Die gemeine Pistensau von Platypusaurus (Fanfiction-Adventskalender 2018 - Türchen 20) ================================================================================ Die gemeine Pistensau --------------------- Das Monster, dem sie die letzten anderthalb Wochen vergebens nachgestellt sind, ist vermutlich nicht der Yeti oder Bigfoot, aber es hat sie trotzdem in ein kanadisches Ski Resort verschlagen. Sam kann bereits nicht mehr an den Fingern abzählen, wie oft ihn sein Bruder seither mit seinem ewigen „Hey, Sasquatch!“-Singsang in den Wahnsinn getrieben hat. Sasquatch, so nennt man Bigfoot hier und allmählich beginnt Sam tatsächlich, sich nach seinem Babynamen zurückzusehnen, mit dem Dean ihn sonst immer nervt.   Eigentlich hat Sam sich Kanada immer ganz schön vorgestellt: Die Rocky Mountains befinden sich direkt vor der Haustür, und er hätte ganz und gar nichts dagegen einzuwenden, ihren erzwungenen Aufenthaltsort für eine Runde Snowboarden zu nutzen. Seinetwegen sogar für Après-Ski.   Doch weit gefehlt. Dean hat dafür gesorgt, dass er nicht einmal in die Nähe eines Ski-Verleihs gekommen ist, obwohl sie sich morgen wohl um Schneeschuhe kümmern werden müssen, wenn die letzte Befragung auf ihrer Liste genauso ergebnislos bleibt, wie ihre bisherigen Ermittlungen. Wenn die Zeugen nichts taugen, müssen sie selbst in den Schnee.   An einem Urlaubsort einen Fall aufzuklären, erweist sich als überraschend schwierig; die Leute kommen und gehen und jeder Tourist mischt seiner kleinen Begegnung mit dem Übernatürlichen noch eine ausschmückende Eigennote bei, damit der Urlaubsbericht daheim auch garantiert zum Erlebnis wird.   Und dann steht man hier offenbar auf Cowboys. Das macht es nicht wirklich besser.   Die Bar, in der sie den Abend verbringen, heißt Lucky‘s Ranch, was schon an und für sich peinlich ist. Sam versucht seit zwei Stunden, auf seinem Platz in der hintersten Ecke unsichtbar zu werden. Leider gelingt ihm das nur mit mäßigem Erfolg; er wurde schon dreimal angesprochen. Einmal sogar von einem Cowgirl, denn, wie der peinliche Name des peinlichen Etablissements bereits vermuten lässt: Sie befinden sich in einer waschechten Western-Bar. In einem Ski Resort.   Bigfoot und Sporen, yippieh-ya-yeah, Schweinebacke, denkt Sam naserümpfend. Deans Worte, nicht seine.   Schweiß und Alkohol liegen schwer in der Luft und aus dem Raucherbereich wabern die süßlich-herben Schwaden von Zigarrentabak in den Schankraum. In dessen Mitte steht und schweigt ein mechanischer Bulle, dem zum Glück bisher noch niemand zu nahe gekommen ist. Sam kann gut und gern darauf verzichten, Zeuge eines solchen Ritts zu werden.   Für die Piste ist es inzwischen natürlich längst zu spät, aber Sam fallen spontan eine Menge Orte ein, an denen er seinen Abend lieber verbringen würde. Ein hübsches, kleines Diner, vielleicht. Die örtliche Bibliothek, die fast durchgehend geöffnet hat. Selbst auf dem Rücksitz des Impalas wäre es annehmbarer, wenigstens ruhiger, als hier.   Sam rutscht die durchgesessenen Sitzpolster der Eckbank etwas tiefer hinunter, versucht, sich kleiner hinter seinem Laptop zu machen, dessen Bildschirm, trotz gedimmter Monitorbeleuchtung, der Schummrigkeit der Bar viel zu hell trotzt.   Er hat so sehr auf einen ruhigen Abend gehofft. Aber nein, sein Bruder hatte andere Pläne.   Dean feiert Weihnachten.   Eigentlich ist es der vierzehnte Februar, die bescheuertste Erfindung, seit es konsumorientierte Feiertage gibt. Überall hängen verfluchte Rosen, Herzen und fette, kleine Engel in Lendenschurz und mit Pfeil und Bogen. Bloß nicht hier, hier steppt der Gaul. Alles hier ist aus Leder, Stroh oder Holz, hat überflüssigerweise Nieten, Sporen oder Pferdeleine um sich herum drapiert.   Und auch den Einfluss von Sasquatch gibt es hier. Demütigenderweise hängt ein großer Plüschkopf wie eine Jagdtrophäe direkt in Sams Blickfeld über einem Wagenrad an der Wand. In Kanada hat man mit dem Lasso offenbar nicht nur Kühe und Pferde gebändigt, wie es den Anschein hat.   Die Tatsache, dass Dean das Datum ausnutzt, um frustrierte Singlefrauen für sich zu gewinnen, und seine heimliche Schwäche für Cowboys sind Schuld daran, dass sie hier gelandet sind. Dean hat darauf bestanden, dass auch Sam einmal etwas anderes als das Innere ihres schäbigen Bed and Breakfast Zimmers zu sehen bekommt.   Und leider ist da der Dackelblick. Wenn er nicht bis an sein Lebensende gepiesackt werden will, darf Sam das natürlich niemals vor Dean zugeben, aber selbst er ist dem Charme seines Bruders in schwachen Momenten erlegen. Und dann bekommt Dean seinen Willen und Sam … Sam sitzt sich den Hintern platt und versucht, nicht allzu genau hinzusehen, bei dem, was sein Bruder da an der Bar mit der unverschämt attraktiven Unbekannten anstellt. Offensichtlich hat Dean nämlich gerade damit begonnen … seine Weihnachtsgeschenke auszupacken. Zumindest, soweit das in der Öffentlichkeit möglich ist, ohne binnen von Sekunden die Polizei am Hals zu haben.   Sam stöhnt entnervt auf und heftet den Blick an den Bildschirm vor sich. Das geöffnete Arbeitsdokument grinst ihn von dort aus weiß und hämisch und vollkommen leer an. Er lässt die Knöchel knacken, lockert die Handgelenke und gönnt sich einen Schluck von seinem Bier. Wenigstens dieses eine Weizen hat er sich zugestanden, um den Abend besser zu überstehen – darüber hinaus ist Alkohol für ihn leider gestrichen, denn, wie bereits erwähnt: Dean feiert Weihnachten.   Bedeutet, Sam darf am Ende Taxifahrer spielen und seinen vermutlich bis dahin bis zum Rand vollen Bruder zum B&B zurück kutschieren. Dean besteht zwar definitiv auf seine Geschenke, aber wie so oft ist er darauf aus, sie sofort zu genießen. Zum Teufel mit dem ‚Morgen danach‘ – gespeist wird, so lange das Essen heiß ist und darüber hinaus hat er kein Interesse, zweimal aus demselben Topf zu naschen.   Also bleibt Sam nüchtern, so halbwegs, und klammert sich den ganzen Abend über an sein einziges Bier. Es schadet ihm sowieso nicht, einen klaren Kopf zu behalten, denn eigentlich hat Sam Pläne. Seine Art, während eines Falles auch mal auf andere Gedanken zu kommen, sieht bloß ein bisschen anders als bei seinem Bruder aus.   Auf dem Tisch, zwischen Laptop und Bierglas, liegt das in Leder gebundene Tagebuch ihres Vaters, gefüllt mit Details zu Jagden, Monstern, Schutzritualen und Überlebensstrategien. Beinahe zärtlich betrachtet Sam das Buch. Es ist weniger der sentimentale Erinnerungswert als vielmehr das gesammelte Wissen zwischen den Seiten, das ihn andächtig werden lässt. Er fühlt eine Art Auftrag, ein Vermächtnis, auf sich ruhen, seitdem sie in den Besitz des Tagebuchs gekommen sind.   Sam wirft erneut einen kurzen Blick zu seinem Bruder, für den die Weihnachtsglocken in diesem Moment offenbar besonders laut und besinnlich läuten, und schüttelt den Kopf. Dann widmet er sich ganz schnell wieder dem kleinen Langzeitprojekt, dessen Beginn er sich für den heutigen Abend vorgenommen hat: Die Digitalisierung und Erweiterung von John Winchesters Tagebuch.   Dass er jetzt dieses Leben führt, widerspricht viel zu sehr allem, wofür Sam in den letzten Jahren gekämpft hat, aber der Gedanke, selbst ein Jägertagebuch anzulegen, übt einen unwiderstehlichen Reiz für ihn aus. Er gibt ihm das Gefühl, die Kontrolle über etwas zu haben, etwas Nützliches zu tun, Informationen zu ordnen, Wissen anzusammeln.   In der letzten Zeit hatten sie ziemlich viel mit Geistern zu tun und Sam beschließt, dass es am sinnvollsten sei, aus den verstreuten Notizen seines Vaters einen übersichtlicheren Sammelartikel auf seinem Rechner anzulegen. Ganz nebenbei würde das der Recherche für ihren aktuellen Fall zugute gekommen, denn der Verdacht liegt auch hier stark auf ruheloser Seele. Oder einer Tulpa vielleicht.   Seine Finger schweben über der Tastatur, als ein Lachen vom anderen Ende des Schankraumes zu ihm herüber weht.   „… bin mit meinem Auto da. Original 67er Chevy Impala – wir können überall hin ...“, hört Sam Dean sagen.   Ah ja, das ist ja toll. Dean (plus Eroberung) plant angeschickert Spritztouren mit seinem Baby und lässt seinen Bruder dabei einfach sitzen? In dieser grässlichen Bar, in der ausschließlich Country und Folk gespielt wird und in der die Luft so dick ist, dass man sie in Scheiben schneiden kann.   Sam ist nicht verletzt, er ist richtig sauer.   „Schön!“, murmelt er zwischen zusammengebissenen Zähnen vor sich hin. Schön, soll Dean doch sehen, was der davon hat!   Noch ein Schluck Bier, dann macht er sich an die Arbeit. Er sucht nach einem passenden Namen für das Monster, das er im Begriff zu katalogisieren ist. Sein Blick fällt auf den hässlichen Plüschkopf an der Wand. Bigfoot, Yeti und vor allem Sasquatch fallen definitiv weg. Am Ende wird Dean ihm noch einen Strick daraus drehen. Es muss etwas sein, das mehr trifft.   ‚Der gemeine Platzhirsch‘, tippt Sam säuerlich grinsend und lässt die Überschrift einen Moment lang auf sich wirken. Das ist doch mal eine andere Art von übernatürlichem Monster als die Geister, über die er eigentlich schreiben wollte! Er wirft einen prüfenden Blick in Deans Richtung, der seine Nase schon wieder im Ausschnitt von Wonder Woman mit den großen Glocken vergraben hat. Der Anblick ist provozierend genug, um weiterhin an dieser verrückten kleinen Idee festzuhalten; seinem Bruder ist es Schnuppe, dass er sich hier unwohl fühlt und zu Tode langweilt, solange er selbst nur eine gute Zeit hat.   Aber irgendwie tut es Platzhirsch nicht zur Genüge. Sam überlegt einen Moment. Rampensau, vielleicht? Schließlich setzt er die Finger erneut an die Tastatur und beginnt zu tippen. Eine ganze Weile ist er damit beschäftigt, sich den Frust von der Seele zu schreiben und sein diebisches Grinsen dabei hält sogar die ungebetenen Flirtversuche von ihm fern.   Sam unterbricht sich im Schreiben und überfliegt, was er in den letzten Minuten fabriziert hat. An manchen Stellen schnaubt er über seine eigenen Worte – das Ergebnis ist tatsächlich ganz schön lächerlich geworden. Und vor allem ziemlich fies.   Wieder dringt Deans Lachen bis zu seinem Tisch und als der diesmal aufsieht, bemerkt er mit Schrecken, dass Dean sich von der Bar und seiner Freundin losgemacht hat und jetzt breitbeinig auf die Mitte des Raumes zusteuert. Man merkt ihm auf einen Blick an, wie betrunken er ist; sein Gang schwankt heftig und das alberne Stolzieren betont seine O-Beine ziemlich unvorteilhaft.   „Oh nein, Dean, bitte nicht ...“, stöhnt Sam verzweifelt vor sich hin, doch es ist schon zu spät. Mit einem glasigen Lächeln Richtung Bar hat Dean sich erstaunlich selbstsicher auf den mechanischen Bullen geschwungen, der mit dem Klappern einer Münze und einem Knopfdruck zum Leben erwacht.   Sam vergräbt das Gesicht in den Händen und möchte am liebsten im Boden versinken.     *   Der Zug, der Dean in der Nacht überrollt zu haben scheint, dröhnt und pfeift noch immer in seinem Kopf, als er am nächsten Morgen unsanft erwacht. Alles dreht sich und die Bitterkeit in seinem Rachen teilt ihm mit, dass das Badezimmer jetzt besser unbesetzt ist, wenn er ein Unglück auf dem Teppich vermeiden will. Er schafft es gerade noch rechtzeitig zur Toilette.   Nachdem er sich die Zähne geputzt und es sogar irgendwie unter die Dusche geschafft hat, kommt er in ein Handtuch gewickelt zurück ins Zimmer gewankt. Sam, dieser Bastard, sitzt mit hochgezogenen Brauen am Tisch und hämmert in ohrenbetäubender Lautstärke auf die Tastatur seines Laptops ein.   „Kaffee?“, hat er wenigstens den Anstand zu fragen – viel zu laut – und deutet auf zwei dampfende Becher vor sich.   „Mhmpf!“, macht Dean nur, denn er befürchtet, sobald er den Mund öffnet, könnte es passieren, dass er wieder ins Bad rennen muss.   Er ignoriert Sams Bitchface und beginnt damit, sich anzuziehen. Als er damit fertig ist, wankt er zum Tisch und schnappt sich den Becher, aus dem Sam noch nicht getrunken hat. Einen Moment lang wärmt er sich nur die Hände daran, bevor er sich traut, ihn vorsichtig an die Lippen zu setzen und einen winzigen Schluck zu nehmen.   Sam seufzt und schiebt ein Röhrchen Tabletten in Deans Richtung, ohne von seinem blöden Laptop aufzusehen.   „Wasser steht neben deinem Bett“, sagt er, immer noch viel zu laut, aber die Information ist wenigstens hilfreich.   „Also, was steht an?“, fragt Dean, bloß ein bisschen rau, nachdem er sich sicher ist, dass sich sein Innerstes nicht mehr nach außen kehrt und der Kaffee drin bleibt.   „Wir haben in einer Stunde eine Skiwanderung“, schreit Sam in Zimmerlautstärke und Dean stöhnt mit verzerrtem Gesicht in seinen Kaffee hinein, mit dem er die Tabletten hinunter spült, bevor er das Wasser hinterher kippt.   „Heißt, wir müssen vorher noch zum Skiverleih. Der Tour-Führer ist unser letzter Zeuge auf der Liste und da du gestern deinen Spaß in der Bar hattest, fand ich es fair, wenn ich dafür heute meine Runde im Schnee kriege.“   Dean starrt Sam blinzelnd an (er sitzt zu nah am Fenster und es ist viel zu hell). Dieses Aas, diese Bitch, dieser gigantische blöde Sasquatch!   „Keine Sorge, ich hab uns das Anfänger Paket gebucht, du wirst schon mithalten können. Uns bleiben dafür die Anzüge erspart und wir kommen mal raus! Sieh‘s als Urlaub an, oder so.“   Sam klappt seinen Laptop zu und steht auf.   „Ich schlage vor, du ziehst dich langsam an.“   Dean überlegt, wie er Sam am besten kalt machen kann, ohne dabei in seinem Kater auf die Leiche zu reihern. Das wäre bei weitem zu viel DNA für die Spurensicherung.     *   Der Schnee glitzert so hell, dass es Dean in den Augen wehtut. Trotz Sonnenbrille. Er stakst ganz allein am Ende der kleinen Touristen-Karawane durch den Schnee, während Sam sich an der Spitze an die Fersen des Tour-Guides geheftet hat.   Deans Kater ist ein kleines bisschen besser, aber es geht ihm noch nicht wieder gut genug, als dass er es so einfach wegstecken könnte, wie Sam sich hervortut, während er selbst leidet. Ihre Truppe besteht aus zehn Personen und niemand kümmert sich um ihn – oder um Bigfoot oder die Schneefrau oder was auch immer das vermaledeit Monster ist, dem sie hier auf der Spur sind.   Dazu kommt leider, dass der Guide niemand anderes ist, als Deans Eroberung von letzter Nacht. Der es offensichtlich deutlich besser geht als ihm, die dafür aber erhebliche Gedächtnislücken zu haben scheint, denn sie will sich mit einem Mal nicht mehr daran erinnern, ihn zuvor schon einmal getroffen zu haben.   Deans Laune ist, nach dem gestrigen, berauschten Hoch, ziemlich am Tiefpunkt angelangt. Endlich machen sie eine Pause. Die Gelegenheit, um ganz unauffällig mit Susan, dem Weihnachtsgeschenk, ins Gespräch zu kommen und sie zu ihrem Fall zu befragen. Aber das muss natürlich auch Sam übernehmen, aus naheliegenden Gründen.   „Wir nehmen gleich diesen gesicherten Abhang!“, erklärt Susan, das Ski fahrende Cowgirl mit Gedächtnisschwund, als Dean den Rastplatz etwa zehn Minuten nach allen anderen erreicht.   Dean sieht aus den Augenwinkeln, wie Sam ihm einen mitleidigen Blick zuwirft. Oh, wie sehr er Ski fahren hasst! Er wird es Sasquatch und dieser blöden Susan schon zeigen …   „Brauchen Sie noch einen Moment?“, fragt Susan kühl, als Dean sich schwer atmend auf seine Skistöcke stützt. Auch alle anderen Teilnehmer der Wanderung starren ihn an und von erwartungsvoll bis abfällig ist auf den acht namenlosen Gesichtern jede Reaktion auf seinen körperlichen Zustand vertreten. Dean ist mit einem Mal wieder nach Erbrechen zumute.   „Ach was, bin startklar!“, beeilt sich Dean zu sagen und stellt sich mit den anderen an der kleinen Piste auf. Susan kontrolliert ihre Haltung und wiederholt noch einmal das Best of ihrer Tipps vom Anfang der Tour. Dean kann hören, wie sie Sam, am anderen Ende der Reihe, über die Maßen für seine Körperspannung und Kondition lobt.   Am Ende kann er nicht einmal mehr sagen, ob es pure Absicht, Trotz, war, ein Versehen oder von allem ein bisschen, aber mit einem Mal neigt Dean sich ein klein wenig zu weit noch vorn und bevor er das Gewicht wieder nach hinten verlagern kann, rast er auch schon den Hang hinunter.   Er hört Schreie hinter sich, rudert mit den Stöcken wild durch die Luft und bevor er seine Skier auch nur ansatzweise in die Position gebracht hat, die Susan ihnen zum Bremsen gezeigt hat, hat er sich auch schon im Schnee überschlagen.   Er rollt noch ein ganzes Stück weiter, die Skier und Stöcke hat er längst verloren. Als er endlich liegen bleibt, spuckt er eine Menge Schnee und ein kleines bisschen Blut und es dauert lange, bis der Himmel über ihm sich wieder zu drehen aufhört.     *   Das Monster, dem sie die letzten anderthalb Wochen vergebens nachgestellt sind, war überhaupt keins. Bobby ist zur Hilfe geeilt, nachdem Dean im Krankenhaus gelandet ist und es hat sich herausgestellt, dass das Monster eine Touristenattraktion in Form eines verkleideten Vollidioten ist, der ein paar Mal im Jahr nachts durchs Dorf schleicht. Bobby hat das überraschend schnell aus Susan, dem eiskalten Cowgirl, herausbekommen. Alles, was dafür nötig war, waren ein Anzug und der Name einer großen Zeitung, für die Bobby angeblich schreibt.   Dean kann bereits nicht mehr an den Fingern abzählen, wie oft Bobby ihn und Sam für ihre Naivität aufgezogen und Dean selbst für die Eskapade mit Susan getadelt hat. Am Ende sagt Bobby noch, dass man aus Fehlern am besten lerne und was für gewaltiges Glück sie gehabt haben, denn normalerweise gehen Fehler bei der Jagd nicht so glimpflich aus.   Dean hat sich das Bein gebrochen und wurde mit einem Streckgips lahm gelegt. Ziemlich blöd, sehr ungünstig, extrem unangenehm, aber kein Weltuntergang. Nach der Schmach von ihrer Skiwanderung und der verpatzten Jagd ist es ganz nett, die Verletzten-Karte ausspielen zu können, um sich von Sam ein bisschen bedienen zu lassen. In Bobbys Anwesenheit ist das leider nicht ganz so einfach, denn der Mann hat nichts übrig fürs Verhätscheln.   So verbringt Dean ein paar ungemütliche Stunden mit Sam und Bobby an seiner Seite in einem Krankenhausbett, bis ein schneetauglicher Rollstuhl für ihn aufgetrieben wird, mit dem sie ihn zum Auto kriegen. Dean gähnt, Bobby liest (die Cosmopolitan, die er aus dem Wartebereich hat mitgehen lassen, wie es den Anschein hat, aber weder Sam noch Dean trauen sich, ihn darauf anzusprechen) und Sam tippt mal wieder an seinem Laptop herum.   „​Was schreibst du da, Sammy?“, fragt Dean schließlich.   Er geht noch ein, vor lauter Langeweile und das Fernsehprogramm ist unterirdisch.   „Nichts“, antwortet Sam mit Pokerface und tippt ungerührt weiter.   „Na komm schon, verrat‘s uns!“   „Geht dich nichts an!“   „Ich hab einen Gips!“   „Was hat das bitte damit zu tun?“   „An dem Gips bist du selber Schuld“, brummt Bobby und schlägt mit leisem Rascheln seine Zeitschrift zu.   „​Wenn du dich vor einem One-Night-Stand zum Idioten machst, ist das dein Problem, Junge!“   Dean will protestieren, doch Bobby ignoriert ihn wieder vollkommen und lehnt sich stattdessen von seinem Stuhl aus zu Sam herüber.   „Zeig mal her“, fordert er auf und Dean kann sehen, dass Sam sich innerlich windet, weil er Bobby eigentlich nie etwas abschlagen kann.   Widerwillig dreht er den Laptop auf seinen Knien zu Bobby herum.   „Führst du Tagebuch? Wie dein Dad?“, fragt Bobby interessiert und seine Augen huschen beim Lesen über den Bildschirm.   Dean sieht überrascht, wie sich sein Gesichtsausdruck dabei in Erstaunen, zu Belustigung und wieder zurück zu seinem altbekannten, grimmigen Selbst wandelt.   „Was hat Sasquatch geschrieben, Bobby?“   Ihm gefällt gar nicht, wie sein Bruder plötzlich dunkelrot anläuft und peinlich berührt jeden Blick in Deans Richtung vermeidet.   „Lies das mal am besten selbst“, meint Bobby, hebt den Computer von Sams Schoß und will ihn zu Dean ins Bett herüber reichen. „Ist das okay?“, fragt er schließlich doch noch nach.   Sam zuckt ergeben die Achseln. Wenn Bobby es gelesen hat, darf Dean anscheinend auch einen Blick riskieren. Dean nimmt das Gerät entgegen und beginnt misstrauisch zu lesen:     Die gemeine Pistensau   Die gemeine Pistensau misst aufrecht etwa sechs Fuß, tut aber gerne so, als wäre sie erheblich größer. Außerdem ist sie an ihrem dunkelblonden Deckhaar, den grünen Augen und der hellen, sommersprossigen Haut zu erkennen, die bei Anstrengung, Hitze, zu viel Sonnenstrahlung, Verärgerung oder Blamage leicht rot anläuft.   Die Pistensau ist ein Platzhirsch und lässt nicht mit sich verhandeln, was ihren Alphastatus betrifft. Das typische Imponiergehabe trifft vor allem zu, wenn sie in die Balz tritt, was insbesondere in den späten Wintermonaten und im Frühjahr der Fall ist. Grundsätzlich ist die gemeine Pistensau das ganze Jahr über paarungsbereit, zieht es jedoch vor, sich die meiste Zeit über bedeckt zu halten. Bindungen geht sie überhaupt nicht gern ein, wenn aber doch, scheint sie einen strikt monogamen Lebensstil zu bevorzugen (Anm.: In diesem Punkt sind sich die Forscher noch uneins!).   Die Pistensau ist ein scheues Wesen, dem man sich langsam annähern muss, um sein Vertrauen zu gewinnen. Fühlt sie sich bedroht, wird sie jedoch zur wahren Bestie. Ihre Stärken sind der Nah- bzw. Zweikampf. Sie beherrscht Krav Maga, grundlegende Survival Techniken auf Army Niveau und kann zu Fuß ein erstaunlich hohes Tempo erreichen. Außerdem sollte man sich vor ihrem losen Mundwerk in Acht nehmen, wenn einem das eigene Wohlergehen lieb ist.   Ihre Schwächen sind, überraschenderweise, die Pisten selbst. Auf Skiern hält sie sich mehr schlecht als recht und Alpin geht es für sie nur noch bergab – im wahrsten Sinne des Wortes. Darüber hinaus lassen die Pistensau, neben fettigen Teigwaren und hochprozentigen Alkoholika, auch die Reize des anderen Geschlechts schwächeln: Präsentiert man dem Männchen ein paarungswilliges Weibchen mit ausgeprägten sekundären Geschlechtsmerkmalen, kann man es stundenlang beschäftigen. Seine Balzrituale nehmen dabei mitunter solche Ausmaße an, dass ihm gar nicht auffällt, wenn es sich lächerlich macht.   Die Pistensau hat ein außerordentlich gutes Gedächtnis, was irrelevante Details ihrer kulturellen Unterhaltungsmedien betrifft, ist Meister der zynischen Schlagfertigkeit und stellt sich ganz manierlich bei der Zubereitung von Mahlzeiten an. Ihre mechanischen Fähigkeiten sind außerordentlich, beschränken sich zumeist aber auf die Instandhaltung des Aufreißermobils, das die Pistensau mehr liebt, als all ihre Kopulationspartner zusammen.     Für die Rückfahrt nach Sioux Falls fährt Dean in Bobbys Auto mit und Sam nimmt den Impala. Es ist der Beginn der überaus grausamen Streiche Schlacht von 2004, die mit einem Friedensangebot endet, weil sie ab einem gewissen Punkt fürchten, der Ausgang lasse sich nur durch das Ableben von Dean oder Sam entscheiden.    Dean feiert noch immer alljährlich sein zweites Weihnachten am vierzehnten Februar. Aber er benimmt sich dabei nicht mehr ganz so daneben und zwingt Sam nicht, ihn zu begleiten. Sam verschont Dean dafür mit sportlichen Aktivitäten, auf die dieser partout keine Lust hat und am Ende findet Sam, dass sich die ganze Sache doch irgendwie gelohnt hat.   Zumindest sind sie seitdem ein deutlich besseres Team.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)