Mosaik von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ [15.10.2011 – M26 – Wut und Angst] ---------------------------------- Sie waren auf dem halben Weg zurück zum Parkplatz, wo Pakhet ihren Wagen und Murphy wahrscheinlich auch sein Motorrad abgestellt hatte. Zumindest vermutete sie, dass er so hergekommen war. Da erhob Murphy das erste Mal die Stimme. „Was war das, Pakhet?“, fragte er. Sie antwortete nichts. Nur schwer konnte sie das Zittern ihrer Hand unterdrücken. Wut brannte in ihrer Brust, aber auch Angst. Sie konnte es nicht zugeben. Doch verdammt. Sie konnte nicht. Sie konnte einfach nicht. „Pakhet!“, rief er aus. Sie ging weiter. „Du solltest besser nach Hause, Kid. Geh zu Crash.“ „Erst, wenn du mir sagst, was zur Hölle das da war! Was war das? Es ist nicht deine Art, dich von einem Arsch wie ihm herumkommandieren zu lassen!“ Wenn es nur so wäre. „Vielleicht ist genau das meine Art“, murmelte sie. Sie schoss die Augen, atmete tief durch. „Hör zu, Murphy. Du kannst das nicht verstehen. Es ist besser, wenn du es nicht verstehst. Geh zu Crash. Es ist besser.“ Er griff nach ihrer Hand. Etwas, das er normalerweise nicht tat. „Pakhet. Verdammt. Normal bist du so nicht. Was ist es, das dir an ihm so eine Angst macht?“ „Das er kein Gewissen hat“, murmelte sie. Sie sah ihn an, riss ihre Hand los. Da endlich war der Parkplatz. Sie wollte weg. Einfach weg. Wohin? Sie würde am Ende doch zum Krankenhaus fahren, doch am liebsten wäre sie irgendwohin gefahren. Weg. Doch das war nicht der Sinn. Sie wollte nicht aufgeben, was sie hier hatte. Das war der Grund, warum sie Michael bezahlt hatte. Fuck, das waren fast zweitausend Dollar im Monat. Im Moment konnte sie sich das kaum erlauben. „Pakhet. Verdammt. Rede mit mir.“ Sie hatte den Wagen erreicht, öffnete die Fahrertür auf der rechten Wagenseite und sah Murphy an. „Wirklich, Kid. Es ist besser, wenn du dich nicht weiter mit Michael anlegst. Er ist ein Arsch, aber ein Arsch, das du besser nicht gegen dich hast.“ Damit stieg sie ein, startete den Wagen. Murphy schlug von draußen auf die Kühlerhaube, doch tat er nicht wirklich etwas, um den Wagen aufzuhalten, fluchte nur. Sie konnte es ihm nicht erklären. Warum zur Hölle tat es so weh, ihn so zu sehen? Zu sehen, dass er enttäuscht von ihr war … Sie fuhr. Sie fuhr einfach nur. Sie versuchte ihre Atmung ruhig zu halten, ihr Herz zu beruhigen. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Verdammt. Der Junge hatte Recht. Es war nicht ihre Art. Sie war nicht die Art von Person, die sich von jemanden wie Michael beeinflussen ließ. Zumindest wollte sie es nicht sein. Als sie ihr altes Leben aufgegeben hatte, hatte sie sich geschworen sich nie wieder kontrollieren zu lassen. Die letzten Jahre hatte sich Michaels Kontrolle auch nie wie eine solche angefühlt. Doch es war nur gewesen, weil sie mitgespielt hatte, oder? Weil sie ohnehin getan hatte, was er wollte. Verdammt. Fuck. Verfluchte Scheiße. Sie hasste es. Sie hasste es. Sie hatte es gewusst, hatte versucht es zu ignorieren. Wie alles andere auch. Ignoranz kann schön sein, erleichternd. Warum? Warum? Die Stadt rauschte an ihr vorbei, während sie sich darauf konzentrieren musste, nicht zu schnell zu fahren. Sie fuhr auf die M7, umfuhr damit einen guten Teil der Flats, um so schneller zum Anderson Krankenhaus zu kommen. Einem kleinen Stau konnte sie dennoch nicht entgehen. Sie musste sich beherrschen. Am liebsten hätte sie geschrien. Dabei hätte es sie so nicht überraschen sollen. Michael hatte es die ganze Zeit schon angedeutet. Hatte angedeutet, dass er früher oder später etwas dagegen tun würde. Gegen ihre Beziehung zu Heidenstein. Gegen ihre Freundschaft mit Murphy. Und jetzt? Sie konnte die beiden nicht in Gefahr bringen. Michael hatte Recht. Es wäre besser, würde sie wieder zu ihrem alten Leben zurückkehren. Einfach Pakhet sein. Pakhet, die keinen Freund außer Robert hatte. Pakhet, die ihren Job machte, die gut in ihrem Job war, dafür anerkannt wurde. Pakhet, die sich keine Gedanken darüber machte, was zur Hölle Heidenstein eigentlich wollte. Endlich. Das Krankenhaus. Der Parkplatz. Sie wollte mit Heidenstein sprechen und gleichzeitig wollte sie ihn nicht sehen. Warum mussten diese Freundschaften eigentlich alles so viel komplizierter machen? Was sollte sie tun? Um diese Zeit war er wahrscheinlich in der Klinik. Entweder in der normalen Klinik oder der Straßenklinik. Sollte sie ihn aufsuchen? Nein. Nein. Das konnte sie nicht tun. Sie würde nach oben gehen. Sich ablenken. Vielleicht sollte sie sich besser abreagieren. Doch wie? Fuck. Sie stellte den Wagen ab, nahm im Krankenhaus die Treppen. Das Stehen im Aufzug hätte sie nicht ertragen. Beinahe schon beiläufig öffnete sie die Tür zu der seltsamen improvisierten Wohnung, die sie mit Heidenstein teilte, als sich zwei Blicke ihr zuwandten. „Pakhet“, sagte Heidenstein erleichtert. Murphy lief derweil auf sie zu. „Jetzt rede endlich mit mir.“ Er war halb nackt, trug nur eine Unterhose. Wahrscheinlich war er in Rabengestalt hergeflogen. Das machte es nicht leichter mit ihm zu reden. „Ich habe es doch schon gesagt, Kid“, seufzte sie. Sie konnte nicht mehr. Sie ließ sich auf den Sessel sinken, da Heidenstein auf dem Sofa saß. „Es ist kompliziert. Je weniger du weißt, desto besser.“ Sie legte das Gesicht in die Hände ab, lehnte die Ellbogen auf den Knien auf. Am liebsten hätte sie sich gänzlich zusammengekauert, doch das war nicht sie. „Ich komme damit klar, Pakhet“, protestierte Murphy. „Ich helfe dir. Egal was es ist. Sag mir doch nur, warum du dich von einem solchen Arschloch …“ Er verstummte. Wahrscheinlich hatte Heidenstein ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Jedenfalls war er aufgestanden. Sie konnte es hören. Er kam näher. „Pakhet?“, fragte er vorsichtig. „Was ist passiert?“ Zögernd und sehr vorsichtig setzte er sich auf die Armlehne des Sessels. Sie schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen. „Was hat dir Murphy nicht erzählt?“ Sie versuchte ihrer Stimme einen amüsierten Klang zu geben, klang am Ende jedoch nur bitter. Heidenstein holte tief Luft. „Murphy sagte, Michael sei euch gefolgt, als ihr Eisessen wart. Er sagte, Michael hat euch bedroht und versucht, dich dazu zu bringen uns irgendwie aufzugeben. Und dass du dich hast von Michael um Geld erpressen lassen.“ „Das ist alles, was es zu wissen gibt.“ Heidenstein zögerte für eine ganze Weile. Langsam legte er die Hand auf ihre Schulter, zuckte einmal kurz zurück, ließ die Hand dann aber dort liegen. „Pakhet. Was ist wirklich passiert?“ Was sollte sie ihm denn sagen? Sie konnte ihm nicht erzählen, was damals passiert war. Warum eigentlich nicht? Doch sie wusste nicht, wie er reagieren würde. Sie wollte ihr altes Leben sowieso nur vergessen. Das damals, das war nicht sie gewesen. Sie war Pakhet. Pakhet, nicht Joanne. „Pakhet?“, fragte Heidenstein noch einmal leise. „Jetzt rede endlich mit mir“, forderte Murphy, selbst wenn er offenbar bemüht war, seine Stimme verständnisvoller klingen zu lassen. Er schien direkt vor ihr zu stehen. „Es ging dabei auch um mich, oder? Habe ich dann kein Recht darauf, es zu erfahren.“ Ein bitteres, unfreiwilliges Lachen kam über ihre Lippen. „Es ging nicht wirklich um dich, Kid. Es ging ums Prinzip.“ Sie seufzte. „Ich war dumm. Ich habe gewusst, wie Michael drauf ist, aber ich habe mich darauf verlassen, dass er mir gegenüber nicht so sein wird.“ Warum eigentlich? Weil er es ihr erlaubt hatte, einfach in sein Büro zu stürmen und einen Aufstand zu schieben, wenn sie sauer auf ihn war, vielleicht. Weil sie sogar bei ihm zuhause gewesen war. Er hatte sie behandelt, wie einen besonders gut dressierten Hund. „Wie?“, fragte Murphy mit Nachdruck. „So“, antwortete sie nur. Sie hob den Kopf, sah ihn an. „Er war immer so. Wenn Leute etwas taten, das ihm zuwider war, hat er sie manipuliert. Mit Angeboten. Mit Drohungen. Je nachdem. Manchmal mit beidem. Er wollte, dass alle so sind, wie er will. Genau so, wie er will.“ „Und du hattest die ganze Zeit keine Probleme mit ihm“, schloss Heidenstein. Sie nickte. „Ja. Weil ich genau war, wie er wollte. Sein Werkzeug. Sein kleiner Auftragsroboter.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wir hatten ein paar Abmachungen. Ich würde nie gegen Kinder agieren. Er würde mich von ein paar Sachen fernhalten. Und Robert durfte wissen, dass ich …“ Dass sie lebte. Doch das konnte sie nicht sagen. „Dass du als Söldner aktiv bist?“ Offenbar war das das Ergebnis, zu dem Heidenstein gekommen war. Eine vernünftige Erklärung. Also nickte sie stumm. „Ja. So in etwa.“ „Und was ist dann sein Problem?“, fragte Murphy. „Dass ich sein persönliches Projekt war, nehme ich an“, murmelte sie. „Er hat ein paar davon. Leute, die nicht zu ihm für einen Job gekommen sind, sondern zu denen er gekommen ist. Meist Leute, gegen die er Dinge in der Hand hat. Mehr als normal.“ „Und was hat er gegen dich in der Hand?“, fragte Heidenstein. Sie schüttelte den Kopf. Darüber würde sie nicht reden. Selbst ihm gegenüber nicht. Für Murphy schienen andere Fragen wichtiger zu sein: „Und was solltest du sein?“ „Was auch immer er wollte. Gewissenlos. Effektiv. Nehme ich an.“ Sie schüttelte den Kopf. Das wirklich Gruselige war, dass sie vieles an Michaels Psyche verstand. Er wollte kontrollieren. Ihm ging es weniger um Heidenstein und Murphy speziell, sondern darum, dass sie Faktoren waren, die ihr Verhalten mehr beeinflussten, als er. Vielleicht um Heidenstein, da dieser eben genau das Gegenteil war, von dem, was er erwartete. Ihm ging es auch nicht darum, dass sie sich mit Nel angelegt hatte, sondern dass er sie geprobt hatte. Er hatte ihre Loyalität testen wollen. Sie hatte den Test nicht bestanden. Dafür rächte er sich. „Und was will er mit uns machen? Uns umbringen?“, fragte Heidenstein schließlich. „Nein. Wahrscheinlich nicht. Michael macht sich nur selten die Hände selbst dreckig.“ Sie hatte nur zwei Mal gesehen, wie er eigenhändig jemanden getötet hatte. Dafür hatte er seine Leute. „Es ist doch sehr einfach, oder? Nel sucht nach mir.“ Sie sah zu Murphy. „Du hast ihn gehört. Er würde dich fangen lassen. Würde dich an Nel oder Jaco oder sonst wen ausliefern, damit diese mich zu ihnen locken können.“ „Ich käme da schon alleine raus!“, versicherte Murphy. Er sah beinahe beleidigt aus. Doch sie wusste es besser. Die ganze Zeit schon hatte sie solche Albträume. Albträume, in denen sie Murphy mit einem dieser Halsbänder sah. Sie schüttelte nur den Kopf. „Das würde ich nicht riskieren, Kid.“ Verständnislos sah er sie an. „Was soll das heißen?“ Sie schloss die Augen. Sollte sie lügen? Sie wusste nicht, wie er reagieren würde. „Wenn sie dich hätten, würde ich mich ausliefern. Ich würde nicht riskieren, dass sie dir etwas antun?“ Es war eine der wenigen Situationen, in denen sie Murphy sprachlos gesehen hatte. Er starrte sie mit offenem Mund an. „Das sagst du nur so“, brachte er ständig hervor. „Bitte.“ Er fasste sich. „Ich meine, vertraust du mir nicht? Bitte, ich käme schon mit ein paar Dämonen oder Magiern klar. Ganz einfach. Ich verwandele mich in einen Raben, fliege davon.“ Er wedelte mit den Armen wie mit Flügeln. „Bitte. Das ist doch nicht schwer.“ Sie antwortete nicht, sah ihn stumm an. Sie wussten beide, dass er kein großer Kämpfer war, dass es schwer sein würde zu entkommen, wenn sie ihn einmal hatten. Drogen, Artefakte, Dämonen … Sie würden ihn schon irgendwie gefügig machen. Und dann? Bestenfalls würden sie ihn nur gefangenhalten, wenn sie nicht kam ihn misshandeln. Foltern? Vergewaltigen? Wenn er Glück hatte, töteten sie ihn nur. Doch sie wollte nichts davon riskieren. Niemals. Nein. Wahrscheinlich konnte er ihre Gedanken erahnen. „Du bist dumm, Pakhet. Wirklich. Bitte. Wofür brauchst du mich denn? Würdest du einfach dein Leben wegschmeißen, weil ich … Ich meine, wirklich!“ Er stolperte rückwärts, fiel beinahe über den Wohnzimmertisch. „Verdammt. Pakhet!“ „Es ist, wie du sagst, Kid“, meinte sie. „Du bist ein Freund. Ein Freund den ich nicht aufgeben will.“ „Dann solltest du mir mehr vertrauen. Verdammt. Ich komme klar. Echt.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich komme schon klar.“ Noch einmal schüttelte er heftig den Kopf, ehe er schrumpfte und in Gestalt eines Rabens in die Küche flatterte, wo das Fenster wahrscheinlich offenstand. Wieder vergrub sie das Gesicht in ihren Händen. Verdammt. Sie konnte nicht mehr. Murphy hatte Recht. Das hier war so untypisch für sie und doch konnte sie nicht anders. Hatte Michael so viel Kontrolle über sie? Heidenstein rieb vorsichtig ihre Schulter, rückte näher an sie heran, wartete, wahrscheinlich darauf, dass sie ihn wegdrücken würde. Doch für den Moment tat seine Nähe gut. Im Moment brauchte sie es. So ließ sie es auch zu, dass er sie näher an sich zog, seinen Arm um sie legte. Sie zögerte, lehnte sich dann aber an ihn. „Doc?“, hauchte sie. „Ja?“ Sie hasste sich dafür, ihn so zu fragen. „Ich könnte etwas Ablenkung gebrauchen.“ Sie sah ihn an. Er starrte nur. Für einen Moment sah es aus, als würde er etwas sagen wollen. Er zögerte, schüttelte leicht den Kopf. „Pakhet. Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“ „Ich kann gerade nicht weiter darüber nachdenken.“ „Aber vielleicht solltest du darüber reden“, meinte er sanft. Während sein rechter Arm noch immer um sie lag, berührte er mit der linken Hand vorsichtig ihre Wange. „Pakhet …“ Sie wich seinem Blick aus. „Ich kann nicht darüber reden. Nicht jetzt.“ Nie. „Warum nicht?“, fragte er. Sie schloss die Augen. „Ich kann es einfach nicht.“ Dann zwang sie sich, ihn wieder anzusehen. „Bitte, Doc.“ Flehte sie ihn jetzt schon an? „Bitte.“ Er antwortete nicht sofort. Sein Konflikt war deutlich auf seinem Gesicht zu erkennen. Ein Teil von ihm wollte es, wollte ihr vielleicht auch den Gefallen tun, ein anderer Teil hielt es dennoch weiter für eine beschissene Idee, wusste vielleicht auch, dass sie damit nur davonlief. Verdammt. Vorsichtig beugte sie sich zu ihm hinüber, um ihn zu küssen und nach ein oder zwei Sekunden erwiderte er ihren Kuss zurückhaltend. Als sie sich von ihm löste, sah er sie an. „Du weißt, dass es dir nicht weiterhilft.“ „Und?“ Es gab ohnehin nichts, das ihr im Moment helfen konnte. „Es verhindert, dass ich durchdrehe.“ Sie sah ihn in die Augen, bemüht ihrem Blick Festigkeit zu geben. Für einen Moment schloss er die Augen. Dann seufzte er, leckte sich über die Lippen. Schließlich nickte er mit einem Seufzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)