RUN von YukiKano (They never stop catching you) ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Das Zeitgefühl verlierst du nicht, auch wenn schon längst keine Uhren mehr schlagen. Deine innere Uhr bleibt dir trotzdem erhalten. Deswegen konnte Sugawara auch am nächsten Morgen mit Sicherheit bestimmen, dass es noch nicht allzu spät sein konnte. Er gähnte und beschloss noch eine Weile zu schlafen. Doch als er die Hand ausstreckte und neben sich nur einen leeren Schlafsack zu packen bekam, verwarf er diese Idee wieder. Ruckartig setzte er sich auf, war plötzlich hellwach und scannte den Raum ab. Dabei musste er feststellen, dass dieser bis auf Bokuto und Akashi leer war. Und die beiden schienen noch zu schlafen. Ihm war sofort klar, dass Tsukishima und Oikawa nicht im Keller waren, wo sich die Duschen befanden. Denn deren Rucksäcke fehlten. Auch Tsukishimas Katana lehnte nicht wie üblich an der Wand. Blitzschnell schälte sich Sugawara aus seinem Schlafsack und zog sich an. Als er gerade nach seinem Rucksack greifen wollte, räusperte sich jemand. Erschrocken ließ er das Gepäckstück fallen und drehte sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Er hatte Bokuto geweckt, der ihn jetzt mit wachsamen Augen anstarrte. »Wo willst du hin?«, fragte die Eule und versuchte mit einer kleinen Bewegung Akashis Klammergriff zu lockern. »Ich muss die anderen suchen, sie sind abgehauen um Kuroo zu finden!« »Woher weißt du das, hast du mit ihnen gesprochen?« Sugawara schüttelte den Kopf und nahm den Riemen seines Rucksacks wieder in die Hand. Er wollte jetzt nicht diskutieren und damit Zeit vertrödeln. Es gab immerhin wichtigeres zu tun! »Du solltest hierbleiben und abwarten! Wenn sie heute Abend ohne ihn zurückkommen, könnt ihr morgen immer noch gemeinsam losgehen. Aber es macht so keinen Sinn, wenn ihr jetzt alle in verschiedene Richtungen rennt!« Sugawara stockte und dachte einen Moment über Bokutos Worte nach. Irgendwie hatte er recht, aber Sugawara wollte nicht riskieren das Oikawa oder Tsukki zu Schaden kommen, weil Kuroo sein Leben so leichtfertig aufs Spiel setzte. Sugawara seufzte, während er die Gurte seines Rucksacks festzurrte. »Tu mir den Gefallen und sag Akashi, dass er die Tür abschließen soll, wenn er aufsteht. Wir sind bis Sonnenuntergang zurück, versprochen!« Ohne auf eine Erwiderung zu warten, ergriff Sugawara die Türklinke und verließ den Raum. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Als die Tür hinter ihm leise ins Schloss viel, war es an Bokuto zu seufzen. Er kuschelte sich zurück in seinen Schlafsack und murmelte leise »Viel Glück«, bevor er wieder einschlief. ɸ »Das hat doch alles überhaupt keinen Sinn!«, fauchte Tsukishima und räumte gleichzeitig mit seinem Katana ein paar Äste aus dem Weg. Oikawa verdrehte die Augen. Er bereute es, dem Brillenträger angeboten zu haben, ihn zu begleiten. Zu einem, weil er wusste, dass dieser nur meckern würde und zum anderen, weil sie gar nicht wussten, in welcher Richtung sie mit ihrer Suche beginnen sollten. Denn selbst Tsukishima konnte nur eine vage Wegbeschreibung machen. Die beiden Gruppen hatten sich gestern erst mitten im Wald voneinander getrennt und Tsukishima wusste heute selbst nicht mehr, in welche Richtung er mit Akashi gegangen war. Schließlich blieben die beiden stehen, versuchten sich ein Bild zu verschaffen und zu erahnen, in welche Richtung Sugawara und Kuroo gestern gegangen waren. »Hatte Suga heute Nacht nicht irgendetwas von einer High-School erzählt?« »Ja und?« »Wir sind doch an einer vorbeigefahren – kurz vor Ortseingang. Vielleicht meinte er ja die und die beiden waren gestern dort?« Tsukishima zögerte einen Moment, eher er seufzte und sein Katana in den lockeren Waldboden rammte. »Und selbst wenn, er hat gesagt da lauert eine Herde Schlürfer! Kuroo ist entweder dort und Tod oder aber, er ist in eine völlig andere Richtung gelaufen. Und dort hinzugehen und nachzusehen wäre zu gefährlich ohne Schusswaffen. Mit einem Schwert und einem Baseballschläger können wir absolut nichts ausrichten!«, sagte Tsukishima niedergeschlagen. Er wollte es nicht, trotzdem gab er langsam aber sicher die Hoffnung auf, dass sein Freund überhaupt noch am Leben sein könnte. Oikawa verdrehte erneut die Augen. »Gut dann gehen wir jetzt eben in die entgegengesetzte Richtung und schauen, was wir da finden! Vielleicht ist er ja doch nicht so dumm, wie ich gedacht hatte!« Wenn Blicke töten könnten, würde sich Oikawa die Radieschen jetzt wahrscheinlich von unten ansehen. Aber da Tsukishima selbst keine bessere Idee hatte, nickte er zustimmend und folgte dem anderen durch ein ausgedünntes Astgeflecht. Sie gingen eine ganze Weile durch den Wald und kamen irgendwann an einer Autobahn Zufahrt an. Tsukishima war schon drauf und dran diese hoch zu laufen, als Oikawa ihn am Kragen packte und wieder von der Straße hinunterzog. »Oh nein, nein, nein! Was haben wir über Highways gesagt? Richtig: Gehe niemals einen zu Fuß entlang, es sei denn du sehnst einen schmerzhaften Schlürfer-Tod herbei!«, zischte er. »Wenn Kuroo also noch ein paar seiner Gehirnzellen übrig hat, dann wird er dieser Straße nicht gefolgt sein. Andernfalls ist er sowieso tot und ich werde mein Leben garantiert nicht opfern, um das heraus zu finden!« »Und was sollen wir deiner Meinung nach sonst machen? Hier warten oder was?«, entgegnete Tsukishima bissig. »Offensichtlich haben wir die falsche Richtung eingeschlagen!«, antwortete Oikawa und warf einen Blick in Richtung Sonne. »Es fängt bald an zu dämmern und wir haben noch einen ziemlich weiten Rückweg vor uns. Wir sollten zurückgehen und morgen nach ihm weiter suchen. Wenn er nicht schon längst zurück ist! Lass uns nach Hause gehen und mit Sugawara einen Schlachtplan ausarbeiten!« Tsukishima gefiel nicht, dass Oikawa die Polizeiwache ,,zu Hause“ nannte, aber er hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Denn alleine wollte er mit Sicherheit nicht im Dunkeln durch den Wald irren. So viel gesunden Menschenverstand besaß er dann doch noch. Er warf noch einen letzten Blick in Richtung Straße und hoffte das Oikawa sich mit seiner Vermutung nicht irrte, dann folgte er ihm zurück in den Wald. Sie entschieden sich dazu, nicht den gesamten Weg durch den Wald zu gehen, sondern am Ortseingang abzubiegen und noch ein paar Häuser zu durchsuchen, die sie bisher ausgelassen hatten. Da sie sich in einem ziemlich kleinen Dorf niedergelassen hatten, was schon recht früh nach Ausbruch der Seuche evakuiert wurde, hatten sie in den letzten Wochen kein großes Problem mit Schlürfern gehabt. Es schlichen nur vereinzelt ein paar durch die Straßen, ohne groß Notiz von der belebten Polizeiwache zu nehmen. Die sechs jungen Männer waren sich natürlich bewusst, dass irgendwann eine Herde der Schlürfer die Straßen passieren würde. Aber bis dahin wollten sie schon längst über alle Berge sein. Vorausgesetzt, es ging Bokuto bis dahin besser. Direkt am Stadtrand befand sich eine leerstehende Kneipe, die sie bisher noch nicht auf etwas Brauchbares abgesucht hatten. Während Oikawa draußen Wache hielt, suchte Tsukishima die Räume ab. Wie auch in den restlichen Gebäuden der Stadt fand er hier keine Schlürfer vor – bis auf eine Flasche Schnaps aber auch sonst nichts Verwendbares. Resigniert seufzte er, steckte sein Katana zurück in die Hülle aus weißem Leder und ging wieder zu Oikawa nach draußen. »Und?« »Außer ‘ner Flasche Schnaps, war da nichts!« »Hast du die eingesteckt?« »Sollte ich? Wieso?«, fragte Tsukishima irritiert und scannte die Straße ab, die langsam in alles einnehmende Dunkelheit getaucht wurde. »Alkohol ist das beste Desinfektionsmittel – Hast du nie einen Actionfilm gesehen?« Der Brillenträger seufzte. »Ist ja gut, ich geh sie holen, wenn du sie unbedingt brauchst! Obwohl es eigentlich nur weiterer unnötiger Krempel ist, den wir mit uns herumschleppen!«, fauchte Tsukishima und ging zurück in das Lokal. Oikawa blieb vor der Tür und betrachtete nachdenklich den langsam aufgehenden Vollmond. Er unterdrückte ein paar Tränen. »Hi Iwa-lein, lange nicht mehr gesehen!« ɸ Sugawara hatte es bis zum Sonnenuntergang nicht einmal geschafft die High-School zu erreichen. Schuld daran waren sein schlechter Orientierungssinn und diverse Auseinandersetzungen mit ein paar Schlürfern. Dafür hatte er jetzt seine Ruhe, denn von dem letzten hatte er so viel Blut abbekommen, dass er sich ganz beruhigt fortbewegen konnte. Die wandelnden Leichen sahen ihn nicht mal an. Die Meute, die ihn gestern auf dem Schulbus belagert hatte, war verschwunden. Nur ein paar vereinzelte stolperten über den Parkplatz. Die Schule hatte schon gestern keinen besonders lebendigen Eindruck gemacht, trotzdem entschied sich Sugawara dazu, den Hintereingang zu nehmen. Er musste sein Glück ja nicht unnötig herausfordern. Die High-School musste eine ziemlich große Anzahl an Schülern gehabt haben, so groß wie das Gebäude war. Sugawara brauchte fast drei Minuten um auf den Schulhof zu gelangen und musste dann feststellen, dass im Gebäude eine ganze Horde Schlürfer auf ihn zu warten schien. Denn der Zaun um das Gelände war noch beinahe komplett intakt und es wandelte kein einziger Schlürfer über das Gelände. Das hieß, alle die zurückgeblieben waren, befanden sich noch in der Schule – wenn überhaupt jemand zurückgeblieben war! Sugawara wusste aus eigener Erfahrung, dass die Schulen separat evakuiert wurden und fast kein Kind seine Eltern lebend wiedergesehen hat. Denn das Militär war auf die Situation nicht vorbereitet gewesen. Während des ganzen Evaluierungszeitraums gab es keine Struktur, keine Ordnung und keine Prozesse. Vor allem Kinder und Jugendliche wurden voller Willkür von einem Lager ins nächste transportiert. Manche dieser Konvois waren Schlürfern zum Opfer gefallen. Der letzte, in dem Sugawara zusammen mit Daichi gesessen hatte, wurde ebenfalls von Schlürfern überrannt. Von 45 Kindern und Jugendlichen hatten den Angriff gerade einmal acht überlebt. Suga gehörte dazu, Daichi nicht. Diese Acht hatten sich in einer nahegelegenen Hütte versteckt und waren nach und nach dem Hunger oder den Schlürfern zum Opfer gefallen. Nach zwei Wochen waren nur noch drei von ihnen übrig. Einer davon erhängte sich schließlich mit seinem Schal, weil er keinen Tag länger in dieser Welt leben wollte. So schlug sich Sugawara noch ungefähr eine weitere Woche mit einem neunjährigen Jungen durch, der sich dann eine Lungenentzündung einfing und starb. Es war der Moment, in dem Sugawara miterlebte wie jemand, der nicht von den Schlürfern gebissen wurde, wieder zurückkam. Und es war der Moment, in dem er verstand, dass er jedem Menschen ein Messer in den Kopf rammen musste, wenn er nicht wollte, dass sie so endeten. Doch er war sich nicht sicher, ob er Oikawa oder Kuroo jemals ein Messer durch die Schädeldecke rammen konnte. Selbst dann nicht, wenn sie schon längst zu Schlürfern mutiert waren. Sugawara erreichte einen der Hintereingänge des Gebäudes. Zur Abwechslung ohne Kette mit Vorhängeschloss oder Botschaft auf den Türflügeln. Also entweder hatte man die High-School tatsächlich rechtzeitig geräumt oder einen Hinweis auf eine eventuelle Schlürfer Flut einfach nur vergessen. Sugawara schluckte und zückte seine Messer. Es deutete kaum etwas daraufhin, dass sich Kuroo ins Gebäude geflüchtet hatte, aber wenn doch und er verletzt war und es nicht selbstständig zurück zur Polizeiwache schaffte, dann musste er ihm helfen. Also atmete er noch einmal tief durch und öffnete dann die Tür. Er stand direkt in der Cafeteria. Alle Tische und Stühle standen noch akkurat an ihrem ursprünglichen Platz und waren lediglich mit einer dicken Schicht Staub bedeckt. Man könnte meinen es wären nur Ferien und jeden Moment würden die Schüler wieder die Gänge füllen, weil ein weiteres Schuljahr anbrach. Sugawara ließ die Schultern bedrückt hängen. Dieser Anblick erinnerte ihn daran, dass es vermutlich niemals so sein würde wie früher. Plötzlich klapperte etwas. Sugawara schreckte aus seinen trüben Gedanken hoch und zückte automatisch sein Messer. Das Geräusch kam aus Richtung Küche, hörte sich aber nicht nach einem Schlürfer an. Das hieß aber noch lange nicht, dass er unvorsichtig werden konnte. Denn in dieser neuen Welt konnte man zwischen Freund und Feind auf den ersten Blick nicht mehr unterscheiden. Denn neben den Schlürfern waren auch die Menschen unberechenbar geworden. Manche hatten bereits den letzten Funken Menschlichkeit verloren und behandelten andere wie Schlürfer, die man einfach abschlachten konnte. Sugawara verstand nicht wie Menschen anderen Menschen so etwas antun konnten – selbst in Zeiten wie diesen. Die wenigen Menschen die es noch gab sollten zusammenhalten und sich nicht gegenseitig bekriegen. Es klapperte wieder. Sugawara zuckte zusammen. Wer auch immer in der Küche herumkroch hatte noch keine Notiz von ihm genommen. Gut, dachte er sich und umfasste den Schaft des Messers fester. Das Überraschungsmoment war also noch immer auf seiner Seite! Langsam machte er einen Schritt nach dem anderen auf die Durchreiche zu. Er war bereit zu zustechen, egal was ihn erwartete. Er würde das können, auch wenn er zuvor noch keinen lebenden Menschen getötet hatte. Ein Schritt noch. Das Messer bereits im Anschlag. Die Panik im Nacken. Er beugte sich über die Durchreiche, atmete noch einmal tief ein und hielt dann die Luft an. Als er jedoch erblickte, was die Geräusche hinter der Ausreiche verursachte, konnte er sich ein erleichtertes Seufzen nicht verkneifen. Wenn gleich er auch ziemlich wütend auf die Person vor sich war. In diesem Moment bemerkte ihn auch Kuroo und zuckte erschrocken zusammen, als er sich umdrehte und einen vorsichtigen Blick über die Ausreiche warf. »Hast du eigentlich noch alle Latten am Zaun? Was zur Hölle hat dich dazu gebracht einfach mir nichts, dir nichts wegzurennen und hier in die Cafeteria einzubrechen?«, zischte Sugawara bitterböse. Er musste sich stark beherrschen nicht laut zu schreien, um damit keine Schlürfer anzulocken. Er musste sein Messer noch fester umklammern, um es seinem Gegenüber vor Wut nicht doch noch in die Brust zu hämmern. »Mir fiel ein, dass wir das Schulgebäude gar nicht durchsucht hatten! Ich wollte eigentlich nur schnell schauen ob wir eine Chance hätten und dann gleich wieder zu dir zurückkommen. Aber dann waren da plötzlich so viele Schlürfer und mir ist nichts besseres eingefallen, als mich hier zu verschanzen und nach was essbarem zu suchen!« Sugawara brodelte vor Wut, schaffte es aber trotzdem irgendwie äußerlich ganz gelassen zu wirken. Er antwortete Kuroo nicht. Stattdessen schwang er sich in einer einzigen Bewegung über die Theke und hockte sich neben ihn. »Hast du wenigstens was brauchbares gefunden?« Zu seiner Ernüchterung schüttelte Kuroo allerdings mit dem Kopf. »Die meisten Lebensmittel haben sich – nun ja – verdünnisiert und das einzige was hier sonst noch so herumstand, waren sechs Konserven Dosensuppe!« »Und was ist mit Getränken?« Kuroo klopfte auf einen Schrank zu seiner linken. »Die Schule schien weder viel von Flaschen, noch von Trinkpäckchen zu halten. Die Getränke kommen aus einer Anlage und die Fässer dafür stehen im Keller! Und da geh ich bestimmt nicht hinunter!« Sugawara runzelte die Stirn. »Warum nicht? Im Schulgebäude scheinen keine Schlürfer zu sein – zu mindestens habe ich keine eingeschlagenen Fensterscheiben oder offenstehende Türen gesehen!« Kuroo begann zu grinsen. »Denkst du, aber irgendwer hat es geschafft eine Wand der angrenzenden Schwimmhalle einzureißen und dabei ist auch eine Außenwand der Schule eingestürzt. Im ganzen Gebäude wimmelt es nur so von Schlürfern und ich war jetzt nicht unbedingt scharf auf Gesellschaft!« Sugawara legte die Stirn in noch tiefere Falten. »Aber warum sind sie dann nicht hier? Sie haben dich in ihrem Fresswahn doch bestimmt gerochen!« »Vor der Cafeteriatür liegt ein riesiger Berg Leichen. Ich glaube wohl kaum, dass mich eines von den Viechern auch nur im Ansatz gerochen hat!« »Okay, dann sollten wir dafür sorgen, dass das so bleibt und ganz schnell verduften!«, antwortete Sugawara leicht panisch und gab noch im selben Atemzug seine hockende Position auf. Er zückte seine Messer und blickte sich sofort kampfbereit um. Irgendwie wunderte es ihn überhaupt nicht, dass er den unachtsamen, optimistischen Kuroo ausgerechnet hier gefunden hatte. Dieser Ort passte so hervorragend zu seinem draufgängerischen Lebensstil, dass es Sugawara nicht wundern würde, wenn Kuroo jetzt von ihm verlangen würde, die Schule durch den Haupteingang zu verlassen. Der Typ hatte den Knall echt nicht gehört! Plötzlich zitternd vor Panik zog Sugawara an dem Trageriemen von Kuroos Rucksack. »Jetzt lass uns endlich von hier verschwinden, bevor es hier wieder ‘nen Schlürfer Auflauf gibt! Ich bin zu müde um zu kämpfen!«, knurrte Sugawara ungehalten. »Mir reichen schon die paar von denen, denen wir im Wald zwangsläufig begegnen werden!« Doch da hatten sie die Rechnung ohne die Schlürfer gemacht. Denn als sie sich Richtung Ausgang drehten, stand vor den Fenstern bereits eine ganze Traube, schlug gegen die Scheiben und machte so einen beängstigenden Lärm, dass immer mehr von ihnen angetorkelt kamen und sich neben ihren Artgenossen aufreihten, um dem Ächz und Stöhn Konzert beizuwohnen. Tja, dachte sich Sugawara, jetzt weiß ich wenigstens wo die Horde von gestern ist. Die schienen nämlich nicht weitergezogen zu sein. Bestimmt hatten sie sich nur in den Wald zurückgezogen. Innerlich trat sich Sugawara vor Wut gerade selbst in den Arsch. Warum war er mit Kuroo nicht schon viel eher geflüchtet? Jetzt hatten sie den Salat und mussten sich überlegen, wie sie das überleben würden. Und am besten fiel ihnen etwas ein, bevor die Fensterscheiben nachgaben, an die sich von Minute zu Minute immer mehr Schlürfer drückten. Wenn wir das hier überleben, dachte Sugawara bei dem ekeligen Anblick der sich ihm bot, dann bringe ich Kuroo eigenhändig um. ɸ »Könntest du jetzt mal aufhören mit dem Gesicht ziehen?« »Ich zieh‘ kein Gesicht!« »Nein – du überhaupt nicht! Wen willst du hier eigentlich verarschen? Natürlich ziehst du Gesicht, weil du der Meinung bist, wir hätten länger nach ihm suchen müssen!« »Das stimmt überhaupt nicht!« Kaum hatten Oikawa und Tsukishima die letzten Meter Rückweg angetreten, war diese unaufhaltsame Diskussion gestartet. Denn Oikawa war sich sicher, dass Tsukishima sauer auf ihn war, weil er mit ihm nicht noch länger gesucht hatte. Und Tsukishima versuchte den letzten Funken Hoffnung zu verteidigen, den er noch besaß. Aber wenn Oikawa jetzt nicht langsam mit seinen Anschuldigungen aufhören sollte, würde der Brillenträger für nichts mehr garantieren können. Die beiden konzentrierten sich mehr auf ihren Konflikt, als auf die umher wandelnden Schlürfer. Tsukishima schwang sein Katana mit einer Leichtigkeit, als hätte er im Leben nie etwas Anderes getan. Und Oikawa wich den umher wandelnden Gestalten elegant aus und ließ seine Begleitung den Rest erledigen. Warum sollte er sich auch schmutzig machen? Sie kamen vor der Polizeiwache an, als die ersten Sterne bereits am Himmel zu sehen waren, stellten aber zufrieden fest, dass sich seit ihrem Verschwinden nichts verändert hatte. Ihr Zufluchtsort lag noch genauso still und verlassen dar, wie heute Morgen. Wortlos legten sie ihren Streit bei und schlüpften einer nach dem anderen durch den löchrigen Maschendrahtzaun. Oben in ihrem umfunktionierten Büro hatte sich auch nichts getan. Bokuto schlief nach wie vor und Akashi wischte ihm mit einem feuchten Lappen die schweißnasse Stirn ab. Das einzige was ungewöhnlich war, war Sugawaras Abwesenheit. Denn den fanden sie nicht dort vor, wo sie ihn zurückgelassen hatten. Und normalerweise verbrachte der beinahe jeden Tag, an dem er nicht vor die Tür musste mit einem guten Buch, eingekuschelt in seinem Schlafsack. Während Tsukishima sich einfach auf sein ,,Bett“ setzte und sein Katana säuberte, wäre Oikawa am liebsten gleich wieder losgestürmt, um seinen Freund zu suchen. »Hat er dir gesagt wo er hin will?«, fragte Oikawa leicht panisch, während er das ganze Zimmer nach einer Notiz seines Freundes absuchte. Doch er fand nichts und auch Akashi lieferte ihm keine brauchbaren Informationen. »Bokuto hat heute Morgen kurz mit ihm gesprochen, aber mehr habe ich aus ihm auch nicht herausbekommen, weil er gleich wieder eingeschlafen ist! Aber weit kann Suga nicht gekommen sein. Er ist sehr viel später als ihr losgegangen!« Doch das beruhigte Oikawa überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil; es wühlte ihn bloß noch mehr auf. »Und Bokuto hat ihn gehen lassen? Warum? Ich dachte wir haben so eine Regel wie ,,ab mittags keine Versorgungstouren-Starts und keine Alleingänge“. Warum hat er ihn gehen lassen? Seid ihr jetzt beide irgendwie ein bisschen neben der Spur?« Doch statt einer Antwort, zischte Akashi bloß, dass er gefälligst leiser sein sollte. Bokuto schlief schließlich in diesem Raum. Und Tsukishima prustete in seiner Ecke leise vor sich hin. Warum auch immer es ihn amüsierte, dass zwei Leute aus ihrer Gruppe spurlos verschwunden waren – einer oder beide vielleicht tot! »Und was gibt es da jetzt schon wieder zu lachen?«, fragte Oikawa den Brillenträger gereizt. Langsam kam er sich ein wenig verarscht vor, als hätte noch keiner außer ihm realisiert, was sich in dieser Welt zutrug. Sie konnten es nicht immer belächeln, wenn irgendwer etwas Waghalsiges unternahm. Immerhin spielten sie kein Computerspiel, bei dem sie jederzeit wiederbelebt werden konnten. Tot ist tot – und im Moment war es leichter zu sterben, als sich eine Grippe einzufangen! »Ich denke dein Schatz wird auf der Suche nach Kuroo sein – nur mit einer höheren Erfolgschance, weil er immerhin weiß in welche Richtung er laufen muss!« Oikawa knurrte wegen des Brillenträgers spöttischem Tonfall. »Er hat wegen deinem Freund die ganze Nacht auf den Beinen verbracht, immer mit einem Fuß im Grab! Du kannst froh sein das er überhaupt wieder losgegangen ist! Wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, dann hätte ich mein Leben bestimmt nicht für seine Gedankenlosigkeit riskiert! Dein Freund denkt auch das alles wäre ein Spiel!« Nun stand Tsukishima auf, schob sich die Brille auf der Nase zu recht. »Wenigstens lebt mein Freund noch und wurde nicht von der Person, die er am meisten liebt einfach zurückgelassen! Ich muss mich nicht mit dem Zweitbesten vergnügen um meinen Samenstau los zu werden!« Oikawa wich einen Schritt zurück und selbst Akashi hielt erschrocken die Luft an. Das wirklich ein Schlag unter die Gürtellinie. Doch Oikawa ließ sich davon nicht einschüchtern. Er straffte die Schultern, bog den Rücken gerade und atmete hörbar aus. »Die Betonung liegt bei diesem Idioten auf „noch“! Und außerdem geht dich die Beziehung von Sugawara und mir absolut überhaupt nichts an!« Mit diesen Worten schnappte sich Oikawa seinen Baseballschläger und verschwand aus dem Raum. Er brauchte Ruhe und Abstand, musste herunterkommen. Am liebsten wäre er auf die Suche nach Sugawara gegangen, aber das wäre vermutlich im selben Dilemma geendet wie seine Suche nach Kuroo. Denn jetzt wusste er auch nicht in welche Richtung er laufen sollte. Weil er aber auch nicht wieder zurück in das muffige Büro wollte, entschied er sich stattdessen den Zugang zum Dach zu suchen und dort ein paar Minuten zu verweilen. »Du bist wirklich ein Arschloch! Was sollte das gerade? Denkst du er hat Iwaizumi freiwillig zurückgelassen? Denkst du ihm hat das Spaß gemacht? Denkst du er wollte das?«, empörte sich Akashi erbost. »Stell dir vor du wärst in seiner Lage gewesen! Stell dir vor Kuroo hätte sich das Bein gebrochen und könnte nicht mehr laufen und du wärst alleine mit ihm unterwegs. Kuroo hätte von dir verlangt, ihn zurückzulassen, sonst wärt ihr früher oder später beide gestorben! Oikawa hat eine Entscheidung getroffen, die sich nicht mehr länger hätte herauszögern lassen. Oder denkst du sie wären weit gekommen? Oikawa ist so schon nicht der beste Kämpfer!« Nach Akashis Ansprache herrschte Stille im Raum. Selbst Tsukishima der eigentlich immer einen Spruch auf den Lippen hatte, blieb stumm. Akashi seufzte, strich Bokuto eine Strähne aus dem Gesicht. »Ich würde ihn auch zurücklassen, wenn er das von mir verlangen würde! Nicht, weil ich ihn nicht liebe oder nicht daran glaube das er wieder gesund werden kann, sondern weil er selbst nicht daran glaubt. Und man soll jemand nicht die Entscheidung abnehmen ob er leben oder sterben möchte – auch nicht in dieser neuen Welt!« Der Brillenträger gab sich mit einem tiefen Seufzen geschlagen und stand von seinem „Bett“ auf. Er griff nach seinem Rucksack und seinem Katana. »Wo willst du hin?«, fragte Akashi skeptisch. »Ich geh Sugawara suchen – wir wollen ja nicht, dass er nie wieder mit uns spricht!« »Soll ich mitkommen?« »Nein, du mit deiner Axt würdest mich nur aufhalten, aber Bokutos Katana könntest du mir ausborgen, mit zweien bin ich beweglicher! Außerdem musst du auf die beiden Vögel aufpassen, nicht das hier noch was passiert!«, entgegnete Tsukishima versöhnlich. »Na gut, wenn du das so möchtest! Nimm sein Katana ruhig mit, er braucht es ja im Moment sowieso nicht!«, antwortete Akashi und strich seinem Freund eine weitere Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir sehen uns – Kuroo und Sugawara auch!« Mit diesen Worten zog er die schwere Tür ins Schloss und verschwand schnellen Schrittes aus dem Gebäude. Er wollte immerhin keine Zeit verlieren. ɸ »Ich hasse dich, habe ich dir das eigentlich schon mal gesagt?« »Spar dir den Atem und renn!« Irgendwie hatten es Kuroo und Sugawara geschafft durch einen Lagerraum aus der Cafeteria zu gelangen, waren danach allerdings in einem Schulflur gelandet, wo sie keine Glasscheiben mehr vor den herumlaufenden Schlürfern schützten. Sie hatten es in Windeseile geschafft, sich wenigstens bis zur Treppe vorzukämpfen – den Weg zum Haupteingang versperrten die wandelnden Leichen ebenfalls. Darüber nachgedacht wie sie dann aus der ersten Etage entkommen sollten, hatten sie aber nicht. Doch dafür war es jetzt eh zu spät. In der ersten Etage verschanzten sie sich hinter der ersten Tür die sie fanden, sperrten diese zu und sahen sich dann panisch an. »Wie sollen wir hier rauskommen? Wir hätten unten bleiben sollen, versuchen sollen sie abzuhängen, dann hätten wir vielleicht noch eine Chance gehabt aber so … Wir sitzen in der Falle!«, sagte Sugawara panisch und überlegte fieberhaft wie sie die Schlürfer von der Tür wegbekamen. Kuroo schien die lebensrettende Idee vor ihm zu haben. »Wir springen?« »Wohin?«, fragte Sugawara spöttisch. Er konnte es sich denken, wenn er die Panoramafenster des Klassenzimmers ansah. Ihm wurde auch sofort klar warum Kuroo diese Idee kam. Diese Seite des Gebäudes war zum Wald ausgerichtet und die meisten Schlürfer versammelten sich mit Sicherheit noch immer vor der Cafeteria. Sie würden relativ weich im Moos landen und befanden sich maximal dreieinhalb Meter über dem Boden. Das ganze sollte also theoretisch machbar sein ohne sich schlimmere Verletzungen zuzuziehen. Praktisch gesehen würde Sugawara niemals aus einem Fenster springen. So lebensmüde war er dann doch nicht! »Ohne Anlauf – runter und dann weg!« Sugawara schüttelte heftig den Kopf. »Oh nein! Das kannst du gleich vergessen! Ich springe bestimmt nicht in den sicheren Tod!«, antwortete dieser panisch. Doch Kuroo ließ sich nicht umstimmen. »Das einzige was hier todbringend ist, lauert draußen vor der Tür! Also entweder springen wir jetzt und überleben das ganze oder brechen uns das Genick oder wir lassen uns fressen? Was ist dir lieber? Leben, schneller Tod oder langsamer, qualvoller?« Beim reden schraubte Kuroo die Augäpfel immer weiter aus den Höhlen. Am liebsten würde Sugawara ihm sagen, dass sie ohne ihn gar nicht in dieser Situation wären, aber das war jetzt definitiv nicht der richtige Zeitpunkt. Draußen drängten sich immer mehr Schlürfer gegen die Tür und die Scharniere begannen bereits gefährlich zu quietschen. Sugawara gab ihnen noch maximal drei Minuten, dann würden sie unter der Last eh nachgeben. Bis dahin musste er eine Entscheidung gefällt haben. Vorsichtig warf er einen Blick aus dem Fenster. Es sah tatsächlich nicht so hoch aus, wie er erst befürchtet hatte. Also nickte er vorsichtig. Kuroo nickte ebenfalls, nahm sich einen der herumstehenden Stühle und schlug direkt beim ersten Versuch die Scheibe erfolgreich ein. Die Scherben verteilten sich in alle Richtungen, sahen aus wie kleine funkelnde Regentropfen. Spitze, verletzende Regentropfen. Sugawara wollte sich lieber nicht ausmalen wie viele Scherben er sich nachher mit der Pinzette aus der Haut ziehen durfte. Alleine beim Gedanken daran wurde ihm jetzt schon schlecht. Aber er entschied, dass all die Schmerzen es wert waren, wenn er dafür nur weiterleben konnte. »Auf drei!«, sagte Kuroo in diesem Moment und griff nach seiner Hand. Zusammen traten sie an den Fensterrahmen heran und waren einen letzten Blick in das Meer aus Scherben, ehe Kuroo auch schon begann zu zählen. »Drei.« Sugawara atmete einmal tief ein und aus. »Zwei.« Er klammerte sich fester an Kuroos Hand. »Eins.« Sugawara schickte ein Stoßgebet gen Himmel. »Jetzt!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)