Schokofrüchte von Mondtaenzerin ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Tief hielt der große, schlaksige Mann die Hände in den Taschen vergraben. Jeder Atemzug erzeugte Dampfschwaden vor seinem Gesicht, führten ihm vor Augen, wie verdammt kalt es an diesem Tag war, da halfen die fingerlosen Handschuhe auch nicht wirklich. Dichtgedrängt schoben sich die Menschen an ihm vorbei. Seine Nase erschnupperte geröstete Mandeln, Zuckerwatte, Glühwein, in Knoblauchsoße ertränkte Champignons, Frittenfett und billige Parfümimitate, während seine Ohren mit Kinderlachen, wie auch heulenden Minibürgern beschallt wurden. Und dann gab es noch jene, die sich nicht entscheiden konnten. Dazwischen dudelte All I Want For Christmas und all das sorgte dafür, dass jener, der bei diesem Lied eigentlich genervt die Augen rollte, leicht mit dem Fuß wippte und gar die Lippen dazu bewegte. Henry George Louis Graham liebte Weihnachten.  Und all den ganzen Kram, der dazu gehörte. Das alljährlich im Dezember Christmas in the Garden stattfand, ein Weihnachtsmarkt, der sich an dem mitteleuropäischen Vorbild orientierte, war nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Irgendwie brachte es doch sowas wie Heimat in die manchmal noch fremd wirkenden Vereinigten Staaten. Wer meinte, dass die USA und das Vereinten Königreich das gleiche in Grün waren, sorgte bei dem Briten nur für entsetzten Blicke. Das war Blasphemie. Staatsverrat. Oder wie man das auch sonst nennen mochte. Aber nur, weil die USA aus verdammten, britischen Kolonien entstanden, waren sie keine siamesischen Zwillinge. Zwillinge ja. Vielleicht auch eineiig. Aber da war immer noch ein fetter Ozean zwischen ihnen! Sie verbrachten die Pubertät sozusagen in verschiedenen Familien!  Doch selbst das Thema konnte Harry nicht die Laune vermiesen, schließlich war er hier, um zu feiern. Wenn die anderen nur endlich auftauchen würden. Kurz starrte er auf sein Handgelenk, um festzustellen, dass er keine Uhr trug. Da er aber selbst ein notorischer Zuspätkommer war, wunderte es ihn doch sehr, dass die Jungs noch nicht aufgetaucht waren. Der Siebenundzwanzigjährige schürzte die Lippen, blickte nach links und rechts, vergewisserte sich noch einmal, dass er auch an der verabredeten Glühweinhütte stand. Doch das riesige, aufgeblasene Rentier auf dem Dach, das im eisigen Wind so betrunken wie seine Besucher hin und her wankte, ließ keine Zweifel aufkeimen. Er traute ihnen durchaus zu, dass sie genau heute Rache an ihm übten und eine falsche Uhrzeit nannten. Eine Art Erziehungsmaßnahme, damit er sich in Zukunft in Pünktlichkeit übte. Eine Zeit lang waren sie grundsätzlich selbst eine halbe Stunde zu spät zur vereinbarten Bandprobe erschienen, doch nach einer Weile war Harry hinter diesen Trick gekommen und auch, wenn er es nicht wollte, vermittelte sein Unterbewusstsein ihm immer, dass er sich ja keinen Stress machen brauchte, wenn die anderen drei auch später kamen.  Aber heute – heute! - war er pünktlich. Nun, genau genommen erschien er sechs Minuten zu spät, aber das konnte man in seinem Fall guten Gewissens mit Pünktlichkeit gleichsetzen. So wunderte es Harry noch mehr, dass er hier alleine in der Kälte seit einer geschlagenen Viertelstunde wartete. „Na wartet, meine Rache wird grausam. Ich werde die Bierflaschen vorher schütteln oder so...“, murmelte er, während er sich die Oberarme rieb, ehe er zischend die Schultern zusammenzog, als die Eiskönigin ihre Hände in den winzigen ungeschützten Bereich seines Nackens zwischen Jacke und Schal schob. Ruckartig wandte er sich um, sah hinab auf die blasse, junge Frau mit den kupferroten Locken, welche ihn mit einem breiten Grinsen begrüßte, gleichzeitig stülpte sie sich die Handschuhe über die Hände. „Hey.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)