Date oder Deal? von MariLuna ================================================================================ Kapitel 39: Samstag II ---------------------- Kapitel 39 Samstag II   Sie haben keine Ahnung vom Fliegenfischen. Aber das ist letztendlich auch gut für die Fische - falls es in diesem vier Meter breiten Bach überhaupt so etwas wie Fische gibt. Wenigstens stellen sie sich beim Auswerfen der Angelleinen nicht allzu dämlich an. Sie haben sich einen Platz an einer Stelle gesucht, wo der Bach eine leichte Biegung macht und die Sonne durch die Baumwipfel kommt, denn im Schatten ist es wirklich empfindlich kühl, vor allem hier am Wasser und wenn man sich nicht bewegt. Victor ist der erste, der nach ein paar Minuten seine Angelrute zwischen zwei Steine klemmt und sich dann auf die Blumenwiese sinken lässt. Die ersten Bienen und Hummeln des Jahres lassen sich dabei nicht von ihm stören. Victor legt sich auf den Rücken, verschränkt die Arme im Nacken und starrt nach oben in den blauen Himmel. Aus dem Augenwinkel beobachtet er, wie Shredder seine Angel ebenfalls sichert, um sich dann neben ihm ins Gras zu fläzen. „Das ist schön hier." „Und friedlich", ergänzt Shredder. Er liegt so, dass er mit dem Hinterkopf Victors linke Seite berührt. Victor muss nur den linken Arm senken und kann seine Hand dann bequem unter Shredders Jacke schlüpfen lassen. Und genau das macht er jetzt auch. Er kann spüren, wie sich der Brustkorb seines Ninjas bei jedem Atemzug hebt und senkt. Es dauert nicht lange, dann gleicht sich seine eigene Atmung unbewusst an. „Was melden dir deine kleinen Spione?" will Shredder irgendwann leise wissen. „Casey und Splinter sind weit weg", beruhigt Victor ihn. „Splinter versucht tatsächlich, Casey beizubringen, wie man meditiert." Er zögert einen Moment. „Splinter hat sie bemerkt. Aber er hat ihnen signalisiert, dass er nicht vorhat, uns zu stören." Shredder stöhnt unterdrückt. Victor kann fühlen, wie er einmal besonders tief durchatmet. „Zieh sie ab. Sollen sie sich irgendwo im Wald amüsieren. Es ist sinnlos, ihn noch länger zu überwachen. Wenn er seine Meinung ändert und uns dennoch besuchen will, dann entweder so heimlich, dass deine Ratten ihn gar nicht bemerken oder so offen, dass wir ihn schon von Weitem kommen hören." Victor brummt zustimmend und gibt den Befehl gedanklich an seine beiden Ratten weiter. Es gibt viele Ratten hier und jede einzelne von ihnen hätte, obwohl nicht zu seiner Kolonie gehörig, ihm gerne geholfen, aber die beiden sind genauso stur wie ihre Mutter Dora. Und sie sind Rebellen. Wahrscheinlich werden sie die Überwachung trotz seines gegenteiligen Befehls weiterführen und er kann gar nichts dagegen unternehmen. Er mag ihr König sein, aber nur, weil sie ihn dazu gemacht haben. Shredder neben ihm stößt noch einen kleinen Seufzer aus, langt nach Victors Hand und verschränkt ihre Finger miteinander. „Irgendwie kann ich ihm nicht einmal böse sein, wenn er wirklich noch hier auftaucht. Mit Casey als Schüler ist er wirklich mehr als genug gestraft." Victor gluckst leise. Da hat sein Ninja nicht mal so unrecht. Er ist froh, dass er das Ganze so locker sieht. Eine Zeitlang sagt niemand von ihnen etwas und die einzigen Geräusche sind das Rauschen des Wassers, das Rascheln der Blätter im Wind und das Zwitschern der Vögel um sie herum. Es riecht nach altem Herbstlaub, Erde, Gras und Wasser und die Luft ist so mild und frisch zugleich wie sie es nur mitten im Frühling sein kann. „Das ist wirklich schön hier", seufzt Shredder plötzlich leise. „Ich liebe das einfach." Mit einer weitausholenden Geste, die den ganzen Wald und sie beide einschließt, zeigt er, was er damit meint, nur, um sich dann verlegen zu räuspern. „Ich bin jetzt kein Baumumarmer oder so ... Aber sowas hier ... Ich hab als Knirps ein paar Jahre auf dem Bauernhof meiner Großeltern gelebt, daher kommt das wohl." Victor, schon fast eingedöst, schreckt, neugierig geworden, sofort auf. Wenn Shredder einmal etwas über sich selbst erzählen will, muß man die Gelegenheit sofort wahrnehmen, sonst redet er nie wieder über diesen Teil seiner Vergangenheit. Außerdem will Victor alles über ihn wissen. Alles. „Ich dachte, du stammst aus Osaka?" Shredder zögert einen Moment und Victor, der begreift, dass das ein sehr heikles Thema ist, nimmt seine andere Hand hinter seinem Kopf hervor, um ihm erst das Cap abzunehmen, damit er dann besser durch diesen schwarzen Haarschopf streicheln kann. Eine ganze Minute lang kämpft Shredder noch gegen sich selbst, aber Victors engelsgleiche Geduld zahlt sich letztendlich wie immer aus. „Ich bin in Osaka geboren und bin dort die ersten drei Jahre meines Lebens auch aufgewachsen. Dann hat sich mein Vater davongemacht und meiner Mutter eine Menge Schulden hinterlassen. Kazuo war noch ein Baby und das alles war irgendwie zu viel für sie. Also gab sie mich zu ihren Eltern. Sie hatte ihr Leben gerade wieder einigermaßen im Griff, da starb mein Großvater, meine Großmutter verkaufte den Hof und alle Tiere, gönnte sich von dem Erlös ihre heißersehnte Weltreise und ich kam wieder zu meiner Mutter und Kazuo nach Osaka. Das war kurz, bevor ich eingeschult wurde." Es ist gut, daß er Victors Miene nicht sehen kann, denn die pure Verachtung, die Wut und schiere Mordlust, die sich in ihr abzeichnet, hätte ihm einen Heidenschrecken eingejagt. Denn egal, wie neutral Shredder seine Stimme und Worte gehalten hat oder wie sehr er sich bemüht hat, keine Anschuldigungen auszusprechen, Victor bringen schon alleine die Fakten auf hundertachtzig. Wie kaltherzig muss eine Mutter denn bitteschön sein, um ihr Kleinkind ohne wirkliche Not bei alten Leuten abzuladen? Aber bevor er irgend etwas Aufmunterndes dazu sagen kann, redet sein Ninja schon weiter. „Ich war noch sehr klein, kann mich also gar nicht mehr richtig daran erinnern. Ich weiß noch nicht mal mehr, wie meine Großeltern ausgesehen haben, aber ich erinnere mich ganz deutlich an das Wäldchen, durch das ich auf dem Weg zum Kindergarten immer musste. Die Blätter haben im Wind genauso geraschelt wie die hier. Ich habe das geliebt. Es kam mir immer so vor, als sprächen sie mit mir. Oh, aber woran ich mich erinnere, das sind die Tiere. Vor allem das Minischwein. Boo. Er war mein bester Freund." Er hält kurz inne und fährt dann leise lachend fort: „Vielleicht habe ich deshalb ein Warzenschwein aus dem Zoo entführt, als wir unsere Mutanten erschufen." Victors Miene glättet sich gerade rechtzeitig wieder, als Shredder den Kopf in seine Richtung dreht und ihm ein verschmitztes Grinsen schenkt. Unwillkürlich grinst Victor zurück. „Ach, das war gar kein Unfall? Gerüchten zufolge hat der Roboter einen Fehler beim Einfangen gemacht und du wolltest eigentlich Löwen und Tiger." „Roboter machen keine Fehler, nur ihre Programmierer", kommt es vergnügt zurück. „Rocksteady und Bebop wissen, daß der einzige Zufall in der Geschichte der ist, wer von ihnen mit welcher Tier-DNS in Berührung kam." „Haben sie dir das eigentlich niemals übel genommen, daß du sie in Mutanten verwandelt hast?" „Dafür gibt es keinen Grund. Glaubst du, ein geniales Gehirn wie Krang hat nicht für alles, was er erfindet, das passende Gegenmittel parat? Oder, in dem Fall, die passende Strahlenwaffe? Sie wissen, wo das Ding liegt und sie können es jederzeit benutzen. Wir zwingen sie nicht, so zu bleiben." „Pst, nicht so laut", amüsiert legt ihm Victor den Zeigefinger auf den Mund. „Wenn das jemand hört, ist es vorbei mit deinem schlechten Image." Shredder lächelt leicht und spitzt die Lippen gegen diesen frechen Finger. Doch plötzlich schießt er mit einem unflätigen Fluch in die Höhe. „Oh, verdammt, ich habe die Fotos vergessen!“ Noch während er hastig seinen Kommunikator hervornestelt, ist Victor schon lachend aufgesprungen, um ihre Angelruten zu holen. Und so verbringen sie die nächsten fünfzehn (!) Minuten damit, sich verschiedene Anglerposen auszudenken und sich darin abzulichten. Victor kommt aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Wie grau und trostlos war sein Leben doch, bevor dieser verrückte Ninja in sein Leben trat!     Später, als die Schatten wieder länger werden, folgen sie dem Sonnenschein und setzen sich auf einen Felsen am Ufer. Er ist hart, aber dafür schön warm. Sie holen ihre Lunchboxen heraus - „Bentobox", berichtigt Shredder seinen Victor lächelnd - und gönnen sich Shredder-originales, japanisches Fingerfood. Victor ist voll des Lobes über dieses Sushi, bei dessen Zubereitung er vor ein paar Stunden zusehen durfte und stellt sich mit nachdenklich gerunzelter Stirn die Frage, welche der Zutaten wohl für diesen besonderen Geschmack zuständig seien. Er wird sich erst bewusst, diese Frage laut gestellt zu haben, als er Shredders Miene gewahr wird. Zuerst sieht er Unglauben, dann Überraschung und letztendlich wieder verlegen gerötete Wangen. Er hört ein leises „danke“ und weiß mit plötzlicher Sicherheit, daß Shredder noch nie ein Lob für seine Sushi-Kochkünste erhalten hat. Das kann er kaum fassen. „Ich war mir sicher, du bekommst das von deinen Mutanten und dem Alien jeden Tag zu hören.“ Doch Shredder schüttelt nur den Kopf und schielt ihn unter dem Schirm seiner Cap verlegen an. „Ich habe, seit ich Japan verlassen habe, heute zum ersten Mal wieder Sushi gekocht. Und im Technodrome gehört die Küche zu Beeps und Rocks Reich. Und mal ehrlich – ich wär doch schön blöd, wenn ich ihnen das einzige, was sie ganz ordentlich hinkriegen, wegnehmen würde.“ Victor mustert ihn lange und denkt dabei genauer darüber nach. Inzwischen kennt er ihn gut genug, um ihn zu durchschauen. Das eben ist bestimmt nur die halbe Wahrheit. „Ich fühle mich sehr geehrt“, beginnt er daher schließlich langsam und ihn dabei stets wachsam im Auge behaltend, auf jedes noch so kleine Muskelzucken achtend, das ihm verrät, wie nahe er der Wahrheit mit seinen nächsten, wohl gesetzten Worten kommt. „Jahrelang hast du deine Kochkünste vor deinen Freunden geheimgehalten, aber mir gegenüber bist du schon nach so kurzer Zeit so offen. Du bist ein Mann mit vielen, kleinen Geheimnissen – umso mehr freue ich mich über dein Vertrauen mir gegenüber.“ Große, braune Mandelaugen starren ihn einen Herzschlag lang verdutzt an, dann senkt Shredder den Kopf und nagt betreten auf seiner Unterlippe herum. „Ich wollte mir lange Zeit nicht eingestehen, wie wichtig sie mir wirklich sind“, gibt er zerknirscht zu. „Und wollte daher nie mehr als nötig von mir preisgeben, schon gar nichts Persönliches. Mit dir ist es etwas anderes. Wir schlafen miteinander, viel persönlicher geht es doch gar nicht mehr!“ „Ich weiß.“ Victor greift nach seiner rechten Hand und drückt sie, während er sich gleichzeitig zu ihm vorlehnt, und nach seinem Blick sucht, um ihm tief in die Augen zu sehen. „Hey, ich weiß, wiederholt er sanft. „Das macht dir schwer zu schaffen, dein schlechtes Gewissen, sie so behandelt zu haben, nicht wahr?“ will er nach einem kurzen Moment schließlich behutsam wissen. Um Shredders Lippen zuckt ein unglückliches Lächeln. „Ich sagte doch schon: ich bin nicht gut in solchen Sachen.“ Da muß ihm Victor widersprechen. „Doch. Doch, ich finde, du bist sehr gut darin. Jahrelang warst du nur ihr Anführer, aber als solcher hast du sie zusammengehalten und immer weiter getrieben. Du hast nie einen von ihnen zurückgelassen, wenn es brenzlig wurde. Und glaub einem alten Soldaten, wenn ich dir sage: diese Art der Loyalität ist unbezahlbar. Und sehr selten.“ Er hält kurz inne, wartet, bis Shredder den Kopf wieder etwas hebt und überbrückt die letzten Zentimeter Abstand zwischen ihnen, um ihm einen sanften Kuß auf die Lippen zu drücken. Er legt es nicht darauf an, aber als Shredder beinahe sofort seinen Mund etwas öffnet, kann Victor nicht widerstehen und es dauert nicht lange, und sie sind in einem aufregenden Zungenduell gefangen. Aber da sie beide eine gewisse Abneigung gegenüber Sex im Freien haben – zuviel Erde und Gras an empfindlichen Körperteilen und von den Insekten mal ganz zu schweigen – belassen sie es bei diesen harmlosen Zärtlichkeiten und freuen sich dafür nur noch mehr auf ihr Bett im Motelzimmer. So vergehen die Stunden ohne dass sie es wirklich bemerken, erst als die Schatten immer länger werden und die Kälte ihnen die erste Gänsehaut beschert, beschließen sie, dass es auch für sie langsam Zeit wird, diesen schönen Platz zu verlassen. Das Rauschen des Baches, das Zwitschern der Vögel und das sanfte Rascheln der Blätter an den Baumkronen über ihnen und um sie herum wurde zu ihrer beständigen Hintergrundmusik und sie werden das schmerzlich vermissen. Mit einer gewissen Wehmut im Herzen, aber einer wohltuenden Ruhe in ihren Seelen, machen sie sich daran, ihre Sachen zusammen zu packen. Splinter und Casey haben sie schon längst vergessen, werden aber sofort daran erinnert, als aus dem Gebüsch Victors zwei Ratten angesprungen kommen, kurz an Victor hinauf und dann auf der anderen Seite wieder hinunterklettern, dabei aufgeregte Piepstöne von sich geben und schließlich hastig in einem der Rucksäcke verschwinden. Dafür braucht Shredder keine Übersetzung. Er streicht sich nur seufzend durchs Gesicht und drückt sich das Cap tiefer in die Stirn, während er mit den Augen rollt. Victor dagegen fährt unbeeindruckt damit fort, ihre Angelruten auseinanderzubauen und sicher zu verstauen. Wenn er ehrlich sein soll, ist er ein kleines bißchen angespannt. Wenn Shredder und sein ehemaliger Sensei aufeinandertreffen, kann man nie sicher sein, wie die Sache ausgeht. Die letzten beiden Mal war es Zufall, davon kann jetzt nicht mehr die Rede sein und er fragt sich, was Splinter seinem Ninja zu sagen hat. Er versucht gar nicht erst, Splinters Stimmung zu checken, um kein unnötiges Wasser auf irgendwelche Mühlen zu schütten und hofft, daß die große Ratte es als die weiße Fahne erkennt, die es ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)