Die Leiden des jungen Pizzaboten von Mondtaenzerin (Manchmal hat man Pech und manchmal einfach kein Glück) ================================================================================ Kapitel 4: It's-a me, Luigi! ---------------------------- Von daher kam es mir ganz gelegen, dass Luigi mich her zitiert hatte. Ohne Familie, Partner, Kinder und an diesem Abend auch ohne Freunde war ich ein bereitwilliges Opfer. Auch wenn Thanksgiving hier traurigerweise doch eine größere Rolle einnahm, ließen es sich doch die wenigsten nehmen, den freien Weihnachtsabend zu genießen. Das Luigi's ist eine Pizzeria, die klischeehafter nicht sein könnte: rotweiß karierte Tischdecken, Kerzenleuchter in der Mitte, runde, riesige, bemalte Teller aus Ton. Und alles war ganz liebevoll mit ganz viel amore und passion dekoriert. Und natürlich wies man bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass die Pizza noch im Steinofen gebacken wurde und das bei echter, italienischer Pizza, der Belag über den und nicht unter den Käse kam. Und wehe, jemand verwendete einen anderen Käse anstatt Mozarella! Luigis – welcher übrigens eigentlich Giovanni Lombardi hieß – Zorn war ihm sicher. Wenig traditionell war hingegen das Bestellsystem, das ganz modern über ein kleines Tablet funktionierte. Laut Arbeitsvertrag sollte ich mit den eingehenden Bestellungen eigentlich nichts zu tun haben, aber hier war es Luigi, der ganz flexibel sein konnte. Wenn der Krankenstand besonders hoch war oder Luigi den Wohltäter heraushängen ließ und Angestellte nach Hause schickte – ein Schelm, wer hier an Personalsparmaßnahmen denkt! - dann war ich IT-Mitarbeiter, Pizzabäcker und Lieferant in einem. Am Anfang ging das natürlich mehrmals schief. Ich bin nicht auf Multitasking ausgelegt und von der Küche sollte man mich auch besser fernhalten, aber Luigi sah augenscheinlich das große Potential in mir. Vielleicht war er aber auch schlichtweg verzweifelt. Ich klopfte mir also die mehlbeschmutzten Hände an der Schürze mit dem Aufdruck I want ABS, but I want Pizza more - selten konnte ich mich mit einem Satz mehr identifizieren - ab, nahm das Tablet, das im gleichbleibenden Rhythmus einen Piepton von sich gab und checkte die eingehende Bestellung. „Luigi? Kannst du eine Flasche Feudo Arancio Nero D'avola packen? Bestellnummer 271300.“ „Ah Harry, ich habe Wichtigeres su tun!“, entgegnete er, woraufhin ich um die Ecke spähte. „Mi amore, bitte weine nicht! Tua madre wird wieder gesund, ich glaube ganz fest daran!“ Das Gesicht der Brünetten auf dem Monitor – die ich übrigens noch nicht kannte – war tränenüberströmt und völlig aufgelöst fächerte sie sich mit der Hand Luft zu. „Ich weiß nicht, was ich machen soll! Sie wird sterben! Dann bin ich schuld an ihrem Tod!“ Luigi redete weiterhin beruhigend auf die Dame ein, die nun herzzerreißend schluchzte. Ich seufzte nur schwer, stapfte daraufhin in den Keller, um den bestellten Rotwein zu holen. Kaum war ich unten angekommen, ertönte auch das Signal des Ofens, dass die Pizzen rausgeholt werden konnten und kurzzeitig hoffte ich, dass Luigi sich darum kümmerte, ehe ich jedoch selbst wieder immer zwei Treppen auf einmal nehmend hinaufsprintete, die Pizzen rettete, sie in die Kartons packte, nummerierte und in die Warmhaltebox legte, nur um wieder in den Keller zu hetzen. Wenn Kunden etwas hassten, dann war es, wenn man die nach der Bestellung angegebene Lieferzeit überschritt. Das diese Angabe automatisch von uns gesendet wurde und die Lieferzeit grundsätzlich 45 bis 60 Minuten betrug, war den wenigsten bewusst. Ich weiß, normalerweise waren es 30 bis 45 Minuten, aber den kleinen Puffer mussten wir einbauen, damit waren wir auf der sicheren Seite. Der Wein und zwei Flaschen Pepsi – ja, ekelhaft, aber nur so ließen sich Amerikaner besänftigen, falls ich doch zu spät sein sollte – wurden in eine weitere Kiste verstaut, noch einmal checkte ich alle eingegangenen Bestellungen. Wenn nicht noch ein Notfall reinkam, dann sollte das meine letzte Tour für den Abend sein. Ich schlüpfte in meinen Parka, wickelte mir den Schal um und setzte locker den Helm auf meinen Kopf, um die Hände für die Kisten frei zu haben. „Ich bin dann weg!“ Voll bepackt stellte ich mich hinter meinen Boss, doch der hatte nur Augen für die schwarzhaarige Schönheit auf dem Bildschirm vor sich. „Ist die nicht viel zu jung für dich?“ Hatte er mir zuvor wenigstens ein Schielen zugeworfen, fühlte ich mich gerade wie das Java-Update, dessen Symbol auf deinem Notebook unten rechts aufploppt und auf deine Erlaubnis zur Durchführung wartet. Genau genommen also fühlte ich mich nicht existent. „Bitte hör'e auf su weinen, Sophie! Wie viel sagtest du, kostet die Behandlung deiner Mutter?“ Die scheinbar neue Flamme meines Chefs, tupfte sich mit einem Taschentuch behutsam über die verheulten Augen, noch immer war ihre Stimme brüchig, als sie sprach: „Ich... ich habe schon fast 40.000 Dollar zusammen... Fehlen noch ungefähr 60.000 Dollar... Ich weiß nicht mehr weiter, ich spare jeden Cent und habe noch einen Putzjob angenommen, aber... aber…“ Wieder brach sie in Tränen aus und Luigi hob beschwichtigend die Hände. „Sophie, mi amore... Hör mir su! Ich gehe nach den Feiertagen sur Bank und dann sehe ich, wie ich dir helfen kann...“ „Luigi, ich glaube, das ist keine...“ Bildete ich mir das ein oder blitzten ihre Augen in meine Richtung gerade gefährlich warnend auf? Irgendetwas gefiel mir an der ganzen Geschichte nicht. „Musst du nicht arbeiten?“ Ich fühlte mich zwar immer noch wie das Java-Update, aber eher wie das Pop-Up-Fenster, bei dem Luigi deutlich ausgewählt hat, ich solle ihn in vier Stunden noch einmal daran erinnern. Oder anders ausgedrückt: „Geh mir nicht auf den Sack, Bambino.“ Resigniert – und auch in der Furcht vor wütenden Kunden – verließ ich dann das Bistro, fixierte mit zwei Spanngurten die Kisten auf den hinteren Teil meiner Vespa 150 GL, ein altes Schätzchen, das ich nun auch beruflich nutze, seitdem der Roller des Luigi's in einem Schneechaos verreckt ist und Cheffe es bisher als für nicht nötig hielt, das Fahrzeug reparieren oder austauschen zu lassen. Warum denn auch – Ersatz war ja da. Störte mich eigentlich auch nicht weiter, weil ich mit dem Teil ganz gerne durch Portland gurkte. Und wenigstens den Sprit bekam ich bezahlt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)