RUN von YukiKano (They never stop catching you) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Genau genommen lauerte der Tod hinter jeder Ecke. Und das hat er eigentlich schon immer getan. Wenn man es genau nimmt leben wir jeden Tag gefährlich, denn Unfälle geschehen, tödliche Krankheiten können jeden treffen und die Psychopathen dieser Welt werden nie alle eingesperrt werden können. Das heißt, wir könnten theoretisch jeden Tag sterben und waren vor nichts sicher. Den Tod kann man nämlich nicht davon überzeugen, noch eine Weile am Leben zu bleiben. Er nimmt dich mit, wann immer es ihm gerade in den Kram passt. Erbarmungslos reißt er Freunde und Familien auseinander, ist an all diesen Massakern Schuld. Und er wird uns niemals in Ruhe lassen. Er wird uns immer verfolgen. Lediglich seine Gestalt hatte er gewandelt. Denn jetzt ist er nicht mehr unsichtbar und schleicht ungesehen durch unsere Welt. Der Tod sind unsere Freunde, Familienmitglieder oder eben doch Fremde. Sie sterben und leben plötzlich wieder – zu mindestens wenn man das so nennen will. Genau genommen sind es nur wandelnde, willenlose Leichen, getrieben von einem nie verschwindenden Hunger. Sie alle sind der laufende Tod – und sie kommen uns holen! ɸ Es war der letzte reguläre Schultag der Drittklässler. Sugawara wurde beinahe etwas wehleidig als er das Schulgebäude betrat und sich auf den Weg zum Klassenzimmer machte. Er senkte den Kopf, weil die Erinnerungen, die auf ihn einströmten zu gewaltig waren. Nach den Ferien würde er eine Universität in der Präfektur Aichi besuchen, was verdammt weit weg von zuhause war. »Hey Suga – da bist du ja endlich!« Ein wenig erschrocken hob Sugawara den Blick und erfasste Daichi, Asahi und Shimizu, die etwas abseits von allen anderen standen. Sie bleiben hier, dachte Sugawara, sie gehen nicht weg. Daichi und Asahi würden auf eine Universität in Sendai gehen und Shimizu nach Osaki. Sie trennten dann nur knapp 50 Kilometer Luftlinie voneinander. Und Sugawara mehr als 1000 Kilometer. Ein weiterer Grund um traurig zu sein, denn Daichi und ihn würde diese Entfernung mit Sicherheit auseinanderreißen. Sugawara bemühte sich um ein Lächeln, als er an seine Freunde herantrat. »Guten Morgen«, sagte er leise, um umstehende Schüler nicht zu belästigen. Daichi grinste seinen Freund an. »Und bist du aufgeregt? Wir erfahren gleich unsere Prüfungsnoten und morgen werden die Abschlusszeugnisse verteilt. Dann haben wir es endlich geschafft!« Sugawara schluckte. Im Moment wünschte er sich, die High-School würde niemals enden. Die Zeit hier war so unbeschwert gewesen. So einfach. Doch das kommende würde schwer werden. »Ich bin nicht aufgeregt – nur ein wenig nervös«, antwortete er ehrlich. »Was ist, wenn ich nicht bestanden habe und dann ohne euch noch ein Jahr wiederholen muss? Ich weiß nicht ob ich das packe!« Daichi lachte und warf seinem Freund einen verliebten Blick zu. »Du hast für das alles mehr gelernt als jeder andere! Wenn du die Prüfungen nicht bestanden hast, dann wir erst recht nicht!« »Ja, vermutlich hast du recht«, antwortete Sugawara und wandte den Blick ab. Er schaute aus dem Fenster und seine Augen erfassten die Turnhalle. Heute nach dem Unterricht würden sie alle gemeinsam ein letztes Mal trainieren und sich voneinander verabschieden. In eine ungewisse Zukunft. Die Klingel ertönte und die Schüler stürmten ihre Klassenräume. Sugawara nahm es nicht wahr, erst als Daichi sanft an seinem Ärmel zog. »Kommst du Koshi? Der Unterricht beginnt und wir sollten an unserem letzten Tag nicht zu spät kommen!« Sugawara warf noch einen letzten Blick nach draußen, dieses Mal gen Himmel, ehe er seinem Freund in den Raum folgte. Sie setzten sich auf ihre Plätze, holten ein letztes Mal Block und Federmäppchen aus ihren Taschen und drapierten sie auf ihren Tischen. Die Lehrerin rief ein letztes Mal ihre Namen auf und kreuzte ihre Anwesenheit ab. Heute machte sie keinen Unterricht, sie schwärmte von ihrem Studium und der tollen Zeit, die sie auf der Universität hatte. Sie redete von den Leuten die sie dort kennengelernt hatte, dass sie viele Freundschaften dort geschlossen hatte. Alle hingen gebannt an ihren Lippen, außer Sugawara. Der sah aus dem Fenster und starrte den blauen wolkenlosen Himmel an, als wäre er sein schlimmster Feind. Einmal, dachte er, einmal geht die Sonne noch unter und dann bin ich kein Oberschüler mehr, sondern angehender Student. Dann würde sich alles verändern! Sugawara bekam das Klopfen an der Tür nicht mit, auch nicht wie sie alle alphabetisch sortiert drei verschiedenen Gruppen zu gewiesen wurden. Er hörte nicht, was die Soldaten zur Lehrerin sagten, sah nur ihren panischen Gesichtsausdruck. Im nächsten Moment wurde Gruppe 1 nach draußen auf den Flur geführt. Sugawara erhaschte einen letzten Blick auf Asahi, der ihn ebenso panisch ansah. Daichi drehte sich zu ihm um, bemühte sich um ein Lächeln und griff nach seinen Händen. »Es ist alles gut, wir werden in Sicherheit gebracht!« Sugawara wusste noch immer nicht worum es ging oder was passierte. Er ließ es einfach über sich ergehen. »Gruppe zwei«, sagte einer der Soldaten, »Gruppe zwei folgt mir zum Ausgang!« Sugawara sah ihn an. Der Soldat sah aus als würde er jeden Moment in den Krieg ziehen. Er hatte ein Maschinengewehr in der Hand und Handgranaten in seinem Gürtel. Sugawara sagte sich, dass er eingeschlafen war und, dass sein Traum ihm eine Möglichkeit vorgaukelte, der Universität zu entgehen. Sein Gehirn machte ihm vor, dass ein Krieg ausgebrochen war, damit er noch ein wenig mehr Zeit mit Daichi verbringen konnte. Daichi hielt noch immer seine Hand, sagte ihm immer wieder, dass alles gut werden würde. Sie gingen die Flure entlang, vorbei an den Klassenräumen der Erst- und Zweitklässler. Vor den geöffneten Türen hatten sich Soldaten positioniert, sodass Sugawara nichts erkennen konnte. Er hörte panisches Gemurmel und Geflüster. Doch es klang so weit weg, dass er es nur für eine Fata Morgana seines Traums hielt. Sugawara wandte den Kopf um. Direkt hinter ihm lief ein Soldat. Er hielt sein Gewehr im Anschlag und hatte den Blick stur geradeaus gerichtet. Doch Sugawara entging die Panik auf seinem Gesicht nicht. Sie näherten sich dem Ausgang und Sugawara wusste, dass sein Traum gleich vorbei sein würde. Die Klingel würde ihn wecken. Er schloss erwartungsvoll die Augen. Doch als er sie wieder öffnete saß er nicht im Klassenzimmer. Er stand auf dem Schulhof und blickte in einen grauen, wolkenverhangenen Himmel. Dann hörte er es zum ersten Mal; Ächzen und Stöhnen von allen Seiten. Und ihm wurde bewusst, dass er nicht träumte. Was er gerade erlebte, war die pure Realität. Herzlich Willkommen in der neuen Welt! Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- »Suga?« Erschrocken fuhr der Angesprochene hoch, stieß sich dabei den Kopf am Lenkrad des Autos und begann danach leise zu fluchen, während er trotzdem versuchte den Wagen zu starten. Kurze Zeit später steckte ein anderer junger Mann den Kopf zur Fahrertür herein. »Ich hab dir schon tausend Mal gesagt, dass du mich nicht so erschrecken sollst! Wann kapierst du das endlich?«, fauchte Suga denjenigen an. Anschließend zog er sich aus dem Fußraum hoch in auf den Sitz. Dabei drückte er versehentlich die Hupe, die natürlich sofort losheulte. Sofort zog er die Hände zurück, als wäre das Steuerrad glühende Lava, und ließ sich stöhnend zurück in den Sitz fallen. Der andere junge Mann – Kuroo – lachte leise, öffnete die Tür und hielt Sugawara die Hand hin. »Manchmal benimmst du dich wirklich wie ein Trampeltier Mr. Refreshing!«, lachte er und zog seinen Freund hinaus in die Freiheit. »Und jetzt lass uns abhauen, die Schlürfer werden sicherlich bald hier sein, nach dem Ding gerade eben!« Sugawara verdrehte die Augen. Es war ein Versehen, musste er darauf jetzt wieder ewig herumreiten? »Wenn Oikawa das gehört hat, reißt er uns sowieso den Kopf ab!«, antwortete Sugawara und angelte seinen Rucksack vom Beifahrersitz. »Hast du etwas gefunden? Wasser? Waffen? Munition?«, fragte Sugawara und band sich die Sneakers fester zu. Nur für den Fall, dass sie schnell verschwinden mussten. »Nein, hier gibt es gar nichts, überhaupt nichts!«, antwortete Kuroo kopfschüttelnd und nahm seinen Bogen von der Motorhaube weg. »Entweder die ehemaligen Besitzer dieser Schrottkarren waren arm oder hier sind vor uns schon andere vorbeigekommen!« »Ich tippe eher auf das zweite«, erwiderte Sugawara und schulterte seinen abgetragenen Rucksack. Dann zurrte er die Gurte fest und sah Kuroo eindringlich an. Dieser zuckte mit den Schultern, nahm sich ein herumliegendes Metallrohr und brach mit ein paar geschickten Handgriffen den Kofferraum auf. Große Hoffnung verspürten die beiden nicht, trotzdem warfen sie einen vorsichtigen Blick hinein. In so einem Kofferraum konnte sich immerhin alles befinden. Tote Tiere, vergammelter Müll oder sehr lebendige Schlürfer, die nur darauf gewartet hatten jemanden zu zerfleischen. Doch in diesem Kofferraum befanden sich ledig Klamotten, vor allem für Babys und Kinder, was Sugawara einen Klos im Hals bescherte. Denn jeder Koffer voller Kinderkleidung, der zurückgelassen wurde, stand für ein weiteres Kind, was von den Schlürfern entweder gefressen oder zu einem ihres Gleichen gemacht wurde. Das flaue Gefühl in Sugawaras Magen wurde schlimmer und er presste die Fingernägel in die Riemen seines Rucksacks, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Geheule konnten sie im Moment definitiv nicht gebrauchen, denn die ersten Schlürfer waren schon auf dem Weg zu ihnen. Kuroo knallte die Kofferraumklappe zu und riss Sugawara damit aus seinen trüben Gedanken. »Wir sollten los!«, sagte er und schulterte ebenfalls seinen Rucksack. Sugawara warf einen letzten wehleidigen Blick zum Kofferraum, ehe er seine beiden Messer aus dem Halfter nahm und den Schaft kampfbereit in seine Handflächen drückte. »Wollen wir durch den Wald oder über die Landstraße?«, fragte Kuroo und legte einen Pfeil in die Sehne seines Bogens. Sugawara warf einen Blick gen Himmel, während er überlegte. Auf dem Hinweg hier her, waren sie durch den Wald gegangen, wo ihnen nur ein paar der wandelnden Leichen entgegengekommen waren. Es war keine Mühe sie aus dem Weg zu räumen, zumal die Bäume sehr gut zum Ausweichen geeignet waren. Was sie auf der Straße erwarten würde, konnte Sugawara nicht mal erahnen. Wenn sie Pech hatten, würden sie dort auf eine größere Herde treffen und die würden sie auf offener Fläche wohl kaum überwältigen können. Bevor Sugawara auf die anderen getroffen war, hatte er sich von großen offenen Flächen ferngehalten und sie nur überquert, wenn es keinen anderen Weg gab. »Mir ist nach Wald. Ein bisschen frische Luft schnappen, die nicht so erbärmlich nach Verwesung stinkt!«, entschied Sugawara und schob im selben Moment den Maschendrahtzaun bei Seite. Dann ließ er erst Kuroo hindurch schlüpfen und folgte dann selbst kurze Zeit später. Gemeinsam bahnten sie sich einen Weg durch das dichte Gestrüpp, erledigten vorbeikommende Schlürfer und durchsuchten eine leer stehende Hütte. Letzteres leider ohne großen Erfolg. Mehr als eine Flasche Limo und eine Dose gebackener Bohnen sprang dabei nicht für sie heraus. »Wir sollten uns langsam mal in Richtung Sendai bewegen. Hier in den ländlicheren Gegenden werden wir nichts mehr finden, da waren andere schon vor uns da!«, merkte Kuroo an und durchtrennte mit seinem Jagdmesser ein paar verhedderte Äste. »Das wissen wir alle, aber solange Bokuto krank ist, wäre eine Reise zu gefährlich. Wir müssen noch ein paar Tage warten, bis es ihm wieder bessergeht!«, entgegnete Sugawara. »Wir werden uns jetzt bestimmt nicht in ein Selbstmord Abenteuer stürzen, weil gerade das Wasser ein bisschen knapp ist. Wir werden schon überleben und dann kommen wir alle gesund und munter in Sendai an!« Sugawara stöhnte innerlich genervt, während er einen Schluck Wasser trank. Er hasste Kuroos Übermut. In den letzten drei Wochen hatte er sich oder die Gruppe schon so oft in Gefahr gebracht, dass Akashi und Sugawara ihn am liebsten anketten würden. Egal wie gefährlich eine Situation war; Kuroo musste sich mitten hineinstürzen. Ständig musste er von jemand anderem gerettet oder geschützt werden. Kuroo hatte eben noch nicht verstanden das man für eine Konserve nicht sein Leben aufs Spiel setzte – und das seiner Freunde auch nicht. »Was denkst du, wann Bokuto wieder reisefähig sein wird?«, fragte Kuroo nachdenklich, während er die Sehne seines Bogens anzog und einen Pfeil aufspannte. Dann drehte er sich langsam einmal um die eigene Achse, ließ kein Fleckchen Wald aus den Augen. Bevor Sugawara sich zu einer Antwort durchringen konnte, entdeckte er allerdings ein paar Reisetaschen auf dem Boden. Diese forderten natürlich sofort seine gesamte Aufmerksamkeit und Kuroos überflüssige Frage war vergessen. Die Taschen mussten der Witterung schon ein paar Wochen ausgesetzt gewesen sein, so abgewetzt und dreckig wie sie sind. Als er gerade Tasche zwei überprüfen wollte, kam ihm der Gedanke, dass es einen Grund dafür geben musste, dass fünf Reisetaschen einfach so im Wald herumlagen. Der Besitzer hatte sie entweder abrupt fallen gelassen und war weggerannt oder weilte schon längst nicht mehr unter den lebenden Lebenden. Ruckartig brachte sich der junge Mann wieder in die Senkrechte. »Hey Kuroo? Hast du irgendetwas entdeckt oder können wir weiter« Und als er keine Antwort bekam, drehte er sich um, entdeckte seinen Freund aber nirgends. Sofort packte ihn die Sorge, aber auch die blanke Wut. Bestimmt hatte er wieder irgendetwas gesehen und war mir nichts, dir nichts blind drauf losgestürmt. »Dieser blöde Idiot!«, fluchte Sugawara, umfasste den Schaft seiner Messer fester. Dann rannte er los, in die Richtung in der er Kuroo vermutete. Vermutlich war das keine seiner besten Ideen gewesen! ɸ Der ausgebeulte Teekessel gab ein leises zischen von sich, als das Wasser heiß genug war. Oikawa holte ihn vom Lagerfeuer, bevor das Geräusch zu laut wurde und eventuell Schlürfer anlocken konnte. Er nahm einen ihrer wenigen Teebeutel und goss dem schlafenden Bokuto etwas Wasser ein. Während der Tee ziehen musste, stand der junge Mann auf und trat an den Schlafsack heran, in dem die Eule unruhig schlief. Er schwitzte stark und wälzte sich hin und her. Vorsichtig ging Oikawa in die Hocke, strich ihm einmal über die Stirn und musste erschrocken feststellen, dass das Fieber nicht weniger geworden war. Seufzend nahm er den feuchten kalten Waschlappen und legte Bokuto diesen in den Nacken. Wenn sich an seinem Zustand nicht bald etwas änderte, würden sie länger an diesem Ort festsitzen als geplant – und gewollt. Da Bokuto nicht so aussah als würde er in den nächsten Minuten aufwachen, schnappte sich Oikawa die dreckigen Klamotten der anderen und warf sie in die Waschschüssel. Eine Sache von vielen, die er vermisste: Frische, gutriechende Kleidung. Mit einer kleinen Schüssel und ein wenig dreckigem Wasser konnte er zwar die Blut Flecken herauswaschen, aber gut riechen taten die Hosen und T-Shirts deswegen trotzdem nicht. Stück für Stück bearbeitete er die Sachen mit einer ausgefranzten Bürste und hängte sie dann auf eine eigens aufgespannte Leine. Alleine dieser Fakt bezeugte, wie lange sie schon an diesem Ort festhingen, denn langsam fingen sie an sich hier häuslich einzurichten. Das hatten sie bisher an noch keinem anderen Ort gemacht. Aus gutem Grund. Auf den ersten Blick schien ihr momentaner Aufenthaltsort – eine verlassene Polizeiwache – zwar sicher, aber früher oder später würden sich die Schlürfer auch hier Zutritt verschaffen. Und dann müssten sie wieder fliehen. Ein leises Röcheln riss Oikawa aus seinen Gedanken. Im ersten Moment hatte er Angst, es könnte ein Schlürfer sein, doch dann blickte er direkt in Bokutos starrende Iriden. Er ließ Bürste und Jeans in die Schüssel fallen, stand auf und trocknete sich die Hände an seiner eigenen Hose ab. Danach sammelte er schnell die dampfende Tasse Tee ein und reichte sie dem Krankheitsfall der Gruppe. »Mir geht’s echt beschissen«, nuschelte Bokuto vor sich hin. »Genauso siehst du auch aus!«, antwortete Oikawa und versuchte mit einem kleinen Lächeln die Situation aufzuheitern. Ihn beiden war klar, dass Bokuto früher oder später zum Problem werden würde, wenn sein Fieber nicht bald sinken würde. Bokuto schaffte es nur mit Mühe und Not die Tasse festzuhalten und zitterte stark, als er versuchte sich aufzusetzen. Selbst Oikawas Unterstützung half ihm nicht wirklich. So reichte Bokutos Kraft gerade mal dafür aus, einen Schluck Tee zu trinken. Danach sackte er kraftlos wieder in den Schlafsack zurück. »Danke«, bekam er gerade noch über die Lippen, dann war er auch schon wieder eingeschlafen. Oikawa seufzte und warf einen Blick zum abgedichteten Fenster. Diese Situation erinnerte ihn so sehr daran, wie sie Iwaizumi vor ein paar Monaten zurücklassen mussten. Er hatte sich bei einem Sturz das Bein gebrochen und konnte nicht mehr richtig laufen. Damals hatten sie noch keinen Wagen, mit dem sie große Strecken zurücklegen konnten. Es war die schwerste Entscheidung, die er jemals treffen musste. Er fehlte ihm jeden Tag und tauchte in jedem Traum auf. Diesen Verlust konnte er im Moment nur mit einer Person kompensieren, aber vermutlich würde es mit ihm niemals so sein wie mit Iwaizumi. Oikawa schüttelte den Kopf. Er wollte nicht mehr daran denken, dass hatte er sich schon so oft selbst geschworen. Aber er brach sein Versprechen immer wieder. Langsam kotzte es ihn selbst an, aber er kam aus diesem Teufelskreis einfach nicht mehr heraus. Im nächsten Moment hörte er im Erdgeschoss ein komisches Geräusch. Es war leise, kaum wahrnehmbar und passte nicht zu den anderen. Deswegen löschte er in zwei Handgriffen sämtliche Lichtquellen und schnappte sich seinen Baseballschläger. Er warf einen letzten Blick auf Bokuto und verließ dann den Raum, nicht ohne die Tür hinter sich abzuschließen – die Schlüssel dafür hatten sie glücklicherweise in den Umkleideräumen gefunden. Vorsichtig, darauf achtend wo er hintrat, suchte er die Treppe und trat langsam eine Stufe nach der anderen hinab. Das komische Geräusch war verstummt und Oikawa würde wohl oder übel nichts Anderes übrig, als jeden Raum einzeln zu durchsuchen. Innerlich stöhnte er. Ihn nervte dieser Ort! Achtsam betrat er den Vorraum der Wache und überprüfte zu allererste die Ketten und Bretter vor den Fenstern und Türen. Alles war noch fest und nicht beschädigt. Die Gitter vor den Fenstern und die Scheiben waren ebenfalls in Ordnung. Grummelnd schwang er den Schlager über seine Schulter und machte sich auf den Weg zum Hintereingang. Kaum kam er in die Nähe der Tür, trat er in den Lichtkegel einer Taschenlampe und entdeckte gleich darauf Tsukishima und Akashi, die schweratmend an der Wand lehnten. »Ich hasse diese Viecher. Ständig kommen sie in Horden. Ohne Pistolen und Gewehre sind wir echt aufgeschmissen!«, meckerte Tsukishima und zog ein blutgetränktes Tuch aus seiner Hosentasche um die Klinge seines Katana abzuwischen. »Ich dachte schon ihr wärt irgendwelche Einbrecher!«, rief Oikawa den beiden zu und senkte seinen Schläger. »Macht euch das nächste Mal einfach bemerkbar!« »Wie wäre es, wenn du das nächste Mal losgehst und ich bleibe hier. Dann drehen wir den Spieß einfach um!« Oikawa sagte nichts dazu. Es fiel ihm zwar schwer, aber sie hatten versprochen nicht mehr zu streiten. Denn es machte das Ganze noch schwerer, als es eh schon war. »Wie geht es ihm?«, fragte Akashi, nachdem auch er wieder zu Atem gekommen war. »Nicht so gut – ehrlich gesagt, ich glaube es wird sogar immer schlimmer!« Akashi warf Oikawa einen bestürzten Blick zu, ehe er sich von ihm die Schlüssel geben ließ und in die erste Etage stürmte. Tsukishima räusperte sich entschieden. »Sind die anderen schon zurück?« »Nein – habt ihr sie unterwegs getroffen?« Der Brillenträger schüttelte den Kopf und Oikawa ließ die Schultern besorgt sinken. Es würde bald dunkeln werden. Wenn sie bis zum Einbruch der Nacht nicht zurück waren, konnte es brenzlig für sie werden. ɸ Das unnachgiebige Röcheln war mittlerweile zu einem ständigen Begleiter geworden. Das einzige vertraute Geräusch in dieser neuen, unbekannten Welt. Deswegen empfand es Sugawara aber trotzdem als ziemlich störend. Vor allem, weil die Schlürfer an die metallenen Wände des Schulbusses klopften wie ein Haufen Hooligans. Auf der Suche nach Kuroo war Sugawara einer größeren Gruppe Schlürfer begegnet. Zu Beginn hatte er sich noch mit allen Kräften gegen sie gewährt. Aber als es immer mehr wurden, statt weniger, hatte er sich umgedreht und war gerannt wie ein Irrer. Irgendwann stand er wieder auf dem Parkplatz der Schule, wo er mit Kuroo den Tag verbracht hatte und schaffte es in letzter Sekunde, sich auf das Dach eines Schulbusses zu retten. Jetzt lag er hier und sah der Sonne beim Untergehen zu. Keine Hilfe, keine Rettung in Sicht. »So eine Scheiße!«, fluchte Sugawara und schlug selbst einmal mit der Faust auf das Metall. Damit stachelte er die Traube um sich herum nur noch mehr an. Und das lockte noch mehr von ihnen aus dem Wald an. Sugawara biss sich auf die Zunge. Er wollte nicht sterben und deswegen erst recht nicht heulen. Er brauchte doch bloß einen Plan, dann würde er das hier schon überleben. Nur wie sollte er die Schlürfer vom Bus wegbekommen? Er wusste es nicht! Doch eins war klar: Bevor er der Dehydrierung oder den Schlürfern zum Opfer fiel, würde er sich lieber selbst töten! »Ich hasse dich Kuroo!«, fluchte er leise und starrte weiter in den Himmel, während das Stöhnen und Röcheln um ihn immer lauter wurde. Mitten in der Nacht sein, als Sugawara von einem sanften klappern geweckt wurde. Es war leise und ziemlich weit weg, hob sich jedoch deutlich vom Ächzen der Schlürfer ab. Eilig blinzelte er den Schlafsand weg, setzte sich auf und schaute versonnen in die Dunkelheit. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er etwas zu erkennen, sah aber nur alles einnehmende Schwärze. Er redete sich ein, dass er sich das Geräusch eingebildet haben musste und ließ sich stöhnend auf das Dach des Busses fallen. Die Schlürfer taten es ihm gleich und wurden noch lauter. »Sollte ich hier jemals wieder hinunterkommen, werde ich ihn umbringen!«, zischte er und versuchte seine Augen wieder zu zubekommen. Nur leider hinderte ihn seine trockene Kehle daran. Blind tastete er nach seiner Wasserflasche, bekam sie auch zu fassen und musste dann feststellen, dass ihm gerade mal zwei kleine Schlucke übrigblieben. Na toll, dachte er, das war’s dann wohl. Von der Wut gepackt pfefferte er das Behältnis einfach in die Menge aus Schlürfern. Die hohlen Gestalten stürzten sich natürlich sofort auf die Flasche aus Zinn, als wäre es eine sättigende Mahlzeit. Nach ein paar Minuten des Beobachtens, verstand Sugawara welche Möglichkeit ihm sich dadurch bot. Er schnappte sich seinen Rucksack und sprang vom Bus. Mit seinen Messern gelang es ihm, die paar Schlürfer zu töten, die von seiner Flasche keine Notiz genommen hatten. Er verschwand im Wald, ohne sich noch einmal umzudrehen. Selbst als seine Lunge brannte, wie ein loderndes Feuer hielt er nicht an. Sollte Kuroo doch zusehen wie er alleine klarkam. Sugawara hatte die Schnauze voll davon, auf ihn aufzupassen. Nach einem paar Hundert Metern Wald und ein paar Metern durch eine kleine Stadt stand Sugawara schließlich wieder vor der Polizeiwache in der seine Gruppe zurzeit hauste. Ihm wären beinahe die Tränen gekommen, als er durch den Hintereingang unbemerkt ins Gebäude gelangen konnte. Völlig erledigt ließ er sich direkt hinter der Tür auf die Knie fallen und versuchte seine Atmung wieder zu kontrollieren. Dieser Tag war einer der schlimmsten in der neuen Welt gewesen. Spitzenreiter würde vermutlich immer der Tag bleiben, als die Schlürfer ihm Daichi genommen hatten, aber Silber konnten die Erlebnisse heute auf jeden Fall für sich verbuchen. Nach ein paar Minuten sammelte er seine letzten Kräfte und stieg die Treppe empor. Direkt hinter der zweiten Tür rechts verbarg sich ihr provisorisches Lager. Das umfunktionierte Büro wurde nur noch von drei Kerzen erleuchtet und alle Anwesenden schliefen tief und fest in ihren Schlafsäcken. Sugawaras erster Blick galt Bokuto, der fest von Akashi im Arm gehalten wurde. Auf der anderen Seite lagen Tsukishima und Oikawa, zwischen ihnen zwei leere Schlafsäcke. Sugawara lächelte kurz. Wenigstens hatten die beiden anderen es unversehrt zurückgeschafft. Als er sich seiner Kleidung entledigte, weckte Oikawa auf. Er brauchte einen Moment um zu begreifen das Sugawara wieder da war. Doch sobald das in seinem Hirn angekommen war, schälte er sich aus seinem Schlafsack und stürmte auf seinen Freund zu. Er schloss ihn fest in die Arme, küsste die verschwitzte Haut an seinem Hals und ließ eventuell auch die eine oder andere Träne fallen. Sugawara schlang seine Arme um den Rumpf seines Freundes, presste ihn so fest an sich, dass er ihn beinahe erdrückte. Doch lange reichte ihnen die Umarmung nicht und sie brauchten mehr voneinander. Also lösten sie sich voneinander, sahen sich einen Augenblick in die Augen und pressten dann die Münder aufeinander. Das zwischen ihnen war keine Liebe, sie taten sich nur gut. Denn sie hatten beide die Liebe ihres Lebens verloren und einen Ersatz in einander gesucht und gefunden. Als sie sich voneinander lösten, bemerkten sie Tsukishima der wach geworden war. Er rieb sich die Augen, während er sprach. »Wo ist Kuroo? Sichert er noch den Zaun?« Sugawara nahm die Hände von Oikawa und blickte Tsukishima an. Wie sollte er diesem erklären, dass Kuroo vielleicht dieses Mal nicht wiederzurückkommen würde? Wie erklärte man jemanden, der sehnsüchtig auf die Heimkehr seines Freundes wartete, dass er vielleicht gestorben war? Tsukishima wusste um Kuroos Waghalsigkeit. Doch das erklärte noch lange nicht, warum Sugawara nicht weiter nach ihm gesucht hatte. Sugawara atmete einmal tief ein und aus. »Wir waren schon auf dem Rückweg und dann waren im Wald ein paar Taschen. Ich habe sie durchsucht und Kuroo sollte aufpassen. Als ich fertig war und mich umgedreht habe, war er plötzlich weg. Ich habe nach ihm gesucht und dann war da plötzlich eine Horde Schlürfer. Ich bin zurück zu der Schule gerannt, wo wir heute waren und habe mich auf einen der Schulbusse geflüchtet. Ich wusste nicht mal, ob ich da überhaupt lebend wieder rauskomme. Ich habe meine Flasche weggeworfen und konnte sie dadurch ablenken, nur deswegen bin ich jetzt wieder hier -«, er stockte und schluckte ein paar aufkommende Tränen hinunter. »Aber Kuroo habe ich nicht gefunden! Ich weiß nicht mal in welche Richtung er gelaufen sein könnte! Es tut mir Leid Tsukishima!« Tsukishima starrte ihn noch immer unnachgiebig an, während sich langsam Tränen in seinen Augenwinkeln bildeten, die wenige Sekunden später ungehindert seine Wangen hinab rannen. »Er lebt aber noch, ich weiß das!« Alle drei dachten ein paar Sekunden über diese Worte nach. Doch als ihnen klar wurde, dass Kuroo zu draufgängerisch war, begannen sie alle zu weinen. Denn erst jetzt wurde allen klar, dass sie heute ein Mitglied ihrer Gruppe an die Schlürfer verloren hatten. Es wurde eine sehr unruhige Nacht für alle drei, geplagt von vielen Alpträumen. Tsukishima schlang im Schlaf die Arme um sich selbst, stellte sich vor es wären die von Kuroo, während er davon träumte wie dieser ihn küsste, ihm sagte wie sehr er ihn liebte und ihm versprach, dass alles wieder gut werden würde. Doch als er aufwachte, war kein Kuroo da. Und er war ganz alleine. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Das Zeitgefühl verlierst du nicht, auch wenn schon längst keine Uhren mehr schlagen. Deine innere Uhr bleibt dir trotzdem erhalten. Deswegen konnte Sugawara auch am nächsten Morgen mit Sicherheit bestimmen, dass es noch nicht allzu spät sein konnte. Er gähnte und beschloss noch eine Weile zu schlafen. Doch als er die Hand ausstreckte und neben sich nur einen leeren Schlafsack zu packen bekam, verwarf er diese Idee wieder. Ruckartig setzte er sich auf, war plötzlich hellwach und scannte den Raum ab. Dabei musste er feststellen, dass dieser bis auf Bokuto und Akashi leer war. Und die beiden schienen noch zu schlafen. Ihm war sofort klar, dass Tsukishima und Oikawa nicht im Keller waren, wo sich die Duschen befanden. Denn deren Rucksäcke fehlten. Auch Tsukishimas Katana lehnte nicht wie üblich an der Wand. Blitzschnell schälte sich Sugawara aus seinem Schlafsack und zog sich an. Als er gerade nach seinem Rucksack greifen wollte, räusperte sich jemand. Erschrocken ließ er das Gepäckstück fallen und drehte sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Er hatte Bokuto geweckt, der ihn jetzt mit wachsamen Augen anstarrte. »Wo willst du hin?«, fragte die Eule und versuchte mit einer kleinen Bewegung Akashis Klammergriff zu lockern. »Ich muss die anderen suchen, sie sind abgehauen um Kuroo zu finden!« »Woher weißt du das, hast du mit ihnen gesprochen?« Sugawara schüttelte den Kopf und nahm den Riemen seines Rucksacks wieder in die Hand. Er wollte jetzt nicht diskutieren und damit Zeit vertrödeln. Es gab immerhin wichtigeres zu tun! »Du solltest hierbleiben und abwarten! Wenn sie heute Abend ohne ihn zurückkommen, könnt ihr morgen immer noch gemeinsam losgehen. Aber es macht so keinen Sinn, wenn ihr jetzt alle in verschiedene Richtungen rennt!« Sugawara stockte und dachte einen Moment über Bokutos Worte nach. Irgendwie hatte er recht, aber Sugawara wollte nicht riskieren das Oikawa oder Tsukki zu Schaden kommen, weil Kuroo sein Leben so leichtfertig aufs Spiel setzte. Sugawara seufzte, während er die Gurte seines Rucksacks festzurrte. »Tu mir den Gefallen und sag Akashi, dass er die Tür abschließen soll, wenn er aufsteht. Wir sind bis Sonnenuntergang zurück, versprochen!« Ohne auf eine Erwiderung zu warten, ergriff Sugawara die Türklinke und verließ den Raum. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Als die Tür hinter ihm leise ins Schloss viel, war es an Bokuto zu seufzen. Er kuschelte sich zurück in seinen Schlafsack und murmelte leise »Viel Glück«, bevor er wieder einschlief. ɸ »Das hat doch alles überhaupt keinen Sinn!«, fauchte Tsukishima und räumte gleichzeitig mit seinem Katana ein paar Äste aus dem Weg. Oikawa verdrehte die Augen. Er bereute es, dem Brillenträger angeboten zu haben, ihn zu begleiten. Zu einem, weil er wusste, dass dieser nur meckern würde und zum anderen, weil sie gar nicht wussten, in welcher Richtung sie mit ihrer Suche beginnen sollten. Denn selbst Tsukishima konnte nur eine vage Wegbeschreibung machen. Die beiden Gruppen hatten sich gestern erst mitten im Wald voneinander getrennt und Tsukishima wusste heute selbst nicht mehr, in welche Richtung er mit Akashi gegangen war. Schließlich blieben die beiden stehen, versuchten sich ein Bild zu verschaffen und zu erahnen, in welche Richtung Sugawara und Kuroo gestern gegangen waren. »Hatte Suga heute Nacht nicht irgendetwas von einer High-School erzählt?« »Ja und?« »Wir sind doch an einer vorbeigefahren – kurz vor Ortseingang. Vielleicht meinte er ja die und die beiden waren gestern dort?« Tsukishima zögerte einen Moment, eher er seufzte und sein Katana in den lockeren Waldboden rammte. »Und selbst wenn, er hat gesagt da lauert eine Herde Schlürfer! Kuroo ist entweder dort und Tod oder aber, er ist in eine völlig andere Richtung gelaufen. Und dort hinzugehen und nachzusehen wäre zu gefährlich ohne Schusswaffen. Mit einem Schwert und einem Baseballschläger können wir absolut nichts ausrichten!«, sagte Tsukishima niedergeschlagen. Er wollte es nicht, trotzdem gab er langsam aber sicher die Hoffnung auf, dass sein Freund überhaupt noch am Leben sein könnte. Oikawa verdrehte erneut die Augen. »Gut dann gehen wir jetzt eben in die entgegengesetzte Richtung und schauen, was wir da finden! Vielleicht ist er ja doch nicht so dumm, wie ich gedacht hatte!« Wenn Blicke töten könnten, würde sich Oikawa die Radieschen jetzt wahrscheinlich von unten ansehen. Aber da Tsukishima selbst keine bessere Idee hatte, nickte er zustimmend und folgte dem anderen durch ein ausgedünntes Astgeflecht. Sie gingen eine ganze Weile durch den Wald und kamen irgendwann an einer Autobahn Zufahrt an. Tsukishima war schon drauf und dran diese hoch zu laufen, als Oikawa ihn am Kragen packte und wieder von der Straße hinunterzog. »Oh nein, nein, nein! Was haben wir über Highways gesagt? Richtig: Gehe niemals einen zu Fuß entlang, es sei denn du sehnst einen schmerzhaften Schlürfer-Tod herbei!«, zischte er. »Wenn Kuroo also noch ein paar seiner Gehirnzellen übrig hat, dann wird er dieser Straße nicht gefolgt sein. Andernfalls ist er sowieso tot und ich werde mein Leben garantiert nicht opfern, um das heraus zu finden!« »Und was sollen wir deiner Meinung nach sonst machen? Hier warten oder was?«, entgegnete Tsukishima bissig. »Offensichtlich haben wir die falsche Richtung eingeschlagen!«, antwortete Oikawa und warf einen Blick in Richtung Sonne. »Es fängt bald an zu dämmern und wir haben noch einen ziemlich weiten Rückweg vor uns. Wir sollten zurückgehen und morgen nach ihm weiter suchen. Wenn er nicht schon längst zurück ist! Lass uns nach Hause gehen und mit Sugawara einen Schlachtplan ausarbeiten!« Tsukishima gefiel nicht, dass Oikawa die Polizeiwache ,,zu Hause“ nannte, aber er hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Denn alleine wollte er mit Sicherheit nicht im Dunkeln durch den Wald irren. So viel gesunden Menschenverstand besaß er dann doch noch. Er warf noch einen letzten Blick in Richtung Straße und hoffte das Oikawa sich mit seiner Vermutung nicht irrte, dann folgte er ihm zurück in den Wald. Sie entschieden sich dazu, nicht den gesamten Weg durch den Wald zu gehen, sondern am Ortseingang abzubiegen und noch ein paar Häuser zu durchsuchen, die sie bisher ausgelassen hatten. Da sie sich in einem ziemlich kleinen Dorf niedergelassen hatten, was schon recht früh nach Ausbruch der Seuche evakuiert wurde, hatten sie in den letzten Wochen kein großes Problem mit Schlürfern gehabt. Es schlichen nur vereinzelt ein paar durch die Straßen, ohne groß Notiz von der belebten Polizeiwache zu nehmen. Die sechs jungen Männer waren sich natürlich bewusst, dass irgendwann eine Herde der Schlürfer die Straßen passieren würde. Aber bis dahin wollten sie schon längst über alle Berge sein. Vorausgesetzt, es ging Bokuto bis dahin besser. Direkt am Stadtrand befand sich eine leerstehende Kneipe, die sie bisher noch nicht auf etwas Brauchbares abgesucht hatten. Während Oikawa draußen Wache hielt, suchte Tsukishima die Räume ab. Wie auch in den restlichen Gebäuden der Stadt fand er hier keine Schlürfer vor – bis auf eine Flasche Schnaps aber auch sonst nichts Verwendbares. Resigniert seufzte er, steckte sein Katana zurück in die Hülle aus weißem Leder und ging wieder zu Oikawa nach draußen. »Und?« »Außer ‘ner Flasche Schnaps, war da nichts!« »Hast du die eingesteckt?« »Sollte ich? Wieso?«, fragte Tsukishima irritiert und scannte die Straße ab, die langsam in alles einnehmende Dunkelheit getaucht wurde. »Alkohol ist das beste Desinfektionsmittel – Hast du nie einen Actionfilm gesehen?« Der Brillenträger seufzte. »Ist ja gut, ich geh sie holen, wenn du sie unbedingt brauchst! Obwohl es eigentlich nur weiterer unnötiger Krempel ist, den wir mit uns herumschleppen!«, fauchte Tsukishima und ging zurück in das Lokal. Oikawa blieb vor der Tür und betrachtete nachdenklich den langsam aufgehenden Vollmond. Er unterdrückte ein paar Tränen. »Hi Iwa-lein, lange nicht mehr gesehen!« ɸ Sugawara hatte es bis zum Sonnenuntergang nicht einmal geschafft die High-School zu erreichen. Schuld daran waren sein schlechter Orientierungssinn und diverse Auseinandersetzungen mit ein paar Schlürfern. Dafür hatte er jetzt seine Ruhe, denn von dem letzten hatte er so viel Blut abbekommen, dass er sich ganz beruhigt fortbewegen konnte. Die wandelnden Leichen sahen ihn nicht mal an. Die Meute, die ihn gestern auf dem Schulbus belagert hatte, war verschwunden. Nur ein paar vereinzelte stolperten über den Parkplatz. Die Schule hatte schon gestern keinen besonders lebendigen Eindruck gemacht, trotzdem entschied sich Sugawara dazu, den Hintereingang zu nehmen. Er musste sein Glück ja nicht unnötig herausfordern. Die High-School musste eine ziemlich große Anzahl an Schülern gehabt haben, so groß wie das Gebäude war. Sugawara brauchte fast drei Minuten um auf den Schulhof zu gelangen und musste dann feststellen, dass im Gebäude eine ganze Horde Schlürfer auf ihn zu warten schien. Denn der Zaun um das Gelände war noch beinahe komplett intakt und es wandelte kein einziger Schlürfer über das Gelände. Das hieß, alle die zurückgeblieben waren, befanden sich noch in der Schule – wenn überhaupt jemand zurückgeblieben war! Sugawara wusste aus eigener Erfahrung, dass die Schulen separat evakuiert wurden und fast kein Kind seine Eltern lebend wiedergesehen hat. Denn das Militär war auf die Situation nicht vorbereitet gewesen. Während des ganzen Evaluierungszeitraums gab es keine Struktur, keine Ordnung und keine Prozesse. Vor allem Kinder und Jugendliche wurden voller Willkür von einem Lager ins nächste transportiert. Manche dieser Konvois waren Schlürfern zum Opfer gefallen. Der letzte, in dem Sugawara zusammen mit Daichi gesessen hatte, wurde ebenfalls von Schlürfern überrannt. Von 45 Kindern und Jugendlichen hatten den Angriff gerade einmal acht überlebt. Suga gehörte dazu, Daichi nicht. Diese Acht hatten sich in einer nahegelegenen Hütte versteckt und waren nach und nach dem Hunger oder den Schlürfern zum Opfer gefallen. Nach zwei Wochen waren nur noch drei von ihnen übrig. Einer davon erhängte sich schließlich mit seinem Schal, weil er keinen Tag länger in dieser Welt leben wollte. So schlug sich Sugawara noch ungefähr eine weitere Woche mit einem neunjährigen Jungen durch, der sich dann eine Lungenentzündung einfing und starb. Es war der Moment, in dem Sugawara miterlebte wie jemand, der nicht von den Schlürfern gebissen wurde, wieder zurückkam. Und es war der Moment, in dem er verstand, dass er jedem Menschen ein Messer in den Kopf rammen musste, wenn er nicht wollte, dass sie so endeten. Doch er war sich nicht sicher, ob er Oikawa oder Kuroo jemals ein Messer durch die Schädeldecke rammen konnte. Selbst dann nicht, wenn sie schon längst zu Schlürfern mutiert waren. Sugawara erreichte einen der Hintereingänge des Gebäudes. Zur Abwechslung ohne Kette mit Vorhängeschloss oder Botschaft auf den Türflügeln. Also entweder hatte man die High-School tatsächlich rechtzeitig geräumt oder einen Hinweis auf eine eventuelle Schlürfer Flut einfach nur vergessen. Sugawara schluckte und zückte seine Messer. Es deutete kaum etwas daraufhin, dass sich Kuroo ins Gebäude geflüchtet hatte, aber wenn doch und er verletzt war und es nicht selbstständig zurück zur Polizeiwache schaffte, dann musste er ihm helfen. Also atmete er noch einmal tief durch und öffnete dann die Tür. Er stand direkt in der Cafeteria. Alle Tische und Stühle standen noch akkurat an ihrem ursprünglichen Platz und waren lediglich mit einer dicken Schicht Staub bedeckt. Man könnte meinen es wären nur Ferien und jeden Moment würden die Schüler wieder die Gänge füllen, weil ein weiteres Schuljahr anbrach. Sugawara ließ die Schultern bedrückt hängen. Dieser Anblick erinnerte ihn daran, dass es vermutlich niemals so sein würde wie früher. Plötzlich klapperte etwas. Sugawara schreckte aus seinen trüben Gedanken hoch und zückte automatisch sein Messer. Das Geräusch kam aus Richtung Küche, hörte sich aber nicht nach einem Schlürfer an. Das hieß aber noch lange nicht, dass er unvorsichtig werden konnte. Denn in dieser neuen Welt konnte man zwischen Freund und Feind auf den ersten Blick nicht mehr unterscheiden. Denn neben den Schlürfern waren auch die Menschen unberechenbar geworden. Manche hatten bereits den letzten Funken Menschlichkeit verloren und behandelten andere wie Schlürfer, die man einfach abschlachten konnte. Sugawara verstand nicht wie Menschen anderen Menschen so etwas antun konnten – selbst in Zeiten wie diesen. Die wenigen Menschen die es noch gab sollten zusammenhalten und sich nicht gegenseitig bekriegen. Es klapperte wieder. Sugawara zuckte zusammen. Wer auch immer in der Küche herumkroch hatte noch keine Notiz von ihm genommen. Gut, dachte er sich und umfasste den Schaft des Messers fester. Das Überraschungsmoment war also noch immer auf seiner Seite! Langsam machte er einen Schritt nach dem anderen auf die Durchreiche zu. Er war bereit zu zustechen, egal was ihn erwartete. Er würde das können, auch wenn er zuvor noch keinen lebenden Menschen getötet hatte. Ein Schritt noch. Das Messer bereits im Anschlag. Die Panik im Nacken. Er beugte sich über die Durchreiche, atmete noch einmal tief ein und hielt dann die Luft an. Als er jedoch erblickte, was die Geräusche hinter der Ausreiche verursachte, konnte er sich ein erleichtertes Seufzen nicht verkneifen. Wenn gleich er auch ziemlich wütend auf die Person vor sich war. In diesem Moment bemerkte ihn auch Kuroo und zuckte erschrocken zusammen, als er sich umdrehte und einen vorsichtigen Blick über die Ausreiche warf. »Hast du eigentlich noch alle Latten am Zaun? Was zur Hölle hat dich dazu gebracht einfach mir nichts, dir nichts wegzurennen und hier in die Cafeteria einzubrechen?«, zischte Sugawara bitterböse. Er musste sich stark beherrschen nicht laut zu schreien, um damit keine Schlürfer anzulocken. Er musste sein Messer noch fester umklammern, um es seinem Gegenüber vor Wut nicht doch noch in die Brust zu hämmern. »Mir fiel ein, dass wir das Schulgebäude gar nicht durchsucht hatten! Ich wollte eigentlich nur schnell schauen ob wir eine Chance hätten und dann gleich wieder zu dir zurückkommen. Aber dann waren da plötzlich so viele Schlürfer und mir ist nichts besseres eingefallen, als mich hier zu verschanzen und nach was essbarem zu suchen!« Sugawara brodelte vor Wut, schaffte es aber trotzdem irgendwie äußerlich ganz gelassen zu wirken. Er antwortete Kuroo nicht. Stattdessen schwang er sich in einer einzigen Bewegung über die Theke und hockte sich neben ihn. »Hast du wenigstens was brauchbares gefunden?« Zu seiner Ernüchterung schüttelte Kuroo allerdings mit dem Kopf. »Die meisten Lebensmittel haben sich – nun ja – verdünnisiert und das einzige was hier sonst noch so herumstand, waren sechs Konserven Dosensuppe!« »Und was ist mit Getränken?« Kuroo klopfte auf einen Schrank zu seiner linken. »Die Schule schien weder viel von Flaschen, noch von Trinkpäckchen zu halten. Die Getränke kommen aus einer Anlage und die Fässer dafür stehen im Keller! Und da geh ich bestimmt nicht hinunter!« Sugawara runzelte die Stirn. »Warum nicht? Im Schulgebäude scheinen keine Schlürfer zu sein – zu mindestens habe ich keine eingeschlagenen Fensterscheiben oder offenstehende Türen gesehen!« Kuroo begann zu grinsen. »Denkst du, aber irgendwer hat es geschafft eine Wand der angrenzenden Schwimmhalle einzureißen und dabei ist auch eine Außenwand der Schule eingestürzt. Im ganzen Gebäude wimmelt es nur so von Schlürfern und ich war jetzt nicht unbedingt scharf auf Gesellschaft!« Sugawara legte die Stirn in noch tiefere Falten. »Aber warum sind sie dann nicht hier? Sie haben dich in ihrem Fresswahn doch bestimmt gerochen!« »Vor der Cafeteriatür liegt ein riesiger Berg Leichen. Ich glaube wohl kaum, dass mich eines von den Viechern auch nur im Ansatz gerochen hat!« »Okay, dann sollten wir dafür sorgen, dass das so bleibt und ganz schnell verduften!«, antwortete Sugawara leicht panisch und gab noch im selben Atemzug seine hockende Position auf. Er zückte seine Messer und blickte sich sofort kampfbereit um. Irgendwie wunderte es ihn überhaupt nicht, dass er den unachtsamen, optimistischen Kuroo ausgerechnet hier gefunden hatte. Dieser Ort passte so hervorragend zu seinem draufgängerischen Lebensstil, dass es Sugawara nicht wundern würde, wenn Kuroo jetzt von ihm verlangen würde, die Schule durch den Haupteingang zu verlassen. Der Typ hatte den Knall echt nicht gehört! Plötzlich zitternd vor Panik zog Sugawara an dem Trageriemen von Kuroos Rucksack. »Jetzt lass uns endlich von hier verschwinden, bevor es hier wieder ‘nen Schlürfer Auflauf gibt! Ich bin zu müde um zu kämpfen!«, knurrte Sugawara ungehalten. »Mir reichen schon die paar von denen, denen wir im Wald zwangsläufig begegnen werden!« Doch da hatten sie die Rechnung ohne die Schlürfer gemacht. Denn als sie sich Richtung Ausgang drehten, stand vor den Fenstern bereits eine ganze Traube, schlug gegen die Scheiben und machte so einen beängstigenden Lärm, dass immer mehr von ihnen angetorkelt kamen und sich neben ihren Artgenossen aufreihten, um dem Ächz und Stöhn Konzert beizuwohnen. Tja, dachte sich Sugawara, jetzt weiß ich wenigstens wo die Horde von gestern ist. Die schienen nämlich nicht weitergezogen zu sein. Bestimmt hatten sie sich nur in den Wald zurückgezogen. Innerlich trat sich Sugawara vor Wut gerade selbst in den Arsch. Warum war er mit Kuroo nicht schon viel eher geflüchtet? Jetzt hatten sie den Salat und mussten sich überlegen, wie sie das überleben würden. Und am besten fiel ihnen etwas ein, bevor die Fensterscheiben nachgaben, an die sich von Minute zu Minute immer mehr Schlürfer drückten. Wenn wir das hier überleben, dachte Sugawara bei dem ekeligen Anblick der sich ihm bot, dann bringe ich Kuroo eigenhändig um. ɸ »Könntest du jetzt mal aufhören mit dem Gesicht ziehen?« »Ich zieh‘ kein Gesicht!« »Nein – du überhaupt nicht! Wen willst du hier eigentlich verarschen? Natürlich ziehst du Gesicht, weil du der Meinung bist, wir hätten länger nach ihm suchen müssen!« »Das stimmt überhaupt nicht!« Kaum hatten Oikawa und Tsukishima die letzten Meter Rückweg angetreten, war diese unaufhaltsame Diskussion gestartet. Denn Oikawa war sich sicher, dass Tsukishima sauer auf ihn war, weil er mit ihm nicht noch länger gesucht hatte. Und Tsukishima versuchte den letzten Funken Hoffnung zu verteidigen, den er noch besaß. Aber wenn Oikawa jetzt nicht langsam mit seinen Anschuldigungen aufhören sollte, würde der Brillenträger für nichts mehr garantieren können. Die beiden konzentrierten sich mehr auf ihren Konflikt, als auf die umher wandelnden Schlürfer. Tsukishima schwang sein Katana mit einer Leichtigkeit, als hätte er im Leben nie etwas Anderes getan. Und Oikawa wich den umher wandelnden Gestalten elegant aus und ließ seine Begleitung den Rest erledigen. Warum sollte er sich auch schmutzig machen? Sie kamen vor der Polizeiwache an, als die ersten Sterne bereits am Himmel zu sehen waren, stellten aber zufrieden fest, dass sich seit ihrem Verschwinden nichts verändert hatte. Ihr Zufluchtsort lag noch genauso still und verlassen dar, wie heute Morgen. Wortlos legten sie ihren Streit bei und schlüpften einer nach dem anderen durch den löchrigen Maschendrahtzaun. Oben in ihrem umfunktionierten Büro hatte sich auch nichts getan. Bokuto schlief nach wie vor und Akashi wischte ihm mit einem feuchten Lappen die schweißnasse Stirn ab. Das einzige was ungewöhnlich war, war Sugawaras Abwesenheit. Denn den fanden sie nicht dort vor, wo sie ihn zurückgelassen hatten. Und normalerweise verbrachte der beinahe jeden Tag, an dem er nicht vor die Tür musste mit einem guten Buch, eingekuschelt in seinem Schlafsack. Während Tsukishima sich einfach auf sein ,,Bett“ setzte und sein Katana säuberte, wäre Oikawa am liebsten gleich wieder losgestürmt, um seinen Freund zu suchen. »Hat er dir gesagt wo er hin will?«, fragte Oikawa leicht panisch, während er das ganze Zimmer nach einer Notiz seines Freundes absuchte. Doch er fand nichts und auch Akashi lieferte ihm keine brauchbaren Informationen. »Bokuto hat heute Morgen kurz mit ihm gesprochen, aber mehr habe ich aus ihm auch nicht herausbekommen, weil er gleich wieder eingeschlafen ist! Aber weit kann Suga nicht gekommen sein. Er ist sehr viel später als ihr losgegangen!« Doch das beruhigte Oikawa überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil; es wühlte ihn bloß noch mehr auf. »Und Bokuto hat ihn gehen lassen? Warum? Ich dachte wir haben so eine Regel wie ,,ab mittags keine Versorgungstouren-Starts und keine Alleingänge“. Warum hat er ihn gehen lassen? Seid ihr jetzt beide irgendwie ein bisschen neben der Spur?« Doch statt einer Antwort, zischte Akashi bloß, dass er gefälligst leiser sein sollte. Bokuto schlief schließlich in diesem Raum. Und Tsukishima prustete in seiner Ecke leise vor sich hin. Warum auch immer es ihn amüsierte, dass zwei Leute aus ihrer Gruppe spurlos verschwunden waren – einer oder beide vielleicht tot! »Und was gibt es da jetzt schon wieder zu lachen?«, fragte Oikawa den Brillenträger gereizt. Langsam kam er sich ein wenig verarscht vor, als hätte noch keiner außer ihm realisiert, was sich in dieser Welt zutrug. Sie konnten es nicht immer belächeln, wenn irgendwer etwas Waghalsiges unternahm. Immerhin spielten sie kein Computerspiel, bei dem sie jederzeit wiederbelebt werden konnten. Tot ist tot – und im Moment war es leichter zu sterben, als sich eine Grippe einzufangen! »Ich denke dein Schatz wird auf der Suche nach Kuroo sein – nur mit einer höheren Erfolgschance, weil er immerhin weiß in welche Richtung er laufen muss!« Oikawa knurrte wegen des Brillenträgers spöttischem Tonfall. »Er hat wegen deinem Freund die ganze Nacht auf den Beinen verbracht, immer mit einem Fuß im Grab! Du kannst froh sein das er überhaupt wieder losgegangen ist! Wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, dann hätte ich mein Leben bestimmt nicht für seine Gedankenlosigkeit riskiert! Dein Freund denkt auch das alles wäre ein Spiel!« Nun stand Tsukishima auf, schob sich die Brille auf der Nase zu recht. »Wenigstens lebt mein Freund noch und wurde nicht von der Person, die er am meisten liebt einfach zurückgelassen! Ich muss mich nicht mit dem Zweitbesten vergnügen um meinen Samenstau los zu werden!« Oikawa wich einen Schritt zurück und selbst Akashi hielt erschrocken die Luft an. Das wirklich ein Schlag unter die Gürtellinie. Doch Oikawa ließ sich davon nicht einschüchtern. Er straffte die Schultern, bog den Rücken gerade und atmete hörbar aus. »Die Betonung liegt bei diesem Idioten auf „noch“! Und außerdem geht dich die Beziehung von Sugawara und mir absolut überhaupt nichts an!« Mit diesen Worten schnappte sich Oikawa seinen Baseballschläger und verschwand aus dem Raum. Er brauchte Ruhe und Abstand, musste herunterkommen. Am liebsten wäre er auf die Suche nach Sugawara gegangen, aber das wäre vermutlich im selben Dilemma geendet wie seine Suche nach Kuroo. Denn jetzt wusste er auch nicht in welche Richtung er laufen sollte. Weil er aber auch nicht wieder zurück in das muffige Büro wollte, entschied er sich stattdessen den Zugang zum Dach zu suchen und dort ein paar Minuten zu verweilen. »Du bist wirklich ein Arschloch! Was sollte das gerade? Denkst du er hat Iwaizumi freiwillig zurückgelassen? Denkst du ihm hat das Spaß gemacht? Denkst du er wollte das?«, empörte sich Akashi erbost. »Stell dir vor du wärst in seiner Lage gewesen! Stell dir vor Kuroo hätte sich das Bein gebrochen und könnte nicht mehr laufen und du wärst alleine mit ihm unterwegs. Kuroo hätte von dir verlangt, ihn zurückzulassen, sonst wärt ihr früher oder später beide gestorben! Oikawa hat eine Entscheidung getroffen, die sich nicht mehr länger hätte herauszögern lassen. Oder denkst du sie wären weit gekommen? Oikawa ist so schon nicht der beste Kämpfer!« Nach Akashis Ansprache herrschte Stille im Raum. Selbst Tsukishima der eigentlich immer einen Spruch auf den Lippen hatte, blieb stumm. Akashi seufzte, strich Bokuto eine Strähne aus dem Gesicht. »Ich würde ihn auch zurücklassen, wenn er das von mir verlangen würde! Nicht, weil ich ihn nicht liebe oder nicht daran glaube das er wieder gesund werden kann, sondern weil er selbst nicht daran glaubt. Und man soll jemand nicht die Entscheidung abnehmen ob er leben oder sterben möchte – auch nicht in dieser neuen Welt!« Der Brillenträger gab sich mit einem tiefen Seufzen geschlagen und stand von seinem „Bett“ auf. Er griff nach seinem Rucksack und seinem Katana. »Wo willst du hin?«, fragte Akashi skeptisch. »Ich geh Sugawara suchen – wir wollen ja nicht, dass er nie wieder mit uns spricht!« »Soll ich mitkommen?« »Nein, du mit deiner Axt würdest mich nur aufhalten, aber Bokutos Katana könntest du mir ausborgen, mit zweien bin ich beweglicher! Außerdem musst du auf die beiden Vögel aufpassen, nicht das hier noch was passiert!«, entgegnete Tsukishima versöhnlich. »Na gut, wenn du das so möchtest! Nimm sein Katana ruhig mit, er braucht es ja im Moment sowieso nicht!«, antwortete Akashi und strich seinem Freund eine weitere Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir sehen uns – Kuroo und Sugawara auch!« Mit diesen Worten zog er die schwere Tür ins Schloss und verschwand schnellen Schrittes aus dem Gebäude. Er wollte immerhin keine Zeit verlieren. ɸ »Ich hasse dich, habe ich dir das eigentlich schon mal gesagt?« »Spar dir den Atem und renn!« Irgendwie hatten es Kuroo und Sugawara geschafft durch einen Lagerraum aus der Cafeteria zu gelangen, waren danach allerdings in einem Schulflur gelandet, wo sie keine Glasscheiben mehr vor den herumlaufenden Schlürfern schützten. Sie hatten es in Windeseile geschafft, sich wenigstens bis zur Treppe vorzukämpfen – den Weg zum Haupteingang versperrten die wandelnden Leichen ebenfalls. Darüber nachgedacht wie sie dann aus der ersten Etage entkommen sollten, hatten sie aber nicht. Doch dafür war es jetzt eh zu spät. In der ersten Etage verschanzten sie sich hinter der ersten Tür die sie fanden, sperrten diese zu und sahen sich dann panisch an. »Wie sollen wir hier rauskommen? Wir hätten unten bleiben sollen, versuchen sollen sie abzuhängen, dann hätten wir vielleicht noch eine Chance gehabt aber so … Wir sitzen in der Falle!«, sagte Sugawara panisch und überlegte fieberhaft wie sie die Schlürfer von der Tür wegbekamen. Kuroo schien die lebensrettende Idee vor ihm zu haben. »Wir springen?« »Wohin?«, fragte Sugawara spöttisch. Er konnte es sich denken, wenn er die Panoramafenster des Klassenzimmers ansah. Ihm wurde auch sofort klar warum Kuroo diese Idee kam. Diese Seite des Gebäudes war zum Wald ausgerichtet und die meisten Schlürfer versammelten sich mit Sicherheit noch immer vor der Cafeteria. Sie würden relativ weich im Moos landen und befanden sich maximal dreieinhalb Meter über dem Boden. Das ganze sollte also theoretisch machbar sein ohne sich schlimmere Verletzungen zuzuziehen. Praktisch gesehen würde Sugawara niemals aus einem Fenster springen. So lebensmüde war er dann doch nicht! »Ohne Anlauf – runter und dann weg!« Sugawara schüttelte heftig den Kopf. »Oh nein! Das kannst du gleich vergessen! Ich springe bestimmt nicht in den sicheren Tod!«, antwortete dieser panisch. Doch Kuroo ließ sich nicht umstimmen. »Das einzige was hier todbringend ist, lauert draußen vor der Tür! Also entweder springen wir jetzt und überleben das ganze oder brechen uns das Genick oder wir lassen uns fressen? Was ist dir lieber? Leben, schneller Tod oder langsamer, qualvoller?« Beim reden schraubte Kuroo die Augäpfel immer weiter aus den Höhlen. Am liebsten würde Sugawara ihm sagen, dass sie ohne ihn gar nicht in dieser Situation wären, aber das war jetzt definitiv nicht der richtige Zeitpunkt. Draußen drängten sich immer mehr Schlürfer gegen die Tür und die Scharniere begannen bereits gefährlich zu quietschen. Sugawara gab ihnen noch maximal drei Minuten, dann würden sie unter der Last eh nachgeben. Bis dahin musste er eine Entscheidung gefällt haben. Vorsichtig warf er einen Blick aus dem Fenster. Es sah tatsächlich nicht so hoch aus, wie er erst befürchtet hatte. Also nickte er vorsichtig. Kuroo nickte ebenfalls, nahm sich einen der herumstehenden Stühle und schlug direkt beim ersten Versuch die Scheibe erfolgreich ein. Die Scherben verteilten sich in alle Richtungen, sahen aus wie kleine funkelnde Regentropfen. Spitze, verletzende Regentropfen. Sugawara wollte sich lieber nicht ausmalen wie viele Scherben er sich nachher mit der Pinzette aus der Haut ziehen durfte. Alleine beim Gedanken daran wurde ihm jetzt schon schlecht. Aber er entschied, dass all die Schmerzen es wert waren, wenn er dafür nur weiterleben konnte. »Auf drei!«, sagte Kuroo in diesem Moment und griff nach seiner Hand. Zusammen traten sie an den Fensterrahmen heran und waren einen letzten Blick in das Meer aus Scherben, ehe Kuroo auch schon begann zu zählen. »Drei.« Sugawara atmete einmal tief ein und aus. »Zwei.« Er klammerte sich fester an Kuroos Hand. »Eins.« Sugawara schickte ein Stoßgebet gen Himmel. »Jetzt!« Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- »Verdammte Scheiße!« »Was ist los?« »Schau mal nach vorne!« »Ach du heilige Scheiße! Was zur Hölle ist das?« »Ja keine Ahnung, wenn ich das wüsste, wäre ich schon weitergefahren!« Sie schafften es noch genau zwei Meter, dann war mit dem Wohnmobil kein Durchkommen mehr und Kageyama musste den Motor notgedrungen ausmachen. Sofort kamen auch Yachi und Yamaguchi nach vorne. Aus ihren Mündern war etwas Ähnliches zu hören, wie Kageyama und Hinata bereits gesagt hatten. Es dauerte keine zwei Sekunden da hatten sich die vier draußen versammelt. Dem einzigen, dem das herzlichst egal war Kenma, der gelangweilt aus dem Fenster sah und sich fragte, was er mit seiner Zeit besseres anfangen konnte. Direkt hinter dem Wohnmobil hatte ein VW Bus angehalten, aus dem nun Matsukawa, Hanamaki, Yaku und Lev ausstiegen. »Was ist los? Warum fahren wir nicht weiter?«, fragte Matsukawa, während Hanamaki sich auf Zehenspitzen stellte um über die Schultern seines Freundes hinweg schauen zu können. »Wir müssen ein paar von den Fracks wegschieben, sonst kommen wir hier nicht durch und die Straßenseite können wir auch nicht wechseln, weil wir dafür entweder eine Lücke in der Leitplanke suchen müssen oder selbst eine schaffen müssen! Und das würde im Umkreis von fünf Kilometern mit Sicherheit jeden Schnapper anlocken, der hier herum streunert!« »Wie sieht es denn am Stau Ende aus? Es muss ja einen Grund dafür gegeben haben! Konntest du was erkennen?« Kageyama schüttelte den Kopf. Matsukawa seufzte. »Dann würde ich sagen sollen Yachi und Yamaguchi schauen gehen und wir fangen schon mal damit an die Fracks aus dem Weg zu räumen! Vielleicht finden wir ja was Brauchbares!« Kageyama nickte und damit war es beschlossene Sache. Yachi und Yamaguchi wurden mit einer Waffe und etwas zu trinken ausgestattet und machten sich dann auf den Weg zum Stau Ende. Der Rest krempelte die Ärmel hoch und begann die Fracks aus dem Weg zu schieben. Kenma setzten sie aufs Dach des Wohnmobils und ließen ihn Wache halten. Wie diese Gruppe aus Überlenden entstanden war, ließ sich nicht mehr genau rekonstruieren. Begonnen hatte in erster Linie alles mit Kageyama, Hinata, Yachi und Yamaguchi, die sich durch Zufall im selben Flüchtlingscamp befunden hatten. Als dieses von den Schnappern überrannt wurde, gelang es ihnen gerade noch so, die Flucht zu ergreifen. Dabei verlor Hinata seine Schwester und Kageyama seine Mutter, was beide sehr mitgenommen hatte. Doch als sie das überwunden hatten, konzentrierten sie sich vorrangig darauf ein fahrtüchtiges Auto zu finden, in dem sie alle ausreichend Platz hatten. Zwei Wochen waren sie gerade einmal unterwegs gewesen, da waren Matsukawa und Hanamaki zu ihnen gestoßen, nachdem sie von Oikawa und Iwaizumi getrennt wurden. Die beiden wussten nicht mal, ob wenigstens einer von ihnen überlebt hatte. So schlossen sich die beiden Gruppen zusammen und machten sich in ihrem gefundenen Wohnmobil auf den Weg nach Tokio, in der Hoffnung dort Hilfe zu finden. Und auf dem Weg dorthin trafen sie dann auf Kenma, Yaku und Lev. Die drei konnte der Gruppe allerdings nur noch mitteilen, dass Tokio nicht sicher war. Also drehte das vollbeladene Wohnmobil um und suchte in den umliegenden Städten nach einem sicheren Ort, an dem man sich langfristig niederlassen konnte. Denn das ständige Umherfahren, Wache halten und wenig schlafen machte auf Dauer mehr als nur müde. Und noch hatten sie die Hoffnung, dass es irgendwo einen Ort geben musste, an dem sie alle sicher sein würden. Jetzt waren sie hier auf dem Highway in Richtung Süden unterwegs. Und standen vor diesem riesigen Problem. Kageyama seufzte frustriert und legte die Hände auf die Motorhaube eines Kombis. Er warf einen Blick durch die Frontscheibe in den Innenraum des Wagens. Vier stark verweste Leichen befanden sich dort. Eine Familie – zwei Kinder. Überrascht von den Schnappern auf dem Weg in Richtung Sicherheit. Vor Wut drückte er so stark gegen die Karosserie, dass seine Fingerknöchel weiß hervor traten. Es machte ihn immer noch unglaublich wütend, wie nachlässig die Regierung mit dem Ausbruch der Seuche umgegangen war. Zuerst hatten sie es heruntergespielt und so getan als würde die Presse die ganze Situation überspitzt darstellen. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur vereinzelte Ausbrüche „der Krankheit“ in kleineren Städten. Sie sei heilbar, hatten sie gesagt. Es wäre keine Epidemie, hatten sie gesagt. Und nur zwei Wochen brach im ganzen Land, auf der ganzen Welt, dass Chaos aus. Überall wimmelte es von lebenden Leichen, die Menschen fraßen, als wären sie das einzige Gericht was existierte. Die Leute flohen aus ihren Häusern, Kinder wurden aus ihren Schulen evakuiert. Das Mobilfunknetz brach zusammen, der Strom fiel ständig aus. Medikamente wurden knapp und die medizinische Versorgung brach zusammen. Viele Leute starben nicht wegen der Seuche, sondern an Krankheiten die unbehandelt blieben. Die Flüchtlingscamps waren ständig überlaufen. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt. Versuchte Zusammenführungen scheiterten an schlechten Kommunikationswegen und an den Schnappern die im Hunger die Konvois überfielen. Einen Monat hielt dieses instabile System aus, danach wurde Krieg ausgerufen und Japan hatte keine Regierung mehr. Es dauerte keine Woche da wurden auch die letzten Flüchtlingscamps überrannt und die wenigen Überlebenden waren von da an auf sich alleine gestellt. Gesetze gab es keine mehr und um das eigene Überleben zu sichern, tat man alles. Menschen machten nicht mal mehr vor anderen Menschen halt. Man war sicherer, wenn man alleine blieb. »Was ist los? Warum stehst du da wie versteinert?« Kageyama erschrak und zog die Hände von der Karosserie weg, als hätte er sich verbrannt. Nervös warf einen Blick über seine Schulter. Hinata stand nicht mal einen Meter von ihm entfernt und sah ihn mit großen Augen und schiefgelegtem Kopf an. Man sah es ihm zwar nicht an, aber er bemühte sich immens darum, nicht durch die Frontscheibe des Wagens zu starren. Hinata ist stark, dass wissen alle aus der Gruppe, aber es gibt Dinge die er nicht verkraftet. Als er das erste Schnapper Kind erschoss, wollte er fast eine ganze Woche lang keine Waffe mehr in die Hand nehmen. Er hätte sich lieber töten lassen, als nochmal jemanden zu erschießen – ganz egal ob Mensch, Tier oder Schnapper. Als Matsukawa mal mit einem geschossenen Kaninchen zurückkam, hätte Hinata sich beinahe übergeben und anschließend hartnäckig dagegen gewehrt auch nur ein Stück davon zu essen. »Ich … ich krieg das Auto nicht weg, es ist zu schwer! Ich schätze er hat den falschen Gang eingelegt!«, sagte Kageyama etwas nervös und versuchte seinem Freund die Sicht zu versperren. Er wollte verhindern, dass sein Freund wieder einen halben Nervenzusammenbruch erlitt. Hinata überbrückte die letzte Distanz zwischen ihnen, nahm die Hände seines Freundes und drückte sie. »Es ist okay – wirklich. Ich weiß, dass es nicht unsere Schuld ist und, dass wir nichts dafür können. Die Fehler haben andere gemacht«, sagte er sich und bemühte sich um ein Lächeln. Doch wie so oft in letzter Zeit missglückte ihm das kläglich. Kageyama lehnte seine Stirn gegen Hinatas. »Ich mach mir nur sorgen um dich! Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Ich will dich nicht verlieren, ich brauche dich um das alles hier zu überstehen!«, sagte er leise aber mit Nachdruck. Hinata lehnte sich ein Stück zurück. Er sah seinem Freund erst tief in die Augen und legte dann die Hände an seine Wangen. »Ich weiß und ich werde auf mich aufpassen.« »Versprochen?« »Versprochen!« Zur Besiegelung ihres Versprechens küssten sie sich. Und obwohl man meinen könnte in dieser Welt wäre es nicht mehr möglich, teilten hier gerade zwei Menschen einen Kuss aus wahrer Liebe. Denn nicht mal eine Apokalypse konnte die Liebe auslöschen. Und genau aus diesem Grund hörten um sie herum alle auf zu arbeiten und bedachten das Paar vor ihren Augen mit einem träumerischen Lächeln. Hanamaki trat an Matsukawa heran. »Ich werde dir jetzt nicht dasselbe Versprechen abringen, aber ich will von dir wenigstens hören, dass du mich liebst!« Sein Gegenüber begann verschmitzt zu grinsen. »Seit wann bist du denn so gefühlsdusselig?« »Seit die Welt ein verdammter Friedhof geworden ist und jetzt hör auf Blödsinn zu reden und schieb weiter! Ich will heute noch fertig werden!« »Willst du es jetzt immer noch hören?« »Nein, Idioten sind nicht fähig zu lieben!« Matsukawas Grinsen wurde noch breiter. Er griff nach den Hüften seines Freundes und zog ihn so dicht an sich heran, dass kein Blatt Papier mehr zwischen sie gepasst hätte. »Ich liebe dich«, flüsterte er die drei kleinen Worte, die für niemand anderes Ohren bestimmt waren. Dann küsste er seinen Freund auf die Stirn, bevor dieser eine blöde Antwort geben konnte. Gleichzeitig dazu, warf Yaku Lev nur einen warnenden Blick zu. »Wage es dich bloß eine Sekunde jetzt das Auto los zu lassen! Sieh zu das wir hier fertig werden, dann kannst du mir später um den Hals fallen!« »Gemeiner Zwerg!« »Ich geb dir gleich Zwerg!« Kenma beobachtete die drei Pärchen vom Dach des Wohnwagens aus und war sehr froh darüber von diesem ganzen Liebesquatsch verschont geblieben zu sein. Es erschien ihm in dieser Welt mehr als Klotz am Bein, als Bereicherung. Aber das musste ja jeder für sich selbst wissen. Er zu mindestens war sehr froh darüber diesbezüglich seine Ruhe zu haben. Am anderen Ende des Karosserie Friedhofs kamen Yamaguchi und Yachi vor einem ausgebrannten LKW, der quer über alle drei Fahrstreifen stand, zum Stehen. Hinter ihm standen drei ausgebrannte Autos, die vermutlich ebenfalls für den Stau verantwortlich waren. Yachi warf einen nervösen Blick über ihre Schulter. »Wir sind jetzt bestimmt an die fünfhundert Meter gelaufen! Wir wären in drei Tagen nicht fertig, wenn wir alle Autos wegschieben würden!« Yamaguchi nickte zustimmend. »Wir sollten zurückgehen und vorschlagen umzudrehen und einen anderen Weg zu suchen. Hier werden wir niemals durchkommen!« Doch gerade, als sie sich auf den Weg machen wollten, hörten sie plötzlich ein Ächzen und Stöhnen. Nervös drehte sich Yachi wieder zu dem Frack um und entdeckte, dass eines der Fahrzeuge ein Loch in die Leitplanke gerissen hatte, durch das nun dutzende von Schnappern strömten. Das Mädchen wollte aufschreien, doch ihr Freund reagierte blitzschnell und hielt ihr den Mund zu. Anschließend dirigierte er sie zum nächsten Auto und übte Druck auf ihre Schultern aus. »Los, unter das Auto! Schnell, schnell!«, sagte er und ging selber in die Hocke. Er schickte Yachi unter das Auto neben sich. Yachi liefen stumm die Tränen übers Gesicht und Yamaguchi versuchte ihr mit einer Geste zu zeigen, dass sie still sein sollte. Er wollte nicht, dass Yachi sie mit einem Schluchzen verriet. Links und rechts schlürften Schnapper an ihnen vorbei. Yamaguchi schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Er hoffte unentdeckt zu bleiben. Aber noch viel mehr hoffte er, dass sich ihre Freunde rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Er versuchte sich abzulenken, zählte die Füße die an ihnen vorbei liefen. 23. 24. 25. Er kniff die Augen zu. Es brachte nichts die Schnapper zu zählen, es waren einfach zu viele. Also zählte er stattdessen die Sekunden, die es brauchte, bis das Ächzen und Stöhnen abebbte, leiser wurde. 183. 184. 185. Als er die Augen wieder öffnete waren weit und breit keine Füße mehr zu sehen, nur Yachi unter dem Auto gegenüber. Ihr liefen noch immer Tränen übers Gesicht. Yamaguchi formte mit dem Mund das Wort ,,Warte“, weil er nichts riskieren wollte. Sie mussten sichergehen, dass keine Schnapper mehr kommen würden, bevor sie sich unter den Autos hervor rollten. 300. 301. 302. Fünf Minuten. Keine Füße. Nur ein leises Ächzen in weiter Ferne. »Warte«, flüsterte Yamaguchi seiner Freundin zu. Er wollte zuerst nachsehen und sie dann holen. Doch Yachi verstand ihn nicht oder hörte ihm nicht zu, denn sie hatte sich bereits halb unter dem Auto hervor gerobbt. Und dann ging alles ganz schnell. Yamaguchi hörte ein Ächzen und sah zwei Paar Füße. Yachi schrie, stand auf und sprang über die Leitplanke. Yamaguchi hörte die Äste der Büsche knacken, sah wie sie den steilen Hang hinab rutschte und dann schließlich aus seinem Sichtfeld verschwand. Die Schnapper dicht hinter ihr. Er wollte ihr folgen, ihr nachrennen, sie beschützen. Doch er hatte zu große Angst, dass ein paar von der Herde umdrehen würden und auch ihn verfolgen würden. Deswegen blieb er unter dem Auto liegen und kniff die Augen wieder fest zusammen. Yachi ist stark, sagte er zu sich selbst, und schnell und schlau. Die Schnapper werden sie niemals bekommen. Doch seine Freundin hatte auch Panik und er wusste nicht mal, ob sie ihre Waffe noch hatte. Nur wie sollte sie sich ohne diese helfen? Yamaguchi hoffte, dass Gott ihm noch einen kleinen Gefallen tun würde! Im selben Moment sah Kenma in der Ferne die ersten Schnapper zwischen den Autos und Lastwagen hervorkommen. »Da kommt eine Herde!«, sagte er und legte sich flach auf das Dach des Wohnwagens. Die anderen warfen sich panische Blicke zu, ehe auch sie unter die Autos krochen die ihnen am nächsten standen. Wo sollten sie auch sonst hin? Kenma versuchte aus seiner Position noch etwas zu erkennen, war aber zu klein, um über den Rand des Daches hinweg schauen zu können. Panik machte sich in ihm breit, während er halbherzig versuchte sich selbst zur Ruhe zu zwingen. Wir wissen genug über diese Viecher, um vor ihnen sicher zu sein, redete er sich selbst ein. Und das war tatsächlich so. Denn sie alle wussten, dass Schnapper in erster Linie auf Bewegungen und Lärm reagierten. Der Geruch war für sie nur zweitrangig, spielte aber in diesem Moment überhaupt keine Rolle. In den herumstehenden Fracks befanden sich immerhin so viele Leichen, dass es bestimmt in einem Umkreis von dreihundert Metern einzig und allein nach Tod und Verwesung roch. Da würden die neun wirklich lebenden Menschen keinen Unterschied machen. Sie wussten auch, dass Schnapper unglaublich einfältige Wesen waren, die weder klettern, noch springen konnten. Wenn sich keiner von den anderen verraten würde, würden die Dinger vermutlich nicht mal auf die Idee kommen, auch unter den Autos nachzusehen. Kenma hoffte, dass keiner von den anderen auf die Idee kommen würde, dass man diese Meute ja auch überwältigen könnte. Für Möchtegernhelden gab es in dieser Welt keinen Platz mehr! Hinata presste sich mit seinem ganzen Körpergewicht an Kageyama. Damit ihm nicht ausversehen ein Schluchzen entweichen konnte, presste er sich selbst die Hände auf den Mund, während Kageyama seine eigenen Arme um den kleinen Körper neben sich legte und beruhigend den Daumen über die Ellbogen kreisen ließ. Matsukawa und Hanamaki sahen sich einfach nur an, erzählten sich wortlos, was sie am anderen am meisten mochten. Und Yaku und Lev hielten sich einfach nur an den Händen, hoffend, dass ihnen so nichts geschehen würde. Yaku schloss die Augen, zählte Wortlos die Sekunden, in denen direkt neben ihm schlürfende Schritte zu hören waren. Jedes Mal wenn ein Schnapper gegen ihr Auto knallte, musste er sich stark zusammenreißen, nicht lauf aufzuschreien und begann von vorne zu zählen. Lev drückte seine Hand immer fester und hatte die andere bereits zu einer Faust geballt. Würde sich eines von den Dingern fallen lassen, um unter das Auto zu gelangen, wäre er bereit. Er würde es zwar aus dieser Position heraus nicht töten können, hatte aber die Gelegenheit sich durch einen Faustschlag etwas Zeit zu verschaffen! Hinata zählte die Minuten die vergingen, seit dem sie schon unter dem Auto lagen. Insgesamt beinahe zehn, bis das Ächzen und Stöhnen weit weg zu sein schien und auch keine Füße mehr zu sehen waren. Doch trotzdem kamen sie nicht unter den Wagen vorbei. Sie wollten ja immerhin nicht die Aufmerksamkeit der Herde erregen, die jederzeit wieder umdrehen konnte, wenn es ihnen im Süden zu langweilig war. Es dauerte geschlagene weitere fünf Minuten, bis Kenma ihnen vom Dach aus leise zu rief, dass die Schnapper verschwunden waren. Unter drei Autos war ein erleichtertes Seufzen zu hören, ehe die sechs jungen Männer darunter hervor krochen und sich gegenseitig in die Arme fielen. So eine Herde hatten die meisten von ihnen noch nie gesehen. Nur für Matsukawa und Hanamaki war das nichts Neues. »Deswegen reist man auch nicht mit so etwas klobigen wie einem Wohnmobil durch die Welt!«, meckerte Hanamaki. »Und Highways sollte man erst recht nicht langfahren, da kommt nämlich meistens genau so etwas bei raus!«, pflichtete Matsukawa bei. »Ja ihr blöden Klugscheißer, das haben wir jetzt auch verstanden«, brummte Kageyama ungehalten und hätte am liebsten die Augen verdreht. Aber das schwächte ja den Gruppenzusammenhalt, hatte Hinata gesagt. Und deswegen würde er sich jetzt auch zusammenreißen – einzig und alleine seinem Freund zu Liebe! Kenma warf noch einen letzten Blick auf die sich teilende Meute und kletterte anschließend das Wohnmobil hinunter. »Wir sollten Yamaguchi und Yachi einsammeln gehen und danach zusehen, dass wir von diesem Friedhof hinunter kommen. Ich will hier nicht sterben und ich glaube, ihr auch nicht!« Zustimmendes Nicken von allen Seiten. Sie entschieden, dass Kenma und Hinata gehen würden, um Yachi zu suchen. Doch als die beiden gerade aufbrechen wollten, tauchte Yamaguchi ganz gehetzt zwischen den PKW auf. Hinata bekam sofort Panik. »Wo ist Yachi? Geht es ihr gut? Wurde sie gebissen? Ist sie verletzt?« »Sie ist weggerannt, weil zwei Schnapper sie entdeckt haben! Sie ist über die Leitplanken gesprungen und im Wald verschwunden?« »Warum bist du nicht hinterher?« Yamaguchi schüttelte weinerlich mit dem Kopf. »Ich hatte Angst und ich wollte bei euch sehen, ob alles in Ordnung ist. Wir haben immer gesagt, dass die Gruppe vor dem Leben eines einzelnen steht«, faselte Yamaguchi. Kenma hatte den Eindruck, dass er gar nicht richtig wusste, was er da eigentlich sagte. »Das heißt wir müssen los und sie suchen gehen!«, rief Hinata in die Runde. Matsukawa und Kageyama warfen sich gegenseitig einen fragenden Blick zu. Für Matsukawa war nach einem kurzen Moment klar, dass er und Hanamaki das kleine Mädchen suchen gehen würden. Denn die beiden, waren die einzigen die auch mit einer größeren Gruppe Schnappern problemlos zu recht kamen. Es war schon damals beim Volleyball so; die beiden konnten hervorragend zusammenarbeiten, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. »Hanamaki und ich gehen los – ihr schaut in den Fracks nach Dingen die wir noch gebrauchen könnten und sobald wir Yachi haben, verschwinden wir von hier!«, bestimmte Matsukawa und verschwand gemeinsam mit Hanamaki über die Leitplanke, bevor jemand von den anderen etwas erwidern konnte. Kageyama drehte sich zu seinen Freunden um. »Na dann«, sagte er und klatschte einmal leise in die Hände, »Lasst uns anfangen!« Dieses Mal durfte Yaku auf dem Wohnmobil Wache halten und Kenma musste mit suchen. Doch mehr als ein paar Klamotten und ein paar Packungen zusammengeschmolzener Gummibärchen fanden sie nicht. »Ich frage mich, wo wir sonst auf Lebensmittel stoßen sollen, wenn nicht hier!«, fragte Hinata missmutig und drehte eine Packung Gummibärchen in seiner Hand hin und her. »Wir werden schon was finden, verlier bloß nicht die Hoffnung!«, antwortete Kageyama und bemühte sich um einen liebevollen Blick. Doch das stimmte Hinata am Ende nur noch pessimistischer. »Früher oder später werden wir sie alle aufgeben müssen, weil es nichts mehr geben wird, worauf es sich zu hoffen lohnt!« Er pfefferte die Gummibärchen zurück in den Kofferraum, machte auf der Ferse kehrt und ging zu einem Wagen, der ganz weit weg von den anderen stand. Kageyama wusste, dass sich sein Freund nur Sorgen um Yachi machte und deswegen solche komischen Dinge sagte. Beunruhigen tat ihn das aber trotzdem ziemlich. »Warum suchen wir eigentlich die Kleine? Sollte das nicht ihr Freund selbst tun?«, meckerte Hanamaki und riss einen Ast vom Baum, der ihm im Weg hin. »Sei nicht so gemein, wir gehören alle zu der Gruppe und wir müssen für einander da sein – und die anderen sind für die Schnapper-Jagd ja wohl kaum geeignet!«, antwortete Matsukawa besänftigend und versuchte die Hand seines Freundes einzufangen. Als er sie zu fassen bekam, drückte er einmal kurz zu und zog Hanamaki anschließend zurück und in seine Arme. »Ich hatte gerade verdammte Angst«, flüsterte der Größere, während er die Arme um den Rumpf des Kleineren schlang. »Weil du ein Riesen Baby bist! Die Schnapper waren nicht mal in unserer Nähe! Lev und Yaku müssen mehr geschwitzt haben als wir«, entgegnete Hanamaki, die Stimme voller Spott. Dabei grinste er seinen Freund verschmitzt an. Dieser streckte ihm einen kurzen Moment die Zunge raus, ehe er sich hinab beugte, um seinen Freund einen kurzen Kuss zu stehlen. »Ich liebe dich Maki – merk dir das! Du kannst noch so ekelig zu mir sein, ich lass dich nicht gehen«, flüsterte Matsukawa gegen die Lippen seines Freundes. »Hast du zum Frühstück Shakespeare gegessen? Ist ja ekelhaft«, antwortete Hanamaki grinsend, drückte seine Lippen aber auch noch einmal auf die seines Freundes. Niemand würde ihm dieses Geständnis jemals entlocken können, aber er brauchte Matsukawa, um diese ganze Katastrophe irgendwie zu überstehen und nicht verrückt zu werden. Sie teilten in den darauffolgenden Sekunden einen ihrer wenigen leidenschaftlichen Küsse. An diesen Momenten würden sie niemals einen anderen Menschen teilhaben lassen, denn dass waren die Zeitpunkte, die nur ihnen gehörten. Egal ob Apokalypse oder nicht: Zweisamkeit war ihnen heilig! Und außerdem fanden sie es unästhetisch, sich das Gesicht vor anderen abzulecken. Sie lösten sich voneinander und sahen sich tief in die Augen. »Beschützt du mich?«, fragte Hanamaki. Im Moment war ihm total egal wie kitschig das ganze klang. Er wollte nur von seinem Freund hören, dass er auf ihn aufpassen würde. Matsukawa lachte leise. »Ja Monsterchen, ich pass auf dich auf und jetzt lass uns Yachi suchen gehen, bevor die Schnapper sie zuerst finden!«, antwortete Matsukawa leise. Hanamaki nickte und sie machten sich Hand in Hand auf den Weg. Doch auch als die Dämmerung einsetzte, hatten sie das kleine Mädchen nicht gefunden. Und weil es bei Dunkelheit im Wald zu gefährlich wurde, gingen sie zurück zu den anderen. Diese waren natürlich nicht sehr erfreut über die erfolglose Suche. »Habt ihr euch wenigstens gemerkt, wo ihr überall gesucht habt, damit wir morgen nicht an derselben Stelle nochmal suchen?«, fragte Hinata pikiert. Yamaguchi bekam gar kein Wort mehr heraus, weil er sich schreckliche Vorwürfe machte. Immerhin war es seine Schuld das Yachi jetzt alleine durch den Wald irrte. »Wir sind alles nördlich und westlich von hier abgelaufen! Sie kann also nur nach Osten gegangen sein!«, schlussfolgerte Matsukawa und säuberte seine Doppelschwerter. Schnapper gab es in diesem Waldstück reichlich. Die meisten von ihnen musste flüchtige dieses Karosseriefriedhofs sein. Zu mindestens waren sie so gekleidet. »Da ist ‘nee kleine Stadt! Wenn sie es so weit geschafft hat, findet sie vielleicht wenigstens einen sicheren Unterschlupf für die Nacht!«, fügte Hanamaki hinzu und zählte seine Wurfmesser. Drei hatte er wieder verloren und wenn das so weiter ging, müsste er sich bald eine andere Waffe zu legen. Die Gruppe schwieg, bis Lev herzhaft gähnte. »Das hat doch so alles keinen Sinn!«, sagte er. »Lasst uns schlafen gehen und morgen weitersuchen! Wir sind alle fertig und brauchen etwas Ruhe!« Der Rest der Gruppe überlegte einen kurzen Moment, ehe sie zustimmend nickten. Kenma und Yaku erklärten sich dazu bereit die erste Nachtwache zu übernehmen und der Rest versuchte es sich im Wohnmobil und dem dahinter geparkten VW-Bus gemütlich zu machen. Yaku organisierte aus einem der umher stehenden Fracks zwei Campingstühle, die die beiden auf das Dach des Wohnmobils wuchteten. Sie fläzten sich hinein und öffneten zwei Dosen Limo, die sie heute gefunden hatten. Gemeinsam schwiegen sie eine ganze Weile, bis Yaku sich irgendwann räusperte. »Denkst du die anderen sind noch irgendwo?«, fragte er ohne den Blick vom Sternen übersäten Himmel abzuwenden. Kenma zuckte mit den Schultern. »Wer weiß. Ein paar konnten sich bestimmt retten – ein paar andere werden zu schwach gewesen sein!« »Kuroo?« »Wird bestimmt bei einer blöden, unüberlegten draufgängerischen Idee drauf gegangen sein! Würde mich nicht wundern, wenn er uns irgendwann als Schnapper über den Weg läuft«, antwortete Kenma desinteressiert. Er wusste gut genug, dass man den ehemaligen Kapitän von Nekoma so wieso von nichts abhalten konnte, was er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte. »Würdest du ihn töten können?« »Vermutlich schon! Ich schätze, wenn er sprechen könnte, würde er uns sogar darum anflehen!« »Denkst du?« »Klar, so ist Kuroo nun mal: Ein wenig verrückt, aber kein Monster!« Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- »Scheint so, als müssten wir noch eine Weile länger hier in der Gegend bleiben«, sagte Sugawara. Er klang dabei nur nicht so bedrückt, wie er sollte. »Ja super – wir sollten anfangen Bilder in der Polizeiwache aufzuhängen! Man soll sich ja schließlich wohlfühlen, wenn man nach Hause kommt!«, brummte Kuroo ungehalten. Ihm passte es gar nicht, dass sie noch weitere Wochen in der Polizeiwache verharren wollten. Beim Laufen versuchte er seinen angeschwollenen Knöchel in Augenschein zu nehmen. Nur leider erkannte man in der Dunkelheit kaum etwas. Nicht mal der Waldboden war richtig zu sehen, folglich konnte man nur erahnen worauf man trat. Den Sprung aus dem 1. Stock des Schulgebäudes hatten sie beide unterschiedlich gut überstanden. Sugawara war mit ein paar kleinen Schnittverletzungen davongekommen an Händen und Knien davongekommen. Vermutlich würden auch die ein oder anderen Blutergüsse in den nächsten Tagen die weiße Haut der Schienbeine zieren. Kuroo hingegen war falsch aufgekommen und hatte sich den Knöchel – glücklicherweise nur – verstaucht. Deswegen musste er sich jetzt von Sugawara stützen lassen und humpelte unter anhaltenden Schmerzen durch den Wald. Ihnen war klar, wie angreifbar und verwundbar sie waren. Denn Kuroo schaffte es in seinem momentanen Zustand nicht mal einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens zu spannen. »Hast du nicht auch mal daran gedacht, wie es wäre länger dort zu bleiben? Es sich dort bequem zu machen, zu überlegen wie man sich dort langfristig einrichten kann?«, fragte Sugawara wehleidig. Kuroo zog eine Augenbraue hoch. »Wir würden das maximal zwei Monate aushalten und dann entweder verhungern oder verdursten. Hier in der Umgebung ist nichts. Wie sollen wir denn hier lange überleben? Wasserflaschen wachsen nicht an Bäumen und Lebensmittel auch nicht unbedingt!« Sugawara ließ die Schultern hängen. Irgendwie hatte Kuroo recht, aber er war es leid ständig von Ort zu Ort zu fahren, in der Hoffnung auf ein sicheres Plätzchen, nur um dann jedes Mal wieder enttäuscht zu werden. »Wir sollten über den Highway gehen um dein Bein zu entlasten!«, schlug Sugawara vor, um das vorherige Thema zu beseitigen. Er wollte sich jetzt nicht streiten. Das machte unaufmerksam und lockte Schlürfer an. »Spinnst du?«, fragte Kuroo schockiert und musste sich stark zusammenreißen, damit ihm die Gesichtszüge nicht entgleisten. »Landstraßen und Autobahnen sind Friedhöfe – todbringende Friedhöfe! Ist es jetzt etwa soweit? Möchtest du sterben?« Sugawara blinzelte verwirrt. »Möchtest du die ganze Strecke über den Waldboden humpeln? Denkst du, das ist gut für deinen Fuß? Das macht also nur noch schlimmer!« Kuroo verzog das Gesicht und sagte nichts. »Okay, wenn du dich querstellst, dann suchen wir uns eine Hütte und verbringen die Nacht dort! Ich werde so mit dir bestimmt nicht bis zur Polizeistation zurücklaufen! Da sind wir ja morgen Abend noch unterwegs!« Kuroo würde am liebsten laut und deutlich „nein“ sagen, verkniff es sich aber. Er sah selbst ein, dass er im Moment der letzte war, der irgendwelche Forderungen stellen konnte. »Häuser fallen nicht einfach vom Himmel! Hast du gestern auf dem Hinweg eins gesehen? Also ich nicht!«, startete Kuroo den letzten Versuch, Sugawara zu überreden doch noch zur Polizeiwache zurück zu laufen. An dem Blick seines Gefährten sah er schon, dass er ihn soweit hatte. Doch im gleichen Moment schob Sugawara einen Ast zurück und vor ihnen erschien ein alleinstehendes Einfamilienhaus mit Garage und gläsernem Gewächshaus im Garten. Das Gebäude hatte seine besten Tage zwar eindeutig hinter sich und der ein oder andere Schlürfer hatte es auf seiner Reise durchstöbert. Aber alles in allem konnte man hier die Nacht auf jeden Fall ruhen. »Von wegen Häuser fallen nicht einfach so vom Himmel«, murmelte Sugawara vor sich hin und schleifte Kuroo zur Veranda. Vorsichtig setzte er ihn auf einem zerflickten Schaukelstuhl ab und reichte ihm eines seiner Messer. Mit Pfeil und Bogen konnte Kuroo im Sitzen nämlich nicht umgehen – das wusste Sugawara aus Erfahrung. »Ich durchsuch das Haus – Schrei wenn was ist!« »Ja, ja Mama ich warte hier und gehe nicht mit Fremden mit!« Sugawara verdrehte die Augen und betrat das Haus. Die Tür stand sperrangelweit offen. Alles war voller Staub und mit hereingewehten Blättern bedeckt. Die Möbel standen kreuz und quer und deuteten stark darauf hin, dass hier bereits andere auf der Durchreise genächtigt hatten. Die Stoffe stanken nach Verwesung und Tod, was Sugawara nicht im Geringsten wunderte. Selbst seine Kleidung nahm diesen Geruch an, wenn er sich zu lang im Freien aufhielt, aber meistens empfand man den beißenden Gestank gar nicht mehr als störend – beängstigend wie schnell man sich an so etwas gewöhnen konnte. Das Untergeschoss war leer, außer ein wenig Blut im Badezimmer gab es hier nichts zu sehen. Sugawara vermutete, dass hier jemand gestorben war und dann als Schlürfer das Weite gesucht hatte. Mit Vorsicht und gezücktem Messer stieg er die Treppe empor. Doch auch in den Zimmern oben gab es nur eingeschlagene Fensterscheiben und beißenden Geruch. Zufrieden grinsend ging Sugawara wieder nach unten, um Kuroo zu holen. Doch der Schaukelstuhl war bis auf Sugawaras Rucksack leer. Pfeil und Bogen lehnten an der Hauswand und weit und breit war nichts und niemand zu sehen. »Kuroo? Das ist nicht lustig – wo bist du?«, rief Sugawara leise und scannte aufmerksam jeden Quadratzentimeter Wald ab. Schlussendlich sah er ein, dass es keinen Sinn hatte. Vermutlich hatte Kuroo eine herumrennende Reisetasche oder eine überdimensionale wegrollende Konservendose gesehen und war trotz verstauchtem Knöchel nicht aufzuhalten gewesen. Es könnte ja lebensrettend für sie alle sein! Sugawara verdrehte die Augen. Er hätte ihn doch umbringen sollen, nachdem sie den Sprung aus dem Schulgebäude überlebt hatten! Er überlegte einen kurzen Augenblick, entschloss sich dann aber dazu Kuroo zu folgen. Während er dessen Pfeil und Bogen sicher im Haus verstaute, fragte er sich wann das endlich ein Ende haben würde. Mussten sie Kuroo etwa erst fesseln um ihn aufzuhalten? Als Sugawara wieder vor dem Haus stand, fragte er sich in welche Richtung Kuroo gegangen sein könnte. Der Wald war weitläufig und egal in welche Richtung man ging, man kam irgendwo an. Gängen sie zurück in Richtung Norden, würden sie wieder an der Schule ankommen. Richtung Westen war der Highway; in Richtung Süd-Osten sind Stadt und Polizeiwache. Kuroo könnte überall und nirgends sein, Sugawara würde sich die Füße wundlaufen um ihn zu finden. Als er heute Morgen aufgebrochen war, hatte er wenigstens eine Ahnung gehabt in welche Richtung er gehen musste, doch jetzt hatte er gar keinen Anhaltspunkt. Unzufrieden mit der Situation stampfte er mit voller Wucht auf den Boden auf und warf einen zweifelnden Blick in Richtung Himmel. Daichi, flehte er stumm, pass auf das ihm nichts passiert – bitte. Dann stiefelte er einfach los, darauf hoffend das sein toter Freund ihm den richtigen Weg weisen würde! Er ging zweihundert Schritte, von denen er jeden einzelnen mitzählte, in ein und dieselbe Richtung. Danach beschloss er die Bäume um sich herum so zu markieren, dass er den Weg zum Haus auf jeden Fall wiederfinden würde. Es brachte keinen von ihnen weiter, wenn er sich jetzt verlaufen würde. Also ritzte er mit seinem Messer in drei Bäume einen Pfeil, der in die Richtung zeigte, aus der er gekommen war. Erst als er fertig war mit seinem Werk lief er weiter. Dieses Mal zwei hundert Schritte nach links. Auch dann markierte er die Bäume. Zwei so, dass sie zu der Stelle zeigten, von der er gekommen war und zwei so, dass sie in die ungefähre Richtung des Hauses zeigten. Als nächstes wollte er zweithundert Schritte nach rechts gehen, doch bevor er den ersten Fuß vor den anderen setzen konnte, raschelte etwas neben ihm in einem der Gebüsche. Erschrocken machte er einen Satz zurück und zückte seine beiden Messer. Während seines Marsches war er nur einem einzigen Schlürfer begegnet, was ziemlich ungewöhnlich war. Gerade, weil sie nachts eigentlich am aktivsten sind. »Hey – wer ist da? Kuroo bist du’s?«, fragte Sugawara leise in die Stille hinein und ging einen kleinen Schritt auf die Büsche zu. Es raschelte wieder. Was auch immer dahinter auf ihn wartete, war weder ein Schlürfer, noch ein wildes Tier. Ein Schlürfer hätte sich bereits durch ein Geräusch verraten und wäre blindlinkslos losgestürmt und ein wildes Tier hätte das Weite gesucht. Es konnte also nur ein anderer Mensch sein. Entweder Kuroo, der sich einen Spaß erlauben wollte oder jemand völlig Fremdes. Ob Freund oder Feind würde Sugawara gleich herausfinden. Er steckte eines seiner Messer zurück in die Tasche an seinem Gürtel und griff nach dem erst besten Ast, den er am Waldboden zu fassen bekam. Dann machte er einen weiteren Schritt auf das Gebüsch zu. »Wer ist da? Ich warne dich Kuroo: Versuchst du mich zu verarschen, ramm ich dir mein Messer in den Kopf!« Im nächsten Moment teilten sich die Äste und die Person die dahinter lauerte stürmte auf Sugawara zu. Und dieser holte bereits aus! ɸ Oikawa hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, wie lange er die Sterne und den Mond angestarrt hatte. Er hatte versucht sich vorzustellen, dass Iwaizumi ihm einen Rat geben würde. Doch der Vollmond sagte nichts und verhöhnte ihn stattdessen mit seinem hellen Glanz. Irgendwann hatte Oikawa sich auf die Seite gedreht, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen. Und dann hatte er auf die leeren Straßen des kleinen Dorfes gesehen. Es kam ihm komisch vor, dass nirgendswo ein Schlürfer zu sehen war, nicht ein einzelner. Wie bei einem Tsunami, dachte er, erst geht das Wasser zurück und dann trifft es mit voller Wucht auf den Strand auf. Doch im nächsten Moment schallte er sich selbst einen Idioten. Denn Schlürfer gruppierten sich nicht absichtlich und erst nicht mit einem festen Ziel. Wenn sie eine Horde von ihnen zusammengeschlossen hatte, dann lösten sie sich meistens auch genauso schnell wieder auf. Zum Beispiel wenn sie eine Mahlzeit zu sich nahmen. Die, die davon nichts abbekamen schlürften weiter und die anderen erhoben sich irgendwann von ihrem essen und gingen vielleicht in eine ganze andere Richtungen. Akashi hatte ihm das erklärt. Akashi war überhaupt der einzige gewesen der sich Zeit genommen hatte, die Schlürfer zu studieren. Aber er hatte es getan und alles in einem Buch niedergeschrieben. Oikawa wusste, dass es Tage gab, an denen Akashi nur mit nach draußen ging, um die Schlürfer zu studieren. Er wollte keine Lebensmittel oder Getränke finden. Ihn interessierte nur, wie man Schlürfer am besten töten konnte, ohne sich selbst einer großen Gefahr auszusetzen oder noch mehr von ihnen anzulocken. Akashi war auch derjenige gewesen, der herausgefunden hatte, dass Schlürfer nicht schwimmen können, aber vermutlich auch nicht ertranken. Er ging einfach davon aus, dass sie am Grund eines Gewässers weiter ihr Unwesen trieben, bis sie irgendwann endgültig sterben würden. Das auch Schlürfer irgendwann tot umfielen, da war sich Akashi sicher. Es dauerte nur eben länger, als bei Menschen – wesentlich länger! Erst, als Akashi ihnen sein Buch gegeben hatte und sie dazu angestiftet hatte, seine Notizen nachzulesen, hatten die anderen sich darüber Gedanken gemacht wie ein Schlürfer tickte. Seit dem füllte Akashi sein Buch nicht mehr alleine und wir anderen achteten mehr auf die Schlürfer und gaben ihm weiter, was sie sahen. Ein frischer, langsamer Wind zog auf. Er war nicht unangenehm, aber doch recht kühl. Deswegen schnappte sich Oikawa seinen Baseballschläger und ging zurück zu den anderen. Er beschloss, sich mit Tsukishima auszusprechen. Denn er wollte keinen Streit. Sugawara hatte recht; das schwächte den Gruppenzusammenhalt. Doch als er zurück in ihr umfunktioniertes Büro kam, fehlte von Tsukishima jede Spur. Nervös warf Oikawa Akashi einen Blick zu, der nur mit den Schultern zuckte. »Er hat sich Bokutos Katana ausgeborgt und ist deinen Freund suchen gegangen; keine Sorge, dem passiert schon nichts!« Es gefiel Oikawa nicht, dass Akashi so ruhig blieb und nicht darauf bestanden hatte, Tsukishima zu begleiten. Aber vermutlich war er sowieso der Meinung alleine schneller und flexibler zu sein. Und wenn er Bokutos Katana mitgenommen hatte, konnte man ihn auf seiner Samurai-Tour eh nicht stoppen. Also redete sich Oikawa ein, dass es Tsukishima gut ging und das ihm schon nichts passieren würde, ehe er eine Dose Suppe aus ihren schrumpfenden Nahrungsvorräten nahm und den Gaskocher anschaltete. »Wir essen jetzt was! Bokuto brauch dringend irgendetwas warmes!«, sagte Oikawa um sich zu rechtfertigen. Es war ein schreckliches Gefühl, einen Grund dafür finden zu müssen, damit einen keiner schief ansah, sobald man etwas aß. Doch in der heutigen Welt, konnte man nicht mehr essen, wenn man Appetit verspürte. Erst, wenn der Hunger so groß war, dass man es kaum noch aushielt. Denn Lebensmittel wurden knapp und mussten streng rationiert werden. Umso mehr man sich zurücknahm, umso länger würde man am Leben bleiben! Akashi legte seinem Freund die Innenseite seiner Handgelenke auf die Schläfen und seufzte danach leise. Er war selbst mittlerweile so erhitzt, dass er nicht mehr wirklich unterscheiden konnte, ob Bokuto nun Fieber hat oder nicht. »Würdest du herkommen und fühlen, ob Bokutos Fieber gestiegen ist? Ich bin zu warm, um das richtig unterscheiden zu können.« Oikawa nickte. »Ja, warte nur einen kleinen Moment. Ich schaue eben ob die Suppe schon köchelt.« Er warf einen kurzen Blick in den Topf, machte den Deckel anschließend wieder drauf und ging zu Akashi und Bokuto hinüber. Vorsichtig legte er ihm ebenfalls die Innenseiten seiner Handgelenke auf die Stirn. Er fühlte ein-, zweimal an verschiedenen Stellen, ehe er aufsah und … lächelte. »Das Fieber ist gesunken! Gestern war es viel schlimmer! Er wird wieder gesund!« Akashi seufzte leise erleichtert, ehe er seinem Freund Küsse auf das ganze verschwitzte Gesicht hauchte. Oikawa beobachtete die beiden verträumt. Zu seiner Überraschung stellte er sich vor, wie es wäre selbst dort zu liegen. Doch es war nicht Iwaizumi der sein Gesicht küsste, sondern Sugawara. Oikawa fragte sich, ob es mit ihm irgendwann genauso sein würde, wie mit Iwaizumi. Und er freute sich darauf das herausfinden zu können. Vorausgesetzt Tsukishima würde ihn finden und wieder zurückbringen. Sie löffelten die Blechtassen so hastig aus, als hätten sie schon vor Monaten die letzte warme Mahlzeit zu sich genommen. Dabei waren es dieses Mal nur zwei Tage gewesen. Bokuto schaffte es sogar, sich zu bedanken und zu lächeln, ehe er wieder in seinem Schlafsack zusammensackte. Oikawa sammelte die Tassen ein. Akashi warf einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster. »Was ist los?«, fragte Oikawa. »Warum ziehst du so ein Gesicht? Deinem Freund geht es wieder besser und du solltest lächeln!« »Ich weiß. Es ist nur – ich« »Du – was?«, hakte Oikawa mitfühlend nach und ließ sich neben dem jüngeren an der Wand hinab sinken. »Nichts, ich hab nur nachgedacht.« »Und über was? Es muss ja was schlimmes sein, wenn du danach so ein Gesicht ziehst!« »Ich habe mich gefragt, wann das endlich aufhören wird!« »Was meinst du?« Oikawa legt den Kopf schief. Er hat das Gefühl im Moment gar nichts mehr zu verstehen. Wenn Bokuto sein Freund wäre, dann würde er sich im Moment über gar nichts anderes mehr Gedanken machen, außer darüber, dass sein Freund die Infektion lebend überstehen würde und bald wieder auf die Beine kam. Doch in Akashis Kopf schien noch viel mehr vorzugehen. »Ich frage mich, wann wir endlich einen Ort finden, an dem wir bleiben können, an dem wir nicht ständig von irgendjemandem vertrieben werden. Ein Ort, wo nicht ständig jemand draußen herumstöbern muss und sein Leben aufs Spiel setzt«, sagte Akashi und nahm Bokutos Hand in seine, um sie fest zu drücken. »Irgendwo muss es doch einen Ort geben, an dem wir sicher sind!« Oikawa wusste nicht was er dazu sagen sollte. Deswegen lächelte er nur und drückte Akashis Schulter. »Genau so einen Ort wird es geben und wir werden ihn finden – gemeinsam! Gib nur die Hoffnung nicht auf!« »Niemals!« ɸ Yaku döste etwas in seinem Stuhl vor sich hin, während Kenma auf dem Dach des Wohnmobils auf und abging. Das Gewehr vorsichtshalber bereits im Anschlag. »Die Schnapper werden sich schon bemerkbar machen – du solltest dich auch ein wenig ausruhen! Morgen scheuchen die uns sicherlich wieder über den ganzen Highway … oder quer durch den Wald!«, murmelte Yaku vor sich hin. »Die Schnapper vorhin hätten wir beinahe auch zu spät bemerkt – ich will etwas vorsichtiger sein!« Yaku gähnte und rieb sich die Augen. »Seit wann sorgst du dich denn um das Wohl der Gruppe?« »Ich kann und will ohne euch nicht in dieser Welt leben!« Im VW-Bus weckte gleichzeitig Matsukawa auf. Er warf einen kurzen Blick gen Himmel und drehte sich auf die andere Seite, als er feststellte das noch tiefste Nacht war. Doch auch Hanamaki lag wach und starrte seinen Freund mit wachsamen Augen an. Matsukawa gähnte leise. »Warum bist du wach?«, fragte er schläfrig und klang dabei ganz benommen. Er schlang einen Arm um den Körper seines Freundes, zog ihn näher an sich heran und wollte ihn eigentlich dazu bewegen die Augen wieder zu schließen. Doch da hatte er die Rechnung ohne Hanamaki gemacht. Denn dieser seufzte nur leise. »Ich kann nicht schlafen – ich mach mir Sorgen um Yachi!« Matsukawa war noch immer nicht ganz da, löste aber sorgsam seinen Arm von seinem Freund. Nun sah auch er seinen Freund aufmerksam an. »Du hast jetzt aber nicht vor mitten in der Nacht durch den Wald zu rennen oder? Dieser Gesichtsausdruck gefällt mir nicht!« »Du erkennst mein Gesicht kaum Blödmann!« »Aber ich sehe genug, um zu wissen was du vor hast und ich sage dir gleich, dass das eine ganz dumme Idee ist!«, antwortete Matsukawa fürsorglich. Er würde seinen Freund zwar nicht alleine durch den Wald rennen lassen, aber bevor es so weit kommen würde, wollte er wenigstens alles probieren um ihn im Bett zu behalten. Denn eine Suche bei Nacht befand er für noch aussichtloser, als eine Suche bei Tag. Die Schnapper waren nachts aktiver und die Umgebung schlechter zu kontrollieren. Außerdem war Yachi sicherlich noch viel ängstlicher als heute Mittag und wenn sie Pech hatten noch weiter vom Weg abgekommen, als sowieso schon. Am Ende würden sie sich vielleicht selbst auch verlaufen. Und Matsukawa war sich sicher, dass nichts – aber auch absolut überhaupt nichts – die anderen dazu bewegen könnte, im Wald nach ihnen zu suchen. »Ich weiß, dass die Idee nicht klug ist«, antwortete Hanamaki hin und hergerissen. »Aber solange sie alleine im Wald herumirrt bekomme ich kein Auge zu! Du weißt wie unfair das ist; sie ist klein, ängstlich und kann nicht mal ihre Pistole halten, ohne direkt zu zittern wie Espenlaub. Wenn ihr Weg einen Schnapper kreuzt, dann wird sie sterben und das will ich verhindern!« Nun war es an Matsukawa zu seufzen. »Du bist mir zu gefühlsdusselig geworden, seit dem die ganze Scheiße hier passiert ist! Und deinen Verstand hast du auch irgendwo verloren!« Hanamaki setzte sich auf. »Das heißt wir gehen los und suchen sie? Jetzt gleich? Sofort?« Auch sein Freund setzte sich auf und rieb sich beide Hände übers Gesicht, um auch das letzte bisschen Müdigkeit daraus zu vertreiben. »Manchmal habe ich echt das Gefühl, du würdest an einer gespaltenen Persönlichkeit leiden … oder so ähnlich!« Hanamaki grinste süffisant und knuffte seinem Freund in die Seite. »Gib’s zu: Das gehört zu den Dingen du so sehr an mir liebst oder?« Statt einer Antwort zog Matsukawa ihn an sich und gab ihm einen harmlosen Kuss auf dem Mund, ehe er ihm sagte, er solle endlich seine Schuhe anziehen. Kenma und Yaku schwiegen. Kenma ging noch immer auf dem Wohnmobildach auf und ab und Yaku saß in seinem Stuhl, starrte den Sternenverhangenen Himmel an. »Ein paar von ihnen leben noch, dass weiß ich«, murmelte er leise vor sich hin. Doch es war immer noch lautgenug, dass auch Kenma seine Worte verstand. »Was meinst du damit?« »Es sind nicht genug hellleuchtende Sterne! Sie reichen nicht für all unsere Freunde und Bekannten!« Kenma verdrehte die Augen. Er hatte keine Lust mehr, sich über die anderen Gedanken zu machen. Selbst wenn sie noch am Leben waren, würden sie sich bestimmt niemals über den Weg laufen. Immerhin ist die Insel auf der sie sich befinden groß und wenn sie immer in die entgegengesetzte Richtung fahren, begegnen sie sich sowieso niemals. Yaku sollte also mit der Träumerei aufhören und im hier und jetzt ankommen. Genervt warf Kenma Yaku einen kurzen Blick zu, ehe er die Leiter hinab stieg. Yaku war sofort auf den Beinen. »Wo willst du hin?« »Kageyama und Hinata wecken – ich bin müde!« Yaku verdrehte die Augen, ehe er sich sein Gewehr angelte und seinem ehemaligen Teamkollegen folgte. Doch gerade als Kenma die Tür zum Wohnmobil öffnen wollte, stiegen Matsukawa und Hanamaki aus dem VW Bus aus. Die vier Jugendlichen sahen sich kurz an, ehe Hanamaki spöttisch das Gesicht verzog. »Was ist? Schon müde?« »Ja, war anstrengend heute – was ist mit euch? Schon wieder munter?« Hanamaki setzte bereits dazu an, etwas sagen zu wollen, wurde von seinem Freund allerdings zurückgedrängt. »Wir gehen nochmal los und suchen Yachi - Vielleicht haben wir ja dieses Mal Glück und sie ist auf der Suche nach einem Unterschlupf in unserer Richtung gelaufen.« »Ihr solltet lieber warten bis morgen früh und dann mit uns gemeinsam gehen! Ihr wisst doch gar nicht mehr wo ihr heute schon gesucht habt … Und selbst wenn; Yachi könnte genau dort jetzt sein! Ihr schafft es niemals alleine das Waldstück zu durchqueren!«, antwortete Yaku, die Stimme voller Sorge. Er hatte es noch nie gemocht, wenn sich die Gruppe aufteilte. Am liebsten würde er die anderen an sich ketten, damit er sie ständig um sich herum hatte. Denn wenn sie sich trennten, waren sie angreifbarer. Doch Hanamaki und Matsukawa legten eine Entschlossenheit an den Tag, die sich von nichts und niemandem aufhalten ließ. »Wenn ihr morgen dazu stoßen wollt, dann fangt einfach an zu suchen – es kann nicht schaden wenn wir manche Orte zwei oder drei Mal absuchen!« Yaku und Kenma wollten dazu noch etwas sagen, aber in dem Moment schwangen sich Hanamaki und Matsukawa bereits über die Leitplanke und verschwanden in der Dunkelheit des Waldes. »Sie werden sie nie finden – dafür haben sie gar nicht den nötigen IQ!«, sagte Kenma spöttisch. Und mit diesen Worten öffnete er die Tür zum Wohnwagen und verschwand im inneren. ɸ »Und du denkst wirklich, dass Yachi den Fluss durchquert hat? Schau dir mal die Stromschnellen an – das hätte sie niemals geschafft!«, sagte Matsukawa skeptisch. »Aber stell dir mal vor ein Schnapper wäre hinter ihr her gewesen? Denkst du nicht, dass sie dann alles Erdenkliche versucht hätte?«, entgegnete Hanamaki herausfordernd. Sie beide warfen dem Fluss erneut nachdenkliche Blicke zu. Aber Matsukawa blieb bei seinem Entschluss. Der Fluss war viel zu breit und zu tief, als das Yachi hätte ohne Hilfe hindurchgehen können. Und sie hatte wohl kaum genug Kraft in Armen und Beinen um gegen die Strömung anzukommen. Schließlich gab auch Hanamaki nach und seufzte. »Okay, dann hat sie den Fluss halt eben nicht hier durchquert, aber wer sagt, dass die Strömung überall so stark ist? Es kann durchaus Stellen geben an denen der Fluss flach und ruhig ist!« Matsukawa stöhnte. »Okay Maki, so kommen wir nicht weiter! Wir können uns nicht darüber streiten, ob sie den Fluss hier oder dort durchquert hat! Wir müssen uns einig werden ob sie überhaupt hindurchgegangen ist und wenn ja, ob wir dann auf der anderen Uferseite suchen sollen oder nicht!« Sie schwiegen, denn sie wussten das Yachi überall und nirgends sein konnte. Es war nicht so, dass sie ruhig an einer Stelle auf Rettung warten würde. Sie bewegte sich um selbst den Rückweg zu finden. »Wir sollten zurückgehen und morgen mit den anderen gemeinsam suchen! Dann hinterlassen wir Hinweise für sie und wenn wir Glück haben findet sie von ganz alleine zurück!« Ganz überzeugt war Hanamaki von der Idee nicht, aber so würden sie nicht weiterkommen. Bevor er seinem Freund allerdings eine Antwort geben konnte, knackte es hinter ihnen im Gestrüpp. Es war ein antrainierter Reflex, dass die beiden sofort zu ihren Waffen griffen und sich umdrehten. »Wer ist da?«, fragte Hanamaki und holte bereits mit dem ersten Wurfmesser aus. Eine Antwort bekamen die beiden nicht, also wiederholte Matsukawa die Frage. »Komm raus oder wir schießen! Wir haben Gewehre und sind ziemlich treffsicher!« »Okay, okay!« Die Person trat mit erhobenen Händen hinter dem Gebüsch hervor und grinste schief. »Hi Jungs!« Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Sugawara konnte noch immer nicht glauben wer da vor ihm im Gebüsch hockte. Völlig verängstigt und kreideweiß im Gesicht. Niemals hätte er daran gedacht, dass Yachi noch leben könnte – das er sie nochmal zu Gesicht bekommen würde! Sie starrten sich an. Sie sahen sich einfach nur tief in die Augen, suchten nach Anzeichen dafür, dass sie nur träumten. Aber dann strecke Yachi den Arm aus und zog an Sugawaras Ärmel. Und als sie spürte, dass er wahrhaftig vor ihr stand, sprang sie wie von der Tarantel gestochen auf und fiel ihm um den Hals. »Oh mein Gott, oh mein Gott!«, sagte sie immer und immer wieder. Sie schlang die Arme noch fester um Sugawara und ließ den Tränen freien Lauf. Sie weinte vor Glück und vor Angst, schämte sich aber nicht dafür. In dieser Welt brauchte man sich für Tränen nicht zu schämen! Auch Sugawara liefen ein paar Tränen über die Wangen. Er freute sich tierisch darüber Yachi zu sehen. Und hätte sie am liebsten noch etwas länger im Arm gehalten. Doch es gab wichtigeres zu klären. Entschieden drückte er sie von sich weg. »Bist du alleine oder hast du eine Gruppe? Sind da noch andere von uns dabei? Wo habt ihr euer Lager? Wie viele seid ihr?« Sugawara rief sich selbst zur Ruhe. Er sollte Yachi nicht gleich überfordern und seine Neugier zügeln. Yachi schien die Aufregung allerdings auch zu packen. Angetrieben vom Adrenalin das ihre Adern plötzlich durchfloss, sprang sie einen Schritt nach vorne. »Ich bin nicht alleine, meine Gruppe befindet sich gerade auf dem Highway und ich finde den Weg dorthin nicht mehr!« »Und mit wem bist du unterwegs? Irgendjemand den ich kenne? Jemand von der Karasuno?« Sugawara konnte sich nicht zügeln und griff vor Aufregung nach Yachis Händen. »Ja, die ganze Gruppe besteht fast nur aus uns – Hinata, Kageyama und Yamaguchi!«, jubelte Yachi. »Und von der Nekoma sind Kenma, Yaku und Lev dabei! Von der Aoba Josai haben wir auch noch zwei Mitglieder aufgesammelt.« Sugawara drückte Yachis Hände noch fester. Niemals hätte er gedacht, dass so viele aus der Karasuno überlebt haben. Und er hätte auch niemals damit gerechnet ihnen jemals wieder zu begegnen. Immerhin ist die Insel groß und die wenigen Überlebenden würden sich wohl kaum alle an einem Fleck versammeln. Yachis Euphorie war nicht zu bremsen. »Wir sollten losgehen und den Weg zum Highway suchen, dann kannst du sie alle wiedersehen«, schlug sie vor. Zu ihrer Enttäuschung schüttelte Sugawara allerding mit dem Kopf. »Das wäre zu gefährlich und der Weg ist zu weit«, erwiderte er. »Hier in der Nähe ist ein Haus, da sollten wir uns bis zum Morgen ausruhen und dann zum Highway aufbrechen!« Yachi war von dieser Idee nicht sehr begeistert. Sie wollte sich vergewissern, dass es allen gut ging und das sie sich rechtzeitig verstecken konnten, bevor die Herde Schnapper bei ihnen angekommen war. Sie zögerte und überlegte ob es klug wäre nicht mit Sugawara mitzugehen. Doch sie war sich nicht sicher, ob sie den Rückweg alleine finden würde. Also nickte sie und folgte ihm tiefer in den Wald hinein. Sie schwiegen. Es war ein komischer Anblick. Sie hatten sich monatelang nicht gesehen, nicht mal gewusst ob der jeweils andere noch am Leben war, aber zu erzählen hatten sie trotzdem nichts. Yachi überlegte worüber sie sich unterhalten könnten, doch ihr fiel nichts ein. Denn der Tod beherrschte diese Welt. Sie könnte ihn fragen wie viele Schnapper er schon erledigt hatte oder wie viele aus seiner Gruppe er gerettet hatte. Wie viele gestorben waren … Yachi riss die Augen auf. Sie hatte ihn gar nicht gefragt, wer ihn begleitete. Vielleicht waren da ja auch Leute von Karasuno dabei. »Sag mal Sugawara mit wem bist du eigentlich unterwegs – außer Kuroo!« Der Angesprochene hielt inne. Er blickte Yachi prüfend an. Woher wusste sie, dass Kuroo und er zusammen unterwegs waren? Hatte sie ihn gesehen? Vielleicht sogar mit ihm gesprochen? »Kuroo hat dir gesagt das du dich hinter dem Gebüsch verstecken sollst oder?«, mutmaßte er. Yachi war einen kurzen Moment irritiert. Sie hatte nicht damit gerechnet eine Gegenfrage gestellt zu bekommen. Als sie sich wieder gefangen hatte, nickte sie heftig. »Ich wurde von zwei Schnappern verfolgt und wusste nicht wohin. Plötzlich stand er vor mir, zog mich in das Gebüsch und befahl mir dort zu bleiben, egal was passiert. Er meinte entweder seine Begleitung würde kommen und mich holen oder er selbst!«, erzählte das Mädchen. »Er ist gehumpelt – weißt du was passiert ist? Ich mache mir Sorgen, dass er vielleicht meinetwegen von den Schnappern gefressen wurde!« Sugawara schüttelte grinsend den Kopf. »Der wird uns mit seiner Dummheit alle überleben, dass kannst du mir glauben! Wir werden lange vor ihm gefressen werden!« Yachi stutzte. Sie fand, dass Sugawara ziemlich erwachsen geworden war. Er redete nicht nur wie ein Erwachsener, er sah auch sehr viel älter aus. Seine Gesichtszüge waren strenger als noch vor einigen Monaten und ein leichter Bartschatten zeichnete sich auf seinen Wangen ab. Aber er sah nicht nur erwachsen aus, sondern auch geschafft und traurig. Yachi fragte sich, was er schlimmes erlebt hatte in den letzten Wochen. Und dann fiel ihr etwas ein. »Sag mal Sugawara – was ist mit Daichi? Ist der auch mit dir unterwegs?«, fragte Yachi vorsichtig und schob mit ihrem Fuß ein Bündel Moos bei Seite. Sugawara blieb stehen, fixierte den Baum vor sich. Er versuchte die Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben, versuchte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Er musste die Geschichte bereits zwei Mal erzählen – noch ein drittes Mal konnte er es nicht. Er atmete tief ein und aus, rief sich selbst zur Ruhe. »Daichi ist Tod. Er ist schon wenige Wochen nach Ausbruch der Seuche gestorben.« Sugawara klang dabei so kalt, als hätte er Daichi nie geliebt, als hätte er ihm nie etwas bedeutet. Dann lief er einfach weiter ohne auf Yachi zu achten. Diese atmete geräuschvoll ein. Jetzt war ihr klar, warum Sugawara so anders auf sie wirkte. Er war nicht erwachsen geworden – er war gestorben. ɸ Matsukawa und Hanamaki hatten die Waffen noch immer auf ihr Gegenüber gerichtet. Und der ihnen fremde Junge hatte die Arme noch immer weit gen Himmel gestreckt. »Könntet ihr mal aufhören mit den Dingern herumzufuchteln? Ich tue euch schon nichts!« Hanamaki hätte bei dem selbstgefälligen Grinsen beinahe geknurrt. Der Typ ist doch wirklich lebensmüde, dachte er grimmig, oder einfach nur völlig bescheuert! Matsukawa drängte sich vor seinen Freund, hob seine Doppelschwerter noch ein Stück höher. Ihr Gegenüber grinste noch immer. »Wo sind denn eigentlich eure Gewehre? Ich könnte schwören ihr hättet mir vorhin damit gedroht?« »Was willst du von uns?«, fragte Matsukawa feindselig. Sie verschwendeten wertvolle Zeit, doch Matsukawa wusste nicht was er mit dem Fremden machen sollte. Wenn er ihnen gefährlich werden würde, würde er ihn ohne zu zögern umbringen. Der Fremde machte nicht den Eindruck, als wäre es so, aber Matsukawa wollte ihm auch nicht einfach den Rücken kehren. In der jetzigen Welt konnte das dein Todesurteil sein. »Eigentlich gar nichts! Ich habe mich bloß verlaufen und dachte ihr könnt mir vielleicht sagen in welcher Richtung sich der Highway befindet!« Matsukawa runzelte die Stirn. »Befindet sich deine Gruppe dort? Wir haben niemand anderen gesehen!« Hanamaki knuffte seinem Freund in die Seite. »Sag mal spinnst du? Verrate ihm doch nicht wo wir sind! Stell dir mal vor seine Leute verstecken sich jetzt und haben das gerade gehört, dann sind unsere tot, bevor wir zurück sind!« Hanamaki entging nicht, dass der Fremde grinste. Er wandte den Blick in die Richtung des Fremden. »Was gibt’s da zu grinsen?« »Okay, ich weiß die Welt ist gewalttätiger geworden, aber ich will ganz ehrlich nur nach dem Weg fragen.« Der Fremde seufzte. »Ich habe einen Freund und eine eigene Gruppe. Wir haben uns nicht weit von hier in einer Polizeiwache niedergelassen. Ich war seit zwei Tagen nicht mehr dort und vermisse meine Leute. Denkt ihr, ich würde euch diese Informationen geben, wenn ich euch gleich überfallen würde?« Matsukawa sah den Fremden zweifelnd an. Er würde ihm gerne glauben, aber anderen Menschen war nicht mehr zu trauen. »Der Highway ist links von uns!«, rief Hanamaki in die Runde. Matsukawa ruckte den Kopf zurück. Die Autobahn befand sich direkt hinter ihnen, sie waren doch aus der Richtung gekommen. Hatte sein Freund tatsächlich so einen schlechten Orientierungssinn? Und wenn nicht: Warum log er? Der Fremde schien mit dieser Antwort auch nicht wirklich zu Frieden zu sein. Er runzelte die Stirn und wandte sich um. »Bist du dir da ganz sicher? Ich könnte eigentlich schwören, der ist woanders?!« Als sich der Fremde wieder zu ihnen herumdrehte, war Hanamaki ganz dicht an ihn herangetreten und rammte ihm seine Faust direkt ins Gesicht. Sein Gegenüber taumelte einen Schritt zurück, ehe er ohnmächtig zu Boden ging und regungslos liegen blieb. Hanamaki betrachtete sein Werk einen Moment zu Frieden, dann drehte er sich wieder zu Matsukawa um. »Lass uns von hier verschwinden, bevor er wieder zu sich kommt!« Matsukawa zögerte, was Hanamaki überhaupt nicht gefiel. Mit drängendem Gesichtsausdruck zog er seinen Freund am Ärmel. »Issei – worauf wartest du?« »Die Schnapper zerfleischen ihn, wenn wir ihn hier liegen lassen!« »Ja und? Das kann uns doch egal sein!« Matsukawa sah seinen Freund vorwurfsvoll an. »Wir wissen doch nicht mal ob er uns wirklich etwas tun wollte! Nur weil wir schlechte Erfahrungen gemacht haben, heißt das nicht automatisch, dass jeder Mensch jetzt böse ist!« Hanamaki starrte seinen Freund eindringlich an. »Du hast gesehen was sie mit Iwaizumi machen wollten! Sie haben ihn solange durch die Fabrik gescheucht, bis er sich das Bein gebrochen hat. Sie wollten ihn erschießen! Und am Ende ist er wegen ihnen doch gestorben – genauso wie Oikawa! Ich werde nie wieder jemandem vertrauen, den ich nicht kenne und ich werde mich nicht um andere kümmern! Es geht jetzt nur noch um uns und unsere Gruppe, alles andere ist egal!«, schnaufte er. »Und wenn die Schnapper ihn fressen, ist Yachi vielleicht ein paar Stunden in Sicherheit und wir haben mehr Zeit für unsere Suche! Lass uns jetzt also von hier verschwinden!« Doch trotz seiner Ansprache, bewegte sich Matsukawa keinen Millimeter. »Er ist ein Mensch – kein Monster! Bevor ich einen Menschen sterben lasse, muss noch mehr passieren als das, was Oikawa und Iwaizumi zugestoßen ist. Nicht jeder hat seine Menschlichkeit verloren und will anderen böses!« Die beiden jungen Männer lieferten sich ein Blickduell, das die Luft um sie herum elektrisch aufzuladen schien. Doch am Ende zog Hanamaki den Kürzeren und gab nach. »Wir können nicht hier warten bis er wieder zu sich kommt, wir sollten ihn mitnehmen zum Wohnwagen!« »Du hättest ihm ja auch nicht gleich eine reinhauen müssen!« Hanamaki grummelte etwas Unverständliches, hockte sich neben den Fremden und legte ihm einen Arm um die Schultern um ihn hoch zu hieven. »Hilfst du mir dann vielleicht mal?« Matsukawa schüttelte grinsend den Kopf. »Du bist echt unverbesserlich!«, sagte er und ging seinem Freund zur Hilfe. ɸ Sugawara und Yachi erreichten das Haus im Wald zügig und ohne Zwischenfälle. Während Sugawara zielstrebig die Küche ansteuerte, blieb Yachi auf der Veranda stehen und sah das Haus skeptisch an. Hier die Nacht zu verbringen, empfand sie nicht gerade als sicher! Da wäre sie lieber noch ein paar Stunden durch den Wald geirrt und hätte nach einem Baum gesucht, auf den sie hätte klettern können. Sugawara streckte den Kopf zur Haustür heraus. »Was ist? Kommst du nun? Oben steht noch ein Bett, was halbwegs frisch aussieht! Wir sollten etwas essen und uns ausruhen!« »Bist du sicher das uns hier nichts passieren wird?«, fragte Yachi verunsichert. »Ich beschütze dich, versprochen – und jetzt komm‘ endlich!« Ohne ihre Antwort abzuwarten, griff er nach ihrem Arm und zog sie ins Innere des Hauses. Yachi betrachtete die Verwüstung mit nachdenklichem Blick. Sie fragte sich, wie die Besitzer es wohl finden würden nach der Apokalypse ihr Haus aufräumen zu müssen. Etwas Wertvolles geklaut hatte vermutlich niemand. Immerhin war Geld und Gold in dieser neuen Welt nicht wichtig! Sugawara schloss Vorder- und Hintertür, schob etwas schweres davor und führte Yachi dann nach oben in die erste Etage. Sie zogen sich ins Schlafzimmer am Ende des Flures zurück. Yachi war erstaunt darüber wie unberührt dieses Zimmer dalag. Das große Doppelbett war noch frisch gemacht und außer einer Schicht Staub und ein paar hereingewehter Blätter, sah alles noch normal aus. Als würden die Besitzer nach einem anstrengenden Tag gleich nachhause kommen und todmüde ins Bett fallen. Sugawara war seinen Rucksack aufs Bett und Kuroos hinterher, dann zog er seine Jacke aus und legte sie feinsäuberlich daneben. Yachi ging dabei ein weniger behüteter vor. Sie schleppte aber auch nicht annähernd so viel Zeug mit sich herum. Sugawara begann in seinem Rucksack herumzukramen. Was auch immer er zu suchen schien, versteckte sich allem nach ganz unten, denn er räumte fast den gesamten Inhalt heraus. Yachi staunte nicht schlecht. Zwei Garnituren Wechselkleidung, ein paar Jagdmesser in sämtlichen Größen, eine Heckenschere und sogar etwas Plastikgeschirr kamen zum Vorschein. »Reist du immer mit deinem ganzen Hausrat umher?«, fragte sie ihre Begleitung mit großen Augen. Sugawara warf ihr einen kurzen Blick zu, ehe er grinsend den Kopf schüttelte. »Das ist doch nicht mein ganzer Hausrat! Wenn wir auf Tour gehen und nach Lebensmitteln und Medikamenten suchen, sind wir manchmal tagelang unterwegs. Vor allem wenn wir lange an einem Ort bleiben und uns bei jeder Tür ein Stück weiter vorwagen müssen. Bokuto und Oikawa waren einmal fast vier Tage verschwunden.« - Sugawara unterbrach sich selbst, weil er merkte, dass er vom Thema abschweifte - »Wir haben immer genug Sachen dabei, für den Fall das wir länger als einen Tag unterwegs sind.« »Vier Tage? Wie weit waren die denn weg?« »Fast dreißig Kilometer sind sie zu Fuß gegangen, ein Stück auch mit einem Auto gefahren, das sie unterwegs gefunden haben! Die Beiden sind echte Überlebenskünstler!« Yachi runzelte die Stirn. »Aber warum war Bokuto eigentlich mit Oikawa unterwegs und nicht mit Akashi? Ich dachte die beiden wären ein Paar?« »Pärchen sind nicht wirklich produktiv, streiten sich häufig und lassen sich gegenseitig nicht ihr volles Potential ausschöpfen, weil sie ständig Angst haben, dass dem jeweils anderen etwas passiert. Deswegen haben wir uns so aufgeteilt, dass niemand mit einem direkten Freund oder seinem Partner unterwegs ist. Sicher ist das trotzdem nicht, wie man bei Kuroo sieht!« Yachi seufzte. »Ihr scheint ziemlich darauf getrimmt, lange in dieser Welt überleben zu wollen!« »Ihr etwa nicht?«, hakte Sugawara sorgenvoll nach. Yachi schüttelte den Kopf. »Wir fahren nur ziellos von A nach B! Wir suchen zwar nach einem Ort, an dem wir uns dauerhaft niederlassen können, doch wirklich ernst meint es keiner von uns! An manchen Tagen macht es sogar ziemlich Spaß durchs Land zu fahren und Japan zu entdecken. Aber an manchen Tagen wünsche ich mir, wir hätten ein sicheres zuhause, mit einem Bett und Ruhe. Ich möchte nicht ständig um mein Leben fürchten müssen! Und jedes Mal wenn wir denken so einen Ort gefunden zu haben, kommen die Schnapper wieder und nehmen ihn uns weg. Manchmal denke ich, tot zu sein wäre besser!« Sugawara blickte nachdenklich aus dem Fenster. Er überlegte, ob es wirklich besser wäre, in einer Welt wie dieser tot zu sein. Doch schon nach wenigen Sekunden schüttelte er entschieden mit dem Kopf. »Nein, tot würde ich nicht sein wollen! Irgendwann wird alles wieder besser und das möchte ich miterleben! Wir sind jung und dynamisch – wenn wir es nicht schaffen diesen Scheiß zu überleben, dann tut das auch niemand anderes!« Yachis Herz machte einen Satz. Solche Sachen aus Sugawaras Mund zu hören, schockierte sie noch immer. Sugawara holte eine Dose Suppe aus seinem Rucksack, öffnete sie mit einem Taschenmesser und reichte sie anschließend Yachi. »Warm schmeckt sie bestimmt besser, aber ich habe leider keinen Gaskocher dabei und ein Feuer zu machen, wäre zu gefährlich!« Yachi nahm die Dose mit zittrigen Händen entgegen und trank gierig drei große Schlucke, ehe sie selbst zur Räson rief. Sugawara sollte immerhin auch etwas davon abbekommen. Reumütig reichte sie die Dose also wieder zurück und wandte den Blick ab, während ihre Begleitung ebenso hastig die Suppe zu sich nahm. Sugawara beherrschte sich und trank die Dose nicht aus. Etwa ein Viertel ließ er noch drinnen, falls einer von ihnen noch mal hunger bekommen sollte. Er klappte den Deckel wieder zu und stellte das Gefäß auf dem Nachtschrank ab. »Du solltest dich ausruhen, du wirst deine Kraft morgen brauchen!«, sagte Sugawara eindringlich. Gleichzeitig zog er die Reißverschlüsse seines Rucksacks ganz auf und begann den verstreuten Inhalt wieder aufzusammeln. »Aber«, begann Yachi zu protestieren, »Du musst doch auch schlafen, du brauchst deine Kräfte morgen auch!« Sugawara lächelte, während er seine Wechselkleidung in das größte Fach stopfte. »Mir reichen ein paar Minuten Schlaf. Wenn du morgen früh wach wirst, hau ich mich kurz aufs Ohr. Aber vorher solltest du dich ordentlich ausschlafen!« Yachi war noch immer nicht überzeugt, hielt es aber für schlauer die wenige Zeit, die ihnen zum schlafen blieb nicht mit einer sinnlosen Diskussion zu verplempern. Also kroch sich ans Kopfteil und zog die dünne Decke über die Beine. Sie überlegte kurz, ob sie Sugawara noch eine gute Nacht wünschen sollte, entschied sich aber dann dagegen und drehte sich einfach um. Sugawara warf ihr einen kurzen Blick zu, um sicherzugehen das sie auch wirklich versuchte zu schlafen, bevor er damit begann seine Jagdmesser zu schärfen. ɸ Da Yaku und Kenma zu neugierig waren, hatten sie beschlossen nicht schlafen zu gehen. Sie wollten unbedingt sehen ob Matsukawa und Hanamaki es schaffen würden Yachi zu finden oder wenigstens mit brauchbaren Hinweisen wiederkommen würde. Also setzten sie sich wieder in die Stühle auf dem Dach des Wohnmobils und sahen gespannt das Loch im Gestrüpp an, durch das ihre Gefährten kurz zuvor verschwunden waren. »Ich wette sie gehen zweihundert Meter und kommen dann schreiend zurück, weil sie auf ein paar Schnapper getroffen sind!«, sagte Kenma monoton, ohne Yaku anzusehen. »Für so ängstlich halte ich die beiden aber nicht! Ich denke sie kommen entweder mit Yachi wieder oder gar nicht!«, widersprach Yaku postwendend und sehr von seiner Meinung überzeugt. Kenma zuckte mit den Schultern. »Wir werden sehen!« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen raschelte es im Gebüsch. Kenma und Yaku warfen sich einen kurzen Blick zu, ehe sie zur Leiter stürmten und das Wohnmobil hinabkletterten. Sie gingen ein paar Schritte auf die Leitplanke zu, hielten aber genügend Sicherheitsabstand. Für den Fall, dass da gleich nicht Hanamaki und Matsukawa aus dem Gebüsch stolpern würden. Ein paar Sekunden vergingen in denen nichts passierte und dann hörten sie plötzlich verschiedene Stimmen flüstern. Achtsam legten sie ihre Gewehre an und nahmen das Loch im Gestrüpp ins Visier. »Wir müssen darauf gefasst sein, Menschen zu erschießen!«, flüsterte Yaku warnend. Er selbst hatte da keine Skrupel, denn wenn es darum ging seine Gruppe zu schützen, tat er praktisch alles. Doch er wusste, dass Kenma das nicht so gut verkraftete. Er tat zwar immer so taff und unnahbar, aber eigentlich war ein kleines Sensiblechen. Das Gebüsch wackelte stärker. Yaku richtete das Gewehr erneut aus, legte die Finger an den Abzug. Er schoss selten, eigentlich nur im äußersten Notfall. Doch er wusste wie es geht und war auch im Dunkeln sehr treffsicher. Durch sein Visier sah er zwei Hände, die sich an die Leitplanke klammerten und einen schwarzen Haarschopf. Er wurde nervös. Frisur und Hautfarbe passten nicht zu Matsukawa – das erkannte er selbst im Dunkeln! Er stellte sich darauf ein, schießen zu müssen. Doch dann schleppte sich ein Körper über die Leitplanke, der Yaku dazu brachte erschrocken zusammenzuzucken. Neben ihm ließ Kenma sein Gewehr wie in Trance auf den harten Asphalt fallen. »Kuroo?« Yaku nahm nun ebenfalls das Gewehr hinunter und sah Kenma fragend an. Seine Stimme klang befremdlich leise und unsicher, so als hätte er gerade erst gelernt zu sprechen. »Kenma? Yaku?« Yaku drehte sich wieder zur Leitplanke. Die Stimme klang fremd und vertraut zu gleich. Er hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr gehört. Und auch nicht damit gerechnet sie je wieder zu hören! »Bist du es wirklich?«, fragte Kenma mit zittriger Stimme. Doch er bekam keine Antwort, denn Kuroo war schon zu ihnen gehumpelt und schloss seinen besten Freund fest in seine Arme. Nun realisierte auch Yaku, dass es sich nicht um einen Scherz seines Gehirns handelte. Kuroo stand wahrhaftig vor ihnen. Er lebte. Yakus Herz begann vor Freude wild zu klopfen. Die anderen müssen das auch wissen, dachte er. Er musste Lev wecken! Er ließ sein Gewehr fallen, drehte um und rannte zum Bus, in dem sein Freund selenruhig schlief. Lev saß sofort aufrecht auf in seinem Schlafsack, als Yaku die Schiebetür aufriss. »Du musst aufstehen – Kuroo ist da. Los komm!«, sagte Yaku aufgeregt und riss am Arm seines Freundes. Dieser schaffte es gerade so, sich aus seinem Schlafsack zu befreien, bevor er unsanft aus dem Bus gezogen wurde. Der Riese hatte noch nicht ganz verstanden, was die Uhr geschlagen hatte, da wurde er auch schon in eine feste Umarmung gezogen. Er musste ein paar Mal blinzeln, bis ihm klar wurde, in wessen Armen er da lag. Und dann gelang es ihm auch die Umarmung zu erwidern. Hanamaki und Matsukawa – die nun ebenfalls wieder auf dem Highway standen – betrachteten die Situation nur mit skeptischem Blick. Matsukawa knuffte seinem Freund sanft in die Seite. »Und du dachtest, der will uns was böses«, flüsterte er so leise, dass niemand anderes es hörte. »Hey, woher sollte ich wissen das er zu den Vögeln aus Tokio gehört? Ich hab‘ ihn noch nie zuvor gesehen, du etwa?«, entgegnete Hanamaki pikiert. Er ließ es sich zwar nicht anmerken, aber er hoffte, dass er sich für seinen Kinnhaken nicht rechtfertigen musste. »Wenn die Begrüßungszeremonie vorbei ist, sollten wir ihn fragen ob er im Wald vielleicht auf Yachi getroffen ist! Er kennt das Team von Karasuno und hat sie vielleicht zu einem sicheren Versteck gebracht!«, sagte Matsukawa nachdenklich. »Denkst du? Der Wald ist groß und Yachi rennt ziellos umher. Ich glaube nicht, dass die beiden sich begegnet sind«, entgegnete Hanamaki. Matsukawa zuckte mit den Schultern. »Fragen kostet ja nichts.« Vom Lärm den die vier Mitglieder der Nekoma machten, wurden auch die anderen wach. Sich die Augen reibend stolperte Hinata, dicht gefolgt von Kageyama aus dem Wohnmobil. Er gähnte. »Warum seid ihr denn alle so laut mitten in der Nacht?« Kuroo entdeckte ihn als erstes, riss sich von Yaku und Lev los und stürmte auf den Winzling zu. »Schrimp«, rief er übermütig und schloss ihn ebenfalls in seine Arme. »Hätte nie gedacht dich mal wiederzusehen!« Hinata sah ähnlich verdattert drein wie Lev, bis er sich dem vollen Ausmaß dieser Situation bewusst wurde. Er und Kuroo hatten zwar nie wirklich viel miteinander zu tun gehabt, aber das spielte jetzt keine Rolle. Die Umarmung war ja kein Zeichen für eine besonders tiefe Freundschaft, sondern stand für: »Schön das du noch am Leben bist!« Und deswegen verwunderte es ihn danach auch weniger, das Kuroo auch Kageyama und Yamaguchi umarmte. Hanamaki ließ ihnen die Wiedersehensfreude noch genau zwei Minuten, ehe er dazwischen ging. »Tut mir Leid das ich euch eure Orgie unterbrechen muss, aber es gibt wichtigeres!«, sagte er mit kräftiger Stimme und wandte sich dann direkt dem Neuankömmling zu. »Kuroo richtig? Bist du im Wald auf ein kleines Mädchen ungefähr in Yakus Größe getroffen?« Die Stimmung schlug bei Yachis Erwähnung sofort um. Weil sich alle wegen Kuroos Auftauchen so sehr gefreut hatten, hatten sie völlig vergessen das Yachi immer noch alleine in der Dunkelheit herumirrte. Sie sahen Kuroo abwartend und hoffnungsvoll an, obwohl sie nicht daran glaubten, dass er ihr wirklich begegnet war. Doch zu ihrer aller Überraschung nickte der Schwarzhaarige heftig. »Doch habe ich – ihr Name ist Yachi, wenn ich mich richtig erinnere oder?« Yamaguchi drängelte sich in den Vordergrund. »Ja, ja – geht es ihr gut? Lebt sie noch?«, fragte er mit klopfendem Herzen. Kuroo lächelte besänftigend. »Ja, sie lebt und ihr geht es gut – sie ist in Sicherheit!« Er biss sich auf die Zunge. Er konnte es nicht wissen, weil er es ja nicht zu ihr zurück geschafft hatte. Er konnte nur hoffen, dass Sugawara nach ihm gesucht hatte und dabei auf sie gestoßen war. Das sie wirklich in Sicherheit war! ɸ Sugawara war gerade dabei das letzte seiner Jagdmesser zu schärfen, als er es unten rumpeln hörte. Erschrocken hielt er die Luft an und sprang auf. Auch Yachi war sofort wach und saß aufrecht im Bett. Mit angsterfüllten Augen sah sie Sugawara an. »Was war das?«, fragte sie mit zitternder Stimme. »Keine Ahnung«, antwortete Sugawara und stopfte so schnell er konnte alles zurück in seinen Rucksack. Er würde nachsehen gehen, doch vorher musste er Yachi verstecken. Bevor er sich im Zimmer umsah, warf er ihr einen flüchtigen Blick zu. Sie zitterte wie Espenlaub, während sie die Tür wie ein scheues Reh anstarrte. Sugawara entdeckte einen Wandschrank. Er zückte sein Messer und machte einen Schritt darauf zu. Es war unwahrscheinlich, dass sich ein Schlürfer darin versteckte. Wäre es so, hätte er sich schon längst bemerkbar gemacht. Doch in dieser Welt musste man mit allem rechnen. Man durfte nicht leichtsinnig sein! Er atmete noch einmal tief durch und riss dann die Tür auf. Außer einem Schwall Staub und einer Böe modrigem Geruch schlug ihm jedoch nichts entgegen. Perfekt, dachte er und ging mit zwei großen Schritten zum Bett zurück. Er nahm seinen Rucksack und die Sachen von Kuroo und stopfte sie in den Schrank, dann winkte er Yachi zu sich. Zögerlich und völlig starr vor Schreck ging sie zu ihm. Er drückte ihr ein Messer in die Hand. »Du musst ganz ruhig sein«, sagte er zu ihr. »Wenn jemand diesen Schrank öffnet und vorher nicht drei Mal anklopft, dann musst du zustechen – hast du mich verstanden?« Sugawara sah das Mädchen eindringlich an, doch sie reagierte nicht. Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie sanft. »Yachi, hast du mich verstanden?« Sie nickte und er schob sie in den Schrank, ohne eine weitere Sekunde zu verlieren. »Und denk daran, wenn nicht drei Mal angeklopft wird, dann stech zu – egal ob Monster oder Mensch!« Sie nickte erneut, wollte etwas sagen, doch ihr Mund quittierte seinen Dienst. »Und komm‘ ja nicht auf die Idee hier ‘rauszukommen, hast du mich gehört?« Bevor sie ein weiteres Mal nicken konnte, schloss Sugawara jedoch die Tür. Dann saß sie da. Im Dunkeln. Ganz alleine. Ihr ganzer Körper zitterte so sehr, dass sie beinahe ihr Messer fallen ließ. Sie versuchte sich zur Ruhe zu rufen. Du musst dich konzentrieren, sagte sie in Gedanken zu sich selbst, du willst nicht sterben – noch nicht! Sie versuchte ruhiger zu Atmen, ihren Herzschlag zu entschleunigen. Sie lauschte, wollte hören was unten vor sich ging. Doch dafür rauschte ihr Puls zu laut. Das Adrenalin packte sie. Sie umfasste den Schaft von Sugawaras Messer fester. Um sich abzulenken überlegte sie, was die anderen wohl gerade taten. Hinata und Kageyama kuschelten sich in ihrer Vorstellung ganz dicht aneinander und versuchten zu schlafen. Yaku und Kenma hielten mit Sicherheit Wache und Matsukawa und Hanamaki erzählten sich schlechte Witze um die Geschehnisse des Tages zu verarbeiten. Sie schloss die Augen und nahm sich vor diese Bilder in Erinnerung zu behalten, für den Fall, dass sie diese Nacht nicht überleben würde. Sollte sie sterben, wollte sie genau daran denken. Nicht an die Schnapper, nicht an die vielen toten Menschen, nicht an diese trostlose Welt. Sie wollte sich nur auf ihre Freunde konzentrieren. Unten gab es einen kleinen Knall und Yachi schreckte hoch, lauschte wieder. Doch mehr war nicht zu hören. Sie atmete tief ein und aus. Sie war hier sicher, redete sie sich ein, in so einem Wandschrank würde niemand nachsehen kommen. Sie würde so lange hier ausharren, bis das Haus wieder still und friedlich dalag. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich an Sugawaras großen Rucksack an und dachte an die paar Monate ihrer Oberschulzeit zurück. Sie dachte an ihre Mutter, die sie vermutlich nie wiedersehen würde und überlegte sich, was sie zu ihr sagen würde, sollte es doch so sein. Plötzlich hörte sie Geflüster. Es war zu leise, um das Gesprochene zu verstehen und zu gedämpft, als das sie erkennen könnte, ob ihr die Stimmen vielleicht bekannt vorkommen würden. Also musste sie sich darauf gefasst machen zu zustechen. Denn eins war ihr gerade klar geworden: Sie wollte überleben, leben – und zwar um jeden Preis! Und dann hörte sie die Treppenstufen knarren und atmete tief durch. Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Das Knarren wurde bei jedem Schritt lauter. Yachi atmete flach, um sich nicht zu verraten. Sie umklammerte den Schaft des Messers noch fester. Schnapper, sagte sie innerlich zu sich selbst, wenn das ein Schnapper ist, brauche ich ihm das Messer nur in den Kopf zu rammen und kann dann verschwinden! Sie richtete sich etwas auf. Es half, sich einzureden, dass sie stark genug war und, dass sie keine Angst zu haben brauchte. Sie durfte nur nicht gebissen oder gekratzt werden. Innerlich lachte sie hysterisch. Wenn das nur so einfach wäre! Wenn es Sugawara erwischt hatte, dann würde sie das hart treffen, aber er hatte seinen Tod selbst gewählt und war das Risiko zu sterben bewusst eingegangen. Er hätte ihr damit eine Chance verschafft, lebend aus diesem Haus hinauszukommen. Die Tür ging knarrend auf. Yachi atmete leise aus. Sie hörte Schritte, die auf den Wandschrank zu kamen. Sie umklammerte das Messer mit all ihrer Kraft, die sie noch aufbringen konnte. »Yachi? Ich bin’s!« Das Mädchen atmete erleichtert aus und eine Sekunde später wurde die Tür zum Wandschrank aufgerissen. Yachi ließ das Messer fallen, sprang hoch und fiel Sugawara vor lauter Freude um den Hals. Die Tränen liefen ihr hemmungslos über die Wangen. Sie war froh, dass er noch am Leben war und das sie niemandem ein Messer in den Kopf rammen musste – weder Schnapper, noch Mensch! Sugawara streichelte ihr behutsam über den Kopf und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals. Er selbst war wohl am frohsten, dass unten kein Schlürfer auf ihn gewartet hatte, sondern ein Freund. »Die Kleine hat‘s also tatsächlich überlebt? Bewundernswert!« Yachi löste sich von Sugawara und blickte in braungoldene desinteressierte Augen, die sie vermutlich niemals in ihrem Leben hätte vergessen können. »Tsukishima?«, fragte sie vorsichtig. Sie konnte nicht glauben, dass er ihr wirklich gegenüberstand. »Ja wer sonst? Kanntest du etwa noch jemanden der so gut aussieht wie ich?« Sie befreite sich nun vollends aus Sugawaras Armen um kurz darauf dem anderen Jungen im Raum um den Hals zu fallen. Ihr Herz klopfte nun wieder wie verrückt. Niemals hätte sie es für möglich gehalten heute auf zwei alte Freunde zu treffen, von denen sie monatelang gedacht hatte, sie wären tot! »Ich will euch ja nur ungerne unterbrechen, aber wir sollten von hier verschwinden, jetzt wo wir zu dritt sind!«, sagte Sugawara entschieden. Yachi sah ihn hoffnungsvoll an. Sie hoffte, die beiden würden sie zurück zum Highway bringen. Doch Tsukishima zerschlug ihre Hoffnungen mit seinen Worten: »Stimmt, wir müssen zurück zu Oikawa und Akashi – wenn etwas passiert, sterben sie!« »Aber was ist mit Kuroo? Wollt ihr ihn alleine im Wald zurücklassen?«, protestierte Yachi mit zitternder Stimme. Tsukishima rückte die Brille auf seiner Nase zurück und blitzte sie aus seinen Augen finster an. »So ein Glückskind wie er ist, wird ihm schon nichts passieren, aber ich werde mein Leben nicht länger in Gefahr bringen, um dafür zu garantieren! Er ist alt genug und wir haben ihm oft genug gesagt, dass er sein Gehirn benutzen soll. Wenn er den Anschalter dafür nicht findet, soll das nicht länger mein Problem sein!«, sagte er ruppig. Dann machte er auf dem Fuß kehrt und verschwand wieder im Vorsaal. Yachi sah ihm verwirrt nach und auch Sugawara musste ein, zwei Mal blinzeln um das gerade gesagte zu verarbeiten. »Heißt das, es ist ihm egal?«, fragte Yachi atemlos. »Scheint so!« »Wir müssen ihn umstimmen und nach ihm suchen! Er ist verletzt und kann kaum laufen!« »Er hat sich sein Schicksal selbst ausgesucht und kannte die Konsequenzen. Trotzdem ist er losgerannt!« Es schienen Sugawaras letzte Worte zu sein. Denn er holte die Sachen aus dem Wandschrank und folgte Tsukishima dann in den Flur. Yachi schüttelte verständnislos mit dem Kopf. Wäre sie nur etwas mutiger, wäre sie alleine losgegangen um Kuroo zu suchen. Aber sie würde sich bloß wieder verlaufen. Deswegen hielt sie es für schlauer Tsukishima und Sugawara zu ihrem Versteck zu folgen. Denn dann würde sie bereits morgen Mittag wieder zurück bei ihrer Gruppe sein. Und dann konnten sie immer noch nach Kuroo suchen. Sie nickte entschlossen und folgte ihren ehemaligen Mitschülern schnellen Schrittes. ɸ Auf dem Highway stand die ganze Gruppe immer noch beisammen und lauschte Kuroo aufmerksam. Der ehemalige Kapitän von Nekoma schilderte gerade in allen Einzelheiten, wie er auf Yachi getroffen war und wo er sie versteckt hat. »Meine Begleitung hat sie bestimmt schon gefunden und in Sicherheit gebracht! Er kennt sie von früher und würde sie niemals einfach zurücklassen!« Hinata horchte auf. »Mit wem warst du unterwegs?« »Mit Sugawara – eurem Vize-Kapitän!« »Er lebt?«, fragte Kageyama. Er konnte nicht glauben was Kuroo da gerade erzählte. Er konnte nicht glauben, dass Sugawara wirklich noch am Leben sein sollte. »Ja – ich hatte ihn zwar nicht so streng und engstirnig in Erinnerung, aber ja; er ist am Leben!« Hinata und Kageyama fielen sich vor Freude gegenseitig in die Arme. Jeder ihrer Freunde, der noch am Leben war, brachte einen Funken Hoffnung zu den beiden zurück. Auch Yamaguchi wurde nach ein paar Sekunden in die Umarmung gezogen. »Tsukki lebt übrigens auch noch!« Nun strahlte auch Yamaguchi über beide Ohren. Irgendwie wunderte es ihn zwar nicht wirklich, dass sein bester Freund noch am Leben war, weil er von Tsukishima eigentlich nichts anderes erwartet hatte, aber schmälern tat es seine Freude trotzdem nicht im Geringsten. »Sind mit dir noch mehr unterwegs? Leute von uns?«, fragte nun Yaku. Kuroo nickte. »Akashi und Bokuto sind auch dabei – und Oikawa! Sugawara hat ihn irgendwann aufgegabelt.« Matsukawa und Hanamaki spitzten die Ohren, dann sahen sie sich gegenseitig fragend an, ehe sie sich in die vordere Reihe drängelten und Kuroo mit großen Augen anstarrten. »Du bist mit Oikawa unterwegs? Mit Tooru Oikawa?«, fragte Hanamaki aufgeregt. »Geht es ihm gut?«, wollte Matsukawa wissen. Kuroo blickte sie nur ratlos an. »Er gehört zu euch?!« Hanamaki und Matsukawa nickten. »Irgendwie wundert mich das gar nicht – er ist genauso misstrauisch wie ihr. Nur hat er keinen so guten rechten Haken drauf!« Beschämt senkte Hanamaki den Kopf und versteckte sich ein wenig hinter Matsukawa. Er bereute es ja schon ihn geschlagen zu haben – musste der ihm das jetzt noch unter die Nase reiben? Matsukawa trat noch einen Schritt weiter vor. »Geht es Oikawa gut?«, wiederholte er seine Frage. Dieses Mal ging Kuroo darauf ein. Er nickte. Matsukawa atmete erleichtert aus und auch Hanamaki hob nun den Kopf wieder. »Ist mit euch auch jemand namens Iwaizumi unterwegs?«, fragte er leise. Kuroo verdrehte nachdenklich die Augen, ehe er mit dem Kopf schüttelte. »Nein«, sagte er, »Oikawa sagte, Iwaizumi wäre gestorben.« Hanamaki hatte es erwartet. Iwaizumis Fuß war gebrochen gewesen. Er konnte sich kaum bewegen und sie hatten kein Auto. Es war abzusehen, dass er es nicht schaffen würde. Doch nachdem heute von so vielen Überlenden berichtet wurde, hatte er wenigstens gehofft, er könnte seinen alten Freund noch einmal wiedersehen. Matsukawa kam auf ihn zu und umarmte ihn. Es war ein komisches Gefühl das hier vor allen anderen zu tun. Doch als er die Tränen seines Freundes auf seiner Haut spürte und das Schluchzen an seinem Ohr vernahm, war es ihm mit einem Mal egal. Er schlang die Arme ebenfalls um seinen Freund und flüsterte ihm beruhigende Worte ins Ohr. Er wusste, dass Matsukawa normalerweise nicht weinte. Doch einen Freund zu verlieren war immer hart. Besonders in dieser Zeit! Während die beiden Arm in Arm noch immer mitten auf dem Highway standen, entfernte sich der Rest der Gruppe von ihnen. Hinata und Lev organisierten Kuroo etwas zu essen und zu trinken. Yaku zog seinen wiedergefunden Freund zu einer Landkarte, neben der sich auch Kageyama und Yamaguchi bereits aufgestellt hatten. »Wie lange seid ihr schon in der Gegend und wie gut kennst du dich hier aus?«, fragte Yaku, während er die Landkarte auf der Motorhaube des VW Bus zu ihrer vollen Größe entfaltete. Kuroo kratzte sich am Nacken, während er die Zeichnung ansah. Er hatte noch nie einen wirklichen guten Orientierungssinn gehabt. Und seit dem er ständig durch den Wald latschen musste, in dem es keine Wegweiser gab, war dieser noch schlechter geworden. Deswegen hatte er sich ja verlaufen und den Rückweg zum Haus nicht mehr gefunden. Im Nachhinein das Beste, was ihm hätte passieren können. Denn so hatte er Kenma und die anderen wiedersehen können. Das sollte er nur Sugawara nicht unter die Nase reiben. Der würde ihn nämlich glatt ein Kopf kürzer machen. »Um ehrlich zu sein: Ich habe keine wirkliche Ahnung wo hier was liegt! Ich kann dir immer nur die ungefähre Richtung sagen. Die meisten Sachen haben wir auch nur durch Zufälle gefunden!«, antwortete Kuroo ziemlich verspätet. Yaku seufzte und tippte auf die Stelle, wo sie sich gerade befanden. »Kannst du mir wenigstens ungefähr zeigen wo du auf Matuskawa und Hanamaki gestoßen bist und aus welcher Richtung du gekommen bist?« »Vielleicht, aber warum willst du das wissen?« »Wenn Sugawara Yachi nicht gefunden hat, dann läuft sie immer noch ganz allein und ohne Waffe durch den Wald. Wir müssen wenigstens wissen, wo wir anfangen sollen zu suchen!« Kuroo warf einen Blick auf die Karte. Doch für ihn sah alles gleich aus. Selbst die High-School und die Stadt waren nicht klar zu erkennen. »Tut mir Leid«, sagte er. »Aber ich werde euch so keine große Hilfe sein! Morgen gehe ich mit euch in den Wald, dann zeige ich euch wo ich sie versteckt habe.« Yaku zog beide Augenbrauen hoch. »Du willst mir jetzt ernsthaft erklären, dass du mit der Karte nichts anfangen kannst, aber zu einem der abertausenden Büsche in diesem Waldstück zurückfindest?! Wen willst du hier eigentlich verarschen?« »Ich werde es euch morgen beweisen! Aber jetzt wäre ich euch für eine Pause ganz dankbar. Ich muss meinen Knöchel schonen, sonst kann ich morgen gar nicht mehr laufen!«, entgegnete Kuroo und ließ sich dann einfach auf dem Asphalt des Highways nieder. Genau in diesem Moment stolperten auch Hinata und Lev zu ihm und reichten ihm eine Flasche Wasser und eine Dose gebackener Bohnen, von denen sie mehr als genug hatten. Kuroo aß und trank so schnell und gierig, als hätte er seit Tagen nichts mehr zwischen die Kauleisten bekommen. Und so animalisch wie er dreinschaute, konnte man meinen, er hätte Angst, dass ihm jemand der anderen etwas wegnehmen würde. Während ihm Lev und Hinata erzählten, was sie in den letzten Wochen alles erlebt hatten, gingen Yaku, Kageyama und Yamaguchi einmal um den VW Bus herum. »Er wird uns auch morgen keine große Hilfe sein!«, sagte Kageyama nachdrücklich. »Eher ein Klotz am Bein. Wir sollten ihn hier lassen, Yachi einsammeln und dann wieder hier herkommen. Dann kann er uns immer noch zeigen, wie wir zu Oikawa und den anderen kommen.« Yamaguchi schüttelte energisch den Kopf. »Er hat doch gesagt, er findet den Ort an dem er Yachi versteckt hat wieder! Wir sollten dort gemeinsam mit ihm hingehen! Wir finden Sie nie, wenn wir jeden Tag das gleiche Waldstück durchkämmen. Die Chance, dass sie genau in diesem Moment dort ist, ist einfach zu gering. Und ihre Überlebenschancen sind zu niedrig, als das wir ein Risiko eingehen können!« Yaku und Kageyama warfen sie gegenseitig einen Blick zu. Normalerweise war Yamaguchi ziemlich ängstlich und still. Er hielt sich zurück, erledigte die Aufgaben, die man ihm auftrug und hoffte nur jedes Mal, dass sie nichts mit Schnappern oder ähnlichem zu tun hatten. Doch die Sorge um seine Freundin ließ ihn mutiger werden. Indirekt war er an der Situation zwar Schuld, aber das würde niemand jemals offen zum Ausdruck bringen. »Wir sollten Kenma und Lev mitnehmen. Kuroo soll uns den Ort zeigen und wenn Yachi dort nicht mehr ist, dann bringen ihn die beiden zurück hierher und wir suchen weiter – Deal?« »Sollten wir das nicht vorher noch mit den anderen besprechen? Matsukawa und Hanamaki werden bestimmt keinen Bock haben, morgen wieder durch den ganzen Wald zu stiefeln!«, entgegnete Kageyama skeptisch. Yaku rieb sich grübelnd das Kinn. Dann zuckte er mit den Schultern. »Die beiden können hier bleiben und sich ausruhen, wenn sie möchten – heute haben sie genug getan, um sich das zu verdienen!« Die drei nickten sich noch einmal gegenseitig zu und damit war es beschlossene Sache. Yaku gähnte anschließend. »Ich werde mich dann mal aufs Ohr hauen für ein paar Stunden. Morgen wird immerhin ein anstrengender Tag!« »Ja, das sollte Kenma auch tun – Hinata und ich übernehmen die Nachtwache«, erwiderte Kageyama zustimmend. »Yamaguchi, du solltest dich auch hinlegen!« Yaku und der andere Angesprochene nickten und machten sich dann auf den Weg zum Wohnmobil. Normalerweise schlief Yaku im VW, doch das Wohnmobil war um einiges bequemer und wer morgen den ganzen Tag durch den Wald staksen musste, hatte sich ein bequemes Bett verdient. Yaku sammelt Kenma und Lev ein und verschwand mit Ihnen im Wohnmobil, Yamaguchi folgte. Matsukawa und Hanamaki verdrückten sich mit einem leisen »Gute Nacht« in den VW. Dann waren es nur noch drei. Kageyama ging zu Kuroo und seinem Freund. »Wir müssen aufs Wohnmobil Hinata, sonst sehen wir nicht genug!«, sagte Kageyama monoton wie eh und je. Dann fixierte er Kuroo mit seinem Blick. »Im Bus ist noch ein Schlafplatz frei. Du solltest dich dort ausruhen. Wir wecken dich, falls etwas passiert!« Kuroo überlegte einen Moment, ob er nicht auch mit aufs Wohnmobil klettern sollte. Doch kaum hatte er diesen Gedanken gefasst, signalisierte ihm sein Körper, dass er eine Mütze Schlaf mehr als nötig hatte. Immerhin war er seit gestern Morgen ununterbrochen auf den Beinen. Er hatte die Augen nur zum blinzeln geschlossen! Mit Kageyamas Hilfe rappelte er sich vom Asphalt hoch und kroch anschließend neben Matsukawa und Hanamaki in den VW Bus. Kaum hatte sein Kopf das Kopfkissen berührt, glitt er auch schon in den Schlaf. Und dort verfolgten ihn Tsukishimas braungoldene Augen. Unruhig wälzte er sich auf die andere Seite und kniff im Schlaf die Augen zusammen. Im Traum entschuldigte er sich bei seinem Freund und hoffte dieser würde ihm auch in der Realität verzeihen! ɸ Oikawa stand am Fenster und starrte den kahlen Hinterhof der Polizeiwache mit wachsamen Augen an. Er überkreuzte Zeigefinger und Mittelfinger, schickte in regelmäßigen Abständen Stoßgebete in Richtung Himmel. Sugawara durfte einfach nichts zugestoßen sein! Er war so in seine Observation vertieft, dass er gar nicht merkte, wie jemand von hinten an ihn herantrat. »Was machst du da?« Erschrocken zuckte Oikawa zusammen und stolperte. Im letzten Moment schaffte er es dann aber, sich doch auf den Füßen zu halten. Er drehte sich um und blickte in zwei große, goldene Iriden, die zu einer Person gehörten, mit der er am aller wenigsten gerechnet hatte. »Was machst du hier Bokuto? Du solltest im Bett liegen und dich ausruhen!« Die Eule blinzelte verwirrt und legte den Kopf schief. »Warum? Mir geht’s blendend, ehrlich – und außerdem muss ich mal pinkeln!« Nun war es Oikawa der die Welt nicht mehr verstand. Vor ein paar Stunden litt Bokuto noch Fieber und Schüttelfrost. Und jetzt streifte er durch die Polizeiwache, als wäre er niemals krank gewesen. Oikawa rümpfte die Nase. Das sollte er mit Vorsicht genießen. Wenn sich Bokuto gleich wieder selbst überschätzte, konnte es passieren, dass es ihm in ein paar Tagen schlechter ging als zuvor. Und das sollten sie unbedingt verhindern. »Wo ist Akashi? Schläft er noch?«, frage Oikawa, obwohl er sich einbildete die Antwort auf die Frage bereits zu kennen. Denn Akashi hätte seinen kranken Freund niemals alleine draußen herumziehen lassen, wenn er wach gewesen wäre. Bokuto stöhnte entnervt auf. »Ich bin kein kleines Kind mehr und ich trage auch keine Windeln! Sollte ich mir jetzt in die Hosen machen?« Oikawa wusste nicht richtig was er dazu sagen sollte. Das war keine Entscheidung die er treffen wollte. Denn am Ende hätte er vielleicht noch den betreffenden Schlafsack ausspülen müssen. Er warf noch einen letzten Blick zum Fenster hinaus. Doch weder von Sugawara, noch von Tsukishima war etwas zu sehen. Deswegen wandte er sich nun Bokuto zu. »Dann wollen wir dir doch mal zeigen wo hier die Toiletten sind.« Bokuto verzog das Gesicht. »Ich hab‘ dir gerade gesagt das ich kein kleines Baby bin!« »Manchmal benimmst du dich aber wie eins – zum Beispiel die letzten drei Wochen über«, entgegnete Oikawa neckisch. »Da war ich krank – entschuldige bitte, dass ich da nicht wie ein Einhorn über eine Blumenwiese springen kann!« »Eine bessere Schlürfer-Ablenkung hätte es nicht geben können!« Weil die Vorstellung so absurd war, konnten die beiden nicht anders als zu lachen. Und auch wenn es das eigentlich nicht sollte, es fühlte sich dennoch gut an. Es war die Befreiung aus dem depressiven Alltag. Es füllte ihre Lungen und Herzen mit Leben. Sie sollten sich schlecht fühlen, weil drei von ihnen nicht hier waren und keiner mit Gewissheit sagen konnte, dass sie jemals wieder zurückkommen. Aber dennoch konnten Oikawa und Bokuto nicht aufhören. Das Lachen fühlte sich einfach zu gut an. Doch auch das Lachen hielt die Realität nicht ewig von ihnen fern. Ein Ächzen und ein Stöhnen, dass so laut war, als würde der Schlürfer direkt neben ihnen stehen, drang zu ihnen durch. Erschrocken hielten die beiden inne und sahen sich panisch um. Doch der Raum war leer. Oikawa drehte sich wieder zum Fenster und warf einen Blick in den Innenhof. Da waren sie auch schon. Fünf Stück, zwei Männer, eine Frau und zwei Teenager. Den Klamotten und dem Verwesungsgrad nach zu urteilen keine Bewohner der Stadt. Doch wo fünf auftauchten, waren weitere fünf und weitere zehn nicht weit entfernt. Jetzt hing vielleicht alles von ein paar Minuten ab. »Geh zurück und weck Akashi«, sagte Oikawa eindringlich zu Bokuto. »Packt alles ein was wichtig ist und so viel, wie ihr tragen könnt!« »Du denkst doch nicht wirklich, dass wir von hier verschwinden müssen oder?«, entgegnete Bokuto beinahe etwas ängstlich. Er hatte in den vergangen Wochen keinen einzigen Schlürfer mehr zu Gesicht bekommen. Sie wieder vor Augen zu haben, jetzt wo sie noch schlimmer aussahen, ließ die Eule von den Zehen bis in die Haarspitzen erzittern. Er hätte beinahe vergessen in was für einer Welt sie jetzt lebten. Doch nun wurde es ihm einmal mehr deutlich vor Augen geführt. Der Tod lauerte an jeder Ecke! Er hätte Oikawa gerne noch gefragt, was dieser jetzt vor hatte. Doch Bokuto sah an seinem eindringlichen Blick, dass dafür jetzt keine Zeit war. Ohne ihn noch einmal anzusehen stürmte er aus dem Raum zurück in ihr umfunktioniertes Büro. Wir hatten es gewusst, sagte er zu sich selber, wir hatten von Anfang an gewusst, dass wir nicht für immer hier bleiben konnten. Er ließ sich vor Akashi auf die Knie fallen, packte ihn unsanft an den Schultern und schüttelte ihn, mit aller Kraft die er aufbringen konnte. Akashi riss die Augen auf und starrte seinen Freund erst fragend, dann schockiert an. »Was ist denn los?«, fragte er halbgähnend. »Warum liegst du eigentlich nicht neben mir und schläfst?« Bokuto schüttelte mit dem Kopf und griff gleichzeitig nach seinem Wanderrucksack, der an der Wand lehnte. »Keine Zeit für Erklärungen, pack alles zusammen was wichtig ist – wir müssen verschwinden!« Während Bokuto schon mit Hochtouren daran arbeitete, rieb sich Akashi erst einmal den Schlafsand aus den Augen. Dann gähnte er einmal herzhaft und schmatzte vor sich hin. Bokuto schmiss ihm seinen eigenen Rucksack vor die Füße und sah ihn eindringlich an. »Fang - endlich – an – zu – packen … Hast du mich verstanden?« Akashi fand die dramatischen Kunstpausen nach jedem Wort des ersten Satzes etwas überflüssig. »Hat sich mal wieder irgendetwas auf den Hinterhof verirrt? Was ist es dieses Mal? Ein Hirsch?« »Du kennst doch die Faustregel, immerhin hast du sie selbst aufgestellt: Wo ein Schlürfer ist, sind zwei – wo zwei sind, sind auch drei und so weiter! Auf dem Hinterhof stehen fünf! Und du weißt mit was Sugawara gestern Nacht zu kämpfen hatte!« Nun schien auch endlich Akashi den Ernst der Lage begriffen zu haben. Er pellte sich aus seinem Schlafsack und fing an erst seinen und anschließend Bokutos zusammen zu rollen. Sein Freund hatte recht, er hatte diese Faustregel nach seinen ausgiebigen Beobachtungen erstellt. Und bisher hatte er mit dieser Theorie immer recht behalten. Schlürfer waren keine Herdentiere, aber wenn sie sich einer Gruppe angeschlossen hatten, dann musste schon etwas Gewaltiges geschehen, um diese Gruppe wieder zu trennen. Und wenn sich solch eine Gruppe auf dem Hinterhof versammelte, dann würde es nicht lange dauern, bis auch die Straßen völlig überlaufen wären. Und es wäre zu riskant ihr Glück herauszufordern. Akashi und Bokuto brauchten fast fünfzehn Minuten um die nötigsten Dinge zusammen zu packen. Am Ende ließen sie lediglich ein paar Kleidungstücke zurück, die Oikawa eh nie wieder hätte sauber waschen können. Besagter stürmte genau in diesem Moment den Raum. »Wie viele sind es?«, fragte Akashi, während er die Gurte seines Rucksack fest zog. »Schon fast zwanzig, wir müssen auf jeden Fall von hier verschwinden!«, antwortete Oikawa. Bokuto drücke ihm seinen Rucksack in die Hand. »Wo ist die rote Decke?«, fragte Oikawa. Akashi reichte sie ihm. »Okay, ihr beide geht schon mal hinunter. Ich befestige sie nur noch schnell und dann verschwinden wir von hier!« Bokuto und Akashi nickten verstehend und folgten dem Anführer des Moments aus dem Raum. Als sie die Treppe betraten, warfen sie einen letzten Blick zurück. Es tat schon beinahe weh gehen zu müssen. So lange waren sie hier sicher gewesen, hatten es sogar einigermaßen bequem gehabt. Auch diesen Ort jetzt den Schlürfern zu überlassen, riss ein weiteres Stück der Hoffnung aus ihren Herzen heraus. Doch schlussendlich blieb ihnen nichts anderes übrig. Es sei denn, sie wollten sterben und gefressen werden. Oder qualvoll verhungern, weil die Schlürfer tage-, vielleicht sogar wochenlang, die Polizeistation belagern. Akashi und Bokuto hatten damit zu tun die Bretter von der Tür wegzureißen. Zwei Tage hatten sie gebraucht um jedes Fenster, jede Tür im Erdgeschoss einbruchssicher zu machen. Bei jedem Brett das sie abrissen, fühlte sich Akashis Herz an, als würde man ihm die rostigen Nägel feinsäuberlich durchstechen. Gerade als sie die Nägel des letzten entfernen wollten, stieß Oikawa zu ihnen. »Es sind jetzt fast dreißig, aber sie scheinen uns noch nicht bemerkt zu haben!« »Besser ist‘s!«, brummte Akashi. Keine drei Sekunden später fiel das letzte Brett zu Boden und Akashi zerschlug mit seiner Axt die Kette des Vorhängeschlosses. Und dann standen sie plötzlich auf der Straße, direkt vor ihrem Auto – ein alter, schwarzer Transporter. Während Bokuto die Rucksäcke verstaute und Akashi versuchte den Wagen zu starten, hielt Oikawa nach den Schlürfern Ausschau. Doch noch war keiner zu sehen. Bereits ein paar Sekunden später ging der Motor los und Oikawa verlor keine Sekunde. Zusammen mit Bokuto quetschte er sich auf die beiden Beifahrersitze. Akashi legte den Gang ein und trat das Gaspedal durch. Während sie die Straße entlangfuhren, warf Oikawa einen wehleidigen Blick in den Rückspiegel. Wenn er nicht krampfhaft versuchen würde stark zu sein, hätte er vermutlich sogar geweint. Aber ein Erwachsener Mann weinte nicht. Und deswegen wandte er den Blick ab und sah aus der Frontscheibe auf die Straße. Man musste nach vorne sehen, durfte nicht zurückblicken. Die Vergangenheit war nur ein guter Ratschlag, für die Dinge, die man in Zukunft besser machen konnte. ɸ Sugawara rannte direkt in Tsukishima hinein. Dieser hatte sich nämlich dazu entschieden, einfach mitten im Weg stehen zu bleiben. Benommen taumelte der ehemalige Vize-Kapitän von Karasuno einen Schritt zurück und sah den Riesen vor sich mit bösem Blick an. Wenn Blicke töten könnten, würde Tsukishima jetzt auf jeden Fall schon mal an seinem Grab herum schaufeln. Noch so eine Aktion, dachte Sugawara, und er könnte auch gleich schon mal Probeliegen. »Bist du auf eine vorm Aussterben bedrohte Ameise getreten oder warum bleibst du einfach mitten im Weg stehen und schaust blöd in der Weltgeschichte herum?«, knurrte Sugawara ziemlich ungehalten und rieb sich die schmerzende Stirn. »Sei verdammt nochmal ein bisschen leiser!«, zischte Tsukishima bedrohlich. Einen kurzen Moment war Ruhe zwischen den beiden, dann stöhnte der Brillenträger frustriert auf. »Was hatte die blöde rote Flagge nochmal zu bedeuten?« Erschrocken riss Sugawara die Augen auf und trat dicht an Tsukishima heran. Er warf einen Blick in dieselbe Richtung und entdeckte die Rückseite der Polizeiwache und eine rote Decke, die aus dem Fenster im ersten Stock wehte. Auch Sugawara musste zwei Mal schlucken, bevor er seine Sprache wiedergefunden hatte. »Sie heißt verschwinden – Gebäude aufgeben und sich in Sicherheit bringen, mehr als 20 Schlürfer in der Nähe!« Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Sugawara starrte die Polizeistation an. Er sagte nichts, er konnte nichts sagen. »Wo kommen die her? Die letzten Wochen über waren hier keine und jetzt sind es auf einmal so Viele. Das kann doch gar nicht sein!«, sagte Tsukishima und schob sich die Brille auf dem Nasenrücken hoch. Yachi konnte sich vorstellen wo die Schnapper herkamen. Das waren bestimmt welche von denen, die heute Mittag über den Highway gewandert sind. Bestimmt hatten sich ein paar von denen durch den Wald in die Stadt verirrt. Sugawara schüttelte mit dem Kopf. »Es war zu wenig Zeit!« »Was hast du gesagt?« »Es war zu wenig Zeit!«, widerholte Sugawara leise. Und im nächsten Moment verlor er die Kontrolle über seinen Körper. Der Stress, die Angst, die Panik und die Hoffnungslosigkeit der letzten Wochen ließen sich nicht länger in seinem Inneren unterdrücken. Sie brachen aus, nahmen ihn ein. Tränen strömten ihm aus den Augenwinkeln. Er schüttelte den Rucksack von seinen Schultern. Am Boden suchte er nach Steinen, Tannenzapfen, allem was er zu greifen bekam. Dann begann er damit sie in Richtung Polizeiwache zu schmeißen. »Ihr blöden Viecher, ihr Monster! Ihr habt mir doch nun schon alles genommen, was wollt ihr denn noch?«, schrie er. Er konnte von Glück sagen, dass er zu weit weg war und das die Schlürfer ihn deswegen weder sahen, noch hörten. Sugawara ging bei jedem Wurf einen Schritt we-ter in Richtung Polizeiwache. Tsukishima wusste das er eingreifen musste, bevor die Schlürfer auf ihn aufmerksam wurden. Doch im Moment konnte er nicht anders, als den dunklen Waldboden anzustarren und die Hände zu Fäusten zu ballen. Er hatte damit zu tun die Tränen, die ihm in den Augen brannten zu unterdrücken. Sugawara hatte recht, mit allem was er sagte. Und es tat gut, dass endlich jemand aussprach, was sie alle die letzten Monate über schon gedacht hatten. Tsukishima würde sich selbst niemals als Optimist bezeichnen, eher als Realist. Und dieser Instinkt sagte ihm, dass er jetzt keine Zeit zum Weinen hatte. Er musste herausfinden in welche Richtung Bokuto, Oikawa und Akashi gefahren waren. Sie mussten dafür sorgen, dass Yachi zurück zu ihrer Gruppe kam. Er musste Kuroo finden. Sie alle mussten einen neuen sicheren Ort finden … Er blickte auf, sah die rote Decke, welche an der Fassade der Polizeiwache befestigt war und im Wind wehte. Er fixierte sie mit seinem Blick und atmete einmal tief durch. Sie würden das schaffen, er war sich ganz sicher! Er drückte Yachi Sugawaras Rucksack in die Hand und ging dann zu ihm. Sugawara hatte aufgehört Dinge nach den Schlürfern zu schmeißen. Er kniete auf dem Waldboden, hatte die Hände tief im Moos vergraben und weinte leise vor sich hin. Als er eine Hand an seiner Schulter spürte, die sanft zudrückte, schluchzte er auf. »Ich hasse es wenn Kuroo recht hat«, sagte Sugawara und begann dann plötzlich zu lachen. Tsukishima gefiel dieser plötzliche Stimmungsumschwung überhaupt nicht. Aber er hatte jetzt keine Zeit diesen weiter zu hinterfragen. Sie mussten hier verschwinden, bevor die Schlürfer doch noch auf sie aufmerksam wurden. »Wir müssen hier weg« - Tsukishima machte eine kurze Pause - »Ich denke es ist das Beste wenn wir Yachi zum Highway bringen und danach Akashi, Bokuto und Oikawa suchen.« Sugawara warf einen Blick über seine Schulter und suchte in der Dunkelheit nach Tsukishimas Augen. »Was ist mit Kuroo?«, fragte er den Brillenträger mit klopfendem Herzen. »Wir müssen an die Gruppe denken. Ich habe Bokutos Katana, er kann sich also nicht mal verteidigen«, antwortete Tsukishima und ignorierte sein ziehendes Herz. »Und außerdem kennst du die Regeln: Einzelgänger werden zurückgelassen!« »Aber-« »Kein aber, wir gehen jetzt!«, unterbrach Tsukishima Sugawara harsch. Er zog die Hand zurück, drehte sich um und zückte sein Katana. »Wenn wir schnell sind und uns nicht verlaufen, schaffen wir es bis zur Morgendämmerung den Highway zu erreichen!« Tsukishima ermutigte Sugawara und Yachi nicht noch einmal, ihm zu folgen. Er ging einfach los und drehte sich nicht nach den Nachzüglern um. ɸ Akashi hielt an der Zufahrt zum Highway an. Er blickte die Zufahrtsstraße skeptisch an. Highways sind Friedhöfe – die Regel hatte er selbst aufgestellt. Doch im Moment erschien ihm dieser sicherer, als die kleinen dunklen Landstraßen die quer durch den Wald verliefen und nicht von schützenden Leitplanken eingezäunt waren. Akashi warf einen Blick nach rechts, wo Bokuto und Oikawa seelenruhig schliefen. Würden sie es ihm übel nehmen wenn er sie der Gefahr des Highways aussetzte? Er sollte sie wecken und das mit ihnen besprechen. Doch vorher musste er sich selbst Gedanken darüber machen. Deswegen schaltete er den Motor aus und das Scheinwerferlicht ab. Einen Blick in Richtung Landstraße zu werfen brachte ihm fast gar nichts. Sie lag komplett dunkel zu seiner linken und wirkte nicht besonders einladend. Die Straße war so schmal, dass selbst zwei ganz normale Autos Probleme bekommen würden nebeneinander herzufahren. Noch dazu kam der – mit großer Sicherheit – schlechte Zustand der Fahrbahn, die bestimmt Kraterähnliche Schlaglöcher für sie bereit hielt und mit einem Transporter nicht schnell befahrbar war. Was zu einem großen Problem führen würde, wenn sie einer Horde Schlürfern begegnen sollten. Und um die alle über den Haufen fahren zu können, ohne aus dem Transporter einen Totalschaden zu machen, bräuchte er eine breitere Stoßstange. Außerdem würden sie sich sehr weit von Sugawara, Tsukishima und Kuroo entfernen. Für die drei könnte das unter Umständen auch in Gewaltmärsche ausarten. Akashi seufzte und warf einen Blick in Richtung Highway. Alleine die Zufahrt zu diesem war schon doppelt so breit wie die Landstraße. Es würde keine Schlaglöcher geben und wenn die Straße nicht von Fracks besiedelt wird, kommen sie bequem und schnell hindurch. Außerdem sind mit Sicherheit weniger Schlürfer auf einem Highway unterwegs. Der wichtigste Punkt war aber, dass sie sich parallel zur Polizeiwache positionieren würden und somit eine größere Chance bekamen die drei Verschollenen wiederzufinden. Akashi beschloss seine schlafenden Kameraden nicht zu wecken. Er startete den Wagen, schaltete das Licht an und fuhr in Richtung Highway los. Es war fahrlässig seinen Freund in Gefahr zu bringen, dass wusste er. Aber es wäre genauso fahrlässig, seine Freunde im Stich zu lassen, nur weil er zu viel Angst hatte. ɸ Kageyama sah den schlafenden Hinata kopfschüttelnd an. Sein Freund hatte sich in einen der Stühle gesetzt, die Arme vor der Brust verschränkt und sich tief in seine Jacke gekuschelt. Kageyama hatte ihm noch gesagt, dass er nicht einschlafen durfte. Kaum hatten diese Worte seinen Mund verlassen, waren Hinata die Augen auch schon zu gefallen. Nach eigener Aussage wollte er nur ein wenig dösen. Doch nachdem sich Kageyama nur einmal kurz umgesehen hatte, war aus dem Stuhl nur noch ein leises Schnarchen zu hören. Der ehemalige Zuspieler versicherte sich noch einmal, dass kein Schnapper zu sehen war. Dann trat er an seinen Freund heran und streichelte ihm sanft über den Kopf. Das friedliche Gesicht des Kleineren beruhigte ihn. In letzter Zeit hatte Hinata viele Alpträume. Wenn sie mal zum schlafen kamen, dann war dieser nicht erholsam. Hinata weckte ständig auf, begann am ganzen Leib zu zittern wie Espenlaub und weinte nicht selten. Kageyama war diesbezüglich so sensibel geworden, dass er nach dem ersten Schluchzen wach wurde. Die Träume die Hinata quälten, betrafen meistens das Team der Karasuno. Er träumte davon, dabei zusehen zu müssen, wie eines der Teammitglieder von Schnappern zerfleischt wurde. Wenn Kageyama dann fragte, was Hinata daran hinderte dies zu verhindern, erzählte ihm Hinata entweder, dass seine Füße am Boden festgefroren waren. Oder er plötzlich von einer unsichtbaren Kraft hinfort gezogen wurde. Kageyama wusste, dass sein Freund damit den Tod seiner Schwester verarbeitete und, dass er ihm dabei nicht helfen konnte. Aber in manchen Nächten war es schwer das tatenlos mit anzusehen. Manchmal schlief Kageyama gar nicht erst ein, weil er ganz genau wusste, dass sein Freund ihn in ein paar Minuten sowieso wieder aufwecken würde. Doch heute schien Kageyama davon verschont zu bleiben, denn Hinata hatte sich in den letzten fünfzehn Minuten noch nicht einen Millimeter bewegt – ein gutes Zeichen! Kageyama streichelte seinem Freund noch einmal kurz über den Kopf und setzte sich dann auf den anderen Stuhl. Er angelte sich einen Energy-Drink aus der Kühlbox zu seinen Füßen. Bevor er sie öffnete, drehte er die Dose in seiner Hand hin und her. Das Getränk war in der heutigen Zeit noch schwerer aufzutreiben als eine Flasche Sake und ihr aktueller Vorrat war begrenzt. Aber wenn er nicht so enden wollte wie Hinata, dann hatte er diese Brühe jetzt bitterböse nötig. Denn Kenma war der einzige der mit dem Gaskocher umgehen konnte und der würde sich jetzt nicht aus seinem Bett bequemen um eine Kanne Kaffee zu kochen. Und in kaltem Wasser löste sich der Instantkaffee nicht auf, dass hatte Kageyama in seiner Verzweiflung schon mal getestet. Der Innendruck entwich der Dose laut zischend, als Kageyama die Metalllasche anhob. Das Geräusch halte über den gesamten Highway und einen Moment hatte er Angst, er könnte die anderen damit aufgeweckt haben. Er warf Hinata einen kurzen Seitenblick zu. Das Krähenküken schnarchte seelenruhig vor sich hin – also Entwarnung. Kageyama nahm einen großen Schluck von dem süßen, klebrigen Getränk. Es schmeckte jedes Mal so, als ob er sich vier Stück Würfelzucker mit einem Mal in den Mund stecken würde. Den Geschmack würde er morgen noch den ganzen Tag im Mund haben. Bei den nächsten beiden Schlucken hielt er sich die Nase zu, denn den Kaugummiähnlichen Geruch mochte er genauso wenig. Als er die Dose auf dem Dach des Wohnmobils abstellte und sich wieder zurücklehnen wollte, fielen ihm zwei Lichter am Horizont auf, die mit jeder Sekunde größer wurden. Er starrte weiter in die Richtung und versuchte zu erahnen um was für ein Gefährt es sich handeln könnte. Für ein ganz normales Auto standen die Scheinwerfer aber zu weit auseinander. Panisch sprang er auf, schaffte es gerade so zu verhindern, dass die Getränkedose umkippte. Dabei machte er so einen Lärm, dass auch Hinata aus seinem Stuhl hochschreckte. Als er registriert hatte, dass der Krach von seinem Freund verursach wurde, atmete er erleichtert aus. »Was ist denn los?«, fragte er gähnend und rieb sich dabei den Schlafsand aus den Augen. »Steh auf, da kommt ein Auto! Wir müssen die anderen wecken!« Hinata rutschte das Herz in die Hose. Auf andere Überlebende zu treffen hatte in dieser neuen Welt nicht immer einen guten Ausgang. Denn ganz selten wollten diese etwas Gutes. Damit hatten sie alle ihre ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Kageyama drückte Hinata ein Gewehr in die Hand und ging dann zur Leiter die vom Wohnmobildach hinab führte. Hinata zitterte wie Espenlaub. Er stand auf wackeligen Beinen seinem Freund gegenüber, blickte ihn aus tellergroßen Augen an. Er wollte sich den Menschen, die da auf sie zukamen, nicht gegenüberstellen. Er wollte die anderen wecken und sich gemeinsam mit ihnen im Wald verstecken. »Tobio«, sagte Hinata mit zittriger Stimme, »ich will nicht sterben!« Kageyama seufzte leise. »Du wirst auch nicht sterben! Das werde ich verhindern, aber wir müssen erst mal von diesem Dach hinunter!«, antwortete Kageyama. Hinata rang noch immer um Fassung, schaffte es aber zu nicken und sich in Bewegung zu setzen. Als sie beide auf dem Asphalt des Highways standen, warf Kageyama einen schnellen Blick über die Autos hinweg, um abschätzen zu können wie weit die Lichter noch entfernt waren. Maximal drei Minuten hatten sie noch, dann wäre das Gefährt bei Ihnen. Sie mussten schnell handeln. Lev, Matsukawa und Hanamaki würde Kageyama hierbehalten, falls es doch zu einem Kampf kommen würde. Der Rest sollte sich im Wald verstecken. Der ehemalige Zuspieler atmete tief ein und aus. Dann drehte er sich zu seinem Freund um und packte ihn an den Schultern. »Du weckst jetzt Kenma, Yaku, Yamaguchi und Kuroo und gehst mit ihnen in den Wald. Versucht euch irgendwo zu verstecken, rennt aber nicht zu weit weg. Wir kommen euch holen, wenn alles vorbei ist!« Kageyama beugte sich zu seinem Freund hinab und drückte ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. Er musste sich für den Fall der Fälle alles ganz genau einprägen. Denn Hinatas Gesicht was das Gesicht, was er sehen wollte, wenn er starb. Nur seins, kein anderes. Hinata wollte etwas sagen, doch die Panik hatte ihm die Kehle zugeschnürt. Er strich Kageyama einmal kurz über die Wange und verschwand dann im Inneren des Wohnmobils um seine Freunde zu wecken. Kageyama ging auf den VW-Bus zu. Hanamaki und Matsukawa waren sicherlich nicht sehr erfreut darüber jetzt wieder geweckt zu werden. Als er in der Nähe des VW zum Stehen kam, standen Hanamaki und Matsukawa bereits auf der Straße und sahen in Richtung der Lichter. Matsukawa streckte sich und gähnte dabei, während Hanamaki seine Messer zählte. »Denkt ihr, dass wir kämpfen müssen?«, fragte Kageyama die beiden mit erstickter Stimme. Hanamaki lachte freudlos auf. »Da fast jede Gruppe aus Überlenden bessere Waffen hat als wir, wird es wohl keinen großen Kampf geben!« Matsukawa nickte zustimmend. »Aber wenn Sie Maschinengewehre haben, sterben wir wenigstens schnell und hoffentlich schmerzlos!« Kageyama gefiel die Einstellung der beiden überhaupt nicht. Aber er wunderte sich nicht darüber. Denn Matsukawa und Hanamaki hatten nur noch sich, alles andere hatte ihnen diese neue Welt schon genommen. Und wenn sie heute beide sterben würden, dann wäre es für sie kein unüberwindbarer Verlust. Während die drei reglos dort standen krabbelte Kuroo aus dem Bus und rieb sich die Augen. »Was ist denn los?« »Geh zu Hinata und den anderen, er wird die erklären was zu machen ist!«, antwortete Kageyama. »Grüß die Feiglinge schön!«, rief Hanamaki ihm hinterher und fing sich dafür einen Hieb in die Seite von seinem Freund ein. Kuroo wandte den Blick in Richtung Lichter und fixierte sie. Das Gefährt war mittlerweile so nah, dass die schemenhaften Umrisse eines Transporters zu erkennen waren. Und Kuroo war sich ganz sicher, dass es in der Umgebung nur einen einzigen weißen Transporter gab, der noch fahrtüchtig war. »Ihr könnt eurer Waffen wieder wegstecken«, sagte Kuroo gelassen. Hanamaki zog beide Augenbrauen hoch. »Warum? Willst du dich etwas als Unterhändler versuchen?« »Von denen geht keine Gefahr aus! Ihr braucht Hinata auch nicht in den Wald rennen lassen!«, antwortete Kuroo. »In dem Transporter sitzen Oikawa und die Anderen!« ɸ Sie hatten sich verlaufen. Das, was unter keinen Umständen hätte passieren dürfen, war passiert. Tsukishima stöhnte genervt auf, während er mit seinem Katana Gestrüpp aus dem Weg räumte. Yachi und Sugawara liefen stillschweigend hinter ihm her. Seitdem sie gemerkt hatten, dass ihre Wegweisungen der komplette Reinfall waren, hatte keiner von ihnen mehr etwas gesagt. »Wenn wir es irgendwie bis zum Fluss schaffen, sollten wir den Weg zum Highway eigentlich auch schnell finden«, sagte Tsukishima ausdruckslos. Im Moment wünschte er sich bloß, dass die Nacht schneller vorbeiging. Er konnte kaum sehen wo er hintrat und einen Schlürfer würde er im Zweifelsfall auch nicht sehen. Sugawara hatte Tsukishima schon mehrmals angeboten seine Taschenlampe zu nehmen, aber das war dem Brillenträger zu riskant. Deswegen stapften sie im Dunkeln durchs Moos, vorbei an hohen Tannenbäumen und dicken Trauerweiden. Zwei Stunden waren Sie unterwegs, dann taten Yachi die Füße so sehr weh, dass sie sich weigerte, noch einen einzigen Schritt weiterzugehen. Sie war vollkommen erschöpft und dehydriert. Das Wasser war der Gruppe aber schon vor einer ganzen Weile ausgegangen. Noch dazu kamen die schwülen Temperaturen und die drückende Luft. Es war nicht wirklich kalt und auch nicht wirklich warm, doch die kleinste Anstrengung brachte einen schon zum Schwitzen. »Wir müssen eine Pause machen! Sie ist den ganzen Tag auf den Beinen gewesen, sie muss sich ausruhen!«, sagte Sugawara eindringlich. Tsukishima zischte und verdrehte die Augen. »Ich bin auch den ganzen Tag unterwegs. Wir können nicht anhalten. Es ist kaum was zu erkennen und die Schlürfer könnten uns überraschen. Wenn du kein Nachtsichtgerät aus deinem Rucksack zaubern kannst, dann können wir auch nicht anhalten, so einfach ist das!« Tsukishima schob sich die Brille auf der Nase Zu Recht und wandte sich dann Yachi zu. »Ich weiß, dass du erschöpft und müde bist, aber wir müssen weiter. Wenn wir es bis zum Fluss schaffen ist es nicht mehr weit!« Sugawara verzog das Gesicht. Ihn pflaumte Tsukishima an, aber Yachi packte er in Watte. Das Mädchen begann zu schluchzen. »Aber ich kann wirklich nicht mehr laufen. Ich habe einen Krampf in beiden Oberschenkeln und meine Füße fühlen sich an wie Blei. So einen Gewaltmarsch musste ich in den letzten Drei Monaten nicht hinter mich bringen!«, jammerte sie. Nun verlor auch Tsukishima die Geduld. Er schulterte die beiden Katanahüllen ab und drückte sie Sugawara in die Hand, anschließend positionierte er sich genau vor Yachi. »Ich werde dich bis zum Fluss Huckepack nehmen, danach läufst du wieder alleine – verstanden? Wenn nicht, lassen wir dich zurück!« Yachi nickte eilig, bevor Tsukishima es sich vielleicht doch noch anders überlegte, und stemmte sich vom Boden hoch. Sugawara musste ihr helfen auf Tsukishima aufzuspringen, denn der Brillenträger war einfach zu groß für ihre kurzen Beinchen. Sie klammerte sich an ihn wie eine Ertrinkende und schlang Arme und Beine so fest um Tsukishima, dass dieser Schwierigkeiten beim bewegen hatte. Er ließ sich von Sugawara beide Katana reichen und dann gingen sie weiter. Dieses Mal nebeneinander. Und weil Sugawara das dumpfe Schweigen nicht mehr ertrug, stimmte er eine Geschichte aus Schulzeiten an, wo sie alle drei Teil des Volleyballteams waren. ɸ Er spürte eine Hand an seiner Wange. Verblichene braune Augen starrten ihn an. Eine brechende Stimme sagte ihm, dass er gehen musste, dass er sich in Sicherheit bringen musste. Dass er IHN zurücklassen musste. Er küsste die spröden Lippen, strich über die kratzende Wange seines Gegenübers. Er vergoss Tränen und schluchzte. Er würde nicht gehen, er würde IHN hier niemals zurücklassen. Plötzlich packten ihn zwei Hände an den Schultern und zogen ihn hinfort und sein größter irdischer Schatz verschwand am Horizont, während er selbst immer weiter in die Dunkelheit hineingezogen wurde. Er hörte das Stöhnen, hörte das Ächzen. Hörte andere Menschen die hämisch lachten, weil sie sich in einer Welt ohne Regeln und Gesetze als die Stärkeren bewiesen hatten. Er spürte tote, kalte Hände überall auf seinem Körper. Sie kratzten ihn wund und blutig, sie rissen seine Haut auf. Er schrie und schrie. Doch niemand hörte ihn. Niemand würde kommen um ihn zu retten! Oikawa fuhr erschrocken aus dem Sitz hoch und starrte schwer atmend aus der Frontscheibe. Er hatte schon seit Wochen nicht mehr von Iwaizumi geträumt. Und ausgerechnet jetzt, wo Sugawara nicht da war, kamen die Alpträume zurück. Intensiver und lebendiger als jemals zu vor. Panisch blickte er sich um. Er musste sich vergewissern, dass sein Traum nicht doch zur Wirklichkeit würde. Dabei stellte er fest, dass Akashi den Transporter über den Highway durch ein paar verrostete Fracks lenkte. Oikawa rieb sich die Augen, nachdem die Panik ein wenig abgeebbt war. »Warum fährst du hier lang? Du warst doch derjenige gewesen, der gesagt hat Highways sollen wir meiden!« Akashi erschreckten die plötzlichen Worte so sehr, dass er statt der Kupplung aus Versehen auf die Bremse trat und damit den Transporter ruckartig zum Stehen brachte. Bokutos Kopf schlug einmal auf dem Armaturenbrett auf und als die Eule dank des Rückschwungs wieder in seinen Sitz geworfen wurde, war auch sie wach. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich die Stirn. »Boah Akashi; musste das sein?«, beschwerte er sich auch gleich. Sein Freund streichelte ihm einen Moment über die Stirn. »Tut mir leid, war nicht mit Absicht!« »Das will ich auch schwer hoffen«, erwiderte Bokuto und streckte sich gleichzeitig so sehr in die Höhe, dass sämtliche seiner Knochen knackten. Oikawa stellte seine Frage erneut. »Weil mir der Highway sicherer erschien, als diese kleine holprige Landstraße«, rechtfertigte sich Akashi. »Und außerdem fahren wir jetzt parallel zu Kuroo und den anderen. Wenn wir morgen die Zeit nutzen und sie suchen gehen, finden wir sie bestimmt!« Bokuto ließ seinen Blick über den Schrottplatz vor seinen Augen wandern. »Bist du dir sicher, dass wir hier überhaupt durchkommen? Es sieht so aus, als hätte es hier mal einen Unfall und kein durchkommen gegeben. Warum sonst würde jemand sein Auto mitten auf dem Highway stehen lassen!« Oikawa schauderte. »Mich interessiert eher wo die Insassen hin sind!« »Wenn sie es nicht überlebt haben, sind sie trotzdem schon lange fort! Du weißt doch: Schlürfer halten sich nie lange an ein- und demselben Ort auf – es sei dem es gibt etwas zu fressen!«, klärte Akashi ihn auf. Im nächsten Augenblick rollte der Transporter schon wieder. Oikawa blickte nachdenklich aus dem Fenster und starrte direkt in den dichtbewachsenen Wald. Er fragte sich, was Sugawara wohl im Augenblick machte und ob er ihn auch so sehr vermisste. Der Transporter hielt wieder. Oikawa und Bokuto warfen Akashi einen fragenden Blick zu. »Seht ihr das Licht da vorne? Direkt geradezu!« Bokuto und Oikawa drehten synchron die Köpfe und warfen einen angestrengten Blick aus dem Fenster. Oikawa gab das nach einigen Sekunden jedoch wieder auf. Diese vermaledeite Kurzsichtigkeit war in so einer Welt überhaupt nicht zu gebrauchen. Vor allem dann nicht, wenn man seine Brille im Tumult der Evakuierungen verloren hatte. Bokuto schaute sich noch ein paar Sekunden länger um. Er wollte gerade seinen Freund fragen, ob er seit neustem Gespenster sah, als auch er am Horizont etwas aufflackern sah. Es sah aus wie eine große Kerze oder ein brennendes Feuerzeug. »Wir sollten umdrehen«, flüsterte die Eule. »Das gefällt mir überhaupt nicht!« »Aber was ist, wenn einer von uns bei ihnen ist und sie ihm etwas antun wollen. Dann müssen wir ja wenigstens versuchen ihn zu retten oder etwa nicht?«, fragte Akashi, klang dabei beinahe schon ein wenig verzweifelt. »Wenn diese Menschen uns etwas antun, haben wir auch nichts gekonnt – am Ende sterben wir alle!«, entgegnete Bokuto energisch. Jetzt lehnte sich Oikawa vor. »Das ist egal! Ich habe einmal jemanden zurückgelassen, ich werde es kein zweites Mal tun!« - er seufzte schwer - »Wenn ihr zu viel Angst habt, dann lasst mich aussteigen und dreht wieder um!« Akashi brabbelte daraufhin etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und legte den ersten Gang ein. »Wenn wir sterben, dann alle zusammen!«, begründete er seine Entscheidung und trat aufs Gaspedal. Ungefähr zwanzig Meter vor dem Licht blieben sie stehen. Akashi machte den Motor aus und öffnete seine Tür. Oikawa tat es ihm gleich. Nur Bokuto war noch immer nicht überzeugt. Akashi verengte die Augen zu Schlitzen. »Kommst du dann endlich? Ich habe keine Lust hier noch bis morgen früh zu warten!«, fauchte er seinen Freund an. Die Eule schüttelte energisch mit dem Kopf. »Ich geh da nicht hin! Ihr seid doch lebensmüde!« Akashi stöhnte genervt und knallte die Fahrertür dann einfach zu. Er würde jetzt keine Diskussion führen. Oikawa und Akashi war schon etwas mulmig zu Mute, als sie auf den Konvoi aus Wohnmobil und VW Bus zugingen. »Denk immer dran: Wir sind bis hier hingekommen, mit einer Axt und einem Baseballschläger. Es gibt kein schwierigeres Hindernis!« »Und wenn die Waffen oder sogar Maschinengewehre haben? Was machen wir dann?«, entgegnete Oikawa. Jetzt war er auch nicht mehr so überzeugt davon, dass sie das richtige taten. Sie gingen langsam, Schritt für Schritt. Und irgendwann war der Abstand so klein, dass sie aus Sicherheitsgründen stehen blieben. »Wir kommen in Frieden!«, sagte Akashi, weil ihm nichts Besseres einfiel und weil er das dringende Bedürfnis hatte überhaupt etwas zu sagen. Jemand trat hervor und breitete die Arme aus. »Wäre auch traurig wenn nicht«, sagte die Person. Akashi und Oikawa erkannten die Stimme sofort. Es war Kuroo! Akashi begann zu grinsen, ließ die Axt fallen und rannte auf seinen Freund zu, um ihn fest in die Arme zu schließen. Neben Kuroo traten zwei weitere Personen hervor, deren Gesichter sogar Oikawa trotz seiner Kurzsichtigkeit sofort erkannte. Er ließ seinen Baseballschläger fallen. »Matsun? Makki? Seid ihr es wirklich?« »Ja, ja wir sind‘s«, antwortete Hanamaki weinerlich. Dann gab es für alle drei kein Halten mehr. Oikawa ließ seinen Baseballschläger fallen und rannte auf seine beiden Totgeglaubten Freunde zu. Niemals im Leben hätte er geglaubt, sie jemals wiederzusehen! Die drei Freunde schlossen sich gegenseitig fest in die Arme und konnten die aufkommenden Tränen nicht unterdrücken. Dieses Wiedersehen erinnerte sie daran, dass einer von ihnen fehlte. Dass er es nicht geschafft hatte. Es würde wohl für immer ein Loch in ihren Herzen zurückbleiben. Neben ihnen löste sich Kuroo langsam von Akashi. »Wo sind Kei und Bokuto?« »Bokuto sitzt im Transporter! Er hatte zu viel Angst hier her zu kommen. Und Tsukishima ist am Abend noch einmal losgegangen um nach Sugawara und dir zu suchen und ist nicht zurückgekehrt«, antwortete Akashi mit zitternder Stimme. »Wir mussten die Polizeiwache aufgeben. Sie waren überall. Wir haben die rote Fahne aufgehängt und sind verschwunden – ich hoffe Sugawara und Kei sind nicht von der Straße aus reingegangen.« Kuroos Augen weiteten sich panisch. »Sugawara ist in einem Haus im Wald. Die Chance das Kei ihn dort findet ist … Und Kei läuft nicht gerne durch den Wald, vor allem bei Dunkelheit nicht. Er wird von der Straße aus zurückkommen und in die Falle tappen!« Akashi senkte den Kopf. »Das haben wir nicht bedacht.« Wütend schlug Kuroo gegen die Karosserie eines Fracks. Er raufte sich verzweifelt die Haare. Er brauchte ein paar Minuten um sich zu sammeln, dann trat ein wahnsinniger Ausdruck in seine Augen und er begann hysterisch zu lachen. »Das alles ist doch völlig absurd! Sobald ich in Sicherheit bin, ist er in Gefahr und umgekehrt!« Akashi wusste nicht was er dazu sagen sollte. Deswegen sagte er gar nichts. »Ich werde mal Bokuto holen gehen«, meinte Kuroo plötzlich und setzte sich humpelnd in Bewegung. Neben ihm lösten sich jetzt auch die drei ehemaligen Aoba Josai Schüler voneinander. Und Kageyama, der Hinata davon abgehalten hatte in den Wald zu laufen, trat heran. Oikawa begann zu grinsen. »Warum wundert es mich nicht, dich hier zu sehen!« Kageyama zuckte mit den Schultern und ehe er sich versah, wurde er von Oikawa schon in eine feste Umarmung gezogen. »Es ist schön, dass du noch am Leben bist«, flüsterte Oikawa ihm ins Ohr und schloss in dann noch fester in seine Arme. Kageyama erwiderte die Umarmung fest. Nachdem sich Oikawa wieder von seinem ehemaligen Schüler gelöst hatte, erblickte er Hinata und Yamaguchi. Obwohl er nie wirklich etwas mit Ihnen zu schaffen hatte, schloss er auch sie kurz in eine Umarmung. Dass sie früher auf dem Feld Feinde waren, war jetzt nicht mehr von Bedeutung. In dieser neuen Welt wurden sie automatisch zu Verbündeten. Akashi wurde derweilen auf Kenma, Yaku und Lev aufmerksam. Die Begrüßungsrunde wurde fortgeführt. Und als Bokuto zu ihnen stieß ging es weiter. Kuroo blieb am Rand stehen und sah in die Richtung, aus der der Transporter gekommen war. Er überlegte fieberhaft wie er zur Polizeistation zurückkam, um seinen Freund zu retten. Wenn die Schlürfer in sich nicht schon geholt hatten. Hanamaki trat von links an ihn heran. »Vermisst du jemanden?« »Meinen Freund«, antwortete Kuroo ehrlich. »Er hat die Gruppe verlassen um mich zu suchen!« Matsukawa trat von rechts an ihn heran. »Dann sollten wir ihn morgen suchen gehen.« »Ich glaube nicht das das noch einen Sinn hat!« »Gib die Hoffnung nicht auf«, entgegnete Hanamaki. »Niemals«, fügte Matsukawa hinzu. Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Shimizu wurde von weichen Sonnenstrahlen geweckt, die sich durch die Baumkronen einen Weg in ihr Zimmer suchten. Die linke Betthälfte war frischgemacht und seit zwei Wochen nicht angerührt worden - so lange streifte ihr Freund Tanaka jetzt schon wieder durch die Gegend. Sie seufzte und setzte sich im Bett auf. Die Wände der Holzhütte waren hell angestrichen und die Möbel alle aus Rattan. Alles knarrte und quietschte, sobald man es berührte. Ein bezauberndes Geräusch, wie sie fand. Und es beruhigte sie, wenn das Ächzen und Stöhnen der Beißer in ihre Ohren vordrang. Sie streckte sich einen kurzen Moment ausgiebig und schwang dann die Beine aus dem Bett. Gleichzeitig tauchte ein schwarzer Haarschopf im Türrahmen auf. »Guten Morgen – hast du gut geschlafen?«, fragte Ennoshita lächelnd. Shimizu nickte. »Und ihr?« »Narita und Kinoshita konnten mal wieder die Finger nicht voneinander lassen, aber ansonsten ging es. Wir hatten uns überlegt, heute das Rezeptionsgebäude und das Restaurant zu säubern und danach wollten wir schauen ob wir die Solaranlage nicht vielleicht wieder in Gang kriegen. Hilfst du uns?« Das einzige Mädchen der Gruppe lächelte und nickte. Dann scheuchte Sie Ennoshita aus dem Raum, damit sie sich anziehen konnte. Die Überlebenden von Karasuno hatten sich in einem leer stehenden Schulgebäude, das als Flüchtlingslager gedient hatte, wiedergetroffen. Als dieses überrannt wurde, waren sie zu sechst geflüchtet und nach wenigen Tagen auf dieses gut erhaltene Baumhaushotel gestoßen. Es war klein und hatte nur sechs Zimmer, was Shimizu vermuten ließ das es zu einem Hotelkomplex gehörte. Das Hauptgebäude stand mit Sicherheit in einer der nahegelegenen Städte. Mit großer Vorsicht hatten sie die einzelnen Zimmer durchsucht und nur in einem ein altes Ehepaar gefunden, was vermutlich im Schlaf von den Beißern überrascht wurde. Zwei von ihnen hatten sich anscheinend bis zum Hirn durchgefressen, denn die beiden rührten sich nicht einen Millimeter. Nishinoya und Tanaka plünderten das kleine Restaurant am Eingang des Geländes und wollten anschließend weiterziehen. Doch der Rest der Gruppe empfand es als sicher genug und wollte hier bleiben. Und da die beiden Raufbolde überstimmt wurden, blieben sie. Sie zerstörten die Treppen, die auf die Podeste führten und bauten sich Strickleitern. Dann beerdigten sie das alte Ehepaar, weil Shimizu fand, dass sie es verdient hatten würdevoll bestattet zu werden. Während die anderen die Löcher ausgehoben, wickelte sie Mann und Frau in ein sauberes Leinentuch. Sie bauten Kreuze aus Ästen und steckten sie in die zugeschütteten Gräber. Ennoshita sagte ein paar Worte und anschließend ließen sie den beiden ihre letzte Ruhe. Shimizu bezog das Bett neu, aber einziehen tat in das Zimmer niemand von ihnen. Und mittlerweile versteckten sich die sechs schon seit fast zwei Monaten hier. Nishinoya und Tanaka brachen in regelmäßigen Abständen zu Wandertouren auf – manchmal nahmen sie Ennoshita mit, wenn dieser es nicht mehr in der Nähe der anderen aushielt. Zum einem um die Umgebung zu erkunden und zum anderen, um Lebensmittel zu finden. Shimizu ging den lieben langen Tag haushälterischen Pflichten nach und der Rest kümmerte sich um die Instandhaltung und Tarnung des Baumhaushotels. So hatten sie die letzten Wochen, Tag für Tag relativ friedlich hinter sich gebracht. Wenn sich Beißer in die Nähe des Baumhaushotels verirrten, dann sammelten sie sich alle zusammen in einem der Zimmer und zogen die Strickleitern hoch. Die meisten zogen von alleine weiter, nur ein paar mussten sie erledigen und verbrennen. Doch heute war etwas anders. Das spürte Shimizu sofort, als sie ihr Zimmer verließ und die Jungs ansah, die auf dem Podest neben ihrem standen. Sie setzte ein unechtes Lächeln auf, weil sie nicht wollte, dass die anderen etwas von ihrer Anspannung bemerkten. Sie hatte einmal erlebt, wie eine Menschenmasse in Panik ausgebrochen ist. Alles war hektisch und chaotisch und unkontrolliert. Kinder haben geschrien, Menschen habe andere Menschen ohne Rücksicht auf Verluste niedergetrampelt. Die Leute drückten sich gegenseitig gegen die Türen des Schulgebäudes und schubsten sich. Shimizu wurde in den Strom hineingezogen und hatte sich schon einen Erstickungstod sterben gesehen. Doch dann hatte Tanaka laut nach ihr geschrien und sich zu ihr zugekämpft. Er hatte sie gerettet und war mit ihr und den anderen aus dieser Hölle verschwunden. Sie retteten sich auf eine Brücke ganz in der Nähe und mussten mit ansehen wie ihr Flüchtlingscamp in Flammen aufging – vermutlich, weil die verbleibenden Soldaten keine andere Möglichkeit gesehen hatten. Sie hörten die Schreie der sterbenden Menschen selbst über die große Entfernung laut und deutlich. Noch heute verfolgten sie Shimizu bis in den Schlaf. In manchen Nächten wachte sie schweißgebadet auf und konnte danach nicht wieder einschlafen. Sie ging zu ihren Freunden hinüber und bat sie schon einmal vorzugehen, denn sie hatte noch etwas zu erledigen. Die drei Jungen nickten und stiegen die Strickleiter an ihrem Podest hinab, während Shimizu sich zu der Hütte ganz am Ende aufmachte. Die Tür knarrte, als sie sie leise öffnete. Die Rollläden waren hinabgelassen und ließen keinen einzigen Sonnenstrahl in den kleinen Raum eindringen. Eine Spur aus brennenden Kerzen führte sie zum Bett, auf dem kleine und größere Steine verstreut lagen. Auf jedem stand ein Name – Namen die zu Personen gehörten, von denen Shimizu glaubte sie nie wieder lebend zu sehen. Namen von Personen, die Shimizu für Tod hielt. Namen von Personen, die Shimizu dennoch schrecklich vermisste. Sie kniete am Fußende des Bettes nieder, senkte den Blick und faltete die Hände. Shimizu glaubte an keinen Gott und sie war auch nicht der Meinung, dass es so etwas wie eine höhere Macht gab. Aber sie wusste, dass ein paar ihrer vermissten Freunde daran glaubten und deswegen betete sie jeden Morgen nach dem Aufstehen für sie. Sie betete dafür, dass es ihnen gut ging und das sie einen sicheren Ort gefunden hatten, an dem sie überleben konnten. Danach zündete sie für jeden Stein auf dem Bett ein Teelicht an, stand auf und zog die Tür des Raumes leise hinter sich zu. Als sie heute den Raum verließ, dachte sie auch an Tanaka und Nishinoya und hoffte, dass ihnen nichts geschehen war. Sie ging zu den anderen, die sich bereits um die Cafeteria und das kleine Rezeptionsgebäude gekümmert hatten. Alle drei hatten ein Lächeln auf den Lippen, was bedeutete, dass sich kein Beißer dorthin verirrt hatte. Das zauberte auch Shimizu ein Lächeln auf die Lippen. Jeder Beißer war mal ein Mensch gewesen, hatte eine Familie die er beschützen wollte, hatte Freunde die er vermisste. Sie einfach als Monster abzutun käme Shimizu nie in den Sinn. Und deswegen fand sie nicht nur den Tod von Menschen grausam. Auch jeden Beißer den sie eigenhändig erledigen musste, bedauerte sie. »Schau mal was ich neben dem Computer gefunden habe!«, sagte Ennoshita und hielt ein dickes Heft hoch. »Die Bedienungsanleitung für die Solaranlage – das sollte uns helfen sie zu reparieren!« »Klasse», freute sich Shimizu ehrlich. Denn die reale Aussicht auf Storm und warmes Wasser, füllte sie mit derselben Freude, wie ein Kind an Weihnachten. Gemeinsam stiegen die vier an der Rückseite des Rezeptionsgebäudes aufs Dach wo sich die Solarzellen befanden. Sie waren alle nach wie vor in einem tadellosen Zustand. Wind und Wetter hatten ihnen bisher nichts anhaben können. Zusammen mit Narita fegte Shimizu ein paar heruntergekommene Äste und Blätter von den Paneelen, während Ennoshita und Kinoshita die Anleitung studierten. »Oh«, vernahm Shimizu plötzlich einen der Jungs, »das wird nicht so einfach wie ich gedacht hatte. Dafür brauchen wir Zeit!« »Dann nehmt sie euch – unbedingt darauf angewiesen sind wir ja nicht«, sagte Shimizu. Narita nickte zustimmend. »Und was wollt ihr währenddessen machen?«, fragte Ennoshita stirnrunzelnd. »Ich überziehe die Betten. Ich habe schon letzte Woche in der Rezeption frische Bettwäsche gesehen und ich finde für einen Wechsel wird es langsam Mal Zeit!«, antwortete Shimizu. »Und ich werde nach Beißern Ausschau halten – irgendeiner muss es ja machen!« Kinoshita und Narita gaben sich einen Kuss, als würden sie sich jetzt wochenlang nicht mehr sehen. Dann stiegen Shimizu und Narita die Leiter wieder hinab und gingen ihren Aufgaben nach. Als die Sonne schließlich unterging, schaltete Shimizu an der mittleren Hütte die Batteriebetriebene Lichterkette an, die sie gemeinsam aufgehängt hatten. Anschließend begann sie in der Hütte, dass Abendessen zuzubereiten. Es fiel – wie bereits die letzten Tage – ziemlich karg aus. Reis und Dosenfisch, der langsam anfing komisch zu schmecken. Shimizu wusste nicht ob das nun so war, weil sie das exakt selbe Gericht fünf Tage in Folge gegessen hatten oder weil der Fisch langsam schlecht wurde. Aber sie beschloss es darauf ankommen zu lassen und machte vier Schüsseln fertig. In dem Moment, in dem sie den kleinen Gaskocher ausschalten tat, kamen auch die anderen zurück zu den Hütten. »Ein verdammt kompliziertes Teil diese Anlage«, meckerte Ennoshita, als er sich im Schneidersitz auf der ausgelegten Picknickdecke fallen ließ. »Ja, aber ich denke morgen schaffen wir es sie wieder zum Laufen zu bringen!«, entgegnete Kinoshita überzeugt. Shimizu reichte ihnen zwei Schüsseln und ließ sich ihnen gegenüber nieder. »Was habt ihr denn herausgefunden?«, fragte sie interessiert. Sie war nicht wirklich neugierig und auch nicht aufgeregt. Sie wollte einfach nur die einsamen Gedanken aus ihrem Kopf vertreiben. »Wir wissen jetzt was alles an die Solaranlage angeschlossen ist und welche Kabel wir kappen können, weil wir die Dinge nicht benötigen. Der Computer in der Rezeption ist zum Beispiel nicht wichtig, genauso wie die Lampen dort und in der Cafeteria. Um so mehr unnötiger Stromverbrauch vermieden wird, umso mehr haben wir für die Hütten!«, antwortete Ennoshita altklug. Dann schwieg er, weil er damit beschäftigt war sein Essen zu verschlingen, als hätte er seit Tagen nichts mehr zu sich genommen. Kinoshita nickte kurz zustimmend und tat es seinem Freund dann gleich. Shimizu ging mit ihrem Mahl weniger rabiat zu. Statt es in sich hineinzuschlingen, genoss sie Bissen für Bissen. Auch wenn ihr der Geschmack langsam zum Hals heraushing. Als die drei schon fast fertig waren, stieß Narita zu ihnen. Er berichtete kurz davon, dass heute Nacht vermutlich fünf Beißer das Hotel streifen würden, aber keine größere Menge zu sehen war. Dann ließ er sich von Shimizu seine Schüssel geben und schlang den Reis und den Fisch ebenfalls wie ein Irrer hinunter. Nachdem sie alle ihre Mahlzeit beendet hatten, spülte Shimizu in der Hütte die Teller. Ennoshita und Kinoshita teilten auch Narita ihre Erfolge mit der Solaranlage mit und danach holten sie sich eine Flasche Sake aus ihren Vorräten. Es fiel ihnen nicht schwer das bittere Gebräu zu schlucken und zu genießen. Shimizu beteiligte sich nie an diesen Runden. Sie fand es furchtbar was der Alkohol mit Menschen anstellte und sie fand auch, dass man den Missbrauch von diesem nicht mit den aktuellen Umständen argumentieren konnte. Aber wenigstens schliefen die drei wenigstens ruhig, wenn sie eine ganze Flasche von dem Zeug getrunken haben, dachte Shimizu beruhigt und verabschiedete sich lächelnd von ihren Freunden. Diese reichten die Flasche bereits eifrig umher und nahmen keine Notiz von ihr. Dieses Verhalten bestätigte Shimizus Meinung nur und schnaufend zog sie sich in ihre Hütte zurück. Als sie sich auszog und alleine unter die Decke kroch, wurde ihr wieder bewusst wie schmerzlich sie Tanaka vermisste. Und während das Lachen der anderen an ihre Ohren drang und sie an Tanaka dachte schlief sie schließlich ein. ɸ Als Shimizu am nächsten Morgen erwachte, lag sie immer noch alleine im Bett. Wäre auch zu schön gewesen wenn er heute Nacht zurückgekehrt wäre, dachte sie bitter. Dann schwang sie die Decke bei Seite und die Beine aus dem Bett. Wie gestern zog sie sich an und ging dann in die mittlere Hütte, die so etwas wie der Gemeinschaftsraum war. Sie bog um die Ecke und trat beinahe auf Narita, der es letzte Nacht nicht mehr in sein Bett geschafft hatte. Er hatte sich zusammengerollt und schlief tief und fest. Shimizu verdrehte verärgert die Augen und hob die leere Glasflasche auf. Mehr als einmal hatte sie schon mit dem Gedanken gespielt, dass abscheuliche Zeug einfach wegzuschütten. Doch immer wenn sie daran dachte, dann musste sie auch daran denken dass der Alkohol diese Welt erträglicher machte – zu mindestens für Narita, Ennoshita und Kinoshita. Auch wenn es nur für ein paar Stunden war und sie danach immer höllische Kopfschmerzen hatten, half es ihnen über die schweren Umstände hinweg. Shimizu ging in die Hocke und schüttelte Narita sanft an der Schulter. Der grummelte nur. »Geh ins Bett und schlaf deinen Rausch dort aus, hier liegst du nur im Weg«, flüsterte sie und rüttelte dann mit etwas mehr Druck an ihm. Dieses Mal öffnete Narita die Augen, sah sie einen kurzen Moment so an, als wäre sie der Teufel in Person. Dann gähnte er, stand auf und schlürfte in Richtung seiner Hütte davon. Shimizu seufzte schwer. Sie hoffte nur es würde bald kein Alkohol mehr übrig sein. Sie wollte mit niemandem durch die Weltgeschichte reisen der Tag und Nacht betrunken war. Das einzige Mädchen der Truppe beseitigte das Chaos der Jungs. Dann ging sie in die Hütte am Ende des Konstrukts, betete und zündete neue Kerzen an. Nachdem sie auch diesen Punkt auf ihrer Check-Liste abgehakt hatte, setzte sie sich an den Rand der Plattform, ließ die Beine baumeln und starrte den dunklen, weiten Wald an. Sie hoffte Tanaka und Nishinoya würden um die Ecke kommen und dieses Mal länger als zwei Tage bei ihnen bleiben. Doch Shimizu wurde noch im selben Moment, in dem sie den Gedanken begonnen hatte, klar wie absurd er war. Denn so wie Narita, Ennoshita und Kinoshita diese Welt im Alkohol ertranken, taten es Nishinoya und Tanaka in ihren Wandertouren. Sie brauchten die Freiheit, das Adrenalin. Sie wollten sich selbst beweisen, dass sie es schaffen würden – dass sie in so einer Welt überleben können. Doch stattdessen brachten sie sich bei jeder ihrer Touren in Größere und noch Größere Gefahr. Die Dinge die Ennoshita darüber erzählt hatte, waren erschreckend und beängstigend. Deswegen ging er auch nur noch selten mit. Shimizu wünschte sich, sie wäre nicht die einzige Vernünftige hier. Sie wäre froh über jemanden wie Sugawara oder Tsukishima. Denn die wüssten sicherlich was zu tun wäre. Oder Daichi – der hätte nicht lange gefackelt und den Alkohol wirklich weggeschüttet. Ermutigt von diesem Gedanken stand Shimizu schließlich auf und ging zur mittleren Hütte zurück. Dort fiel ihr die Bedienungsanleitung der Solaranlage ins Auge. Sie nahm sich vor sie nicht zu beachten und stattdessen neues Wasser für den Abwasch holen zu gehen. Doch während sie das saubere Geschirr wegräumte, glitt ihr Blick immer wieder zu dem Heft und nach ein paar weiteren Minuten beherrschte es ihr Gehirn. Sie ließ Teller, Teller sein und schnappte sich die Anleitung. Dann holte sie ihre Katana und stieg kurz darauf das Rezeptionsgebäude hinauf. Sie brauchte eine halbe Stunde um die Anleitung zu lesen und eine weitere Stunde um sie zu verstehen. Dann sah sie sich den Schaltkasten auf dem Dach an. Anschließend stieg sie die Leiter wieder hinab und suchte nach dem Sicherungskasten. Sie musste Kabel kappen, Sicherungen austauschen, gefühlte tausend Mal auf das Dach klettern und wieder hinunter. Doch es lohnte sich. Denn als Ennoshita, Narita und Kinoshita kurz nach Sonnenuntergang aus ihrem komatösen Zustand erwachten strahlten sämtliche Lichter auf dem gesamten Gelände. Von der längsten Lichterkette bis hin zum kleinsten Hinweisschild. Die drei Jungs staunten, als würden sie das zum ersten Mal sehen. Shimizu kletterte die Strickleiter empor und blickte in drei strahlende Gesichter. »Wie hast du das gemacht?«, fragte Ennoshita beeindruckt. Und vielleicht war er auch ein kleines bisschen neidisch auf Shimizu, weil er das gestern nicht hinbekommen hatte. »Es war ganz schön kniffelig«, gestand sie. »Ich musste viele Kabel zerstören und ein wenig hin und her probieren – aber es hat geklappt, nur das zählt!« Narita hielt grinsend eine Flasche Sake in der Hand. »Darauf sollten wir trinken!« Und heute trank ausnahmsweise sogar Shimizu mit. Denn sie hatte eingesehen, dass es sich nicht lohnte in dieser Welt vernünftig zu sein. Als der Mond ganz hoch am Himmel stand, waren Narita und Kinoshita schon längst in ihre Betten verschwunden. Sie flüsterten sich gegenseitig Liebesschwüre ins Ohr. Und wegen der Stille die im Wald herrschte, verstanden Ennoshita und Shimizu jedes Wort. Sie lehnte sich an seiner Schulter an und dann lauschten sie gemeinsam den sanften Worten ihrer Freunde. »Ich vermisse die anderen«, flüsterte Shimizu. »Wen? Tanaka und Nishinoya?« »Sie alle«, antwortete Shimizu. Und Ennoshita musste nicht nachfragen, um zu wissen wer damit gemeint war. Er richtete seinen Blick in die Ferne, legte Shimizu einen Arm um die Schulter und antwortete: »Ich auch.« Während Narita Kinoshita zum einhundertsten Mal in den vergangenen Minuten sagte, dass er ihn liebte, schliefen sie schließlich ein. ɸ »Bei diesem Anblick möchte man ja fast eifersüchtig werden!« Verschlafen blinzelte Shimizu. Diese Stimme war unverkennbar und gehörte zu jemandem, dessen Gesicht sie beinahe vergessen hätte, wenn er noch einen Tag länger fortgeblieben wäre. Sie rieb sich die Augen und wagte einen vorsichtigen Blick über den Zaun des Podestes hinweg. Aber sie täuschte sich nicht. Am Fuß des Baumes standen sie tatsächlich. Tanaka und Nishinoya. Braungebrannt mit dreckigen T-Shirts am Oberkörper und Dreck im Gesicht. »Hintergehst du mich jetzt etwa meine Schöne?« Shimizu sollte sauer auf ihn sein, weil er ihr versprochen hatte nie wieder so lange weg zu bleiben. Doch sie konnte ihm nicht böse sein, dafür vermisste sie sein Lachen und seine Wärme viel zu sehr. Hastig befreite sie sich von Ennoshitas Arm, krabbelte zur Strickleiter und kletterte diese hinab. Tanaka hatte bereits seinen Rucksack fallen gelassen und die Arme ausgebreitet, als sie auf dem Boden aufsprang. Shimizu schmiss sich ihrem Freund geradezu in die Arme, atmete seinen Duft ein, fühlte seinen Körper, küsste seine Lippen. Am liebsten würde sie ihn nie wieder los lassen. »Ich hab dich so vermisst«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Denn das waren Worte, die für niemand anderen bestimmt waren, außer für ihn. »Ich dich auch meine Süße«, antwortete er ebenso leise. Und während das Liebespärchen sich beinahe besinnungslos küsste, wurde auch Ennoshita wach und konnte kaum glauben was seine müden Augen erblickten. »Die Verschollenen sind zurück«, rief er lachend. »Hey Narita, Kinoshita – Tim und Struppi sind wieder da!« Auch Ennoshita kletterte von dem Podest und umarmte erst Nishinoya und anschließend Tanaka, den Shimizu mal für einen kurzen Moment los ließ. »Wir würden euch ja zu gerne alles erzählen, aber vorher müssen wir zum Waldteich und ‘nee Runde baden – wir stinken wie eine Müllkippe!«, sagte Tanaka müde. »Das wird nicht nötig sein!«, drängte sich Shimizu in den Vordergrund. »Wir haben hier fließend Wasser.« »Seit wann denn das?«, fragte Tanaka, der kaum glauben konnte was seine Ohren da hörten. »Deine Freundin hat die Solaranlage repariert und deshalb geht auch die Pumpe im Wasserturm wieder. Und warmes Wasser haben wir auch!«, erzählte Ennoshita stolz. Die Augen von Nishinoya und Tanaka weiteten sich, wie die zweier kleinen Kinder an Weihnachten. Während Nishinoya schon an der Strickleiter war, drückte Tanaka seiner Freundin einen dankbaren Kuss auf die Lippen. »Habe ich dir schon mal gesagt wie sehr ich dich liebe?« »In den letzten zwei Wochen kein einziges Mal«, murmelte Shimizu leise. Tanaka küsste sie, sagte ihr, dass er sie liebt und wiederholte die Prozedur zweimal. Dann folgte er Nishinoya und ließ eine lachende Shimizu zurück. Die beiden Jungen genossen die Dusche, als hätten sie gerade das Feuer entdeckt. Sie duschten lang und ausgiebig und sie duschten weiter, noch lange nachdem das warme Wasser aufgebraucht war. Denn Wasser aus einem Duschkopf war etwas anderes als lauwarmer Regen. Als sie anschließend wieder zu den Anderen stießen, waren auch Kinoshita und Narita aus ihrem Koma erwacht und begrüßten ihre Freunde voller Erleichterung. Shimizu sorgte dafür, dass sie alle etwas Reis und Dosengemüse bekamen, während Tanaka und Nishinoya erzählten was sie gesehen und was sie erlebt hatten. Plötzlich senkten sie beide betrübt den Kopf. »Was ist los? Habt ihr einen von Ihnen gefunden?«, fragte Ennoshita alarmiert. »Nein, wir haben keinen von uns gefunden, aber andere Menschen«, antwortete Tanaka. »Die wollen uns nicht Gutes. Sie töten andere Überlende. Einen von ihnen mussten wir erschießen!«, fuhr Nishinoya fort. »Und jetzt? Was wollen wir jetzt tun?«, entgegnete Kinoshita besorgt. Er griff nach Naritas Hüfte und schlang beschützend einen Arm um seinen Freund, weil er Angst hatte, ihm könnte etwas geschehen wenn er das nicht tat. »Eigentlich wollten wir euch holen und dann sofort von hier verschwinden, weil es das sicherste wäre. Doch dann haben wir ein Wohnmobil, einen Van und einen Transporter über den Highway fahren sehen«, erzählte Nishinoya. »So weit ich das beurteilen kann gehört der Konvoi nicht dazu und dient als Ablenkung. Ich hatte zwar nie gedacht, dass wir andere Menschen so bereitwillig opfern, aber wir wussten insgeheim alle, dass dieser Tag kommen würde!«, sagte Tanaka. Shimizu entglitt eine der Keramik-Schüsseln. Ihre Freunde sahen sie fragend an. »Das können wir nicht tun! Wenn diese Menschen böse sind, dann müssen wir die anderen warnen! Wir können sie nicht einfach sterben lassen um uns selbst zu schützen!«, rief sie schockiert und entsetzt über die Idee ihres festen Freundes. Dieser seufzte schwer. »Wir haben keine andere Wahl!«, sagte er. »Man hat immer die Wahl! Und diese wäre die falsche!«, antwortete sie. Dann schnappte sie sich ihr Katana, den Sack voller dreckiger Wäsche und verschwand aus der Hütte. Ganz in der Nähe war ein kleiner Waldsee, wo sie die Kleidung immer ausspülte. Eigentlich ging sie nicht gerne alleine dort hin, doch jetzt im Moment brauchte sie den Abstand zu den anderen. Das diese neue Welt Tanaka so verändern würde, hatte sie nie für möglich gehalten. Während sie durch das Gestrüpp und das dichte Moos stapfte, wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Der Waldsee lag wie immer still und verlassen da. Kein Beißer, kein Tier, kein Mensch. Shimizu legte ihre Katana neben sich und kniete sich anschließend in das feuchte Gras am Ufer. Sie fischte eins von Tanakas Shirts aus dem Sack. Doch bevor sie es ausspülte, starrte sie es an. Würde er das wirklich tun? Würde er wirklich unschuldige Menschen sterben lassen, um sein eigenes Leben zu retten? Sie tunkte das Kleidungsstück ins Wasser und wusste gleichzeitig, dass sie das was ihr Freund vor hatte, niemals zu lassen würde. Shimizu redete den Rest des Tages nicht mehr mit den anderen. Als sie vom See zurückkam, standen Nishinoya und Tanaka auf dem Dach des Rezeptionsgebäudes um sich von Ennoshita die Solaranlage erklären zu lassen. Narita und Kinoshita verstauten derweilen die neuen Vorräte. Sie lächelten Shimizu zu, als sie die Kleidung auf einer selbstaufgespannten Leine aufhängte und sich anschließend um das dreckige Geschirr vom heutigen Morgen kümmerte. Als die Sonne unterging, fanden sich alle bei der Gemeinschaftshütte ein und Shimizu reichte ihnen heute Suppe. Sie schmeckte nicht, war aber immer noch besser als gar nichts zu essen. Tanaka schnitt das Thema vom vergangenen Morgen nicht noch einmal an. Nach dem Essen holte Kinoshita zwei Flaschen Sake hervor. Heute stieß Shimizu nicht mit an. Sie nahm ihre Katana und wünschte allen eine gute Nacht bevor sie sich zurückzog. Den Jungs hatte sie gesagt, sie würde noch ein Buch lesen. Aber eigentlich zog sie sich dicke Kleidung an und packte ihren Rucksack. »Was tust du da?« Erschrocken wich sie vom Bett zurück und stieß am Kleiderschrank an. Sie warf einen bösen Blick in Richtung Zimmertür, wo Ennoshita stand und sie fragend und verwirrt ansah. »Ich werde nicht zulassen, dass diesen Menschen irgendetwas passiert. Und wenn Tanaka sie nicht warnt, dann werde ich das eben tun!« »Aber du weißt doch gar nicht wo du hinsollst! Wie willst du sie denn finden? Du würdest Tage im Wald herumirren und dabei vielleicht selbst umkommen!« »Lieber sterbe ich bei dem Versuch Unschuldige zu retten, als untätig herumzusitzen und dabei zu zusehen wie sie abgeschlachtet werden!«, eschauffierte sich Shimizu und schulterte ihren Rucksack. Als sie nach ihrer Katana griff, hob Ennoshita die Hand. »Warte«, sagte er und seufzte dann. »Ich werde dich begleiten, ich weiß wo der Highway ist!« Shimizu wich einen Schritt zurück. Sie hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht. Lächelnd sah sie ihn an. »Danke«, sagte sie zu frieden. »Wir treffen uns in fünf Minuten am Rezeptionsgebäude, ich gehe nur schnell ein paar Sachen zusammenpacken!« Shimizu nickte und Ennoshita verschwand. Während sie über die wackeligen Hängebrücken ging, hoffte sie er würde den anderen nichts von ihrem Vorhaben erzählen. Denn die würden sie bestimmt nicht einfach gehen lassen. Wenn Shimizu Pech hatte, kettete Tanaka sie am Bett an, weil er sie für nicht mehr ganz dicht hielt. Ennoshita brauchte etwas länger als fünf Minuten. Dafür kam er alleine und mit einem Lächeln auf den Lippen. Er hielt seine Armbrust fest umklammert und reichte Shimizu eine Taschenlampe. »Dann lass uns aufbrechen, damit wir schnell wieder zurück sind – vielleicht fällt unser Fehlen ja gar nicht auf!« Shimizu nickte entschieden. Dann machten sie sich auf den Weg. Sie liefen die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tage, machten keine nennenswerten Pausen. Erst, als sie vor Müdigkeit beinahe zusammenbrachen und die Sonne schon wieder am untergehen war, erreichten sie den Highway und entdeckten auf Anhieb den Konvoi der mitten auf der Straße rastete. Sie sahen den Qualm eines Lagerfeuers aufsteigen und bildeten sich ein Gelächter zu hören. »Das sind keine bösen Menschen – die würden uns niemals etwas tun«, sagte Shimizu. Ennoshita nickte bekräftigend. »Der Meinung bin ich auch!« Und dann setzten sie zu den letzten Metern an, ungewiss ob sie mit ihrer Gutgläubigkeit rechtbehalten sollten. Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Es fiel ihnen schwer ein Auge zu zumachen, vor allem Oikawa. Die Freude darüber, seinen ehemaligen Teamkollegen wieder begegnet zu sein, war der Angst gewichen, Sugawara nie wieder zu sehen. Ohne Matsukawa und Hanamaki war er auch in den letzten Wochen gut klargekommen. Doch ohne Sugawara fühlte sich diese neue Welt noch viel trostloser und schmerzvoller an – schon nach nur zwei Tagen. Er hatte versucht zu schlafen, hatte sogar auf alte Mittel, wie Schäfchen zählen zurückgegriffen, doch nichts hatte geholfen. Sobald er die Augen länger als drei Minuten geschlossen hielt, baute sich ein schreckliches Bild in seinem Gehirn auf. Ein Bild, das ihm zeigte, wie Sugawara von Schlürfern in Stücke gerissen wurde. Er konnte es keine zehn Sekunden ertragen und riss die Augen schließlich immer und immer wieder auf. Bokuto und Akashi schliefen eng umschlungen direkt neben ihm und Kuroo war draußen und hielt mit den Anderen Wache. Vermutlich hatte er einen ähnlichen Traum gehabt und sich gegen Schlaf entschieden – obwohl er ihn bitterböse nötig hatte. Aber Oikawa konnte Kuroo verstehen. Er und Tsukishima waren immerhin schon vor der Katastrophe zusammen gewesen. Ihre Liebe war viel stärker, viel beständiger und wirkte schon so viel länger als die, die sich in den letzten Wochen zwischen Oikawa und Sugawara angebahnt hatte. Oikawa beschloss auch aufzustehen und eine Runde über den Highway zu drehen. Vielleicht war er danach ja so müde, dass er gar keine Kraft mehr zum Träumen hatte. Egal ob guter oder böser Natur. Er schälte sich aus seinem Schlafsack und schlüpfte in seine Schuhe. Dann öffnete er den Transporter und sprang in die dunkle Nacht hinaus. Sie hatten ihre Waffen und Vorräte auf die Sitze im Fahrerhaus gepackt, damit sie im Lageraum genug Platz zu dritt hatten. Oikawa schnappte sich seinen Baseballschläger und eine Flasche Wasser, dann stiefelte er los. Er ging vorbei an dem VW-Bus, in dem Matsukawa, Hanamaki und Lev schliefen und schlich leise um das Wohnmobil herum, auf dessen Dach Kuroo, Yaku und Kenma saßen. Das leise Schnarchen von Kageyama und Hinata war durch ein geöffnetes Fenster zu hören. Als Oikawa den Wachposten umrundet hatte, blieb er einen kurzen Moment stehen und lauschte den Dreien. Sie redeten über die gute alte Zeit, über Volleyball und schwere Schulaufgaben. Kuroo meckerte über Kenmas fehlende Motivation und Yaku beschwerte sich über Kuroos Aufdringlichkeit. Und Kemna trauerte seiner Spielekonsole nach. Oikawa war beinahe ein wenig neidisch auf sie. Er würde jetzt auch gerne mit seinen Freunden auf diesem Dach sitzen und sich über vergangene Tage unterhalten. Aber vermutlich würde er nie die Gelegenheit dazu bekommen. Denn auch wenn er zwei von ihnen wiedergetroffen hatte, einer würde für immer fehlen und riss damit ein tiefes Loch in die Freundschaft. Oikawa konnte sich denken, was Hanamaki und Matsukawa über ihn dachten. Dass er hätte besser auf Iwaizumi aufpassen sollen, dass er ihn hätte beschützen müssen. Sie waren bestimmt der Meinung, dass er noch leben würde, wenn Oikawa sich besser um ihn gekümmert hätte. Oikawa ertrug er nicht darüber nachzudenken. Er hatte sich um ihn gekümmert, bis zu Letzt und er hätte ihn auch nicht allein gelassen, aber Iwaizumi hat erkannt, dass sie beide sterben würden, wenn er es nicht tat. Und deswegen hatte Iwaizumi ihn fortgeschickt, weil er wollte, dass Oikawa lebte. Oikawa hätte zu gerne gewusst, ob das wirklich in Iwaizumis Kopf vorgegangen war, als er ihn angeschrien hatte. Als er ihm gesagt hatte, er solle sich endlich verpissen und sich in Sicherheit bringen. Vermutlich hätte er ihm einen Volleyball an den Kopf geworfen, wenn er einen gehabt hätte, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen.. Oikawa schüttelte den Kopf und vertrieb die Gedanken aus seinem Gehirn. Der Spaziergang würde ihm gar nichts bringen, wenn er die ganze Zeit nur an Iwaizumi dachte. Am Ende träumte er noch von ihm und Sugawara. Sein Gehirn würde ihn den Verlust von beiden durchleben lassen – so sadistisch schätzte er es ein. Aber schlussendlich half ihm auch das Laufen nicht weiter. Und müde wurde er davon auch nicht. Er lief bis zu dem querstehenden LKW, der die Straße blockierte, umrundete ihn mehrere Male und ging dann wieder zurück zu ihrer Kolonne. Kenma, Yaku und Kuroo redeten nicht mehr miteinander. Es war vollkommen still rund um das Wohnmobil. Nicht mal ein Wind, der die Bäume zum rascheln brächte, wehte. Oikawa hatte die Welt lange nicht mehr so friedlich erlebt. Er hätte es nie für möglich gehalten, dass die Welt immer noch so friedlich sein konnte. Genießerisch schloss er die Augen. Es war beruhigend kein röcheln und knurren zu hören. Keine schlürfenden Schritte. Er hatte das Gefühl, sein Körper hatte sich in den letzten Wochen nicht mehr so entspannt, wie jetzt gerade. Denn er musste keine Angst haben, von einem Schlürfer überrascht zu werden. Einen kurzen Moment lang bangte er nicht mal um seine verschollenen Freunde. Doch in dieser Welt war nichts von Dauer. Auch die beruhigende Stille nicht. Denn als Oikawa die Augen wieder öffnete, hörte er das bekannte stöhnen. Und es war ganz in der Nähe. Sofort sprang Yaku auf und ging das Wohnmobil auf und ab, versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Dann warf er Oikawa einen Blick zu. »Hast du das auch gehört?« »Ja! Das Vieh kann nicht weit weg sein!«, antwortete Oikawa. »Ich werde auf unseren Transporter klettern und von dort aus auch Ausschau halten! Acht Augen sehen mehr als sechs.« »Mit dir wären es im Moment nur vier!«, sagte Yaku und setzte sich wieder in seinen Stuhl. Nun wurde Oikawa auch klar, warum auf dem Dach des Wohnmobils niemand mehr redete: Kenma und Kuroo mussten eingeschlafen sein! Er schüttelte den Kopf über die Beiden und ging zurück zum Transporter. Aus diesem kroch gerade Akashi und streckte sich ausgiebig. Als er Oikawa entdeckte, lächelte er schmal. »Der Boden der Polizeistation war irgendwie bequemer«, sagte er und gähnte anschließend. »Und Bokuto hat weniger geklammert, als er noch krank war.« Oikawa lachte freudlos auf. »Das kann ich mir vorstellen.« Er hasste es, wenn man ihn im Schlaf umklammerte, wie ein Krake ihre Beute. Aber im Moment beneidete er jeden, der schlafen konnte und jeden, der jemanden hatte, den er umarmen konnte. Wenn er die Gelegenheit dazu bekommen würde, Sugawara noch ein einziges Mal wiederzusehen, dann würde er ihn auch umarmen und nie wieder loslassen! ɸ Yachi war auf Tsukishimas Rücken eingeschlafen und würde die Augen so schnell nicht wieder öffnen. Sie schnarchte sogar leise vor sich hin, was den Brillenträger in regelmäßigen Abständen zum leisen meckern veranlasste und Sugawara jedes Mal aufs Neue ein leises Kichern entlockte. »Denkst du, wir finden die anderen?«, fragte Sugawara, als das Rauschen des Flusses immer lauter wurde. »Keine Ahnung. Es wird schwer werden die richtige Richtung zu finden und sie haben ein Auto. Es wird ein langer Weg, sie einzuholen!«, antwortete Tsukishima unsicher. »Ich hoffe, sie sind nicht in die Richtung gefahren, aus der wir gekommen sind! Die Städte, durch die wir gefahren sind, waren viel zu groß und unübersichtlich. Zu Fuß werde ich mich nicht durch die Schlürfer-Massen quälen!« Auch Sugawara erschauerte, als er an die Zeit vor der Polizeistation zurückdachte. Jeder Tag war hart gewesen und jede Versorgungstour voller Ungewissheit. Obwohl die Städte groß waren und mit nützlichen Dingen überfüllt, waren einige Orte gar nicht zu erreichen. Als Bokuto krank geworden war, entdeckten sie durch Zufall das Zwischenlager eines bekannten Medikamentenherstellers. Doch auch dieser Ort war voller Schlürfer und nicht begehbar. Kuroo hatte sie beinahe alle in Lebensgefahr gebracht, als er doch einen Blick hineinwerfen wollte. Als Akashi ihm zur Hilfe eilte, hätte er sich beinahe die Beine gebrochen, beim Sprung vom Nebengebäude. Und am Ende ergatterten sie nicht mehr, als eine Flasche Hustensaft und eine Packung Schmerztabletten, die Bokuto allerdings überhaupt nichts gebracht hatten. Es wäre ein Wunder, wenn er ganz ohne Antibiotika wieder gesund werden würde. Sugawara vermutete, dass hinter seiner Krankheit mehr, als nur eine einfache Grippe steckte. Aber da er kein Arzt war und nicht sicher gehen konnte, behielt er seine Vermutung erstmal für sich. Obwohl das Rauschen des Flusses erahnen ließ, wo er sich befand, bemerkten sie ihn erst, als sich Tsukishimas Schuhe mit Wasser vollsogen. Er fluchte und stolperte ein paar Schritte zurück. Yachi wachte auf und gähnte leise. »Was ist los? Sind wir am Fluss?« »Ja. Geh von mir runter, ab hier läufst du wieder allein. Außerdem muss ich die Schuhe wechseln!«, keifte Tsukishima. Er rammte die beiden Katanas in den Boden und schüttelte Yachi unvorsichtig ab. Sie fiel beinahe hin, konnte sich aber im letzten Moment noch auf den Beinen halten. »Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sich Sugawara bei ihr. Währenddessen holte Tsukishima aus seinem Rucksack ein neues Paar Turnschuhe hervor. Wie sein Freund, reiste auch er mit seinem ganzen Sammelsurium herum. Yachi nickte noch ein wenig benommen und ließ sich auf einen umgefallenen Baumstamm fallen. Sie gähnte wieder. »Ich habe vorhin gar nicht gemerkt, dass ich durchs Wasser gegangen bin«, murmelte sie müde. Sugawara ging vor in die Hocke und legte ihr beide Hände auf die Knie. »Du hastet bestimmt auch fürchterliche Angst. Da blendet man solche unwichtigen Dinge aus!« »Aber wenn ich mich ein wenig mehr auf meine Umgebung konzentriert hätte, dann hätte ich den Rückweg bestimmt allein gefunden!« Sie ließ den Kopf hängen. »Vielleicht war es gar nicht schlecht, dass wir auf dich getroffen sind. So können wir ein paar alte Freunde wiedersehen, bevor wir uns auf die Suche nach unserer Gruppe machen«, entgegnete Tsukishima und lächelte tatsächlich. »Für mich gibt es in dieser Welt nichts schöneres mehr!« Sugawara legte erstaunt darüber den Kopf schief. Er hatte niemals gedacht, so eine ehrliche Antwort von Tsukishima zu bekommen. Und er hätte auch nicht gedacht, dass es für ihn nichts Schöneres geben würde, als alte Freunde wiederzusehen. Nach Tsukishimas Worten herrschte Ruhe zwischen den drei ehemaligen Schülern. Schließlich war es der Brillenträger, der sich als erster räusperte. »Hier können wir den Fluss nicht durchqueren – die Strömung ist zu stark! Wir müssen eine Stelle suchen, an der das Wasser nicht so tief ist«, sagte er. »Und in welche Richtung sollen wir laufen? Flussaufwärts? Oder doch lieber abwärts?«, fragte Sugawara unsicher. Tsukishima sah dem Wasser nach an. Sie hatten kein Trinkwasser mehr und auch nicht die Möglichkeit welches abzukochen. Wenn sie Flussabwärts liefen und keinen Ort fanden, an dem das Wasser flach genug war, um es zu durchqueren, müssten sie den ganzen Weg wieder zurücklaufen. Das würde keiner von ihnen schaffen. Und der Wald war zu unübersichtlich, um lange Pausen einzulegen. Hinter jedem Baum, jedem Gebüsch, konnte jederzeit ein Schlürfer hervorspringen – oder eine ganze Gruppe. Aber Tsukishima wusste auch nicht, ob Flussaufwärts die richtige Wahl war. Denn auch dort konnte er nicht mit Gewissheit sagen, ob es eine Stelle geben würde, an der Sie den Fluss durchqueren konnten. Gewiss musste es eine Stelle geben, sonst wäre die kleine, zierliche Yachi niemals auf ihre Uferseite gekommen. Schade, dass sie sich nicht gemerkte hatte, wo. Tsukishima musste jetzt entscheiden – Sugawara und Yachi erwarteten es von ihm. Also atmete er tief durch. »Wir gehen Flussaufwärts!«, sagte er und setzte sich in Bewegung. Seine nassen Schuhe baumelten an seinem Rucksack und tropften den trockenen Waldboden voll. Es musste schon seit Wochen nicht mehr geregnet haben. ɸ Oikawa saß gemeinsam mit Akashi auf dem Dach des Transporters und hielt Wache. Sie hatten noch nicht ein einziges Wort miteinander gesprochen, aber das störte den Ehemaligen der Aoba Josai nicht. Er genoss die Stille. Das Stöhnen des Schlürfers, dass sie vorhin gehört hatten, war nicht noch einmal aufgetaucht. Und das Vieh hatte sich auch nicht blicken lassen. Oikawa bedauerte das beinahe schon. Er brauchte etwas, an dem er seine Wut auslassen konnte. Er wusste zwar nicht, wo diese unterschwellige Wut auf einmal herkam, aber sie war da und vernebelte ihm ein wenig die Sinne. Es war ihm ein wenig unheimlich. Das letzte Mal hatte er so eine Wut gespürt, als er Iwaizumi verloren hatte. Und in der Zeit hatte er genauso draufgängerisch gehandelt wie Kuroo es sonst immer tat. Akashi beobachte Oikawa eine Weile dabei, wie er in unregelmäßigen Abständen das Gesicht verzog oder sich unbewusst durch die Haare fuhr. Sie ähnelten sich in dem Punkt, dass sie nicht jedem x-beliebigen ihre Gefühle offen darlegten. Aber sie taten das aus völlig unterschiedlichen Gründen. Oikawa vertraute ihnen noch nicht genug – nicht einmal Sugawara oder Tsukishima, obwohl er sie bereits kannte, bevor die Welt sich verändert hatte. »Welche Position?«, fragte Akashi, weil er nicht mehr schweigen wollte. Sie hatten in den vergangenen Monaten alle genug geschwiegen. Es war an der Zeit, wieder miteinander zu sprechen – zu lernen, einander zu vertrauen. Oikawa sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an. »Volleyball. Du hast auch gespielt – welche Position? Libero kann ich ausschließen«, präzisierte Akashi seine Frage. Oikawa dachte einen Moment über die Frage nach, dann begann er herausfordernd zu grinsen. »Warum schließt du aus, dass ich Libero war? Etwa wegen meiner Größe? Das ist ziemlich … ziemlich nun ja … Mir fällt kein passendes Wort ein.« - er lachte auf. »Liberos stehen im Hintergrund und haben in der Regel ruhige Persönlichkeiten. Die meisten von ihnen wollen nicht auffallen. Dich halte ich eher für einen Außenangreifer!«, entgegnete Akashi schulterzuckend. Oikawa lehnte sich zurück und stützte sich mit den Händen auf dem Dach. »Hauptsächlich war ich Zuspieler.« »Ich auch – der Dreh und Angelpunkt des Spiels. In der Regel der zweite Ballkontakt. Die Vorbereitung. Der Macher. Manchmal war es ziemlich schwierig einen klaren Kopf zu behalten!«, seufzte Akashi und lehnte sich nun ebenfalls zurück. »Aber es hat Spaß gemacht!« Oikawa nickte mit geschlossenen Augen. »Oh ja, das hat es.« »Würdest du es in dieser Welt auch noch spielen?« »Gib mir einen Ball und ich bin dabei!« »Wenn wir einen finden, werde ich dich daran erinnern«, sagte Akashi und warf einen Blick hinauf gen Himmel. »Denkst du die anderen würden mitspielen?« »In dieser Welt gibt es nur noch zwei Dinge, die wir alle gemeinsam haben: Volleyball und der unumstößliche Fakt, dass wir noch am Leben sind – richtig leben!« - Oikawa sah Akashi an und auch dieser wandte den Kopf - »Sie würden spielen – und wenn es nur ein Aufschlag, ein Zuspiel, ein Block ist. Sie würden spielen, um wenigstens für ein paar Sekunden alles vergessen zu können!« Akashi wollte ihm antworten, doch plötzlich ruckelte der ganze Transporter, als wäre ein Schlürfer direkt dagegen gelaufen. Alarmiert sprangen Akashi und Oikawa auf und warfen einen kampfbereiten Blick nach unten. Doch da stand nur Bokuto und rieb sich den Schlafsand aus den Augen. Oikawa ließ sich zurück in eine sitzende Position fallen und Akashi atmete schwer aus. »Spinnst du?«, herrschte er seinen Freund an. »Du hast uns erschreckt!« »Ich bin aufgewacht und ihr beide wart weg, da habe ich Angst bekommen. Woher sollte ich wissen, dass ihr auf dem Dach sitzt – huh?«, fragte Bokuto und stemmte die Hände in die Hüften. »Hast du uns nicht reden gehört?« »Nein! Dieses Ding ist ziemlich gut isoliert!« Akashi seufzte und sagte seinem Freund, dass er zu ihnen hinaufkommen sollte, wenn er nicht wieder schlafen gehen wollte. Bokuto holte sich eine Jacke aus dem Fahrerhaus und kletterte dann hoch. Er ließ sich direkt neben Akashi fallen und schlang ihm einen Arm um die Schultern. »Was denkt ihr, was uns die Zukunft bringen wird?«, fragte er gähnend. Akashi verdrehte die Augen. So eine Frage in dieser Welt zu stellen, machte keinen Sinn. Früher war sie wichtig gewesen und jeder hatte Vorstellungen für seine Zukunft gehabt. Doch heute wollte jeder nur noch eines: Überleben – koste es, was es wolle! »Eigentlich kann es nur noch besser werden, oder?«, entgegnete Oikawa und ließ die Beine baumeln. »Es sei denn, die blöden Schlürfer fangen an ihr übrig gebliebenes Hirn zu nutzen – dann wird’s scheiße!« ɸ Sie wollten keine Pause machen, aber sie mussten. Sugawara hatte das Gefühl, hinter dem nächsten Gebüsch würde die High-School wieder vor ihnen auftauchen, soweit waren sie gelaufen. Auch Yachi hatte wieder angefangen zu jammern. Am Anfang hatte sie sich zusammengerissen, doch mittlerweile war jeder weitere Schritt eine Zumutung für sie. Wenigstens schien Flussaufwärts die richtige Richtung gewesen zu sein, denn die Strömung wurde von Meter zu Meter geringer. Aber eine Stelle, an der sie das Wasser durchqueren konnten, hatten sie trotzdem nicht gefunden. Tsukishima, der in den letzten Monaten die Begriffe Ausdauer und Durchhaltevermögen von einer ganz neuen Seite kennengelernt hatte, wünschte sich, er könnte Sugawara und Yachi beide auf den Rücken nehmen. Die beiden Fliegengewichte wären kein Problem für ihn und dann wäre endlich wieder Ruhe im Karton und er könnte sich auf seine Umgebung konzentrieren. Doch leider hatte er nur zwei Arme und noch andere Dinge, die er tragen und festhalten musste. Weil Yachi schlussendlich die schlimmere Heulboje war, nahm er sie wieder auf seinen Rücken und stapfte weiter durchs Moss. Nur noch ein paar Stunden, dachte er, dann würden sie am Highway ankommen und konnten sich ausruhen, nur um sich anschließend auf die Suche nach den anderen zu machen. Und vielleicht, nur ganz vielleicht, würden sie dann endlich auf einen Ort stoßen, an dem sie länger sicher waren, als nur ein paar wenige Tage. »Was glaubst du, wie weit wir noch kommen werden? So ganz ohne Wasser in völliger Dunkelheit?«, fragte Sugawara. Ein merkwürdiger, hoffnungslos klingender Unterton schwang in seiner Stimme mit. »Bis zum Highway kommen wir auf jeden Fall. Und die anderen haben bestimmt Wasser, von dem wir uns etwas nehmen können, bevor wir Kuroo und die anderen suchen gehen!«, entgegnete Tsukishima. Er wusste, Wasser war ein knappes Gut in dieser neuen Welt. Und es gab Menschen die würden, nur für ein paar Tropfen, ihren Nebenmann töten. Tsukishima konnte nur hoffen, dass ihre alten Freunde genug davon hatten und ihnen bereitwillig etwas abgeben würden. Und sollten sie sich querstellen, konnte er nur an ihre Menschlichkeit appellieren. Aber über den Ausgang dieser Situation durfte er sich im Moment keine Gedanken machen. Am Ende lenkten sie ihn so sehr ab, dass er Sugawara und Yachi in ernsthafte Gefahr brachte. Nein, sagte er innerlich zu sich selbst, ich muss mich zusammenreißen und mich konzentrieren. Auf meine Umgebung, auf Schlürfer, auf Geräusche die ich nicht zuordnen kann. Tsukishima wollte als menschenmögliche tun, um Yachi und Sugawara sicher zum Highway zu bringen. Und dann endlich, nach stundenlangem erfolglosen suchen, fanden Sie ein Flussbecken, in dem das Wasser ganz flach war und nicht strömte. Es erschien Tsukishima wie ein Wunder. Er hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben, auch wenn er die letzte Stunde vehement dagegen angekämpft hatte. Er warf einen kurzen Blick gen Himmel. Die Sonne würde bald wieder aufgehen. Sie waren tatsächlich die ganze Nacht gelaufen. Es wunderte ihn. Er hatte das Gebiet zwischen Highway und Polizeiwache viel kleiner in Erinnerung. Aber er war auf seiner Suche nach Sugawara und Kuroo ja auch ziemlich weit vom Weg abgekommen. Er wollte gar nicht wissen in welcher Entfernung die High-School sich befand. Bei Gelegenheit würde er Sugawara fragen, weil es ihn interessierte. Er wollte sich ausrechnen, wie viele Kilometer er heute zurückgelegt hatte. Tsukishima schob ein wenig Schilf bei Seite. »Unser Weg in die Freiheit – jetzt ist es nicht mehr weit bis zum Highway!«, sagte er zu Sugawara und Yachi. Die beiden warfen sich gegenseitig begeisterte Blicke zu, dann sprangen sie übermütig in den Fluss. Es war ein grauenvolles Gefühl Wasser, um sich herum zu haben, von dem man nichts trinken durfte, obwohl der eigene Körper sich danach verzehrte. In der alten Welt wäre es kein Problem gewesen. Obwohl … In der alten Welt wären sie gar nicht erst in so eine Situation gekommen. Sie hätten sich am nächsten Kiosk einfach eine Flasche kaufen können, wenn ihnen nach etwas zu trinken war. Sugawara hielt Yachi an der Hand und zog sie mit sich. Auch wenn das Wasser flach und kaum Strömung vorhanden war, hat Sugawara Angst, dass Yachi wegknicken würde. Sie bewegte ihre Füße schwerfällig. Jeder Schritt war ein reiner Kraftakt für sie. Und an dieser Stelle war der Fluss besonders breit. Yachi konnte sich nicht daran erinnern ihn überhaupt durchquert zu haben. Sie hätte es doch merken müssen, dass ihre Füße nass wurden. Aber vermutlich hatte sie das in ihrer Todesangst einfach ausgeblendet und als sie auf Kuroo getroffen war, waren ihre Hosenbeine anscheinend schon wieder trocken gewesen. Anders konnte sie sich das beim besten Willen nicht erklären. Und obwohl sie das Thema vorhin schon besprochen und abgehakt hatten, ließ sie das nicht los. Tsukishima wandte Sugawara und Yachi beim Durchqueren des Flusses den Rücken zu. Nur weil die Hoffnung langsam wiedererwachte, durfte er nicht leichtsinnig werden. Also drehte er sich beim Gehen um, hielt seine Kantana kampfbereit in die Höhe und scannte wachsam die Umgebung. Sollte jetzt ein Schlürfer auftauchen, wüsste er es und würde ihn überwältigen können. Selbst drei oder vier oder fünf würde er schaffen. Sollten es mehr werden, wäre er auf Sugawaras Hilfe angewiesen. Obwohl er bezweifelte, dass der ehemalige Zuspieler noch genug Kraft in den Armen hatte, um mit seinen Messern jemanden ernsthaft zu verletzen. Aber er hielt ihn für so überlebenswillig, dass er Yachi schnappen und rennen würde, sobald Schlürfer auftauchten. Tsukishima würde die Stellung halten, solange er konnte und sich ergeben, sobald er das Gefühl hatte, die anderen wären in Sicherheit. Die Schlürfer würden ihn fressen, aber dann waren sie wenigstens abgelenkt und Sugawara und Yachi hätten noch mehr Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen. Und wenn er Glück hatte, verloren die Schlürfer nach ihrer Mahlzeit den Geruch von Sugaware und Yachi und zogen in eine ganz andere Richtung weiter. Tsukishima hatte nichts mehr zu verlieren; er war bereit dazu, zu sterben. Wenn das Schicksal es so für ihn bereithielt, sollte es so sein. ɸ Als die Sonne im Osten den Mond ablöste und den Himmel in ein gelboranges Licht tauchte, herrschte auf dem Highway gespenstige Stille. Oikawa und Bokuto lehnten jeweils an einer von Akashis Schultern und schliefen tief und fest, während Akashis Kopf auf Bokuto lag und er ebenfalls wegtreten war. Auf dem Dach des Wohnmobils schlief Hinata noch immer, eingekuschelt in die Jacke, in seinem Stuhl. Kageyama schlief im anderen Stuhl, das Gewehr vor sich auf dem Boden. Sie hatten Kenma, Yaku und Kuroo vor etwa einer Stunde wieder abgelöst. Matsukawa und Hanamaki lagen im VW-Bus wach. Matsukawa hielt das Gesicht seines Freundes fest und strich mit seinem Daumen über Hanamakis Lippen. Das taten sie schon seit einer guten Stunde: Sich anstarren, schweigen und zärtliche Berührungen austauschen. Das konnten sie am besten; sich ohne Worte zu sagen, wie sehr sie einander liebten. Kuroo schlief im Inneren des Transporters. Er wälzte sich in seinem Schlafsack hin und her. Alpträume plagten seinen Schlaf. Er träumte von Tsukki und Schlürfern. Vom Tod und vom Alleine sein. Er wollte sich schon seit einer geraumen Zeit von diesen Träumen befreien und aufwachen, doch sein Gehirn ließ das nicht zu, hielt ihn in seinen Träumen gefangen. Im Wohnmobil hatte sich Yaku an Levs Brust gekuschelt. Er zeigte seine Gefühle für den großen Halbrussen nicht oft. Schon alleine, weil sich Lev meistens benahm wie ein Elefant im Porzellanladen. Sie waren eben Grund verschieden. Aber manchmal machte genau das die besten Beziehungen aus. Und genau in solchen Momenten, in denen Lev Yaku einfach in seinen Armen hielt und ihn beschützte, wusste der Kleinere, was er am Größeren hatte. Und selbst wenn Yaku von solchen Momenten nichts mitbekam, wusste er, dass es sie gab. Dann gab es noch Yamaguchi, der schon seit ein paar Stunden wach war und aus dem Fenster des Wohnmobils starrte, als würde die Sonne davon schneller aufgehen. Er schniefte und fragte sich, ob Sugawara Yachi gefunden hatte. Ihre Liebe war noch jung und sehr zögerlich. Trotzdem wollte Yamaguchi nicht, dass Yachi seinetwegen starb. Neben ihm schlief Kenma und träumte wahrscheinlich von seiner Spielekonsole, die er ihm Trubel der Evakuierung verloren hatte. Er trauerte ihr vermutlich mehr nach, als all seinen verlorenen Freunden zusammen. Die Sonne stieg immer weiter auf. Yamaguchi beschloss Kenma zu wecken, damit er für alle Kaffee kochen konnte. Und gleichzeitig beschloss er, sich abzuschauen wie man mit dem Gaskocher umging. Er hatte es satt, immer zu warten, bis der Prinz von Nekoma sich aus dem Bett bequemte. Und er konnte sich vorstellen, dass sahen die meisten aus ihrer Gruppe bestimmt genauso. Kenma warf Yamaguchi einen bösen Blick zu, als dieser an seiner Schulter ruckelte. Yamaguchi ließ sich dadurch nicht beirren und tat seinen Wunsch kund. Kenma schloss genervt die Augen. »Was habt ihr bloß gemacht, als wir noch getrennt unterwegs waren?«, fragte der ehemalige Zuspieler rhetorisch. Er erwartete keine Antwort auf diese Frage, Yamaguchi setzte trotzdem zu einer an. Mit den angeborenen Reflexen einer Katze hielt Kenma dem ehemaligen von Karasuno den Mund zu und starrte ihn noch wütender an. »Wage es dich, mir jetzt irgendeine blöde Antwort zu geben. Ich hasse Späße auf meine Kosten zu dieser Uhrzeit!« »Du weißt doch gar nicht wie spät es ist!«, kam es in diesem Moment von über Ihnen. Mit einem vor Wut zuckenden Augenlid warf Kenma einen Blick nach oben, wo er die, teils belustigten, teils verschlafenen Gesichter von Lev und Yaku einfing, die ihre Köpfe über die Matratze streckten. Kenma stöhnte genervt. »Ihr könnt mich alle mal!« Dann schnappte er sich seine Hose vom Boden, zog sie an und verließ das Wohnmobil, knallte die Tür laut zu. Yamaguchi und Yaku warfen sich gegenseitig fragende Blicke zu. »Du hättest ihn nicht wecken sollen – da reagiert er immer mit lautem Fauchen!«, sagte Yaku klug. Er kannte seine Teamkollegen eben schon etwas länger und vor allem besser. Yamaguchi zuckte mit den Schultern. »Wir stehen auch ständig vor Sonnenaufgang auf – er soll sich mal nicht so haben!« Anschließend schlüpfte er in seine Schuhe und verließ ebenfalls das Wohnmobil. Nun warfen sich Lev und Yaku gegenseitig verwirrte Blicke zu. »Was hat er denn? Seit wann ist er denn so … grantig?«, fragte Lev seinen Freund. Yaku zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Er macht sich bestimmt nur Sorgen um Yachi und hat deswegen so schlechte Laune!« Lev verdrehte nachdenklich die Augen. »Da könntest du recht haben. Hoffentlich finden wir sie nachher.« - Lev gähnte herzhaft - »Hauen wir uns noch ein oder zwei Stündchen aufs Ohr?« Yaku überlegte. Die Ereignisse von gestern und der vergangenen Nacht nagten noch an ihm und er war nach wie vor hundemüde, als hätte er die ganze Nacht über nicht ein Auge zu gemacht. Aber andererseits wollte er auch etwas Kaffee abhaben und er kannte Kenma. Der kochte genau eine Kanne und wollte danach nichts mehr davon wissen, denn er selbst trank, nach eigener Aussage „kein braunes Schlammwasser“. Und Yaku war sich sicher das Kuroo und die anderen zu einem Kaffee nicht nein sagen würden. Bedeutet: Weniger für mehr. Yaku musste sich beeilen, wenn er eine Tasse abhaben wollte. Also schüttelte er den Kopf, drückte Lev einen keuschen Kuss auf die Lippen und kletterte aus dem Bett. »Tut mir leid, aber Kaffee liebe ich mehr als dich!«, rief er Lev zu, als er dessen verwirrten Blick sah. Yaku verließ das Wohnmobil, bevor sein Freund etwas auf den saloppen Spruch antworten konnte und knallte die Tür – genau wie Yamaguchi und Kenma – ins Schloss. Er sprang von der heruntergeklappten Stufe auf die Straße und atmete tief durch. Er wusste nicht genau, was er sich davon erhoffte. Vielleicht, dass die Welt über Nacht aufgehört hatte nach Verwesung zu stinken. Keine Ahnung. Kenma hockte griesgrämig dreinschauend neben dem Wohnmobil, über dem Gaskocher und häufte gerade Instantkaffee in eine Blechkanne. Er zuckte nicht zusammen, als die Tür ins Schloss fiel, warf Yaku nur einen bösen Blick zu. Oh, oh, dachte der ehemalige Libero, der wird wohl heute den ganzen Tag über schlechte Laune haben. Aber das konnte ihm egal sein. Hauptsache er bekam seine tägliche Ration Kaffee. Yaku warf Akashi, Bokuto und Oikawa einen belustigten Blick zu und machte mit seinem Gelächter auch Kenma auf die drei jungen Männer aufmerksam. »Sieht süß aus, die drei in einer Reihe«, sagte Yaku lachend. »Du bist doch nur neidisch, weil mit dir keiner kuscheln will!« Die Hände in die Hüften gestemmt, drehte sich Yaku zu Kenma um. »Ich wusste gar nicht, dass du so ein Giftzwerg sein kannst, wenn dir etwas Schlaf fehlt!« Innerlich fauchte Kenma, aber äußerlich blieb er gelassen. Er zuckte mit den Schultern und senkte gelangweilt den Blick. Er hatte keine Lust auf Streit, es gab in dieser Welt weitaus wichtigere Dinge. Yaku wandte den Blick wieder ab und starrte stattdessen die Sonne am Horizont an. Es kehrte wieder Ruhe auf dem Highway ein. Und dann raschelte es plötzlich im Gebüsch hinter der Leitplanke. Äste knackten so laut, dass selbst Hinata aus seinem Tiefschlaf aufwachte. Yaku warf Kenma einen fragenden Blick zu, doch der zuckte wieder nur ratlos mit den Schultern. Yaku wollte gerade einen Schritt auf die Leitplanke zu machen, als plötzlich ein Ächzen aus dem Wald zu hören war und es wurde lauter, dass knacken der Äste kräftiger. Yaku rannte zurück zum Wohnmobil, zog Kenma auf die Füße und scheuchte ihn zur Leiter, die aufs Dach führte. Anschließend verschloss er die Tür zum Wohnmobil so, dass kein Schnapper sie öffnen konnte – egal wie viel Hirn ihm erhalten geblieben war. Kageyama richtete sein Gewehr auf die Stelle im Gestrüpp, aus deren Richtung die Geräusche kamen. Yaku holte ein Gewehr aus der Vorratsklappe des Wohnmobils. Er wusste, Gewehre benutzte man nur im äußersten Notfall. Gerade auf diesem offenen Gelände war es nicht zu empfehlen. Der Schall war lauter, schneller und breitete sich über eine viel weitere Strecke aus. Es war riskant. Ein einziger Schuss reichte, um noch mehr von ihnen anzulocken. Vielleicht befand sich ganz in der Nähe eine Herde, die anschließend den Weg zu ihnen aufnehmen würde. Yaku warf Kageyama einen fragenden Blick zu. Vielleicht hatte der ja eine bessere Idee. Es sah allerdings nicht danach aus. Der ehemalige Zuspieler von Karasuno richtete die Mündung seines Gewehrs weiterhin in Richtung Leitplanke. Okay, dachte Yaku, er will schießen. Aber dann würden sie wohl kaum die Gelegenheit dazu bekommen, nach Yachi zu suchen. Sollte Kageyama wirklich schießen, mussten sie verschwinden und zwar so schnell wie möglich. Mit oder ohne Kuroo plus Anhängsel. Der Schnapper kletterte den Hang empor und prallte an der Leitplanke ab. Gleich darauf versuchte das Grässliche Ding erneut darüber zu steigen. Er streckte seine Arme, oder das was davon noch übrig war, bereits nach Yaku aus. Yaku hatte noch nie zuvor Skrupel gehabt, einen Schnapper zu töten. Doch bei diesem war es anders. Nicht, weil er den Schnapper bedauerte, sondern weil er wusste, wenn er auf ihn schoss, würde er Tsukishima, Yachi und Sugawara vielleicht die Chance nehmen, zu überleben. Doch in dem Moment, in dem er diesen Gedanken zu Ende gefasst hatte, fiel dem Schnapper der Kopf von den Schultern. Der Rest des Körpers fiel zur Seite und gab den Blick auf zwei junge Männer frei, die Yaku noch nie zu vor gesehen hatte. Und kurz darauf hörte man aus der Richtung des Transporters Oikawa rufen: »Och nö, warum denn ausgerechnet der?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)