann an ihm vorbei das Quartier wieder verlässt, bevor er ihm folgt und sich die Tür wieder hinter ihnen schließt.

„Ich hoffe, in den Wandschränken ist noch genug Platz", meint das Alien dann mit einem breiten Grinsen.

Victor grinst zurück.

„Den meisten Platz in unseren Taschen nehmen sowieso eure Souvenirs ein."

Krang starrt ihn im ersten Moment nur verblüfft an, bevor ein Strahlen seine Miene erhellt.

„Oh, ihr habt uns was mitgebracht?" entfährt es ihm entzückt, bevor er sich seines Fauxpas bewusst wird und er sofort wieder ernst wird. „Na, genau das, was uns hier noch gefehlt hat: noch mehr Staubfänger."

Victor lächelt nur nachsichtig.

„Es ist dir doch recht, wenn du deine Geschenke später erhältst? Und da wir auch Bebop und Rocksteady ein paar Kleinigkeiten mitgebracht haben, denke ich, wäre es schön, euch allen gemeinsam eure Souvenirs zu überreichen."

„Oh, das ist ja wie Weihnachten." Krang versucht, zynisch zu klingen und doch wischt er sich verdächtig heftig am linken Augenwinkel herum.

Victor tut so, als hätte er es nicht bemerkt.

„Genug Zeit verschwendet", grummelt Krang und bedeutet ihm mit einer unwirschen Geste, ihm zu folgen. „Gehen wir zu den Vollidioten, bevor die uns alles wegfressen. Sie schmeißen eine kleine Willkommensparty in der Küche", erklärt er dann noch höflicherweise.

 

Dienstag II

Kapitel 46

Dienstag II

 

„Das ist echt total gut getroffen.“ Victor steht vor dem Kühlschrank und bewundert die dort mit Tesafilm aufgeklebte Tuschezeichnung.

„Ja, nicht wahr?“ So stolz, als wäre es ihr Verdienst, stehen die beiden Mutanten neben ihm.

Um Victors Mundwinkel zuckt es belustigt, doch er hält sich wohlweislich zurück. Er kann sie schließlich nur zu gut verstehen, schließlich sind dort sie verewigt. Sie und Krang und im Hintergrund das Technodrome und das ganze im Chibi-Stil.

Jesses. Sein Saki ist ein Künstler!

„Das war nicht meine Idee“, wehrt besagter Künstler mit knallroten Wangen ab. „Die haben mich quasi genötigt, das zu zeichnen.“

„Stimmt doch gar nicht!“ protestieren die beiden im Chor.

„Stimmt sehr wohl! Ihr gingt mir auf die Nerven, habt mich ständig bemuttert. Ich musste also dieses Bild malen, um euch den Spiegel vorzuhalten!“

„Er war so ein süßes Kind“, erklärt Bebop Victor mit einem geradezu melancholischen Lächeln. „Uns blieb gar nichts anderes übrig als ihn zu bemuttern.“

„Und ein bisschen hat's ihm ja auch gefallen“, fügt Rocksteady verschmitzt hinzu. Shredders mörderischen Blick lässt er mit einem Schulterzucken und einem breiten Grinsen einfach an sich abperlen.

Diesmal verbirgt Victor das belustigte Zucken um seine Mundwinkel nicht mehr. Diese ganze freundschaftliche Neckerei findet er einfach nur niedlich.

Shredder tut so, als habe er die Worte seiner Mutanten gar nicht gehört.

„Ich kann nicht fassen, dass es immer noch hier hängt“, beschwert er sich. „Tausendmal hab ich euch schon gesagt, ihr sollt es abnehmen.“

„Warum hast du es denn da dann überhaupt aufgehangen?“ mischt sich Krang da kühl ein.

Shredder öffnet schon den Mund, um etwas darauf zu entgegnen, doch dann begegnet er Victors amüsiertem Blick und schließt ihn wieder. Das Rot auf seinen Wangen breitet sich aus und dann vergräbt er das Gesicht in der rechten Hand.

„Ihr seid so peinlich“, ächzt er dabei.

Seine Art, die Schuld bei anderen zu suchen, weil er selbst nicht mehr weiß, wie er mit seiner Verlegenheit umgehen soll, hat etwas Rührendes. Es genügt jedenfalls, um wieder all diese Schmetterlinge in Victors Bauch aufzuwecken. Lächelnd legt Victor seine Arme um ihn und drückt ihn fest an sich.

„Mir gefällt es“, erklärt er dabei.

Shredder schnieft nur und drückt sein Gesicht gegen Victors Hals.

„Gibt es noch mehr davon?“ erkundigt sich Victor über seinen Haarschopf hinweg bei Rocksteady und Bebop.

Während Shredder sich als Antwort nur stärker an ihn schmiegt, zieht sich ein geradezu blendendes Strahlen über die Gesichter der beiden Mutanten.

„Einen ganzen Ordner voll haben wir! Ich hole es!“ mit diesen Worten stürzt Bebop davon.

Rocksteady nickt nur. Sein Blick ruht voller Stolz auf seinem Chefchen, und es ist das erste Mal, dass ihn der Austausch von Zärtlichkeiten zwischen diesem und Victor nicht zu stören scheint.

Aber Victor gibt sich da keinen Illusionen hin. Im Moment überwiegt ihr Stolz und er mag in ihren Augen zeitweilig Gnade gefunden haben, aber das wird nicht so bleiben. Sehr schnell werden sie ihn wieder mit ihren Blicken aufspießen.

Und Victor kann nicht behaupten, dass ihn das nicht amüsiert.

Er hat nicht erwartet, mit offenen Armen empfangen zu werden und nach Bebops und Rocksteadys Benehmen bei seiner Ankunft hat er ganz fest mit einem beinahe-Kriegszustand gerechnet. Stattdessen bieten sie ihm ein abwechslungsreiches Spektrum zwischen diesen beiden Extremen.

Sie sind nicht unhöflich, jedenfalls nicht offensichtlich, aber ihm ist klar, dass sie sich nur zurücknehmen, weil sie den Zorn ihres Chefchens fürchten. Shredder hat sie auch eindeutig dazu gezwungen, sich bei ihm für ihr Auftreten in der Kommandozentrale zu entschuldigen.

Aber Victor ist da weder nachtragend noch besonders pingelig. Immerhin verdirbt er ihnen allein durch seine Anwesenheit ihre Willkommensparty.

Sie schienen seine Anwesenheit tatsächlich erfolgreich ausgeblendet zu haben, so verdutzt, wie sie ihn anstarrten, als er in Krangs Begleitung hier in der Küche auftauchte. Dass Shredder ihn sofort so herzlich umarmte, als hätten sie sich jahrelang nicht mehr gesehen und ihm erst einen Kuss und dann ein gefülltes Sektglas in die Hand drückte, hat der ausgelassenen Stimmung der beiden auch einen ziemlichen Dämpfer verpasst.

Victor kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie sie wohl erst auf ihn reagieren werden, wenn sie begreifen, dass er ab sofort ebenfalls zur Technodrome-Mannschaft gehört. Das wird für sie bestimmt ein riesengroßer Schock.

Beinahe könnten sie einem leidtun.

Aber nur beinahe.

Sich wegen ihrer Befindlichkeiten jetzt zurück zu nehmen, fällt ihm im Traum nicht ein.

Er stand nie auf diese falsche Rücksichtnahme. Er hat sich immer für seine Liebsten verbogen, aber nie für deren Familie oder Freunde und er wird jetzt auch nicht damit anfangen. Mal ganz davon abgesehen, dass Shredder ihm das bestimmt übel nehmen würde. Er behandelt ihn ja auch nicht anders als sonst, sucht genauso oft Körperkontakt wie in den letzten zwei Wochen.

Und während Krang das nur mit einem amüsierten Grinsen, ab und an begleitet von spöttischen Kommentaren quittiert, machen Rocksteady und Bebop gar keinen Hehl aus ihrem Missfallen, und das ist Victor ehrlich gesagt auch viel lieber als geheuchelte Freundlichkeit.

Während er seinen Saki immer noch fest an sich drückt, der auch gar keine Anstalten macht, sich irgendwann aus dieser Umarmung zu befreien, lässt Victor seine Blicke über diese wirklich beeindruckende Küche schweifen. In all dem Trubel, unter all dem Kuchen und Sekt hatte er bisher noch gar nicht die Muße, sich hier richtig umzusehen. Schließlich wird er hier ja jetzt leben, da muss er schon wissen, ob er sich hier wohlfühlen kann.

Und - Jesses – wie er das werden kann!

Selbst unter all den kitschigen Lampions, Wimpeln und Girlanden, Luftschlangen und Luftballons, kann er die klaren Formen einer hochmodernen Kücheneinrichtung erkennen, während sich alle Schränke durch einen dezenten Landhausstil auszeichnen.

Die vorherrschenden Farben neben Chrom sind helles Ahornholz, und das gilt auch für den Esstisch und die vier Stühle – auch wenn man das unter der festlich gedeckten Tafel nicht sofort erkennt.

„Ja, die Küche ist auch frisch renoviert“, erklärt Krang, ganz so, als habe er Victors Gedanken gelesen. „Shredder, du Kretin, hast du das überhaupt schon bemerkt?“

„Hab ich“, murmelt dieser und nimmt dann nur sehr widerwillig seine Nase aus Victors Halsbeuge. Er wirft Krang einen anerkennenden Blick zu. „Ihr habt wirklich gute Arbeit geleistet. Das Technodrome ist fast nicht wieder zu erkennen.“

Selbstzufrieden verschränkt Krang seine Tentakel und mustert ihn leicht hochmütig, doch so ganz kann er sich nicht verstellen: in seinen Augen funkelt der Schalk.

„Es gibt trotzdem noch genug zu tun für dich. Bilde dir nicht ein, dass du hier jetzt auf der faulen Haut liegen kannst.“

„Ich helfe gerne mit“, bietet sich Victor an, bevor Shredder darauf etwas erwidern kann.

Krang mustert ihn mit neu erwachtem Interesse, aber bevor sie das Thema vertiefen können, stößt Bebop wieder zu ihnen, in der Hand eine Sammelmappe und mit einem breiten, stolzen Grinsen im Gesicht.

 

 

Victor bezweifelt stark, dass es eine gute Idee ist, ihnen das jetzt zu sagen.

Es ist schon ziemlich spät, sie sind alle nicht mehr ganz nüchtern – außer Krang natürlich – und es ist keine fünf Minuten her, da sind sie alle in Verzückung über ihre Souvenirs geraten. Sie sind sogar so weit gegangen, dass jeder von ihnen eines dieser Team-Tentakel-Sweatshirts samt dazu passendem Cap trägt.

Kurzum: die Stimmung ist ziemlich ausgelassen und seit kurzer Zeit scheinen Rocksteady und Bebop sogar vergessen zu haben, dass sie Victor eigentlich nicht leiden können.

Aber Shredder hat Recht: sie sollten nicht länger warten, das würde sie am Ende nur wirklich zornig machen.

Victor muss trotzdem einmal hart schlucken, als er Shredders kurze, knappe Ankündigung hört. Dass er ihm dabei besitzergreifend einen Arm um die Schultern legt und seine Mutanten herausfordernd anfunkelt, ist da nur ein schwacher Trost.

Rocksteadys und Bebops Protest lässt auch nicht lange auf sich warten.

Waaaas? Das soll doch wohl ein Witz sein!“

„Niemals! Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

„Natürlich ist das mein Ernst“, gibt Shredder in scharfem Tonfall zurück. „Victor bleibt bei uns. Darüber diskutiere ich nicht.“

Die beiden Mutanten starren ihn für einen Moment einfach nur geschockt an.

„Krang...“ wendet sich dann Rocksteady hilfesuchend an das Alien, doch Krang, der - bequem in sein neues Kissen gelehnt - das ganze interessiert beobachtet hat, funkelt ihn nur aus violetten Augen an.

„Ich werde Shredder nicht unglücklich machen, indem ich Victor wegschicke“, erklärt er entschieden. „Und ihr auch nicht, verstanden?“

Das sitzt.

Die beiden starren erst ihn, dann Shredder mit großen Augen an. Schließlich senken sie kleinlaut den Blick und schütteln den Kopf.

Victors Augenbrauen zucken kurz in die Höhe. Das war eben sehr unfair von Krang, entbehrt aber auch nicht einer gewissen Ironie, wenn man bedenkt, dass es genau dasselbe Argument ist, wie es Victor vor einigen Stunden gegenüber Krang benutzt hat.

Shredder, von Victor natürlich dahingehend schon längst informiert, gibt nur ein leises Glucksen von sich und lehnt sich bequem an Victors Seite.

„Du musst ihn beeindruckt haben“, flüstert er ihm dabei ins Ohr. „Krang klaut nur gute Argumente.“

„Das ist ja auch ein gutes Argument“, gibt Victor ebenso leise zurück und nutzt die Gelegenheit, ihm einen zärtlichen Kuss auf die Schläfe zu drücken. „Das ist die Wahrheit immer.“

Ein glühender Blick aus dunklen Augen trifft ihn und ehe er es sich versieht, ist da eine Hand auf seinem Hinterkopf und streichelt sich durch seine rotblonden Haare, während weiche Lippen seinen Mund verschließen und eine Zunge gierig nach seiner sucht.

Binnen Sekunden hat Victor vergessen, wo er sich befindet.

Sein ganzes Sein konzentriert sich nur noch auf den Mann in seinen Armen, seinen Duft, seinen Geschmack und seine Wärme. Wie von selbst landen seine Hände auf Shredders Hintern und drücken ihn eng an sich und was er da spürt, lässt sein gesamtes Blut südwärts rauschen. Sein Gehirn ist plötzlich so blutleer, dass ihm richtig schwindlig wird.

„Hey!“ Eine laute Stimme, begleitet von einem Tentakel, der ihn nachdrücklich am Team-Tentakel-Sweatshirt zupft, reißt ihn aus seinem geistigen Wohlfühl-Nirwana. „Hebt euch das fürs Schlafzimmer auf.“

Nur sehr unwillig trennt sich Victor von Shredders köstlichen Lippen. Der seinerseits will ihn noch viel weniger loslassen und schenkt Krang einen seiner mörderischsten Blicke. Er öffnet schon den Mund, um ihm etwas Entsprechendes entgegenzuschleudern, aber dann sieht er die peinlich berührten und leicht angefressenen Mienen seiner Mutanten und belässt es doch nur bei diesem Blick.

Victor lockert seinen Griff um ihn, doch Shredder nutzt die Gelegenheit nicht, um aus seinen Armen zu fliehen, sondern nur, um sich etwas zu drehen, so dass er jetzt vor Victor steht. In einer provozierenden, besitzergreifenden und zugleich auf Victor beruhigende Art und Weise, verschränkt er seine Hände mit Victors und platziert sie auf seinem Bauch, während er sich gleichzeitig mit den Rücken an ihn lehnt.

Bebops und Rocksteadys Mienen verdüstern sich zusehends und auch Krang runzelt leicht die Stirn.

„Das hier ist mein Technodrome“, stellt das körperlose Gehirn mit schneidender Stimme klar. „Hier gelten meine Regeln. Und für euch gilt dasselbe wie für Rocksteady und Bebop: diese Art der Knutscherei gehört wie jegliche Popperei in euer Schlafzimmer. Das hier ist eine anständige Kampffestung. So etwas will ich hier nicht sehen. Schon gar nicht in der Küche, ist das klar?“

Sonnenklar. Und absolut nachvollziehbar. Victor nickt sofort.

Nur Shredder wirft Krang einen herausfordernden Blick zu.

„Ich werde mich bemühen“, grinst er frech.

Mit Victor im Rücken fühlt er eine ganz neue Art des Selbstbewusstseins in sich aufsteigen. Aber Krangs warnender Blick und die indignierten Mienen seiner Mutanten lassen ihn schnell wieder einlenken:

„Verstanden, Sauereien nur noch hinter verschlossenen Türen.“

Das ist nicht ganz das, was Krang meinte, aber er lässt es ihm durchgehen.

Ausnahmsweise.

Also schnalzt das Alien nur noch einmal tadelnd mit der Zunge und widmet sich dann wieder seinem köstlichen Stück von jenem Kuchen, den Shredder ihnen mitgebracht hat.

Für den Moment ist er ist zufrieden.

Victor Falco scheint seine Autorität nicht anzuzweifeln und vor allem – so stürmisch, wie sich Shredder in diesen Kuss gestürzt hat, sah er sehr glücklich aus.

 

Dienstagnacht

 

Kapitel 47

Dienstagnacht

 

Victor ist heilfroh, als sich die Tür öffnet und sich dahinter Shredders Quartier offenbart. Dieses Technodrome ist gewaltig, geradezu riesig.

Ihm tun die Füße weh.

Welcher Idiot kam auf die Idee, diese feucht-fröhliche Feier für eine Besichtigungstour durch die gesamte Kampffestung zu tauschen?

Ach ja, genau, das war ja er. Er und sein lästiges, militärisches Training, das ihn zwingt, neue Umgebungen zuerst gründlich abzuchecken. Als ob er sich ohne Plan schon nach einer Führung hier zurechtfinden könnte.

Völlig unmöglich!

Die meisten Dinge befinden sich hier nicht einmal an ihrem logischen Platz – was, wenn man bedenkt, wie oft diese Kampffestung schon zerschossen, zerbombt und von Gravitationskräften auseinander gerissen wurde, eigentlich auch kein Wunder ist. Das gesamte Ding gehört in eine anständige Werft. Oder Werkstatt. Oder wie auch immer man das bei einer rollenden, außerirdischen Kampffestung auch nennt. Das hat Krang selbst zugegeben.

Obwohl der innere Kern, wo die Kommandozentrale, die Quartiere, die Labore und der Hauptmaschinenraum liegen, inzwischen wieder völlig intakt ist, liegt in den äußeren Sektionen noch vieles im Argen. Die Roboter geben sich Mühe, aber hier ist auch Manpower gefragt.

Es mag seltsam erscheinen, aber Victor freut sich darauf.

Er will sich einbringen. Er will sich nützlich machen.

Er will mit Shredder Seite an Seite arbeiten.

„Seid ihr jetzt erst von eurer Tour zurück?“

Schräg gegenüber, auf der anderen Seite des Ganges, hat sich eine Tür geöffnet und nun stehen Bebop und Rocksteady im Türrahmen und mustern sie skeptisch. Anders als er und Shredder tragen sie nicht mehr ihre Team-Tentakel-Sweatshirts, sondern haben sich schon bettfertig gemacht und stehen in T-Shirt und Jogginghose vor ihnen.

„Ja“, erwidert Shredder gut gelaunt. „Krang wollte ihm unbedingt alles zeigen.“

Die beiden nicken nur.

Und dann entsteht ein langes, ziemlich unangenehmes Schweigen, während dessen sich Victor von ihren Blicken regelrecht aufgespießt fühlt. Die zwei sind nicht mehr nüchtern, sie waren es schon nicht mehr, als sie sie zurückgelassen haben und zu dieser Besichtigungstour aufgebrochen sind, aber seitdem haben sie wohl noch ein paar Gläser mehr gekippt. So, wie sich aneinander und den Türrahmen lehnen, sind sie eindeutig reif fürs Bett. Und doch haben sie offensichtlich auf sie – besser gesagt auf Shredder – gewartet.

„Gute Nacht“, verabschiedet sich Shredder freundlich, aber bestimmt von ihnen, während er durch die Tür in sein Quartier tritt und Victor am Handgelenk mit sich zieht. Dieser hat gerade noch Zeit, ebenfalls einen Gruß zu murmeln, bevor sich die Tür hinter ihm schließt.

„War das nicht etwas schroff?“ will er vorwurfsvoll wissen, während er aus seinen Schuhen schlüpft. Irgendwie tun ihm die beiden Mutanten plötzlich leid.

„Sie sind Kontrollfreaks“, schnaubt Shredder nur, zieht sich die Schuhe aus und tapst dann auf Socken zu seinem Bett.

„Meine Füße“, stöhnt er, als er sich auf die Matratze setzt. „Himmel, ich vergesse immer wieder, wie riesig dieses kugelförmige Monstrum doch ist.“

Lächelnd setzt sich Victor zu ihm. Seine Füße schmerzen auch, aber es macht ihm viel mehr Spaß, Shredders Füße zu massieren. Mal ganz davon abgesehen, wie gerne er Shredder so vor sich liegen sieht. Darüber sind seine eigenen Wehwehchen schnell vergessen.

Ein paar Minuten lang liegt Shredder tatsächlich einfach nur so da, einen Unterarm über den Augen als Schutz vor dem Licht und lässt sich von Victor die Fußsohlen massieren. Irgendwann nimmt er den Arm herunter und blinzelt eulenhaft nach oben.

„Es ist so hell“, murmelt er dabei. „Das letzte Mal gab es kein Licht und die Luft war regelrecht eklig. Und jetzt … das ist total ungewohnt. Ich meine, so hell war es hier noch nie.“

Victor gibt nur ein zustimmendes Brummen von sich, lässt Shredders linken Fuß los und macht mit dem anderen weiter. Er findet es nicht besonders hell hier – die Neonleuchten in seinem Büro waren weitaus schlimmer. Und diese indirekte Beleuchtung, die direkt aus den Wänden kommt, gefällt ihm sogar irgendwie.

„Sag mal“, beginnt er schließlich vorsichtig, „Bebop und Rocksteady sind doch ein Paar, oder?“

„Ja. Seit drei Jahren schon. Warum?“

Victor schenkt ihm ein Lächeln, das dem von Krang in nichts nachsteht. Nur, dass der Schauder, der Shredder bei diesem Anblick über den Rücken läuft, hier eine eindeutig sexuelle Komponente besitzt.

„So muss ich mir keine Sorgen machen, ob sie eifersüchtig sind oder so. Ich komme besser mit überfürsorglichen Angehörigen zurecht als mit Konkurrenten.“

Shredder starrt ihn einen Moment lang einfach nur fassungslos an.

„Urk“, meint er dann mit einem übertriebenen Schaudern. „Niemals. So habe ich sie nie gesehen und sie mich hoffentlich auch nicht.“

Victors merkwürdiges Lächeln vertieft sich nur. Er lässt Shredders Fuß in Frieden und macht sich dann daran, sich den Sweater über den Kopf zu ziehen.

Um Shredders Lippen spielt ein erwartungsvolles Grinsen, als er sich aufsetzt, um sich ebenfalls auszuziehen. Doch zu seiner großen Überraschung fällt ihm Victor kopfschüttelnd in den Arm.

Das heute ist sein erster Tag hier.

Seine erste Nacht.

Zum ersten Mal in Shredders Quartier, zum ersten Mal in diesem Bett.

Victor will, dass es etwas besonderes wird.

Es erstes Mal, woran sich Shredder immer erinnern soll.

Er hat vor, aus den nächsten Stunden genau so eine Zeremonie zu machen wie bei ihrem allerersten Mal. Er findet das nur angemessen.

„Ich möchte, dass wir uns Zeit nehmen“, erklärt er daher, während er Shredders Hände sanft beiseiteschiebt und sich dann selbst daran macht, seinen Ninja von seinem Oberteil zu befreien.

Shredder nickt nur, ganz gefangen von dem intensiven Glühen in diesen blauen Augen. Widerstandslos überlässt er Victor die Führung. Vorfreude erfüllt ihn und wandelt sich schnell in heiße Begierde, als Victor ihm eine Hand aufs Knie legt und sie dann langsam über seinen Oberschenkel nach oben wandert. Sein Blick lässt ihn dabei keine Sekunde los, bannt ihn regelrecht an Ort und Stelle.

Und als sich Victor dann zu ihm nach vorne lehnt, um ihm ein „Ich liebe dich“ entgegen zu hauchen und dann zu küssen, hört sich Shredder noch selbst ein „ich dich auch“ murmeln, bevor er in Victors Geschmack, seiner Nähe und seiner Liebe für lange, lange Zeit einfach nur ertrinkt.

 

 

„Victor!“

Ein Röcheln, ein Schrei, irgend etwas dazwischen und dann liegt Shredder zitternd und atemlos unter ihm, total verausgabt und erschöpft. Das wunderschöne Bild eines Mannes, den Victor selbst dann an die Grenzen seiner Kräfte getrieben hat, wenn besagter Mann in der passiven Rolle war. Victor selbst geht es nicht sehr viel anders, er kam so heftig, dass sich sein Kopf immer noch ganz leer anfühlt.

Leise aufstöhnend vergräbt Victor sein Gesicht an Shredders Hals, atmet seinen Duft, vermischt mit Schweiß, tief ein, spürt seine warme, feuchte Haut und das schnelle Pulsieren seiner Schlagader unter seinen Lippen, genießt das Gefühl seiner Wärme und ihrer immer noch vorhandenen, physischen Verbindung. Ausgelaugt bis auf den letzten Tropfen, so fühlt er sich. Aber vor allem satt und unwahrscheinlich befriedigt.

Victor liebt es, wenn sein Partner derart in Ekstase gerät, dass er die Kontrolle verliert, wenn er alles andere um sich herum vergisst, so vollständig in seinem Verlangen nach ihm gefangen ist. Wenn er Shredder so weit treibt, dann weiß er – er hat alles richtig gemacht.

Er umklammert ihn ganz fest, dreht sich dann auf die Seite und zieht Shredder fest in seine Arme, bemüht, keinen Zentimeter dieses kostbaren Körperkontaktes aufzugeben.

Es dauert lange, sehr lange, bis sich Shredders Atmung wieder normalisiert und er sich zu regen beginnt.

„Habe ich geschrien?“ murmelt er dann matt gegen Victors Schulter. „Habe ich? Wirklich? Himmel, was ist, wenn sie das gehört haben? Lass sie das nicht gehört haben, bitte.“ Er seufzt und jammert wie ein kleines Kind.

Victor kann sich ein kleines Lachen nicht verkneifen. Oh, er hofft, dass sie es gehört haben, aber das behält er lieber für sich.

„Sind die Wände nicht schalldicht?“ fragt er stattdessen.

„Nur zum Teil“, nuschelt Shredder und drückt sich so fest an ihn, als wolle er vor Scham in ihm verschwinden.

Victor sagt nichts, er hält ihn nur fest und streichelt beruhigend seinen Rücken. Er denkt an Mrs Sawyer und ihren ungebetenen Überraschungsbesuch in einer ähnlichen Situation und plötzlich hofft er, dass sie Shredders Schrei doch nicht gehört haben.

Sicherheitshalber angelt er schon mal nach der Decke und wickelt sie beide darin ein. So liegen sie eine Weile, eng aneinander geschmiegt, warm und zufrieden, bis sich ihre Körper wieder beruhigt und ihre Gehirne wieder in Normalbetrieb geschaltet haben.

„Gehen wir duschen? Nein, besser noch baden?“ schlägt Shredder schließlich leise vor und seiner Stimme ist das Bedauern anzuhören.

Victor nickt nur.

Es fällt ihnen unheimlich schwer, sich voneinander zu lösen, aber irgendwann schaffen sie es doch. Schnell werfen sie sich Bademäntel über und schicken sich dann an, mit großen Handtüchern bewaffnet, den Raum zu verlassen. Auch wenn zu Shredders Quartier ein kleines Badezimmer gehört, das richtige, das große, das mit der Wanne und das diese Bezeichnung auch verdient, liegt genau gegenüber. Dafür müssen sie nur drei Schritte über den Gang.

Als sie die Schwelle ihres Quartiers übertreten, sehen und hören sie gerade noch, wie sich die Tür zum Raum der Mutanten wieder schließt.

Die beiden Männer wechseln einen irritierten Blick.

Haben die beiden etwa an der Tür gelauscht?

Doch dann entscheiden sie, dass sie besseres zu tun haben, als da jetzt nach zu haken.

Trotzdem – sie verriegeln die Badezimmertür hinter sich, so gut es geht.

Vorsichtshalber.

 

 

„Dieses Badezimmer grenzt genau an ihr Quartier“, erklärt Shredder mit einem seltsamen Unterton in der Stimme, als sie schließlich in der großen Wanne sitzen und er seine anfängliche Scheu überwunden hat – er fühlt sich so verschwenderisch, wenn man bedenkt, dass sie im Technodrome vor zwei Wochen nicht einmal richtig fließendes Wasser hatten.

Doch jetzt haben sie nicht nur Wasser, sondern auch heißes Wasser. Und es scheint, als wäre da ein Felsbrocken, von dem er bisher gar nicht wusste, dass er existierte, von seiner Brust gefallen. Er fühlt sich geradezu ... übermütig.

Bereit zu noch mehr Schandtaten.

„Und hinter dieser Wand“, vielsagend klopft er dagegen, „steht zwar ein Schrank, aber wenn wir nicht ganz so leise sind, können sie uns bestimmt trotzdem hören. Sie haben einen verdammt guten Gehörsinn.“

Victor starrt ihn einen Moment lang einfach nur an, ganz verzaubert von diesem verschlagenen Lächeln, das sich langsam um diese küssenswerten Lippen bildet.

„Bist du dir wirklich sicher?“ gibt er rein der Form halber zu bedenken. „Nur, weil du sie ärgern willst?“

„Und was war das in der Bar?“ herausfordernd funkelt Shredder ihn an.

„Ich meine ja nur...“ Mit einem unheilvollen Lächeln lehnt sich Victor zu ihm nach vorne, bis sie beide den Atem des anderen auf ihrer nassen Haut spüren können.

„Ich weiß nicht, ob ich mich zurückhalten kann. Oder will.“

Er nimmt Shredders Hand und führt sie tiefer, unter Schaum und Wasser, in seinen Schoß. Shredder grinst nur und packt beherzt zu. Genau so, wie Victor es am liebsten mag.

„Stöhn für mich, Victor-Darling“, fordert er ihn dabei mit dieser kehligen, absolut sündigen Stimme auf, wie sie Victor nur in den seltensten und deshalb besonders kostbaren Momenten zu hören bekommt.

Victor, eben noch völlig auf Dominanz gepolt, erkennt die Vorzeichen und als Shredder die letzten Zentimeter Abstand zwischen ihren Gesichtern überbrückt und seine Lippen auf Victors presst, dessen Zunge sofort zu einem leidenschaftlichen Duelle herausfordert, gibt Victor sehr schnell sehr klein bei.

Und es dauert auch nicht lange, da erfüllt er Shredders Wunsch (oder Befehl?) und stöhnt und ächzt und wimmert sich begeistert die Seele aus dem Leib.

Mittwoch

 

Kapitel 48

Mittwoch

 

„Bis gleich.“

Mit einem letzten süßen Kuß verabschiedet sich Victor von seinem Ninja, zupft zum Abschied nochmal an der Kordel von dessen grauem Hoodie und versucht sich in einem Lächeln.

„Du findest den Weg?“ erkundigt sich Shredder besorgt.

Seine Stimme und seine Miene spiegeln genau das wieder, was Victor fühlt: Bedauern. Das Bedauern, sich jetzt trennen zu müssen. Aber wenn Krang nach Shredder ruft und zwar ausdrücklich nur nach ihm, dann müssen sie sich eben fügen.

Und so trennen sie sich an der Wegkreuzung und während Shredder zur Kommandozentrale eilt, geht Victor Richtung Küche.

Den Weg zu finden ist wirklich leicht. Er muss nur den gerahmten Fotografien an den Wänden folgen. Es ist eigentlich ganz einfach: die Aufnahmen der Crew, der Familie, führen in die Privatquartiere und die mit den skurrilen Landschaftsaufnahmen der DimensionX in die Küche.

Victor ist ein alter Science-Fiction-Fan und viele dieser Fotos ähneln Illustrationen fremder Orte, wie sie oft in den entsprechenden Magazinen zu bewundern sind, und jetzt kann er es kaum erwarten, das alles in Natura zu sehen.

Ob es hier Tiere gibt, die mit ihm in mentalen Kontakt treten wollen? Das wäre doch interessant herauszufinden.

Ein leichter Schmerz im rechten Oberschenkel lenkt seine Gedanken auf andere Wege, fort von der Zukunft, zurück in die Vergangenheit, genauer gesagt: den letzten Abend. Und wenn er schon dabei ist, auch die letzte Nacht. Er hat mal wieder einen zusätzlichen blauen Fleck davon getragen. Der Wannenrand war doch etwas zu hart, um sich ungestraft dagegen vögeln zu lassen.

Jesses. Was hat sie diese Nacht eigentlich geritten? (Außer sie sich gegenseitig natürlich.)

So viel Sex.

So viel Spaß.

So absolut hemmungslos und gierig aufeinander...

Krang wird ihnen doch wohl nicht etwas in die Frischluft gemischt haben?

Über diesen Gedanken amüsiert, schüttelt Victor den Kopf. Denn mal ehrlich – auch wenn, wäre es ihm herzlich egal. Anstatt auf Drogen tippt er allerdings eher auf die Erleichterung zu wissen, dass sie jetzt unumstößlich zusammenbleiben werden und - ganz, ganz viel Liebe.

Oh, und ein kleines bißchen süchtig sind sie auch nacheinander. Ein typischer Fall von einem von Glückshormonen überschwemmten Gehirn, wie es bei allen hoffnungslos Verliebten auftritt.

Möge es auf ewig so bleiben.

Die Küche ist leer und sauber, nur ein paar Flaschen stehen noch herum und erinnern an die gestrige Party. Bei diesem Anblick fällt Victor ein, dass er ja auch noch ein paar Spirituosen hat, die wohl dringend mal in einen gekühlten Raum gehören.

Er setzt es gedanklich auf seine To-Do-Liste.

Auf der Suche nach Eßbarem stößt er auf eine ganze Kiste mit Fertig-Pfannkuchenteig. Pfannkuchen zum Frühstück? Warum nicht? Nach dieser Nacht hat er einen Bärenhunger und Shredders Magen hatte vorhin auch sehr laut geknurrt.

Keine Minute später hantiert er mit Pulver, Milch und einer Pfanne am Herd. Es dauert auch nicht lange, da strömt der Duft frischer Pfannkuchen durch die kleine Küche.

Irgendwann, zwei Pfannkuchen sind schon fertig und kühlen auf einem Teller aus, hört er die Schritte von zwei näherkommenden Personen. Zu schwer für seinen Ninja, also tippt er auf die beiden Mutanten.

„Chefchen?“

Und da stolpern sie auch schon ganz aufgeregt herein, stocken aber sofort, als sie ihn erkennen.

„Nein“, erwidert Victor fröhlich und versucht, nicht zu lachen. Sie sind süß, sie tragen doch tatsächlich diese Team-Tentakel-Sweatshirts. Jetzt bereut es Victor, nicht auch daran gedacht und sich einfach nur in seinen alten Army-Hoodie geworfen zu haben.

„Guten Morgen, ihr beiden. Setzt euch doch, ich mache gerade Pfannkuchen.“

Die beiden starren ihn nur mißmutig an.

„Saki ist bei Krang“, kommt Victor ihrer Frage zuvor und erntet sofort giftige Blicke, weil er ihren Boss so vertraulich beim Vornamen nennt.

Jesses. Da könnte man ja fast schon von unversöhnlicher Abneigung ihm gegenüber sprechen, und dabei waren sie gestern doch schon auf einem so guten Weg.

Vielleicht – aber nur vielleicht – hätten sie doch ein klein wenig rücksichtsvoller sein sollen? Die beiden sehen nämlich nicht so aus, als hätten sie sehr viel mehr geschlafen als er und Shredder. Wenn auch höchstwahrscheinlich aus ganz anderen Gründen.

Plötzlich gibt Bebop einen Grunzlaut von sich, stapft zum Vorratsschrank und holt ein Marmeladenglas heraus.

„Chefchen mag Erdbeeren“, erklärt er dabei, während er damit zum Eßtisch hinübergeht und sich dort auf einen der Stühle fallen lässt.

Rocksteady steht inzwischen drei Schritte neben ihm und hantiert an der Kaffeemaschine herum. Wobei er Victor regelrechte Löcher in die Seite starrt.

Jesses. Die beiden sind wirklich angepisst, oder?

„Ich weiß“, grinst Victor nachsichtig.

Er hätte zwar Ahornsirup zu Pfannkuchen vorgeschlagen, aber Erdbeermarmelade geht natürlich auch. Er selbst zieht eher Puderzucker vor, und die Mutanten auch, wie er keine fünf Minuten später feststellen kann, als sie gemeinsam bei Kaffee und frischen Pfannkuchen am Tisch sitzen.

Shredder ist noch nicht zurück, aber da keiner von ihnen sagen kann, wie lange Krang ihn in Beschlag nimmt, fangen sie schon mal ohne ihn an zu essen.

Am Tisch herrscht eine merkwürdige Stimmung.

Anfangs versucht Victor noch, höflichen Smalltalk zu betreiben, doch er gibt es schnell wieder auf. Die beiden sind weniger an einem Gespräch interessiert als daran, ihn mit ihren Blicken förmlich aufzuspießen.

„Benutzt ihr wenigstens ein Kondom?“ kommt es plötzlich wie aus dem Nichts von Rocksteady.

„Was?“ Victor fällt bei dieser Frage fast vom Stuhl, auf alle Fälle aber rutscht ihm die Gabel zurück auf den Teller. Als er sich wieder einigermaßen gefaßt hat, funkelt er die beiden ungehalten an.

„Was geht euch das an?“

Sie starren ihn nur auffordernd an. Vielleicht soll das einschüchternd wirken, aber er fühlt nur den Drang, sie für ihre Dreistigkeit an die nächstbeste Wand zu klatschen. Doch dann kommt ihm eine bessere Idee.

„Wenn ihr es unbedingt wissen wollt...“ Victor holt einmal tief Luft, lehnt sich bequem in seinem Stuhl zurück und erwidert dann genüßlich: „Nein. Nein, wir benutzen kein Kondom. Ich mag das Gefühl, wenn er tief in mir kommt. Ich steh auf die Vorstellung, dass da etwas von ihm in mir zurückbleibt. Wenn später alles wieder aus mir herausläuft, bin ich deswegen richtig geknickt, so sehr liebe ich es. Und wenn ich in ihm stecke, liebe ich es, wie weich und warm sich das anfühlt und ich mag es, ungehindert von irgendeinem Gummi in ihm abzuspritzen. Ich mag es auch, wie feucht er noch ist, wenn ich ihn eine halbe Stunde später zur zweiten Runde besteige.“

Die beiden starren ihn völlig perplex an.

Er zuckt nur mit den Schultern und nippt an seinem Kaffee.

„Ihr wolltet es wissen.“

Die beiden starren immer noch. Sie sehen irgendwie ziemlich blaß aus.

Aber Victor ist noch nicht fertig.

„Oder...“, meint er, sich scheinbar besorgt vorbeugend, „... läuft hier vielleicht irgend so eine total schräge Mutagen-DimensionX-und-Krang-Nummer ab? Sollte es doch medizinisch notwendig sein, einen Gummi zu benutzen? Kann er...“, hier reißt er in gespieltem Entsetzen die Augen auf, „..vielleicht schwanger werden?“

Er macht eine theatralische Pause, in der er sich an ihren zunehmend entgeisterten Mienen weidet, dann lehnt er sich wieder zurück, zeigt ein schiefes Lächeln und meint:

„Na ja, auch wenn … damit kämen wir schon irgendwie klar. Oder, was meint ihr?“

Die beiden meinen gar nichts. Sie werden nur noch um eine Nuance blasser und springen so hastig von ihren Plätzen auf, daß Bebops Stuhl umkippt und Rocksteadys immerhin gefährlich hin und her schwankt.

Sie haben es so eilig davon zu rennen, dass sie in der Tür fast ihr hereinkommendes Chefchen umgerannt hätten.

Verdattert starrt Shredder den beiden nach und wendet sich dann mit hochgezogenen Augenbrauen an Victor.

„Was hast du mit ihnen gemacht?“

„Nichts“, kommt es unschuldig zurück, während er sich fragt, ob sie jetzt zu Krang rennen, um dessen medizinische Meinung einzuholen. Da wäre er jetzt gerne Mäuschen. Zu schade, dass es hier keine Ratten gibt, die für ihn spionieren könnten. „Sie haben mich nur etwas gefragt und ich hab ihnen eine ehrliche Antwort gegeben.“

Shredder mustert ihn noch einen Moment argwöhnisch, zuckt dann aber doch nur mit den Schultern.

„Was wollte Krang von dir?“ erkundigt sich Victor neugierig.

„Ach, zuerst hat er mir einen Vortrag darüber gehalten, dass ich nicht so einfach ohne sein Einverständnis jemanden hierher einladen kann und dann auch noch für immer, aber ich glaube, das war nur ein Vorwand, um mir das hier zu geben.“

Vielsagend hebt er die rechte Hand, in der er – Victors Augen weiten sich überrascht – ein Fotoalbum hält.

„Ja“, erklärt Shredder, während er sich neben ihn setzt und sich ohne zu fragen Victors Teller mit dem Pfannkuchen heranzieht, um davon zu essen, „Krang kann nett sein, wenn er will. Es ist nur nicht einfach, zu wissen, wann er mal guter Stimmung ist.“

Er hält kurz inne, aber nur, weil er nicht gleichzeitig kauen, schlucken und reden kann.

„Und?“ hakt er schließlich stur nach. „Erzählst du mir jetzt, was du zu Beeps und Rock gesagt hast?“

Victor hält damit inne in dem Fotoalbum herumzublättern und schenkt ihm ein verschmitztes Lächeln. Er sieht keinen Grund, es ihm zu verheimlichen, also sagt er es ihm und bei allem, was ihm heilig ist – er hat seinen Saki noch niemals so schallend lachen gehört.

 

 

Es dauert keine Stunde - sie sind gerade damit beschäftigt, Victors Kleidung aus den Taschen endlich in die Wandschränke von Shredders Quartier zu räumen - da knackt es plötzlich in der bislang unbeachteten Lautsprecheranlage in der Decke und Krang verlangt, Victor in der Krankenstation zu sehen. Und zwar dalli-dalli.

Und hätte Shredder ihm nicht verraten, dass es wohl um seine Grundimmunisierung geht, hätte er sich bestimmt Sorgen gemacht. So aber lässt er sich gut gelaunt von seinem Ninja zur Krankenstation bringen.

Sie liegt genau zwischen der Kommandozentrale und den privaten Quartieren - das ist sehr praktisch, aber auch nur wieder ein gutes Beispiel dafür, dass sie sich bestimmt nicht immer dort befunden hat. Krankenstationen sind sensible Orte, Schutzzonen, und als solche, gehört diese eher ins innere Zentrum dieser Kugel.

Aber auch so ist die Technik, der er sich gegenüber sieht, absolut beeindruckend.

„Der Todesstern hat eine Star-Trek Med-Bay", bemerkt er fasziniert, als er seinen Hintern auf eine der Liegen platziert.

Krang mustert ihn aus dem Bauchraum seines Androidenkörpers mit einem schiefen Blick.

„Also wenn, dann ist das hier doch eher die fortschrittliche Borg-Technologie", erklärt er etwas spitz.

„Ich sehe schon", lächelnd schüttelt Shredder den Kopf. „Da haben sich zwei Serien-Junkies gesucht und gefunden."

Er steht etwas abseits, um Krang nicht im Weg zu sein, aber nahe genug, um sofort beschützend eingreifen zu können, sollte es wider Erwarten nötig werden. Er vertraut Krang, aber manchmal kommt das Alien auf merkwürdige Ideen, vor allem, wenn der Wissenschaftler in ihm durchbricht.

Krang grinst nur und zückt vielsagend seine Impfpistole, bei deren Anblick Victor ebenfalls grinsen muss.

„Okay, ich muss zugeben, dass dieses Design weitaus besser ist als auf der Enterprise."

„Das ist Krang-Design und geht sogar durch Stoff."

Der Beweis folgt auf dem Fuße, so schnell, daß Victor gerade noch erschrocken zusammenzucken kann.

Nachdem eigentlich schon alles vorbei ist.

„Okay, das heißt dann wohl", rettet sich Victor in ein kleines Grinsen und bemüht sich, sich nicht den Oberarm zu reiben, „dass ich jetzt auch gegen alles immun bin wie Saki."

„Nein", kommt es trocken zurück, „dadurch wachsen dir jetzt Vagina, Uterus, Tuben und Ovarien, damit du schwanger werden kannst."

Victor blinzelt einmal hart.

„Ooookay", meint er dann gedehnt und wechselt einen schnellen Blick mit Shredder. Doch der scheint auch noch nicht zu wissen, wie er Krangs Kommentar einschätzen soll. Nur eines ist klar: das soll die Retourkutsche auf den Streich sein, den er den beiden Mutanten vorhin gespielt hat.

„Du darfst die zwei nicht so verwirren", tadelnd schnalzt Krang mit der Zunge. Doch Tonfall und Blick lassen auf eine gewisse Belustigung schließen. „Ich habe Besseres zu tun, als zwei leichtgläubige Mutanten wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen."

„Das nächste Mal werde ich damit warten, bis du dabei sein kannst. Ich bin ja kein Spielverderber."

Krang mustert ihn zufrieden und nickt. „Ich sehe, wir verstehen uns."

Während Victor nur grinst, verdreht Shredder die Augen. Für seinen Geschmack verstehen sich die beiden etwas zu gut. Wie soll er das nur ertragen mit zwei solchen Scherzkeksen? Und der arme Bebop und der arme Rocksteady erst!

„Ihr lasst mir die beiden ja in Ruhe. Gegen eine kleine Fopperei habe ich nichts, aber übertreibt es nicht, kapiert?"

Während Krang nur ein „bah" in seine Richtung wirft, samt passender Tentakelgeste, schnappt sich Victor Shredders Handgelenk und zieht ihn daran zu sich heran.

Ganz nah.

Und noch viel näher.

So nah, bis er bequem seine Arme um ihn schlingen kann.

„Aber wehren darf ich mich doch schon noch, wenn sie mir wieder dumm kommen, oder, Saki-Cutie?"

Er schenkt Shredder seinen besten Hundewelpenblick, während sich seine Hände schon längst und wie von selbst unter Shredders Hoodie und T-Shirt geschlichen haben und nun in der Wärme seiner Haut baden.

„Natürlich. Dann ja", versichert ihm Shredder bereitwillig und reckt sich ihm entgegen, um ihn zu küssen.

Victor kommt ihm auf halben Wege entgegen und ihre Lippen haben sich kaum berührt, da vergessen die beiden Männer schon wieder alles um sich herum und auch, dass Krang ihnen das eigentlich untersagt hat.

Doch auch Krang scheinen seine eigenen Regeln plötzlich egal zu sein. Er lässt sie nicht nur gewähren, sondern beobachtet sie dabei auch noch ganz genau. Schien er zuerst noch etwas kritisch, glättet sich seine Miene, je länger dieser Kuß dauert, bis zuletzt nur noch ein amüsiertes Lächeln um seine Mundwinkel spielt.

 

Mittwochnacht

Kapitel 49

Mittwochnacht
 

„Himmelherrgott! Jesses! Ja! Sa-kiiii!"

Mit aller Macht klammert sich Victor an Shredders Schultern fest, so stark, dass seine Fingernägel halbmondförmige Male auf dieser schönen, goldbraunen Haut hinterlassen. Direkt neben den verblassenden Striemen der letzten Nacht. Victor wirft den Kopf zurück, schreit noch einmal den Namen seines Geliebten und ergibt sich dann zitternd seinem Höhepunkt. Nur ganz am Rande seines Bewußtseins spürt er, wie Shredder ihm folgt und dann versinkt er in dem Gefühl starker Arme, die ihn halten und dem süßen Geschmack eines scheinbar unendlich währenden Kusses.

Als sich der Nebel über seinem Verstand langsam wieder lichtet, findet er sich eng an Shredder gekuschelt im Bett wieder und er möchte diese feste Umarmung nie, nie wieder verlassen. Alles ist nass und klebrig und der Geruch von Sex hängt in der Luft.

Je klarer er wird, desto mehr wundert er sich über sich selbst. Denn ... Wow. So laut hat er seine Lust noch nie herausgeschrien.

Er hat sich auch noch nie so frei gefühlt.

Und so glücklich.

Und dann sagt Shredder etwas, was seine Schmetterlinge im Bauch wieder tanzen lässt.

„Ich bin froh, dass du bei mir bleibst."

Victor schluckt einmal schwer und blinzelt sich dann die Nässe aus den Augen. Er muss sich ein paar Mal räuspern, aber selbst dann weiß er nicht, ob und inwieweit er seiner Stimme trauen kann.

„Ich hab's dir doch schon oft gesagt: schöne Dinge - also sowas wie dich und das hier - ich gebe nicht auf, bis sie mir gehören und dann gebe ich sie nie wieder her."

Mit diesen Worten schüttelt er seine Müdigkeit ab, verlässt seinen kuscheligen Platz und schiebt sich über und auf ihn, starrt in dieses hübsche Gesicht, in dem die ersten Anzeichen von Erschöpfung jetzt dem Ausdruck erwartungsvollen Verlangens weichen.

Victors Schmetterlinge machen Überstunden.

Langsam lehnt er sich zu ihm hinunter und murmelt Shredder all das ins Ohr, was er gleich mit ihm anstellen wird.

Jedes noch so kleine, schmutzige Detail.

So schnell wie noch vor zwei Wochen wird Shredder zwar nicht mehr rot, aber es gibt da ein paar sehr effektive Schlüsselworte, die, zusammen mit Victors kehliger Stimme, Shredder unwillkürlich erschauern lassen. Er kann sich nicht verstecken, sein Körper verrät ihn - und das spürt Victor ganz genau.

Es ist schon bemerkenswert, fährt es ihm durch den Kopf, während er Shredders Lippen mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss in Beschlag nimmt, wie schnell sie von Null auf Hundert kommen.

Das ist jene Art von tiefer, heißer Leidenschaft, von der er immer geträumt hat.
 

Krang versucht wirklich, sich am Riemen zu reißen, aber sie verderben ihm den ganzen Abend. Und dabei gibt es heute doch das Serienspecial. Seit das Energielevel des Technodromes wieder auf Maximum ist, kann er TV-Programme von der Erde empfangen und auf heute hat er sich ganz besonders gefreut.

Aber stattdessen belästigen ihn diese beiden Kretins. Sie verhalten sich zwar still, reden nicht vor der Werbepause, aber allein ihre Anwesenheit verursacht ihm ein unangenehmes Jucken auf der Amygdala. Er kann sich nicht entspannen und die verworrenen Liebesgeschichten seiner Fünftliebsten Lieblingsserie genießen, weil die zwei eine furchtbare Laune verbreiten. Trotzdem dauert es die Hälfte der ersten Folge, bis ihm der nicht vorhandene Kragen platzt.

„Warum seid ihr überhaupt hier?"

„Wir sind noch nicht müde", murrt Rocksteady mit vor der Brust verschränkten Armen und grimmig vorgeschobenen Kiefer. Ja, klar, deswegen haben er und sein Kumpel ja auch nicht die ganze letzte halbe Stunde immer mal wieder lautstark gegähnt.

Und außerdem weiß Krang ganz genau, wo das Problem der beiden wirklich liegt.

„Ihr könnt sie nicht hören. Euch trennt ein drei Meter breiter Gang."

„Wir können sie hören", beharrt Rocksteady stur.

„Das bildet ihr euch ein."

„Wenn ich mir vorstelle, wie sie gerade..."

„Dann stell es dir nicht vor", schneidet ihm Krang scharf das Wort ab. Bei aller Freundschaft - wo ist er denn hier? Im Kindergarten?

Bebop und Rocksteady werfen ihm vorwurfsvolle Blicke zu, aber bevor sie richtig anfangen können zu jammern, bringt Krang sie mit einer ungnädigen Tentakelgeste und einem Zischen zum Schweigen.

„Die beiden sind erwachsen. Und sie sind zusammen. Und sie werden es bleiben, ganz egal, was ihr davon haltet. Je eher ihr euch daran gewöhnt, desto besser für uns alle."

Vor allem für ihn und seine kostbare Freizeit.

„Aber Krang", protestiert Bebop. „Stört es dich denn überhaupt nicht, daß dieser Rattenfreak mit unseren Saki-chan ... zusammen ist?" Sein deutliches Zögern und die Art, wie er das Gesicht verzieht, verrät, dass er eigentlich etwas ganz anderes sagen wollte.

Hätte Krang Hände, würde er sich mit einer davon jetzt gegen die Stirn schlagen, aber so wirft er nur seine Tentakel in einer theatralischen Geste in die Höhe.

„Es hat mich nicht zu stören, denn das ist ganz allein Shredders Angelegenheit. Und so lange er Shredder glücklich macht, darf Falco hier bleiben. Er wird für mich arbeiten, genau wie ihr auch."

Die beiden starren ihn einen Moment einfach nur an und wechseln dann einen langen Blick.

„Und wenn er unseren Saki-chan nicht glücklich macht, dürfen wir ihn dann fertig machen?" will Rocksteady schließlich wissen.

Das wäre dann zwar auch ganz allein Shredders Sache, aber die Werbepause ist vorbei und Krang will nichts von seiner Serie verpassen, also macht er nur eine ungeduldige Tentakelgeste und setzt ein unwirsches „Jaja“ dazu.

Aus dem Augenwinkel sieht er die zufriedenen Blicke, die sich die beiden daraufhin zuwerfen, aber er schert sich nicht weiter darum. Denn mal ehrlich – er wettet sein Technodrome, daß das nie passieren wird. Shredder und Victor sind füreinander bestimmt, das sagt ihm seine langjährige Seifenopererfahrung.
 

Die Feder fliegt nur so übers Papier und verursacht dabei ein leises, charakteristisches, kratzendes Geräusch. Um Shredders Lippen zuckt ein kleines, glückliches Lächeln und in seine Augen ist ein abwesender Ausdruck getreten. Ab und zu schweift sein Blick ab zu dem Bonsai nur wenige Zentimeter entfernt und dann vertieft sich dieses Lächeln.

Es ist schon so lange her, dass er etwas in dieses Büchlein geschrieben hat, er hat schon ganz vergessen, wann er das letzte Mal so hier saß und den Schriftzeichen vor seinem inneren Auge quasi hinterherlief. Er hat schon zwei Seiten voll und das ist selbst für ihn ungewöhnlich.

Aber jetzt haben ihn mindestens ein Dutzend Musen geküsst, wenn nicht gar mehr.

Er spürt noch immer das Echo von Victors Berührungen auf seinem Körper, und da ist diese Sehnsucht nach mehr, nach so viel mehr, aber Victor schläft und er will ihn nicht stören. So folgt er lieber seiner Inspiration und kleidet seine Gefühle in Verse. Das … ist zwar nicht Haiku im traditionellen Sinne, aber was schert es ihn, wenn sein Herz fast überläuft und er das irgendwie ausdrücken muss?

Plötzlich legen sich von hinten zwei Arme um ihn und das Objekt seiner Begierde sieht ihm neugierig über die Schulter.

„Was machst du denn da Schönes?“ Victors Stimme ist nicht mehr als ein leises Raunen an seinem rechten Ohr.

So plötzlich aufgeschreckt, zuckt Shredder erst einmal zusammen, doch dann schmilzt er unwillkürlich in diese Umarmung hinein. Warm. Er ist so warm. Shredder unterdrückt ein angenehmes Schaudern, aber daß sein Puls sprunghaft nach oben schnellt, dagegen ist er machtlos.

„Ich...“ beginnt er, wird jedoch von Victors begeisterten Ausruf unterbrochen.

„Sind das Haiku?“

Woher-? Für einen Moment starrt Shredder einfach nur völlig geplättet auf das Papier mit seinen Schriftzeichen und dann erinnert er sich an sein Telefonat mit Krang, dieses, wo er diesen Kuchen buk und das Victor mitangehört hatte.

„Das hast du also auch gehört.“ Er spürt, wie seine Wangen vor Verlegenheit zu brennen beginnen.

„Habe ich, Cutie“, bestätigt Victor vergnügt. „Und dafür verzeihe ich dir sogar, daß du wieder mal nicht neben mir liegst. Wo du um diese Uhrzeit eigentlich hingehört.“

Bei diesen Worten fühlen sich Shredders Wangen noch viel, viel heißer an. Vielleicht liegt das aber auch an Victors Händen, die sich langsam, aber sicher unter sein Pyjamaoberteil schummeln.

„Worüber handelt es?“ erkundigt sich Victor interessiert.

Shredder zögert und meint dann ausweichend:

„Das funktioniert nur auf japanisch. Jede Übersetzung ist unzureichend.“

„Gut. Dann musst du mir wohl japanisch beibringen.“ Und als Shredder ihm daraufhin einen verdutzten Blick zuwirft, lächelt er nur leicht und nutzt die Gelegenheit, ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen zu hauchen.

„Ist doch nur fair“, murmelt er dabei. „Du sprichst meine Muttersprache fließend, also bring mir deine bei. Wer weiß – vielleicht erobert Krang ja doch noch mal die Erde, dann wirst du der Tenno von Japan und wenn ich dann dein Berater werde, sollte ich doch wenigstens die Landessprache beherrschen...“

Auch wenn das alles reine Fiktion, um nicht zu sagen, Wunschdenken bleiben wird, ist es der Gedanke, der zählt. Geschmeichelt legt Shredder seine Kalligraphiefeder beiseite und windet sich aus Victors Umarmung – aber nur, um, nachdem er aus seinem Stuhl aufgestanden ist, zurück in seine Arme zu flüchten und ihm einen langen, zärtlichen Kuß zu geben.

Einen sehr, sehr langen.

Denn verdammt – wenn er einmal damit angefangen hat, fällt es ihm sehr, sehr schwer, aufzuhören.

„Ist das ein ja?“ neckt Victor ihn daraufhin, als er wieder etwas zu Atem gekommen ist.

Shredder lacht nur und sagt etwas auf japanisch, was wohl Zustimmung bedeuten soll, aber Victor versteht es rein akustisch nicht und er will auch nicht nachfragen, denn sein Gehirn ist schon auf etwas ganz anderes gepolt. Japanisch klingt so sexy!

„Morgen“, keucht er daher, während er seinen Ninja unter vielen, fordernden Küssen rückwärts zum Bett drängt. „Mein Hirn hat Pause...“

Donnerstag

 

Kapitel 50

Donnerstag

 

In den äußeren Sektoren (wie Victor es nennt) oder Ringen (wie Krang es bezeichnet) - Shredder und seine Mutanten ziehen die Begriffe „am Arsch" vor - ist das Licht nicht ganz so hell wie im inneren Bereich, aber man kann genug sehen, um sich nicht auf die Finger zu hämmern. Die Luft ist auch sauber und atembar und es gibt Fabrikhallen, die verkommener sind als das hier. Sie haben schon unter wesentlich schlechteren Bedingungen gearbeitet. Auch wenn sich Shredder wünschte, er hätte mehr zu tun als gemeinsam mit Bebop Decken- und Wandplatten zu halten, damit Rocksteady sie anschweißen kann.

Und er vermisst Victor. Aber Victor hat Recht: erstens bringt es sie nicht um, mal eine Stunde voneinander getrennt zu sein und zweitens tut es ihm mal ganz gut, wieder in die Routine zurück zu kommen und mit Bebop und Rocksteady wie früher zusammen zu arbeiten. Er merkt schon selbst, wie schnell er in seinen alten Befehlston zurückfällt. Und den beiden macht es sichtlich auch Spaß, wieder von ihm herumkommandiert zu werden.

Und, wenn er ehrlich sein soll: er braucht das.

Er hat immer noch ein schlechtes Gewissen, sich aus den ganzen Renovierungsarbeiten der letzten zwei Wochen so elegant herausgezogen zu haben. Das war sehr egoistisch von ihm. Er hat etwas gut zu machen. Außerdem - es fühlt sich komisch an, so viel verpasst zu haben.

Shredder fragt sich kurz, ob sich Victor und Krang in der Kommandozentrale gut vertragen. Krang kann schwierig sein. Wenn er nur daran denkt, wie oft er und das körperlose Gehirn immer wegen Nichtigkeiten aneinander geraten...

Aber Victor ist anders. Geduldiger. Vernünftiger. Und er steht Krang nicht so nahe, er wird sich bestimmt beherrschen können. Und wenn es doch zum Streit kommt, wird es ihm, Oroku Saki aka Shredder, ein besonderes Vergnügen sein, Krang später dafür die Leviten zu lesen.

Ein leises Kribbeln im Nacken veranlasst ihn, einen Blick nach hinten zu werfen. Dort, mitten an der Decke, hängt eine dieser halbkugelförmigen Überwachungskameras. Funktionieren diese Dinger hier etwa auch schon?

Shredder hasst das Gefühl, beobachtet zu werden, aber wenn er dem schon nicht entkommen kann, kann er auch wenigstens zeigen, dass er es bemerkt hat. Und so strafft er die Schultern, drückt den Rücken durch, zeigt ein betont freches Grinsen und winkt dann überdeutlich in die Kamera.

„Du, Chefchen?" In Rocksteadys Stimme schwingt ein vorsichtiges Zögern mit, eines von der Art, wie er es jetzt häufiger hört, und er weiß, es geht um Victor.

Auf alles gefasst, dreht er sich wieder zu ihnen um und zieht fragend die Augenbrauen hoch. Er hofft, dass jetzt nichts kommt, was die gute Stimmung, die in den letzten zehn Minuten zwischen ihnen geherrscht hat, trüben wird.

Rocksteady hat sich die Schweißermaske in die Stirn geschoben und versucht sich in einem scheuen Lächeln. Bebop neben ihm hat den Hammer weggelegt und zeigt dieselbe, ungewohnt nervöse Miene.

„Wollen wir nachher Konsole spielen? Also, wir beide gegen dich und Victor?" stößt Rocksteady dann endlich so hastig hervor, dass er alle Wörter zusammenzieht und Shredder ein paar Sekunden benötigt, um ihn überhaupt nur zu verstehen.

Doch dann spürt er eine wohltuende Wärme in seiner Brust. Und eine unendlich große Erleichterung.

„Gerne", stimmt er schnell zu und fügt dann ein leises, aber absolut ehrliches „Danke" hinzu.

Seine beiden Mutanten grinsen nur und wenden sich dann wieder ihren Wandplatten zu. Shredder winkt dann noch einmal in die Kamera und gesellt sich dann wieder richtig zu ihnen.

„Geez", hört er Rocksteady dann unter seiner Maske grummeln, „hoffentlich kommt dein Victor auch bald mal hierher. Noch 'ne helfende Hand könnte echt nicht schaden."

 

 

Wenn Victor irgendwo ist, egal wo, kennt er sich gerne aus. Er fühlt sich einfach nicht gerne verloren. Das hängt damit zusammen, dass er so plötzlich eine Waise wurde. Von einer Sekunde zur nächsten war nichts mehr so, wie er es gewohnt war. Das Leben hatte ihm ins Gesicht gespuckt und ihm gezeigt, welch eine Bitch es im Grunde genommen ist. Und deshalb braucht er die Kontrolle - oder doch wenigstens den Anschein davon. Und am besten gewinnt und behält man die Kontrolle, wenn man genau weiß, wo man sich aufhält, wo die Türen sind und wohin sie führen. Und was die Baupläne des Technodromes betrifft, da hat er sehr, sehr viele Türen. Und Gänge. Und Räume. Kurzum: er hat viel zu studieren.

Er steht an einer der Kontrollkonsolen und wischt sich durch all die Baupläne, die der Bordcomputer vor ihm in der Luft abbildet. Er hat keine Ahnung, wie das funktioniert, aber es ist eine beeindruckende Lasershow. Star Trek mit seinen Holodecks ist ein Dreck dagegen. Denn auf den Brücken dort gibt es noch Kontrollkonsolen, die per Knopfdruck oder Schalthebel funktionieren. Hier sind die Konsolen und Knöpfe und Schalthebel und Bildschirme eindeutig nur eine Art Notsystem – gut genug, um benutzt zu werden, wenn die Energie für wichtigere Dinge – wie zum Beispiel das Lebenserhaltungssystem – herhalten muß. Wenn jedoch ausreichend Energie vorhanden ist, dann fühlt es sich so an, als habe die Technik einen Quantensprung nach vorne gemacht.

Man kann in die Bilder sogar hinein- und hinauszoomen, dazu braucht es nicht mehr als eine Fingerbewegung. Das ist so cool!

Außer ihm befindet sich nur noch Krang in der Kommandozentrale. Das Alien ist schon seit einer geschlagenen Viertelstunde damit beschäftigt, einen guten Platz für sein neuestes, gerahmtes Foto zu finden: die erste Gruppenaufnahme von ihnen allen in diesen Team-Tentakel-Sweatshirts, geschossen vorgestern auf der Willkommensparty.

Victor hat noch nie jemanden so pedantisch nach dem perfekten Ort für ein Foto suchen gesehen, aber er behält seine Gedanken diesbezüglich lieber für sich.

Shredder befindet sich zusammen mit den beiden Mutanten in den äußeren Sektoren. Sie sind damit beschäftigt, ein paar Wandplatten zusammen zu schweißen. Diese Arbeit könnte genauso gut von einem Roboter erledigt werden, aber Victor ist mit Krang einer Meinung: es tut den dreien gut, mal etwas zusammen zu machen.

Da in dem Bereich die Kameras auch schon wieder funktionieren, können sie sich das Ganze auf dem Hauptbildschirm ganz Oldschool in Ton und Farbe mit ansehen. Shredder scheint das irgendwie zu ahnen, denn warum sonst winkt und grinst er plötzlich in die Kamera?

Jesses. Um Victors Mundwinkel zuckt es unwillkürlich. Der Kerl ist unglaublich. Und selbst im Arbeitsoverall und aus dieser Perspektive so sexy!

„Ich wundere mich, warum du hier bist und nicht dort?" Vielsagend seine Tentakel Richtung Hauptbildschirm schwenkend und quasi wie aus dem Nichts steht plötzlich Krang neben ihm. Victor hatte ihn weder gehört noch gesehen. Eben stand er noch dort hinten und jetzt plötzlich haucht er ihm fast in den Nacken. Das ist eine wirklich erstaunliche Leistung, wenn man die Schwere und Klobrigkeit seines Androidenkörpers bedenkt.

Victor stockt nur einen Moment – das ist das einzige Zeichen seiner Überraschung – und fährt dann damit fort, sich durch die Baupläne und das Inventar jenes Bereiches zu wühlen, den er als Waffendeck identifiziert hat.

„Ich stoße später dazu“, erwidert er, während er sich die Beschreibung der einzelnen Torpedos näher heranzoomt. „Wenn sie ihn mal eine Stunde für sich haben, sehen sie, dass ich ihnen Shredder nicht wegnehme."

„Machen sie wieder Ärger?"

„Nein. Also, nichts, was der Rede wert wäre“, schränkt Victor schließlich ein, hält in seiner Tätigkeit inne und denkt kurz darüber nach. Blicke, die ihn aufspießen wollen, betrachtet er eher als amüsant. Er weiß allerdings, daß Shredder das ein wenig ernster nimmt – vielleicht gilt ja dasselbe für Krang. Und mit blöden Bemerkungen kommt er zurecht, er ist ja schließlich selbst nicht auf den Mund gefallen. Deswegen würde er sich nie bei Krang beschweren – oder bei sonst jemanden. Was nicht bedeutet, daß die beiden Mutanten vielleicht anders denken als er. Er hält sie nicht für Heulsusen und Denunzianten, aber jeder hat eine Grenze. Und sie sind zweifellos sehr empfindlich, wenn es darum geht, ihren Saki-chan zu beschützen.

„Aber wenn wir als Team zusammenarbeiten wollen, darf ich Shredder nicht nur für mich vereinnahmen", erklärt er daher, wieso er jetzt hier ist und Shredder dort.

Krang starrt ihn für einen Moment einfach nur an.

„Das klingt sehr ... vernünftig", lobt er ihn dann etwas verhalten, ja, beinahe schon überrascht und für den Bruchteil einer Sekunde fühlt sich Victor wie der einzige Erwachsene in dieser rollenden Kampffestung. Aber einen Moment später befindet er sich wieder mit Krang auf einer Ebene, denn verdammt – dieses rosa Alien ist sehr schwer einzuschätzen und sein Blick hat etwas so Sezierendes an sich, als wäre er für ihn nichts weiter als eine interessante Amöbe unter einem Mikroskop.

„Ich habe Erfahrung mit überfürsorglichen Angehörigen“, führt Victor mit einem Schulterzucken aus. „Besonders Mütter können sehr penetrant werden. Alles, was sie verstehen müssen, ist, dass sie keinen Sohn verlieren, sondern einen dazugewinnen."

Seine gute Erziehung war ihm da immer eine gute Hilfe – Respekt und Höflichkeit gegenüber Älteren hat er quasi mit der Muttermilch aufgesogen, dafür muss er sich nicht einmal – wie Shredder es immer so schön nennt – verbiegen. Es ist nicht seine Schuld, wenn die Gesellschaft diese Art von Anstand nicht mehr kennt und er bei den Müttern seiner Ex-Freunde dadurch immer punkten konnte.

„Das klingt wirklich sehr erfahren." In Krangs Stimme lauert ein Unterton, der Victor nicht gefällt. Aber Victor versteht, woher das kommt und kann seinen Stolz daher problemlos zur Seite schieben.

„Ich hatte nicht viele Beziehungen“, erwidert er schonungslos ehrlich, „aber wenn, hab ich es nie auf die leichte Schulter genommen."

Und tatsächlich rudert Krang sofort zurück.

„Ich wollte jetzt nicht andeuten..."

„Gut“, unterbricht ihn Victor, bevor es für sie beide wirklich noch peinlich wird. Er schenkt Krang sogar ein kleines Grinsen. „Wenn Rocksteady und Bebop nämlich die besorgten Eltern sind, bist du der gestrenge Großvater. Der mit der geladenen Schrotflinte, wenn du verstehst, was ich meine."

Das bringt Krang leicht aus dem Konzept, wenn es ihn auch nicht ganz sprachlos macht.

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll...“

Doch um Krangs Mundwinkel zuckt es verdächtig und es dauert auch nicht lange, dann grinsen sie sich beide verschwörerisch zu.

Irgendwann, so nach drei Sekunden, wächst Victors Grinsen noch mehr in die Breite und plötzlich bekommt Krang bei diesem Anblick ein ganz komisches Gefühl.

„Dieses Technodrome hat ein beeindruckendes Waffenarsenal“, stellt Victor plötzlich gedehnt fest und lässt, wie, um es zu verdeutlichen, die entsprechenden Anzeigen vor ihnen in der Luft erscheinen.

Krang schluckt einmal schwer.

„Ja, natürlich“, schnarrt er betont barsch. „Das hier ist eine Kampffestung.“

„Mit diesem Waffenarsenal hättest du die Erde schon vor Jahren erobern können.“

Wieder schluckt Krang einmal schwer und betrachtet Victor von nun an mit ganz neuem Respekt. Nie hätte er es für möglich gehalten, ausgerechnet von einem Menschen, den er erst seit vierzig Stunden kennt, so gnadenlos durchschaut worden zu sein.

„Ja“, gibt er daher widerwillig beeindruckt zu. Seufzend deutet er auf den Hauptbildschirm, wo Shredder seine Mutanten gerade wie in alten Zeiten herumscheucht. Er sieht dabei sehr glücklich aus. Und die beiden Vollidioten ebenfalls.

„Ja“, wiederholt Krang, den Blick weiterhin auf den Hauptbildschirm gerichtet, mit einem ungewohnt sanften, aber auch sehr zahnreichen Lächeln. „Aber … wo bliebe denn dann der Spaß?“

 

 

- ENDE -



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Kommentare zu dieser Fanfic (77)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Dollface-Quinn
2020-01-20T18:02:36+00:00 20.01.2020 19:02
Neulich lümmele ich mit meinem Mann auf dem Sofa und wir schauen so eine Batman/Ninja Turtles Crossover auf DVD. Shredder trifft auf Batman und es wird natürlich ein geiler Ninja Kampf der Extraklasse. Plötzlich erwische ich mich dabei wie ich denke: //Shredder hat wirklich schöne Augen! Was er und Viktor wohl gerade machen...// XD
Du bist Schuld, dass ich Shredder jetzt durch diese Brille sehe. Das wollte ich nur mal gesagt haben. <3
Von:  Dollface-Quinn
2019-05-30T17:30:23+00:00 30.05.2019 19:30
Aw, ein schönes Ende. Krang ist ein bisschen wie der Joker. Der macht auch nie vollkommen ernst, denn dann wäre das Spiel ja vorbei.^^
Deine Technodromfamilie wächst irgendwie stetig. Das finde ich toll. Danke für den schönen Zeitvertreib. Ich hab viel gelacht. Und bis zur nächsten Geschichte. :3
Antwort von:  MariLuna
31.05.2019 21:21
Danke. Stimmt, wie der Joker, das olle Gehirn ^^
Die nächste ist schon in Vorbereitung und ausnahmsweise mal eine April& Shredder. Diesen Sonntag vielleicht schon...
LG und Danke für all deine Reviews XD
Von:  Dollface-Quinn
2019-05-30T16:47:58+00:00 30.05.2019 18:47
Shredder hat sicher ähnlich laut gelacht wie ich beim Lesen dieser Szene. XD Haha! Da hat jemand mehr Selbstbewusstsein als gut für seine Umgebung ist. :D
Und Krang ist mal wieder voll und ganz er selbst. Einfach genial!
"Wir sind Borg!" XD
Aber eins sag ich dir. Wenn das jetzt wirklich mit Schwangerschaft los geht, dann bin ich leider raus. Ich trau Orang ohne weiteres zu, dass er sowas hin bekommt, hoffe Aber, dass es wirklich nur ein Scherz war. D:
Von:  Dollface-Quinn
2019-05-30T14:17:19+00:00 30.05.2019 16:17
Diese geile Ironie, wenn man deine anderen Werke kennt. XD
"Urk, Bebob und Rockstaedy mit Shredder? Pfui, Niemals!" ;-)
Sehr süß dieser Einzug. Ich hab hier viel Spaß beim Lesen.^^
Von:  Dollface-Quinn
2019-05-16T13:47:38+00:00 16.05.2019 15:47
Haaaaaaaach, ich liebe Krang. 😊
Antwort von:  MariLuna
17.05.2019 22:21
Me too. XD
Antwort von:  Dollface-Quinn
17.05.2019 22:29
Krang Fan Club! XD
Von:  Dollface-Quinn
2019-05-14T17:46:36+00:00 14.05.2019 19:46
Harte Gespräche. Aber gute Gespräche.

Und weil du die Sexszenen immer überspringst musste ich jetzt wieder eine für den Dryadenzauber schreiben. Meine Fantasie, der du alles überlässt, ist einfach zu fleißig! ^^°
Antwort von:  MariLuna
17.05.2019 22:21
Na, ist auch nicht schlecht. Ich lese auch gern mal was ...^^
Antwort von:  Dollface-Quinn
17.05.2019 22:27
Du würdest es vielleicht lesen wollen? OO
Oh je... Angst. ^^°
Ich meine, wär schön wenn mal jemand kommentieren würde... aber... *schluck*
Von:  Dollface-Quinn
2019-05-14T17:42:58+00:00 14.05.2019 19:42
Haha. Sie wünschen ihnen viele Nachkommen. XD
Gute Ratten. Sehr lieb von ihnen.^^
Ich hoffe, er kann sein Rat King Sein nicht so leicht ablegen wie seine Bandagen, denn es gehört doch zu Victor dazu. Und schließlich müssen sie ja noch im Doppelpack die Stadt angreifen. :D
Antwort von:  MariLuna
17.05.2019 22:20
Ich habe nicht vor, davon eine Fortsetzung zu schreiben, aber du darfst mal davon ausgehen, dass Victor immer Rat King sein wird. Genau, wie Shredder es in einem der ersten kapitel gesagt hat: das kann man nicht trennen. ^^
Antwort von:  Dollface-Quinn
17.05.2019 22:24
Gut. So soll's auch sein. 😍
Von:  Dollface-Quinn
2019-05-09T16:58:47+00:00 09.05.2019 18:58
Ha! Genial. Alles Interessante wieder übersprungen, aber lustig.^^
Sowas gibt es auch nur zwischen den Figuren aus den 90ern. XD
Antwort von:  MariLuna
10.05.2019 06:31
was habe ich denn übersprungen??
Antwort von:  Dollface-Quinn
10.05.2019 08:26
Das Gerammel überspringst du.
Antwort von:  MariLuna
10.05.2019 15:10
So hat deine Fantasie mehr zu tun XD
Von:  Dollface-Quinn
2019-04-26T13:40:23+00:00 26.04.2019 15:40
Bettgespräche sind immer noch die Besten! Wenn plötzlich alles möglich ist. <3
Trotzdem würde es mich doch sehr interessieren was die sich immer so schmutziges ins Ohr flüstern!!!
Antwort von:  MariLuna
26.04.2019 23:05
Da bist du nicht die einzige, aber die waren so leise, ich hab sie einfach nicht verstanden XD
Antwort von:  Dollface-Quinn
26.04.2019 23:06
XD
Hast du nicht oder wolltest du nicht?
Antwort von:  MariLuna
26.04.2019 23:36
mein Hirn weigerte sich, das in anständige Worte zu verpacken, die dem Jugendschutz gerecht werden, also sagen wir: Übersetzung war nicht möglich XD
Antwort von:  Dollface-Quinn
26.04.2019 23:39
Übersetzung ist nicht nötig. Zumindest für mich nicht. XD
Meine Schatzis beschimpfen sich die ganze Zeit im Bett und brüllen sich die wüstesten Wünsche zu. Und ich bin auch noch nicht gesperrt worden. XD
Von:  Dollface-Quinn
2019-04-26T13:08:20+00:00 26.04.2019 15:08
Das ist wirklich schön gesagt! Die Fehler nicht bereuen, weil sie einen weiter gebracht haben. Dort hin wo man hin gehört. Das ist unheimlich rührend. 😊

Und Casey ist so ein Hohlbrot! Ich glaube, das sagte ich schon. 😂
Antwort von:  MariLuna
26.04.2019 23:04
Ja nun, eine Lebensweisheit von Meister Splinter eben. Und zufällig meine eigene. Trifft auf die meisten, wirklich guten und wichtigen Dinge im Leben ja auch wirklich zu. Also, ist bei mir jedenfalls so... und jepp, Casey ist ein Hohlbrot. Ich mag ihn nicht... in keiner Version ^^
Antwort von:  Dollface-Quinn
26.04.2019 23:08
Gehört auf jeden Fall auch zu meinen Lebensweisheiten.
Antwort von:  MariLuna
26.04.2019 23:34
ja, das macht die Lebenserfahrung mit einem... ^^


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