Zucker, Kaffee und wilde Zwiebeln von DragomirPrincess ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Zucker, Kaffee und wilde Zwiebeln Der Tag, an dem Gladio Ignis das erste Mal traf, war wohl der eine und einzige Tag, an dem er jemals merkte, dass sein Gegenüber jünger war als er selbst; auch wenn es nur ein einziges Jahr war. Es war kurze Zeit nachdem Ignis zum ständigen Begleiter des Prinzen geworden war und noch einige Jahre, bevor Gladio anfangen würde, für die Königgarde zu trainieren. Der junge Amicitia-Sohn war sieben Jahre alt und hatte erst vor kurzem erfahren, dass er bald eine kleine Schwester oder einen kleinen Bruder bekommen würde. – Er hoffte natürlich auf einen kleinen Bruder, denn Mädchen waren nun einmal furchtbar uncool und nervig und spielten lieber mit Puppen als mit Schwertern. Er hatte in den vergangenen Tagen, sehr zum Verdruss aller Beteiligten, so lange gebeten und gebettelt, bis sein Vater ihm erlaubt hatte, ihn dieses eine Mal zu seiner Arbeit in den Palast zu begleiten. Es war nicht so, dass Gladiolus noch nie im Palast gewesen wäre, nein, sie waren schon einige Male zu festlichen Essen mit der königlichen Familie eingeladen gewesen. – Anlässe, zu denen Gladio enge Hosen und gesteifte Hemden anziehen und die bequemen Stiefel gegen Lackschuhe tauschen musste und die bei dem Jungen wegen dem ewigen Stillsitzen nur auf wenig Begeisterung stießen. – Dennoch hatte er seinen Vater vorher noch nie zu seiner Arbeit begleiten dürfen, obwohl er doch immer so stolz darauf war, dass sein Vater den Titel ‚Schild des Königs‘ trug, den auch er selbst eines Tages zu erhalten hoffte. An diesem Morgen also – ein Tag innerhalb der Ferien, damit er keine Schule verpasste –, war Gladio früh aufgestanden und war seinem Vater in den Palast gefolgt, wo seine Vorfreude recht schnell ins Stocken geriet, als ihm klar wurde, dass die Hauptaufgabe dieses Berufes darin bestand, im Hintergrund zu stehen und den König auf Schritt und Tritt zu begleiten, wohin auch immer er ging, ohne irgendetwas zu sagen oder zu tun. Er war ein wildes Kind mit mehr Energie als ihm guttat und auch trotz aller guten Erziehung fiel es ihm in der Schule manchmal schwer stillzusitzen. Viel lieber rannte er im Garten auf und ab und schlug mit Stöcken auf Baumstämme ein, die meist ohne viel Verständnis von den politischen Hintergründen Nilfheimer Soldaten waren oder böse Daemonen aus der Nacht. Vielleicht hatte Clarus Amicitia genau das erwartet, als er mit einem Seufzen versprach, dass er fragen würde, ob der König es gestattete. So oder so war er erstaunt, wie lange sein Sohn es schaffte ruhig neben ihm zu stehen. Dieser hatte die Zähne zusammengebissen und weigerte sich, kleinbeizugeben, jetzt, wo er doch endlich bekommen hatte, was er so gerne gewollt hatte. Irgendwann musste ja etwas Spannendes passieren, richtig? Sein Vater konnte doch unmöglich den ganzen Tag einfach nur herumstehen! Eine halbe Stunde später, in denen sich sein Vater noch immer nicht bewegt hatte und der König vollkommen monoton durch Unterlagen geblättert und Anträge unterschrieben hatte, driftete Gladios Blick zum ersten Mal zu den großen Glasfenstern ab, hinter denen der Palastgarten zu sehen war und darin ein Tisch, an dem zwei Kinder saßen, begleitet von einer jungen Frau, die ab und an etwas in einem Buch zeigte. Einen von beiden erkannte Gladio von den gemeinsamen Abendessen als den Prinzen, dunkles Haar und blaue Augen, die neugierig den Worten zu folgen schienen, während er die Beine auf dem zu hohen Stuhl baumeln ließ, und ab und an abgelenkt von der Natur um sich in die Ferne blickte statt zuzuhören. Der andere Junge hatte blondes Haar und mochte wohl ein wenig älter als der Prinz sein, aber war dennoch eindeutig noch ein Kind. Er wirkte angespannter als sein Gegenüber, doch auch in seinen Augen, deren Farbe Gladio unmöglich von hier aus erkennen konnte, lag Interesse an dem, was sie gerade wohl erzählt bekamen. Wie gerne hätte auch er ihr jetzt zugehört, wenn er dann doch nur mehr hätte hören können, als das unregelmäßige Geräusch von raschelndem Papier. Alles wurde noch schlimmer, als das Buch geschlossen wurde, die Augen des Prinzen sich aufhellten und beide Jungen von ihren Stühlen rutschten und dann losliefen, um im Schatten der Bäume zu spielen. Es war unerträglich jetzt noch stillzustehen und die Anspannung begann in Armen und Beinen zu kribbeln, während er den Blick zu seinem Vater hob, der kein bisschen Unruhe zeigte, während er den Raum beobachtete, sein Schwert ohne Verwendung an seiner Seite und die Hände hinter seinem Rücken ineinander gelegt. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Unruhe, während Gladio, der zu Beginn noch voller Eifer die Haltung seines Vaters nachgeahmt hatte, jetzt unruhig seine Hände rieb und begann leicht vor sich hinzuwippen in der Hoffnung die kribbelnde Unruhe zu vertreiben und sich von den spielenden Jungen draußen abzulenken. Immer wieder blickte er durch das große Fenster hinaus und die Neugierde, zu erfahren, wer der fremde Junge war, brannte auf seiner Zunge, aber wenn seine Mutter ihm eines eingebrannt hatte, bevor er hatte mitgehen dürfen, war es, dass er nicht stören durfte und nur sprechen, wenn er angesprochen wurde. Das war die Aufgabe eines Schildes, hatte sie gesagt. Wie nah sein Vater und der König sich eigentlich standen, konnte er nicht einmal erahnen, und so glaubte er ihr jedes Wort und versuchte irgendwie sich an diese eine Regel zu halten. Das hier würde eines Tages seine Aufgabe sein und er würde lernen, sie perfekt zu machen! So wie es seine Familie schon seit Generationen tat. Das versuchte er sich zumindest einzureden, immerhin war er der Sohn der Amicitia-Familie und wollte seine Eltern stolz machen, wenn es um seine Pflichterfüllung ging. Am Ende war er aber dennoch nur ein Kind und bevor er sich versah, hob er die Hand und zupfte ein wenig an der Uniform seines Vaters. Zumindest den Nicht-Reden-wenn-dich-nicht-jemand-anspricht-Teil würde er einhalten! Als er keine Reaktion bekam, blickte er kurz hinüber zum König, der, vertieft in seine Arbeit, wohl nichts bemerken würde, und zog ein wenig fester an dem edlen Stoff des Umhangs, den sein Vater um seine Schulter gelegt hatte. Nur ganz langsam drehte sein Vater den Blick zu ihm und der Anblick ließ die Bewunderung für seinen Vater vielleicht noch ein wenig mehr wachsen, auch wenn in den letzten Jahren auch an ihm der Zahn der Zeit seine Zeichen hinterlassen hatte. Das braune Haar wich an der Stirn zurück, erste weiße Strähnen fanden ihren Weg in seinen Bart und erste Falten vertieften sich auf seiner Stirn und um seinen Mund. Es war ein schleichender Prozess, doch in mancher Hinsicht mochten Kinderaugen solche Veränderungen schneller bemerken als die Erwachsener. Sein Blick war jedenfalls ruhig und irgendwie erhaben und ein wenig hatte sein Sohn schon ein schlechtes Gewissen, wenn er ihn jetzt so störte und von seiner eigentlich Aufgabe ablenkte. Der Schild des Königs sagte kein Wort, doch seine Finger lösten sich aus ihrer verschränkten Position hinter seinem Rücken und eine Hand legte sich auf das kurze, braune Haar seines Sohnes, der ihm doch nach der Meinung aller, die sie sahen, so aus dem Gesicht geschnitten war. Kurz lag seine Hand einfach nur da, dann fuhr sie über seinen Nacken auf seine Schulter, ein leichtes Drücken, vielleicht Bekräftigung, vielleicht Stolz, bis die Hand, rau von all den Jahren an einem Schwertgriff, auf den Schultern des Jungen liegen blieb und ihn mit einem leichten Nicken nach vorn schob, eine Erlaubnis zu gehen, die sein Sohn nach einem winzigen Moment des Zögerns annahm. Er lief in Richtung einer Nebentür, von der er wusste, dass sie ihn über einige Nebengänge hinaus in den Garten bringen würde, und besann sich dann gerade noch zu einer Verbeugung in Richtung des Königs, bevor er sie öffnete, auch wenn dieser den Blick nicht von seinen Unterlagen gehoben hatte. Zumindest dachte Gladio das, bis er sich wiederaufrichtete und in grüne Augen blickte. Ein Lächeln leuchtete in ihnen, sanft und herzlich, väterlich. „Schön, dass du heute hier warst, Gladiolus“, sagte der König ruhig. „Ich habe mich noch besser bewacht gefühlt als sonst. Grüß‘ meinen Sohn und sag ihm, er soll den armen Ignis nicht schon in seiner ersten Woche hier in Schwierigkeiten bringen.“ Zögerlich nickte Gladio, während seine Brust sich stolz ein wenig zu weiten schien. „Vielen Dank, Majestät.“ Er verbeugte sich noch einmal, dann verschwand er durch die Tür in den Flur, doch bevor sie sich schloss, hörte er noch seinen Vater seufzen. „Ermutigt ihn nicht zu sehr. Er muss noch eine Menge lernen.“ „Er hat sich sehr gut geschlagen und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass du als Kind nicht anders warst“, antwortete der König ruhig und vielleicht lächelnd. Er klang jedenfalls amüsiert. Kurz blickte Gladio noch zurück, überlegte, ob er weiterlauschen sollte, doch in all seiner überschüssigen Energie war doch nicht all seine Erziehung verloren gegangen, also ließ er es bleiben, auch wenn es um ihn und sein Verhalten ging. „Ich denke, du schuldest mir eine Flasche von dem Wein aus Altissa, alter Freund“, hörte er den König gerade noch sagen, bevor die Tür ins Schloss fiel. Kurz fragte der Junge sich, warum sein Vater so eine Schuld haben mochte, doch es war beinahe sofort vergessen, als er den Flur weiter hinablief und zwei Stufen auf einmal nehmend den Weg nach draußen überwand. Schwungvoll lief er durch die geöffnete Tür auf den Hof und lief direkt in jemanden hinein, der gerade an dieser vorbeigekommen war. Mit einem dumpfen ‚Uff‘ stürzte derjenige zu Boden, während Gladiolus nicht einmal ins Wanken geriet, erste Spuren eines Kampftraining, das noch so spielerisch war, dass man es kaum als solches bezeichnen konnte. Überrascht blickte er zu dem Gefallenen hinüber. „Tut mir leid, ich habe nicht damit gerechnet, dass hier jemand entlangläuft.“ Er streckte dem blonden Jungen die Hand hin, um ihm aufzuhelfen, als aus dem toten Winkel in seinem Rücken jemand schwungvoll auf seinen Rücken sprang. „Gladio!“ Der junge Amicitia, der sich zu weit nach vorne gelehnt hatte, um dem fremden Jungen die Hand zu reichen, verlor bei dem plötzlichen Aufprall des Prinzen, der sich wie ein Affe an seinen Schultern festhielt, das Gleichgewicht und fiel unsanft nach vorn, gerade noch in der Lage, sich genug abzufangen, um den Jungen unter sich nicht zu zerquetschen. Immerhin war dieser ein ganzes Stück kleiner als der zukünftige Schild. Über ihm kniend erkannte Gladio jetzt allerdings, dass seine Augen grün waren und hinter einer Brille verborgen lagen, die nach seinem Sturz aber schief auf seiner Nase saß. Er guckte ziemlich unglücklich in seiner jetzigen Situation unter dem Gewicht des älteren Jungen, der zusätzlich noch den jungen Prinzen auf sich liegen hatte. „Runter von mir, kleiner Quälgeist“, beschwerte sich Gladio dennoch lachend und versuchte den jungen Prinzen von seinen Schultern zu ziehen. Für einen vierjährigen hatte dieser allerdings schon ganz schön viel Kraft und so schaffte Gladio es nicht, sich aus seinem Klammergriff zu befreien, und stand zuletzt einfach mit ihm auf dem Rücken auf und beobachtete dann, wie auch der fremde Junge sich aufrappelte und Staub von seiner dunklen Anzughose klopfte. Ohne Noctis loszuwerden, wandte sich der Älteste der Gruppe dem Unbekannten zu. „Ich bin Gladiolus. Und du?“ Das Zögern war deutlich in dem jungen Gesicht unter dem blonden Haar zu erkennen, bevor langsam eine Antwort kam und er nach der ihm entgegengestreckten Hand griff. Offensichtlich wusste er nicht recht mit dem Jungen umzugehen, der so unverschämt mit dem jungen Prinzen umging. „Ignis. Ignis Scientia.“ Eine leise, ruhige Stimme, vielleicht etwas unsicher in Gegenwart des älteren Jungen, den er noch nicht kannte, aber mit einem wirklich schönen Klang, der Gladio wünschen ließ, ihn mehr sagen zu hören, doch stattdessen erklärte Prinz Noctis ihm, wer der neue Junge war. „Ignis soll mich später beraten, sagt Vater“, kam seine Stimme von Gladios Rücken, während er den Kopf gegen seine Schulter zu kuscheln schien. „Und er soll mir Gesellschaft leisten und mit mir lernen. Aber er lernt viel lieber als zu spielen und ist total langweilig! Mit dir macht Fangen spielen viel mehr Spaß als mit ihm!“ Das Quengeln in seiner Stimme war unüberhörbar. „Du kannst nur einfach noch schlechter stillsitzen als ich“, murrte die zukünftige Wache, aber eigentlich war er nur neugierig auf den zukünftigen Berater. Immerhin würden sie in der Zukunft viel Zeit miteinander verbringen. „Lass uns Fangen spielen“, wiederholte der Prinz, „oder verstecken.“ Und dann ließ er Gladios Schultern plötzlich los und sprang zu Boden, ein Grinsen auf dem Gesicht, was nichts Gutes versprach. „Oder wir gehen zu der Stelle, wo die Mauer nicht so hoch ist und schauen uns die Stadt an! Wir könnten in die Spielhalle gehen, von der du erzählt hast, Gladio!“ Wahrscheinlich hätte Gladio, wenn er nur ein wenig pflichtbewusster gewesen wäre, es sofort verbieten sollen, aber er liebte die Spielhalle und hatte viel zu selten Zeit dazu und eigentlich konnte ja auch nichts passieren, richtig? Den ehrlich besorgten Blick auf Ignis Gesicht ignorierte er, während er zustimmte und dann nach der Hand des blonden Jungen griff, um ihn mitzuziehen. „Kennst du Justice Monsters?“, fragte er ihn, während sie bereits durch die Bäume verschwanden, um sich aus dem Palast zu schleichen. Er bekam ein zögerliches Kopfschütteln als Antwort. Das mussten sie definitiv ganz schnell ändern! „Es ist das beste Spiel überhaupt, glaub mir!“ „Sollten wir wirklich…?“, fragte Ignis leise und besorgt und mit dieser Stimme, die Gladio neugierig zu ihm schauen ließ. Er spielte mit seiner Brille und verbarg Neugier hinter dieser Geste, wie der zukünftige Schild später zu deuten lernte. „Es passiert schon nichts“, versuchte Gladio ihn zu beruhigen und davon abzuhalten, zurückzulaufen, um sie zu verraten. „Und wenn doch werde ich euch beschützen.“ Er grinste breit und half dann Noctis dabei auf die Mauer zu klettern, bevor er sich zu Ignis umwandte. „Die Spielhalle ist nicht weit von hier. Es wird dir bestimmt gefallen.“ Dann bot er auch ihm die Räuberleiter an, bevor er zuletzt selbst Anlauf nahm und die Wand hochkletterte. Sie erreichten die Spielhalle in ein paar wenigen Minuten und waren noch schneller in ihrem Inneren verschwunden, um den Justice Monster Automaten zu finden. Noctis spielte die erste Runde, verlor jedoch allzu schnell alle seine Monster und so war es dann an Ignis sich an dem Spiel zu versuchen. Sein erster Versuch ging ziemlich schief, aber der konzentrierte Blick, den er dabei aufsetzte, war faszinierend und so ließ Gladio ihn es noch einmal versuchen ohne seine eigene Runde einzufordern, einfach um ihn dabei zu beobachten. Er wurde beinahe erschreckend schnell besser, schien die verschiedenen Spielsysteme mühelos zu verstehen und anzuwenden und bevor er sich versah stieg er Runde um Runde auf und besiegte die Gegner mit einem Geschick, das jemand, der das Spiel zum ersten Mal spielte, ganz sicher nicht haben sollte. Der Triumph auf dem Gesicht des zukünftigen Beraters, als er seinen ersten Boss besiegte, verblasste neben dem Lachen, das seine Verbesserung begleitete. Ein Geräusch, das Gladio nur als schön bezeichnen konnte. Vollkommen fasziniert beobachtete er das Gesicht seines neuen Bekannten und bemerkte nicht, wie Noctis begann sich zu langweilen und zu einem anderen Automaten hinüberging, um dort zu spielen. Erst als Ignis nach einer Hand voll Level doch besiegt war, blickte Gladio auf und bemerkte erschrocken sein Fehlen. „Noctis?“, fragte er besorgt und sah sich suchend um. „Wo ist er?“, schloss sich auch Ignis seiner Sorge an und unter all den Teenagern und jungen Erwachsenen, die hier waren, war es wohl nicht überraschend, dass die beiden Jungen, die immerhin gerade den Prinzen aus den Augen verloren hatten, angespannt und ein wenig hektisch begannen, nach dem Königssohn zu suchen. Beinahe ohne es besprechen zu müssen, teilten sie sich auf und durchsuchten die Reihen. Sie wollten nicht nach ihm rufen, besorgt, dass sie Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden – Immerhin war Noctis nicht unbedingt ein verbreiteter Name – und so trafen sie sich bald schon am Ende einer Reihe wieder, erfolglos und immer besorgter. „Hast du ihn gefunden?“, fragte Gladio, obwohl die Antwort offensichtlich war. Er bekam ein Kopfschütteln als Erwiderung und konnte beobachten, wie unruhig der Junge vor ihm von einem Fuß auf den anderen wechselte. „Was machen wir jetzt?“, fragte er angespannt. „Was, wenn ihm etwas passiert ist?“ Gladio wollte gar nicht daran denken, war er doch heute mit seinem Vater zur Arbeit gekommen, um etwas für seine Zukunft als Wächter des Prinzen zu lernen, und hatte ihn nun vielleicht in Gefahr gebracht. Es wusste ja nicht einmal jemand, dass sie hier waren. Er spannte seine Hände zu Fäusten an, zitterte aber auch ein wenig, als er sich der Verantwortung bewusst wurde, die auf ihm als Ältestem lag, und konnte sich erst zu einer Antwort bringen, als Ignis seinen Arm griff, scheinbar um sich festzuhalten. „Er muss hier irgendwo sein“, sagte er fest, musste daran glauben, „Wir müssen ihn nur finden.“ Und als hätten sie ihn gerufen, tauchte ein dunkelblauer Haarschopf zwischen den Menschen im Gang vor ihnen auf und grinste breit, unwissend, was für eine Sorge er seinen Begleitern bereitet hatte. „Ich habe den Highscore geknackt!“, grinste er begeistert, streckte seine Hand nach oben als Zeichen seines Sieges und schlug in derselben Bewegung einem Teenager-Jungen sein Mobiltelefon aus der Hand. „Hey, pass doch auf, Knirps!“, fauchte dieser wütend, als er sein Handy gerade noch wieder fangen konnte, und holte gerade aus, um ihn wegzustoßen, als Ignis wie ein Blitz schon vor dem jungen Prinzen stand und den Stoß abfing. Gladio hatte nicht annähernd schnell genug reagieren können und so sah er auch jetzt nur zu, wie der Blonde stolperte und fiel und mit dem Kopf gegen einen der Automaten schlug, bevor er zu Boden ging, eine blutige Verletzung an der Stirn, direkt unterhalb seines Haaransatzes. „Ignis!“, rief Noctis erschrocken aus, während die Teenager in der Menge verschwanden, und lief dann wie Gladio direkt zu dem Jungen hinüber. „Autsch“, murmelte dieser, während er sich das Blut von der Stirn wischte. Wütend sah sich Gladio nach den Übeltätern um, doch konnte sie nicht entdecken und eine Hand auf seinem Arm hielt ihn auf, bevor er etwas Dummes tun konnte. „Tut mir leid, wenn wir Euch gelangweilt haben, Prinz Noctis“, sagte Ignis mit einem Pflichtbewusstsein, das er wohl nie verlieren sollte und das kaum zu seinem jungen Gesicht passen wollte. „Bitte sagt nächstes Mal Bescheid, wenn ihr etwas Anderes spielen wollt.“ Noctis‘ Augen waren tränenfeucht. „Du blutest, Ignis!“ „Es ist nichts“, versicherte dieser, auch wenn das Blut weiterhin ungehindert über seine Stirn floss. „Ich bin nur froh, dass es Euch gut geht.“ „Gladio, wir müssen ihn zurück ins Schloss bringen!“, forderte der junge Prinz dann von seinem anderen Begleiter, der hin- und hergerissen zwischen Sorge und Bewunderung zugehört hatte, wie wenig wie ein Kind sich Ignis in diesem Moment benahm. Er stimmte augenblicklich zu und half ihm auf. Da waren eindeutig Tränen in Ignis Augen, aber er schien alles daran zu setzen, dass der Prinz diese nicht sah, also bot Gladio ihm ein Taschentuch an, das er in seiner Hosentasche fand, wo seine Mutter es jeden Morgen neu platzierte. Dankbar wischte sich der Blonde Blut und Tränen aus dem Gesicht, während sie die Spielhalle verließen, den besorgten Noctis direkt an Gladios anderer Seite. Natürlich bekamen sie furchtbaren Ärger, als sie zurückkamen, durch die Haupttür und mit dem verletzten Ignis – Ihr Fehlen war natürlich aufgefallen und es war sofort eine Suche organisiert worden –, aber die Freude, dass es ihnen gut ging, überwog doch schnell und mit einem Pflaster war auch die Verletzung an Ignis‘ Stirn schnell behandelt. Es würde wohl keine bleibenden Spuren auf dem Gesicht des jungen Beraters hinterlassen. Gladio hatte sehen können, wie Ignis ganz stillgehalten hatte, als seine Wunde versorgt wurde, und die Bewunderung von jenem Tag war nie ganz verschwunden, selbst als sie nach und nach Freunde wurden und sich auf Augenhöhe kennenlernten. Seine Mutter hatte ihm wortwörtlich die Ohren lang gezogen, als sie von den Geschehnissen erfuhr, und auch sein Vater war nicht glücklich mit ihm gewesen, aber das, an was Gladio sich auch noch Jahre später erinnern konnte, war die Bewunderung für Ignis‘ schnelles Handeln und die Wärme, die er empfunden hatte, als Ignis beim Justice Monsters spielen gelacht hatte. Es war einige Jahre später, als Gladio merkte, dass es vielleicht nicht nur Freundschaft war, die er für Ignis empfand. Er selbst hatte schon eine Weile lang regelmäßiges Kampftraining mit den Männern der Kronwache, als auch Ignis, der neben dem normalen Unterrichtsstoff der Schule bereits extra Stunden in Politik und Geschichte bekam, ebenfalls mit seinem Training begann. Gladio war mitten in seiner Pubertät und es gab eine Menge Dinge, die ihm durch den Kopf gingen, wenn er sich nicht gerade auf sein Training konzentrierte, doch seine Sexualität war bis zu einem ganz bestimmten Tag keines davon gewesen. Sie hatten sich oft gesehen, mehr als Freunde als in ihren offiziellen Aufgaben, doch im Gegensatz zu Gladio, der mit dem Beginn seiner Pubertät nicht nur immer größer, sondern durch das Training auch immer breiter geworden war, war Ignis noch schlaksig und wirkte eher wie ein Streber als wie ein Krieger, zumindest empfang Gladio es so, bevor er ihm das erste Mal in der Trainingshalle begegnete, selbstbewusst und kein bisschen unsicher mit der hölzernen Trainings-Lanze in seiner Hand. Es überraschte den jungen Amicitia, der sich durchaus bewusst war, dass es eine ganze Weile dauerte, bis man etwas anderes als einen Einhänder in die Hand gegeben bekam, und dass Ignis erst seit einigen Monaten das Training der Kronwache absolvierte. Gladios Trainer hatte dieses Treffen organisiert, weil der zukünftige Schild dem jungen Berater etwas beibringen sollte. Übung darin, jemanden in etwas zu unterrichten, bevor er dieselbe Aufgabe mit dem Prinzen übernehmen sollte, vermutete Gladio zumindest. Ignis, der vor einigen Wochen noch mehr als einen Kopf kleiner gewesen war als Gladio, aber dann plötzlich in die Höhe geschossen war, verbeugte sich kurz vor seinem Freund, wohl eher der Form halber als aufgrund einer Hierarchie. „Ich zähle auf dich, bitte halte dich nicht zurück“, bat er floskelhaft und wirkte doch eher ernst und konzentriert. Gladio nickte nach einem kurzen Zögern und griff seine eigene Trainingswaffe ein wenig fester. Er hatte sich unter der Annahme, dass Ignis noch an den Grundlagen arbeitete, einen der besagten Einhänder gegriffen und hatte nicht vor, sich jetzt die Blöße zu geben, sie noch zu wechseln. Zugegebenermaßen wusste er nicht so recht, wie er am besten anfangen sollte und ließ den Blick über seinen Trainingspartner fahren, der in einer engen Hose und einem sehr speziellen, aber eng geschnittenen T-Shirt mit Leo-Print ganz ungewohnt aussah, wo er sonst doch immer einfarbige Hemden und Anzughosen trug, wenn sie sich im Schloss trafen und beide ihren Pflichten nachgingen. Unter den Ärmeln schauten Muskeln hervor, die Gladio dort nicht vermutet hätte, doch alles in allem wirkte er noch immer eher wie ein Gelehrter als wie ein Krieger, wenn man von der interessanten Kleidungswahl einmal absah. „Bist du schon aufgewärmt?“, fragte Gladio dann, vielleicht etwas verlegen, weil er offenbar ein wenig gestarrt hatte, wie ihm bewusst wurde, als sich der Blonde unter seinem Blick unwohl bewegte. Er bekam ein Nicken als Antwort und so suchte sich der Ältere der Beiden einen festen Stand, bevor er weitersprach. „Dann zeig mir doch erst einmal, was du mit deiner Lanze schon so kannst?“, schlug er vor und wartete auf einen ersten Angriff, der auch nicht lange auf sich warten ließ. Ignis‘ Bewegungen waren präzise und flink, weniger kraftvoll als Gladios, dafür jedoch deutlich schneller und so war es für einen kurzen Moment der Amacitia-Sohn, der reagieren musste, bevor er wieder die Kontrolle übernahm und die Angriffe konterte. Ignis war gut, doch die Jahre an Erfahrung, die Gladio ihm voraus hatte, waren deutlich bemerkbar, als er es nach kurzer Zeit schaffte, dem anderen selbst mit einem recht kurzen Einhänder den Speer aus der Hand zu drehen, sodass er hölzern und dumpf auf dem Boden aufschlug und sein Träger ins Stolpern kam. „Dein Schwerpunkt ist zu weit vorne“, stellte er fest und hob den Speer auf, um ihm seinem Freund wiederzugeben. Er griff nach den langfingrigen Händen und legte sie am Holz ein kleines Stück weiter nach vorn, bevor er sie weit genug auseinander in Position brachte. „Wenn du jetzt deine Füße ein wenig mehr auseinander nimmst…“, begann er zu erklären und trat hinter ihn heran, sodass er mit der Brust seinen Rücken berührte, als er die Beine ein wenig auseinanderschob und mit den Fingern an Ignis‘ Hüfte sein Becken ein Stück nach vorn kippte. Dann legte er seine Hände wieder über die schmaleren an der Waffe, um die typische zustoßende Bewegung zu machen, mit der ein Angriff erfolgte. Er spürte, wie die Muskeln unter seinen Fingern sich bewegten und für einen Moment war er abgelenkt von der Kraft, die in dem schmalen Körper vor ihm steckte. „So sollte es weniger leicht sein, dich ins Straucheln zu bringen“, kommentierte er dann und fragte sich für einen kurzen Moment, was die Wärme war, die sich in seinem Bauch ausbreitete. Dann trennten sie sich und gingen wieder zu einem Probekampf über. Wieder und wieder trafen sie aufeinander und irgendwann wechselte Gladio zu einer größeren Waffe, mit der er seit einigen Monaten trainierte, ließ Ignis spüren, was es hieß sich gegen ein Breitschwert zu verteidigen und war doch unverkennbar überrascht von dem Talent, was der Berater auch in der Kampfkunst aufwies. Bewunderung und Neid reichten sich für einen Moment die Hand, bevor er sich wieder auf ihren Kampf konzentrierte. Bald schon kamen sie beide ins Schwitzen und nach und nach schienen sich beide die typischen Bewegungen des jeweils anderen einzuprägen, während die Stimmung sich lockerte und dann doch weiter anspannte, als sie wirklich in Erfahrung bringen wollten, wer von ihnen besser war. Es war Gladio, der die Oberhand behielt, doch die Herausforderung, die Ignis ihm geboten hatte, war unverkennbar und es spornte ihn nur an, noch mehr zu trainieren, besser zu werden, wenn er einst den Prinzen beschützen sollte. Es war bereits dunkel draußen, als sie unterbrochen wurden, weil ein Bediensteter den Raum betrat, scheinbar um aufzuräumen. Sie hatten die Zeit vergessen und so waren beide Jungen ebenso überrascht wie der junge Mann, der sich sofort entschuldigte, und ganz plötzlich waren sie außer Atem und erschöpft und entschuldigten sich, dass sie solange hier gewesen waren, und zogen sich eilig zurück in die Umkleiden, die an die Trainingshallen angeschlossen waren und hinter denen ein Raum mit heißen Bädern lag. „Kommst du mit baden? Es ist gut für die Muskeln du gegen Muskelkater.“ Müde zog Gladio sich das ärmellose Oberteil von den Schultern, das unangenehm an seiner Haut klebte, und ließ es auf eine Bank fallen, bevor er sich auch aus den restlichen seiner Kleider schälte. Er war es gewohnt mit den anderen Kadetten zu duschen und so dachte er sich nichts dabei, als er sich sein Handtuch griff und zu Ignis blickte, dessen Blick für einen Moment an ihm hängen geblieben war, vielleicht unschlüssig, was jetzt zu tun wäre, und noch voll bekleidet. Für einen Moment hatte Gladio vergessen, dass Ignis ein Zimmer im Schloss hatte und nicht noch nach Hause laufen müsste. Wahrscheinlich hatte er auch ein eigenes Bad, richtig? „Ich komm gleich“, riss der Blonde ihn dann aus den Gedanken. „Ich will nur noch etwas trinken. Hast du auch Durst? Wir haben viel geschwitzt und bevor du ins heiße Wasser gehst, solltest du deinen Wasservorrat aufstocken.“ Er klang beinahe wie eine Mutterhenne, während er Wasserflaschen aus seiner Tasche kramte und eine davon Gladio zuwarf, der sie geschickt fing und dankend davon trank. „Du bist wirklich in allem gut, was du tust, oder?“, meinte Gladio, unbekleidet an eine Wand gelehnt, ehrlich beeindruckt, und sich nicht darüber bewusst, dass es Ignis schwerfiel, sich unter seinem Blick auszuziehen. „Wie meinst du das?“, fragte der Berater, als er die Flasche von seinen Lippen senkte. „Schule, Extraunterricht, jetzt auch mit den Waffen.“ Er lehnte sich gegen die Wand, ein Handtuch locker in der Hand. „Ich versuche einfach, meiner Rolle gerecht zu werden“, antwortete der Angesprochene ein wenig verlegen und stellte die Flasche ab, bevor er zögerlich mit dem Rand seines Oberteils herumspielte, aber es nicht direkt über den Kopf zog. War er unsicher über seinen eigenen Körper? Überrascht von dieser Erkenntnis beobachtete Gladio, wie langsam milchweiße Haut unter dem Hemd zum Vorschein kam und legte dann die Flasche auf einer Bank ab, während er versuchte nicht zu starren. Schlanke Muskeln zeichneten sich auf einem dünnen Körper ab, irgendwie unberührt und unschuldig schön. Plötzlich wollte Gladio seine Finger über die nackte Haut fahren lassen und spüren, ob sie so weich war, wie sie aussah und- „Ich warte drinnen?“, schlug er eilig vor, um seinen Kopf davon abzubringen so etwas zu denken, auch wenn es grundsätzlich wohl mehr als schwierig war, zu vermeiden, dass man den anderen nackt sah, wenn man gemeinsam in heißen Bädern sitzen würde. Zugegebenermaßen war es nicht das erste Mal, dass Gladio sich fragte, ob die Muskeln eines anderen Mannes sich genauso unter seinen Fingern anfühlen würden, wie seine eigenen es taten, aber es war irgendwie unangenehm, so von Ignis zu denken, der doch sein Freund war. Er trat unter eine der Duschen und drehte sie erst einmal so kalt wie möglich auf, um den Kopf frei zu bekommen. Es tat gut und kühlte seine erhitzte Haut ab. Müde fuhr er sich durch das kurze Haar und rollte die angespannten Schultern zurück. Es war normal, über so etwas nachzudenken, richtig? Seine Hand glitt seine Brust abwärts, erschöpft und gleichzeitig auf diese Art neugierig, die für einen Teenager typisch war, die aber wohl kaum angemessen für ein öffentliches Bad war. Dennoch ertappte er sich dabei, wie seine Hand noch ein wenig tiefer glitt, nur für einen Moment, bevor die Tür hinter ihm klickte. Das geistige Bild in seinem Kopf wurde durch das Original ersetzt, als er über seine Schulter blickte und seinen Freund nur von einem Handtuch verdeckt in seiner ganzen nackten Schönheit erblickte. Sein Herz machte einen Schlag und dann raste es schneller weiter und plötzlich war Gladio sich sicher, dass das vielleicht doch nicht so war wie bei jedem anderen Teenager und er sich vielleicht zu Männern hingezogen fühlte, zu Männern oder zumindest zu einem ganz bestimmten Mann. Es war noch einige Wochen später, dass Gladio Ignis das erste Mal kochen sah. Er hatte erst vor kurzem erfahren, dass Ignis schon seit Monaten und Jahren versuchte das Gebäck aus Tenebrae nachzumachen, das dem Prinzen einst so gut geschmeckt hatte, und war neugierig gewesen, ob auch in der Küche unter Ignis‘ Händen alles so gut gelingen würde wie beim Schwerttraining und in der Schule. Die Gedanken über seine Sexualität und seine zumindest neugierigen Gefühle seinem Freund gegenüber ignorierte er dabei so gut er konnte. „Ich bin oft hier, wenn die Köche nicht gerade eine Mahlzeit vorbereiten müssen“, erklärte Ignis gerade ohne wirklich danach gefragt worden zu sein, während er geschickt Gemüse schnitt als wäre es Butter und nicht einmal auf seine Finger achtete, während das scharfe Messer durch die grünen Zwiebeln glitt und kleine Ringe hinterließ. In einer einzigen fließenden Bewegung schob er das Ergebnis in eine bereitstehende Schale und griff sich das nächste Gemüse, um es ebenso geschickt zu zerlegen. Gladio konnte den Blick nicht von seinen Fingern nehmen, lang und geschickt, am Messer noch mehr als an den Stangenwaffen und Dolchen, die er im Training zu führen wusste. Er konnte nicht wegsehen und stellte doch wie beiläufig Fragen, auf deren Antworten er kaum achtete, damit der andere weitersprach und er eine Ausrede hatte, um nicht wegzusehen. „Was wirst du mit den Zwiebeln und dem Gemüse machen?“ „Es über der Brühe dünsten. Das ist schonend zu den Vitaminen und sorgt dafür, dass es dennoch nicht geschmacklos bleibt. Der Wasserdampf steigt auf und gart das Gemüse, ohne dass es alle wertvollen Inhaltsstoffe ans Wasser verliert.“ Ein zustimmender Laut, während Ignis sich umwandte und nach einer Schale mit einem vorbereiteten Teig griff und Gladios Blick an dem ansehnlichen Hintern in der viel zu engen Hose hängen blieb. Heute trug er eine Schürze über einem hochgekrempelten schlichten Hemd und ein paar nicht ganz jugendfreie Gedanken hatten sich in Gladios Kopf geschlichen, als er nicht aufgepasst hatte. Genau solche Gedanken waren das Problem, das Gladio im Moment beschäftigte: Er war der älteste und einzige Sohn der Familie Amicitia, es wurde von ihm erwartet, dass er heiratete und die Linie fortsetzte, während er auf den zukünftigen König achtete. Es wurde von ihm erwartet, dass er das auch wollte, doch von Tag zu Tag wurde ihm nur bewusster, dass er sich immer mehr zu seinem blonden Freund hingezogen fühlte, körperlich, aber auch emotional. Gladio mochte Frauen, wirklich. Sie waren sympathisch und liebenswert und niedlich, aber sie waren nicht… nicht das, was Ignis‘ Hintern in ihm gerade auslöste und was ihn von seiner Position an der Tisch gelehnt vertrieb, um sich hinter dem Küchenblock dem Koch gegenüberzustellen. „Nudeln?“, versuchte er ein wenig halbherzig das Gespräch am Laufen zu halten. Vielleicht war da auch wirklich irgendwo Neugier darauf, was der andere eigentlich gerade zubereitete. „Ja, ein Grundrezept, nur Mehl und Wasser.“ Er nahm den Klumpen Teig aus der Schale und begann dann ihn übereinander zu falten und langzuziehen, bis nach und nach die ersten Seile zu erkennen waren, die sich mit jeder neuen Bewegung zu Fäden entwickelten und zuletzt wirklich Nudeln ergaben. Es war faszinierend zu sehen, wie sie entstanden, doch wieder dauerte es nur ein paar Minuten, dann war er abgelenkt von etwas anderem. In diesem Fall dem konzentrierten Blick und den geschwungenen Lippen, die sich beim Sprechen bewegten. „Es gibt Diskussionen darüber, was das beste Verhältnis von Mehl und Wasser ist und welches Mehr man nutzen soll. Ich bevorzuge das 8:2-Verhältnis, auch wenn ich den Reiz von 9:1 verstehen kann. Sie sind elastischer und weniger intensiv im Geschmack. Dann kann die Brühe auch einen stärkeren Geschmack haben, verstehst du?“ Gladio nickte, auch wenn das eine glatte Lüge war, und dann plötzlich wurde ich etwas klar: „Warte, machst du gerade Nudelsuppe?“ Dieses Mal grinste Ignis beinahe, als er nickte. „Ja, und sie ist definitiv gesünder als das, was du und Noctis in euch reinschaufelt, wenn ihr denkt, dass ich nicht aufpassen würde.“ Ein wenig ertappt lachte Gladio und räusperte sich dann. „Kann ich dir irgendwie helfen?“ „Ist schon gut, Gladio. Es ist nicht mehr viel. Ich muss nur noch das Fleisch für das Topping braten.“ Er begann ein Stück Fleisch zu waschen und ohne dass der Ältere fragen müsste, begann Ignis beim Zubereiten zu sprechen: „Es ist wichtig, dass Fleisch zu waschen, falls noch Blut oder Knochensplitter daran sind, aber danach muss es ganz trocken sein, bevor man es zubereiten kann.“ Er trocknete es behutsam ab, bevor er ein Messer griff und es einige Male an einem Schleifstein schärfte, bevor es durch das Fleisch glitt und Sehnen abtrennte, um dann Scheiben abzuschneiden, an einer Seite bedeckt von glänzendem Fett, das er mit geübten Bewegungen kreuzförmig einschnitt. „Siehst du die Fasern des Fleisches? Daran muss man sich beim Schneiden orientieren. Umso kürzer die Fasern sind, umso zarter ist das Fleisch am Ende.“ Gladio sah die Fasern nicht, aber er nickte dennoch und während Ignis so sprach, konnte der junge Krieger nur an eine einzige Sache denken: ‚Ich habe keine Ahnung, wovon du erzählst, aber hör‘ bloß nicht auf zu reden.‘ Es war auf eine ganz seltsame Art und Weise erotisch, ihm zuzuhören, wie er erklärte, was er tat und die Bewegungen ausführte, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes getan. „Die Pfanne muss richtig heiß sein, bevor du das Fleisch anbrätst, damit die Poren sich sofort schließen und der Fleischsaft nicht austritt-“ Gladio konnte nicht sagen, was ihn dazu getrieben hatte, doch bevor er sich versah, hatte er Ignis Sprechen unterbrochen und seine Lippen auf den Mund des Koches gepresst. Er schmeckte nach Zucker und jenen süßen Früchten, die seinen heutigen Versuch von tenebraeischem Gebäck füllten. Ein überraschter Laut antwortete seinem plötzlichen handeln, dann schien sich alle Anspannung aus seinem Gegenüber zu lösen und Ignis bewegte sich den Lippen entgegen, die Gladio auf seine gepresst hatte, ungeschickt und mehr als überrascht von dieser positiven Reaktion auf den plötzlichen Kuss. „Ignis, ich hab‘ gehört, du kochst heute?“, kam es plötzlich von der Tür und die beiden Teenager stoben auseinander, sodass der Prinz nichts von dem Kuss mitbekam. Ignis richtete seine Brille und gab das Fleisch in die Pfanne, das laut aufzischte und dann mit einem prickelnden Geräusch im Öl der Pfanne briet. „Ja, um euch zu beweisen, dass Instant-Nudelsuppe keine richtige Mahlzeit ist.“ Sie hatten nie über diesen Kuss gesprochen, nie über die Gefühle, die in Gladios Brust gewachsen waren, und irgendwann hatte auch der Schild des Prinzen sie so in sich verborgen, dass sie beinahe vergessen waren, als sie gemeinsam auf Noctis letzte Reise als Junggeselle aufbrachen, die so bald schon zu einem Desaster hatte werden sollen. Gadio flirtete mit den jungen Frauen, denen sie begegneten und für einen Moment schien es so als wäre auch Ignis nicht uninteressiert an der Lanzenträgerin aus Nilfheim, doch eigentlich hatten sie wohl beide anderes im Sinn, hatten eine Pflicht dem Prinzen gegenüber, die von Tag zu Tag schwerer auf ihnen lastete. Es war an einem Abend unter dem Sternenlicht am Lagerfeuer, als die Gefühle, die Gladio tief in sich verschlossen hatte, noch einmal Thema wurden. Prompto und Noctis waren bereits in ihren Betten verschwunden, doch die beiden Älteren der Gruppe saßen noch unter den Sternen, Gladio weil es wohl kaum einen Anblick gab, der ihn mehr beruhigte als der Sternenhimmel und dazu die Geräusche der wilden Natur, und Ignis, weil er noch etwas für das Frühstück am nächsten Morgen vorbereitete. Er hatte heute Nudelsuppe gemacht, richtige, nicht die aus den Pappbechern. „Erinnerst du dich noch, als du mir beim Kochen zugeschaut hast?“, fragte Ignis plötzlich und es traf Gladio unvorbereitet. Er setzte sich so ruckartig auf, dass der Camping-Stuhl ungesund quietschte. Er erinnerte sich noch ganz genau daran. Manchmal träumte er davon, auch wenn er das nie zugegeben hätte. „Was ist damit?“, fragte er deutlich ruhiger als er sich fühlte, versuchte seine vorherige Reaktion so gut es ging zu überspiele und lenkte seinen Blick auf die Flammen, in denen das trockene Holz knackte. „Ich habe dich nie gefragt, warum.“ Es war eher eine Feststellung, als eine Frage, doch der Wunsch nach einer Antwort dahinter war unübersehbar. „Wir riskieren jeden Tag unser Leben und ich schätze, ich wüsste einfach gerne, was damals dahintersteckte.“ Sie waren auf dem Weg nach Altissia und eine Anspannung lag in der Luft, die sie wohl alle beide deutlich spürten, auch wenn keiner genau hätte sagen können, wieso. Einen langen Moment schwieg Gladio. Dann stand er auf. „Lass uns ein Stück weit gehen. Die Magie hier wird die Jungs beschützen und der Fluss ist im Mondschein sehr schön.“ Langsam legte Ignis das Messer weg, mit dem er eben noch Gemüse geschnitten hatte, um es über dem Feuer in etwas Wasser zu kochen, während sie schliefen. Dann nickte er und folgte seinem Freund den Weg hinab zum Wasser, kaum bewaffnet und immer im Blickfeld des Lagers. Sie gingen nicht weit, schwiegen, während sie das ein Stück eine Landzunge hinaufgingen und dann einfach am Rand des sanften Stroms standen und beobachten, wie das Licht des Vollmonds sich im Wasser spiegelte, nur durchbrochen, wenn ein Fisch oder ein anderes Tier die Oberfläche in Unruhe brachte. „Du bist unglaublich attraktiv, wenn du redest, weißt du das?“, brach Gladio dann die Stille, so als wäre das bereits eine angemessene Antwort auf die Frage, die zwischen ihnen in der Luft gehangen hatte. „Nein, das hat mir bisher noch keiner gesagt.“ Ignis klang ehrlich überrascht. „Meistens höre ich eher, dass ich aufhören soll.“ „Ich höre dir gerne zu.“ Einen Moment überlegte Gladio, ob er etwas finden würde, um seine Hände zu beschäftigen, doch riss sich dann zusammen. „Meistens weiß ich nicht, was du meinst, aber deine Stimme nimmt manchmal diesen Klang an, dem ich unglaublich gerne zuhöre.“ Es war Ignis, der einen Ast aufhob, der am Boden lag und ihn zu einem Ring bog, vorsichtig, damit er nicht brach, aber geschickt dabei, ihn in sich selbst zu verhaken. Auch er schien seine Finger nicht einfach stillhalten zu können. „Beim Kochen zum Beispiel“, setzte Gladio seine Erklärung fort, nachdem er kurz von den geschickten Fingern abgelenkt gewesen war. „Das ist nicht wirklich eine Antwort“, stellte Ignis fest, während er sich hinhockte und den Ring auf der Wasseroberfläche ablegte, wo er langsam von der Strömung ergriffen wurde und flussabwärts trieb. „Hast du jemals darüber nachgedacht, es noch einmal zu tun?“, erlöste er ihn dann von der ersten Frage, die nie wirklich eine Frage gewesen war. „Ohne unterbrochen zu werden?“ „Ständig“, antwortete Gladio ehrlich und ziemlich direkt. „Wenn nicht alle von mir erwarten würden, dass ich meinen Familiennamen weitergebe, hätte ich es wohl schon längst wieder getan.“ Der Kranz verschwand in der Dunkelheit, als er auf die Stromschnellen in der Flussmitte traf, und Ignis wandte sich zu dem Schwertkämpfer neben sich. „Niemand wird je erfahren, was auf dieser Reise passiert ist.“ Es war ein Freifahrtschein, doch Gladio zögerte, ihn anzunehmen. Konnte er das überhaupt tun? Diesen Gefühlen ein Zeitlimit setzen? Nutzte er seinen Freund nicht dann nur aus? Sollte er nicht an andere Dinge denken? An die Gefahr, die in Altissia wartete und an die Aufgaben, die noch vor Noctis lagen? „Du siehst ja wirklich nicht danach aus, aber manchmal machst du dir echt zu viele Gedanken, weißt du das? Nimm es doch einfach an.“ Und so war es Ignis, der den Abstand überwand und einen Kuss auf Gladios Lippen drückte, bestimmt, nicht schüchtern oder unsicher, sondern genauso direkt wie der Blonde auch mit einer tödlichen Waffe zustoßen konnte. Gladio legte einen Arm um den schmaleren Körper, zog ihn dichter und schob die andere Hand in Ignis‘ Nacken, dort wo die kurzen Haare auf Haut und Hemdstoff trafen, und hungrig schmeckte er die letzten Spuren der Suppe auf Ignis‘ Lippen, die diesen Hauch von Bitternis trugen, der vielleicht von dem schwarzen Kaffee kam, den der Speerkämpfer so liebte. Als sie sich wieder lösten, pochten Gladios Lippen und im Licht des Vollmonds glänzte Feuchtigkeit auf Ignis‘. Seine Zunge kam hervor, erschreckend erotisch, und ein zufriedener Laut verließ seine Lippen. „Lass mich bis zum nächsten Mal nicht wieder solange warten, ja?“ Und doch vergingen Jahre, bis so etwas wieder geschah. Zu schnell hatten sie nach diesem Abend Altissia erreicht, wo Ignis Gladio das letzte Mal sehen sollte, wo Noctis beinahe sein Leben verlor und Lunafreya ihres für den jungen König gab. Sie stritten darüber, ob Noctis weitermachen sollte, ob Ignis weitermachen konnte, sie kamen nach Gralea, verloren Prompto und kurz danach den Regalia, wurden von Noctis getrennt und fanden ihn wieder, nur um ihn noch einmal zu verlieren und zu sehen, wie die Tage kürzer wurden und zuletzt ganz verschwanden; zu sehen oder eben nicht zu sehen, weil Ignis‘ Augenlicht für immer verloren wäre. Auf ewig in Finsternis gehüllt, ein kleiner Preis für die Macht, die ihm die Ahnen vergönnt hatten, um Noctis zu beschützen. Er lernte, wieder zu kämpfen, zu kochen, doch mehr als einmal zweifelte Ignis, dass es jemals wieder Tag werden würde, selbst wenn er das niemals laut gesagt hätte. Die Gruppe trennte sich, traf sich nur selten wieder, um gemeinsam zu jagen, und wenn sie es taten, waren Gefühle für einander das letzte Thema, das irgendjemand aufbringen wollte, während sie für Cidney jagten oder versuchten Leben zu retten, die sonst an die Daemonen verloren wären. Erst nach langen, langen zehn Jahren kam die Gruppe wieder zusammen, alle gewöhnt an die Finsternis, die Ignis so oder so jeden Tag begleitete, und angespannt, aber bereit dafür, alles endlich zu Ende zu bringen, auch wenn sie an jenem Abend oder Morgen oder welche Zeit auch immer gerade sein mochte, alle wussten, wie es enden würde. An diesem Tag, am Lagerfeuer schienen die kindischen Gefühle von damals unendlich weit entfernt, fremd und wie aus einem anderen Leben und als es vorbei war, als Noctis fort und die Sonne wieder aufgegangen war, war es unmöglich für die drei zusammenzubleiben. Prompto, an dem der Verlust vielleicht am meisten zerrte, ging zurück nach Hammerhead, Ignis kehrte nach Lestallum zurück, wo er versuchte, trotz ihrem Sieg über die ewige Nacht in seiner eigenen Dunkelheit mit dem Kochen einen neuen Anfang zu finden, weit entfernt von den politischen Neuanfängen, die in der Hauptstadt ohne König neue Wege suchen mussten, dem Land Sicherheit zu bieten. Und Gladio? Gladio streifte durch das Land, rastlos und ruhelos in einer Welt, in der er keine Aufgabe mehr zu erfüllen hatte, keine Pflicht mehr einzulösen. Ein Land, in dem er als Krieger nicht mehr gebraucht wurde, weil es keine Gefahren mehr gab, die in der Finsternis lauerten. Er war heimatlos, ohne Ziel und Arbeit, und kam viel zu oft zu jenen Orten, die ihn an die Zeit mit seinen Freunden erinnerten. Immer mehr vermied er die Städte, blieb in der Wildnis und jagte sich sein Essen selbst, fern ab von allen Menschen. Selbst seine Schwester wusste bald nicht mehr, wie sie ihn erreichen sollte, wenn sein Telefon tage- und wochenlang abgeschaltet war. Ignis mochte sein Augenlicht verloren haben, doch es war Gladio, der in seinem Leben keinen Weg mehr ausfindig machen konnte, all das Training, das er einst in seine Aufgabe gesteckt hatte, einen jungen Prinzen, seinen König, zu beschützen, sinnlos und immer von dem Gefühl verfolgt, dass er versagt hatte, auch wenn wohl niemand ihm das jemals vorgeworfen hätte. Als der erste Jahrestag von ihrem Sieg kam, lag Lucis noch in Trümmern, die Politik war ein Provisorium und es war reiner Zufall, dass Prompto und Ignis sich auf den Straßen Lestallums trafen und ohne viele Worte das süße Souvenir, das einst für den Prinzen ihren Freund gebacken worden war, aßen. „Hast du ihn in letzter Zeit gesehen?“, fragte Prompto kaum hörbar, als sie vom Aussichtspunkt aus über die Landschaft blickten oder einfach nur den Wind auf der Haut spürten. „Iris sorgt sich um ihn.“ Einen Moment herrschte Stille, dann schüttelte der Koch langsam den Kopf. „Nein, schon seit fast einem Jahr nicht mehr.“ „Ob es ihm gut geht?“ „Ich weiß es nicht.“ „Sollten wir ihn suchen?“ „Wenn er nicht gefunden werden will, wirst auch du ihn nicht aufspüren können, Prompto.“ Immerhin, wenn es jemanden von ihnen gab, der eins mit der Natur werden konnte, dann war es Gladio. Und immerhin konnte selbst seine Schwester, die in den Jahren der Dunkelheit ebenfalls zu einer Kriegerin herangewachsen war, ihn nicht ausfindig machen. „Ich arbeite jetzt auf der Chocobo-Farm“, wechselte der Jüngere plötzlich das Thema. „Willst du mal vorbeikommen? Der alten Zeiten wegen.“ „Ich denke nicht, dass ich noch reiten kann wie früher.“ Einen Moment herrschte bittere Stille. „Wir sollten nach Lucis fahren“, warf der Fotograf also stattdessen ein. „Ich habe viel geübt und fahre inzwischen viel besser.“ Und auch wenn Ignis sich wohl um sein Restaurant hätte kümmern sollen, stimmte er diesem Angebot zu. „Glaubst du manchmal, dass der Schmerz nie vergehen wird?“, fragte Prompto nach einer Weile auf der Straße. Sie hatten eben getankt und wortlos hatte der Jüngere Ignis eine Dose mit Ebony Kaffee hingehalten. Er fuhr inzwischen wirklich deutlich besser, auch wenn Ignis natürlich nicht viel von ihrer Umwelt oder dem Straßenverkehr um sie herum mitbekam. „Willst du denn, dass es jemals aufhört?“, war die leise Antwort, auf die es keine Erwiderung mehr gab. Sie erreichten Lucis am frühen Abend und stellten den Wagen innerhalb der Stadtmauern ab. Die Straßen waren fremd geworden, die Menschen beachteten sie kaum, zu beschäftigt mit ihrem alltäglichen Leben und dem Wiederaufbau. Auf dem Platz vor dem Palast, wo sie einst zurückgeblieben waren, stand inzwischen eine Statur, ein in Stein gemeißeltes Bildnis, das auf ewig einen dreißig Jahre alten Noctis zeigen würde, den doch niemand so gekannt hatte, wie sie es taten. Prompto sah die Figur schweigend an, während Ignis den Stein berührte und doch nichts fühlte als eisige Leere in seiner Brust. „Ist es… ist es bescheuert, wenn ich eine Kerze für ihn anzünden möchte?“, fragte der Fotograf dann leise. Um den Sockel der Statur waren Blumen und Lichter verteilt worden; ein wortloser Dank für einen Helden, dessen Geschichte wieder und wieder erzählt wurde und sich immer mehr von der Wahrheit entfernte. „Nicht hier, aber irgendwo Besonderes. Irgendwo, wo er sie vielleicht sehen kann.“ Ein tröstlicher Gedanke für den Jungen, der wohl einst der beste Freund des Prinzen gewesen war: Dass dieser noch immer über sie wachte, dort wo er nun war. Ob Ignis dieses Gefühl teilte, war egal, denn in diesem Moment wurde ihm etwas klar und so griff er Promptos Hand, ließ ihn an einem kleinen Stand eine Kerze und einen Papierlampion kaufen und führte ihn dann ohne viele Worte durch die Dämmerung hinaus aus der Stadt zu jenem Ort, an dem sie einst über Lucis geblickt hatten, als sie vom Tod des Königs erfahren hatten. Und noch bevor Prompto ihn sah, spürte Ignis ihn. „Ich wusste, dass du hier sein würdest“, begrüßte er den Mann, der dort am Abhang stand, das dunkle Haar lang und im Nacken zusammengebunden, der Bart unrasiert und die Kleider schmutzig von der langen Zeit unter freiem Himmel. Das konnte Ignis natürlich nicht sehen, aber er brauchte es auch gar nicht, konnte es erahnen und mit anderen Sinnen wahrnehmen. „Du hättest dich melden können.“ Gladio antwortete nicht und auch Prompto blieb still, während sie beide an seine Seite traten. Dann entzündete der Jüngste der drei – inzwischen auch schon über dreißig Jahre alt – die Kerze und platzierte sie in dem Papiergefäß, das durch die warme Luft im Innern bald nach oben getragen worden wäre, wenn Prompto es nicht noch gehalten hätte. Er griff zuerst nach Gladios, dann nach Ignis Hand, bis alle drei die Laterne gemeinsam hielten. Für einen Moment schien es, als würde er noch etwas sagen wollen, doch dann schien er genauso wie seine Freunde, seine Gedanken lieber lautlos dem Licht mitzugeben, das, als sie es losließen, allein zum Himmel aufstieg. Einige Jahre später sollte die Nacht dieses Tages von Lichtern dieser Art erleuchtet werden, doch an diesem ersten Jahrestag stieg die Kerze allein zum Himmel empor, für einen Moment ein leuchtender Punkt auf den zerstörten Stäbchen hinter Ignis‘ Augenlidern. Noch immer schweigend senkten sich ihre Hände und nur für einen winzigen Moment streiften seine Finger Gladios, bevor sie ohne ein Wort ineinanderglitten. Vielleicht spürte Prompto, dass die beiden einen Moment bräuchten, dass er ihnen Raum geben musste, denn er holte seine Kamera heraus, um ein Stück entfernt, Bilder von den Lichtern der Stadt und dem Licht am Himmel zu machen, und so blieben die beiden anderen allein an der Klippe zurück. „Ich weiß nicht, wohin mit mir“, offenbarte der Krieger, erstaunlich schwach und ohne, dass zuvor etwas gesagt worden wäre. „Ich hatte immer eine Aufgabe, etwas, was ich beschützen konnte, ein Erbe, das ich antreten musste. Jetzt ist nichts davon mehr übrig.“ Ignis sagte nichts, spürte, dass noch mehr auf der Seele des Ältesten ihrer Gruppe lag. „Du kannst kochen, Prompto hat seine Fotos und die Chocobos, aber ich habe immer nur gekämpft. Wohin soll ich gehen, jetzt, wo Frieden herrscht? Niemand braucht mich mehr.“ Ignis hob die Hand, die nicht mit Gladios Fingern verwoben war, an seine Wange empor, spürte die rauen Bartstoppeln an dem breiten Kiefer und tastete mit seinem Daumen nach den vom Wetter geprägten Lippen. „Ich brauche dich“, flüsterte er, seine Lippen bereits beinahe gegen Gladios Mund gepresst, und konnte in diesem Moment nicht einmal wütend darüber sein, dass der Krieger ihnen allen Sorgen bereitet hatte; dass er ihn erneut ewig hatte warten lassen; dass erneut er sich nehmen musste, was er wollte. Er war nur froh, wenn sie sich dieses Mal nicht wieder aus den Augen verlieren würden. Gladios Lippen schmeckten nach wilden Zwiebeln und Salz unter seinen eigenen und für einen Moment waren sie sich einfach nur nahe, bevor er sich wieder löste. „Es ist schwer, selbst das Fleisch für meine Gerichte zu jagen und ich kenne niemanden, der so geschickt darin ist, das meiste aus einem einzigen Tier herauszuholen wie dich“, bot er ihm dann eine Aufgabe an. „Und ich bin mir sicher, dass Iris dich gerne wiedersehen würde.“ Und dann spielte ein Grinsen in seiner Stimme mit. „Zumindest, wenn du dich vorher rasierst und dich wieder mit dieser Erfindung namens Seife bekannt machst.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)