Koma von Michirukaioh (,,Ich kann das Licht sehen") ================================================================================ Kapitel 5: Eine besorgte Lehrerin --------------------------------- Den nächsten Schultag sehnte sie gar nicht herbei, doch auch dieser kam. Die Busfahrt am Morgen verlief relativ gut und die kommenden Stunden ebenfalls. So wie jeden Tag sehnte sie die Pause herbei. Bei der Lehrerin vom Montag , welche sie aus Besorgnis berührt hatte, hatte sie sich bereits entschuldigt. Jedoch hatte die türkise Künstlerin nicht damit gerechnet, dass genau die Lehrerin am heutigen Tag mit ihr ein Gespräch führen wollte. Dafür blieb die Frau extra die letzte Stunde da, obwohl sie da schon gehen könnte, und Michiru müsste für diese eine Stunde nicht in den Unterricht. Warum wusste das Mädchen nicht. Aber irgendwie war sie froh, dass die Lehrerin mit ihr ein Gespräch suchte. In der Pause suchte die Geigerin sich eine leere Bank ganz hinten in der Ecke des Schulhofes, an der sie sonst auch immer saß. Die Musik drang ihr durch die Kopfhörer in ihre Ohren. Eigentlich kannte sie jedes Lied bereits in- und auswendig, da es doch ziemlich viel war, was sie am Tag an Musik hörte. Haruka verbrachte den Anfang der Pause bei Setsuna, die allerdings für eine Arbeit in der kommenden Stunde lernen musste. ,,Hast du die Kleine heute noch mal gesehen?'', fragte Setsuna, als diese bemerkte, dass Haruka ziemlich gelangweilt war. ,,Bisher noch nicht. Weißt du wo sie ist?", wollte die Blonde wissen. ,,Du kannst es auch nicht lassen, oder?'', lachte die Grünhaarige. Denn eigentlich hatte Michiru klare Hinweise gegeben, doch Haruka gab demnach noch nicht auf. ,,Du bist ziemlich an ihr interessiert. Habe ich recht?", grinste Setsuna. ,,Gar nicht wahr!" Allerdings war es eindeutig, dass die Blonde  kurz rote Wangen bekam. ,,Ich will einfach nur befreundet mit ihr sein!" ,,Also bist du an ihr interessiert." ,,Ja..." Die kommende Minute herrschte Stille zwischen den beiden. ,,Sitzt sie wieder hinten?", fragte sie, als ihr wieder langweilig wurde. ,,Wahrscheinlich. Schau einfach nach." Sofort stand Haruka auf und lief los. Am Morgen hatte sie das Mädchen nicht gesehen. Also musste sie das jetzt unbedingt nachholen. Das wunderschöne und engelsgleiche Wesen - So sah sie Michiru. Dass das guten Morgen am letzten Tag von ihr ignoriert wurde, nahm sie ihr gar nicht übel. Die Rennfahrerin wollte unbedingt mit ihr wenigstens befreundet sein. Und dafür würde sie so einiges geben. Außerdem wollte sie helfen, denn so wie sich diese Michiru verhielt, stimmte irgendetwas nicht mit ihr. Aber bevor sie dem Mädchen helfen konnte, brauchte sie erst einmal ihr Vertrauen. Und das war gar nicht mal so einfach. Schon von Weitem konnte die Pianistin Michiru sehen, da sie da als Einzige ganz allein auf der Bank saß. Denn sonst war hier fast keiner allein. Mit jedem Meter, den sie dem Mädchen näher kam, wurde der Herzrhythmus um ein Vielfaches schneller. Vor dem türkishaarigen Mädchen angekommen, erhob diese ihren Kopf, doch sie sagte nichts. ,,Darf ich mich neben dich setzen?", fragte die Blonde etwas zurückhaltend. Aber wie erwartet kam keine Antwort. Haruka wurde ein wenig unsicher, was sie sonst eigentlich nie war. Langsam atmete sie aus, dann wieder ein und letztendlich wieder aus. Es war eindeutig nicht leicht mit dieser engelsgleichen Schülerin Kontakt zu knüpfen. Aber sicher war es nicht unmöglich. Also nahm Haruka neben ihr Platz. ,,Wie war dein Unterricht?", wollte sie nun wissen. Michiru war sofort genervt. Eigentlich hatte sie nicht gewollt, dass jemand sich neben sie setzte. Aber sie konnte ja wohl schlecht etwas dagegen machen. Die Künstlerin hatte natürlich gehört, was genau die Blonde gefragt hatte, dabei war aber keine Antwort eingeplant. Doch Haruka gab nicht auf. ,,Haben dich deine Mitschüler wieder geärgert?" Die Geigerin war sichtlich genervt. Als dann noch weitere Fragen kamen, reichte es ihr. ,,Mir geht es gut, okay?", sagte sie gereizt. Für Haruka war das fast wie ein Traum. Hatte sie wirklich gerade geantwortet? ,,Was hast du jetzt für Unterricht?" ,,Mathe", kam es promp und immer noch gereizt. In der Türkishaarigen bestand nicht das geringste Interesse für ein Gespräch. ,,Cool, ich habe jetzt Sport", lächelte die Blonde, doch Michiru sah das glückliche Lächeln nicht. ,,Aha..." ,,Was hörst du für Musik?", wollte Haruka von ihr nun wissen. ,,Warum willst du das wissen?", murmelte Michiru. ,,Einfach so. Du redest mal mit mir und das freut mich wirklich sehr." Die Künstlerin glaubte sich verhört zu haben. Sie freute sich, weil sie ihr eine Antwort gegeben hatte? Aber warum? Die zwei kannten sich nicht einmal. Warum freute sie sich dann? ,,Du hast du mir heute morgen nicht geantwortet. War denn alles in Ordnung mit dir? Ich habe mir echt Sorgen gemacht", meinte die Blonde nun. Und da war gleich der nächste Schock: Sie hatte sich Sorgen um Michiru gemacht. Um sie, obwohl sie sich nicht einmal kannten. ,,Ja, klar. Alles in bester Ordnung", log die Türkishaarige gekonnt. Über die Jahre hatte sie gelernt, auch mal zu lügen, ohne, dass etwas auf auffiel, obwohl es ihr nicht gut ging. ,,Und du heißt Michiru, habe ich recht?", fragte Haruka euphorisch. ,,Ja", kam es von der anderen nur. ,,Dein Name ist übrigens wunderschön. Ach ja! Ich weiß nicht, ob ich mich schon vorgestellt habe, aber mein Name ist Haruka. Haruka Tenoh." Michiru bekam große Augen. DIE Haruka Tenoh? Die Rennfahrerin? Die berühmte Rennfahrerin, die bei so vielen Jugendlichen beliebt war? ,,Du bist die Rennfahrerin?", getraute das Mädchen zu sagen. ,,Wow, du bist die Erste, die mich kennt!", lachte die Pianistin bitter. ,,Oh, okay", kam es von Michiru jedoch wieder leiser. Da Haruka merkte, dass sie wieder ruhiger wurde, fragte sie gleich die nächste Frage. ,,Verbringst du deine Pause immer hier?" Michiru nickte bloß. ,,Ähm...", begann Haruka die nächste Frage und wurde rot dabei, ,,Kann ich deine Handynummer haben?" Die Geigerin zuckte zusammen. Warum wollte sie denn ihre Nummer haben? Wozu? ,,Ich... habe kein Handy" , kam gleich die nächste Lüge, ohne dass etwas auffiel. Dachte sie. ,,Ich habe aber gesehen, dass du eins hast. Aber gut, es war ja nur eine Frage gewesen. Du musst ja nicht", lächelte die Blonde. Der Rest des Tages verlief problemfrei. Man ließ Michiru ein Glück in Ruhe. Und die letzte Stunde hatte sie das Gespräch mit der Lehrerin. Diese hatte dem Lehrer, bei welchen die Künstlerin eigentlich gehabt hätte, Bescheid gesagt. Klar, die Klasse war ziemlich verwundert, als der Lehrer Michiru sagte, sie dürfe gehen und sie dann auch den Raum verließ. Schweigend und so leise wie möglich lief sie durch den Gang. Natürlich hatte sie ziemlich große Angst vor dem Gespräch. Immerhin hatte sie ihre Probleme nie jemanden erzählt. Außerdem hatte sich keiner je dafür interessiert. Ihre Lehrerin war tatsächlich die Erste. Ängstlich stand die Künstlerin nun vor der Tür, getraute sich aber gleichzeitig nicht, diese zu öffnen. Woher sollte sie denn auch wissen, wie andere auf ihre Situation reagierten? Es waren bereits einige Minuten vergangen. Da die türkishaarige Schülerin nicht erschien, beschloss die Lehrerin diese zu suchen. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, war sie fast ein wenig erschrocken, als sie sie sich vor sich sah. Michiru war auch ziemlich erschrocken. Aber als sie sich wieder gefangen hatte, trat sie einige Schritte zurück. ,,Da bist du ja. Ich habe mich schon gefragt wo du bleibst! Komm rein", lächelte die Frau. Michiru nickte und ging mit rasenden Herzen an der Lehrerin vorbei in das Zimmer. Gemeinsam setzten sich die beiden an einen Tisch. ,,Also...", begann sie. Michiru hatte den Blick auf ihren Schoß gerichtet. ,,... willst du einfach los erzählen oder... Ist dir was anderes lieber?" ,,Nein nein... Also... Ich..." Michiru schwieg für einige Sekunden, die sich ewig lang anfühlten. Währenddessen raste ihr Herz und ihr war furchtbar warm. ,,Ähm... Ich weiß nicht genau, wie ich anfangen soll..." ,,Geb dir ruhig Zeit. Wenn wir länger brauchen und du deinen Bus verpasst, fahre ich dich nach Hause." ,,Aber dann müssen sie einen riesen Umweg fahren!" ,,Lass das mal mein Problem sein, Michiru. Alles gut" , lächelte sie. Die Geigerin war verwundert wegen dieser Freundlichkeit. Michiru benötigte noch einige Sekunden, eh sie mit sprechen begann. ,,Meine... Meine Mutter ist seit vielen Jahren tot. Genauer gesagt starb sie zu meiner Geburt." Schon jetzt kamen ihr die Tränen. ,,Mein Vater war vorher anders. Aber nun ist er abhängig vom Alkohol... Als ich fünf Jahre alt war, ist ihm die Hand ausgerutscht..", sprach sie weiter. ,,Er hat dich geschlagen?" ,,Naja... Er hat mich so lange geschlagen, bis ich mich nicht mehr geregt habe..." ,,Okay... Aber das ist ja nicht in Ordnung. Ich hoffe, das weißt du. Wie ist er denn jetzt? Hat er sich etwas verändert?" ,,Nein... nicht wirklich. Ich gehe manchmal arbeiten, damit wir etwas zu essen haben... Aber manchmal bin ich total überfordert damit..." ,,Aber Michiru! Das ist doch kein Leben! Das geht nicht!" ,,Ich weiß , aber ich liebe meinen Vater und ich möchte weiterhin mit ihm leben!", schluchzte die Künstlerin, ,,Er ist der Einzige, den ich noch habe..." ,,Okay...hm... Du bist zusammengezuckt, als ich dich am Montag an der Schulter berührt habe. Seitdem mache ich mir wirklich große Sorgen um Dich!", sagte die Lehrerin. Michiru war nicht sicher, ob sie wirklich alles erzählen sollte. Denn so fühlte es sich an, als würde sie ihren Vater in den Rücken fallen. Doch gleichzeitig wusste sie, dass es danach vielleicht besser werden würde. ,,Ich habe Angst vor Berührungen", sagte sie. Ihre Hände zitterten. ,,Bist du in Therapie?" Die Stimme der Lehrerin klang so besorgt und gleichzeitig so fürsorglich. Michiru vertraute ihr und hoffte auf ihre Hilfe, welche sie mit Sicherheit auch bekommen würde. ,,Nein, ich will das einfach nicht. Ich habe mir mal Hilfe geholt, sonst würde ich das bis jetzt nicht wissen, aber die hat mir dann Medikamente verschrieben, die ich aber nicht nehmen wollte. Danach habe ich die Behandlung abgebrochen...", erzählte die Türkise. ,,Das ist natürlich nicht schön. Ich bin ja nun kein Vertrauenslehrer, aber ich möchte dir trotzdem irgendwie helfen", meinte sie. ,,Das ist wirklich nicht nötig! Wirklich nicht" , winkte Michiru kopfschüttelnd ab. ,,Was ist mit dem Mobbing? Hast du jemanden davon erzählt?" ,,Nein, das geht schon. Alles Gut", versuchte sie zu lächeln, doch das funktionierte nicht so gut. ,,Du musst dir unbedingt Hilfe holen! Wirklich. Hast du Freunde an der Schule?" ,,Nein, ich bin lieber allein." ,,Und was ist mit der neuen Schülerin, die dich am Montag wieder in den Unterricht gebracht hat? Haruka hieß sie glaube ich. Sie scheint ganz freundlich zu sein", schlug die Lehrerin ihr vor. ,,Ich weiß. Heute in der Pause wollte sie unbedingt mit mir reden. Sie sucht mich irgendwie jede Pause", antwortete die Künstlerin murmelnd. Die Lehrerin lachte, aber beide wussten, dass es nicht böse gemeint war. ,,Das ist doch schön! Lass dir diese Chance nicht entgehen. Ich habe selber noch mal mit ihr gesprochen. Und ich denke ihr könntet euch wunderbar anfreunden. Du musst dich nur trauen, Michiru! Und dabei möchte ich dir unter die Arme greifen. Und wenn du Hilfe bei irgendwas benötigst, dann komm einfach auf mich zu! Ich werde dir helfen", lächelte die Frau. Die Geigerin war sprachlos und trotzdem irgendwie erfreut über das wirklich freundliche Angebot. Die Lehrerin war die erste Person in ihrem Leben, zu der sie mit ihren Problemen kommen konnte. ,,Vielen Dank. Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen." Michiru war überrumpelt von dem Ganzen. ,,Keine Ursache. Ich glaube ich gebe dir mal meine Nummer, aber bitte sag es keinem", zwinkerte sie der Türkisen zu. Nun musste Michiru lachen. Und tatsächlich hatte sie das schon lange nicht mehr getan. ,,Okay, ich sage es niemanden. Dürfen Sie das etwa gar nicht?" ,,Ich denke schon. Aber ich weiß es nicht genau." Ein Klingeln und unterbrach die die beiden, da nun der Schultag zu Ende war. Da die Lehrerin aber noch etwas Wichtiges sagen wollte, ließ sie sich davon keinen Druck machen. ,,Keine Angst, ich fahr dich heim. Noch etwas Wichtiges - Alles, was du mir gesagt hast, bleibt hier in diesem Raum. Ich werde es niemanden erzählen. Und wenn Du am Wochenende einfach mal raus willst oder dein Vater die Fassung verliert, dann ruf mich bitte an. Solange du anderweitig noch keine Hilfe bekommst, sei es nur durch Freunde, werde ich dir helfen." Die Lehrerin hatte Michiru tatsächlich heimgefahren. Am Abend schlief sie das erste Mal seit langem glücklich ein. Nun konnte es ja nur noch besser werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)