Mosaik von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ [06.05.2011 – D06 – Überraschungen] ----------------------------------- Nervös blickte Pakhet zur Straßenecke, dann wieder in den Rückspiegel, wo der trotz seiner dunklen Haut blass wirkende Mann in seinem teuren, dreckigen Anzug saß. Er wirkte verängstigt und gleichzeitig wütend. „Nun fahren Sie endlich!“, forderte er – übrigens nicht zum ersten Mal. Sie sagte nichts, wartete, sah wieder zur Straßenecke. Wo blieb er? Verdammt. Heidenstein. Wahrscheinlich hätte sie ihn nicht mitnehmen sollen. Nein, sie hätte ihn nicht zurücklassen sollen, hätte nicht auf ihn hören sollen. Wieso waren sie nur zu zweit? Sie saß in ihrem Wagen. Der kanariengelben Chimäre, die sie über die Jahre hinweg mit Robert zusammengebaut hatte. Es wäre unmöglich gewesen zu sagen, von welcher Marke er war, da sie diverse Teile aus anderen Wagen zusammengeräubert hatten. Die kanariengelbe Lackierung gab dem Wagen seinen eigenen Charme. Sie war absolut auffällig – weshalb niemand erwarten würde, dass es damit etwas Seltsames auf sich hatte. Immerhin verwendeten die meisten Verbrecher weiße Transporter oder schwarze Mercedes, nicht? Die Straßenlaterne an der Ecke flackerte. Halb rechnete Pakhet damit, dass sie ganz ausgehen würde, doch erholte sich die Lampe nach einigen Sekunden und strahlte wieder anhaltend. Dabei war es nicht ungewöhnlich, im Sprawl ganze Straßen ohne Lampen zu haben. Wieder schaute sie in den Rückspiegel. Ja, wenn er wirklich ein ernsthafter Geschäftsmann war, war sie die Königin von England. Drogenboss? Waffenhändler? Was auch immer  … Eine Sache war er sicher: Ein absoluter Feigling. „Wenn Sie nicht fahren, dann  …“, fuhr er sie an und richtete sich etwas auf. „Dann was?“, fragte Pakhet. Der Mann biss sich auf die Unterlippe und fiel wieder in den Rücksitz zurück. Da. Endlich. Eine Gestalt hastete um die Ecke. Allem Anschein nach war es Heidenstein. Zumindest trug die Gestalt dieselbe feste Jacke, die Heidenstein trug und schien die richtige Größe zu haben. Sie startete den Wagen. Wartete. „Sie werden nicht sein Leben über meine Sicherheit stellen!“, rief der Mann aus. Erneut schenkte sie ihm nur einen entgeisterten Blick über den Rückspiegel. „Entspannen Sie sich. Es scheint nicht, als würde er verfolgt. Es gibt keine konkrete Gefahr für Sie.“ Hatte Heidenstein es geschafft, die Eloko loszuwerden? Hatte er sie getötet? Denn Pakhet war sich nicht sicher, ob seine Betäubungsdarts gegen Fae wirkten. Zur Hölle, was hatte Mr Ungeduld überhaupt mit Fae am Hut gehabt? Heidenstein hatte den Wagen fast erreicht, umrundete nun die Kühlerhaube. Pakhet öffnete ihm die Tür und er ließ sich mit einem unterdrückten Stöhnen auf den Beifahrersitz fallen. Jetzt erkannte sie warum: Der Schaft eines Pfeils ragte aus seiner Schulter. Das Geschoss hatte ihn sehr hoch getroffen und steckte nicht tief. Dennoch konnte sie Blut glitzern sehen. „Was ist passiert?“, fragte sie, während sie losfuhr. „Nichts weiter“, erwiderte er. Er biss die Zähne zusammen, griff nach dem Schaft, schloss die Augen und zog den Pfeil mit einem Ruck aus seiner Schulter hinaus. Ein leises Keuchen kam über seine Lippen. „Fuck.“ „Du fluchst?“ „Jeder flucht mal“, antwortete er, die Augen noch immer geschlossen. „Blut mir nicht die Sitze voll“, meinte sie scherzhaft und warf ihm einen schnellen Seitenblick zu, ehe sie sich wieder auf die Straße und speziell darauf konzentrierte, dass ihr nicht ein weiterer Eloko auf die Fahrbahn sprang. Was wusste sie, woher die Viecher auftauchen konnten? Heidenstein hatte weiterhin die Zähne zusammengebissen. „Ich bemühe mich.“ Damit legte er die Hand gegen seine Schulter. Als sie ihm den Blick erneut zuwandte, wirkte er etwas entspannter. Heilmagie? Es sah ganz danach aus. Also war der gute Doc auch noch ein Magier? Ein echtes Überraschungspaket. Sie sagte jedoch nichts. „Ihre Firma hat uns beauftragt, sie im Parkhaus abzuliefern“, erklärte sie stattdessen ihren missmutigen Fahrgast, der mit den Schultern zuckte. „Gut.“ Ein richtiger Charmeur. Sie schürzte die Lippen und wandte die Augen wieder der Straße zu. Jetzt gab es kaum funktionierende Straßenlaternen zu beiden Seiten der Straße. Also sollte sie besser aufpassen, dass ihr keine kleinen Kriecher auflauerten. Wenn es keine Fae waren, konnte es auch anderer Kram sein. Ihr Blick wanderte über die kleinen, halb zerfallenden Häuser des Sprawls, und andere Unterkünfte, die nicht einmal wirkliche Häuser waren. Kaum jemand war draußen. Wegen den Fae? Oder lief aktuell noch etwas anderes, wovon sie nicht wusste? Es konnte ihr egal sein, solange es sie nicht aufhielt. Und es hielt sie nicht auf. Sie erreichte das Parkhaus des alten Einkaufszentrums, das seit langem leer stand und allerhöchstens von Squattern genutzt wurde. Auch hier brannten die Lampen, die einst auffahrt und Parkflächen erhellt hatten, nicht mehr und so war ihr Sichtfeld gänzlich auf den Lichtkegel der Scheinwerfer eingegrenzt. Dennoch kam sie zur dritten Ebene von vier und fuhr, wie im Auftrag beschrieben, um das halbe Parkhaus herum, um einen alten, grünlich grauen und stark angerosteten Van am Ostende zu finden. Der Wagen hatte Schiebetüren an den Seiten und gesamt fünf Leute lungerten – drei von ihnen dunkelhäutig, die anderen beiden hell – um das Fahrzeug herum. Zwei saßen an der offenen Seitentür, rauchten, einer lehnte an der Haube, einer am Heck, der andere Stand daneben. Sie alle sahen zu ihnen. Es war recht klar, welcher der fünf der Anführer war. Derjenige, der nicht gegen den Wagen lehnte, trug eine recht schmucke Jacke und Pakhet erkannte außerdem einen schmucken Siegelring an seiner Hand. Definitiv ein Mitglied von einer der vielen Flat-Gangs. Vielleicht auch Mafia. Dieses Empfangskomitee gefiel ihr so gar nicht. „Sieht aus, als würde man Sie schon erwarten“, meinte sie. Der Mann nickte und zögerte. Mit einem genervten Stöhnen öffnete sie die Fahrertür und stand auf, um die Hintertür aufzureißen. „Komm, lass uns Feierabend machen, ja?“ „Ihnen fehlt grundlegender Respekt“, erwiderte der Mann, ganz so, als wäre er Adel. Sie verdrehte die Augen. „Respekt ist ein Luxus, den man sich verdienen muss“, zischte sie und packte ihn beim Arm, um ihn aus dem Wagen zu ziehen. Sie wandte sich den Typen mit dem Van zu. „Ich nehme an, er gehört zu Ihnen?“ „Sehr wohl“, erwiderte der Typ mit der guten Jacke. Er schenkte ihr ein Lächeln, das so falsch wie das Michaels wirkte. Auf irgendetwas schien er zu warten. Sie starrte ihn an. „Was?“ „Bezahlung?“, meinte der Kerl. Sie hob eine Augenbraue. Fuck, darüber hatte sie nicht nachgedacht. Wenn sie große Aufträge machten, erfolgten die Bezahlungen online. Bitcoins. Lokale Ganger legten aber selten Geld in Bitcoins an. Wieso hatte ihr Michael nichts gesagt? Viel mehr noch: Wieso fühlte es sich wie eine verdammte Falle an? Sie holte ihr Handy heraus und schrieb eine kurze Nachricht an Michael. „Was zur Hölle? Keine Vorbezahlung?“ Mit der Prothese hielt sie Mr Ungeduld zurück, der sich offenbar doch entschlossen hatte, zu seinen Kumpanen hinüber zu gehen. „Was is' los, Snow?“, meinte das Grinsegesicht mit der schmucken Jacke. „Moment“, grummelte sie zur Antwort. Normal brauchte Michael nicht mehr als zwei Minuten für eine Antwort. Weniger, wenn es um Geld ging. Immer wieder sah sie zu den Gangern hinüber. Sie wollte darauf vorbereitet war, wenn jemand auf sie schoss. Sie hasste das Gefühl, dass es wie eine Falle wirkte. Ach, verdammt. Sie machte den Job lang genug. Es war eine Falle. Sie wusste es. Daran änderte es auch nichts, als ihr Handy knappe dreißig Sekunden später vibrierte und eine Nachricht auftauchte: „Nope. Eilauftrag. Ich wäre dir verbunden.“ „Fick dich, Michael.“ Seufzend funkelte sie die Nachricht an, ehe sie ihren geretteten „VIP“ mit der linken Hand griff. Sie hoffte, dass ihn das Gefühl des harten Metalls unter ihrer vermeintlichen Haut verunsicherte. Der Mann warf ihr einen kühlen Blick zu, ließ sich aber eskortieren, während sie den Boss der anderen Ganger im Auge behielt, während dieser ein Bündel Scheine aus seiner Innentasche hervorholte. Bargeld! Michael hasste Bargeld. Sie hasste Bargeld. Sie blieb knapp zwei Meter vor dem Typen stehen und hielt seinen unfreiwilligen Kompagnon zurück. Eine Hand streckte sie dem Typen entgegen in einer eindeutigen Geste. Er lächelte sie an und legte das Scheinbündel in ihre Hand. Sie nahm es entgegen, schätzte es ab. Es waren 200-Rand-Scheine und eine nicht unerhebliche Menge davon. Wenn sie nicht vollkommen irrte, waren es etwa achttausend Rand. Internationale Jobs zahlten besser. „Gut“, knurrte sie und schubste Mr Ungeduld vor. Dass die vier herumstehenden Ganger ihre Waffen zogen, wunderte sie nicht. Sie hatte damit gerechnet. Der erste von ihnen – einer der Beiden, die in der hinteren Tür gesessen waren – war nur knapp eineinhalb Meter von ihr entfernt. Sie war bei ihm, noch bevor er zielen konnte, schlug seine Waffe mit dem linken Arm zur Seite und versetzte ihm einen Kinnhaken mit dem rechten. Er knallte mit dem Hintertür gegen die Tür des Wagens und ging zu Boden. Nicht ohnmächtig, aber desorientiert genug, als dass sie seine Waffe unter den Minibus kicken konnte. Sie war hinter dem Typen, der sie bezahlt hatte, versetzte ihm einen Tritt in die Kniekehlen und schubste ihn nach vorne, während die drei anderen die Waffen gehoben hatten. Zwei von ihnen waren zu ihrer Linken, einer zu ihrer Rechten, am Buk des Wagens. Im Bruchteil einer Sekunde traf sie die Entscheidung, ihn zu priorisieren. Er schoss, doch wie viele Ganger priorisierte er viele Schüsse über Genauigkeit. Es war wenig verwunderlich, dass die ersten beiden Schüsse zu hoch waren, zumal er seine beiden Kollegen hinter ihr nicht treffen wollte. Mehr als zwei Schüsse schaffte er nicht, ehe sie bei ihm war und seine Waffe erneut mit einem Rückhandschlag der linken Hand zur Seite wischte. Ein weiterer Schuss traf den Wagen, dann drehte sie die Hand, legte die Rechte nach und riss die Waffe nach vorn, während sie erst gegen die Innenseite seines Knie trat und ihm schließlich das eigene Knie im Magen versenkte. Unwillkürlich ließ er die Waffe los und sie riss sie ihm aus der Hand. Sie setzte einen Schuss in sein Bein, ehe sie um das Buk des Wagens lief, als die Kugeln von hinter ihr flogen. Sie ging in die Hocke, sah um die Haube des Wagens herum, um zu sehen, wie die beiden Typen mit erhobenen Waffen auf sie zu kamen. Auch ihr verdammter geretteter VIP hatte sich eine Waffe geschnappt – von wo auch immer er die hatte. Arschloch. Sie hatten ihm sein verfluchtes Leben gerettet! Generell war diese Aktion deutlich unüberlegt. Ein paar halbstarke Gänger, die meinten, sich einen Dienst erschleichen zu können, indem sie den Beauftragten ermordeten. Wussten sie nicht, dass Leute wie Michael ihnen das Leben zur Hölle machen würden? Da fiel der nächste. Pakhet erkannte einen Pfeil in seinem Nacken. Sie sah zu Heidenstein, der mit erhobener Waffe bei ihrem Wagen stand, halb hinter diesem in Deckung. Er schoss wieder, traf ihren eben noch geretteten Mr Ungeduld in den Nacken. Sie schoss mit der dem Ganger abgenommenen Waffe, zielte auf den Arm des Typen, der sie gezahlt hatte und sich wieder berappelte. Er schrie auf, als sie ihn traf, holte aber dennoch eine Waffe unter seiner Jacke hervor und zielte auf sie. Das war eine halbautomatische. Schnell verschwand Pakhet wieder hinter der Kühlerhaube. Sollte er doch seinen eigenen Wagen zerschießen! Sie kroch um den Wagen herum, um den letzten Typen von hinten erwischen zu können, sofern Heidenstein es ihr nicht abnahm. Während sie lief tauschte sie die Waffe gegen die Pfeilpistole aus. Sie lugte hinter dem Wagen hervor. Da war Nr. Fünf. Sie beschloss zu probieren, ob die Darts Jeansstoff durchdringen konnten und zielte auf sein Bein. Dann drückte sie ab. Der Pfeil bohrte sich in sein Bein und entlockte ihm einen kurzen Aufschrei. Er fuhr zu ihr herum, hob seine Waffe, schoss. Pakhet duckte wieder in Deckung, während ein zweiter Schuss folgte. Ein dritter. Dann ein verwirrtes Stöhnen. Auch die anderen Schüsse verklangen. Sie schloss die Augen und zählte bis zwanzig, ehe sie um den Wagen herumkam. Die Ganger lagen am Boden. Entweder KO oder zumindest unfähig sich zu rühren. Derjenige, den sie als erstes entwaffnet hatte, sah sie mit unfokussierten Augen an. „Fick dich, Boer“, lullte er. Pakhets Blick wanderte zu Heidenstein, der von seiner noch immer angeschlagenen Schulter abgesehen unverletzt schien, auch wenn sie die Spuren von zwei Kugeln in der Tür ihres Wagens sehen konnte. Sie nickte ihm zu, er erwiderte das Nicken. Dann blickte sie zu dem Ganger und verdrehte die Augen. „Ich bin Amerikanerin.“ Die Bemerkung konnte sie sich nicht verkneifen. Sie nahm das Geld aus ihrer Tasche, entrollte das Bündel und überprüfte es. Es schien zumindest echt zu sein. Also zuckte sie mit den Schultern und eilte zum Wagen zurück. Sie merkte, wie Heidenstein zögerte. Dann aber nickte er und stieg mit ihr in den Wagen ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)