Messages From My Heart von Lina_Kudo (Botschaften meines Herzens) ================================================================================ Kapitel 15: A Disclosing Conversation ------------------------------------- 15 A DISCLOSING CONVERSATION »Endlich herrscht wieder Frieden in meinem Herzen.« »Darf ich dich nach Hause bringen, Schätzchen?«, fragte ich sie direkt, nachdem das Konzert beendet war, alle Zuschauer inzwischen die Konzerthalle verlassen hatten und sich bereits auf dem Heimweg befanden. Auch unsere Freundinnen waren ziemlich schnell verduftet. Da ich nicht auf den Kopf gefallen war, konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass das nicht von ungefähr kam. Sie strahlte mich als Antwort freudig an. »Was für eine Frage …« Bevor wir losgingen, half ich ihr noch in ihren langen Mantel. Ich war schließlich schon immer ein Gentleman gewesen – bei ihr, meiner Herzensdame, selbstverständlich ganz besonders. Sie sah wahnsinnig süß aus in ihrem langen, figurbetonten Mantel in der Farbe des türkisen Meeres. Einfach traumhaft. Während des Weges redeten wir nicht viel. Das lag jedoch keinesfalls daran, dass wir zu wenig Gesprächsstoff und uns nichts zu sagen hatten. Das war bei uns noch nie vorgekommen. Der wahre Grund war, dass ich einfach nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Und ich war mir sicher, dass es ihr da nicht anders erging. Wie sollte ich ihr nur beibringen, dass ich mich zwar die ganze Zeit nach ihr gesehnt hatte, es aber trotzdem nicht auf die Reihe gebracht hatte, früher zu ihr zurückzukehren? Doch ein längeres und ernstes Gespräch war hier sowieso nicht angebracht, denn wir befanden uns mitten in der Stadt, die mit Menschen vollgestopft war. Kein Wunder, denn schließlich war es Freitagnacht – und das in Tokio, einer Weltmetropole. Aber das war mir eigentlich ganz recht, denn durch die vielen Menschenmassen, die größtenteils mit sich selbst beschäftigt waren, wurden wir nicht so schnell erkannt. Auch ich war natürlich trotz meiner längeren Abwesenheit immer noch kein ungeschriebenes Blatt, schließlich hatte sich die Band »Three Lights« auf der absoluten Spitze der Musikbranche befunden und sich sogar international einen Namen gemacht. Daher war es nicht weiter verwunderlich, dass es den einen oder anderen gab, der bei meinem Anblick kurz stutzig wurde. Doch ehe sie sich umdrehten und uns ansprechen konnten, waren wir verschwunden. Obwohl es um uns herum alles andere als leise war, blendete ich jegliche Geräuschkulisse von außen aus, indem ich tief in meine eigenen Gedanken versank, die lautstark in meinen Ohren dröhnten. Ich konnte es immer noch nicht so recht fassen, dass ich wirklich wieder hier bei ihr auf der Erde war. Es erschien mir alles zu unrealistisch. Einfach viel zu schön, um wahr zu sein. Es war auch keinesfalls so, dass wir gleich eng umschlungen durch die Straßen schlenderten, obwohl mir natürlich danach gewesen wäre – absolut keine Frage. Eine gewisse Distanz gab es immer noch zwischen uns, sowohl auf physischer Basis als auch auf emotionaler. Es würde schon eine gewisse Zeit brauchen, bis wir uns erst einmal an die Anwesenheit des anderen gewöhnen beziehungsweise überhaupt realisieren konnten. Und ich hatte es auch gar nicht eilig. Ich hatte so lange auf sie gewartet – die paar Tage oder Wochen länger würde ich auch noch überstehen, vor allem, wenn ich mich sowieso schon in ihrer unmittelbaren Nähe befand. Das war viel mehr, als ich mir erhofft hatte. Und wie sagte man immer so schön: »Was lange währt, wird richtig gut.« Als wir gemeinsam um die Ecke abbogen, wurde es deutlich ruhiger. Gleichzeitig kam ich wieder in die wirkliche Realität zurück, da es in dieser Gasse wirklich nur sie und mich gab – genau wie in meiner Fantasiewelt, die ich mir unterbewusst geschaffen hatte. Bevor eine peinliche Situation zwischen uns entstehen konnte, sah ich mich kurz und suchte fieberhaft nach etwas, womit ich ein belangloses Gespräch beginnen konnte. Hoch oben am Himmel wurde ich fündig. Ein wohliges Brummen entfuhr mir, bevor ich verträumt lächelte. »Was ist?«, fragte sie mich gleich neugierig – genau wie ich es von ihr erwartet hatte. Ich senkte meinen Blick und sah sie zärtlich an. »Es kommt mir so vor, als ob die Sterne hier von der Erde aus viel leuchtender und intensiver strahlen als von unserem Heimatplaneten. Es kann aber natürlich auch sein, dass ich mir das nur einbilde.« Wieder war es mir egal, wie schnulzig das auch klingen mochte. Außerdem konnte ich wirklich nicht mit Gewissheit sagen, ob dies nur eine Einbildung war, die von meinen Gefühlen für sie herrührte oder die Sterne hier wirklich schöner funkelten. Na ja, in Wahrheit war es wirklich auf meine Gefühle zurückzuführen – die Galaxie, aus der ich kam, war ja nicht ohne Grund auch als »Sternengalaxie« im Universum bekannt. Außerdem hatten die Sterne in unserer Welt eine viel größere Bedeutung als hier auf der Milchstraße, was ich bisher so aufgeschnappt hatte. Usagi runzelte ratlos die Stirn, was mich innerlich schmunzeln ließ. Sie hatte wohl keinen blassen Dunst, worauf ich mit dieser Aussage hinauswollte. Na ja, ein bisschen quälen wollte ich sie schon noch – aus reinem Vergnügen. Für uns beide. Inzwischen waren wir vor ihrem Haus angekommen und blieben synchron stehen. Die Frage, die sie mir im nächsten Augenblick stellte, brachte mich total aus dem Konzept, weil ich nun so gar nicht damit gerechnet hatte. »W- Willst du vielleicht noch reinkommen?« Verblüfft blinzelte ich sie an und wusste im ersten Moment gar nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ach Gott, ich verhielt mich gerade echt wie ein unbeholfener Vollidiot. »Willst du wirklich? J- Ja, a- also … ich hab nichts dagegen, aber brauchst du nicht deine Ruhe nach dem Konzert? Und deine Eltern werden bestimmt auch nicht begeistert sein, wenn du einen wildfremden Typen nachts mit zu dir nach Hause nimmst.« Ach herrje – bekam ich denn nichts Solideres als so ein hilfloses Stottern auf die Reihe? Noch dazu fühlten sich meine Wangen plötzlich so glühend heiß an – Himmel, dass ich jetzt auch noch rot wurde, war echt der Gipfel! Dass sie mich jetzt auch noch frech angrinste, förderte meine Selbstsicherheit nicht unbedingt. Im Gegenteil. Ich verzog meine Lippen zu einer dünnen Linie und warf ihr einen Blick zu, der so viel sagen sollte wie »Ja ja, mach dich nur weiter darüber lustig – meine Rache wird grausam sein!«. Wenn sie die Botschaft erhalten hatte – wovon ich ausging – ließ sie sich rein gar nichts anmerken und ignorierte sie gekonnt. »Meine Eltern werden nichts bemerken. Sie sind schon längst im Bett. Und außerdem brauche ich nicht meine Ruhe. Warum denkst du, habe ich überhaupt gesungen, hm?« Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie erstaunt ich über ihre ungewohnte, unverhohlene Offenheit war. Doch die werte Dame wartete gar nicht erst auf eine Antwort meinerseits, sondern schob mich gleich ungeduldig zum Hauseingang vor. Trotz meiner Verwunderung ließ ich mich von ihr in Richtung ihres Hauses lenken. So leise wie es nur möglich war schloss sie die Tür auf. Anschließend schlichen wir uns geräuschlos in ihr Zimmer. Dort drinnen angekommen ging sie rasch zum riesigen Kleiderschrank und holte ihre Schlafsachen heraus. In der Zwischenzeit sah ich mich in ihrem Raum um. Er hatte sich kaum verändert im Vergleich zum letzten Mal, wo ich hier gewesen war, um ihren Bodyguard zu spielen. Ein Schmunzeln schlich sich unbemerkt um meine Lippen, als ich an diese schöne Zeit zurückdachte. »Mach es dir hier schon mal bequem; ich mach mich nur schnell fertig. Willst du etwas trinken?« »Ist gut, lass dir ruhig Zeit damit. Ähm, ein Glas Wasser vielleicht, wenn es dir keine großen Umstände macht.« Ein schwaches Grinsen umspielte mein Gesicht. Nach so einem Konzert war ich immer ziemlich durstig. Als sie verschwand und die Tür hinter sich schloss, nutzte ich die Gelegenheit, um wirklich mal intensiv ihr Zimmer zu analysieren. Sonderlich lange tat ich es nicht, denn als mein Blick über diesen bestimmten Gegenstand schweifte, blieb er dort widerwillig hängen. Wie von einer unsichtbaren Macht angetrieben schritt ich darauf zu, während ich wie paralysiert das Foto anstarrte, als hätte ich gerade einen echten Schatz entdeckt. Sie hatte doch tatsächlich das einzige gemeinsame Foto von uns auf ihrem Schreibtisch stehen. Genau an dem Ort, wo sich früher noch ein Bild von ihr und Mamoru befunden hatte. Ich erinnerte mich noch sehr gut daran, wie dieses Foto damals entstanden war. An unserer ersten, richtigen Verabredung. Nur zu gerne dachte ich an diesen Tag zurück. An diese glücklichen gemeinsamen Momente, die leider so rar gewesen waren … Seiya und Usagi verbrachten einen schönen Vormittag zusammen. Auf besonderem Wunsch Usagis wurde auch sehr viel gegessen und getrunken. Dabei ging selbstverständlich alles, ganz gentlemanlike, auf Seiya. Auch wenn er sich oft wie ein ungehobelter Flegel verhielt – er verstand etwas von Anstand. Das musste Usagi ihm lassen. Und das offenbarte sie ihm kurzerhand auch, ohne sich viel dabei zu denken. »Vielen Dank für das Essen! Du scheinst ja doch nicht von so schlechten Eltern zu sein und hast sehr wohl Manieren, wie es anfangs ja so gar nicht den Anschein hatte …« Natürlich bedankte sie sich nicht, ohne ihn ein wenig aufzuziehen. »Tja, ich stecke eben voller Überraschungen«, grinste der Angesprochene sie darauf schief an mit seinem typischen Popstar-Lächeln, das die Mädchenherzen sofort höherschlagen ließ. Kurz verdrehte sie ihre Augen und wies ihn gleich zurecht: »Ja ja, kein Grund, um gleich überheblich zu werden.« Obwohl sie eigentlich empört sein müsste, war sie es nicht. Eher etwas eingeschüchtert durch sein unwiderstehliches Grinsen, doch diese Empfindung konnte sie zum damaligen Zeitpunkt noch überhaupt nicht richtig einordnen. Um ihr verräterisches Gesicht vor ihm zu verbergen, beschleunigte sie ihren Marsch etwas. Seiya konnte dank seiner längeren Beine und Sportlichkeit natürlich problemlos mit ihr Schritt halten. Zu ihrem letzten Kommentar entgegnete er ausnahmsweise mal nichts. Zwar war er wirklich kein Mensch, der sich vor Konflikten oder Streit scheute und solche Neckereien gerne auf sich sitzen ließ, aber dieser Tag verlief gerade so schön. Da wollte er keine unnötige Auseinandersetzung mit seinem Schätzchen beginnen. Ein Mann mittleren Alters steuerte mit einer Fotokamera in der Hand geradewegs auf sie zu. »Wollen Sie vielleicht gemeinsam ein Foto von sich schießen lassen?«, fragte der Mann mit hoffnungsvollem Funkeln in den Augen. »Sie sehen nämlich wahnsinnig gut zusammen aus und haben beide gleichermaßen eine unfassbare Ausstrahlung!« Darauf grinste Seiya nur verschmitzt und ließ es sich nicht nehmen, sogleich seinen Arm um Usagi zu legen. »Klar machen wir das! Ein schönes Erinnerungsfoto von unserem ersten Date! Perfekt!« Er wartete gar nicht auf die Zusage Usagis, denn was sollte sie auch großartig dagegen einzuwenden haben? »Na gut, aber nur unter einer Bedingung!«, gab sich das Mädchen mit den zwei langen Zöpfen fast geschlagen. Verwundert hob der Schwarzhaarige eine Augenbraue. »Du stellst Bedingungen auf?« Von einer Sekunde auf die andere verwandelte sich der etwas irritierte Gesichtsausdruck jedoch in ein breites, selbstgefälliges Grinsen. »Aha, also scheint dir das Foto wohl doch nicht so egal zu sein. Klar, schließlich wird es unser erstes gemeinsames Foto von unserer ersten Verabredung. In siebzig Jahren werden wir bestimmt noch als altes Ehepaar darüber lachen, wenn wir uns das Foto zusammen anschauen.« »W-« Usagi bekam vor Verlegenheit kein richtiges Wort mehr raus und schaute rasch zur Seite. Mit der verschwindend geringen Hoffnung, dass er ihre Unsicherheit nicht bemerkt haben könnte. Sowie auch ihre treulosen geröteten Wangen. Wieso verhielt sie sich nur so merkwürdig in seiner Gegenwart? Warum fühlte sie sich gleich so bedrängt – auf angenehme Art und Weise? Er war doch nur ein einfacher Freund, der ab und zu halt seine blöden Scherze machte, oder? Warum nahm sie das so ernst? »Ich mache nur ein Foto mit dir, wenn du deine Sonnenbrille absetzt!« Sie machte nicht ganz ohne Absicht einen großen Bogen um seine freche Anspielung. »Gefalle ich dir mit Sonnenbrille etwa nicht?«, fragte er ganz unschuldig und musste sich ein Grinsen verkneifen. Sehr wohl hatte er natürlich Usagis Blöße bemerkt, denn schließlich war er nicht blöd oder gar blind. Sie war einfach so leicht zu durchschauen. Wie ein offenes Buch. Einfach nur unwiderstehlich süß. Moment, was dachte er da gerade? Erwischte er sich etwa gerade selbst dabei, wie er heimlich in Gedanken von ihr schwärmte? Er, der Frauenschwarm schlechthin, schwärmte über ein einfaches, durchschnittliches Mädchen? Was lief denn hier bloß falsch? »N- Nein, das ist es nicht, die Sonnenbrille steht dir … sehr gut«, stotterte sie und schaute dabei zu Boden, weil es ihr doch peinlich war, ihm in die Augen zu sehen, während sie ihm doch tatsächlich ein Kompliment machte. Jetzt war es also raus. Sie hatte ihm wirklich offenbart, dass er einfach nur supergut aussah mit seiner coolen Sonnenbrille. Aber warum machte sie sich überhaupt so viele Gedanken? War doch eigentlich nicht wirklich mehr als nur ein harmloses Kompliment gewesen. Oder? »Ich will aber, dass man auf dem Foto das Gesicht von uns beiden gut erkennen kann. Mit Gesicht meine ich also auch die Augen, und deine Sonnenbrille würde wohl logischerweise die freie Sicht auf deine Augen verhindern. Deswegen sollst du sie gefälligst absetzen, klar?« »Seiya?« Wie von einer Wespe gestochen fuhr ich herum mit einem atemlosen »Gott, hast du mich erschreckt!«, als hätte sie mich gerade in flagranti bei irgendetwas Verbotenem erwischt. Hastig wanderte mein Blick zu ihr hinab. Sie mit offenen Haaren zu sehen war wahrlich ein Highlight. Eine wahre Augenweide, die man nicht alle Tage zu sehen bekam. So könnte sie ihre Haare ruhig öfter so tragen. Nicht weniger angetan war ich von dem niedlichen orangefarbenen Häschen-Pyjama, das ihren wohlgeformten Körper verhüllte. Oh je – ich durfte mir gar nicht vorstellen, was sich darunter verbarg. Usagi begann amüsiert zu lachen. Aus dieser Handlung zog ich den naheliegenden Schluss, dass mein Gesichtsausdruck wohl köstlich aussehen musste. Auch wenn es auf meine Kosten war, gönnte ich es ihr von Herzen. Egal was ich auch tun würde – niemals könnte ich damit meine Schuld bei ihr vollkommen begleichen. Meine Mundwinkel hoben sich leicht zu einem schwachen Lächeln. Sie schien es richtig zu genießen, aus vollem Herzen zu lachen. Als ob es schon eine Ewigkeit her war, als sie das das letzte Mal getan hatte. Traurig genug, dass es wohl wirklich den wahren Tatsachen entsprach. Trotzdem ließ ich es mir nicht nehmen, sie ein wenig zu ärgern mit der Absicht, sie weiter aufzuheitern. »Haha, sehr witzig«, meinte ich trocken, doch meine leicht eingeschnappte Miene konnte sich kaum eine Sekunde lang gegen das warme Lächeln durchsetzen. »Tut mir leid, aber du hättest dich mal sehen sollen«, entschuldigte sie sich immer noch Tränen lachend, drückte mir mein Glas Wasser in die Hand, stellte ihr eigenes auf den Nachttisch ab und setzte sich auf die innere Hälfte des Bettes. Dass sie plötzlich erwartungsvoll zu mir hochschaute, verwirrte mich nur. Wollte sie etwa wirklich, dass ich mich zu ihr auf das Bett setzte? Die Antwort auf diese Frage, die stumm zwischen uns in der Luft schwebte, folgte auf dem Fuße. »Du kannst dich ruhig neben mich setzen; ich beiße schon nicht.« Theatralisch seufzte sie tief, als hätte sie versucht, einem kleine Jungen schon zum wiederholten Mal zu erklären, dass man mit Essen nicht spielen sollte. Mir war bewusst, dass sie das nur tat, um mich aufzuziehen. Ein selbstgefälliges Grinsen umspielte daher meine Lippen, und zufrieden erkannte ich, wie ihr der Atem stockte. Es war ein wunderbares Gefühl, zu wissen, dass allein ich der Auslöser dafür war. »Selbst das würde mich nicht davon abhalten«, äußerte ich mich frech dazu und setzte mich neben sie auf das Bett. Nachdem ich einen Schluck aus meinem Glas getrunken hatte und es ebenfalls auf den Nachttisch abgestellt hatte, folgte ein ernstes, längeres Schweigen. Wie sollte ich nur am besten anfangen, ihr zu erklären, was damals in mir vorgegangen war und warum ich eine halbe Ewigkeit gebraucht hatte, um endlich ihrem Wunsch nachzugehen, obwohl ich nichts lieber getan hätte? Ich meinte: Ich konnte es mir doch selbst kaum erklären. Schließlich gab es keinen Ort auf dem Universum, wo ich lieber wäre als hier an ihrer Seite. Das galt nicht nur jetzt, sondern hatte schon immer gegolten. Schon immer und für immer. »Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich so lange auf mich habe warten lassen«, durchbrach ich die Stille entschieden. Usagi wandte sich mir zu und wollte scheinbar gerade etwas darauf erwidern, doch ich bedeutete ihr stumm mit einem bittenden Blick, dass sie mir erst einmal nur zuhören sollte. Ich drehte ihr meinen ganzen Oberkörper zu, bevor ich erneut das Wort ergriff. »Ich hörte deine Botschaft schon sehr lange. Du erreichtest mich bereits bei deinem allerersten Konzert. Sie überwältigte mich wirklich, denn ich hätte wirklich nicht im Traum damit gerechnet, dass du mich zu dir zurückrufen würdest, wo du doch so glücklich mit Mamoru zu sein schienst. Die Erkenntnis, dass du mich dringender als jeden anderen brauchtest … Dieses Gefühl war einfach …« Ich suchte nach dem richtigen Wort, bis ich es schließlich auch mit einem Glitzern in den Augen fand. »… unbeschreiblich. Mein Glück war aber auch mit einer gewissen Wehmut verbunden, denn ich konnte dir einfach nicht antworten. Zu groß war mein Pflichtbewusstsein gegenüber der Prinzessin und meinem Planeten. Ich konnte doch nicht einfach meinen Planeten ein weiteres Mal im Stich lassen. Obwohl ich mich die ganze Zeit so sehr nach dir gesehnt hatte … So egoistisch bin ich dann doch wieder nicht. Schon damals, als ich gesehen hatte, wie sehr du und die anderen euch für die Erde aufgeopfert hattet, hatte ich Reue verspürt, dass wir damals unserem eigenen Planeten einfach den Rücken gekehrt hatten. Man merkt es mir vielleicht nicht sofort an, aber ich war schon immer ein sehr loyaler und verantwortungsbewusster Diener gewesen. Mein einziger Lebensinhalt musste darin bestehen, unseren Planeten und die Prinzessin mit meinem Leben zu beschützen. Ohne sie sollte mein Leben so gut wie wertlos sein. Meinen eigenen Bedürfnissen durfte ich nicht nachgehen. Sonst wäre ich wohl damals schon hiergeblieben und hätte um deine Liebe gekämpft bis zum bitteren Ende. Auch wenn ich mich dann mit Mamoru angelegt hätte – davor hätte ich mich nicht gescheut. Es ist schlicht und einfach gegen meine Natur, zu verlieren, und daran hat sich bis heute nichts geändert: Ich hasse es, zu verlieren.« Ich grinste sie warm an während meiner letzten Aussage. Mein Lächeln nahm jedoch traurige Züge an, ehe ich wieder mit ernsterer Miene fortfuhr: »Aber wie gesagt: Eigene Bedürfnisse und Wünsche waren fehl am Platz. Und so musste ich versuchen, mein immer weiterwachsendes Verlangen nach dir zu zügeln. Es, so unmöglich es auch erscheinen mochte, im Zaum zu halten. Ich wollte sogar deine ganzen Botschaften ignorieren und sie nicht zu mir durchdringen zu lassen, aber es ging einfach nicht: Du verfolgtest mich sowieso schon Tag und Nacht in meinen Gedanken und Träumen. Da war es schier lächerlich, überhaupt den Versuch zu starten, deine realen Botschaften auszublenden. Nach einiger Zeit gab ich es auch auf, mich gegen die Nachrichten zu wehren und ließ sie zu. Obwohl ich mit größter Anstrengung versuchte, mich mit harten Trainingseinheiten und Kämpfen abzulenken, gelang es mir nicht. Der Wunsch, dich zu sehen, wuchs ins Unermessliche. Es fiel mir immer schwerer, meine immer stärker werdenden Gefühle für dich unter Kontrolle zu halten. Es wurde immer unerträglicher. Es gab sehr viele Momente, wo ich verdammt nahe dran war, mein Pflichtgefühl einfach über Bord zu schmeißen und zu dir zurückzukehren. Diese Sehnsucht nach dir wurde irgendwann so stark, dass ich dir endlich eine Antwort gab, auch wenn mir bewusst war, dass dir diese Antwort das Herz brechen würde. Aber ich durfte keine Botschaften mehr von dir erhalten. Denn wenn das so weitergegangen wäre, hätte ich wirklich für nichts garantieren können. Dann hätte früher oder später doch mein Herz die Oberhand gewonnen und ich hätte wirklich alles hingeschmissen, was ich ja nicht zulassen durfte. Aber dass sich meine Antwort wirklich so verheerend auf dich auswirken würde … Daran dachte ich Vollidiot natürlich nicht …« Als sie wieder ansetzte, mich zu unterbrechen, bedeutete ich ihr diesmal mit einem Kopfschütteln, bitte zu schweigen und weiterhin nur zuzuhören. »Wie geplant bekam ich danach auch wirklich nichts mehr von dir zu hören. Ich hätte mich freuen sollen, hätte erleichtert sein sollen – doch das war ich keinesfalls. Im Gegenteil: Es wurde noch schlimmer, als ich nichts mehr von dir hörte. Viel schlimmer. Denn als du mir noch Botschaften gesendet hattest, war ich wenigstens im Bilde gewesen über deine Verfassung. In der Zeit, in der ich gar nichts mehr von dir hörte, wusste ich logischerweise nicht genau, wie es dir ging. Die Ungewissheit, ob es dir gerade gut ging oder nicht, machte mich mindestens genauso wahnsinnig wie die Sehnsucht. Also traf es mich gleich doppelt, denn nur, weil ich keine Botschaften mehr von dir erhielt, hieß es ja noch lange nicht, dass die Sehnsucht mit den Botschaften verschwunden war. Diesmal herrschten jedoch noch erschwertere Bedingungen, weil neben der Sehnsucht, die sowieso schon schlimm genug war, jetzt auch noch die quälende Ungewissheit hinzukam. Es war also auch für mich alles andere als leicht. Diese Phase war die schlimmste Zeit meines Lebens. Doch bald darauf kamen unerwartet Uranus, Neptun, Pluto und Saturn und retteten mich vor meinem endgültigen persönlichen Absturz.« Ich hielt es für schlauer, ihr nicht auch noch unter die Nase zu reiben, dass ich kurz vor dem Verrecken gewesen war in der Zeit, als ich mich als Adrenalinjunkie auf der Durchreise befunden hatte – stets auf der Suche nach einem guten Kampf, der mich das Leben hätte kosten können. Diesmal ließ ich es zu, dass sie mich mitten in meiner Erzählung unterbrach. »Was? Haruka, Michiru, Setsuna und Hotaru waren auf deinem Planeten?« Ich nickte darauf lächelnd. »Ja, und besonders Haruka hat mich ziemlich in den Arsch getreten, aber gerade das habe ich wirklich gebraucht und bin ihr deswegen auch sehr dankbar. Aber sag ihr das bloß nicht!« Ich zwinkerte ihr vielsagend zu. »Sie haben mir die Augen geöffnet; mir geraten, endlich auf meine wahren Gefühle zu hören und ihnen eine Chance zu geben. Sie haben mir mein wahres, eigentliches Ziel vor Augen geführt: Nämlich, dich glücklich zu machen. Ja, das ist mein wahrer Lebensinhalt, ist es immer gewesen und wird es auch immer sein. Und das ist mir durch die vier endlich auch bewusst geworden. Sie haben mir den nötigen Mut gegeben, alles hinter mir zu lassen. Nur dank ihnen habe ich mich tatsächlich dazu überwunden, zurückzukehren. Den entscheidenden Stoß habe ich durch dieses … Foto bekommen. Und da wurde mir sofort klar, dass es dir nicht gut geht. Zwar hatte ich dann endlich die Gewissheit, aber das machte es mir keinesfalls leichter. Als ich dieses schreckliche Bild auf der Titelseite im ersten Moment erblickte, stand für mich sofort fest: ›Ich muss zurück!‹« Ich hielt inne und schloss gequält meine Augen. Diesen Anblick, wie sie dort auf der Schneewiese lag, würde ich nicht vergessen können. Niemals. Dieses Bild würde mich noch mein ganzes Leben lang in meinen schlimmsten Albträumen begleiten. Mich überkam selbst jetzt noch eine Gänsehaut, als ich es mir wieder ins Gedächtnis rief. Ich versuchte, es schleunigst abzuschütteln und öffnete meine Augen schlagartig wieder, um sie mit einer Mischung aus Schmerz, Besorgnis und auch Vorwurf anzusehen. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Als sich ihre Pupillen weiteten, war mir klar, dass sie das verräterische Glänzen in meinen Augen erkannt hatte. Doch ich konnte diese Flüssigkeit rechtzeitig davon abhalten, ins Äußere zu gelangen. »Was war nur in dich gefahren? Du hättest sterben können; ist dir das überhaupt bewusst?! Was glaubst du, was dann aus mir geworden wäre, wenn es dich nicht mehr geben würde? Hast du mal daran gedacht?« Meine Stimme wurde immer eindringlicher, kratziger und letztendlich sogar heiser, sodass ich Sorge hatte, dass sie mir versagen könnte. Ich musste sich mich wirklich beherrschen, um nicht lauter zu werden. Schließlich wollte ich ihr natürlich keine Angst einjagen. Mein Blick bohrte sich in sie hinein. »Und weißt du, was das Schlimmste daran ist? … Zu wissen, dass alles meine Schuld war …« Am Ende handelte es sich nur noch um ein bitteres Flüstern. »Ich …«, begann sie hauchend und räusperte sich kurz. »Daran habe ich nicht gedacht.« Schuldbewusst blickte sie zu Boden. »Davon gehe ich jetzt mal ganz stark aus, denn ich hoffe sehr, dass du es nicht getan hättest, wenn du daran gedacht hättest.« »Nein, das hätte ich dann wohl definitiv nicht«, erwiderte sie fest, und ich war mir sicher, dass sie damit auch die Wahrheit sprach. »Aber gib nicht dir die Schuld daran. Bitte …« »Da bin ich wirklich beruhigt, dass du es dann nicht getan hättest.« Sichtlich beruhigt setzte ich mein Lächeln wieder auf, als ich meinen Blick wieder hob. »Außerdem brauchst du dir nicht die Mühe zu machen: Ich allein bin schuld an deinem Leiden. Das wissen wir beide.« Meine reumütige Stimme war kaum zu hören, doch die geringe Laustärke tat der tiefen Zerknirschung keinen Abbruch. Es folgte ein betretenes Schweigen. »Nachdem ich deine Antwort damals erhalten hatte, fiel ich auch wirklich in ein tiefes Loch. Es erschien mir alles so sinnlos, so zwecklos. Es war mir plötzlich alles egal, alles gleichgültig. Schon seit du mit Taiki, Yaten und eurer Prinzessin die Erde verlassen hast, habe ich so eine schwache Leere in meinem Herzen gespürt, doch habe sie damals noch fälschlicherweise als unbedeutenden Abschiedsschmerz abgestempelt.« Erstaunt, dass sie jetzt plötzlich mit ihrer Erzählung anfing, heftete ich wie gebannt meinen Blick an sie. So öffnete sie sich mir ebenfalls und erzählte mir ihre ganze Geschichte. Dass es mit ihr und Mamoru irgendwann endgültig in die Brüche gegangen war wegen dieser unüberwindbaren Differenzen und sie erst viel zu spät erkannt hatte, dass es hauptsächlich wegen mir gewesen war, dass sie sich immer mehr und mehr von Mamoru distanziert hatte, ohne sich dessen überhaupt richtig bewusst zu sein. Auch offenbarte sie mir schüchtern, dass ich sie ebenfalls Tag und Nacht verfolgt hatte, ihre Freundinnen das natürlich mitbekommen hatten und Rei ihr dann endlich die Augen geöffnet hatte über ihre wahren Gefühle. Jedoch erwähnte sie ihre Liebe zu mir noch nicht explizit in einem Satz. Doch das störte mich nicht. Die Zeit war einfach noch nicht reif dafür. Alles mit der Ruhe. Sie erzählte mir weiter angeregt von ihrer gemeinsamen Idee mit der Gesangskarriere. Ihre Freundinnen hatten besser und vor allem früher gewusst als sie, dass sie mich zum Glücklichwerden brauchte. Sie berichtete mir auch darüber, wie es war, die Liedtexte zu schreiben. Auch gewährte sie mir Einblick in ihre Karriere und dem dazugehörigen Stress, von dem gerade ich natürlich selbst ein Lied singen konnte – im wahrsten Sinne des Wortes. Schließlich hatte ich die ganze Prozedur selbst auch schon vor gar nicht allzu langer Zeit durchgemacht. Und so unterhielten wir uns weiter. Ich fühlte mich einfach so unbeschreiblich wohl in ihrer Nähe. Es fühlte sich an, als wäre ich nach einer langen Reise endlich zurück nach Hause gekommen. Die ganze Nacht lang sprachen wir »nur« über unsere Gefühle, unsere Eindrücke und Erlebnisse der letzten achtzehn Monate. »Du, Seiya?«, fragte sie mich auf einmal, obwohl sie sich gerade mitten bei der Erzählung über einen ihrer Live-Konzerte befand. Überrascht darüber, warum sie anscheinend ein ganz anderes Thema anschneiden wollte, musterte ich sie neugierig. »Ja? Was ist denn, Schätzchen?« »Du bleibst jetzt doch endgültig auf der Erde, oder?« Mit ihren kugelrunden Augen blickte sie mich mit einem undefinierbaren Blick an. Mein Blick wurde sofort zärtlich. Ich hob meinen linken Arm hoch, nahm sanft ein paar ihrer langen blonden Haarsträhnen und ließ sie langsam durch meine Finger hindurchgleiten. Wie lange hatte ich davon geträumt, einmal mit ihren Haaren spielen zu dürfen? Und wer weiß: Vielleicht gab sie mir in Zukunft immer die Erlaubnis dafür? Zumindest hoffte ich das inständig – allein dafür hätte sich der weite Weg hierher gelohnt. Damit würde ein weiterer Traum von mir in Erfüllung gehen. Noch war ich allerdings vorsichtig im Umgang mit meiner neuen Bekanntschaft, der Frau Fortuna. Erst einmal musste ich mich ganz langsam Stück für Stück an sie herantasten, um sie kennenzulernen, bevor ich ihr auch mein Vertrauen schenken konnte. Bis dahin würde ich mich damit zufriedengeben, was ich hatte und bekam. Das war sowieso bereits an dieser Stelle schon viel mehr, als ich mir je erträumt hatte. »Solange du es wünschst … und es auch zu deinem Besten ist …« Usagi erwiderte mein zärtliches Lächeln zum wiederholten Male verlegen, aber mit der gleichen Zuneigung, die auch in meinen Augen vorzufinden war. Ich betete dafür, dass wir noch genügend Zeit haben würden. Tief sah ich in ihre Augen und las darin die Antwort auf diese Frage meines Herzens, die ich mir noch nicht einmal in meinen geheimsten Gedanken zu stellen wagte. Die Antwort auf die Frage, wie lange wir zusammen sein konnten. »Vor uns liegt die Ewigkeit.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)