Date oder Deal? von MariLuna ================================================================================ Kapitel 50: Donnerstag ----------------------   Kapitel 50 Donnerstag   In den äußeren Sektoren (wie Victor es nennt) oder Ringen (wie Krang es bezeichnet) - Shredder und seine Mutanten ziehen die Begriffe „am Arsch" vor - ist das Licht nicht ganz so hell wie im inneren Bereich, aber man kann genug sehen, um sich nicht auf die Finger zu hämmern. Die Luft ist auch sauber und atembar und es gibt Fabrikhallen, die verkommener sind als das hier. Sie haben schon unter wesentlich schlechteren Bedingungen gearbeitet. Auch wenn sich Shredder wünschte, er hätte mehr zu tun als gemeinsam mit Bebop Decken- und Wandplatten zu halten, damit Rocksteady sie anschweißen kann. Und er vermisst Victor. Aber Victor hat Recht: erstens bringt es sie nicht um, mal eine Stunde voneinander getrennt zu sein und zweitens tut es ihm mal ganz gut, wieder in die Routine zurück zu kommen und mit Bebop und Rocksteady wie früher zusammen zu arbeiten. Er merkt schon selbst, wie schnell er in seinen alten Befehlston zurückfällt. Und den beiden macht es sichtlich auch Spaß, wieder von ihm herumkommandiert zu werden. Und, wenn er ehrlich sein soll: er braucht das. Er hat immer noch ein schlechtes Gewissen, sich aus den ganzen Renovierungsarbeiten der letzten zwei Wochen so elegant herausgezogen zu haben. Das war sehr egoistisch von ihm. Er hat etwas gut zu machen. Außerdem - es fühlt sich komisch an, so viel verpasst zu haben. Shredder fragt sich kurz, ob sich Victor und Krang in der Kommandozentrale gut vertragen. Krang kann schwierig sein. Wenn er nur daran denkt, wie oft er und das körperlose Gehirn immer wegen Nichtigkeiten aneinander geraten... Aber Victor ist anders. Geduldiger. Vernünftiger. Und er steht Krang nicht so nahe, er wird sich bestimmt beherrschen können. Und wenn es doch zum Streit kommt, wird es ihm, Oroku Saki aka Shredder, ein besonderes Vergnügen sein, Krang später dafür die Leviten zu lesen. Ein leises Kribbeln im Nacken veranlasst ihn, einen Blick nach hinten zu werfen. Dort, mitten an der Decke, hängt eine dieser halbkugelförmigen Überwachungskameras. Funktionieren diese Dinger hier etwa auch schon? Shredder hasst das Gefühl, beobachtet zu werden, aber wenn er dem schon nicht entkommen kann, kann er auch wenigstens zeigen, dass er es bemerkt hat. Und so strafft er die Schultern, drückt den Rücken durch, zeigt ein betont freches Grinsen und winkt dann überdeutlich in die Kamera. „Du, Chefchen?" In Rocksteadys Stimme schwingt ein vorsichtiges Zögern mit, eines von der Art, wie er es jetzt häufiger hört, und er weiß, es geht um Victor. Auf alles gefasst, dreht er sich wieder zu ihnen um und zieht fragend die Augenbrauen hoch. Er hofft, dass jetzt nichts kommt, was die gute Stimmung, die in den letzten zehn Minuten zwischen ihnen geherrscht hat, trüben wird. Rocksteady hat sich die Schweißermaske in die Stirn geschoben und versucht sich in einem scheuen Lächeln. Bebop neben ihm hat den Hammer weggelegt und zeigt dieselbe, ungewohnt nervöse Miene. „Wollen wir nachher Konsole spielen? Also, wir beide gegen dich und Victor?" stößt Rocksteady dann endlich so hastig hervor, dass er alle Wörter zusammenzieht und Shredder ein paar Sekunden benötigt, um ihn überhaupt nur zu verstehen. Doch dann spürt er eine wohltuende Wärme in seiner Brust. Und eine unendlich große Erleichterung. „Gerne", stimmt er schnell zu und fügt dann ein leises, aber absolut ehrliches „Danke" hinzu. Seine beiden Mutanten grinsen nur und wenden sich dann wieder ihren Wandplatten zu. Shredder winkt dann noch einmal in die Kamera und gesellt sich dann wieder richtig zu ihnen. „Geez", hört er Rocksteady dann unter seiner Maske grummeln, „hoffentlich kommt dein Victor auch bald mal hierher. Noch 'ne helfende Hand könnte echt nicht schaden."     Wenn Victor irgendwo ist, egal wo, kennt er sich gerne aus. Er fühlt sich einfach nicht gerne verloren. Das hängt damit zusammen, dass er so plötzlich eine Waise wurde. Von einer Sekunde zur nächsten war nichts mehr so, wie er es gewohnt war. Das Leben hatte ihm ins Gesicht gespuckt und ihm gezeigt, welch eine Bitch es im Grunde genommen ist. Und deshalb braucht er die Kontrolle - oder doch wenigstens den Anschein davon. Und am besten gewinnt und behält man die Kontrolle, wenn man genau weiß, wo man sich aufhält, wo die Türen sind und wohin sie führen. Und was die Baupläne des Technodromes betrifft, da hat er sehr, sehr viele Türen. Und Gänge. Und Räume. Kurzum: er hat viel zu studieren. Er steht an einer der Kontrollkonsolen und wischt sich durch all die Baupläne, die der Bordcomputer vor ihm in der Luft abbildet. Er hat keine Ahnung, wie das funktioniert, aber es ist eine beeindruckende Lasershow. Star Trek mit seinen Holodecks ist ein Dreck dagegen. Denn auf den Brücken dort gibt es noch Kontrollkonsolen, die per Knopfdruck oder Schalthebel funktionieren. Hier sind die Konsolen und Knöpfe und Schalthebel und Bildschirme eindeutig nur eine Art Notsystem – gut genug, um benutzt zu werden, wenn die Energie für wichtigere Dinge – wie zum Beispiel das Lebenserhaltungssystem – herhalten muß. Wenn jedoch ausreichend Energie vorhanden ist, dann fühlt es sich so an, als habe die Technik einen Quantensprung nach vorne gemacht. Man kann in die Bilder sogar hinein- und hinauszoomen, dazu braucht es nicht mehr als eine Fingerbewegung. Das ist so cool! Außer ihm befindet sich nur noch Krang in der Kommandozentrale. Das Alien ist schon seit einer geschlagenen Viertelstunde damit beschäftigt, einen guten Platz für sein neuestes, gerahmtes Foto zu finden: die erste Gruppenaufnahme von ihnen allen in diesen Team-Tentakel-Sweatshirts, geschossen vorgestern auf der Willkommensparty. Victor hat noch nie jemanden so pedantisch nach dem perfekten Ort für ein Foto suchen gesehen, aber er behält seine Gedanken diesbezüglich lieber für sich. Shredder befindet sich zusammen mit den beiden Mutanten in den äußeren Sektoren. Sie sind damit beschäftigt, ein paar Wandplatten zusammen zu schweißen. Diese Arbeit könnte genauso gut von einem Roboter erledigt werden, aber Victor ist mit Krang einer Meinung: es tut den dreien gut, mal etwas zusammen zu machen. Da in dem Bereich die Kameras auch schon wieder funktionieren, können sie sich das Ganze auf dem Hauptbildschirm ganz Oldschool in Ton und Farbe mit ansehen. Shredder scheint das irgendwie zu ahnen, denn warum sonst winkt und grinst er plötzlich in die Kamera? Jesses. Um Victors Mundwinkel zuckt es unwillkürlich. Der Kerl ist unglaublich. Und selbst im Arbeitsoverall und aus dieser Perspektive so sexy! „Ich wundere mich, warum du hier bist und nicht dort?" Vielsagend seine Tentakel Richtung Hauptbildschirm schwenkend und quasi wie aus dem Nichts steht plötzlich Krang neben ihm. Victor hatte ihn weder gehört noch gesehen. Eben stand er noch dort hinten und jetzt plötzlich haucht er ihm fast in den Nacken. Das ist eine wirklich erstaunliche Leistung, wenn man die Schwere und Klobrigkeit seines Androidenkörpers bedenkt. Victor stockt nur einen Moment – das ist das einzige Zeichen seiner Überraschung – und fährt dann damit fort, sich durch die Baupläne und das Inventar jenes Bereiches zu wühlen, den er als Waffendeck identifiziert hat. „Ich stoße später dazu“, erwidert er, während er sich die Beschreibung der einzelnen Torpedos näher heranzoomt. „Wenn sie ihn mal eine Stunde für sich haben, sehen sie, dass ich ihnen Shredder nicht wegnehme." „Machen sie wieder Ärger?" „Nein. Also, nichts, was der Rede wert wäre“, schränkt Victor schließlich ein, hält in seiner Tätigkeit inne und denkt kurz darüber nach. Blicke, die ihn aufspießen wollen, betrachtet er eher als amüsant. Er weiß allerdings, daß Shredder das ein wenig ernster nimmt – vielleicht gilt ja dasselbe für Krang. Und mit blöden Bemerkungen kommt er zurecht, er ist ja schließlich selbst nicht auf den Mund gefallen. Deswegen würde er sich nie bei Krang beschweren – oder bei sonst jemanden. Was nicht bedeutet, daß die beiden Mutanten vielleicht anders denken als er. Er hält sie nicht für Heulsusen und Denunzianten, aber jeder hat eine Grenze. Und sie sind zweifellos sehr empfindlich, wenn es darum geht, ihren Saki-chan zu beschützen. „Aber wenn wir als Team zusammenarbeiten wollen, darf ich Shredder nicht nur für mich vereinnahmen", erklärt er daher, wieso er jetzt hier ist und Shredder dort. Krang starrt ihn für einen Moment einfach nur an. „Das klingt sehr ... vernünftig", lobt er ihn dann etwas verhalten, ja, beinahe schon überrascht und für den Bruchteil einer Sekunde fühlt sich Victor wie der einzige Erwachsene in dieser rollenden Kampffestung. Aber einen Moment später befindet er sich wieder mit Krang auf einer Ebene, denn verdammt – dieses rosa Alien ist sehr schwer einzuschätzen und sein Blick hat etwas so Sezierendes an sich, als wäre er für ihn nichts weiter als eine interessante Amöbe unter einem Mikroskop. „Ich habe Erfahrung mit überfürsorglichen Angehörigen“, führt Victor mit einem Schulterzucken aus. „Besonders Mütter können sehr penetrant werden. Alles, was sie verstehen müssen, ist, dass sie keinen Sohn verlieren, sondern einen dazugewinnen." Seine gute Erziehung war ihm da immer eine gute Hilfe – Respekt und Höflichkeit gegenüber Älteren hat er quasi mit der Muttermilch aufgesogen, dafür muss er sich nicht einmal – wie Shredder es immer so schön nennt – verbiegen. Es ist nicht seine Schuld, wenn die Gesellschaft diese Art von Anstand nicht mehr kennt und er bei den Müttern seiner Ex-Freunde dadurch immer punkten konnte. „Das klingt wirklich sehr erfahren." In Krangs Stimme lauert ein Unterton, der Victor nicht gefällt. Aber Victor versteht, woher das kommt und kann seinen Stolz daher problemlos zur Seite schieben. „Ich hatte nicht viele Beziehungen“, erwidert er schonungslos ehrlich, „aber wenn, hab ich es nie auf die leichte Schulter genommen." Und tatsächlich rudert Krang sofort zurück. „Ich wollte jetzt nicht andeuten..." „Gut“, unterbricht ihn Victor, bevor es für sie beide wirklich noch peinlich wird. Er schenkt Krang sogar ein kleines Grinsen. „Wenn Rocksteady und Bebop nämlich die besorgten Eltern sind, bist du der gestrenge Großvater. Der mit der geladenen Schrotflinte, wenn du verstehst, was ich meine." Das bringt Krang leicht aus dem Konzept, wenn es ihn auch nicht ganz sprachlos macht. „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll...“ Doch um Krangs Mundwinkel zuckt es verdächtig und es dauert auch nicht lange, dann grinsen sie sich beide verschwörerisch zu. Irgendwann, so nach drei Sekunden, wächst Victors Grinsen noch mehr in die Breite und plötzlich bekommt Krang bei diesem Anblick ein ganz komisches Gefühl. „Dieses Technodrome hat ein beeindruckendes Waffenarsenal“, stellt Victor plötzlich gedehnt fest und lässt, wie, um es zu verdeutlichen, die entsprechenden Anzeigen vor ihnen in der Luft erscheinen. Krang schluckt einmal schwer. „Ja, natürlich“, schnarrt er betont barsch. „Das hier ist eine Kampffestung.“ „Mit diesem Waffenarsenal hättest du die Erde schon vor Jahren erobern können.“ Wieder schluckt Krang einmal schwer und betrachtet Victor von nun an mit ganz neuem Respekt. Nie hätte er es für möglich gehalten, ausgerechnet von einem Menschen, den er erst seit vierzig Stunden kennt, so gnadenlos durchschaut worden zu sein. „Ja“, gibt er daher widerwillig beeindruckt zu. Seufzend deutet er auf den Hauptbildschirm, wo Shredder seine Mutanten gerade wie in alten Zeiten herumscheucht. Er sieht dabei sehr glücklich aus. Und die beiden Vollidioten ebenfalls. „Ja“, wiederholt Krang, den Blick weiterhin auf den Hauptbildschirm gerichtet, mit einem ungewohnt sanften, aber auch sehr zahnreichen Lächeln. „Aber … wo bliebe denn dann der Spaß?“     - ENDE - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)