Mosaik von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ [26.11.2011 – D58 – Joanne Snyder] ---------------------------------- „Pakhet?“ Heidensteins Stimme riss sie aus dem Schlaf. Sie war tatsächlich eingeschlafen. Sie war trotz ihrer Panik, trotz ihrer rasenden Gedanken eingeschlafen. Vielleicht war es wegen dem Adrenalinsturz gewesen, als sie sich einmal beruhigt hatte, vielleicht war die Ursache auch in ihrer verbliebenen Müdigkeit nach den vergangenen Tagen oder den drei Flaschen Bier, die sie am Ende getrunken hatte, zu suchen. Sie wusste nicht einmal, wie spät es war. Sie hatte sich irgendwann, weil ihr schwindelig geworden war, in Heidensteins Bett gelegt. Ihr eigenes Bett hatte sie an Murphy „vermietet“. Sie hatte nicht gewusst, wohin sie den Jungen sonst hätte bringen sollen. Immerhin hatte sie ihn in ihrer Nähe behalten wollten. Nur für den Fall. Sie sah sich zu Heidenstein. „Hey.“ Sie blinzelte. Schon saß er an ihrer Seite, hatte eine Hand auf ihr Bein gelegt. „Was machst du hier?“ „Murphy liegt drüben“, erklärte sie auch ihm. „In meinem Bett. Er hatte noch immer Fieber.“ Sie schüttelte den Kopf, suchte dann seinen Blick. „Was habt ihr gemacht?“ Heidenstein bemühte sich um ein beruhigendes Lächeln. „Smith kümmert sich um die Firma. Wir haben die ganzen Locations von Michael abgefahren, haben ein paar Sachen für Smith gesammelt. Und einen Server ausgeschaltet.“ Er tätschelte ihre Schultern. „Es geht schon. Es wird alles in Ordnung sein. Alice sagt, sie glaubt, sie hat die wichtigsten Sachen gefunden.“ Seine Stimme klang ruhig, besänftigend. Joanne drehte sich auf den Rücken, blickte zur Decke. Konnte es wirklich sein? Konnte es sein, dass sie Michael getötet hatte und nichts deshalb passiert war? Nein. Es konnte nicht so einfach sein. Es konnte nach all den Jahren nicht so einfach sein. Es war zu einfach. Wenn es sei einfach war, warum hatte sie nicht ... Warum hatte niemand Michael vorher getötet? Murphy hatte Recht: Es war lange überfällig gewesen. Es hätte schon lange jemand tun müssen. Es durfte nicht so leicht sein. Es fühlte sich falsch an. Wenn es so leicht war: Warum hatte sie dann so lange für ihn gearbeitet? Sie hatte immer gewusst, dass er ein Arsch war. Ihre Stille schien Heidenstein zu besorgen. „Alles okay?“ Sie starrte weiter zur Decke. Genau so wie Michaels Leiche wahrscheinlich noch immer an die Decke starrte. Michaels Leiche. Genau. „Was ist mit der Leiche?“ „Victor hat ein paar Leute vorbei geschickt“, meinte Heidenstein ruhig. Er räusperte sich. Das Thema war ihm unangenehm. „Profis.“ Sie nickte. Was hätte sie nur ohne Heidenstein getan? Ohne ihre Freunde? „Fuck“, hauchte sie. Noch immer lag Heidensteins Hand auf ihrem Knie. „Es ist alles okay. Wir haben es unter Kontrolle.“ „Und ich habe nichts getan“, flüsterte sie. „Du hast mehr als genug getan“, erwiderte Heidenstein. „Du hast wirklich mehr als genug getan.“ Sie schwieg. Noch immer war sie dankbar, dass sie zumindest ihrerseits Murphy gerettet hatte. Sie würde sich wirklich nutzlos fühlen, hätte sie das nicht getan. „Es ist zu leicht.“ „Vielleicht wollte er dich auch nur glauben lassen, dass es so schwer ist. Er hat dich …“ „Manipuliert“, beendete sie den Satz. „Ich weiß.“ Sie schloss die Augen, legte ihre Hände darüber. „Ich weiß.“ Heidenstein schwieg, zögerte. Für eine ganze Weile schwiegen sie, doch am Ende hielt er es nicht mehr aus. „Was ist es, womit er dich erpresst hat? Ich meine …“ Er hielt inne. „Was …“ Nun endlich sah sie ihn wieder an. Sie wusste, was er eigentlich fragen wollte. Michael hatte vorhin einige Sachen angesprochen. Einige Sachen die fraglos weitere Fragen aufgeworfen hatten. Heidenstein war nur zu nett. Er traute sich nicht wirklich zu fragen. „Wer“, korrigierte sie schließlich. „Das ist die Frage, die du eigentlich fragen willst.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein. Was. Womit hat er dich erpresst? Ich meine, ich weiß, dass es Murphy und ich waren. Aber davor? Ich meine, was war es davor?“ Joanne lächelte müde. Wieder wanderte ihr Blick zur Decke hinauf. „Das ist dieselbe Frage.“ Sie schloss die Augen wieder. Konnte sie es ihm wirklich erzählen? Warum zögerte sie überhaupt so sehr? Sie vertraute ihm doch. Er konnte es wissen, oder? Er würde sie dafür nicht verurteilen, oder? Konnte sie es riskieren? Sie holte tief Luft, leckte sich über die Lippen. Sie ließ es darauf ankommen. „Hast du gehört, wie er mich genannt hat?“ Heidenstein hielt inne, sah sie an. Er schluckte. „Joanne.“ Sie nickte. Wieder herrschte Stille, bis Heidenstein fragte. „Dein richtiger Name?“ Erneut nickte sie, richtete sich ein Stück auf, um ihn anzusehen. „Mein richtiger Name ist Joanne Snyder.“ Schweigen. Sein Blick war weich. Als wäre es etwas Besonderes. Ihr Name. Wieder leckte er sich über die Lippen. „Joanne“, wiederholte er, als wolle er ausprobieren, wie es klang. „Joanne.“ Sie verzog das Gesicht. „Idiot.“ Leises Lachen kam über seine Lippen. Dann sah er sie an. Wartete. Fuck. Also würde sie wirklich erzählen? Konnte sie es? „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“ „Irgendwo?“, schlug Heidenstein vor. Dann schien er jedoch zu verstehen, dass sie es nicht konnte. „Womit hat dich Michael erpresst?“ „Damit das die US Army mich wahrscheinlich als Terroristin sucht“, antwortete sie. „Oder zumindest habe ich das lange gedacht. Smith hat nachgeschaut. Es stimmt nicht. Michael hat gelogen.“ Heidenstein wartete auf eine Erklärung, sah sich sich schließlich gezwungen zu fragen: „Und warum sollte dich die Army als Terroristin suchen?“ Sie seufzte. „Weil ich vor acht Jahren meinen Commandanten erschossen habe und Terroristen geholfen habe, amerikanische Waffen aus einem Camp im Irak zu stehlen.“ Wieder schwieg Heidenstein, brauchte, diese Information zu verarbeiten. „Okay.“ Nun war er es, der die Lippen schürzte. „Und wie ist es dazu gekommen?“ Sie schloss die Augen. Einige Erinnerungen waren viel zu frisch in ihrem Gehirn. Ekelhaft frisch. Zu viel war passiert. „Ich …“ Wo fing sie an. „Meine Eltern sind Amerikaner gewesen. Ich habe meine Kindheit zu großen Teilen in den USA verbracht.“ Ein weiteres Seufzen kam über ihre Lippen, als sie an ihre Eltern dachte – der Vater, an den sie sich kaum erinnerte, weil er nur so selten da gewesen war, die Mutter, die sie so oft mit strengem Blick angesehen hatte. „Ich … Ich hatte kein besonders gutes Verhältnis zu meinen Eltern. Sie waren wenig da. Sie sind beide viel gereist wegen ihrer Arbeit. Sie waren Forscher. Ich habe die spätere Hälfte meiner Jugend hier verbracht. In Kapstadt. Daher kenne ich Robert.“ Eigentlich hatte es nichts mit ihrer eigentlichen Geschichte zu tun, doch sie wusste es nicht besser. Sie wusste nicht, wie sie sonst anfangen konnte. Wo fing man an, wenn nicht am Anfang? Heidenstein sagte nichts. Heidenstein fragte auch nicht weiter. Er ließ sie einfach reden, ließ sie erzählen. „Meine Eltern hatten immer erwartet, dass ich einen ehrenhaften Job annehme. Forscherin. So etwas. Ich wollte nicht. Ich wollte auch nicht heiraten, was laut meiner Mutter eine Alternative gewesen wäre.“ Ihre Stimme klang viel zu bitter, dafür, dass es verdammte fünfzehn Jahre her war. Beinahe ihr halbes Leben. „Ich … Ich wollte nicht. Ich wollte etwas anderes. Mein Dad ist damals sauer geworden, hat gemeint, dann soll ich was nützliches tun, zur Army gehen oder so. Und … Ich habe ihn beim Wort genommen. Ich dachte, wenn, dann könnte ich auch genau so gut … Zur Army.“ Wieder schürzte sie die Lippen. Eigentlich war es ihr damals als logisch erschienen. Die Army schien wie perfekt für sie gewesen. Sie hatte schon immer ein Interesse an Kampfsport und an Waffen gehabt, hatte sich schon immer für Taktiken und diese Dinge interessiert, hatte als Kind oft darüber fantasiert, ein Polizist oder vergleichbares zu sein. Warum war sie eigentlich nie ein Polizist geworden? Wahrscheinlich, weil sie in Südafrika nicht konnte und in den USA nicht gewollt hatte. Doch genau erinnerte sie sich nicht mehr. „Jedenfalls … Damals war es recht selten. Frauen bei der Army. Also es kam vor und alles, aber es war noch nicht so häufig. Das … Es war noch vor der Jahrtausendwende. Halt direkt nach meiner Highschool. Und es war am Anfang relativ gut.“ Sie zögerte. „Ich war eine Seltenheit, habe mir blöde Sprüche anhören dürfen und all das, aber eigentlich … Es war okay.“ Sie kurz inne. Sie erzählte viel zu viel. Warum? Warum erzählte sie ihm das alles? Warum dachte sie überhaupt darüber nach? „Ich habe meine Ausbildung gemacht, habe Auszeichnungen bekommen, sollte eigentlich in Tansania eingesetzt werden. Ich … Ich habe zur Marine gewollt. Hatte gehofft irgendwann Seal zu werden, auch wenn es damals eigentlich nicht möglich gewesen wäre, weil ich eine Frau war.“ Er sah sie fragend an. „Es gab damals ein Verbot für Frauen in bestimmten Positionen und für bestimmte Einsätze.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber es gab innerhalb des Militärs Widerstand dagegen, insofern hatte ich Hoffnung. Ich wollte mich beweisen, wollte zeigen, dass ich …“ Sie verfiel in Schweigen. „Und dann?“ Sie schürzte die Lippen. Heidenstein zog seine Schuhe aus, rückte dann weiter auf das Bett herauf. Er fasste sie nicht mehr an, als zuvor, lehnte sich nur mit dem Rücken gegen die Wand. Sie verstand ihn, legte ihre Beine auf seinen Schoss. Es war eine angenehmere Position für sie, für ihre Hüfte. Wie sollte sie weitermachen? „Wie gesagt: Das war etwa zur Jahrtausendwende“, meinte sie. „Und dann … Dann kam 9/11.“ Heidenstein schwieg, sah sie an, als wollte er fragen, was damit zu tun hatte. „Ich bin mit nach Irak. Ich war mehr oder minder vom Anfang an dabei. Erst nur passiv, später aktiv. Der Krieg …“ Sie schüttelte den Kopf. „Es war eigentlich alles schnell vorbei, aber niemand war auf das Chaos, was folgte, vorbereitet. Auf den Widerstand. Auf die kommende Unterdrückung. Auf die Guerillataktiken. Auf den ganzen Scheiß.“ Es war so schwer zu erklären. Er war nie in einer solchen Situation gewesen. „Jedenfalls: Wegen 9/11 gab es diverse neue Soldaten. Junge Soldaten. Auch mehr Frauen, deswegen durfte ich überhaupt in den aktiven Einsatz. So viele, die einfach etwas für ihr Land tun wollten. Bush. Der Patriotismus. Der ganze Scheiß. Die hatten alle keine Ahnung, worauf sei sich einließen. Na ja, jedenfalls bin ich damals da geblieben, aber … Ich hatte keine Führungsposition. Ich war halt Soldatin.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wir waren in der Nähe von Umm Qasr positioniert. Und … Na ja, wie gesagt. Es war Chaos. Und unserer Commandant …“ Sie konnte sich noch genau an den Typen erinnern. Ein schmieriger, über die Maßen muskulöser Typ. Die Art von Kerl, die in einem Film auch das korrupte Militärarsch gewesen wäre. „Ein gewisser Zachary Hale.“ Wieso wusste sie den Namen überhaupt noch? „Er war ein Arsch. Ein Sexist.“ „Was hat er getan?“, fragte Heidenstein. Sie schüttelte den Kopf. „Du bist ein zu guter Zuhörer, weißt du das?“ Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht.“ „Hale hat … Er hatte eine deutliche Meinung zu Frauen in der Army. Er hat mich die ganze Zeit davon geblockt im Rang zu steigen. Egal, was ich gemacht habe.“ Und sie hatte einiges versucht. Einige dumme Sachen. Einige Sachen, die wahrscheinlich ein objektiver Grund dagegen gewesen wäre, sie zu befördern. Nicht, dass es Hale je interessiert hatte. „Allerdings hat er einen Nutzen in Soldatinnen gesehen.“ Sofort spannte Heidenstein sich an. Er starrte sie an. „Hat er dich angefasst?“ „Nein. Mich nie. Aber … Andere. Er hatte immer recht gute Druckmittel. Es gab immer Einsätze, die gefährlicher waren. Und … Er hat die Gruppenzusammenstellung gemacht.“ Sie verzog das Gesicht. „Wie gesagt. Es war Chaos. Von allem, was ich gehört habe, gab es solche Ärsche damals überall. So viele neue Soldaten. Zu wenig Prüfung. Du hast sicher die Geschichten gehört.“ Heidenstein sah sie noch immer schockiert an, nickte dann aber. „Jedenfalls. Ich war die Person, die lieber auf die Suizideinsätze gegangen ist. Aber ich habe es gehasst. Habe ihn gehasst. Ich wollte da weg.“ Sie schürzte die Lippen. „Das war das erste Mal, dass mich Michael kontaktiert hat.“ Heidenstein sah sie an. „Wie?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Michael ist ein Aasgeier. Das Chaos. Die Waffen. Die Informationen. Es war eine wunderbare Zeit für Söldner. Die Gegend da oben ist noch heute sehr lukrativ.“ Sie seufzte. „Er hat meine Frustration bemerkt, hat mir damals in einer Bar Geld für Informationen angeboten. Ich habe abgelehnt, habe ihn bedroht.“ Es war egal. Sie schüttelte wieder den Kopf. „Jedenfalls … Dann habe ich eine Chance bekommen. Mehr oder minder. Ich war verletzt worden bei einem Einsatz, bin aus dem aktiven Gebiet zurückgezogen worden. Und im Krankenhaus hat man mir etwas angeboten. Ich bin damals gut geheilt und … Na ja, du weißt wie es ist. Militärexperimente.“ „Experimente?“ Ein müdes, unsicheres Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Ist das jetzt die Origin-Story eines Superheldens?“ Sie lachte trocken. „Leider nicht. Aber wenn es nach den Ärzten gegangen wäre, hätte es das werden sollen. Das Militär … Na ja, Versuche für Supersoldaten gab es überall. Und sie hatten etwas … Eine Kur, die eigentlich gedacht war, Muskeln stärker und Knochen widerstandsfähiger zu machen. Frühe Gentherapie, wenn man so will.“ „Und du hast mitgemacht?“, fragte Heidenstein. Sie schürzte wieder die Lippen, nickte. „Ja. Und es ist schief gegangen.“ Sie hob ihre linke Hand, die Prothese, die sie nicht abgemacht hatte, als sie sich vorher hingelegt hatte. „Es ist richtig schief gegangen. Mein Knochen hat eine Entzündung entwickelt und deswegen … Nun.“ Sie hielt ihm die Prothese entgegen. Heidenstein schluckte, nahm die künstliche Hand in die seine. „Ich verstehe.“ „Ja“, murmelte sie. „Eigentlich sollte ich danach ehrenhaft entlassen werden. Aber ich wollte nicht. Ich konnte nicht …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich konnte nicht einfach wieder in die USA oder hierher zurück. Also hat man mich als Logistiker zurückgeschickt. Und dann war da wieder Hale. Jetzt in Basra.“ Es war einfach nur Pech gewesen. Sehr wahrscheinlich war es Pech. „Und er hat weitergemacht, wie bisher. Egal, was ich getan habe. Verdammt. Ich hatte damals lange nur einen Arm. Ich meine diese Prothese ist neu. Damals hatte ich nur … Eigentlich gar nichts wirklich. Und ich habe ihm dennoch einmal das Leben gerettet. Aber er … Er hat es am Ende noch umgeändert und …“ „Warum hat ihn nie jemand gemeldet?“, fragte Heidenstein. „Weil die erste, die es versucht hatte, unehrenhaft entlassen wurde“, erwiderte Joanne und sah ihn an. „Es … Ist nicht so leicht.“ Heidenstein nickte. „Jedenfalls. Dann war Michael wieder da. Er hat damals Waffen gehandelt. Hat sie von den einen geklaut und an die anderen verkauft. Die Widerstandsgruppen waren verdammt scharf auf die Waffen. Und … Er hat mir einen verflucht massiven Betrag angeboten, nur dafür im Lager für Ablenkung zu sorgen. Und … Ich habe eine Chance gesehen, Hale eins auszuwischen.“ Sie sah wieder zur Decke. „Ich weiß, dass es kleinkarriert war, aber ich war damals so wütend.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Ich hätte einfach nach Hause gehen sollen.“ Sie schloss die Augen. „Ich habe angenommen. Bin dahin gegangen. Dachte es würde leicht werden, aber es ist einfach alles schief gegangen. Und am Ende gab es eine Schießerei im Lager und Hale hat mich entdeckt und … Ich habe mich verleiten lassen. Ich habe ihn gejagt. Ich habe ihn erschossen.“ Wie jetzt Michael. Ja, es war eine schlechte Art der Problemlösung. „Aber ich war damals noch nicht so schnell. Wir haben gleichzeitig gefeuert und … Nun, ich habe dir einmal gesagt, wie ich mein Auge verloren habe.“ Unbewusst wanderte ihre Hand zu ihrer linken Schläfe. „Du wurdest ins Auge getroffen“, erwiderte Heidenstein. Sie nickte. „Genau. Das war Hale.“ Sie öffnete die Augen wieder, sah zur Decke. „Als ich aus dem Koma erwacht bin, lag ich in einem Dschungelkrankenhaus irgendwo im Kongo. Und Michael hat mir gesagt, dass man mich für den Angriff verantwortlich macht, dass man mich aber auch für tot erklärt hat. Er hat gesagt, dass er dafür gesorgt hat, dass er meinen Tod vorgetäuscht hat, damit ich entkommen kann. Und dann hat er mir ein Angebot gemacht.“ Sie holte tief Luft. „Ich wollte damals nur von allem weg. Und dann hat er mir gesagt, dass sie von Kapstadt aus arbeiten und …“ Kapstadt war der einzige Ort gewesen, wo sie in ihrer Jugend so etwas wie glücklich gewesen war. Hier hatte sie so etwas wie Freunde gehabt. „Und daher … Daher habe ich angenommen. Und habe Michael die ganze Zeit geglaubt …“ Stille senkte sich über sie. Wie lange hatte sie jetzt geredet? Sie hatte so viel mehr erzählt, als sie eigentlich hatte erzählen wollen. „Was ist mit deinen Eltern? Glauben die, dass du tot bist?“, fragte Heidenstein schließlich leise. Sie machte einen verächtlichen Laut. Als ob es ihre Eltern wirklich interessiert hätte, hätten sie damals noch gelebt. „Meine Eltern sind zwei Jahre vorher gestorben“, erwiderte sie. „Bei einem Unfall.“ „Oh. Das …“ „Es ist egal“, erwiderte sie. „Meine Eltern …“ Ihre Stimme klang viel zu bitter. Verdammt. Es war so lange her. So lange. Sie seufzte nur. Heidenstein atmete tief ein, sah sie an. „Ich verstehe, Pakhet.“ Er brachte sich zu einem Lächeln. Sah sie an. „Ich denke ich verstehe.“ Er zögerte. „Joanne.“ Sie schloss die Augen. Warum hatte sie ihm das erzählt? Warum war es ihr so wichtig? Was hatte sie erwartet, würde passieren? Hatte sie wirklich geglaubt, dass er dann fortlaufen würde? Nein. Nicht wirklich. Er nicht. Warum war er so ein Idiot? „Was denkst du jetzt von mir?“, fragte sie. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum sie es ihm erzählt hatte. Sie wollte wissen, was er darüber dachte. Was er über Joanne dachte. Denn auch wenn sie es so lange verleugnet hatte: Sie war Joanne. irgendwo war sie noch immer Joanne. Heidenstein musterte sie. „Ich denke, dass du verdammt viel Pech in deinem Leben hattest“, antwortete er. „Und dass es verdammt unfair war.“ Er lächelte matt. „Ich denke auch, dass du einige Sachen getan hast, die du jetzt bereust und dass es mir nicht zusteht, darüber zu urteilen.“ Dann hielt er inne, als würde er erst gerade ihre Frage verstehen. „Und falls es das ist, was du fragst: Ich halte dich deswegen nicht für einen schlechteren Menschen. Du bist mir noch immer sehr wichtig. Ich …“ Er schüttelte den Kopf, brach ab, lächelte. „Ich hoffe, das weißt du.“ Sie wusste es. Das und so viel mehr. Ach, verdammt. Was sollte sie tun? Was konnte sie tun? Sie richtete sich auf, ging in die Knie, lehnte sich zu ihm hinüber. Mit ihrer rechten Hand strich sie über seine Wange. „Ich weiß“, hauchte sie. „Natürlich weiß ich das, Idiot.“ Sie sah in seine Augen. Warum fühlte sie sich bei ihm so wohl? „Du verdammter Idiot.“ Dann lehnte sie sich zu ihm herüber, um ihn zu küssen. Er erwiderte ihren Kuss, legte eine Hand auf ihre Wange. Sie legte ihre Stirn gegen die seine, als sie sich voneinander lösten, schaute ihn an, küsste ihn noch einmal. Sie kam ihm noch näher, legte ihre Arme erst um ihn, ließ ihre Hände dann aber tiefer wandern, wollte sein T-Shirt ausziehen. Doch Heidenstein hielt sie auf. Er hielt ihre Hand fest. „Nein, Joanne.“ Er suchte ihren Blick. „Nicht jetzt. Ich …“ Er leckte sich über die Lippen. „Joanne … Du bist nervlich am Ende, angetrunken und …“ Er schüttelte den Kopf. „Ich will die Situation nicht ausnutzen.“ Sie seufzte, stöhnte beinahe frustriert. Schließlich aber atmete sie durch, küsste ihn auf die Wange. „Idiot.“ Er lächelte entschuldigend, während sie sich auf das Bett zurückfallen ließ. Jetzt legte er sich vorsichtig neben sie, jedoch mit genug Abstand, als dass er sie nicht berührte. „Darf ich dennoch bei dir bleiben?“ Müde verdrehte sie die Augen, lächelte matt. „Es ist nicht so, als könnte ich dich aus deinem eigenen Zimmer vertreiben.“ Er lachte leise, rückte dann näher an sie heran. Sie ließ es geschehen. Ausnahmsweise ließ sie es geschehen. Sie streckte sich, schaltete das Licht aus, atmete noch einmal tief durch. „Michael ist tot“, flüsterte sie leise. Sie konnte es noch immer nicht glauben. Heidenstein legte einen Arm um sie, griff nach ihrer Hand. „Ja. Das ist er.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)