Der letzte Schnee von DragomirPrincess ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der letzte Schnee Es war später Nachmittag und die Sonne versank bereits am Himmel, als sich aus der schweren Holztür der Bedienstetenquartiere ein schwarzer Kopf hervorschob und sich umsah. Der Hof war verlassen, alle schienen im Moment bereits beim Abendessen zu sein oder dieses vorzubereiten. Eilig schob sich der Junge aus der Tür und lief den Weg hinab in Richtung des in Schnee gehüllten Gartens. Er trug nur eine dünne braune Tunika über dem weißen Leinenhemd und der aschfarbenen Hose, aber er hatte sich in eine Wolldecke gehüllt, um die Kälte abzublocken. Im Schloss war es immer warm und die Angestellten, die nur drinnen arbeiteten, hatten zumeist gar keine Fellkleidung. So auch der Junge, der jetzt gerade die Stufen hinablief, achtsam, um auf dem weißen Stein nicht auszurutschen, der eigentlich zu glatt war, um unter der dünnen Schneedecke ungefährlich verborgen zu liegen. Er mochte um die sieben Jahre alt sein, noch bei weitem zu jung um ihn einen Mann zu nennen. Eilig lief er über die von Büschen gesäumten Wege, auf denen sich trotz der Bemühungen der Angestellten fast immer Schnee sammelte. Etwas klapperte metallern, als der Junge kurz ins Taumeln geriet, weil er eine Kurve zu schnell nahm, doch unter der Decke war die Ursache nicht auszumachen. Er erreichte die Bäume, noch immer unentdeckt, und langsam kam das Lächeln auf seinen Wangen durch, die noch ein bisschen von den kindlichen Rundungen geprägt waren. Er schob sich zwischen den Ästen hindurch, auch wenn der Schnee die Decke durchweichte, als er von den Ästen fiel und an der rauen Wolle hängen blieb. Es hätte dem Jungen kaum gleichgültiger sein können. Dann erreichte er das Ende des Wäldchens und das Licht begann sich geradezu in dem warmen Braun seiner Augen zu spiegeln, als er die weitläufige Eisfläche vor sich erblickte. Er warf die Decke achtlos in den Schnee und so wurde sichtbar, was er bis eben noch unter ihr verborgen gehalten hatte: Ein Paar Kufen, auf Leder geschlagen und mit Lederbändern versehen, mit denen man sie unter die Schuhe binden konnte. Innerhalb von wenigen Sekunden hatte er eben dies getan und war noch schneller auf dem vereisten See, begeistert und vollkommen unberührt von der Kälte, während er sich mühelos auf den Kufen über das Eis schob und seine Muskeln aufwärmte. Es war nicht zu übersehen, dass er damit Erfahrung hatte, denn er war geschickt und schien kein Problem mit der Glätte unter sich zu haben. Der Junge war im Palast aufgewachsen, der Sohn eines armen Ehepaars vom Land, die ihn und seine große Schwester für Arbeit ins Schloss geschickt hatten, als eine Hungersnot über das Land zog. Im Schloss hatte er noch als Kind eine Freundin gefunden, die ihm vor einigen Jahren diese Schlittschuhe geschenkt hatte; ein altes Paar von ihr, das sie nicht mehr brauchte. Sie war die Tochter eines Diplomaten gewesen, aber hatte ihm beigebracht, wie man auf ihnen fuhr; etwas, was in diesem Land eigentlich ein Vorrecht der Adligen und Reichen war. Es sollte ein Zeichen für die Beziehung ihres Landes zum Eis und seiner Kraft sein, so wie die Magie angeblich ein Teil der königlichen Familie war. Ein Bauernjunge wie er jedenfalls, sollte so etwas niemals erlernt haben, weshalb er es auch heimlich während der Essenszeit machte. Für den Jungen war es ein Traum, so über das Eis zu gleiten, wie er es bei den Feierlichkeiten aus der Ferne beobachten konnte, wenn Priester und Adlige die wohl eingeübten Choreografien vorführten, beinahe über das Eis tanzten. Genau diese Bewegungen ahmte der Junge nun nach, geschickt und beweglich, unwissend, dass ihn jemand dabei beobachtete. „Woher kannst du das?“, wollte dann plötzlich eine Stimme von den Bäumen her wissen und beinahe sofort kam der Junge ins Taumeln, ruderte mit den Armen und stürzte aufs Eis. Erschrocken blickte er auf, krabbelte eilig über das Eis zurück und suchte mit dem Blick zwischen den Bäumen nach dem Sprecher. „Alles gut bei dir?“ Erst als er sich bewegte, entdeckte der Junge auf dem Eis denjenigen, der ihn entdeckt hatte. Weiß wie Schnee war er beinahe mit dem Schnee verschmolzen und erst vor dem Schatten eines Baumes zu erkennen: Viktor Nikiforov, der junge Sohn des Königspaares.Er war hochgewachsen, mit feinen, schmalen Gesichtszügen. Er war in weiße Kleider gehüllt, die mit weißem Fell besetzt waren, das lange weiße Haar in einem Zopf hochgebunden und selbst seine Haut schien beinahe weiß, zumindest im ersten Moment. Anders war es mit seinen Augen, die sich hellblau wie Edelsteine von der hellen Haut abhoben. Er war keine vier Jahre älter als der dunkelhaarige Junge, doch in diesem Moment fühlte dieser sich winzig unter dem Blick des Kronprinzen, der ihn dabei entdeckt hatte, wie er gegen jedes Recht hier eisgelaufen war. Unter seinen Fingern schmolz das Eis, gefror wieder, brannte sich in die Haut ein, doch er wagte es nicht aufzustehen oder auch nur den Blick zu heben. Er war nicht dumm, er wusste, dass er kein Recht hatte, dem Prinzen gegenüber zu treten, noch weniger, hier auf dem Eis zu sein, während er eigentlich noch hätte arbeiten müssen. „Bist du verletzt?“ Eine Hand, gehüllt in einen dünnen, weißen Handschuh, schob sich in sein Blickfeld, bot sich ihm an, um ihm aufzuhelfen, und erschrocken blickte der Junge doch auf, direkt in die Augen des Prinzen und in diesem Moment mochte Yuuri Katsukis Herz für immer verloren gegangen sein. „Was fällt dir ein?!“ Wutschnaubend hatte Lilia Baranovskaya, die für die Organisation der Bediensteten zuständig war, die Hand im dunklen Haar vergraben. „Was ist das?!“ Aggressiv klirrten die Kufen gegeneinader. „Schlittschuhe“, wimmerte Yuuri als Antwort, auch wenn die Frage vermutlich rhetorisch gewesen war. Er blinzelte die Tränen aus seinen Augen weg, scheiterte aber eher daran, als sie noch einmal an seinen Haaren zog. „Woher hast du die?!“ Der Junge, wohl um die vierzehn Jahre alt, biss sich auf die Lippe, gab keine Antwort. „Hast du sie gestohlen?“ „Nein!“, rief er sofort, musste diese Anklage einfach zurückweisen, wurde jedoch erneut mit einem Ziehen an den Haaren bestraft. „Sie waren ein Geschenk!“ „Lüg nicht!“ Sie stieß ihn zu Boden und so unerwartet, wie dies war, schlug der Junge auf dem Boden auf. Direkt vor einem Paar Schuhe, die seinem Ankläger gehörten, der die Schlittschuhe gefunden hatte, Lilias eigener Sohn, der eher durch Zufall den selben Namen trug wie der Angestellte am Boden. Jedoch war Yuri, im Gegensatz zu Yuuri, von adligem Blut, denn sein Vater war als Berater des Königs hochangesehen am Hof. Dennoch hatte Yuri es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht, Yuuri niederzumachen, auch wenn dieser nicht wusste, was er eigentlich getan hatte. „Weißt du, wem sie gehören?!“, fragte Frau Baranovskaya noch einmal harsch, während Yuuri sich aufzusetzen versuchte und dabei das süffisante Grinsen auf dem Gesicht des blonden Jungen sah. Er war wohl noch keine zehn Jahre alt, ein ganzes Stück jünger als Yuuri also. „Ja!“ Natürlich wusste er das. Wie hätte er vergessen können, wer sie ihm gegeben hatte?! „Yuuri?“, suchend sprach der Prinz zwischen den Bäumen den Namen seines Freundes aus, mit dem er hier bei dem kleineren, weniger leicht zu findenden See verabredet war. „Hier“, rief dieser von einem Stein herüber, wo er auf einer Decke saß, noch immer mit kaum mehr bekleidet als Hose und Hemd. „Frierst du nicht?“, fragte Viktor besorgt und eilte zum Stein hinüber, wo er ohne jegliche Hemmungen die Hände auf Yuuris Schultern legte und schon halb so aussah, als würde er gleich seinen eigenen Mantel um die Schultern des Jüngeren legen. „Nein, ich bin es gewohnt und jetzt bist du ja da, also bewegen wir uns gleich, richtig?“ Er lächelte, immer noch ein wenig unsicher in der Gegenwart des zukünftigen Königs, aber er verspürte zumindest nicht mehr das Bedürfnis, sich jedes Mal auf den Boden zu werfen. Kurz schien Viktor etwas in Yuuris Augen zu suchen, bevor er nickte und seine Schlittschuhe hervorholte; ein deutlich besser gearbeitetes Paar als das, das Yuuri von Yuuko bekommen hatte und das dem Angestellten langsam auch ein wenig zu klein wurde, weil seine Füße bald länger als die für Kinder gemachten Kufen waren. Dennoch griff er sich jetzt genau dieses Paar und hielt es unter seinen Schuhen fest, um es dort mit den Lederriemen zu fixieren. „Hattest du einen guten Tag bisher, Yuuri?“, wollte Viktor wissen, während auch er die Kufen an seinen Füßen befestigte. Zögerlich nickte Yuuri, erinnerte sich dann aber, dass der Prinz ihn so gar nicht sehen konnte und legte sich eine gesprochene Antwort zurecht. „Ja, eigentlich ziemlich wie immer. Habe in der Küche ausgeholfen.“ Er wechselte den Fuß und fügte eilig hinzu. „Und…d…deiner?“ Es fühlte sich falsch an, ihn zu duzen, aber Viktor bestand darauf, also versuchte Yuuri das zu beachten. „Endlose Sitzungen über langweilige Dinge“, seufzte dieser und machte dann einige Schritte auf Eis, wo er dann jedoch auf Yuuri wartete. Seine Kufen glänzten silbern auf dem Eis, glitzernd wie Schnee. „Worum ging es heute?“, wollte Yuuri wissen, während auch er auf das Eis trat, doch ungelenker als früher einmal. Es fiel Viktor auf, dessen Blick über den Jungen glitten. „Du bist inzwischen einfach zu groß für Kinder-Schlittschuhe…“, meinte er nachdenklich und griff Yuuris Hand, um ihn ein wenig in die Mitte des Sees zu ziehen, damit sie mehr Platz hatten. Seine Haut war immer erstaunlich warm, wenn man bedachte, dass er mit einer einfachen Handbewegung einen See einfrieren und Schnee vom Himmel locken konnte. „Ich schätze“, antwortete der Bedienstete pflichtgemäß, aber wollte das Thema eindeutig vermeiden. Sie fuhren einige Bahnen, beinahe synchron und noch immer Hand in Hand, bevor sie zu schwierigeren Bewegungen übergingen und umeinander herum tanzten wie zwei Schneeflocken im Wind. Es vergingen Minuten, bevor Viktor plötzlich stehen blieb und Yuuri beinahe in ihn hineinfuhr und sie beide hinab aufs Eis riss, wo sie lachend zum Liegen kamen, ungelenk ineinander verknotet. „Ich schenke dir einfach eins meiner Paare. Ich habe ohnehin viel zu viele!“, setzte Viktor seine Aussage fort, als sie sich beide aufgesetzt hatten und sein Lächeln hatte solch eine entwaffnende Ehrlichkeit, dass Yuuri nicht hätte ablehnen können, selbst wenn er gewollt hätte. Seine Augen weiteten sich dennoch bei dieser Aussicht auf ein solch wertvolles Geschenk. Bei ihrem nächsten Treffen hatte er Yuuri dieses Paar mitgebracht, ebenso silbern wie das Paar, das der Prinz immer trug, mit wildledernen Bändern, die nicht im Geringsten brüchig waren, ganz anders als bei Yuuris altem Paar. Und genau dieses Paar hielt Frau Baranovskaya jetzt anklagend vor sein Gesicht. „Wir haben dich und deine Schwester hier im Schloss aufgenommen und wie verdankst du es uns, du elender kleiner Dieb?!“ „Sie waren ein Geschenk!“, rief er verzweifelt, auch wenn ihm das wohl niemand glauben würde. Nicht ohne Grund hatten sie sich all die Zeit heimlich getroffen, weil jemand wie Yuuri nicht mit jemandem wie Viktor befreundet sein konnte. Tatsächlich stoppte die aufbrausende Frau für einen Moment. Dann wurde ihr Blick nur noch finsterer als zuvor. „Ein dreister Lügner bist du also auch noch?!“ Wahrscheinlich hätte er es besser wissen sollen, als sich zu verteidigen, aber sein Stolz war unglaublich verletzt und die Scham, vor dieser Frau und ihrem Sohn am Boden zu liegen, wenn er doch nichts falsch gemacht hatte, brachte ihn dazu, dumme Dinge zu tun. „Bin ich nicht! Das ist die Wahrheit!“ Sie packte ihn wieder, ihre Hand wie eine Schraubzwinge an seinen Wangenknochen, als sie ihn daran emporhob. „Kommst du jetzt in deine trotzige Phase?!“ Ihre Augen verengten sich. „Yuri, hol die Schlange her.“ Wie ein eisiger Schauer liefen diese Worte über Yuuris Körper und als er entsetzt die Augen weitete, meinte er auch im Blick des Sohnes einen kurzen Schockmoment zu erblicken, bevor er davonlief. Die Schlange war etwas, was Yuuri nur aus Erzählungen kannte: Eine einschwänzige Peitsche mit biegsamen Griff, mit der Straftaten im Personal gnadenlos bestraft wurden.Plötzlich bereute Yuuri jedes Wort, doch sein Hals war wie zugeschnürt. „Zieh dein Hemd aus und stell dich an die Wand“, forderte sie kalt und für einen Moment fürchtete der Junge, dass seine Beine ihn nicht tragen würden, als er sie hilflos anblickte und ohne Worte um Vergebung bat, jedoch nur auf Eis traf. „Wird’s bald oder muss ich nachhelfen?!“ Zittrig hob der Junge die Finger an sein Hemd und zog es und seine Tunika über den Kopf. Milchig weiße Haut wurde sichtbar und er klammerte sich an das Bündel Stoff in seiner Hand, während sie ihn zur Wand schob. „Ich habe wirklich nichts getan“, flüsterte er leise, spürte die Angst in seiner Stimme und in seinen Augen brennen, weil er wusste, dass er nicht mit Gnade zurechnen hatte und hörte hinter sich laufende Schritte, die langsam, beinahe zögerlich zum Halten kamen und wohl zu Yuri gehören mussten, der aber nichts sagte und zu Yuuris Entsetzen nicht einmal weggeschickt wurde. Es ging ihm nicht einmal um die Scham, die ihn ergriff, dass jemand dabei zuschauen würde, sondern darum, dass der Junge doch noch keine zehn Jahre alt sein konnte und so etwas einfach nicht sehen sollte! Er hatte gerade die Hände flach an die Wand gelegt, um sich abfangen zu können, aber jetzt wollte er sich umdrehen und sie darauf ansprechen, als der glühend heiße Schmerz über seine Schulterblätter zuckte und sich die Peitsche an ihrem offenen Ende um seinen Körper schlang und auf seinem Bauch aufschlug. Ein Aufschrei entkam Yuuris Lippen, während sich alles an ihm krümmte und er für einen kurzen Moment in sich zusammensackte, während seine Augen überliefen und dem Schrei ein Schluchzen folgte. Seine Beine zitterten unter seinem Körper, doch er klammerte sich an der Wand fest, um stehen zu bleiben. Seiner Stimme vertraute er nicht mehr und so versuchte er nur, sich auf den nächsten Aufschlag vorzubereiten, selbst wenn er kaum ertragen konnte, dass ein Kind dabei zusah. Jegliche mentale Vorbereitung half nicht, sich auf das Gefühl vorzubereiten, das der nächste Schlag in ihm auslöste. Tränen rannen über seine Wangen, aber er schrie nicht wieder, zwang sich, auf den Beinen zu bleiben und einfach durchzuhalten, auch wenn er nicht wusste, wie viele Schläge noch kommen würden, für ein Verbrechen, das keines war. Er konnte seinen Rücken nicht sehen und wahrscheinlich war es gut so, doch er wusste, wie andere nach einer solchen Bestrafung ausgesehen hatten und spürte die Hitze deutlich, die sich wie Streifen über seinen Rücken gelegt hatten und sich von seiner rechten Seite über seinen Bauch zogen. Beim fünften Schlag begannen seine Muskeln unkontrolliert zu zucken und er sank weinend zu Boden, als er sich nicht mehr halten konnte, wollte sich nur zusammenrollen und nie wieder aufstehen und ahnte doch bereits, dass es noch nicht vorbei war. „Steh‘ wieder auf!“, forderte Frau Baranovskaya, auch wenn aus ihrer Stimme keine Freude klang, sondern nur Anspannung. „Ich kann nicht“, wollte der junge Mann sagen, doch seine Stimme versagte und dann waren plötzlich Schritte dort, während sich vor Schmerz noch alles drehte. „Was geht hier vor sich?“ Yuuri erkannte die Stimme sofort und sein Herz sank ihm in die Hose, beschämt, dass Viktor das sehen würde, weil er es nicht geschafft hatte, gut auf ihr Geheimnis achtzugeben. Er griff nach seiner Kleidung auf dem Boden, zog sie zu sich, auch wenn jede Bewegung schmerzte und seine Ohren rauschten. Frau Baranovskaya verstand er kaum, doch die Stimme des Prinzen war wie ein Eisbrecher. „Ist das Yuuri?“ – „Ja, natürlich sind das meine.“ – „Sie waren ein Geschenk!“ – „Verschwindet!“ Yuuri hörte das Klirren von Kufen hinter sich, während er nur seinen Körper vor seinem Blick verstecken wollte, bevor der Prinz ihn erreichte. Dann waren seine Hände auf den nackten Schultern, warm und beruhigend, und die Kälte legte sich schützend auf die Striemen auf seinem Rücken, bis der Schmerz verschwand und auch seine Muskeln sich beruhigten und zur Ruhe kamen. Die Tränen rannen dennoch ungehemmt, als der Prinz, inzwischen eindeutig ein Mann, ihn vorsichtig umdrehte und die Hände an seine Wangen legte. „Schau mich an, Yuuri“, bat er und auf seiner Stirn lagen tiefe Falten, Trauer in seinen Augen. „Es tut mir so leid. Das ist alles meine Schuld.“ Der Angestellte schüttelte den Kopf gegen den Griff. „Ich habe nicht aufgepasst“, flüsterte er leise zurück. „Yuri hätte sie überhaupt nicht finden dürfen, wenn ich aufgepasst hätte.“ Lange, elegante Finger wischten die Tränen von seinen Wangen ab. „Du hast keine Schuld. Wenn ich einfach dazu gestanden hätte, dass wir Freunde sind und ich mit dir eislaufen will, statt an diesen blöden Traditionen festzuhalten, wäre das nicht passiert.“ „Du weißt, dass das nicht einfach so geht. Es sind Traditionen und wahrscheinlich hätten sie dann behauptet, dass ich dich manipuliere.“ Er lehnte die Hand gegen Viktors Handfläche und schloss für einen Moment die Augen, dankbar für den Trost und die Rettung und seine Freundschaft und alles, was den Prinzen ausmachte. „Komm, wir reinigen die Wunden, okay?“, flüsterte er betrübt und legte vorsichtig einen Arm um den jungen Mann, der ebenfalls langsam begann, Kindliches abzulegen und zu einem Mann heranzuwachsen. Der Prinz war sorgsam darauf bedacht, ihm keine Schmerzen zuzufügen, während er ihn auf die Füße zog und auch seine Kleider mitnahm. Er hatte ihn mit sich in sein privates Bad genommen, damals wie heute, hatte ihn in das heiße Wasser gleiten lassen, das aus einem Kessel über einem Feuer stammte, und ganz vorsichtig die Schwielen abgewaschen. Jetzt war Viktor, der König, es, der in der Wanne saß und Yuuri, der neben ihm kniete. „Du siehst müde aus“, sagte der junge Mann, den Viktor kurz nach jenem Zwischenfall zu seinem persönlichen Angestellten gemacht hatte, und den er dadurch jeden Tag sehen konnte. Niemand hatte es hinterfragt und Yuri und seine Mutter hatten geschwiegen, so wie Viktor über ihr Handeln kein Wort verloren hatte. Inzwischen war auch Yuuri über seine Pubertät hinweg und hatte die Aufgabe, Viktor bei allem zu helfen, was dieser wollte, und so konnten sie gemeinsam eislaufen, wann immer sie wollten, auch wenn es seit Viktors Krönung immer seltener geworden war, weil er viel mehr arbeiten musste. Dennoch waren die beiden ständig zusammen und Yuuri fielen die kleinsten Veränderungen an Mann auf, den er nun schon so lange seinen Freund nennen konnte, so wie die dunklen Ringe unter seinen Augen. Und hatte nicht auch seine Haut an Farbe verloren? „Mhmh“, bekam er als leise Antwort. „In letzter Zeit kostet mich irgendwie alles sehr viel Kraft. Ich weiß auch nicht, wieso…“ Das Wasser war klar und Yuuri senkte einen Lappen hinein, mit dem er dann über Viktors Schultern und seine Arme fuhr. „Brauchst du eine Massage?“ Yuuri wusste, was die Leute sagten, warum der König einen so jungen Bediensteten gefordert hatte, der oft erst spät in der Nacht aus seinem Zimmer kam, aber er ließ es nicht zu nahe an sich heran, wusste er doch besser, dass er so viel mehr war als Viktors Bettgefährte. Er war sein Freund, sein Vertrauter, sein Trost, wenn es ihm schlecht ging und seine Freude, wenn er glücklich war. Er bedeutete Viktor mindestens genauso viel wie der König dem Diener bedeutete. „Das wäre wundervoll, Yuuri.“ Der Silberhaarige seufzte genießend und Yuuri lächelte. „Aber erst dein Haar.“ Mit leichtem Druck schob er Viktor ein wenig weiter nach vorn im warmen Wasser, dann füllte er eine Schale und goss sie langsam über die endlosen Strähnen silbernen Haars, bis es nass war und er mit Ölen von Tannen und Pflanzen aus fremden Ländern Schmutz und Stress aus ihnen waschen konnte, wortlos, aber voller zärtlicher Zuneigung zu dem jungen König. „Manchmal überlege ich, ob ich sie abschneiden sollte“, erzählte er ihm kurze Zeit später, während Yuuri sein Haar abtrocknete, inzwischen unberührt von der Nacktheit, die ihn einst noch rot hatte anlaufen lassen. Der König hielt eine Strähne in der Hand und musterte sie nachdenklich. „Wieso das?“, wollte Yuuri wissen, als er nach der Bürste griff und nicht umher konnte, den Blick über Viktor gleiten zulassen. Er wirkte dünner als noch vor einigen Wochen. Vielleicht sollte er mehr essen? „Ich weiß nicht, ob es noch zu mir passt. Ich bin kein Kind mehr. Männer tragen ihre Haare nicht lang… Du trägst deine Haare kurz seit ich denken kann…“ „Ich arbeite auch seit ich denken kann mit den Händen.“ Es sollte nicht wie eine Anklage klingen, aber das bemerkte er erst zu spät. „Ich meine, ich hätte mich mit langen Haare irgendwo verfangen können und in die Gefahr kommst du wohl eher nicht…“ Es klang nicht wirklich besser und so biss er sich auf die Zunge, während er begann Viktors Haar zu bürsten, vorsichtig, andächtig. „Und ich glaube auch nicht, dass es mir so gut stehen würde wie dir…“ Es war bei dieser Arbeit, dass er bemerkte, wie viele Haare sich in der Bürste verfingen und sich einfach ablösten. Wie ein Kloß legte sich der Anblick in seinen Hals, während er sie aus der Bürste zog, um sie vor dem Herrscher zu verbergen. „Vielleicht lasse ich sie dann lang…“, meinte dieser leise und strich immer wieder an einer einzelnen Strähne auf und ab, die Augen geschlossen und scheinbar tief in Gedanken. Yuuri schwieg ebenfalls, kämmte nur ganz vorsichtig das Haar, um so wenig Haare wie möglich auszureißen, die sich nicht ohnehin schon gelöst hatten. Umso länger er ihn ansah, umso weniger gesund wirkte er. Sorge schloss sich um Yuuris Herz wie Eis, aber anders als das, was Viktor hervorbringen konnte, war dieses nicht wohltuend, sondern bedrängend und gefährlich. War der König krank? Er war der einzige Sohn des verstorbenen Königpaars und das Volk liebte ihn, auch wenn in den letzten Jahren nicht alles leicht war, weil das Wetter sich urplötzlich veränderte und das Eis zu schmelzen begann, und er selbst keine Frau und keine Kinder hatte. Als die langen Haare gekämmt waren, band der Bedienstete sie in einem lockeren Zopf zusammen und legte ihn über Viktors Schulter nach vorne, bevor seine Hände auf die nackten Schultern fuhren. „Du bist ganz kalt“, flüsterte er und ein Zucken ging durch den Körper des Königs als hätte er beinahe schon im Sitzen geschlafen. Die grauen Ringe unter seinen Augen wurden umso besser sichtbar, als er jetzt zu seinem Freund aufblickte und lächelte. „Wirst du heute Nacht bei mir liegen?“, fragte er dann vollkommen unvermittelt und für einen Moment meinte Yuuri eine tiefe Traurigkeit in seinem Blick zu sehen. Seine Stimme fühlte sich belegt an, als er antwortete: „Wenn du mich darum bittest, wie könnte ich es ablehnen, mein König?“ Mit der Reaktion, die folgte, hatte er jedoch nicht gerechnet, denn Viktor senkte den Blick, stand auf und entzog sich dem Blick, um sich scheinbar sein Nachthemd zu greifen. „Dann lass es lieber sein. Ich entlasse dich.“ Yuuris Augen weiteten sich bei dem plötzlichen Wechsel in Viktors Verhalten, mit dem er so überhaupt nicht gerechnet hatte, auch wenn er auch als Prinz bereits für seine Meinungsänderungen bekannt  gewesen war. „Was…?“, fragte er überrascht. „Ich entlasse dich. Geh. Ich bin müde.“ Er drehte sich nicht einmal mehr um, während er den weißen Stoff über seine Schultern legte und seinen Körper gleiten ließ. Yuuri wusste, wie weich er war, gerade wünschte er sich aber nur, dass der König diese Barriere nicht zwischen ihnen aufgestellt hatte, denn er wusste nicht, wie er den Abstand nun noch überwinden sollte. „Viktor…“, setzte er also leise und zögerlich an, legte die Bürste ab und machte einige Schritte auf ihn zu. „Ist alles-“ „Geh!“ Yuuri zuckte heftig zusammen, nicht weil Viktor plötzlich so laut geworden war, sondern weil er sich ganz sicher war, dass seine Stimme am Ende gebrochen war. Hilflos weiteten sich seine Augen, weil er seinen Freund, ganz egal wie emotional er war, noch nie hatte weinen sehen, doch er machte keine Anstalten sich auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu bewegen. Langsam drehte sich Viktor zu ihm um, seine Augen glänzten unter den überquellenden Tränen wie schmelzender Schnee und es brach Yuuris Herz, als der König sie wegzuwischen versuchte. „Ich habe gesagt, dass du gehen sollst.“ „Und ich habe mich entschieden, dass ich das nicht tun werde“, antwortete Yuuri dickköpfiger als er selbst je erwartet hätte. „Nicht bevor du mir nicht gesagt hast, was los ist.“ Mit festen Schritten kam er auf seinen Herrn zu und zog ein Taschentuch hervor, um die Tränen damit aufzufangen. „Was ist los?“, fragte er dann wieder sanfter. „Was ist heute passiert?“ Viktor schüttelte den Kopf, dickköpfig und scheinbar nicht bereit seine Sorgen zu teilen. Yuuri zog ihn neben sich auf das große Bett in der Mitte des Raums und griff nach seiner Hand. „Etwas hat sich verändert“, stellte Yuuri fest. „Ich bin nicht blind, Viktor. Du wirst seit Wochen Tag für Tag schwächer. Warst du beim Arzt?“ Es war eine andere Frage, auf die der König dann antwortete. „Hast du mein Bett immer nur geteilt, weil ich der Kronprinz war und du mich nicht abweisen wolltest?“ Er klang unglaublich verletzt und Yuuri verstand auch sofort, wieso dem so war. Wann hatte er ihn das glauben lassen?! Lange bevor es soweit gekommen war, hatte Yuuri Viktor mit allem vertraut, weil er eben Viktor war und sich nicht einfach nahm, was er wollte, wie andere Adlige es vielleicht taten. „Nein!“, antwortete er also sofort. „Nein, das wollte ich damit nicht sagen.“ Und Viktor hatte es auch zuvor nie so verstanden! „Natürlich nicht.“ „Warum dann?“, wollte er dann wissen und sein Griff an Yuuris Hand war beinahe zu fest. „Weil…“ Yuuri verzog leicht das Gesicht unter dem eisernen Griff, der sich wie kleine Messer in seine Haut zu bohren schien. „Au“, flüsterte er, bevor er hatte antworten können und beide blickten sie hinab auf ihre Hände, wo sich ohne jegliche Vorwarnung ein Eiskristall um Yuuris Hand gehüllt hatte. Entsetzt ließ Viktor seine Hand los und das Eis zersprang in tausend Teile. „Das wollte ich nicht!“, rief er sofort aus, ehrlich entsetzt. „Ich würde dir nie absichtlich weh tun. Es tut mir leid!“ Panik befiel ihn und Yuuri konnte sehen, wie er scheinbar die Hand, die er eben eingefroren hatte, berühren wollte, es aber nicht wagte und die eigene Hand zurückzog, eine Unsicherheit, die Yuuri im Bezug auf Viktors Magie noch nie zuvor gesehen hatte. „Du musst mir glauben-“ „Das weiß ich, Viktor.“ Er überwand die Distanz und griff nach der Hand des Königs, auch wenn er eigentlich überhaupt nichts verstand. „Ich habe bei dir gelegen, weil ich dir vertraue; weil ich weiß, dass du mir niemals wehtun würdest; weil du nie etwas von mir verlangt hast, was ich nicht bereit war zu geben; weil du mir Mut gemacht hast und mir Dinge gezeigt hast, von denen ich nie auch nur geträumt hätte.“ Er legte eine Hand an Viktors Wange – kalt. „Weil ich du mir alles bedeutest und ich nicht ertrage, wenn es dir schlecht geht.“ Einen Moment sahen sie sich einfach an, dann schob der König eine Hand in das dunkle Haar und zog ihn in einen Kuss, salzig von den Tränen, die er zuvor vergossen hatte, aber voller Zuneigung und Verlangen drückte er Yuuri in die Kissen und liebkoste seine Lippen als wäre es das letzte Mal, wo er ihn so berühren können. Atemlos trennten sie sich Minuten später wieder, brennend von Lust und dem Wunsch sich zu berühren und einander nahe zu sein, auch wenn dieser Schleier auf Viktors Blick geblieben war. Es war Yuuri, der die Initiative ergriff und den Monarchen mit einer Hand in die Kissen drückte und durch leicht gesenkte Wimpern zu ihm blickte, während er sein Hemd, ohnehin nass vom Bad zuvor, über seinen Kopf zog und zu Boden warf. „Lehn dich einfach zurück und lass mich machen“, versprach er mit rauchiger Stimme und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Das Nachthemd war in Sekunden hoch und die Unterwäsche beiseite geschoben, bevor sich der Jüngere der Beiden zwischen seine Beine schob und die Lippen um die heiße Erregung schloss, die er beim Küssen bereits hatte ertasten können. Ein kehliges Keuchen entkam dem König, als sein Kopf nach hinten fiel und er sein Becken von der Matratze hob, den Lippen seines Geliebten entgegen. Yuuri mochte von Anfang an ein erschreckendes Talent dafür gehabt haben, doch jetzt gerade waren beide mehr als froh darüber, als er einfach tiefer gleiten konnte, heiß und eng und drängend und beinahe zu viel, während die Lippen sich immer wieder auf und noch tiefer hinab schoben und Muskeln sich immer wieder anspannten, bei denen Viktor fast schon schwindelig wurde. Ein verzweifeltes Wimmern hielt den Bediensteten auf, gepaart mit einem Ziehen an dem vollen dunklen Haar. Langsam zog er sich zurück, leckte sich über die zu feuchten Lippen und suchte den Blick seines Königs. „Bleib einfach liegen“, verlangte er mit einer Autorität, die man dem Jungen noch vor einigen Jahren niemals zugetraut hätte. Er stand auf, schob die Hose von seinen Hüften, die auch ihm zu eng geworden war, und griff zugleich nach einer Flasche, die im Nachtschrank verborgen stand. Der Anblick, den er wenige Sekunden später bot, brachte den Herrscher beinahe um den Verstand. Die Finger tief in sich selbst verborgen, präsentierte er sich, erhitzt und gerötet und zu ungeduldig, um sich allzu viel Zeit zu nehmen. Als er das Öl auf Viktors Glied verteilte, zuckte dieser mit einem Stöhnen zusammen und schien es für einen Moment fast nicht aushalten zu können, hätte er nicht die Finger eng um seine Basis geschlossen, um ihr Zusammensein noch etwas länger genießen zu können. Lange weiße Finger fuhren über Yuuris Haut, als sich seine Beine über Viktors Körper schoben, bis er über ihm kniete, andächtig, hungrig und wieder so warm, wie Yuuri es immer gewohnt gewesen war. „Bereit?“, flüsterte er leise, dann ließ er sich auf die durch seine Hand stabilisierte Erektion gleiten, begleitet von einem Ziehen, das es fast noch ein wenig besser machte und ihn keuchen ließ noch bevor er ihn ganz in sich aufgenommen hatte. Einen Moment verharrte er, verschränkte die Finger mit Viktors und schob sich dann nur mit der Kraft seiner Beine auf ihm empor, bevor er zurückglitt und nicht einen Moment ließ er den König dabei aus dem Blick. Sie sagten kein Wort, auch wenn beide in diesem Moment ganz sicher nicht still waren, waren sie doch auf eine wortlose Ebene verbunden. Es hätte nur eine Minute dauern können oder auch eine Stunde, doch irgendwann wollte Yuuri seine Hand von Viktors lösen, um sich selbst zu umschließen. Dieser jedoch kam ihm zuvor und umschloss ihn, bevor er selbst dazu eine Chance hatte. „Du bist so wunderschön“, flüsterte Viktor atemlos, als Yuuri den Nacken durchstreckte und zitternd stöhnte, die freie Hand auf Viktors Bein hinter sich platzierend und sich ein wenig schneller auf und ab schiebend. Viktors Becken zuckte ihm entgegen, als er zu zittern begann, und in einer schnellen Bewegung schaffte der König es, sie umzudrehen und sich stöhnend immer wieder in seinen Geliebten zu schieben, seine Erektion zwischen ihren Körper eingesperrt. Beide zitterten, als sie, einer nach dem anderen kamen und ihre Lippen verzweifelt verschlangen, jeden Moment der Nähe auskosteten. Viktor sank langsam auf Yuuris Brust, als die Kraft ihn endgültig verließ, unwillig ihn loszulassen kamen sie kaum noch dazu, eine Decke um sich zu hüllen, bevor der Schlaf sie noch während eines Kusses in sein Reich entführte. Das Feuer war beinahe heruntergebrannt, als Yuuri wach wurde, weil Viktors Finger ziellos über seine Schulter fuhren. Die blauen Augen musterten ihn im Licht einer Kerze auf dem Nachttisch, als wären sie weit entfernt. „Ich liebe dich“, flüsterte der König, als sich ihre Augen trafen und für einen Moment fehlten Yuuri die Worte, als Viktor diese ungeschriebene Linie übertrat. „Schon so lange. Ich kann nicht glauben, dass es mir vergönnt war, etwas so Wunderschönes wie dich zu treffen.“ Yuuri wollte etwas antworten, aber plötzlich hatte sich etwas in seinem Hals so zusammengezogen, dass es nichts hervorbrachte. Wieso klang das so sehr nach einem Abschied, wie Viktor gerade sprach? „Ich werde morgen fort gehen, weiter in den Norden.“ Die Worte waren voller Trauer und so unerwartet, dass Yuuri sie beinahe für eine Ausgeburt seiner Träume gehalten hätte, wenn er nicht Viktors Körper so direkt an seinem eigenen gespürt hatte, wieder viel zu kalt. „Wieso?“, brachte er kratzig hervor, fremd, als wäre es nicht seine eigene Stimme. „Der Sommer kommt und bald wird der letzte Schnee fallen. Wenn ich hierbleibe, werde ich mit ihm verschwinden.“ Die Vögel sangen, als die Sonne ihr Licht auf den glitzernden See warf. Sachte Wellen trafen auf die Küste, in der Ferne waren die Rufe von Fischern zu hören. Auf dem Marktplatz verkauften Frauen Obst und Gemüse; Pflanzen, die es hier vor zehn Jahren nicht einmal gegeben hatte und die jetzt wie selbstverständlich hier wuchsen. Mit Viktor war der Schnee endgültig verschwunden und der Sommer hatte Einzug in das Land gehalten. Alle schienen es so leicht akzeptiert zu haben, dass ihr Herrscher fort ging, doch an jenem Tag hatte sich nicht nur für dieses Land alles verändert. Einsam stand ein junger Mann am Ufer des Sees, der den neuen, gewählten Herrschern zur Seite stand, und starrte auf die Oberfläche des türkisfarbenen Wassers. Es sollte nur eine Übergangslösung sein, bis der König zurückkehrte, doch langsam vergaßen die Menschen wie es einst hier gewesen waren und das Land blühte im Handel auf. Nur in der Ferne auf der anderen Seite des Sees konnte man noch die verschneiten Berge sehen, weit entfernt wie eine andere Welt. An jenem Tag hatte sich alles verändert und ganz egal wie viel Yuuri ihn gebeten, ja angefleht hatte, mit ihm gehen zu dürfen, die Antwort war doch dieselbe geblieben und am Morgen war der König aus Yuuris Leben und aus dem Land verschwunden gewesen als wäre er nie ein Teil davon gewesen. Einzig das Paar silberner Schlittschuhe war ihm als Erinnerung an ihn geblieben und die waren nutzlos geworden, seit der See aufgetaut war. Yuri hatte sich unglaublich gut gemacht und es war kaum mehr etwas von dem dreisten Jungen zu sehen, der einst Yuuri aus Eifersucht bei seiner Mutter angeschwärzt hatte, doch alle gut Herrschaft einer gewählten Gruppe wollte die Leere in dem Herzen des ehemaligen Dieners nicht füllen, als er jetzt die Schritte zurück zu dem Schloss lenkte, das einst über und über in Eis gehüllt war und jetzt wie ein steinernes Skelett zurückgeblieben war. Er wurde dort zu einer Sitzung erwartet, in der es um Handelsbeziehung mit einem benachbarten Reich ging, doch sein Herz war schwer, wie immer, wenn ihn diese Erinnerungen heimsuchten. Er überquerte den Marktplatz, wich einigen jungen Frauen mit Blumenkörben aus und eilte die Straße empor, die ihn zu jenem Ort bringen würde, den er einst sein Heim genannt hatte und in dessen Hallen er den Mann getroffen hatte, der sein Leben verändert hatte, bevor er eben so schnell verschwand wie er gekommen war. Einen Moment war er unaufmerksam, als seine Gedanken in Erinnerungen abdrifteten, dann traf seine Schulter auch schon die eines anderen Mannes, gehüllt in einen braunen Mantel, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Einen winzigen Moment kam er ins Taumeln, dann eilte er bereits weiter den Weg hinab ins Tal. „Entschul-“, setzte Yuuri gerade an, als er es spürte: Wie ein Winhauch fuhr die Kälte über seine Haut und das Licht der Sonne brach sich wie ein Regenbogen, als er auf das Prisma des Eises traf, bevor es schmolz; eine einzelne Schneeflocke, so schnell verschwunden wie sie gekommen war. Seine Augen weiteten sich und impulsartig wandte er sich um, suchte mit dem Blick nach dem Mann in dem Mantel und rief nach ihm, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. „Viktor?!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)