Schwarz-Weiße Weihnacht von Maginisha ================================================================================ Kapitel 17: 17.Dezember ----------------------- „Kirschenbaum, Kirschenbaum! Deiner Blüten rosa Traum duftet übers Land so weit, Frühlingshimmel wölbt sich breit, kleine Wolke schwebt im Blau. Komm mit mir, komm mit mir, komm mit mir und schau.“   Kichernd stoben die kleinen Mädchen auseinander, um unter lauten „Sakura! Sakura!“-Rufen durch den Park zu laufen. Ihr Mütter riefen ihnen noch nach, dass sie vorsichtig sein sollten, aber mit einem Lächeln auf den Gesichtern und ebenso leuchtenden Augen wie ihre Töchter, die durch die rosa Blütenpracht der blühenden Kirschbäume tollten. Überall saßen und standen die Menschen und ergötzten sich an der alljährlich wiederkehrenden Feierlichkeit, dem Hanami, das dieses Jahr schon früh im März stattfand.   Zwischen den vielen Einheimischen und den fast ebenso zahlreichen Touristen wanderten auch zwei Männer durch den Park, die in ihrer Erscheinung wohl als Touristen durchgegangen wären, wenn nicht die typischen Accessoires eines Vertreters dieser Spezies gefehlt hätte. Man konnte sie in ihren weißen Anzügen wohl für Geschäftsleute halten, wenngleich auch die wilde, orange-rote Mähne des einen, die mit den Kirschbäumen in einen ungleichen Wettstreit getreten war, nicht unbedingt einen seriösen Eindruck machte. Sein Partner hingegen sah mit der adretten Frisur und dem geschmeidigen Äußeren wie ein Mann von Welt. Nichtsdestotrotz wirkten die beiden seltsam fehl am Platz. Ein Eindruck, der zumindest der Dunkelhaarige von ihnen zu teilen schien.   „Was wollen wir hier, Schuldig?“, fragte er gerade. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass du dir mit mir zusammen die Kirschblüten ansehen möchtest.“ „Ah, warum denn nicht?“, gab Schuldig jovial zurück. „Findest du nicht, dass wir mal einen freien Tag verdient haben. Takatori ist zufrieden mit unserer Arbeit, Eszett mit unseren Berichten, was will man mehr? Lass mich doch ein wenig Unruhe stiften unter all diesem Frohsinn. Siehst du die beiden da drüben zum Beispiel? Ich könnte mir vorstellen, dass...“   Was immer auch Schuldig mit dem glücklich wirkenden Pärchen, auf das er es abgesehen hatte, anstellen wollte, geriet in dem Moment in Vergessenheit, als er Crawfords Gesicht sah. Der andere war kreideweiß geworden und Schweiß stand auf seiner Stirn. Er zitterte merklich. Sofort war Schuldig an Crawfords Seite und stützte ihn, bevor er zusammenbrechen konnte. „Was ist los? Was siehst du?“, fragte er halblaut. Dass Crawford so von einer Vision gebeutelt wurde, war lange nicht mehr passiert. Normalerweise hatte der gebürtige Amerikaner seine Gabe gut im Griff. „Bäume...“, murmelte Crawford abwesend. Seine Augen verdrehten sich, so dass Schuldig das Weiße darin sehen konnte. „Geschmückte Bäume...muss verhindern...Farfarello.“   Schuldig handelte unverzüglich. Er legte den zwei alten Damen, die sich auf einer Parkbank niedergelassen hatten, dringlichst nahe, sich einen anderen Aussichtsplatz zu suchen, und setzte Crawford vorsichtig auf die Sitzfläche der Bank. Dann lockerte er dessen Krawatte und öffnete die obersten Hemdknöpfe. Die erstaunten Blicke seiner Umgebung ignorierte er dabei. Langsam aber sicher kam Crawford wieder zu sich. „Wasser“, krächzte er. „Außerdem Papier und einen Stift. Ich muss mir etwas notieren.“   Der Telepath nickte nur und verschwand, um kurz darauf mit dem Gewünschten wiederzukommen. Das Orakel hatte sich soweit wieder erholt, dass er nach dem Stift griff und sofort begann zu schreiben. Nebenbei nahm er einen Schluck aus der Wasserflasche, die Schuldig ihm reichte. Neugierig blickte Schuldig über Crawfords Schulter und runzelte die Stirn. „Goldfolie, roter und grüner Filz, Tonpapier, Lackfarbe, Stroh? Was soll das sein?“ „Eine Einkaufsliste“, gab Crawford zurück. „Du wirst diese Sachen besorgen und dann zu Farfarello bringen. Ach und besorge doch bitte auch noch einen grünen Pappkarton. Etwa 30 mal 20 Zentimeter Grundfläche. Er darf ruhig etwas höher sein.“   Schuldig sah seinen Boss an, als wäre er nicht recht bei Trost. „Und was genau soll ich Farfarello sagen, dass er damit machen soll?“ „Weihnachtsschmuck“, antwortete Crawford. „Er soll Weihnachtsschmuck basteln. Am besten besorgst du ihm auch noch ein paar Bastelbücher dazu. Du wirst sie im Geschäft an der nächsten Ecke ganz hinten links finden. Was er gebastelt hat, soll er in den Karton tun. Ich kümmere mich dann später darum.“ Schuldig lag ein scharfer Protest auf der Zunge. Er war kurz davor, die Anweisung zu ignorieren und Crawford zu sagen, wohin er sich seine Liste stecken konnte. Andererseits war es eine sehr starke Vision gewesen. Er wusste, er tat gut daran, sich Crawfords Urteil unterzuordnen. Eine Lektion, die er auf die harte, aber einprägsame Tour hatte lernen müssen. Also erhob er sich mit einem lauten Seufzer. „Erinnere mich daran, nie wieder mit dir Hanami feiern zu wollen.“ Crawfords Züge, die inzwischen wieder entspannt waren, verzogen sich zu einem selbstgefälligen Lächeln. „Und ich sage dir, du wirst es nächstes Jahr wieder tun.“   Schuldig ersparte sich eine weitere Erwiderung und steckte grummelnd die Liste ein. Es machte einfach keinen Sinn, mit einem Orakel über die Zukunft streiten zu wollen. Man verlor ja doch immer wieder. Mit den Händen in den Taschen machte er sich auf zum nächsten Bastelladen. Das Einzige, was ihn an der Sache aufheiterte, war die Vorstellung von Farfarellos Gesicht, wenn er ihm den Auftrag ihres Anführers überbrachte. Der Ire würde bestimmt Bauklötze staunen, wenn er erfuhr, dass er jetzt Weihnachtsbaumschmuck zusammenzimmern sollte. Was Schuldig daran allerdings wurmte, war die Tatsache, dass er keine Ahnung hatte, was Crawford mit dem ganzen Kram vorhatte...     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)