Mosaik von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ [23.05.2011 – D11 – Notversorgung] ---------------------------------- [[BILD=8379908.jpg]] Die beiden Wachen wechselten einen Blick, als Pakhet mit Heidenstein durch die Tür des Krankenhauses trat. „Schaut nicht so blöd“, grunzte sie, froh, jemanden zu haben, an dem sie ihre schlechte Laune auslassen konnte. „Was ist passiert?“, fragte der eine – ein glatzköpfiger, kräftiger Russe – in gebrochenem Englisch. „Mission. Unfall.“ Mehr sagte sie nicht dazu. „Kann mir jemand helfen? Oder zumindest den Aufzug rufen?“ Sie trug Heidenstein nicht mehr, stützte ihn nur, da er darauf bestanden hatte, selbst zu laufen. Laufen war dabei als Begriff hoch gegriffen, da er seine Beine eher unkoordiniert voreinander setzte, während sie einen guten Teil seines Gewichtes stützte. Zumindest verstand der Wächter. Er hängte seine Waffe an den Gürtel und eilte zum Aufzug, um den Knopf zu drücken, ehe er zurückkam, um den anderen Arm Heidensteins zu nehmen. Der andere Wächter blieb stehen. Es war besser, wenn einer hierblieb. Irgendwie schafften sie es gemeinsam, Heidenstein in den Keller zu bringen, wo Pakhet sich unsicher umsah. Sie wusste, dass drei der sechs Räume zur Linken Behandlungsräume waren. Die anderen waren Abstellraum, ein Patientenzimmer mit sechs Betten und zuletzt das kleine Werkzimmer. „Wohin?“, fragte sie schließlich an Heidenstein gewandt. „Hinten. Rechts“, erwiderte er. Sie hob die Augenbraue. Sie wusste nicht, was das für ein Zimmer war, doch nickte sie dem Wachmann zu. Sie schleppten Heidenstein zu der Tür, die durch ein Zahlenschloss gesichert war. Heidenstein nahm seinen Arm von der breiten Schulter des Russen und gab eine Nummer ein, woraufhin sich die Tür mit einem grellen Piepsen öffnete. Dahinter lag, was einige wohl als magisches Refugium bezeichnet hätten: Ein Raum, dessen Boden ein offenbar aus irgendeinem festen, dunklen Material gegossenener Ritualkreis zierte. War es schwarzes Glas? Diverse Kräuter, Steine, Kerzen standen in einem einfachen Holzregal am Rand des Zimmers. Pakhet schloss die Augen und seufzte. Sie wandte sich an den Wachmann. „Danke. Ich komm schon allein mit ihm klar.“ Etwas unsicher musterte der Wächter sie und dann Heidenstein, der jedoch ebenfalls nickte, ehe er sich in das Zimmer schleppte. Also nickte der Russe und wandte sich ab, um zu seinem Posten zurückzukehren. Pakhet kam nicht umher, sich zu fragen, ob er wirklich ein Vory war. Von allem, was sie über Heidenstein und seine Verbindung zu den Vory wusste, konnte es nicht anders sein. Wie auch immer Joachim Anderson Kontakt zu den Vory v Zarkone aufgebaut hatte. Gab es in den UK nicht weit mehr Mitglieder der Cosa Nostra? Sie wartete, dass der Wächter den halben Gang hinter sich gelassen hatte, ehe sie vortrat und Heidenstein vorsichtig bei der Schulter griff. „Du wirst jetzt keine Anstalten machen, dich selbst zu heilen“, zischte sie. „Was soll ich sonst tun?“, erwiderte er. „Dich von mir verarzten lassen.“ Zur Hölle! Sie hatte ihn im Wagen bereits notversorgt, hatte ihn vor allem aus seiner vermeintlich kugelsicheren Weste geschält, die ganz offenbar selbst zersplittert war. Wie auch immer es dazu gekommen war  … Er hatte den ganzen Weg auf der Ladefläche des Teamvans, der aktuell ohnehin die meiste Zeit in Heidensteins Garage parkte, verbracht. Jetzt bereute sie, dass sie ihm von dem Schmerzmittel, dass sie in seinem eigenen Notfallkoffer gefunden hatte, verabreicht hatte. „Du bist keine Ärztin“, antwortete er und machte Anstalten sich in den Zirkel zu setzen. Sie hielt ihn zurück. So schnell gab sie nicht auf. Sie mochte keine Ärztin – und auch keine Magierin – sein, aber sie wusste, dass er Blut verloren hatte, dass er schwach war, und dass Magie in diesem Zustand verdammt gefährlich war. „Du kommst jetzt mit.“ „Lass mich“, grummelte er. Wie hatte er überhaupt noch die Energie, sie abzuwehren? „Du kommst mit oder ich setze dir einen deiner eigenen verdammten Giftpfeile in den Nacken“, zischte sie. Es war schwer, ihn festzuhalten, ohne seinen verwundeten Rücke zu belasten. Sie beschloss dennoch, dass ihre Priorität notfalls wäre, ihn abzuhalten, sich mit einem Zauber selbst umzubringen. „Du weißt, dass das gefährlich wäre“, erwiderte er. „Ja, verdammt, weiß ich, du Idiot!“ Sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Ihre Stimme wurde lauter. „Aber, fuck, ich weiß auch, dass irgendein Zauber dich im Moment umbringen könnte.“ Damit schaffte sie es irgendwie, seinen Arm über ihre Schulter zu bekommen und zerrte ihn von seinem Septagrammkreis fort. „Jetzt hör auf, dich zu wehren.“ „Aber  …“ „Oh, verflucht noch mal, Doc, merkst du nicht, dass ich dir helfen will?“ „Ich zweifle nur an, dass es viel gibt, was du für mich tun kannst“, murmelte er. Zumindest gab er die Gegenwehr auf. Er verstand zu haben, dass sie es ernstmeinte, wusste, dass er keine Chance hatte, wenn er mit ihr rangelte. „Wieso habe ich nur das Gefühl, dass ich beleidigt sein sollte?“ Sie zerrte ihn mit sich in das nächste Behandlungszimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs und legte den Lichtschalter um. Dann schleppte sie Heidenstein zur Liege. „Leg dich hin.“ Sie sah sich im Zimmer um, versuchte herauszufinden, wo sie was finden würde. Sie kannte sich mit Notfallkoffern aus, nicht mit Krankenhauszimmern. Und natürlich waren die Schränke nicht beschriftet. Da sie wenig Wahl hatte, öffnete sie Schränke einen nach dem anderen. Nierenschalen. Ein Anfang. Da, ein Korb mit Einmalpinzetten. Die würde sie brauchen. Tupfer. Gut. Wo zur Hölle war Material zum Nähen? Und Jod? Sie fluchte leise, drehte sich um, um die Nierenschale mit den Sachen auf einen jener fahrbaren metallenen Tische, wie sie Ärzte oft benutzten, zu stellen. Heidenstein stand noch immer, halb gegen die zweite, bei der Wand stehende Liege gelehnt. Sie stöhnte. „Leg dich hin!“ Er beobachtete sie schweigend. Idiot! Sie hatte keine Zeit sich mit ihm abzugeben. Erst einmal brauchte sie ein paar Sachen. Der Lagerraum. Da sollte sie Stereolösung finden. Vielleicht auch das verdammte Jod! Also marschierte sie zielstrebig aus dem Raum und zum Lagerraum am anderen Ende des Gangs. Auch dieser war mit einem Zahlenschloss gesichert, aber sie kannte die Nummer – 8845 – die sich dankbarerweise nicht geändert hatte, seit Heidenstein sie letzte Woche losgeschickt hatte, um Bandagen für Spider zu holen. Der Junge hatte, wie sich herausgestellt hatte, eine magische Anziehungskraft für Pistolenkugeln. Tatsächlich fand sie hier, was sie suchte: Infusionslösung, Schmerzmittel und eine große Flasche Jod. Gut. Wahrscheinlich war es nicht übliches medizinisches Vorgehen, doch sie nahm alle drei Behälter und eilte damit in das Zimmer zurück, in dem Heidenstein gerade auf dem Weg zur Tür war. Okay. Das reichte jetzt. „Leg dich verdammt noch mal hin!“, fuhr sie ihn an. Sie legte die drei Behälter vorsichtig auf der Arbeitsfläche von einem der Schränke ab und schob Heidenstein dann zur Liege zurück. „Was  …“ Er schaute zu den Sachen, sein Blick unfokussiert. „Was hast du da?“ „Stereo für deinen Kreislauf, Morphine und Jod.“ Sie presste ihn gegen den Rand der Liege. „Jetzt leg dich hin oder ich überlege mir das mit dem Pfeil noch mal.“ Für einen Moment schwieg Heidenstein, blickte zwischen dem Beutel Stereo und ihr hin und her. Dann seufzte er und kletterte mit einem leisen Stöhnen tatsächlich auf die Liege, wo er sich vorsichtig auf den Bauch legte. Erleichtert atmete sie durch und begann, die Infusion vorzubereiten. Einen entsprechenden Ständer fand sie in der Ecke des Raums. Schlauch und Nadeln in einer Schublade. Sie war nicht besonders gut darin, Infusionen zu legen. Immerhin waren die meisten ihrer Erste-Hilfe-Fähigkeiten der Selbstversorgung geschuldet. Sie konnte sich jedoch selbst keine Infusion legen. In einer Prothese machte diese wenig Sinn, gleichzeitig war sie mit der Prothese aber nicht geschickt genug, sich selbst einen Zugang in den rechten Arm zu legen. Entsprechend fehlte es ihr an Erfahrung. Nicht, dass sie es Heidenstein gegenüber erwähnen würde. Da er auf dem Bauch lag, konnte sie die Nadel nicht einmal in die Armbeuge stecken. Großartig. „Was machst du da?“, hauchte er matt, während sie versuchte, die Nadel in die Vene an seinem Handrücken zu fimmeln. Sie brauchte drei Anläufe, bekam aber schließlich Blut. Also sollte die Nadel stecken. Sie fixierte sie mit einem Fixierpflaster. „Dir einen Zugang legen?“ Er murmelte etwas Unverständliches und sie beschloss, es zu ignorieren. Stattdessen schloss sie die Nadel am Ende des Schlauchs an den Infusionsbeutel an, ließ die Flüssigkeit durch den Schlauch laufen und drehte ihn an die Kanüle, nachdem die ersten Tropfen herauskamen. Dann ging sie zur Ablagefläche zurück, kramte eine Spritze aus der Schublade hervor und zog diese mit dem Morphin auf. Für einen Moment zögerte sie. Sie wusste in etwa, wie die Dosierung sein musste, wusste aber nicht, wie viel er wog. Auf der anderen Seite: Sie konnte nicht so weit daneben liegen, als dass es ihm zu sehr schadete. Also schätzte sie nach ihrem Gefühl. Sie hatte ihn vorher zum Wagen geschleppt. Achtzig Kilo klang richtig. Sie spritzte die Flüssigkeit in den Beutel, wie sie es selbst bei Ärzten am Zentrum gesehen hatte. Vielleicht wäre es besser gewesen, hätte sie ihn dorthin gebracht – doch die Strecke war weiter gewesen. Es war ihr so viel logischer vorgekommen, ihn hierher zu bringen. Okay. Sie brauchte eine Verbandsschere. Sie würde ihn sicher nicht aus dem dünnen Shirt schälen, dass blutdurchtränkt an seiner Haut klebte. Erneut blickte sie sich um, fand aber dieses Mal schneller, was sie suchte. Sie schnitt den Stoff am Rücken auf. Es war schwerer, als gedacht, da der Stoff in Fetzen hing. Doch sie scherte sich nicht drum. Wortlos schob sie seine Hose ein Stück herunter, da auch diese Spuren von Blut und einige Löcher zeigte. Seine gesamte Rückseite war brutal zugerichtet. Alles war von Blut überströmt – auch wenn keine der einzelnen Wunden besorgniserregend stark blutete – und an mehreren Stellen ragten Splitter, sowohl von seiner Weste, als auch Schrapnell der Granate, aus der Haut. Er hatte wirklich Pech gehabt. Und es war ihre Schuld gewesen. Fuck. Sie nahm einen Kanister destillierten Wassers von der Arbeitsfläche und begann seinen Rücken soweit möglich abzuwaschen, um besser arbeiten zu können. Dann machte sie sich an die eigentliche Arbeit. Ihre Prothese behinderte sie, doch hatte sie genug Gefühl in den cybernetischen Fingern, um ihrer rechten Hand zu assistieren, mit der sie zuerst die groben Splitter entfernte. Mit der Prothese drückte sie Tupfer gegen die Wunden, um die erste Blutung zu stillen, während sie mit der anderen Splitter und Schrapnell entsorgte. Die Arbeit brauchte Konzentration, wofür sie dankbar war. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was gerade geschehen war. Es waren so viele Wunden. Ein Teil von ihnen musste genäht werden, bei den meisten lohnte es sich kaum. Die Splitter und das Schrapnell waren zu klein. Ein richtiger Arzt hätte an manchen Stellen vielleicht die Haut weiter beschnitten, aber sie hielt sich zurück. Nur sechs Mal schnitt sie mit dem Skalpell, um an Schrapnell zu kommen, das sich besonders tief in sein Gewebe gebohrt hatten. Zumindest schwieg Heidenstein. Vielleicht war er auch eingeschlafen, doch das leise Zischen, das er ab und an von sich gab, wenn ein Stück sich nicht sofort lösen wollte, sprach dagegen. Er hatte offenbar eingesehen, dass Widerstand zwecklos war. Am Ende waren es 54 Stücke, die sie aus Heidensteins Haut und dem darunterliegenden Gewebe entfernte, ehe sie die Wunden verband. Nur drei der größeren Schnitte nähte sie notdürftig. „Noch wach?“, fragte sie betont sanft. Er grunzte leise. „Ich bin fertig“, meinte sie. „Du kannst versuchen, dich aufzusetzen.“ Mittlerweile war auch der Beutel Stereo durchgelaufen. Mühsam drehte Heidenstein sich auf die Seite, ließ seine Beine über die Seite der Liege hängen und nutzte ihre Masse, um sich aufzusetzen. Er war mittlerweile gänzlich nackt. Sie hatte kaum eine andere Wahl gehabt, als seine Hose ganz auszuziehen, als sie die Wunden an seinen Beinen behandelt hatte. Da allerdings auch sein Hintern einiges abbekommen hatte, war es kaum verwunderlich, dass Schmerz auf seinem Gesicht erkennbar war. Zumindest einer Sache wurde nun klar: Er war nicht so alt, wie er vorgab. Streifen auf seinem Gesicht sprachen für Make-Up. Make-Up unterstützt mit einer Maske. Auch sein Körper war nicht der eines fünfzig- oder sechzigjährigen Mannes. Anders, als in Haupthaar und Bart zeigte sich an Armen, Beinen und Brust kein Grau. Er musterte sie, verzog das Gesicht. „Im Vorratszimmer findest du Krankenhaushemden“, meinte er in einem geschlagenen Tonfall. „Hol mir eins, ja?“ Sie nickte, stand auf und ging, um das Hemd zu holen – froh, dass er dieses Mal wartete. „Danke“, flüsterte er leise, als sie ihm half, in das Hemd zu schlüpfen. „Kein Problem.“ Sie bot ihm ihren Arm an, um ihm aufzuhelfen. „Ich nehme an, du willst oben schlafen, oder?“ Der Schatten eines Lächelns huschte über sein Gesicht. Dann nickte er und stand vorsichtig auf. „Ja.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)