Blutleer von JiskahRedHood ================================================================================ Kapitel 1: ----------- 1. Kapitel Feine Schweißperlen flogen durch die Luft, mischten sich mit Blut. Immer und immer wieder schlug die breite Klinge auf den Knochen der Halswirbelsäule. Wieso hatte man auch ausgerechnet den Kopf verlangt? Hätte es nicht eine Klaue oder ein Ohr ebenso getan? Nein, es musste der Kopf sein. Woher aber sollten diese Tölpel auch wissen dass die Knochen eines Langschwanzbären fast so hart wie Stein waren? Knochensplitter sausten an seinem Gesicht vorbei, ein lautes Knacken verkündete endlich das Nachgeben der Wirbelsäule. Schwer atmend stand der Waidmann neben der riesigen Bestie, selbst auf der Seite liegend ging ihm der Körper noch bis zur Schläfe. Der Bär tat ihm leid, auf Nahrungssuche trieb ihn wohl sein leerer Magen in diese Gegend. Leid taten ihm aber auch die Kinder, welche seinen Hunger gestillt hatten. Fisk sammelte seinen Hut wieder ein, welchen er in dem Kampf verloren hatte, und blickte sich ein letztes Mal in der Höhle um damit nichts vergessen wurde. Zuvor hatte er schon den Bären beobachtet und einen Blick in die Höhle geworfen. Zweifellos war er allein, hatte keine Jungtiere, dann nämlich hätte er sich eine andere Lösung einfallen lassen müssen. Wahrscheinlich eine ohne Bezahlung da sein Auftraggeber explizit den Kopf als Beweis verlangte. Sei es drum, es war erledigt. Der Waidmann schob den Zweihänder wieder zurück in die Scheide auf seinem Rücken und packte den Bärenkopf an einem der Ohren. In Erwartung an blendendes Licht kniff er die Augen etwas zusammen, doch lediglich die Strahlen der untergehenden Sonne begrüßten ihn. Für einen Moment verharrte er still. Zwitschernde Vögel sangen ihr Lied in den Wipfeln der Nadelbäume. Von hoch oben überblickte er den Wald, welcher sich den Berg hinunter vor ihm erstreckte. Fern war der Sommer nicht mehr, warm und lang waren die Tage bereits. Eine Windbö trug einen herrlichen Duft heran. Gräser, Blumen, Salz des nahen Meeres. Fisk nieste laut, Vögel flatterten erschrocken davon. Noch einen Augenblick lang betrachtete er die Baumkronen unter sich und das endlose Meer welches sich dahinter erstreckte. Kleine Rauchwolken stiegen aus schmalen Schornsteinen des Fischerdorfs Berl auf. Einige der Dächer konnte er durch die Bäume hindurch erkennen. Wenige Minuten noch, dann würde die untergehende Sonne den Horizont küssen und im Meer verschwinden. Zwei Monde zeichneten sich schon deutlich am Himmel ab. Der Dritte würde später dazu kommen. Veldig trottete seinem Herren langsam entgegen und schnupperte an dem Kopf des Bären. „Vergiss es, sein Fleisch ist ungenießbar. Die Erfahrung haben wir vor Jahren schon gemacht.“ Nachdem er die Trophäe an dem Sattel befestigt hatte, schwang er sich selbst hinein und begann den Ritt hinab in das Tal. Berl erreichte er bei Einbruch der Nacht, brave Bürger lagen bereits in ihren Betten, alle restlichen befanden sich in der kleinen Spielunke in Hafennähe. Schon von weitem konnte er laute Stimmen hören welche das Rauschen des Meeres fast übertönten. Schwungvoll stieß er mit einem Fuß die Holztür auf, sogleich verstummte Jedermann. Augenpaare musterten den von oben bis unten blutbespritzten Waidmann in seiner dunklen Kleidung. Selbst in seinen blonden Bartstoppeln klebten rote Verkrustungen. „Bei dem dicken Bauch meiner Mutter, nun sieh sich einer dieses riesige Maul an!“ Laut schlug der Wirt mit der Faust auf seinen Tresen und eilte um die Theke herum. Auch einige andere Schaulustige versammelten sich um den Waidmann und dessen Beute. Das meiste Interesse zeigte ein gebräunter schlaksiger Mann mit kurzem grauen Haar. Dessen blaue Augen blickten fast ehrfürchtig auf den Kopf des Tieres. „Ihr habt es tatsächlich geschafft Nebeljäger. Eurem Ruf werdet Ihr wirklich gerecht.“ Fisk streckte die Hand aus, mit der Innenfläche nach oben. Sofort kramte der schlaksige Mann einen Beutel hervor und legte ihn hinein. Schweigend steckte Fisk den Beutel weg und überreichte ihm die Trophäe. Fast hätte sie den Mann zu Boden gerissen, trotzt dass er sie mit beiden Händen entgegen nahm. „Wie schwer er ist. Wirt! Was haltet Ihr davon wenn wir dieses Biest ausstopfen und an die Wand hier hängen?“ Bitter verzog dieser das Gesicht und blickte in die Gesichter seiner Gäste. „Besser nicht, Einige möchten lieber vergessen was dieses Vieh hier für einen Schaden angerichtet hat.“ Während noch herum diskutiert wurde, wandte der Waidmann sich ab und wollte gerade die Spielunke verlassen als der Wirt ihm hinterher rief dass er doch noch auf ein Bier bleiben solle. Ablehnend hob Fisk die Hand und antwortete dass morgen ein langer Tag werden würde, und er von dem Kampf aussah, als hätte er ein Bad in Blut genommen. Ihm stand der Kopf nach einem Bottich mit Wasser. „Ach redet kein Seemannsgarn. Das Bier geht auf´s Haus.“ „Geht auch Rum?“ Etwas verwundert hob der Wirt eine Braue und zuckte mit den Schultern. „Sicherlich.“ Schon im nächsten Augenblick hatte der Waidmann seinen Hut abgenommen und sich einen Platz an dem kleinen Tresen gesucht. Wenn ihm auch der Sinn nach etwas Ruhe stand, konnte er den Einwohnern ihren Wunsch nicht abschlagen und berichtete an diesem späten Abend lange von dem Kampf mit dem Langschwanzbären. Noch vor den ersten Strahlen der Sonne klopfte es an der klapprigen Scheunentür. Stöhnend, mitsamt pochendem Schädel, drückte sich Fisk von seinem kleinen Lager hoch. Zusammen mit Veldig hatte er es sich im Heu gemütlich gemacht um sich vor der noch anhaltenden Kälte der Nacht zu schützen. Gästebetten oder gar ein Gasthaus besaß der kleine Fischerort nicht, doch schon solch eine Scheune bedeutete einen gewissen Luxus für den Jäger. Meist schlief er unter dem Himmelszelt. „Steht auf! Gleich geht es los.“ Fluchend wurden die müden Knochen gestreckt. Früh aufzustehen war nun wirklich keine Freude. Lange brauchte der Waidmann nicht, schon hatte er sein ganzes Hab und Gut auf dem Sattel verstaut. Zusammen trotteten sie die wenigen Schritte hinunter zu dem kleinen Bootssteg. Einer der Fischer wartete schon auf ihn. Man konnte spüren dass sowohl dem Fischer als auch Veldig nicht ganz wohl zumute war. Der Hyna wusste schon was sein Herr mit ihm vor hatte. Wenn diese Schaluppe auch das größte Boot in ganz Berl war, würde es ein Abenteuer werden Veldig sicher darauf zu verstauen. „Wie lange wird die Überfahrt dauern?“ „Mit dieser Ladung vermutlich zwei Stunden.“ Ausreichend beschloss Fisk. Ungenügend stand in Veldigs dunklen Augen. Mit einem kleinen Nickerchen verstrich die Zeit wie im Fluge, als Fisk am Ende den Fischer für seinen Dienst bezahlen wollte, winkte dieser überraschend ab. „Ihr habt die Bestie getötet die meinen Neffen gefressen hat. Seht es als persönlichen Dank von mir an.“ Nach einer kurzen Verabschiedung ruderte der Mann wieder fort. Zurück blieb der Waidmann in einem Gewimmel aus Menschen. Die Sonne war vorhin aufgegangen und die Fischer der Stadt Dornburg machten sich an die Arbeit um in See stechen zu können. Überall wurde gearbeitet, geschrien und Lehrjungen verdroschen. Unangenehme Gerüche waren allgegenwärtig. Sogar die ersten Huren standen schon parat für die bald eintreffenden Seefahrer. Eilig durchschritt Fisk mit langen Schritten das bunte Treiben, Veldig folgte ihm auf den Fuß. Da er schon ein paar Mal in Dornburg gewesen war, wusste er welches Schiff für ihn infrage kam. Faulige Zahnstummel entblößte der Kapitän als er den Nebeljäger erblickte. „Aye! Lange nicht gesehen. Was macht das Geschäft?“ „Mehr schlecht denn recht. Scheinbar trauen sich die Ungeheuer nicht mehr so nah an die Siedlungen heran oder wir haben schon zu viele von ihnen ausgerottet.“ Natürlich entsprachen die Worte nicht ganz der Wahrheit, aber der Kapitän war ein Schlitzohr. Würde er den armen Mann spielen, musste er nicht all zu viele Silbertaler auf den Tisch legen. Wenn auch flüchtig, man kannte sich eben. Lachend schlug der Kapitän ihm auf die Schulter. Schnell kamen sie ins Geschäft. Nachdem Fisk eine kleine Koje bekommen hatte, in welcher er sich nun kaum mehr bewegen konnte da Veldig dort auch seinen Platz gefunden hatte, ging er nochmals an Deck. Die Unterarme auf die Reling gestützt, den Blick auf das Treiben des Hafens gerichtet und dem Wind im blonden Haar, ließ er sich die frische Brise des Meeres um die Nase wehen. Friedlich schaukelte das Schiff vor sich hin. Mit gewohnten Handgriffen ging die Mannschaft ihren Aufgaben nach. So selten waren diese Augenblicke des Nichtstuns. Zwei Tage lang würde die Überfahrt dauern. Zwei Tage an denen er endlich Schlaf nachholen und sich abends ohne Gewissensbisse einer Flasche Rum hingeben konnte. Herrlich. Schritte drangen an seine Ohren, mit einem kleinen Paket wedelnd schlenderte der Steuermann auf ihn zu. „Da seid Ihr ja. Hier. Dies sollte ich Euch überreichen.“ „Von wem?“ Fragend schoss eine Braue des Jägers in die Höhe während ihm das Bündel überreicht wurde. Braunes Papier umwickelt mit einer Kordel schützte den Inhalt. Schwer war es nicht, sogar sehr leicht. „Keine Ahnung. Als wir ablegten drückte es ein schmächtiger Bursche unserem Lehrling in die Hand.“ Skeptisch löste Fisk die Kordel, anschließend riss er ungeduldig das Papier auseinander. Offenbart wurde eine kleine Holzbox, verschlossen durch einen simplen Riegel. Mit dem Rücken an die Reling gelehnt, öffnete der Waidmann sie und klappte den Deckel nach oben. In der Magengrube des Steuermanns bildete sich ein ungutes Gefühl als sein Gegenüber sichtlich erbleichte während er den Inhalt anstarrte. Fisk zog ein kleines Zettelchen aus der Box und schloss sie, als der neugierige Überbringer einen Blick hineinzuwerfen versuchte. „Ein schmächtiger Bursche sagtet Ihr? Konnte Euer Lehrling den Fremden beschreiben?“ „Nein, ich habe ihn extra gefragt da ich es doch sehr komisch fand dass für Euch ein Paket abgegeben wurde. Ich meine, Ihr ward nicht angekündigt, woher hätte jemand anders wissen können dass Ihr heute mit uns in See stecht.“ „Gut kombiniert.“ Noch eine Spur fahler wurde Fisks gebräuntes Gesicht als er die Zeilen auf dem Zettelchen überflog. Er drehte dem Steuermann den Rücken zu und verfiel in Schweigen. „In Ordnung. Wenn Ihr noch etwas braucht, meldet Euch einfach.“ Noch einen Moment starrte er auf den Rücken des Waidmanns, keine Worte, keine Regung, kein Dank für die Überbringung. Auch gut. Es gab Dinge in welche man sich einfach nicht einmischte. Der Steuermann beschloss dass dies eines dieser Dinge war und ging wieder zurück an die Arbeit. Mit zittrigen Händen umklammerte Fisk die kleine Holzbox. Schwungvoll holte er aus, war schon im Begriff dieses teuflische Ding über Bord zu werfen, in letzter Sekunde aber wurde das Vorhaben abgebrochen. Zwischen gebleckten Zähnen drang ein Fluch hervor. Eilig niedergeschriebene Worte mit schwarzer Tinte echoten in seinem Geist wieder. Ein Leben. Jeden Tag. Meine Versprechen sind mir heilig Jäger. Geschunden, langsam fast zu Tode gequält liegen sie da, starren unentwegt in den Himmel, weil es nichts mehr gibt womit sie ihre Augen schließen können. Letztlich hacken sie die Krähen aus, zu erschöpft um sich zu wehren. Tot? Nein. Noch nicht. Bald. Niemand da der sie finden würde. Hoffentlich gefällt dir mein Geschenk. A. Im Inneren der kleinen Holzbox befanden sich zehn getrocknete Stückchen Haut. Halbmondförmig, am Ende ein feiner Kranz dünner Haare. Aroir hatte diesen Frauen die Augenlider abgeschnitten und sie ihm zukommen lassen. Fisk schmeckte Blut als er sich auf die Lippe biss. Langsam sanken die zitternden Hände wieder hinab. Den Blick weiterhin auf das Meer, den sich entfernenden Hafen von Dornburg gerichtet, steckte der Waidmann die Box in die Innentasche seines Mantels. Dafür würde Arior büßen. Hundertfach. Nein, tausendfach. Fünf lange Tage schipperte das Schiff über die unruhige See. Eigentlich liebte der Waidmann die Schifffahrt, es hatte etwas erholsames. Sanfte Wellen die einen fortan hin und her wogen, klare Luft, Salz auf den Lippen. Zerzaustes Haar von der frischen Meeresbrise. Weit fort von jedem Auftrag. Am aller liebsten hätte an Deck gelegen und sich die Haut von der Sonne küssen lassen. Die Augen geschlossen konnte er so den gesamten Tag verbringen. Nicht so bei dieser Seefahrt. Warm schien die Sonne am blauen Himmel, Fisk aber sah sie nicht einmal da er seine gesamte Zeit unter Deck verbracht hatte. Keine Stimmen, keine Unterhaltungen, einfach nur Ruhe. In Ruhe auf der dünnen Matratze hocken, den Rücken an Veldig gelehnt und auf das Kästchen starren. Immer wieder öffnete er es um einen Blick auf die Augenlider zu werfen. Wieso? Einziges Ergebnis war das abgekühlte Blut neuerlich zum kochen zu bringen. Antworten aber würde er so nicht erhalten. In Gedanken versunken knabberte Fisk an seiner Unterlippe und zog mit den Zähnen trockene Hautschüppchen ab, bis der Geschmack von Blut ihm Ekel bereitete. Wohin genau die Gedanken des Waidmanns trieben, konnte man nur ahnen. Vielleicht überlegte er schon was er mit Arior anstellen würde. Wenn es doch nur einen kleinen Hinweis gegeben hätte. Nichts. Absolut nichts. Fisk tappte im Dunkeln. Um Arior in die Finger zu bekommen, musste er sich Hilfe holen. Eines der wachsamen Augen, welche überall in der Welt verstreut umher streiften mussten doch etwas gesehen haben. Ein Klopfen riss Fisk jäh aus seinen Gedanken. Leise drang die Stimme des Steuermanns durch die Tür ohne dass sie geöffnet wurde. „In einer Stunde legen wir an.“ „Danke.“ Langsam erhob sich der Waidmann, rieb sich die steifen Glieder und streckte sich halbherzig bevor es daran ging, die Tasche zu packen. Viel hatte er für das Herumsitzen nicht gebraucht. An Deck riss der Wind den Staub von seiner Kleidung, zerzauste das blonde Haar und blies die Partikel der Dunkelheit hinfort. Grelles Sonnenlicht zwang ihn dazu seine Augen etwas zusammen zu kneifen. Es tat gut die Lungen mit frischer Luft zu füllen. Was tot war, blieb tot, es war nicht mehr zu ändern. Seine Aufmerksamkeit musste er auf die Lebenden lenken. Auf jene die er noch retten konnte. Dicht trat er an die Reling und blickte der nahen Stadt Althafen entgegen. Ein großer, prächtiger Platz an dem sich der Waidmann immer gern ein Zimmer genommen hatte. Dieses Mal aber zog er weiter ohne Rast einzulegen. Lediglich die Vorräte füllte er auf. Verlockend lag der Duft verschiedener Speisen in der Luft die der Wind vom Markt heran trug. Über den Himmel zogen schneeweiße Kraniche. Jede noch so schmale Gasse in Althafen war sauber, es stank nirgendwo nach Müll, Urin oder anderem Unrat. Kinder rannten lachend im Spiel umher. Fast wie eine perfekte Welt. Hier war der Umschlagpunkt verschiedener Völker. Elfen standen neben Menschen, plauderten mit weit angereisten Aktar, sogar eine Janama konnte er unter den Besuchern der Handelsstraße entdecken. Über die Köpfe hinweg ragten die Hörner eines Drachen empor, natürlich nicht in seiner ursprünglichen Form, unter Menschen, wenn sie denn unter Menschen wandelten, nahmen sie eine humanoide Gestalt an. Nur die Hörner auf seinem Kopf, die schmalen Pupillen und der lange Schwanz am unteren Rücken verrieten seine wahre Herkunft. Dafür liebte er Althafen. Ein Ort, Jahrtausende auf dem Buckel und von Dekade zu Dekade immer schöner werdend. Hier war die Welt zuhause. Doch wohnen tat kaum jemand in dieser Stadt, außer den Händlern und Arbeitern. Diese Stadt lebte für den Handel, das Vergnügen und die Vielfältigkeit des Lebens. Die bunte Seite der Welt, welche sie sich alle zusammen teilten. Nur wer keinen Groll gegen andere Volksgruppen hegte, war willkommen. Hinter den Toren von Althafen waren alle gleich. Frieden in dieser Form konnte nur mithilfe strenger Gesetze gewahrt werden. Harte Strafen, bei einem Verstoß gegen diese Gesetze, wurden sofort vollstreckt. Unsichtbar und doch immer präsent lauerten die Augen der herrschenden Magier schier überall. Wer eine Dummheit begehen wollte, suchte sich besser einen anderen Platz dafür aus. In den Rinnsalen Althafens floss kein Blut. Erstes und wichtigstes Gesetz. Niemals hatte er eine schönere Form einer Scheinwelt gesehen, obendrein funktionierte es. Rasch sah er zu diese Stadt hinter sich zu lassen, auch wenn er sich diesem Glanz und dem Vergnügen gern einmal wieder hin gegeben hätte, nun war nicht der passende Augenblick dafür. Sechs weitere Tage auf Veldigs Rücken lagen vor dem Waidmann. Ohne lange Rast musste es gelingen. Müdigkeit und Erschöpfung waren durch Mark und Bein gekrochen, hatten sich festgesaugt wie ein lästiger Parasit den man nicht mehr los bekam. Weite Ebenen, dichte Wälder und ein Sumpf lagen hinter ihm, nun war seine lange Reise zu einem Ende gekommen. Vorerst. Alte knorrige Bäume, deren Rinde mit Moos bewachsen waren, gaben ihm letztes Geleit auf dem Pfad nach Waidmannsheil. Eine ruhige Stadt die winzig klein wirkte im Gegensatz zu der glanzvollen Erhabenheit von Althafen. Waidmannsheil war der Inbegriff von Gemütlichkeit. Hier und da streiften Reisende dieses Idyll, mit seinen kleinen, aus Stein errichteten, Häusern. Rauch kräuselte sich aus dem Schornstein der Goldschmiede in die Höhe. Neben dem großen Gasthaus ein weiterer Anlaufpunkt für Besucher der Stadt. Der Schmied verstand sein Handwerk wie sonst keiner und fertige Schmuckstücke der besonderen Art. Waidmannsheil lag direkt an den Ufern des riesigen Schluchsees. Er war von solch immenser Größe, dass man nicht bis an das Gegenüberliegende Ufer schauen konnte. Im Osten streckte sich ein Gebirgszug in die Höhe, dessen Spitzen immerzu mit einer weißen Krone versehen waren. Saftig grüne Weidegründe umschlossen die Stadt von allen Seiten. Obstbäume verteilten sich auf der Fläche und im Westen befand sich ein Wald durch den man tagelang reiten konnte ohne an dessen Ende zu gelangen. Fisk liebte diese Stadt, liebte die weite Ferne welche zu allen Seiten präsent war. Ein müdes Lächeln umspielte seine Lippen als er die breite Hauptstraße passierte. Aus dem Augenwinkel sah er auf die glatte Oberfläche des Schluchsees. Wenn auch das andere Ufer nicht zu sehen war, gab es dennoch etwas das einem direkt ins Auge stach. Der Schatten einer breiten Insel malte sich am Horizont ab. Die Insel der Jäger. Im Auge des Schluchsees gelegen, gewährte sie niemandem Zutritt. Niemandem außer den Nebeljägern. Fisk lenkte Veldig nicht sofort an das Ufer des Sees um eine Überfahrt zu erbitten, zuvor stattete er einer ganz besonderen Gaststube einen Besuch ab. Ganz am westlichen Ende lag Das glückliche Ferkel, umringt mit einem Zaun welchen längst Efeu für sich eingenommen hatte. Draußen standen einige Tische und Stühle, doch die Luft war noch zu frisch sodass die warme Stube etwas verlockender war. Hinter dem Gebäude lag ein großer Garten mit Gemüse und Kräutern aller Art. Neben der Eingangstür stand ein großer Bottich mit frischem Wasser wo er Veldig eine Pause gönnte. An den zwei kleinen Stufen streifte er sich bestmöglich den Dreck von den Stiefeln und trat hinein. Die Tür stand offen. Im Inneren der Stube warteten verwinkelte, gemütliche Sitzecken mit Fenstern die zum größten Teil hinaus in den Garten zeigten. Der Duft von Gewürzen lag in der Luft, mischte sich mit den Geräuschen aus der Küche. Jemand hackte auf ein Brett ein, hielt in seinem Tun aber inne als er die Schritte des Waidmanns vernahm. Aus der Tür zur Küche schaute der Kopf eines Mannes hervor. Das schwarze Haar trug er kurz und sein Kinn war mit einem dichten, aber nicht sehr langen Bart bedeckt. Eine Reihe weißer Zähne blitzte auf als er grinste. „Hast du dich verirrt?“ „Könnte sein, wie ich sehe steht noch immer kein Fleisch auf der Speisekarte.“ Fisk erwiderte das Grinsen und nahm an der Theke aus bunten Mosaiksteinchen Platz, seinen Hut legte er neben sich ab und wuschelte sich flüchtig durch das Haar. Ohne zu Fragen mischte der Schwarzhaarige in einem großen Glas eine ordentliche Portion Rum und ein wenig dunkelbraunen Sirup, welchen er selbst aus Süßrüben herstellte, die in seinem Garten wuchsen. „Eigentlich hatte ich noch nicht vor was zu trinken, es ist erst Mittag.“ Der Wirt stellte ihm kommentarlos das Glas hin und sein Gast nahm einen Schluck. Erst dann reichten beide sich freundschaftlich die Hand und klopften sich über den Tresen hinweg auf die Schultern. „Etele altes Haus, wie geht es dir?“ Etele schürzte kurz die Lippen und schenkte sich selbst ebenfalls etwas von der Mischung in ein Glas ein um mit seinem Gast anzustoßen. „Kann nicht klagen. Wie immer ist unsere Stube nicht überlaufen, aber wir können ganz gut damit leben.“ Anfangs hatte Fisk Etele belächelt als dieser mit der absurden Idee um die Ecke kam, eine Gaststube zu eröffnen in der kein Fleisch serviert wurde. Etele und seine Frau liebten Tiere über alles und konnten ihnen kein Haar krümmen. Eteles Leidenschaft war das kochen, und sogar Fisk musste sich eingestehen dass seine Gerichte köstlich waren. Wenn er selbst auch der Ansicht war, ein Mahl ohne Fleisch sei kein richtiges Mahl. „Nun erzähl mal lieber wie es dir ergangen ist, es muss fast ein Jahr her sein dass ich dich das letzte Mal zu Gesicht bekommen habe.“ „Ach, das Übliche. Hier und da ein Bruch, Prellungen, Schnittverletzungen, Beschimpfungen, Verwünschungen.“ Dass er vor kurzem einen Langschwanzbären erlegt hatte, verschwieg er lieber, auf so etwas war Etele nämlich nicht sehr gut zu sprechen. „Ist wieder eine Versammlung im Gange, was? In den letzten Tagen sind einige Jäger eingetroffen.“ Die blauen Augen des Waidmanns ruhten auf seinem dunklen Getränk, ein Nicken blieb seine einzige Antwort. „Ich werde dir mal was zu essen machen, du siehst ziemlich scheiße aus.“ Die Freunde lachten und lockten eine Frau ins Haus. Rotblonde Locken umspielten ihr rundes Gesicht. „Thomas! Welch seltener Besuch!“ Nach einem kurzen Plausch und dem Austausch von Freundlichkeiten mit Anne, Eteles Frau, zückte Fisk das dunkle Lederbuch, welches er an seinem breiten Gürtel befestigt hatte. Einen Moment lang musste er durch die vergilbten Seiten blättern bis er einen lose hineingesteckten Zettel gefunden hatte. Flüchtig warf er nochmals einen Blick auf das Papier, dann schob er es Anne über den Tresen. „Ein kleiner Auftrag für dich. Würde mich freuen wenn du Zeit dafür finden könntest damit ich meine Vorräte wieder auffüllen kann.“ Selbstverständlich wurde ihm sein Wunsch nicht abgeschlagen und sie machte sich in ihrem eigenen kleinen Laden an die Arbeit. Sie verkaufte dort allerlei Kräutermixturen, Tees, Tränke und ein wenig Edelsteinschmuck. Natürlich selbst hergestellt. Die Beiden versorgten sich in jeglicher Hinsicht selbst. Ihr großer Garten gab ihnen alles was sie brauchten. Nachdem Fisk sich den Magen mit einer Gemüsepfanne und Kräuterquark vollgeschlagen hatte, machte er sich wieder bereit für den Aufbruch. Wie gern hätte er mal wieder einen Abend bei den Beiden verbracht, bis tief in die Nacht geplaudert, gegessen und getrunken. Aber ihm mangelte es an Zeit. Noch einen Blick warf er über die Schulter, bis das grüne Anwesen des Glücklichen Ferkels hinter der nächsten Hausecke verschwand. Am Ufer des Schluchsees trottete Veldig langsam auf den Steg. Das alte Holz knarzte leise, machte aber einen stabilen Eindruck. Tief holte Fisk Luft und blies in sein Jagdhorn hinein. Ein dunkler Ton hallte von dem fernen Gebirge wieder. Geschmeidig stieg der Waidmann von dem Rücken seines Reittieres und streichelte durch dessen beigefarbenes Fell. Ohne einen Blick über seine Schulter werfen zu müssen, war ihm bewusst wie viele Bewohner nun an ihren Fenstern klebten. Niemand war der Insel der Jäger so nah wie sie, dennoch blieb dieser Ort für alle auf ewig unerreichbar. Daher war es immer ein besonderes Erlebnis wenn ein Jäger abgeholt wurde. Wenn man etwas Interessantes direkt vor der Nase hatte, aber keine Vorstellung davon welches Geheimnis sich dahinter verbarg, schürte es die innere Unruhe seinen Wissensdurst zu stillen um so mehr. Lange musste Fisk nicht in die Ferne blicken, da malte sich schon eine Silhouette an dem Schemen der Insel ab. Minute um Minute verstrich bevor das breite Boot aus dunklem Holz die Anlegestelle erreichte. Mit einem Hut auf dem Haupt, dessen Krempe noch breiter war als die Schultern, stieß der dünne Fährmann seinen Riemen in den Grund um das Boot zu bremsen. Gefährlich bog sich dabei der Schaft, brach aber nicht unter der Last. Nachdem der Fährmann, gekleidet in einen schmucklosen grauen Mantel, welcher ihm bis zu den Knien reichte, das Boot so gedreht hatte dass Veldig ohne Probleme hinein steigen konnte, begrüßte ihn Fisk freundlich. Wie immer erhielt er keine Antwort, der alte Mann sah nicht einmal unter seiner breiten Hutkrempe auf, als wäre ihm seine Aufgabe lästig und der Jäger nur eine nervige Fliege. Es störte Fisk nicht sonderlich, mit der Zeit gewöhnte man sich an so ziemlich alles. Geschickt stieg auch der Waidmann in das Boot. Kaum dass er Platz genommen hatte, stieß der Fährmann sie auch schon wieder ab und ruderte los. Mit festem Stand ließ er den Riemen immer wieder durch das klare, seichte Wasser gleiten. Mal zu seiner Rechten, dann wieder zu seiner Linken. Von unten warf Fisk einen Blick in das Gesicht des Fährmanns, bis zum heutigen Tag hatte er nicht einmal dessen Namen erfahren. Gebräunte ledrige Haut zeichnete sein eingefallenes Gesicht, die blauen Augen aber waren klar und zeugten von einem wachen Geist. Er beachtete seinen Passagier gar nicht und ruderte immer weiter über den Schluchsee. Waidmannsheil wurde langsam immer kleiner und kleiner, Fisks Blick haftete so lange auf dem Festland, bis die Überfahrt bewältigt war. Trotz dass der Fährmann wirkte, als würde er jeden Moment den Hungertod sterben, strotzten dessen Arme vor Energie. Ohne auch nur einmal innehalten zu müssen brachte er das Boot Zug um Zug an sein Ziel. Auf der Insel der Nebeljäger gab es keinen Steg, der Rumpf setzte auf dem hellen Sand auf. Geduldig wartete der Fährmann bis der massive Hyna zusammen mit seinem Reiter an Land gegangen war, dann erst ging auch er von Bord und zog das Boot mit kraftvollen Rucken weiter aus dem Wasser hinaus. Wortlos wandte er sich ab und steuerte seine kleine Hüte an. Für heute war Feierabend. Fisk stieg wieder auf Veldigs Rücken und hielt auf den breiten Hauptweg zu. Hinter dem kurzen Strand führte der Pfad rasch in dichtes Unterholz. Überall lag das Geschnatter verschiedenster Vögel in der Luft. Aus der Ferne drang vertrauter Lärm an seine Ohren. Ohne Zweifel schroff gebrüllte Befehle der Ausbilder an die jungen Jäger. Hier und da besuchte er das Ausbildungslager auf seiner Durchreise, heute aber fehlte es ihm an Zeit. So blieb er weiter auf dem Hauptpfad, welcher geradeaus einmal Quer über die Insel verlief. Ziemlich genau in der Mitte der Insel gab es einen weiteren See. Den Bruchsee. Auch in dessen Zentrum befand sich eine Insel. Abgeschottet auf einer abgeschotteten Insel. Man nannte sie nur Das Auge. Hier hatten nur die wahren Nebeljäger Zutritt. Es dauerte fast zwei gesamte Stunden strammen Ritts bis Fisk sein Ziel erreicht hatte. Niemand hatte seinen Weg gekreuzt, die Geräusche des Ausbildungslagers verstummten. Lange schon hatte er den dichten Wald hinter sich gelassen. Die saftig grünen Wiesen zu beiden Seiten waren von unzähligen Wildblumen überseht. Es könnte das Paradies auf Erden sein. Könnte. War man nicht eben das was man war, wenn man das Privileg besaß diese Insel besuchen zu dürfen. Seufzend tadelte sich Fisk selbst, es könnte durchaus schlimmer sein. Die Insel der Jäger war weit mehr als ein abgeschottetes Trainingslager. Hier durften die Jäger, wenn sie denn wollten, ihre Pausen verbringen. Wohl verdiente freie Tage. Der einzige Beruf auf ganz Dravasuum der diesen Luxus besaß. Sollte man die Wahl des Schicksals denn als Beruf bezeichnen dürfen. Fisk erreichte das Ufer des Bruchsees, der um ein vielfaches kleiner war als der Schluchsee, dennoch konnte man ihn nicht eben als klein bezeichnen. Wollte man an dessen Ufern spazieren gehen, dauerte eine gesamte Umrundung bei strammen Gang, einen gesamten Tag. Veldig betrat ohne zu zögern die massive Holzbrücke. All zu breit war sie nicht, gerade mal zwei Reiter passten nebeneinander. Geradewegs führte sie auf Das Auge. Diese Insel war verbotenes Land für die Nebeljäger in Ausbildung. Nur jemand der seinem Namen bereits alle Ehre bereitet, und die Abschlussprüfung erfolgreich absolviert hatte, durfte einen Fuß auf dieses Idyll setzen. Wachen brauchte man zur Einhaltung dieser Regel nicht. Wer keinen Zutritt hatte, gelangte nicht auf die Insel. Selbstverständlich hatten die Jugendlichen es immer wieder in der Vergangenheit versucht. Es war ihnen möglich die Brücke zu betreten, sie konnten auch stundenlang auf dieser marschieren, kamen aber letztlich niemals ans Ziel. Das andere Ufer kam nicht näher und wenn sie sich herum drehten, fanden sie sich direkt am Anfang der Brücke wieder. Genauso verhielt es sich auch, versuchte man Das Auge schwimmend zu erreichen. Fisk aber passierte die Brücke ohne Mühe. Im Osten lag die bewaldete Fläche der Insel, im Westen hingegen das Hauptgebäude. Die Versammlungshalle der Jäger. Lange musste er den Pfad nicht bestreiten, da erreichte er endlich das Ziel seiner langen Reise. Ein großes, zweistöckiges Gebäude stand auf einer Anhöhe. Die Wände des Hauses bestanden aus breiten Baumstämmen die fein säuberlich aufeinanderliegend fixiert waren. Die breite doppelflügelige Tür stand weit offen. Das dunkle Holz jener Tür war prachtvoll verziert und stellte eine Waldszene dar. Überall schauten Tiere durch Büsche oder hinter Bäumen hervor. Jedes noch so kleine Detail war sauber in das Holz hinein geschnitzt worden. Umringt war die Versammlungshalle von einem großen Garten. Kein Blumenmeer, nur ein paar Sitzbänke, kunstvoll zurechtgeschnittene Bäume und Sträucher, ein flacher aber sehr breiter Brunnen und gepflegte Wege. Fisk glitt von Veldigs Rücken hinab und befreite seinen Freund anschließend von Gepäck und Sattel. Erleichtert schüttelte Veldig sein langes glänzendes Fell, rannte los als gäbe es seinen Reiter gar nicht mehr. Der Hyna kannte sein Ziel. Kopfschüttelnd blickte Fisk ihm nach. Aber sei es ihm gegönnt. Treu begleitete er den Waidmann in jeden Winkel dieser Welt. In der Eingangshalle hingen zu beiden Seiten etliche Sattel und Reisegepäck fein säuberlich sortiert auf Holzstämmen. Auch er platzierte sein Hab und Gut, durchschritt den Rest der Halle mit langen Schritten. Viele Fenster ließen Licht hinein, ein kunstvoll gewebter Teppich bedeckte die dunklen Dielen. Plötzlich erklang ein Glockenschlag. Sieben Mal. Ein Schauer überlief Fisks Rücken, es bedeutete die Nebeljäger waren nun vollzählig, er war der letzte gewesen. Wenn das mal keinen Ärger bedeutete. Er bog in einen kurzen Korridor ein und erreichte eine große Halle. Überall hingen Trophäen hoch oben an den Wänden. Ausgestopfte Kreaturen blickten vorwurfsvoll auf die Besucher nieder. In elf Reihen waren lange Tische aufgestellt. Drei Kronleuchter aus massivem Stahl spendeten gemütliches Licht. In jeder Reihe hatten nebeneinander sechs Nebeljäger Platz genommen. Es gab nur noch einen einzigen leeren Stuhl. Den von Fisk. Alle Jäger, Männer und Frauen, drehten sich zu ihm herum, beobachteten ihn bis er endlich Platz genommen hatte. Den Hut legte er vor sich auf die Tischkante. Leises Murmeln war allgegenwärtig. Vor ihnen an der Wand führte eine schmale Wendeltreppe hinauf zu einem Erker. Schritte erklangen. Eine Frau, gekleidet in einen langen roten Mantel, durchschritt die Tür in dem Erker und stieg die Treppe hinab. Braune Halbstiefel reichten bis etwas über ihre Knöchel, die Beine versteckt unter einer schwarzen Strumpfhose endeten an einen kurzen grünen Rock über dem eine weiße Tunika aus Stoff lag. Um ihre Hüften lag ein schmaler Ledergürtel. Die große Kapuze warf einen tiefen Schatten auf ihr Gesicht. Erst als sie die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte, und vor den Reihen der Nebeljäger in Stellung gegangen war, strich sie sich die Kapuze zurück. „Schön dass wir endlich vollzählig sind.“ Dunkelgrüne Augen musterten die Anwesenden Nebeljäger. Schwarzes Haar fiel ihr lang über die Schulter hinab. Zeigefinger und Mittelfinger ihrer linken Hand führte sie an die Stirn, anschließend verdeckte sie mit den selben Fingern ihr linkes Auge bis sie zum Schluss die Faust auf ihrem Herzen ablegte. Jeder Jäger in der Halle vollführte selbigen Gruß. Langsam sank ihre Hand nach unten. „Der lange Winter hat sich in unseren Landen zunächst verabschiedet, die heißen Tage werden in den nächsten Monaten auf uns warten. Viele von Euch haben in diesem Jahr gute Arbeit verrichtet und dürfen diese Zeit genießen. Andere von Euch müssen uns morgen schon wieder verlassen. Es war ein gutes Jahr, wenn ich auch mit Bedauern über drei Verluste sprechen muss. Ilias, Veras und Morkais Hörner sind für immer verstummt.“ Einige der Anwesenden schlossen für einen Moment die Augen. Es war kein offizielles Verbot, aber die Nebeljäger bildeten untereinander kaum Freundschaften. Manchmal ließ es sich dennoch kaum vermeiden. Jeder der nicht mehr an dieser Sitzung teilnehmen konnte, hinterließ mehr als nur einen leeren Stuhl. „Mit Freude darf ich aber auch einige neue Gesichter in unserer Runde begrüßen. Sieben Schüler haben die Prüfung bestanden und ziehen am morgigen Tag zum ersten Mal hinaus in die Welt. Die Erfahrenen unter Euch haben viel erreicht. Wir konnten sogar ein ganzes Nest von Faulvaruls ausrotten dass durch die Mitte des Kontinents Odaris streifte. Zusammen mit dem der sie beschworen hat.“ Die Frau ging an einen breiten Schrank und holte einen Korb hinaus welcher mit Schriftrollen prall gefüllt war. Langsam ging sie von Tisch zu Tisch und legte jedem Nebeljäger und Nebeljägerin eine Schriftrolle hin, verharrte und sprach persönliche Worte mit allen. Als ihre Arbeit getan und der Korb leer war, deutete eine Handbewegung den Jägern an, dass sie die Schriftrollen nun öffnen duften. Ein menschlicher Jäger aus der hinteren Reihe, mit einem sehr breiten Kreuz, jubelte laut auf. Alle Blicke richteten sich auf ihn woraufhin er beschämt, aber breit grinsend wieder auf das Papier in seinen Händen blickte. Fisk breitete ebenfalls seine Rolle aus, ihm war als würde sein Herz stehen bleiben. Vier ganze Tage waren vermerkt. Vier Tage in diesem Paradies waren ihm für das gesamte Jahr gegeben. Mehr nicht. Ernüchternd faltete er sein Papier wieder zusammen und seufzte laut auf. Härte trat in seine Miene. Der Waidmann bemerkte ein zweites Blatt Papier. Ungewöhnlich. Bei dem Anblick des Blattes begann das Blut in seinen Adern in Wallung zu geraten. Es handelte sich um die Zeichnung eines Männergesichts. Fisk hatte ihn sofort erkannt. „Betrachtet alle das zweite Dokument in Euren Händen.“ Als die Jäger der Anweisung der Frau in Rot folgten, wechselten manche von ihnen verwunderte Blicke. „Bei dieser Zeichnung handelt es sich um ein Phantombild eines Hexers des zwölften Grades. Arior. Blickt mit Achtsamkeit in die Gesichter um Euch herum. Solltet Ihr diesem Mann begegnen, bringt Ihr mir seinen Kopf. Handelt nicht vorschnell, er ist ein mächtiger Gegner. Wer ihn erlegt, darf einen ganzen Monat Ruhepause mehr einlegen.“ Ein Raunen ging durch die Reihen der Anwesenden. „Legt Euch zur Ruhe, doch lasst immer ein Auge offen. Behaltet im Herzen das Träumen und das Hoffen. Stellt Euch der Angst, verzaget nicht. Was immer Ihr auch tut, Ihr könnt nicht fliehen vor dem letzten Gericht. Schrecken, Grauen, unendliches Leid. Gute Jäger seid immer bereit. Waidmannsheil.“, verabschiedete die Frau die Gruppe der Nebeljäger. „Thomas Fisk und Laturidas, ihr bleibt.“ Ruhig und ohne großen Lärm erhoben sich alle Jäger und verließen die große Halle nachdem sie im Chor mit Waidmannsdank geantwortet hatten. Alle bis auf zwei. Fisk warf einen kurzen Blick über seine Schulter. Laturidas saß drei Reihen hinter ihm, erwiderte den Blick allerdings nicht. Nachdem der Letzte die Tür hinter sich geschlossen hatte, wanderten dunkelgrüne Augen zu Fisk. „Du weißt wieso du dir nur so wenig Tage verdient hast?“ „Weil ich ein böser Junge war?“ Seine Worte untermalte kein Lächeln, kein Sarkasmus, lediglich kühne Trockenheit. Als Antwort erntete der Waidmann einen noch finstereren Blick. Ihr roter Umhang wirbelte durch die Luft als sie auf den Fersen kehrt machte und aus dem Schrank eine weitere Schriftrolle hervor holte. „Laturidas komm nach vorn. Fisk erhebe dich.“ Beide taten wie befohlen. Als der großgewachsene Lichtelf neben Fisk trat, tauschten die beiden Jäger einen grimmigen Blick aus. Fisk hasste es wie klein er neben dem Elfen aussah. Gut anderthalb Kopf trennten ihre Scheitel voneinander. „Wir haben ein ernstzunehmendes Problem. Im Königreich Bernautes gerät ein Nachtschwärmer außer Rand und Band. Etliche Menschen sind in den Dörfern bereits verschwunden. Er macht sie nicht zu seinesgleichen, das wäre aufgefallen, aber die Toten tauchen nicht mehr auf. Die Miliz weiß wo er sich aufhält, kann aber nichts gegen ihn ausrichten. Wann immer sie versucht haben ihn anzugreifen, wurden sie von seinen Schoßhunden erledigt. Ghule. Was auch das Verschwinden der Leichen wahrscheinlich erklärt.“ Den Jägern wurde die Schriftrolle überreicht. Da Laturidas keine Anstalten machte sie an sich zu nehmen, tat es Fisk. „Ihr werdet diesen Auftrag zusammen erledigen.“ Fast wäre seinen Fingern die Rolle entglitten, auch der Lichtelf verlor seine kühle Mimik. „Niemals! Ich erledige meine Aufträge immer allein“, empörte sich Laturidas. Schmerzhaft bohrte sich der spitze Nagel der Frau tief in das Leder des Brustharnisch als sie dem Elfen den Zeigefinger auf die Brust drückte. „Arroganz hält dich nicht am Leben Jäger. Weil du aus Eitelkeit die meisten Aufträge nie annimmst, bist du weit im schwarzen Bereich. Deshalb hast du dir kaum Freiheit verdient. Solltest du so weiter machen, wird es dich sogar noch das Leben kosten.“ Ihr Finger zog sich zurück um sich fest in die Brust von Fisk zu bohren. „Du hast das schlechteste Ergebnis gemacht, weil du bei deiner Begegnung mit Arior zu viel Magie eingesetzt hast. Vorher warst du mit an der Spitze. Arior begeht nur wegen dir all diese Morde. Hättest du damals auf dem Weingut genau aufgepasst statt dich zu profilieren, wäre er dir nicht durch die Finger gegangen. Jetzt schon könnte er tot sein. Genau deshalb müsst Ihr zusammen diesen Auftrag erfüllen. Dann werdet ihr nicht mehr bis zum Hals im schwarzen Bereich stecken. Damit könntet ihr sehr viel wieder gutmachen.“ Fisk verschränkte die Arme vor der Brust und begann sich auf seinen Fersen zu wiegen. „Was sollte uns daran hindern allein zu arbeiten? Ein Nachtschwärmer ist absolut nicht Ohne, aber er will mich ja gar nicht begleiten, sowie ich nicht begleitet werden möchte. Lasst mich diesen Auftrag erfüllen. Allein.“ „Diesen Auftrag erteile ich Euch. Gemeinsam. Es ist ein Befehl. Legt Euch zur Ruhe, doch lasst immer ein Auge offen. Behaltet im Herzen das Träumen und das Hoffen. Stellt Euch der Angst, verzaget nicht. Was immer Ihr auch tut, Ihr könnt nicht fliehen vor dem letzten Gericht. Schrecken, Grauen, unendliches Leid. Gute Jäger seid immer bereit. Waismannsheil.“, der Abschiedsgruß und ihre finstere Miene sprachen mehr als tausend Worte. Es gab keine Wahl, keine andere Option. Niemand stellte sich gegen die Aufträge der Anführerin. Geduldig verschränkte sie die Arme hinter ihrem Rücken als die beiden Jäger sie noch immer anblickten als hätten sie bereits den Nachtschwärmer vor sich stehen. Fisk war der erste, welcher sich aus der Starre befreite. Nach einer knappen Verbeugung und dem Gruß „Waidmannsdank“ setzte er sich seinen Hut wieder auf und ging mit langen Schritten auf den Ausgang zu. Laturidas brauchte noch einen Moment indem er einfach nur in diese herrischen, dunkelgrünen Augen starrte. Schließlich erwiderte auch er den Abschiedsgruß und trat hinaus. Fisk stand noch an seinem Sattel und nahm einen großen Schluck aus einem Wasserschlauch. Laturidas schritt mit erhobenem Haupt an ihm vorbei, seine Worte waren geschwängert mit Arroganz. „Morgen früh zum Sonnenaufgang werde ich vorn an der Anlegestelle sein.“ „Dann werde ich bereits Waidmannsheil verlassen haben. Ich mache mich direkt auf den Weg.“ Der Lichtelf blieb abrupt stehen und blickte finster mit seinen hellbraunen Augen über die Schulter auf den Menschen. Dieser wedelte mit der Schriftrolle und stützte sich mit einem Ellenbogen lässig auf dem Sattel ab. „Tja. Ich habe die Karte an mich genommen und kenne den Weg. Ihr nicht.“ Laturidas Mundwinkel verzogen sich zu einem hämischen Grinsen. „Kein Problem. Mit Eurem Hyna reitet Ihr so langsam dass ich Euch im Nu eingeholt habe. Es stellt keine Herausforderung dar Eure Spur zu finden. Bevor die Mittagsstunde schlägt, habe ich Euch längst eingeholt.“ Der Elf setzte seinen Weg fort und trat hinaus ins Tageslicht. Bitter verzog Fisk den Mund und knurrte leise in seine Bartstoppeln. „Arroganter, schleimiger Aal.“ „Ich habe gute Ohren.“ „Ist mir bekannt.“ Ein Grinsen huschte über Fisks Gesicht als der Elf ihm noch einen herabwürdigenden Blick zuwarf. Schnell aber erlosch sein Grinsen. Ihm wäre es lieber gewesen sich auf die Jagd nach Arior zu machen, aber wo sollte er anfangen? Es gab keinerlei Spuren. Eine Präsenz schien nahe, aus dem Augenwinkel erblickte er den roten Stoff ihres Umhangs. Lautlos wie immer. „Warum schickt Ihr mich ausgerechnet mit dem einzigen Elfen aus unserem Orden auf die Reise?“ „Weil du mehr mit ihm gemeinsam hast als du glaubst. Euch wird dieser Auftrag gut tun. Davon bin ich überzeugt. Dieser Nachtschwärmer ist mächtig. Unterschätzt ihn nicht.“ Schweigend standen sie eine Weile lang nebeneinander und blickten hinaus auf das sich im Wind wiegende Gras. Eine frische Brise streifte ihre Gesichter. „Dieser Steckbrief von Arior... danke dass Ihr nach ihm sucht. Aber bitte lasst mir Neuigkeiten zukommen sobald Ihr etwas von ihm erfahren habt. Ich will es sein der sein Licht auslöscht.“ Ihre Hand legte sich auf die Schulter des Jägers und drückte sie kurz. „Er ist nicht länger nur dein Problem. Deinem Wunsch werde ich nachgehen, aber versprechen kann ich nichts. Sobald wir eine Spur von ihm haben, müssen wir ihn so rasch wie möglich erledigen bevor er noch mehr Schaden anrichtet.“ Fisk ließ die Hände in die Taschen seines Mantels gleiten. Fest umschlossen seine Finger das kleine Kästchen mit den Augenlidern. Ihre Stimme erklang sanft nahe seines Ohres. „Ich weiß. Glaub mir, dieses Jahr noch werden wir ihn erlegen. Dieser Jagd wird er nicht entkommen. Geh nun guter Jäger. Geh und achte auf deinen Hals.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)