RUN von YukiKano (They never stop catching you) ================================================================================ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Sugawara konnte noch immer nicht glauben wer da vor ihm im Gebüsch hockte. Völlig verängstigt und kreideweiß im Gesicht. Niemals hätte er daran gedacht, dass Yachi noch leben könnte – das er sie nochmal zu Gesicht bekommen würde! Sie starrten sich an. Sie sahen sich einfach nur tief in die Augen, suchten nach Anzeichen dafür, dass sie nur träumten. Aber dann strecke Yachi den Arm aus und zog an Sugawaras Ärmel. Und als sie spürte, dass er wahrhaftig vor ihr stand, sprang sie wie von der Tarantel gestochen auf und fiel ihm um den Hals. »Oh mein Gott, oh mein Gott!«, sagte sie immer und immer wieder. Sie schlang die Arme noch fester um Sugawara und ließ den Tränen freien Lauf. Sie weinte vor Glück und vor Angst, schämte sich aber nicht dafür. In dieser Welt brauchte man sich für Tränen nicht zu schämen! Auch Sugawara liefen ein paar Tränen über die Wangen. Er freute sich tierisch darüber Yachi zu sehen. Und hätte sie am liebsten noch etwas länger im Arm gehalten. Doch es gab wichtigeres zu klären. Entschieden drückte er sie von sich weg. »Bist du alleine oder hast du eine Gruppe? Sind da noch andere von uns dabei? Wo habt ihr euer Lager? Wie viele seid ihr?« Sugawara rief sich selbst zur Ruhe. Er sollte Yachi nicht gleich überfordern und seine Neugier zügeln. Yachi schien die Aufregung allerdings auch zu packen. Angetrieben vom Adrenalin das ihre Adern plötzlich durchfloss, sprang sie einen Schritt nach vorne. »Ich bin nicht alleine, meine Gruppe befindet sich gerade auf dem Highway und ich finde den Weg dorthin nicht mehr!« »Und mit wem bist du unterwegs? Irgendjemand den ich kenne? Jemand von der Karasuno?« Sugawara konnte sich nicht zügeln und griff vor Aufregung nach Yachis Händen. »Ja, die ganze Gruppe besteht fast nur aus uns – Hinata, Kageyama und Yamaguchi!«, jubelte Yachi. »Und von der Nekoma sind Kenma, Yaku und Lev dabei! Von der Aoba Josai haben wir auch noch zwei Mitglieder aufgesammelt.« Sugawara drückte Yachis Hände noch fester. Niemals hätte er gedacht, dass so viele aus der Karasuno überlebt haben. Und er hätte auch niemals damit gerechnet ihnen jemals wieder zu begegnen. Immerhin ist die Insel groß und die wenigen Überlebenden würden sich wohl kaum alle an einem Fleck versammeln. Yachis Euphorie war nicht zu bremsen. »Wir sollten losgehen und den Weg zum Highway suchen, dann kannst du sie alle wiedersehen«, schlug sie vor. Zu ihrer Enttäuschung schüttelte Sugawara allerding mit dem Kopf. »Das wäre zu gefährlich und der Weg ist zu weit«, erwiderte er. »Hier in der Nähe ist ein Haus, da sollten wir uns bis zum Morgen ausruhen und dann zum Highway aufbrechen!« Yachi war von dieser Idee nicht sehr begeistert. Sie wollte sich vergewissern, dass es allen gut ging und das sie sich rechtzeitig verstecken konnten, bevor die Herde Schnapper bei ihnen angekommen war. Sie zögerte und überlegte ob es klug wäre nicht mit Sugawara mitzugehen. Doch sie war sich nicht sicher, ob sie den Rückweg alleine finden würde. Also nickte sie und folgte ihm tiefer in den Wald hinein. Sie schwiegen. Es war ein komischer Anblick. Sie hatten sich monatelang nicht gesehen, nicht mal gewusst ob der jeweils andere noch am Leben war, aber zu erzählen hatten sie trotzdem nichts. Yachi überlegte worüber sie sich unterhalten könnten, doch ihr fiel nichts ein. Denn der Tod beherrschte diese Welt. Sie könnte ihn fragen wie viele Schnapper er schon erledigt hatte oder wie viele aus seiner Gruppe er gerettet hatte. Wie viele gestorben waren … Yachi riss die Augen auf. Sie hatte ihn gar nicht gefragt, wer ihn begleitete. Vielleicht waren da ja auch Leute von Karasuno dabei. »Sag mal Sugawara mit wem bist du eigentlich unterwegs – außer Kuroo!« Der Angesprochene hielt inne. Er blickte Yachi prüfend an. Woher wusste sie, dass Kuroo und er zusammen unterwegs waren? Hatte sie ihn gesehen? Vielleicht sogar mit ihm gesprochen? »Kuroo hat dir gesagt das du dich hinter dem Gebüsch verstecken sollst oder?«, mutmaßte er. Yachi war einen kurzen Moment irritiert. Sie hatte nicht damit gerechnet eine Gegenfrage gestellt zu bekommen. Als sie sich wieder gefangen hatte, nickte sie heftig. »Ich wurde von zwei Schnappern verfolgt und wusste nicht wohin. Plötzlich stand er vor mir, zog mich in das Gebüsch und befahl mir dort zu bleiben, egal was passiert. Er meinte entweder seine Begleitung würde kommen und mich holen oder er selbst!«, erzählte das Mädchen. »Er ist gehumpelt – weißt du was passiert ist? Ich mache mir Sorgen, dass er vielleicht meinetwegen von den Schnappern gefressen wurde!« Sugawara schüttelte grinsend den Kopf. »Der wird uns mit seiner Dummheit alle überleben, dass kannst du mir glauben! Wir werden lange vor ihm gefressen werden!« Yachi stutzte. Sie fand, dass Sugawara ziemlich erwachsen geworden war. Er redete nicht nur wie ein Erwachsener, er sah auch sehr viel älter aus. Seine Gesichtszüge waren strenger als noch vor einigen Monaten und ein leichter Bartschatten zeichnete sich auf seinen Wangen ab. Aber er sah nicht nur erwachsen aus, sondern auch geschafft und traurig. Yachi fragte sich, was er schlimmes erlebt hatte in den letzten Wochen. Und dann fiel ihr etwas ein. »Sag mal Sugawara – was ist mit Daichi? Ist der auch mit dir unterwegs?«, fragte Yachi vorsichtig und schob mit ihrem Fuß ein Bündel Moos bei Seite. Sugawara blieb stehen, fixierte den Baum vor sich. Er versuchte die Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben, versuchte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Er musste die Geschichte bereits zwei Mal erzählen – noch ein drittes Mal konnte er es nicht. Er atmete tief ein und aus, rief sich selbst zur Ruhe. »Daichi ist Tod. Er ist schon wenige Wochen nach Ausbruch der Seuche gestorben.« Sugawara klang dabei so kalt, als hätte er Daichi nie geliebt, als hätte er ihm nie etwas bedeutet. Dann lief er einfach weiter ohne auf Yachi zu achten. Diese atmete geräuschvoll ein. Jetzt war ihr klar, warum Sugawara so anders auf sie wirkte. Er war nicht erwachsen geworden – er war gestorben. ɸ Matsukawa und Hanamaki hatten die Waffen noch immer auf ihr Gegenüber gerichtet. Und der ihnen fremde Junge hatte die Arme noch immer weit gen Himmel gestreckt. »Könntet ihr mal aufhören mit den Dingern herumzufuchteln? Ich tue euch schon nichts!« Hanamaki hätte bei dem selbstgefälligen Grinsen beinahe geknurrt. Der Typ ist doch wirklich lebensmüde, dachte er grimmig, oder einfach nur völlig bescheuert! Matsukawa drängte sich vor seinen Freund, hob seine Doppelschwerter noch ein Stück höher. Ihr Gegenüber grinste noch immer. »Wo sind denn eigentlich eure Gewehre? Ich könnte schwören ihr hättet mir vorhin damit gedroht?« »Was willst du von uns?«, fragte Matsukawa feindselig. Sie verschwendeten wertvolle Zeit, doch Matsukawa wusste nicht was er mit dem Fremden machen sollte. Wenn er ihnen gefährlich werden würde, würde er ihn ohne zu zögern umbringen. Der Fremde machte nicht den Eindruck, als wäre es so, aber Matsukawa wollte ihm auch nicht einfach den Rücken kehren. In der jetzigen Welt konnte das dein Todesurteil sein. »Eigentlich gar nichts! Ich habe mich bloß verlaufen und dachte ihr könnt mir vielleicht sagen in welcher Richtung sich der Highway befindet!« Matsukawa runzelte die Stirn. »Befindet sich deine Gruppe dort? Wir haben niemand anderen gesehen!« Hanamaki knuffte seinem Freund in die Seite. »Sag mal spinnst du? Verrate ihm doch nicht wo wir sind! Stell dir mal vor seine Leute verstecken sich jetzt und haben das gerade gehört, dann sind unsere tot, bevor wir zurück sind!« Hanamaki entging nicht, dass der Fremde grinste. Er wandte den Blick in die Richtung des Fremden. »Was gibt’s da zu grinsen?« »Okay, ich weiß die Welt ist gewalttätiger geworden, aber ich will ganz ehrlich nur nach dem Weg fragen.« Der Fremde seufzte. »Ich habe einen Freund und eine eigene Gruppe. Wir haben uns nicht weit von hier in einer Polizeiwache niedergelassen. Ich war seit zwei Tagen nicht mehr dort und vermisse meine Leute. Denkt ihr, ich würde euch diese Informationen geben, wenn ich euch gleich überfallen würde?« Matsukawa sah den Fremden zweifelnd an. Er würde ihm gerne glauben, aber anderen Menschen war nicht mehr zu trauen. »Der Highway ist links von uns!«, rief Hanamaki in die Runde. Matsukawa ruckte den Kopf zurück. Die Autobahn befand sich direkt hinter ihnen, sie waren doch aus der Richtung gekommen. Hatte sein Freund tatsächlich so einen schlechten Orientierungssinn? Und wenn nicht: Warum log er? Der Fremde schien mit dieser Antwort auch nicht wirklich zu Frieden zu sein. Er runzelte die Stirn und wandte sich um. »Bist du dir da ganz sicher? Ich könnte eigentlich schwören, der ist woanders?!« Als sich der Fremde wieder zu ihnen herumdrehte, war Hanamaki ganz dicht an ihn herangetreten und rammte ihm seine Faust direkt ins Gesicht. Sein Gegenüber taumelte einen Schritt zurück, ehe er ohnmächtig zu Boden ging und regungslos liegen blieb. Hanamaki betrachtete sein Werk einen Moment zu Frieden, dann drehte er sich wieder zu Matsukawa um. »Lass uns von hier verschwinden, bevor er wieder zu sich kommt!« Matsukawa zögerte, was Hanamaki überhaupt nicht gefiel. Mit drängendem Gesichtsausdruck zog er seinen Freund am Ärmel. »Issei – worauf wartest du?« »Die Schnapper zerfleischen ihn, wenn wir ihn hier liegen lassen!« »Ja und? Das kann uns doch egal sein!« Matsukawa sah seinen Freund vorwurfsvoll an. »Wir wissen doch nicht mal ob er uns wirklich etwas tun wollte! Nur weil wir schlechte Erfahrungen gemacht haben, heißt das nicht automatisch, dass jeder Mensch jetzt böse ist!« Hanamaki starrte seinen Freund eindringlich an. »Du hast gesehen was sie mit Iwaizumi machen wollten! Sie haben ihn solange durch die Fabrik gescheucht, bis er sich das Bein gebrochen hat. Sie wollten ihn erschießen! Und am Ende ist er wegen ihnen doch gestorben – genauso wie Oikawa! Ich werde nie wieder jemandem vertrauen, den ich nicht kenne und ich werde mich nicht um andere kümmern! Es geht jetzt nur noch um uns und unsere Gruppe, alles andere ist egal!«, schnaufte er. »Und wenn die Schnapper ihn fressen, ist Yachi vielleicht ein paar Stunden in Sicherheit und wir haben mehr Zeit für unsere Suche! Lass uns jetzt also von hier verschwinden!« Doch trotz seiner Ansprache, bewegte sich Matsukawa keinen Millimeter. »Er ist ein Mensch – kein Monster! Bevor ich einen Menschen sterben lasse, muss noch mehr passieren als das, was Oikawa und Iwaizumi zugestoßen ist. Nicht jeder hat seine Menschlichkeit verloren und will anderen böses!« Die beiden jungen Männer lieferten sich ein Blickduell, das die Luft um sie herum elektrisch aufzuladen schien. Doch am Ende zog Hanamaki den Kürzeren und gab nach. »Wir können nicht hier warten bis er wieder zu sich kommt, wir sollten ihn mitnehmen zum Wohnwagen!« »Du hättest ihm ja auch nicht gleich eine reinhauen müssen!« Hanamaki grummelte etwas Unverständliches, hockte sich neben den Fremden und legte ihm einen Arm um die Schultern um ihn hoch zu hieven. »Hilfst du mir dann vielleicht mal?« Matsukawa schüttelte grinsend den Kopf. »Du bist echt unverbesserlich!«, sagte er und ging seinem Freund zur Hilfe. ɸ Sugawara und Yachi erreichten das Haus im Wald zügig und ohne Zwischenfälle. Während Sugawara zielstrebig die Küche ansteuerte, blieb Yachi auf der Veranda stehen und sah das Haus skeptisch an. Hier die Nacht zu verbringen, empfand sie nicht gerade als sicher! Da wäre sie lieber noch ein paar Stunden durch den Wald geirrt und hätte nach einem Baum gesucht, auf den sie hätte klettern können. Sugawara streckte den Kopf zur Haustür heraus. »Was ist? Kommst du nun? Oben steht noch ein Bett, was halbwegs frisch aussieht! Wir sollten etwas essen und uns ausruhen!« »Bist du sicher das uns hier nichts passieren wird?«, fragte Yachi verunsichert. »Ich beschütze dich, versprochen – und jetzt komm‘ endlich!« Ohne ihre Antwort abzuwarten, griff er nach ihrem Arm und zog sie ins Innere des Hauses. Yachi betrachtete die Verwüstung mit nachdenklichem Blick. Sie fragte sich, wie die Besitzer es wohl finden würden nach der Apokalypse ihr Haus aufräumen zu müssen. Etwas Wertvolles geklaut hatte vermutlich niemand. Immerhin war Geld und Gold in dieser neuen Welt nicht wichtig! Sugawara schloss Vorder- und Hintertür, schob etwas schweres davor und führte Yachi dann nach oben in die erste Etage. Sie zogen sich ins Schlafzimmer am Ende des Flures zurück. Yachi war erstaunt darüber wie unberührt dieses Zimmer dalag. Das große Doppelbett war noch frisch gemacht und außer einer Schicht Staub und ein paar hereingewehter Blätter, sah alles noch normal aus. Als würden die Besitzer nach einem anstrengenden Tag gleich nachhause kommen und todmüde ins Bett fallen. Sugawara war seinen Rucksack aufs Bett und Kuroos hinterher, dann zog er seine Jacke aus und legte sie feinsäuberlich daneben. Yachi ging dabei ein weniger behüteter vor. Sie schleppte aber auch nicht annähernd so viel Zeug mit sich herum. Sugawara begann in seinem Rucksack herumzukramen. Was auch immer er zu suchen schien, versteckte sich allem nach ganz unten, denn er räumte fast den gesamten Inhalt heraus. Yachi staunte nicht schlecht. Zwei Garnituren Wechselkleidung, ein paar Jagdmesser in sämtlichen Größen, eine Heckenschere und sogar etwas Plastikgeschirr kamen zum Vorschein. »Reist du immer mit deinem ganzen Hausrat umher?«, fragte sie ihre Begleitung mit großen Augen. Sugawara warf ihr einen kurzen Blick zu, ehe er grinsend den Kopf schüttelte. »Das ist doch nicht mein ganzer Hausrat! Wenn wir auf Tour gehen und nach Lebensmitteln und Medikamenten suchen, sind wir manchmal tagelang unterwegs. Vor allem wenn wir lange an einem Ort bleiben und uns bei jeder Tür ein Stück weiter vorwagen müssen. Bokuto und Oikawa waren einmal fast vier Tage verschwunden.« - Sugawara unterbrach sich selbst, weil er merkte, dass er vom Thema abschweifte - »Wir haben immer genug Sachen dabei, für den Fall das wir länger als einen Tag unterwegs sind.« »Vier Tage? Wie weit waren die denn weg?« »Fast dreißig Kilometer sind sie zu Fuß gegangen, ein Stück auch mit einem Auto gefahren, das sie unterwegs gefunden haben! Die Beiden sind echte Überlebenskünstler!« Yachi runzelte die Stirn. »Aber warum war Bokuto eigentlich mit Oikawa unterwegs und nicht mit Akashi? Ich dachte die beiden wären ein Paar?« »Pärchen sind nicht wirklich produktiv, streiten sich häufig und lassen sich gegenseitig nicht ihr volles Potential ausschöpfen, weil sie ständig Angst haben, dass dem jeweils anderen etwas passiert. Deswegen haben wir uns so aufgeteilt, dass niemand mit einem direkten Freund oder seinem Partner unterwegs ist. Sicher ist das trotzdem nicht, wie man bei Kuroo sieht!« Yachi seufzte. »Ihr scheint ziemlich darauf getrimmt, lange in dieser Welt überleben zu wollen!« »Ihr etwa nicht?«, hakte Sugawara sorgenvoll nach. Yachi schüttelte den Kopf. »Wir fahren nur ziellos von A nach B! Wir suchen zwar nach einem Ort, an dem wir uns dauerhaft niederlassen können, doch wirklich ernst meint es keiner von uns! An manchen Tagen macht es sogar ziemlich Spaß durchs Land zu fahren und Japan zu entdecken. Aber an manchen Tagen wünsche ich mir, wir hätten ein sicheres zuhause, mit einem Bett und Ruhe. Ich möchte nicht ständig um mein Leben fürchten müssen! Und jedes Mal wenn wir denken so einen Ort gefunden zu haben, kommen die Schnapper wieder und nehmen ihn uns weg. Manchmal denke ich, tot zu sein wäre besser!« Sugawara blickte nachdenklich aus dem Fenster. Er überlegte, ob es wirklich besser wäre, in einer Welt wie dieser tot zu sein. Doch schon nach wenigen Sekunden schüttelte er entschieden mit dem Kopf. »Nein, tot würde ich nicht sein wollen! Irgendwann wird alles wieder besser und das möchte ich miterleben! Wir sind jung und dynamisch – wenn wir es nicht schaffen diesen Scheiß zu überleben, dann tut das auch niemand anderes!« Yachis Herz machte einen Satz. Solche Sachen aus Sugawaras Mund zu hören, schockierte sie noch immer. Sugawara holte eine Dose Suppe aus seinem Rucksack, öffnete sie mit einem Taschenmesser und reichte sie anschließend Yachi. »Warm schmeckt sie bestimmt besser, aber ich habe leider keinen Gaskocher dabei und ein Feuer zu machen, wäre zu gefährlich!« Yachi nahm die Dose mit zittrigen Händen entgegen und trank gierig drei große Schlucke, ehe sie selbst zur Räson rief. Sugawara sollte immerhin auch etwas davon abbekommen. Reumütig reichte sie die Dose also wieder zurück und wandte den Blick ab, während ihre Begleitung ebenso hastig die Suppe zu sich nahm. Sugawara beherrschte sich und trank die Dose nicht aus. Etwa ein Viertel ließ er noch drinnen, falls einer von ihnen noch mal hunger bekommen sollte. Er klappte den Deckel wieder zu und stellte das Gefäß auf dem Nachtschrank ab. »Du solltest dich ausruhen, du wirst deine Kraft morgen brauchen!«, sagte Sugawara eindringlich. Gleichzeitig zog er die Reißverschlüsse seines Rucksacks ganz auf und begann den verstreuten Inhalt wieder aufzusammeln. »Aber«, begann Yachi zu protestieren, »Du musst doch auch schlafen, du brauchst deine Kräfte morgen auch!« Sugawara lächelte, während er seine Wechselkleidung in das größte Fach stopfte. »Mir reichen ein paar Minuten Schlaf. Wenn du morgen früh wach wirst, hau ich mich kurz aufs Ohr. Aber vorher solltest du dich ordentlich ausschlafen!« Yachi war noch immer nicht überzeugt, hielt es aber für schlauer die wenige Zeit, die ihnen zum schlafen blieb nicht mit einer sinnlosen Diskussion zu verplempern. Also kroch sich ans Kopfteil und zog die dünne Decke über die Beine. Sie überlegte kurz, ob sie Sugawara noch eine gute Nacht wünschen sollte, entschied sich aber dann dagegen und drehte sich einfach um. Sugawara warf ihr einen kurzen Blick zu, um sicherzugehen das sie auch wirklich versuchte zu schlafen, bevor er damit begann seine Jagdmesser zu schärfen. ɸ Da Yaku und Kenma zu neugierig waren, hatten sie beschlossen nicht schlafen zu gehen. Sie wollten unbedingt sehen ob Matsukawa und Hanamaki es schaffen würden Yachi zu finden oder wenigstens mit brauchbaren Hinweisen wiederkommen würde. Also setzten sie sich wieder in die Stühle auf dem Dach des Wohnmobils und sahen gespannt das Loch im Gestrüpp an, durch das ihre Gefährten kurz zuvor verschwunden waren. »Ich wette sie gehen zweihundert Meter und kommen dann schreiend zurück, weil sie auf ein paar Schnapper getroffen sind!«, sagte Kenma monoton, ohne Yaku anzusehen. »Für so ängstlich halte ich die beiden aber nicht! Ich denke sie kommen entweder mit Yachi wieder oder gar nicht!«, widersprach Yaku postwendend und sehr von seiner Meinung überzeugt. Kenma zuckte mit den Schultern. »Wir werden sehen!« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen raschelte es im Gebüsch. Kenma und Yaku warfen sich einen kurzen Blick zu, ehe sie zur Leiter stürmten und das Wohnmobil hinabkletterten. Sie gingen ein paar Schritte auf die Leitplanke zu, hielten aber genügend Sicherheitsabstand. Für den Fall, dass da gleich nicht Hanamaki und Matsukawa aus dem Gebüsch stolpern würden. Ein paar Sekunden vergingen in denen nichts passierte und dann hörten sie plötzlich verschiedene Stimmen flüstern. Achtsam legten sie ihre Gewehre an und nahmen das Loch im Gestrüpp ins Visier. »Wir müssen darauf gefasst sein, Menschen zu erschießen!«, flüsterte Yaku warnend. Er selbst hatte da keine Skrupel, denn wenn es darum ging seine Gruppe zu schützen, tat er praktisch alles. Doch er wusste, dass Kenma das nicht so gut verkraftete. Er tat zwar immer so taff und unnahbar, aber eigentlich war ein kleines Sensiblechen. Das Gebüsch wackelte stärker. Yaku richtete das Gewehr erneut aus, legte die Finger an den Abzug. Er schoss selten, eigentlich nur im äußersten Notfall. Doch er wusste wie es geht und war auch im Dunkeln sehr treffsicher. Durch sein Visier sah er zwei Hände, die sich an die Leitplanke klammerten und einen schwarzen Haarschopf. Er wurde nervös. Frisur und Hautfarbe passten nicht zu Matsukawa – das erkannte er selbst im Dunkeln! Er stellte sich darauf ein, schießen zu müssen. Doch dann schleppte sich ein Körper über die Leitplanke, der Yaku dazu brachte erschrocken zusammenzuzucken. Neben ihm ließ Kenma sein Gewehr wie in Trance auf den harten Asphalt fallen. »Kuroo?« Yaku nahm nun ebenfalls das Gewehr hinunter und sah Kenma fragend an. Seine Stimme klang befremdlich leise und unsicher, so als hätte er gerade erst gelernt zu sprechen. »Kenma? Yaku?« Yaku drehte sich wieder zur Leitplanke. Die Stimme klang fremd und vertraut zu gleich. Er hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr gehört. Und auch nicht damit gerechnet sie je wieder zu hören! »Bist du es wirklich?«, fragte Kenma mit zittriger Stimme. Doch er bekam keine Antwort, denn Kuroo war schon zu ihnen gehumpelt und schloss seinen besten Freund fest in seine Arme. Nun realisierte auch Yaku, dass es sich nicht um einen Scherz seines Gehirns handelte. Kuroo stand wahrhaftig vor ihnen. Er lebte. Yakus Herz begann vor Freude wild zu klopfen. Die anderen müssen das auch wissen, dachte er. Er musste Lev wecken! Er ließ sein Gewehr fallen, drehte um und rannte zum Bus, in dem sein Freund selenruhig schlief. Lev saß sofort aufrecht auf in seinem Schlafsack, als Yaku die Schiebetür aufriss. »Du musst aufstehen – Kuroo ist da. Los komm!«, sagte Yaku aufgeregt und riss am Arm seines Freundes. Dieser schaffte es gerade so, sich aus seinem Schlafsack zu befreien, bevor er unsanft aus dem Bus gezogen wurde. Der Riese hatte noch nicht ganz verstanden, was die Uhr geschlagen hatte, da wurde er auch schon in eine feste Umarmung gezogen. Er musste ein paar Mal blinzeln, bis ihm klar wurde, in wessen Armen er da lag. Und dann gelang es ihm auch die Umarmung zu erwidern. Hanamaki und Matsukawa – die nun ebenfalls wieder auf dem Highway standen – betrachteten die Situation nur mit skeptischem Blick. Matsukawa knuffte seinem Freund sanft in die Seite. »Und du dachtest, der will uns was böses«, flüsterte er so leise, dass niemand anderes es hörte. »Hey, woher sollte ich wissen das er zu den Vögeln aus Tokio gehört? Ich hab‘ ihn noch nie zuvor gesehen, du etwa?«, entgegnete Hanamaki pikiert. Er ließ es sich zwar nicht anmerken, aber er hoffte, dass er sich für seinen Kinnhaken nicht rechtfertigen musste. »Wenn die Begrüßungszeremonie vorbei ist, sollten wir ihn fragen ob er im Wald vielleicht auf Yachi getroffen ist! Er kennt das Team von Karasuno und hat sie vielleicht zu einem sicheren Versteck gebracht!«, sagte Matsukawa nachdenklich. »Denkst du? Der Wald ist groß und Yachi rennt ziellos umher. Ich glaube nicht, dass die beiden sich begegnet sind«, entgegnete Hanamaki. Matsukawa zuckte mit den Schultern. »Fragen kostet ja nichts.« Vom Lärm den die vier Mitglieder der Nekoma machten, wurden auch die anderen wach. Sich die Augen reibend stolperte Hinata, dicht gefolgt von Kageyama aus dem Wohnmobil. Er gähnte. »Warum seid ihr denn alle so laut mitten in der Nacht?« Kuroo entdeckte ihn als erstes, riss sich von Yaku und Lev los und stürmte auf den Winzling zu. »Schrimp«, rief er übermütig und schloss ihn ebenfalls in seine Arme. »Hätte nie gedacht dich mal wiederzusehen!« Hinata sah ähnlich verdattert drein wie Lev, bis er sich dem vollen Ausmaß dieser Situation bewusst wurde. Er und Kuroo hatten zwar nie wirklich viel miteinander zu tun gehabt, aber das spielte jetzt keine Rolle. Die Umarmung war ja kein Zeichen für eine besonders tiefe Freundschaft, sondern stand für: »Schön das du noch am Leben bist!« Und deswegen verwunderte es ihn danach auch weniger, das Kuroo auch Kageyama und Yamaguchi umarmte. Hanamaki ließ ihnen die Wiedersehensfreude noch genau zwei Minuten, ehe er dazwischen ging. »Tut mir Leid das ich euch eure Orgie unterbrechen muss, aber es gibt wichtigeres!«, sagte er mit kräftiger Stimme und wandte sich dann direkt dem Neuankömmling zu. »Kuroo richtig? Bist du im Wald auf ein kleines Mädchen ungefähr in Yakus Größe getroffen?« Die Stimmung schlug bei Yachis Erwähnung sofort um. Weil sich alle wegen Kuroos Auftauchen so sehr gefreut hatten, hatten sie völlig vergessen das Yachi immer noch alleine in der Dunkelheit herumirrte. Sie sahen Kuroo abwartend und hoffnungsvoll an, obwohl sie nicht daran glaubten, dass er ihr wirklich begegnet war. Doch zu ihrer aller Überraschung nickte der Schwarzhaarige heftig. »Doch habe ich – ihr Name ist Yachi, wenn ich mich richtig erinnere oder?« Yamaguchi drängelte sich in den Vordergrund. »Ja, ja – geht es ihr gut? Lebt sie noch?«, fragte er mit klopfendem Herzen. Kuroo lächelte besänftigend. »Ja, sie lebt und ihr geht es gut – sie ist in Sicherheit!« Er biss sich auf die Zunge. Er konnte es nicht wissen, weil er es ja nicht zu ihr zurück geschafft hatte. Er konnte nur hoffen, dass Sugawara nach ihm gesucht hatte und dabei auf sie gestoßen war. Das sie wirklich in Sicherheit war! ɸ Sugawara war gerade dabei das letzte seiner Jagdmesser zu schärfen, als er es unten rumpeln hörte. Erschrocken hielt er die Luft an und sprang auf. Auch Yachi war sofort wach und saß aufrecht im Bett. Mit angsterfüllten Augen sah sie Sugawara an. »Was war das?«, fragte sie mit zitternder Stimme. »Keine Ahnung«, antwortete Sugawara und stopfte so schnell er konnte alles zurück in seinen Rucksack. Er würde nachsehen gehen, doch vorher musste er Yachi verstecken. Bevor er sich im Zimmer umsah, warf er ihr einen flüchtigen Blick zu. Sie zitterte wie Espenlaub, während sie die Tür wie ein scheues Reh anstarrte. Sugawara entdeckte einen Wandschrank. Er zückte sein Messer und machte einen Schritt darauf zu. Es war unwahrscheinlich, dass sich ein Schlürfer darin versteckte. Wäre es so, hätte er sich schon längst bemerkbar gemacht. Doch in dieser Welt musste man mit allem rechnen. Man durfte nicht leichtsinnig sein! Er atmete noch einmal tief durch und riss dann die Tür auf. Außer einem Schwall Staub und einer Böe modrigem Geruch schlug ihm jedoch nichts entgegen. Perfekt, dachte er und ging mit zwei großen Schritten zum Bett zurück. Er nahm seinen Rucksack und die Sachen von Kuroo und stopfte sie in den Schrank, dann winkte er Yachi zu sich. Zögerlich und völlig starr vor Schreck ging sie zu ihm. Er drückte ihr ein Messer in die Hand. »Du musst ganz ruhig sein«, sagte er zu ihr. »Wenn jemand diesen Schrank öffnet und vorher nicht drei Mal anklopft, dann musst du zustechen – hast du mich verstanden?« Sugawara sah das Mädchen eindringlich an, doch sie reagierte nicht. Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie sanft. »Yachi, hast du mich verstanden?« Sie nickte und er schob sie in den Schrank, ohne eine weitere Sekunde zu verlieren. »Und denk daran, wenn nicht drei Mal angeklopft wird, dann stech zu – egal ob Monster oder Mensch!« Sie nickte erneut, wollte etwas sagen, doch ihr Mund quittierte seinen Dienst. »Und komm‘ ja nicht auf die Idee hier ‘rauszukommen, hast du mich gehört?« Bevor sie ein weiteres Mal nicken konnte, schloss Sugawara jedoch die Tür. Dann saß sie da. Im Dunkeln. Ganz alleine. Ihr ganzer Körper zitterte so sehr, dass sie beinahe ihr Messer fallen ließ. Sie versuchte sich zur Ruhe zu rufen. Du musst dich konzentrieren, sagte sie in Gedanken zu sich selbst, du willst nicht sterben – noch nicht! Sie versuchte ruhiger zu Atmen, ihren Herzschlag zu entschleunigen. Sie lauschte, wollte hören was unten vor sich ging. Doch dafür rauschte ihr Puls zu laut. Das Adrenalin packte sie. Sie umfasste den Schaft von Sugawaras Messer fester. Um sich abzulenken überlegte sie, was die anderen wohl gerade taten. Hinata und Kageyama kuschelten sich in ihrer Vorstellung ganz dicht aneinander und versuchten zu schlafen. Yaku und Kenma hielten mit Sicherheit Wache und Matsukawa und Hanamaki erzählten sich schlechte Witze um die Geschehnisse des Tages zu verarbeiten. Sie schloss die Augen und nahm sich vor diese Bilder in Erinnerung zu behalten, für den Fall, dass sie diese Nacht nicht überleben würde. Sollte sie sterben, wollte sie genau daran denken. Nicht an die Schnapper, nicht an die vielen toten Menschen, nicht an diese trostlose Welt. Sie wollte sich nur auf ihre Freunde konzentrieren. Unten gab es einen kleinen Knall und Yachi schreckte hoch, lauschte wieder. Doch mehr war nicht zu hören. Sie atmete tief ein und aus. Sie war hier sicher, redete sie sich ein, in so einem Wandschrank würde niemand nachsehen kommen. Sie würde so lange hier ausharren, bis das Haus wieder still und friedlich dalag. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich an Sugawaras großen Rucksack an und dachte an die paar Monate ihrer Oberschulzeit zurück. Sie dachte an ihre Mutter, die sie vermutlich nie wiedersehen würde und überlegte sich, was sie zu ihr sagen würde, sollte es doch so sein. Plötzlich hörte sie Geflüster. Es war zu leise, um das Gesprochene zu verstehen und zu gedämpft, als das sie erkennen könnte, ob ihr die Stimmen vielleicht bekannt vorkommen würden. Also musste sie sich darauf gefasst machen zu zustechen. Denn eins war ihr gerade klar geworden: Sie wollte überleben, leben – und zwar um jeden Preis! Und dann hörte sie die Treppenstufen knarren und atmete tief durch. 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