Mosaik von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ [13.09.2011 – A03 – Strippenzieher] ----------------------------------- In der oberen Etage fand Pakhet einen weiteren Flur vor. Einfache, dunkle Holztüren gingen von dieser ab. Crash hatte eindeutig eine Sache vergessen: Zu erwähnen, welche der Türen Alices war. Eigentlich wollte Pakhet nicht unbedingt das halbe Haus durchsuchen. Sie wollte nicht wissen, was sie hier fand – nicht zuletzt, weil Murphy auch hier lebte. „Alice?“, rief sie. Sie sah sich um, schaute nach rechts und links, klopfte dann an einer Tür. Erneut keine Antwort. Mit einem Seufzen öffnete sie die Tür. Es war das Badezimmer. Sie schaute nicht näher rein, ging zur nächsten Tür. Ein leeres Zimmer. Immer noch gut. Die nächste Tür. Sie ging schwer auf. Etwas blockierte die Tür. Kleidung, die innen direkt davor lag, stellte Pakhet fest. Sollte sie weiter rein? Schon wollte sie die Tür schließen, als ihr die Kleidung genauer ins Blick fiel. Dass da sah nach dem Zipfel eines Rocks aus. Das hieß, dass hier war Alices Zimmer? Mit einem Tiefen Atemzug öffnete Pakhet die Tür, schob dabei einen kleinen Stapel Kleidung vor sich her. Zumindest gab es keinen Zweifel mehr: Das hier war Alices Zimmer. Die Kleidung auf dem Boden war punkig. An der Wand hing das Plakat einer Punkband. Und da, auf einem Liegestuhl vor einem Rechner lag Alice, die Augen geschlossen und offenbar in einer tiefen Trance versunken. Die Bilder auf dem Bildschirm veränderten sich zu schnell, als dass Pakhet etwas erkennen konnte. Warum hatte das Mädchen überhaupt einen Bildschirm angeschlossen, wenn sie ja offenbar mit ihrem Geist irgendwie Verbindung zu dem Rechner aufnehmen konnte. Mit gerunzelter Stirn beobachtete Pakhet den Bildschirm, ehe ein scharfer Atemzug hinter ihr sie aufschrecken ließ. Alice öffnete die Augen und sah sie an. Das Mädchen trug eine kunstvoll zerrissene Strumpfhose, oben herum ein sehr lockeres T-Shirt, das einen etwas zu breiten Ausschnitt hatte. In ihre Haare waren neue, bunte Stähnen hinzugekommen, die aktuell zum Teil nach hinten geflochten waren. Sie räkelte sich auf dem Stuhl. „Da bist du ja, Pakhet.“ Pakhet musterte sie. „Ja.“ Sie war sich nicht sicher, was sie sagen sollte, schürzte die Lippen. „Setz dich“, meinte Alice und nickte in Richtung des Bettes, dass auf der anderen Seite des für die Größe des Hauses relativ kleinen Zimmers stand. Auch über das Bett war Kram verstreut. Kleidung. Eine leere Pizza-Packung. Ein paar leere Dosen und Flaschen. Das Mädchen war deutlich nicht ordentlich. Pakhet verkniff sich eine entsprechende Anmerkung, schob einfach genug Kram zur Seite, um sich setzen zu können. Ganz wohl fühlte sie sich hier nicht. Sie räusperte sich. „Du hast geschrieben, dass du etwas herausgefunden hast.“ Alice nickte. „Ja, habe ich.“ Sie streckte sich, nahm dann einen kleinen Stapel Zettel von hinter dem Bildschirm. Sie streckte die Hand aus, um sie Pakhet zu reichen. Kurz stand Pakhet auf, um die Zettel entgegen zu nehmen. Dann setzte sie sich wieder, ließ ihren Blick über die erste Seite wandern. Im ersten Moment sah es für sie wie eine Wirre Sammlung von Zahlen aus. Es mussten IP-Adressen sein. Ja, vier Mal maximal drei Zahlen. So viel wusste auch sie. Das waren IPs. Daneben standen in Farbe diverse Anmerkungen, die Pakhet kaum entziffern konnte. Die Anmerkungen waren ebenfalls am Computer entstanden, waren ausgedruckt, sahen jedoch handschriftlich aus. „Verbindung, Kambodscha“, stand da an einer Stelle. „Server?“, an einer anderen. Pakhet blätterte weiter. Da waren diverse Seiten, die so ähnlich aussahen. Dann jedoch kam sie zu ein paar Seiten, die anders aufgebaut waren. „Rerooting“ stand an einem Pfeil, der auf eine andere IP verwies. So waren einige Adressen miteinander verbunden. Dann etwas, das wie eine Emailadresse aussah, zumindest ein @ enthielt, wenngleich der Rest Zahlen. Darunter eine Liste mit irgendwelchen Computerdaten, von denen sie nichts verstand. Sie runzelte die Stirn. Was sollte ihr das ganze sagen? Alice schien ihr Grübeln zu bemerken. „Blätter weiter“, meinte sie. „Seite sechszehn wird interessant.“ Also kam Pakhet der Aufforderung nach. Sie blätterte durch Seiten voller Verbindungsdaten und dazugehöriger Details, die für sie größtenteils nur unverständliche Begriffe zusammen mit einer wirren Ansammlung von Zahlen und Buchstaben waren. Doch tatsächlich: Da war eine Seite, der etwas klarer Ergebnisse präsentierte. Eine IP-Adresse und eine Email bestehend aus einer bunten Mischung aus Zahlen und Buchstaben – vielleicht Hexadezimal? – stand oben auf der Seite. Darunter einige Zeilen Informationen. „Ort: Johannisburg“. Ein Pfeil. „Innenministerium.“ Noch ein Pfeil. Zahlen. „Büro für innere Sicherheit.“ Zahlen. Ein paar Zeilen Erklärung. „Büro von Carel Nel.“ „Carel Nel?“, fragte sie. „Jap, definitiv der größte Fisch darin“, erwiderte Alice und musterte sie. Sie saß im Schneidersitz auf dem Stuhl, hatte ihre Ellenbogen auf ihren Beinen abgestützt, während sie Pakhet beobachtete. Als Pakhet weiterblätterte seufzte das Mädchen. „Sagen wir es einmal so“, meinte sie. „Du hast dich da definitiv mit den falschen Leuten angelegt, Pakhet. Das ganze ist gut organisiert und nicht nur lokal. Sie sind in ganz Südafrika aktiv, teilweise sogar über Afrika hinaus. Ich habe ein Teil der Emails gelesen.“ Sie zögerte. „Die sind weiter unten. Also wenn du es kurz haben willst: Ich habe allein von hier drei große Fische, an du die nicht so leicht rankommst. Da haben wir Carel Nel. Der sitzt im Innenministerium, ist für die innere Sicherheit zuständig. Vorrangig Polizeiverwaltung und so etwas.“ Pakhet seufzte. „Natürlich.“ Deswegen hatten sie ihre Gefangenen wieder freigelassen. Konnte es sein? Konnte es sein, dass die Polizei, zumindest zum Teil, mit diesen Leuten zusammenarbeitete? Fuck. Das wäre nicht gut. Es wäre alles andere als gut. Was sollte sie dann machen? Wie sollte sie weitermachen, wenn sie niemanden gefangen nehmen konnte? „Ja“, antwortete Alice und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob es von denjenigen ausging oder die nur bestochen wurden. Jedenfalls habe ich ein paar Überweisungen nachvollziehen können. Nel hat durch diesen Kram im letzten Jahr gute zwei Mil in US-Dollar gemacht. Also lohnt sich für ihn definitiv.“ Sie zog eine Schnute. „Davon abgesehen haben wir noch 'nen Typen, von dem ich ausgehe, dass es Luphelo Thomas ist. Das ist ein Manager von der Nebbank, aus Swaziland. Hat unter Kürzel gearbeitet, aber von allem was ich sagen kann, ist da teilweise seine Privat-IP mit verwendet gewesen. Jedenfalls wurde ein Teil des Geldes über die Nebbank nach Kongo und dann nach Panama und in die Schweiz gepackt. Da ist es verschwunden, aber wenn ich die Konten von Thomas und Nel checke, sind da lächerliche Eingänge von einer vermeintlichen Wäscherei.“ Pakhet wusste nicht, was sie sagen sollte. Klar, Leute konnten an diese Daten kommen. Jedes Sicherheitssystem hatte Schwachstellen, doch bei Alice klang es, als wäre nichts weiter dabei, einfach einmal internationale Banküberweisungen nachzuvollziehen. Wollte sie nur angeben? Pakhet musterte sie, besann sich aber eines besseren, als dazu Fragen zu stellen. „Wäscherei?“ „Na, du weißt doch, warum man Geldwäsche sagt, ne? Die Mobster haben das doch immer so gemacht. In Waschsalons Münzgeld rein und rausgejagt. Dann war's sauber, weil niemand mehr sagen konnte, wo es hergekommen ist.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Die fragliche Wäscherei läuft übrigens auf eine gewisse Martha Mugabe, die es aber, von allem was ich sagen kann, gar nicht gibt. Ich glaube, es ist ein falscher Name. Könnte Ehsile Naicker oder Kores Chetty sein.“ „Wer?“, fragte Pakhet. „Weiter hinten“, kommentierte Alice. „Die sind von SAID. Die haben offenbar auch ihre Finger im Spiel. Da sind ein paar nette Emails da. Das meiste läuft über Chetty, aber ich glaube, dass Naicker da auch irgendwie mit drinhängt. Chetty ist ihr Sekretär.“ Pakhet antwortete nichts darauf. Das wurde ihr langsam zu fiel. Es klang nach einer richtigen Verschwörung. War es wirklich so groß? Sie wollte es nicht glauben. Die Tatsache, dass die ganze Beweisführung ihr nur in Teilen aufging, da sie von Computern zu wenig verstand, machte es nicht besser. Sie schüttelte den Kopf. „Noch wer?“ „Jaco.“ Alice lächelte. Für einen Moment hielt Pakhet inne. Die Art, wie Alice es sagte, klang, als sollte ihr der Name etwas sagen. Was für einen Jaco kannte sie? In der Firma gab es mindestens zwei Jacos, doch irgendwie glaubte sie nicht daran, dass Alice von diesen auf diese Art sprechen würde. Was gab es sonst für Jacos? Der Name war in Südafrika nicht wirklich selten. Dann fiel ihr etwas ein. „Der Typ von den 6-Niner?“ Sie sah Alice an. Die 6-Niner waren eine Gang, die vorrangig in Joburg, aber teilweise auch im Rest des Landes agierten. Sie waren vorrangig dafür bekannt mit Drogen und Waffen zu handeln, aber zumindest in Joburg unterhielten sie auch einige Bordels. Immerhin war dort der Einfluss der internationalen Mafia ironischer Weise weniger stark. Alice nickte. „Ja. Jaco von den 6-Ninern. Ironischer Weise war sein Kram am schwersten zurück zu verfolgen. Der Typ ist entweder sehr reicht, sehr paranoid oder beides. Wechselt ständig seine Technik. Aber die Emails sind recht deutlich. Die sprechen ihn mit seinem richtigen Namen an, referenzieren auch die 6-Niner. Na ja, und die Kinder der Sonne.“ „Kinder der Sonne?“ Pakhet musterte sie. „Ich weiß über die nicht viel. Das wäre eher was für Murph. Scheinen so eine Art lokaler Kult zur sein. Beten eine bunte Mischung alter Götter an.“ „Nicht zufälliger Weise auch ägyptische, oder?“ Alice zuckte mit den Schultern. „Kann sein. Ja.“ Dann runzelte sie die Stirn. „Wieso?“ „Weil … Die Dämonen waren ägyptisch“, antwortete Pakhet. Noch ein Schulterzucken. „Wie gesagt. Kann sein.“ Dann schüttelte sie den Kopf. „Hängt jedenfalls ein ganzer Rattenschwanz dran. Da sind wahrscheinlich noch ein paar Leute, aber ich dachte, ich teile das mal mit dir. Wenn du richtig Glück hast, hast du dich gerade mit der Polizei angelegt.“ Sie schien das Ganze beinahe zu amüsieren. Pakhet sah auf die Seiten in ihrer Hand. Das war mehr, als sie erwartet hatte. Sowohl an Informationen, als auch an Verwicklungen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass das ganze soweit ging. Wenn hätte sie mit Mafia-Verbindungen irgendeiner Art gerechnet, aber nicht Verwicklungen mit Regierung und irgendwelchen Hilfsorganisationen. Keine Verschwörung. Schweigen machte sich zwischen ihnen breit, bis Alice wieder die Stimme erhob. „Und was hast du jetzt vor?“ Das war eine ausgezeichnete Frage. Da waren noch immer zehntausend Dollar auf ihrem Kopf. Zehntausend und wenn sie Pech hatte Probleme mit der Polizei. Ein Grund die Sache ruhen zu lassen. Oder ein Grund die Sache wirklich zu Ende zu bringen. An Nel kam sie nicht dran, da machte sie sich keine Illusionen. Also, wo sollte sie anfangen? „Jaco“, meinte sie dann. „Was?“ Alice hob eine Augenbraue. „Jaco wird international gesucht, oder?“, fragte Pakhet. Wieder zuckte Alice mit den Schultern. „Kann sein.“ Vielleicht ein Grund für Chase ihr zu helfen. „Du willst also Jaco gefangen nehmen?“ Alice musterte sie voller Unglaube, grinste dabei. Pakhet schürzte die Lippen. Es war noch kein Plan, aber es war ein Ansatz. „Ja, ich glaube, das will ich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)