Blutsold von Alaiya (Vampirjagd in New Orleans) ================================================================================ I. Drei Leichen und ein Fest ---------------------------- 31. Oktober 2009 Es sollte nicht überraschend sein, dass die French Quarters wieder restauriert waren. Die alten Balkone waren mit Pflanzen und Deko behangen, die Holzstützen bunt bemalt und auch die Wände verziert. Die vielen Farben erinnerten ein wenig an Long Street. Ja, allgemein hatte die Straße eine ähnliche Aura. Lichterketten in der Form von Kürbissen hingen direkt über ihr, webten sich durch weiße Tücher und herunterhängende Plastikskelette. Es war erst vier Jahre her, dass das meiste hier unter Wasser gestanden hatte. Hurricane Katrina hatte damals die Stadt hart getroffen. In den Außenbezirken konnte man die Folgen bis heute sehen, doch hier? Hier drängten sich die kostümierten Leute um aufgestellte kleine Bars und Tische am Straßenrand. Die Parade war mittlerweile durchgezogen, war dieses Jahr ohnehin nur kurz ausgefallen. Musik spielte von einem Balkon oben und die Leute, die hier feierten, dachten wohl genauso wenig an Katrina, wie an echte Vampire. Es war allgemein bekannt, dass Vampire und New Orleans zwei Dinge waren, die Hand in Hand gingen. War es immer schon so gewesen oder hatte es erst mit den Ann Rice Büchern angefangen? Oft imitierte die Realität die Fiktion, weshalb Pakhet nicht überrascht gewesen wäre, wäre es auch hier so gewesen. In ihrem Kreisen war New Orleans bekannt dafür, dass immer wieder wandernde Vampirgruppen herkamen, sich für einen, zwei Monate herumtrieben und weiterzogen. Zu dieser Jahreszeit umso mehr. Es hatte nach Katrina nachgelassen. Weniger Touristen bedeutete, dass es für Vampire schwerer war. Doch mit dem erholten Tourismus kam offenbar auch wieder Entspannung in die Vampircommunity der Stadt. Das war zumindest die naheliegende Annahme. Sie war hier auf der Suche nach einem Vampir. Nach einem bestimmten Vampir. Jedenfalls war das, was sie annahm. In den vergangenen zwei Wochen hatte es drei Morde gegeben. Den Opfern war die Kehle aufgeschnitten worden, doch bei den Leichen war kaum Blut gewesen. Weder im Körper, noch drumherum. Es legte Vampire als Täter deutlich nahe, selbst wenn die Leichen wohl nicht am etwaigen Fundort entstanden waren. Die Opfer waren einander ähnlich gewesen. Junge Frauen. Rothaarig. Sommersprossig. Vampire hatten oftmals so ein Muster unter ihren Opfern. Angeblich schmeckten die Leute für sie anders, nicht, dass Pakhet daran wirklich glaubte. Unterschiedlicher Geschmack nach Blutgruppe? Okay. Aber nicht nach Haarfarbe. Immer wieder schaute sie zu Skyla hinüber, die mit einem Becher Cocktail in der Hand gegen eine halb zur Straße hin geöffnete Bar lehnte. Skyla, deren realen Namen Pakhet nicht kannte, war nicht einmal aus ihrer Firma, doch entsprach sie dem Opfertyp. Ihre Haare waren rot und lockig, ihre Haut blass und auch jetzt noch voller Sommersprossen. Selbst auf ihren Oberarmen, die ihr schwazres Hexenkostüm nur teilweise bedeckte, zeichneten sich die Sommersproßen deutlich ab. Ihre Augen waren graublau. Doch natürlich war sie nicht die einzige Rothaarige in der Stadt, weshalb abzuwarten blieb, ob die Falle funktionierte. Sie waren hier um den etwaigen Vampir zu erledigen, wofür sie ihn erst einmal finden mussten. Dafür, dass die Stadtverwaltung sehr wahrscheinlich genau von dem Vampirproblem wusste, kam es selten vor, dass sie anheuerten, um diese erledigen zu lassen. Fraglos, da Vampire nur selten töteten. Kaum verwunderlich. Sonst gäbe es wohl keine Menschen und damit auch keine Vampire mehr. Da dieser Vampir jedoch tötete und sich nicht einmal die Mühe machte, seine Opfer zu verstecken, ja, sie viel mehr präsentierte, musste er sterben. Der Tourismus konnte nicht noch weiter leiden. Wieder glitten Pakhets Augen über die Menge. Es wäre praktisch zu wissen, was für eine Art von Vampir es war. Strigoi? Upir? Oder vielleicht etwas in diesen Gegenden eher exotischeres, wie ein Aswang? Wohl eher nicht. Gab es lokale Vampirlegenden? Es könnte auch eine eher lesbisch orientierte Lhiannan Shee oder andere vampirische Fae sein. Bei einer Fae würde zumindest das spezifische Opfermuster mehr Sinn ergeben. Dann wiederum töteten Shee praktisch nie und wechselten ihre Opfer nicht so schnell. Solange Pakhet nicht wusste, was für ein Vampir es war, war es nur schwer zu wissen, worauf man achten sollte. Sie hatte zwei Vampire bereits gesehen, das eine fraglos ein Strigoi, aber blieb es eben dabei: Vampire in New Orleans zu finden, war etwa so schwer, wie Schafe in Neuseeland. Rede mit zehn Leuten auf einer Party hier und du konntest dir beinahe sicher sein, dass einer ein Vampir irgendeiner Art war. Gerade redete Skyla mit einem Mann, der neben ihr an der Bar lehnte. Er schien ein Normalo zu sein, vielleicht etwas angetrunken. Nichts, mit dem Skyla nicht klarkommen sollte. Offenbar war die Magierin auf Jobs wie diesen spezialisiert. Jobs, wo sie lebendiger Köder spielte. Pakhet seufzte. Sie strich sich eine Strähne der blonden Perücke aus dem Gesicht und schürzte die Lippen. Sie war selbst für ihre Verhältnisse kaum bekleidet, hatte sich der allgemeinen Partyatmosphäre angepasst, wenngleich man ihre Kleidung kaum als Kostüm bezeichnen konnte. Ihre Hose war knapp, die Stiefel hoch, ihre Lederweste in das Outfit integriert. Zumindest wirkte es dank ihrer ohnehin kleinen Brüste weniger auffällig, dass sie trotz des Outfits kein Dekolletee zeigte. Sie hatte keins. Jemand rempelte sie an. Sie war so auf Skyla konzentriert gewesen und die bunte Menge zwischen ihnen, dass sie den Mann nicht gesehen hatte. Schon zog warme Flüssigkeit in ihre Bluse. Sie fuhr den Typen an. „Passen Sie doch auf!“ Der Mann war dunkelhaarig, hellhäutig, wie ein Tourist gekleidet, allerdings nicht Halloweenhaft verkleidet. Er war allein, trug eine Sonnenbrille. Bei Nacht. Verdächtig. Nun schob er die Brille herunter, musterte sie, nahm die Brille ganz ab. „Oh, das tut mir leid.“ Mit der zweiten Hand zog er den Kaffeebecher zur Seite, schaute sich hilflos um. „Oh Gott, entschuldigen Sie, wirklich. Ich war in Gedanken woanders.“ Pakhet schnaubte. Großartig. Sie sah an sich runter. Der Kaffee schimmerte feucht auf der Bluse, die allerdings zu dunkel und durchsichtig war, als dass sich der Fleck anders gezeigt hätte. Missmutig kramte sie in ihrer Handtasche, schob wohlbedacht das Tuch, dass ihre Pistole verbarg, zur Seite und holte stattdessen eine Packung Taschentücher hervor. Schon wollte der Mann diese ihr aus der Hand reißen, unterließ es bei ihrem Blick jedoch. „Es tut mir wirklich, wirklich leid.“ Missmutig tupfte sie die Bluse ab. Zum Glück hatte sie sich nicht verbrannt. Dann sah sie den Mann an, der vor ihr stehen geblieben war. „Schon gut“, murrte sie. Er hatte die Augenbrauen gehoben. Eine Mimik der Vorsicht. „Sicher. Ich … Es tut mir wirklich leid.“ „Es wird dadurch nicht besser, dass Sie sich wiederholen“, erwiderte sie. Sie seufzte, knöpfte ihre Bluse auf. Die Lederweste trug sie wie ein Korsett über dem Top darunter. Suchend blickte sie sich um. Er hatte den Kaffee aus einem Coffeeshop. Vielleicht konnte sie dort die Bluse ausspülen. „Dann sagen Sie mir, was ich tun kann, um es wieder gut zu machen“, antwortete er. „Nicht viel.“ Ihr Blick glitt zu Skyla hinüber oder viel eher dahin, wo diese eben noch gestanden hatte. Scheiße. Jetzt konnte sie nicht einfach mit ihr sprechen. Es würde auffallen. „Kann ich Sie auf etwas einladen? Einen Kaffee oder so?“ Pakhet stöhnte genervt. „Das ist nicht …“ Sie stoppte mitten im Satz. „Tun Sie, was Sie nicht lassen können.“ Wenn sie eh zum Coffeeshop ging, konnte er sie genau so gut einladen. Was sollte es sie stören? „Danke.“ Er seufzte. „Wirklich. Ich habe noch ein wenig mit dem Jetlag zu kämpfen und …„ Noch immer suchte sie nach Skyla. Wahrscheinlich war sie irgendwo hinein gegangen. „Ich verstehe schon“, murmelte sie. „Lassen Sie uns gehen.“ „Suchen Sie jemanden?“ „Ich war mit einer Freundin hier. Aber ich schreibe ihr eine Nachricht.“ Sie holte ihr Handy hervor und tippte schnell eine Kurznachricht ein. „Alles okay? Bin kurz im Coffeeshop.“ Es war unauffälliger, als jetzt über das Ohrstück zu kommunizieren. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und zählte bis fünf, ehe sie den Mann ansah. „Sie sind Tourist?“ „Nein.“ „Hätte Sie für einen gehalten“, meinte sie und drängte sich durch die Menge, die zu dieser Zeit sich in dieser Gegend ausbreitete. „Das T-Shirt.“ Es war eins von diesen Dingern, die es im Souveniershop zu kaufen gab. Beinahe hätte ein Frankenstein-Monster sie angerempelt, wich ihr aber aus. Da hinten eine Gruppe Superhelden. Was auch immer das mit Halloween zu tun hatte. „Nein, bin heute nur von einer Geschäftsreise wiedergekommen“, erwiderte ihr Begleiter. „Und … Es ist nicht mein Tag.“ „Ah.“ Eine vage Antwort. Eigentlich wollte sie nicht mit ihm reden. Doch was konnte man tun? Wäre sie nicht auf einem Job, hätte sie vielleicht versucht mit ihm zu flirten. Nicht ernsthaft, doch für eine Nacht. Sie war angespannt. Die US fühlten sich für sie immer unangenehm an. Wer wusste schon, auf wen sie traf. Natürlich war die Angst unbegründet. Ihre Profile in den Datenbanken waren verfälscht worden und die Wahrscheinlichkeit jemanden, den sie kannte, über den Weg zu laufen, war kaum gegeben. Die USA waren groß. Sie hatte in Ohio gelebt, nicht Louisiana. „Was machen Sie hier?“, fragte der Mann, als sie die andere Straßenseite erreichten. „Ich bin geschäftlich hier“, erwiderte sie. Sein Blick glitt kurz an ihr hinab. „Deswegen auch kein Kostüm?“ „Das ist ein Kostüm.“ Sie lachte übertrieben. „Ah, ja, was stellt es denn da?“ „Moderner Vampirjäger“, erwiderte sie und war damit nicht unehrlich. Auch er schmunzelte. „Verstehe. Da fehlt ein Pflock.“ Pakhet zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt. Geschäftsreise. Da kann man kaum ein Kostüm mitschleppen.“ Sein Zwinkern sagte, dass er verstand. „Was machen Sie denn?“ Was sollte es sein, dass sie heute tat? „Mythenforschung.“ „Ah. Mythen?“ „Ja.“ Sie hätte einfach Finanzwirtschaft sagen sollen. „Für ein Museum.“ „Wo?“ „UK.“ „Das hört man Ihnen gar nicht an.“ Natürlich nicht. Ihr Dialekt war trotz vier Jahren Südafrika noch immer sehr amerikanisch. Sie zuckte nur mit den Schultern. Jetzt hatte sie den Coffeeshop erreicht. Rasch drehte sie sich zu dem Mann um. „Warten Sie kurz auf mich? Ich gehe kurz die Bluse auswaschen.“ Er schaute von ihr zur Theke. „Soll ich Ihnen schon einmal einen Kaffee holen.“ „Nein, danke. Ich will mir nachher das Menü ansehen.“ Als ob sie sich von jemand fremden unbeobachtet ein Getränk holen lassen würde. Sie hatte damit einschlägige Erfahrungen gemacht. Erfahrungen, die sie nicht wiederholen wollte. Auch im Coffeeshop war wie alles andere auch mit massenhaft Halloween-Doku verziert. Selbst die Barristas trugen Kostüme, wie auch diverse der Kunden, die sich in den relativ kleinen Raum drängten. Die meisten Sitze waren besetzt und ein paar Leute lehnten an der Wand direkt vor den Toiletten. Mühsam drängte sich Pakhet hindurch, die Bluse in der Hand. Selbst an der Toilettentür hing Deko in der Form eines künstlichen Spinnennests gemeinsam mit gleich mehreren Plastikspinnen. Endlich im Badezimmer schloss sie sich zuerst in einer der Kabinen aus. Sie holte ihr Handy hervor, schaute hinauf. Eine Nachricht von Skyla: „Aufdränglicher Typ hier. Versuche ihn loszuwerden. Treffen in 20?“ Schien ein Thema für den Abend zu sein. Den fraglichen Vampir würden sie nicht mehr schnappen. Nicht heute. Da war sie sich sicher. Es war schon ihr dritter, vergeblicher Abend auf der Lauer, doch was erwartete sie? Es war letzten Endes eine Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. „Ok“, tippte sie daher nur. Sie drückte die Toilettenspülung, um den Eindruck zu erwecken, tatsächlich auf dem Klo gewesen zu sein und kam heraus. Die nächste Frau drängte sich an ihr vorbei hinein, während Pakhet sich an eins der Waschbecken stellte, um die Hand und dann die Bluse auszuwaschen. Kurz überprüfte sie ihr Make-Up im Spiegel. Es war an den Augen etwas verwischt. Mit einem Seufzen zog sie ihr Schmink-Kit aus der Tasche, tat ihr bestes, um nachzukorrigieren. Sie kam sich ein wenig albern vor. Nicht wegen dem Make-Up, sondern wegen der blonden, lockigen Perücke. Natürlich trug sie meistens eine Perücke bei solchen Aufträgen. Mit ihren kurzen, rotgefärbten Haaren fiel sie sonst auf. Jedenfalls in einem solchen Setting. Es war in Kämpfen praktischer, doch für Undercoverarbeit weniger geeignet. Sie verzog das Gesicht, richtete die Perücke und hielt Hand und Prothese unter den Föhn. Die Prothese war neu, besser als die letzte doch bei weitem nicht, was sie bevorzugt hätte. Zwar konnte sie einzelne Finger bewegen, doch waren die einzelnen Bewegungen steif und ungelenk. Michael hatte ihr versprochen, eine bessere zu besorgen, eine mit Gefühl in den Fingern. In ein paar Militärlaboren wurde so etwas getestet, aber bisher war er diesem Versprechen nicht nachgekommen. Sie trocknete auch die Bluse so gut wie möglich, warf sie dann über und kehrte in den eigentlichen Raum zurück. Der ungeschickte Herr stand gegen die Wand gelehnt, wartete offenbar auf sie und tippte auch seinerseits eine Nachricht in ein Blackberry. „Ah, da sind Sie ja“, meinte er, als sie zu ihm kam. „Konnte der schlimmste Schaden behoben werden?“ Sein Blick glitt über ihre Bluse, blieb einen unangenehm langen Blick auf Höhe ihrer Brüste hängen. Ein kurzes Zucken seiner Augenbrauen verriet seine Gedanken. „Ja. War ganz schön gedrängt darin“, erwiderte sie. „Ja. Ja, sicher.“ Er schien verlegen. „Wie heißen sie eigentlich?“ „Montgomery“, erwiderte sie. Dann zögerte sie, ganz als wäre ihr aufgefallen, dass diese Antwort zu distanziert klang. Rasch ergänzte sie: „Sarah Montgomery.“ „Montgomery, eh?“ Er lächelte. „Sind Sie eigentlich aus den US?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ja. Habe eine Weile in Utah gelebt.“ „In Utah? Mein Onkel lebt da. Von wo sind Sie da genau?“ Ach Gott, was fragte er für Fragen? Saltlake klang zu konstruiert. „Washington“, antwortete sie in der Hoffnung, dass es in Utah wie beinahe jedem Staat ein Washington gab. „Ah. Mein Onkel ist aus Provo. Also aus der Nähe.“ „Ah.“ Wieder eine vage Antwort. „Und wie heißen Sie eigentlich?“ „Derrick Meyers“, erwiderte er. Kurz zögerte er, streckte ihr dann die Hand entgegen. „Entschuldigen Sie, dass ich mich nicht vorgestellt habe.“ Sie nahm seine Hand, drückte sie. Als er seine Hand zurückzog wandte er sich zur Theke um. „Darf ich Ihnen jetzt etwas holen?“ „Ja. Natürlich. Ich …“ Sie sah zur Tafel. Mit diesen Getränken, in diese süßen Sirups gemischt waren, konnte sie wenig anfangen. „Ich nehme einfach einen Kaffee schwarz.“ Er schmunzelte amüsiert. „Und dafür mussten Sie jetzt nachsehen?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Entschuldigen Sie.“ Derrick lächelte und winkte ab. „Kein Problem. Ich schulde Ihnen etwas.“ Für einen Moment schien es, als würde sein Blick an ihrer Prothese hängen bleiben. Sah er sie für das, was sie war? Wahrscheinlich nicht. Im Armband, das sie trug, steckte ein Glamour, der es vor normalen Menschen verbergen sollte. Sie hasste es Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Mehr Aufmerksamkeit, als sie es durch ihre Größe schon tat. Er ging zur Theke vor und sie folgte. Ja, sie war misstrauisch. Doch Misstrauen war meistens besser als Vertrauen. „Sie können sich ruhig setzen“, meinte er. „Ist eh alles voll“, antwortete sie. „Passt schon.“ Er lächelte. „Was machen Sie eigentlich beruflich?“ „Ich? Ich bin Pfarrer. Na ja, so etwas in der Art.“ „Pfarrer?“ Dafür hatte sie ihn nicht wirklich gehalten. Wobei Pfarrer hier in den USA, wo jeder Dorftrottel seine eigene Kirche gründen konnte, alles heißen konnte. „Dafür hätte ich Sie nicht gehalten.“ Ein Glucksen entwich seiner Kehle. „Was darf ich darunter verstehen?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Weiß ich auch nicht so genau.“ Naiv stellen, wenn einem nichts besseres einfiel, half. Tatsächlich lachte er nur, trat dann vor und bestellte. Sie musterte ihn. Es war erstaunlich schwer, sein Alter zu schätzen. Sie hätte ihn auf um die dreißig geschätzt, etwa so alt, wie sie es war. Bei Männern konnte man sich aber nie sicher sein. Vor allem nicht bei reichen Männern. Ihr Blick fiel an seiner Hand hängen. Ein Ring zierte seinen linken Ringfinger. „Verlobt oder verheiratet?“, fragte sie, als sie ihm die Theke entlang dorthin folgte, wo die Getränke ausgegeben wurden. Wieder ein Lachen. „Weder noch.“ Sie sah genauer hin. Tatsächlich war der Ring nicht wie ein Ehering geformt. Das Metall - Silber? - war flach geschlagen und mit Symbolen eingeritzt. Irgendeine Art von Runen oder Keilschrift. „Gilt so etwas nicht irgendwie als ketzerisch?“ Nun sah er selbst auf den Ring. „Sollte man meinen, nicht?“ Das war eine vage Antwort. Wie sehr sie sich doch wünschte, Auren sehen zu können. Ein Bauchgefühl warnte sie. Wahrscheinlich nur ihr generelles Misstrauen. Zwei Becher wurden auf die Ablage gestellt und Derrick griff danach. „Das ging schnell“, meinte er. Fast ließ er einen der Becher los, als er neben den Papphalter, der vor der Hitze schützte, packte. „Autsch.“ Pakhet hob eine Augenbraue. Sie nahm den Becher selbst, während er die Hand schüttelte. „Ich habe zwei linke Hände heute“, meinte er. „Ja.“ Der Plastikdeckel war nicht ordentlich auf dem Becher. Sie rückte ihn zurecht, doch wie es mit diesen Dingern häufig war, wollte er nicht so ganz drauf sitzen bleiben. Schließlich nahm sie ihn ab und warf ihn in den nächsten Mülleimer. „Dann danke für den Kaffee“, meinte sie, während sie daran schnüffelte. Wie sehr sie den Geruch doch liebte. Den Geruch von richtigem Kaffee. „Kann ich Sie noch irgendwohin bringen?“, fragte Derrick. „Nein. Wie gesagt. Ich treffe mich noch mit jemanden.“ Sie sah ihn gar nicht mehr wirklich an, hielt bereits auf die Tür zu. „Ganz wie Sie meinen. Und entschuldigen Sie noch einmal.“ Sie verdrehte die Augen. „Schon gut.“ Damit trat sie in die Straße hinaus. Mit dem Becher Kaffee in der Hand konnte sie Skyla nicht anschreiben. Bis ihrem Treffen würden ihr eh noch ein paar Minuten bleiben. Sie musste nur zur Straßenecke kommen. Sie nahm einen Schluck des heißen Kaffees und ließ ihn sich genüsslich auf der Zunge zerlaufen. Es gab nichts schöneres als einen heißen Kaffee. Er beruhigte ihre Nerven, selbst wenn so manch ein Mediziner ihr dahingehend widersprochen hätte. Dahinten war die Straßenecke, inklusive einer kleinen Mauer, die genau so malerisch wie die ganze Straße war. Nichts, wofür sie wirklich einen Kopf hatte. Wann anders hätte sie sich an einem Tag wie diesen hier gut amüsieren können. Vielleicht mit einem Typen wie Derrick, vielleicht mit jemand anderen - solange nicht unbedingt mit einem Vampir. Nekrophil war sie sicher nicht. Wieder nippte sie am Kaffee, schob den Becher dann vorsichtig in die Hand ihrer Prothese, um mit dem Zeigefinger der rechten Hand gegen den kleinen Knopf in ihrem Ohr zu drücken. „Skyla?“, fragte sie. Rauschen. Wahrscheinlich versuchte sie den Typen loszuwerden und war außer Reichweite. Diese Technik war bei weitem nicht so gut, wie Hollywood es gerne vermittelte. Sie konnten für die Nacht ausgeben. Wahrscheinlich hatte sich der Vampir von den Menschenmassen abschrecken lassen oder davon, dass die Polizeipräsenz auf der Party zu groß war. Ein weiterer Schluck Kaffee. Wenigstens hatte sie kein Kostüm anziehen müssen. Das wäre reichlich albern gewesen. Sie nippte weiter am Kaffee, ehe sie inne hielt. Ein seltsamer Nachgeschmack war bei diesem Schluck gewesen. Wahrscheinlich nur ihre Einbildung. Dennoch schnüffelte sie daran. Da war eine seltsame Note im Geruch, die sie vorher nicht bemerkt hatte. Es erinnerte an irgendwelche Kräuter … Beinahe an … Was? Konnte es sein … Weiter kamen ihre Gedanken nicht. II. Fluchtversuche ------------------ Die Situation, in der Pakhet erwachte, war nicht ideal. Es roch moderig, ihre Hände waren hinter ihrem Rücken gefesselt und sie hing kopfüber. Metallene Ringe lagen um ihre Fußgelenke, hielten sie irgendwodran fest. Fußfesseln. Vorsichtig bewegte sie ein Bein, soweit es ihr möglich war. Sie hörte das Klirren von Ketten. Großartig. Folterkeller, eh? Es war dunkel, was die Annahme nahelegte, dass sie allein war. Sie schloss ihr rechtes Auge, konzentrierte sich darauf mit ihrem Glasauge zu sehen. Dank dem Zauber, der darauf war, konnte sie im Dunkeln sehen. Rasch musste sie ihre Einschätzung von zuvor korrigieren: Kein Folterkeller. Ein Ritualraum. Da war so etwas, wie ein Altar in der Mitte des Raums, dazu aktuell gelöschte Kerzen darum. Drei davon sehr groß und an den Ecken eines Dreiecks aufgestellt. Wundervoll. Der Altar schrie nahezu „Menschenopfer“. Würde sie darauf landen? Blutmagie … Blutmagie hieß nie etwas gutes. Es musste Derrick gewesen sein, der sie entführt hatte. Doch etwas im Kaffee. Scheiße. Warum war sie darauf eingegangen? Dann war er der Vampir oder nur ein anderer Verrückter? Zweiteres war eher unwahrscheinlich. Letzten Endes war es selten, dass sich zwei Serienkiller gleichzeitig rumtrieben und dass hier, dass stank definitiv nach Serienkiller. Aber warum sie? Sie entsprach nicht dem Bild. Es sei denn natürlich, dass er genau wusste, warum sie hier waren. Dann hatte er sie ausgeschaltet, um sie aus dem Weg zu räumen. Ziemlich dumm. Man hatte ihr die Stiefel ausgezogen und ihr dabei auch das versteckte Messer abgenommen, während Handtasche und damit ihre Waffe ebenfalls fehlten. Egal. Dann musste sie improvisieren. Zumindest hatte sie ihre viel zu kurze Hose noch und ihren Gürtel. Sie tastete danach. Zwar waren ihre Hände fixiert, allerdings in Reichweite ihres Hosenbundes. Sie tastete nach dem Gürtel, speziell nach den Nieten, die darauf saßen. Da. Das hatten sie nicht gefunden. Wenn sie in ihrem Job eine Sache genau gelernt hatte, dann war es, auf solche Situationen vorbereitet zu sein. Sie fand den kleinen Gegenstand aus Plastik, der vermeintlich zwei lose Nieten zusammenhielt. Vorsichtig, dass er nicht fiel, löste sie ihn mit einem Finger, verfluchte ihre Prothese, mit der sie nicht helfen konnte. Sie hatte keine Wahl. Sie musste hier heraus. Der Geruch in diesem Raum gefiel ihr gar nicht. Endlich hatte sie das Ding in der Hand. Es war ein Notfallschlüssel aus Plastik, der für die meisten Handschellen passte. Ein Grund, warum Kabelbinder bessere Fesseln abgaben. Nun, sie würde sich darüber nicht beschweren. Sie hatte sie eine Chance hier herauszukommen. Hinter dem Rücken zu arbeiten, noch dazu mit einer Hand, war schwer. Wenn Derrick tatsächlich magisch war, hatte er ihre Prothese fraglos bemerkt. Natürlich hatte er sie gelassen. Ohne wäre es schwerer gewesen, sie zu fesseln. Leise fluchte sie, als der Plastikschlüssel wieder an der Öffnung vorbeirutschte. Sie wusste nicht, wie viel Zeit sie hatte. Wo war Skyla? Hatte sie ihre Abwesenheit bemerkt? Wahrscheinlich. Zwar wusste Pakhet nicht, wie lange sie ausgeschaltet gewesen war, doch war es fraglos eine längere Zeit gewesen. Eine Stunde? Zwei? Drei? Ohne einen Blick nach draußen werfen zu können, war es schwer zu sagen. Da. Endlich. Der Schlüssel glitt in das Loch. Sie begann ihn zu drehen. Das leicht zu verbiegende Plastik war nicht die beste Methode, ließ sich aber im Vergleich zu einem Universalschlüssel aus Metall leichter verstecken. Schritte. Ein Keuchen. Jemand drehte knirschend einen Schlüssel im Schloss der Tür. Verdammt. Mit all der Kraft, die sie in ihren Fingern hatte, drehte Joanne den Plastikschlüssel und bekam die Handschelle um ihre Prothese auf. Rasch steckte sie den Schlüssel fort, um keine Aufmerksamkeit darauf zu ziehen. Herein in den Raum kam ein Mann, gekleidet in schwarze Roben, die tatsächlich an einen Priester erinnerten, gemeinsam mit einer Frau. Einer nackten Frau. „Fick dich, Arschloch“, fluchte Skyla, als der Mann, der nicht Derrick war, sie in den Raum stieß. „Dafür sind andere zuständig.“ Seine Stimme klang gelangweilt, während er sie weiter in den Raum, hin zu dem Altar brachte. Wie Joanne war Skyla gefesselt, die Hände hinter ihrem Rücken zusammengebunden. Anders als bei Joanne mit Seil, nicht mit Handschellen. „Sagt Mal, was wird das hier werden?“, fragte sie, bemüht ihre Stimme ebenso gelangweilt klingen zu lassen, wie er die seine. „Ist das hier … Was genau? Für Voodoo seit ihr zu weiß. Also was? Satanismus?“ Der Typ sah zu ihr. „Ah. Du bist wach.“ Ein wenig Überraschung war aus seiner Stimme zu hören. Der Kerl war eindeutig älter als Derrick es gewesen war. Sein Haar war angegraut und deutliche Falten zeichneten sich in seinem Gesicht ab. Auch sein Bart war ausgewachsen und mit grauen Strähnen durchzogen. „Bist du irgendeine Art Obermufti?“, fragte sie. Er musterte sie, drückte dann Skyla gegen den Altar und nahm eine Kette, die mit einem in den Stein getriebenen Eisennagel befestigt war und legte diese um Skylas Arm. „Uh, wir sind ganz erhaben, was?“ Pakhet übertrieb. Sie hoffte ihn dazu bringen zu können, sie anzugreifen. Er schien nicht trainiert. Eigentlich sollte sie ihn ausschalten können, wenn sie ihm nur nahe genug kam. Wenn sie Glück hatte, hatte er ein Messer oder Vergleichbares dabei. Er kam näher. Gut. Weiter. „Du bist ziemlich selbstsicher.“ „Ich neige dazu, mich von Typen nicht einschüchtern zu lassen.“ Selbst wenn ihr das Blut langsam in den Kopf senkte. Sie musste aus der Situation heraus. „Ist das so?“ Er hockte sich vor sie, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein. „Magst du mir vielleicht erzählen, wer euch angeheuert hat.“ „Dann gebt ihr zu, dass ihr die drei Frauen ermordet habt?“ Aktuell war er gerade so aus ihrer Reichweite, um ihm sicher eine Kopfnuss zu verpassen. Er musterte sie. „Nicht ermordet“, antwortete er. „Ja, sie sind rein zufällig gestorben, nachdem ihr sie entführt und Kopfüber aufgehängt habt, nicht?“ Sie machte ein verächtliches Geräusch. „Sicher. Was mich zur Frage zurück bringt: Satanismus? Oder vielleicht … Was?“ Sie erinnerte sich an Derricks Ring. „Ein missverstandener Odins-Kult vielleicht?“ Er verzog das Gesicht. Volltreffer, also? „Ich frage mich, wie du planst hier heraus zu kommen“, meinte er. „Denn du planst so etwas, nicht? Du bist definitiv eine andere Art Weib, als wir normal haben.“ „Charmant.“ Warum bedrohte er sie nicht. „Vielleicht sollten wir dir Manieren beibringen.“ Er streckte eine Hand nach ihrem Gesicht aus, doch sie schnappte daran, schenkte ihm einen vielsagenden Blick. „Oh ja, versucht mich zu ficken. Ich werde einem Typen wie dir gerne den Schwanz abbeißen.“ Er spuckte ihr ins Gesicht. „Eigentlich sollte ich dich gleich töten.“ Damit stand er auf und wandte sich ab. Missmutig verkniff sie sich ein Seufzen. Sie konnte kein Messer an seiner Robe erkennen, nichts, was sie ihm abnehmen konnte. Nicht auf die Entfernung. Nicht sicher. Da wäre es einfacher, er ging heraus. Noch einmal schaute er zu ihr, dann zu Skyla, ehe er die Tür schloss und sich wieder Dunkelheit über sie senkte. Pakhet seufzte. „Er hätte eine Kerze anlassen können.“ Stille. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe Skyla sprach. „Bist du okay?“ „Ja. Alles bestens.“ Pakhet löste ihre Hand von der Prothese. Dann spannte sie den Körper an, schwang vor, zurück, wieder vor und bekam ihre Beine zu fassen. Sie zog ihren Oberkörper daran hoch, bis sie die Ketten zu fassen bekam. Sie tastete die Fußfesseln ab, um den Mechanismus zu finden, mit dem diese geschlossen waren. Sie keuchte. „Was machst du?“, fragte Skyla. „Versuchen hier heraus zu kommen“, erwiderte sie. Da war ein Schloss daran. Ein älteres, schwergängiges Schloss. Kein moderner Mechanismus. Definitiv nichts auf das ihr Schlüssel passen würde. Mist. Dann die nächste mögliche Schwachstelle. Sie zog sich weiter empor. Ihre Prothese konnte sie zumindest halten, während sie mit der rechten Hand nach der Stelle tastete, an der die Kette befestigt war. Da. Ein in die Wand versenkter Ring. „Hast du die Hände frei?“, fragte Skyla. „Ja. Mehr oder minder.“ Die Handschellen hingen noch immer an ihrer rechten Hand. „Du kannst nicht ein wenig nachhelfen, oder?“ „Womit?“ „Ring. In Wand. Ich muss hier herunter.“ Skyla holte tief Luft. „Ich versuche es.“ Zweifel klang aus ihrer Stimme. Nach allem, was Pakhet über sie wusste, war sie auf weniger physische Magie spezialisiert oder darin begabt. Nichts geschah. Sekunden verstrichen, während Pakhets Bauchmuskeln von der Anstrengung zu Schmerzen begannen. Dann begann eine leichte Vibration durch die Wand zu gehen. So gut sie konnte ruckelte Pakhet an dem Ring. Er oder viel eher der dicke Nagel, an dem er befestigt war, begann sich zu lösen. Noch ein bisschen. Nur noch etwas. Er löste sich. Auch wenn sie mit dem Aufprall gerechnet hatte, schlug er für einen Moment die Luft aus ihren Lungen. Sterne tanzten vor ihren Augen, ehe sie sich besann. Keine Rippen gebrochen, allerhöchstens die Schultern geprellt. Darum konnten sie sich später kümmern. Mühsam richtete sie sich auf und löste ihren Gürtel, um mit dem Dübel der Gürtelschnalle zu versuchen die Fußfesseln aufzubrechen. Kein ideales Werkzeug, aber besser als nichts. Da fiel ihr etwas ein. „Danke“, meinte sie. Wieder war Stille ihre Antwort, gefolgt von einem leisen, kehligen Laut. Skyla war ruhiger, als sonst. Normal war sie vorlaut. Jedenfalls nach dem, wie Pakhet sie in den letzten Tagen erlebt hatte. Die Ärsche hatten nicht … Oder? Erst einmal mussten sie hier heraus. Endlich. Das erste Schloss gab nach. Klappernd viel es von ihrem Fuß. Pakhet fluchte. Hoffentlich hatte es niemand gehört. Rasch wiederholte sie dieselbe Technik am anderen Fuß. Es ging schneller, fühlte sich zumindest so an. Dann ging sie in die Knie und krabbelte zu Skyla hinüber. „Ist bei dir alles okay?“, fragte sie. Vorsichtig tastete sie nach den Schultern der anderen Frau. „Es geht“, erwiderte Skyla. „Mir ist kalt und was auch immer mir das Arschloch verabreicht hat, macht Kopfschmerzen.“ „Dann haben sie dir auch etwas untergemischt?“ Pakhet tastete nach der Kette, die der Typ an Skylas Arm festgemacht hatte. Das war ein moderner Mechanismus. Gut. Mit diesen hatte sie wenigstens Übung. „Jap. Das vermeintlich betrunkene Arsch“, murrte Skyla. „Ich bin auf einmal umgekippt.“ „Dasselbe bei mir. Idioten.“ Sie seufzte. „Wären sie klug gewesen, hätten sie uns ignoriert.“ „Ja.“ Ganz so überzeugt klang Skyla nicht. Da. Das Schloss gab nach, selbst wenn ihr Plastikschlüssel dem Gefühl nach langsam aufgab. Ein Glück. Die Seile waren das geringere Problem. Rasch löste sie die Knoten und befreite Skyla. Ihre Haut war eisig kalt. Unschlüssig schürzte Pakhet die Lippen. Sie wollte es nicht ansprechen. Dennoch tat sie es: „Haben die dich vergewaltigt?“ Der Mangel an Kleidung legte die Vermutung nah. Skyla antwortete nicht sofort. „Ich weiß es nicht. Als ich aufgewacht bin, war ich nackt und saß in einer Badewanne.“ Kurz verfiel sie ins Schweigen. „Zwei Typen haben mich gewaschen.“ Gewaschen, eh? Etwas sagte Pakhet, dass es kein gutes Zeichen war. „Rituelle Waschung?“ „Vielleicht.“ Offenbar hatte Skyla bereits einen ähnlichen Gedanken gehabt. Pakhet zögerte. Nun, zumindest hatten sie ihr die Lederweste und Hose gelassen. Mehr als Skyla. Sie löste die Riemen der Weste, öffnete sie um das Top darunter auszuziehen. Sie reichte es Skyla. „Hier. Zieh das über.“ „Danke.“ Skyla nahm es ihr ab. „Fuck.“ „Du sagst es.“ Pakhet zog die Lederweste wieder über. Das Leder lag unangenehm hart und kalt auf ihrer Haut. Dann bückte sie sich nach den Fußketten. Es war kein Messer, keine Pistole, aber besser als keine Waffe. Als der Typ vorhin gegangen war, hatte er keinen Schlüssel umgedreht. Zumindest hatte sie dergleichen nicht gehört. Es bestand also eine Chance, dass sie hier herauskam. Sie hielt Skyla die Hand entgegen. Dann fiel ihr ein, dass Skyla kaum würde sehen konnte und packte sie bei der Schulter. „Kannst du stehen.“ „Ja.“ Skyla griff ihre Hand und zog sich daran hoch. „Wie viel siehst du?“ „Umrisse.“ Pakhet nickte. Sie ging zur Tür, wandte sich aber noch einmal um. „Hast du irgendwelche offensiven Kräfte?“ „Ich kann Leute auf Berührung einschlafen lassen“, erwiderte Skyla. „Eventuell kann ich Wasser manipulieren. Alles andere ist schwer. Speziell …“ Sie hielt inne. „Kopfschmerzen“, sagte sie dann einfach. „Verstehe.“ Wenigstens war ihr dahingehend das schlimmste erspart geblieben. Vorsichtig griff sie nach der alten, gusseisernen Türklinke an der grobschlächtigen Holztür. Das Gebäude musste älter sein. Also so alt, wie Dinge in den USA halt waren. Oder es tat zumindest so, als wär es alt. Auch eine Möglichkeit. Das Internat, in das sie einst gegangen war, hatte auch versucht, wie ein altes, europäisches Schloss auszusehen. Sie drückte die Türklinke so vorsichtig, wie irgendwie möglich, mit der Hand ihrer Prothese herunter und öffnete die Tür dann. Wenigstens brannte draußen Licht. Elektrisches Licht. Doch auch der Flur sprach für ein älteres Gebäude. Die Wand war aus groben Steinen zusammengefügt. Sie waren am Ende des Flurs. Wenn sie sich den runden Aufbau des Zimmers besah, wahrscheinlich unter einem Turm. Unter, da sie keine Fenster gesehen hatte. Das oder in einer Krypta. Für solche war New Orleans doch bekannt. Sie war immer noch nicht sicher, was genau vor sich ging. Klar, die Typen waren Magier oder ein magischer Kult. Sie hatten das Blut der Frauen wahrscheinlich für ein Ritual genutzt? Und sicher, hier in New Orleans hat man direkt an Vampire gedacht. Aber … Drei Frauen in zwei Wochen? Was zur Hölle taten die hier? Sie trat in den Flur. Der Steinboden drückte kalt gegen ihre Füße. Was hätte sie nur für ihre Stiefel gegeben. Wenigstens war niemand hier. Vom Gang gingen sechs weitere Türen ab. Da hinten war eine gewundene Treppe nach oben. Sprach für ihre Theorie, dass sie unterirdisch waren. Was tun? Direkt fliehen oder hoffen, dass sie ihre Waffen fanden? „Wo haben sie dich hergebracht?“, fragte sie Skyla. „Von oben“, erwiderte sie. „Was ist oben?“ „Ein … Ich glaube, es ist ein Plantagenhaus.“ Das hieß weiter außerhalb der Stadt. Eine der besseren Gegenden wahrscheinlich. Jetzt wünschte sie, eine bessere Übersicht der Stadt im Kopf zu haben. Egal. Sie würde sich draußen schon orientieren können. „Und du weißt nicht, wo deine Sachen sind?“, fragte Pakhet. „Nein.“ Nun, zumindest konnten sie Glück haben und irgendwelche Kutten oder vergleichbares finden. Etwas, damit Skyla ihre Blöße besser bedecken konnte. Leise trat Pakhet zur ersten Tür, legte das Ohr dagegen. Keine Geräusche. Ein gutes Zeichen. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Offenbar der Schrank der Kultisten. Neben Eimer und Wischmopp war eine ganze Sammlung schwarzer und roter Kerzen hier zu finden. Beinahe hätte sie gelacht. Leider keine Ritualmesser oder vergleichbares. Sie hatte kein Glück. Sie schloss die Tür, wiederholte den Vorgang auf der gegenüberliegenden Seite. Der Raum war abgeschlossen. Die nächsten Türen. Hinter der ersten ein einfaches, unterirdisches Schlafzimmer, dessen Einrichtung irgendwo zwischen Westernhotel und Rotlichtmillieu lag. Das Zimmer war klein, doch es gab einen Schrank. Vorsichtig schlich Pakhet hinein, öffnete den Schrank, während Skyla an der Tür wartete. Sie schaute den Gang hinab, hielt Wache. Pakhet wusste das zu schätzen. Leute, die ohne, dass man ihnen etwas sagte, sinnvoll handelte. Der Schrank beinhaltete tatsächlich Kleidung. Einfache Männerkleidung, aber besser als nichts. Sie nahm ein T-Shirt, Unterhosen und eine Hose heraus, die wahrscheinlich zu lang für Skyla war. „Komm“, hauchte sie. Noch einmal sah Skyla den Gang hinab, folgte ihr dann in das Zimmer und schob die Tür hinter sich zu. Dann huschte sie zu ihr hinüber. „Danke“, hauchte sie. Pakhet sah sich im Raum um. Skyla würde einen Gürtel brauchen und ihren eigenen wollte sie nicht opfern. Selbst wenn ihr Notschlüssel nicht mehr viel bringen würde, wollte sie ihn behalten. Da kam ihr eine Idee. „Warte kurz hier.“ Damit eilte sie in den Altarraum zurück, hob das Seil vom Boden auf und schlich damit zurück. „Es ist nicht ideal, aber besser als nichts.“ Skyla nickte. Sie war blass. Die Sommersprossen zeichneten sich deutlicher als vorher auf ihrem Gesicht ab. „Ich fühle mich gerade nutzlos.“ Pakhet zuckte mit den Schultern. „Du hattest Pech.“ „Du bist erstaunlich entspannt mit der Situation“, erwiderte Skyla. Wieder antwortete sie mit einem Schulterzucken. „Hab schlimmeres erlebt.“ Die Bitterkeit klang deutlich in ihren Worten mit. Offenbar war Skyla vernünftiger, als nachzufragen. Wieder in den Flur zurück. Gegenüber war schon wieder abgeschlossen. Scheiße. Sie wollte doch nur ihre Klamotten haben. Dann der nächste Raum. Es sah aus, wie eine Art Konferenzraum. Wundervoll. Der letzte Raum war gänzlich antiklimatisch eine Toilette. Ja, sicher. Mysteriöser Kultkeller, aber garantiert nicht ohne Toilette. Pakhet trat auf die Treppe. Soweit hatte sie keinen Beweis gesehen, dass irgendjemand hier tatsächlich magisch war. Vielleicht waren es auch einfach nur verrückte Idioten. Gab davon ja genug. Gerade in diesen Weiten. Der obere Absatz der Wendeltreppe kam mit einer weiteren Tür. Gut. Dahinter waren Schritte zu hören. Natürlich. Sie griff die Kette fester, öffnete die Tür dann. Sie war am Rand eines weiteren, zu einem Innenhof offenen Gangs. Der Boden war mit weißem Gestein bedeckt. Und hier waren Typen. Positiv gesehen allerdings: Keine Schusswaffen. Zwei Typen liefen in normaler, wenngleich dunkler Kleidung den Gang entlang. Sie redeten, hoben den Blick, sahen zu ihr, fluchten. Dann war Pakhet bei ihnen, hatte die Kette um den Hals des ersten geworfen und zugezogen. Ein unschönes Knacken, das durch Mark und Bein ging, erklang und sein Körper erschlaffte. Das war keine Absicht gewesen. Egal. Der zweite besaß etwas Überlebenssinn und rannte. Zu seinem Pech in Skylas Richtung. Sie sprang auf ihn zu, griff nach seinem Arm und für einen Moment war er wie erstarrt. Dann fiel er zu Boden. Ungläubig starrte Skyla zu der Leiche zu Pakhets Füßen. „Du hast ihn getötet.“ Unnötigerweise bückte Pakhet sich, um nach den Puls zu fühlen. Sie hatte gespürt, wie sein Genick gebrochen war. Die Anspannung hatte dafür gesorgt, dass sie ihre Kraft nicht ganz unter Kontrolle gehabt hatte. „Ja“, gab sie dann zu. Für einen Moment war Skylas Blick auf den jungen Mann fixiert, dann schüttelte sie den Kopf. Wenn sie meistens Köder spielte, war sie vielleicht nicht daran gewöhnt, dass die Beute getötet wurde. Oder sie hatte sich auf vermeintliche Monster spezialisiert. Pakhet sprang über die halbhohe Mauer, die den Gang vom Innenhof trennte und sah zum Dach. Das Gebäude hatte zwei Stockwerke, inklusive des Erdgeschosses, und ein relativ flaches Dach, wie in der Gegend üblich. Sie käme hoch, aber nicht mit Skyla. Schade. Es wäre einfacher gewesen über das Dach zu gehen. Aber eigentlich sollten sie leicht herauskommen. Wie viele Leute waren hier im Haus? Fünf? Sechs? Wenn es ein Kult war vielleicht zwanzig. Pakhet seufzte. Sie würde barfuß rauslaufen dürfen. Und ihre Waffe. Eigentlich wollte sie ihre Pistole wiederhaben. Das Gebäude umschloss den Innenhof komplett, in einem nicht untypischen Versuch europäischen, antiken Baustil zu immitieren. Irgendwo sollte eine Doppeltür sein, die in eine Eingangshallte führte. Hier waren auch Fenster zum Innenhof. Fenster … Hatte sie jemand gesehen? Sie war so auf die beiden Typen fixiert gewesen, dass sie nicht darauf geachtet hatte. Zumindest schien es ein reiner Männerclub zu sein. Nicht unüblich für solche Vereine. Ach, verdammt. Da hinten war eine geschwungene Doppeltür. Solange niemand auf sie Schoss käme sie schon klar. Kurz durchsuchte sie die Taschen der Leiche, in der vergeblichen Hoffnung ein Messer oder vergleichbares zu finden. Dann richtete sie sich auf und zeigte zur Doppeltür, die hinter der Biegung an dem nächsten Abschnitt des Rundgangs gelegen war. Skyla nickte und hielt sich bei ihr. Unter die Fenster geduckt schlichen sie hin. Hoffentlich war niemand da. Pakhet zog die Türklinke herunter, zog die Tür auf. Die Kette lag kalt in ihrer Hand. Eine für Plantagen nicht unübliche Eingangshalle lag vor ihnen. Parkettboden. Eine Doppeltreppe, die zu beiden Seiten in den zweiten Stock hinaufführte. Soweit, so Klischee. Wichtiger aber: Da hinten war die Eingangstür. Ihr Weg hier heraus. Daneben eine alte Wanduhr. Es war kurz vor zwei. Rasch tauschte sie einen Blick mit Skyla, dann schlich sie in Richtung der Tür. Sie hatten Glück. Niemand stand hier zu sein. Wahrscheinlich rechnete niemand damit, dass sie entkamen. Es waren eben doch Stümper. Zu ihrem Glück. Es sei denn natürlich … Nein, hier war kaum richtige Magie im Spiel. Da. Noch ein paar Schritte. Jetzt war sie bei der Tür, in die kleine Fenster aus buntem Glas eingelassen waren. Die runden Türknaufe waren schwergängig, knirschten, als Pakhet sie drehte. Das Metall war ungewöhnlich kalt, beinahe eisig. Sie warf die Tür auf, trat hindurch und erstarrte im nächsten Moment. Ihre Muskeln waren wie erstarrt, verkrampft, schmerzten. Natürlich. Also war es doch reale Magie. Sie hätte es wissen müssen. Etwas kaltes legte sich von hinten an ihren Nacken. „Wohin wollt ihr denn gehen?“, fragte Derricks Stimme. Pakhets Kehle war zugeschnürrt. Sie konnte nicht antworten. Ihr ganzer Körper war gelähmt. Egal, wie sehr sie es versuchte, konnte sie keinen Muskel bewegen. Selbst ihr Herz kämpfte nur schwerfällig gegen den Zauber an. Aber was für ein Zauber? „Aber ich gebe zu, dass ich damit nicht gerechnet habe“, meinte er und ging um sie herum. Da war etwas in seinen Augen. Ein violetter Schimmer. Ein Feenzeichen. War er ein Wechselbalg? „Es tut mir wirklich Leid, euch den Abend verdorben zu haben.“ Seine Stimme klang beinahe aufrichtig. „Aber nachdem tatsächlich Magier beauftragt wurden … Es war zu entgegenkommend.“ Sein Messer schnitt leicht in Pakhets Haut, ließ etwas Blut tropfen. Im nächsten Moment breitete sich Kälte auf ihrer Haut aus. Ein Sog. Es war, als würde mehr Blut aus ihr gezogen werden. Gleichzeitig festigte sich der unsichtbare Griff, der sie festhielt. Sie kannte das Gefühl. Blutmagie. III. Feenblut und Rituale ------------------------- Jemand zerrte Pakhet mit sich, ohne dass sie sich bewegen konnte. Noch immer breitete sich Kälte von dem kleinen Schnitt an ihrem Hals aus. Es war noch immer der Zauber, der dazu diente, sie bewegungsunfähig zu machen. Das Arsch nutzte ihre Lebensenergie dafür. Scheiße. Wo war Skyla? Sie konnte sie nicht sehen, aber auch nicht ihren Kopf drehen, um eine bessere Übersicht zu bekommen. Sie musste hier herauskommen. Noch immer wusste sie nicht, was genau vor sich ging. Aber wenn sie hier nicht rauskam, würde sie sterben. Sie wollte nicht sterben. Also was? Etwas Kraft kehrte in ihre Beine zurück. Nur weil Derrick es zuließ. Sie versuchte auf die Beine zu kommen. Sie waren vor einer weiteren Zimmertür. Nicht am Gang. Kaum, dass sie stand, wurde sie in das Zimmer hineingestoßen. Sie stolperte, schaffte es aber stehen zu bleiben. Ein Seufzen. „Du bist widerspenstig, dass muss ich dir lassen. Warst du es oder die Magierin, die euch befreit hat?“ Pakhet schaffte es sich zu ihm umzudrehen. Ihre Bewegungen steif, doch im Moment möglich. Sie musste es schaffen, seine Konzentration zu brechen, den Zauber loszuwerden. Einen Trick hatte sie noch. Sie schloss die Augen, sammelte ihre eigene magische Energie in Kiefer und Kehle. „Du kannst uns hier nicht festhalten. Was ist überhaupt der Plan? Drei Blutsopfer in zwei Wochen ist verschwenderisch, selbst für deinesgleichen.“ Wie hatte Derrick die Feenzeichen vorher versteckt? Jetzt war es deutlich zu sehen. Seine Augen violett, seine Ohren, wie auch die Zähnen spitz und ein gräuliches Glänzen auf der Haut. War er Fae oder Halb-Fae? Kein klassisches Wechselbalg. Bei ihnen zeigte es sich selten so deutlich. Wieder drückte sein Wille auf sie. Nahezu konnte sie seine Stimme in ihrem Unterbewusstsein hören, wie er versuchte ihre Muskeln zu kontrollieren. „Knie dich hin. Knie dich hin.“ Oh nein, sie würde nicht vor ihm knien. Sie sammelte ihre Energie in den Beinen, um gegen seinen Zauber anzukämpfen. Ihre Muskeln schrien in Protest. Sie konnte ihn sprechen. Sie musste ihn brechen. Doch offenbar war Derrick nicht gänzlich physischer Gewalt abgewandt. Seine Faust traf sie am Kinn und warf sie dank ihrer steifen Muskeln und da sie es nicht hatte kommen sehen um. Keuchend kam sie auf dem Boden auf, konnte sich nicht einmal abfangen. Ihr Kiefer schmerzte. Derrick trat zu und sie konnte nichts tun, um sich zu schützen. Ihre Gedanken rasten. Sie musste fortkommen, doch gegen Magie konnte sie sich nicht ankämpfen. Wieder trat er zu und es kostete sie einige Beherrschung, keinen Laut von sich zu geben. Die Genugtuung wollte sie ihm nicht geben. Sein Zauber saugte ihre Energie ab. Wie lange würde es dauern, bis er sie tötete? Wenn Derrick es nicht vorher selbst übernahm. Jetzt kickte er gegen ihre Schulter, drehte sie auf den Rücken und stellte seinen Fuß auf ihren Bauch. Er trat nicht zu. Nein, er kostete den Moment aus. Jämmerlich. Sein Blick traf den ihren und ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. Er wusste, wie leicht er sie töten könnte. Es wäre einfach. Sie wussten es beide. Er konnte es langsam tun, schnell, es machte keinen Unterschied. Im Moment war sie ihm ausgeliefert und sie hasste dieses Gefühl. Sie hasste dieses Gefühl mehr als jedes andere. „Was genau bist du?“, fragte er. Dabei verhinderte sein Zauber, dass sie antwortete. Wütend starrte sie ihn an. Ihre Gedanken rasten weiter, versuchten einen Ausweg zu finden. Sie war auf so viel vorbereitet aber nicht Blutmagie. Wie sehr sie Magie hasste. Magier. Sie machten alles so schwer. Jetzt kniete er sich vor sie, musterte ihr Gesicht. Er streckte die Hand aus, berührte ihre linke Schläfe. „Das Auge. Woher ist das?“ Mit einem Mal ließ sein Zauber nach. Er wollte offenbar, dass sie antwortete. Für den Moment hielt sie die Lippen aufeinander gepresst, bis sein Daumen zu dem gläsernen Auge wanderte. Würde er es ihr ausnehmen? „Ich habe es als Bezahlung für einen Job bekommen“, erwiderte sie. Keine komplette Wahrheit, was interessierte es. „Magische Söldnerin also“, schloss er. Volltreffer. „So etwas wie.“ Wenn sie sich jetzt bewegte, konnte sie ihn ausschalten, bevor er einen neuen Zauber sprach? „Und schon ziemlich kaputt.“ Seine Hand glitt zum Ansatz ihrer Prothese. „Nichts magisches dafür, eh?“ Er schob die künstliche Haut an ihrer Schulter zurück und verzog beim Anblick des Narbengewebes das Gesicht. „Da sind sicher ein paar interessante Geschichten.“ Was zur Hölle wollte er? „Was jetzt?“, fragte sie. „Nun, du bist nur zu so viel zu gebrauchen“, erwiderte er. „Aber du hast magisches Blut. Also …“ „Also was?“ Würde sie auch als Opfer in dem Ritualkreis enden. Ein Opfer für was? Er antwortete nicht. Seine Hand glitt über das Leder ihrer Weste. Gebleichtes Gazellenleder, mit einem Zauber versehen, der diverse Waffen aufhielt. Ohne hätte sie auch jetzt gebrochene Rippen. Dennoch widerte sie die Berührung an, als seine Hände über ihre Brüste glitten. Wenn er abgelenkt war, hatte sie eventuell eine Chance. „Also was?“, fragte sie. „Du weißt es selbst, oder?“ Sie machte ein verächtliches Geräusch. Natürlich verstand sie, was er eigentlich meinte. Er wollte ihr Blut. Er brauchte ihr Blut. Sie verstand ihn absichtlich falsch. „Also willst du mich vergewaltigen?“ Er lachte. „Bitte. Ich kann andere haben. Frauen mit zwei Armen, die auch wie Frauen aussehen.“ Seine Hand wanderte tiefer. Also war er doch beeinflussbar. „Meinesgleichen hat dahingehend besondere Fertigkeiten.“ „Was? Darin Frauen zu vergewaltigen?“, erwiderte sie. „Glaube ich sofort. Deinesgleichen ist bekannt dafür, nicht?“ „Wir vergewaltigen nicht. Die Frauen und Männer, die wir nehmen, wollen uns.“ Sie lachte trocken. „Ja, geistesbeeinflussende Zauber sind in meinem Buch noch immer eine Vergewaltigung.“ Auch wenn ihr nicht viel Energie blieb, sammelte sie diese in ihren Beinen. Sie musste schnell sein. Fae waren schnell. „Wie du meinst.“ Es schien ihn nicht zu interessieren, dennoch glitt seine Hand zwischen ihre Beine. „Sag mal, bist du einfach nur eine von diesen Kampflesben oder willst du eigentlich ein Kerl sein?“ Seine Stimme war abfällig. „Du könntest hübsch seien, wenn nicht …“ In einer raschen Bewegung hob sie das linke Bein, hackte den Fuß an seinem Nacken ein, drückte ihn zu Boden, benutzte seinen Arm als Hebel, um auf ihn zu kommen. Einen Moment später war sie auf ihm, drückte ihr Knie gegen seinen Nacken, während sie versuchte seinen linken Arm zu Greifen zu bekommen. „Arschloch.“ Sie verlagerte ihr Gewicht, um gegen seine Kehle zu drücken, ihm idealerweise den Adamsapfel einzudrücken, sofern das bei was auch immer er war, eine Möglichkeit war. Seine Hände versuchten gegen ihr Bein zu drücken, doch physisch war er schwächer als sie. Gut. Typisches Magierproblem. Wer sich auf Magie verließ, war selten in physischer Optimalverfassung. Magie machte faul. Doch ihr Gewinn dauerte nur kurz an, bevor die Tür geöffnet wurde. Ehe sie verstand, was geschehen war, wurde sie gegen die Wand geschleudert. Zum zweiten Mal in viel zu kurzer Zeit wurde die Luft aus ihrer Lunge gedrückt, als eine Frauenstimme in einer fremden Sprache sprach. Es klang vage, aber nur vage wie Isländisch, nicht dass sie auch nur ein Wort der Sprache verstand. Derrick keuchte. Während eine unsichtbare Hand Pakhet weiterhin gegen die Wand drückte, antwortete er in derselben Sprache. Er sprach beruhigend, rascher und mit anderer Stimme als zuvor. Endlich ließ die unsichtbare Macht sie los. Bevor Pakhet sich fangen konnte fiel sie zu Boden, versuchte sich aufzurappeln, als eine Krallenbesetzte Hand nach ihrer Kehle griff. Die Hand gehörte einer Frau. Einer alten Frau mit ausgemergelter, gräulicher Haut unter der sich die Adern schwarz abzeichneten. Ihre Augen waren ebenso schwarz, monströs und wirkten doch ausdruckslos. Anders als bei anderen Monstern. Auch wenn die Frau zerbrechlich wirkte, machte es ihr keine Mühe, Pakhet an der Kehle empor zu ziehen. Ihre Augen schienen auf ihr Gesicht fixiert, als sie etwas zischte. Ihre Krallen bohrten sich in Pakhets Hals, ehe die Welt zum sie um zweiten Mal in dieser Nacht dunkel wurde. Als sie wieder in dem verdammten Ritualkeller zu sich kam, war sie nicht überrascht. Zumindest konnte sie jetzt sagen, dass es nur fünf Typen waren. Nun, vier Typen und die seltsame Frau, die Pakhet bereits oben gesehen hatte. Was war sie? Definitiv kein Mensch, doch etwas an ihr sagte Pakhet, dass sie auch kein Fae war. Sie war etwas anderes? Dämon? Nein, Dämon waren letzten Endes nicht viel anders als Fae. Manche sagte sogar, dass Fae und Dämonen dasselbe waren. Zwei Seiten derselben Münze. Zumindest war sie mächtig. Was sie zuvor getan hatte … Es war nicht ohne. Mehr, als dass ein normaler Magier hinbekommen hätte, jedenfalls ohne Vorbereitung. All das war jedoch nur ein weiteres von vielen Problemen. Wer auch immer es gewesen war … Irgendjemand hatte Pakhet gefesselt. Dieses Mal mit Seil. Ihr Arm war hinter ihrem Rücken gefesselt, das Seil so gelegt, dass es den Arm an Brustkorb und Nacken festhielt. Sie ging jede Wette ein, dass es sich enger um ihren Hals legen würde, sollte sie versuchen, zu entkommen. Nicht dumm. Sie hatten den Arm nicht wieder an die Prothese gebunden, mit der sie leichter hätte tricksen können. Auch ihre Beine waren gefesselt. Sie waren angewinkelt fixiert. Ja, sie hatten definitiv Angst gehabt, dass sie noch einmal abhaute. Ein Knebel schnitt in ihrem Mund. Natürlich. Und jetzt? Erstickte Laute, die sehr nach den Versuchen von Flüchen klangen, verrieten ihr, dass irgendwo zwischen den Typen Skyla war. Wahrscheinlich auf dem Altar. Was würden sie tun? Die anderen Frauen waren ohne Blut aufgefunden worden. Also hatte das, was sie taten, in irgendeiner Form mit Blutmagie zu tun. Sie würden Skyla töten. Auf irgendeine Art würden sie sie töten. Pakhet drehte den Kopf weiter, bis ihr Nacken schmerzte, in der Hoffnung etwas zu sehen. Da war ein Stück bleiche Haut. Da war der Schimmer eines Messers. Ja, Ritual. Anders als bei anderen Ritualen von irgendwelchen wirren Kultisten wurde nicht viel gesungen oder getan. Stattdessen wurden Hände gehalten. Auch mit dem Wissen, dass es Magiern half, ihre Magie zu bündeln, hätte Pakhet wohl Witze gemacht, wäre sie in einer anderen Situation gewesen. Okay. Sie musste schnell sein. Was waren ihre Möglichkeiten? Sie konnte aus den Fesseln kommen. Irgendwie schaffte sie das. Die Frage war nur, ob sie schnell genug wäre und was sie dann tat. Sie würde ihre Beine extra entfesseln müssen. Dafür hatte sie nicht die Zeit. Ja. Sie war wirklich mit ihrem Latein am Ende. Scheiße. Sie würde garantiert nicht hier unten sterben. Vorsichtig begann sie ihre rechte Hand leicht, sehr leicht zu bewegen. Ja. Wie gedacht war das Seil mit dem Seil an ihrem Hals verbunden. Dieser schmerzte sowieso. Die dumme Kuh hatte wahrscheinlich einige blaue Flecken und Kratzer hinterlassen. Sie brauchte einen Heiler. Weiter. Sie bewegte ihre Hand sehr langsam, sehr vorsichtig, versuchte sich auf die Seite zu drehen, um eine bessere Sicht zu bekommen. Jetzt gingen die sechs einfachen Typen, die wohl einmal sieben gewesen waren, in die Knie. Derrick, der wahrscheinlich anders hieß, begann leise etwas in derselben Sprache, die sie zuvor gehört hatte, zu murmeln. Er stand zu Skylas Kopf. In seiner Hand war eine Klinge. Ein glattes, doppelschneidiges Ritualmesser. Er hob es. Nicht gut. Gar nicht gut. Dann setzte er es an Skylas Hals an. Skyla schrie gegen einen Knebel an. Das würde ihr wenig bringen. Was war mit ihrer Magie? Doch wahrscheinlich wusste sie genau so gut wie Pakhet, dass es ihr nur so viel bringen würde. Verdammt. Pakhet bemühte sich schneller zu arbeiten. Sie zog ihre Hand weiter aus der ersten Schlaufe. Es war schwer. Das Seil schleifte über ihre Haut. Den Schmerz konnte sie ignorieren, solange sie das Seil dafür nicht enger zog. Endlich. Ihre Hand glitt durch die erste Schlaufe, gab ihr damit mehr Seil, mit dem sie arbeiten konnte. Der Druck auf ihrem Hals ließ nach. Das Messer berührte Skylas Hals, schnitt ein. Blut rann ihren Hals hinab. Nein. Verdammt. Irgendwie schaffte Pakhet es die Hand durch die zweite Schlinge zu ziehen, wesentlich schneller als bei der ersten, und bekam dadurch genug Freiraum um den Arm gänzlich freizubekommen. Es war dumm, doch sie riss sich den Knebel aus dem Mund. „Hey!“, rief sie, wohl wissend, dass es sie zum Ziel machen würde. Derrick und zumindest vier der Typen fuhren zu ihr herum. Im selben Moment hob Skyla ihren Kopf, berührte Derricks Hand. Er sah zu ihr, als würde ihm etwas klar werden. Natürlich verstand auch Pakhet: Skyla versuchte ihn zu verzaubern. Er nahm das Messer, wollte zustechen, konnte aber erneut nicht ganz Berührung mit ihrer Haut vermeiden. Das Messer schnitt in ihren Hals, ehe er umkippte, während Pakhet versuchte das Seil ganz von ihrem Oberkörper zu reißen. „Worauf wartet ihr?“, knurrte die Frau mit einer verzerrten, unmenschlichen Stimme. Zwei der Typen liefen zu Pakhet. Da. Endlich. Einer von ihnen hatte ein Messer. Der andere griff nach ihren Schultern, drückte sie auf den Boden, während der andere versuchte auf sie einzustechen. Derrick hatte einen Fehler gemacht. Er hatte ihre Weste gelassen. Das Messer glitt davon ab. Pakhet hatte genug Bewegungsfreiraum mit dem Arm, um ihren Ellenbogen im Solar Plexus des Mannes, der sie hielt, zu versenken. Er beugte sich nach vorne, ließ locker, was ihr erlaubte, den Arm fortzuziehen. Der erste versuchte wieder zuzustechen, lernte nicht, sie bekam seine Hand zu fassen, leitete ihre Energie in die ihre und drückte zu. Die dünnen Knochen in seiner Hand gaben nach. Dann hatte sie das Messer. So schnell wie sie konnte schnitt sie durch das erste Messer an ihren Beinen. Während Kumpane Nummer 1 noch schrie, versuchte Nummero 2 sie wieder zu tackeln, sie zu Boden zu drücken. Er war ein einfacher Typ, ohne jedwede Ausbildung. Typisch. Sie entging ihm. Selbst halb gefesselt konnte sie seinen unüberlegten Angriff umleiten. Dann stach das Messer in seine Schulter, ließ ihn aufschreien. Instinktiv wich er von ihr zurück. Die Frau berührte Derrick, nahm ihm das Messer ab, schnitt sich in die Handfläche und hielt es über ihn. Das Blut tropfte auf sein Gesicht, schien ihn wieder zum Leben erwachen zu lassen. Nicht gut. Gar nicht gut. Endlich. Pakhet trennte eine dritte Strebe des Seils durch, bekam die Beine frei, sprang auf. Ihre Beine waren kaum durchblutet, schienen sie nicht tragen zu wollen, mussten aber. Derrick. Derrick war die Priorität. Bevor er genug bei Bewusstsein war. Sie sprintete, warf sich gegen die Frau, die jedoch nicht zur Seite wich. Stattdessen versuchte sie nach ihr zu schlagen. Warum benutzte sie nicht wieder Magie? Derrick richtete sich auf. „Oh nein“, knurrte er. Sein Blick verhärtete sich. Pakhet wusste, was kommen würde. Ihr Blick glitt zum Altar, traf den Skylas. Diese schloss die Augen. Die Luft begann zu schwingen. Wortwörtlich. Ein seltsames Surren. Ein Zauber? Derrick hielt inne, nur einen Moment, doch mehr brauchte Pakhet nicht. Das Messer schnitt in seine Brust. Anders als sie hatte er keinen magischen Schutz. Es glitt durch seine Haut, seine Muskeln in seinen Brustkorb, ehe sie es hochriss, weiter nach oben schnitt um sicher zu gehen, dass sie sein Herz erwischte. Sie zog das Messer heraus, wollte sich zur Frau umwenden, ehe sie - wie schon oben - zurückgeworfen wurde. Auch wenn sie vorbereiteter war, traf der Zauber oder was für eine Art Angriff es auch immer war, sie heftig, warf sie zurück. „Du kannst meinen Jungen nicht töten.“ Die Frau hatte die Hand ausgestreckt, als würde sie etwas festhalten. Pakhet. Oh, natürlich, in bester Comic-Manier. Aber es brachte sie in ein Problem. Derweil griff die Frau mit ihrer Hand das Ritualmesser, schnitt sich selbst. Ihr schwarzes Blut waberte aus ihrer Wunde, wie in Schwerlosigkeit, kroch wie an unsichtbaren Schnüren zu Derrick, ehe es innehielt. Ein Zittern ging durch den Körper der Frau, bevor sie sich zu Skyla umdrehte. Obwohl sie sich abgewandt hatte, hielt die unsichtbare Kraft Pakhet noch immer fest, während die Frau zu straucheln begann. „Der Junge kann warten“, murmelte sie, ehe sie wieder in die andere Sprache verfiel. Das Blut schwebte noch immer in der Luft, teilte sich in einzelne Tropfen. Genau dasselbe passierte mit Skylas Blut. Es begann aus der Wunde an ihrem Hals zu fließen, zu schweben, fand Tropfen des schwarzen Blutes und vermischte sich damit, sammelte sich, während Skylas Wunde stärker zu bluten begann. Noch war Skyla bei Bewusstsein. Sie schloss die Augen. Die Bewegung ihres Blutes verlangsamte sich. Konnte sie es auch kontrollieren? Was war es? Kontrollierte sie die Flüssigkeit oder das Blut selbst? Derrick regte sich. Seine Wunde blutete nicht. Verdammte Fae. Nein. Das hier würde so nicht passieren. Die Frau murmelte. Ihre Stimme sagte klar, dass sie fluchte. Sie war ebenso unglücklich mit der Situation, wie Pakhet. Skylas Blut formte kleine Kristalle. Eis. Was auch immer das Ritual tat, so schien es darauf aufzubauen, das Blut zu vermischen. Etwas das bei gefrorenem Blut schwerer sein würde. Skyla war ruhiger, als Pakhet es erwartet hätte. Vielleicht sogar ruhiger, als sie es gewesen wäre. Verdammt. Pakhet kämpfte gegen die unsichtbare Kraft. Egal was die Frau war und wie mächtig sie war, sie konnte sich nur auf so viel gleichzeitig konzentrieren. Noch hatte Pakhet das Messer in der Hand. Doch da waren auch die zwei anderen Typen. zwei? Wo war der andere geblieben. Die Frau sagte etwas zu ihnen und natürlich gingen sie zu Pakhet. Sie hasste Magie. Magie machte alles so unglaublich kompliziert. Hätte es denn kein einfacher Vampir sein können? Einfach nur ein einfacher Strigoi, dessen Herz man herausschnitt und verbrannte? Nein. Es mussten irgendwelche Fae und komplizierte magische Rituale sein. Pakhet holte tief Luft. Die Macht hielt sie gegen die Wand gedrückt, aber sie konnte sich etwas bewegen. Irgendwie. Irgendwie. Da. Eine Schwäche. Weiter unten. Ihre Beine hatten mehr Bewegungsfreiheit. Machte es Sinn? Nein. Aber es war Magie. Was erwartete sie da? Sie verlagerte ihr Gewicht, ließ sich fallen und tatsächlich rutschte sie. Einen Moment später verschwand der Druck. Also hatte sie Recht. Die Alte konnte sich nur auf so viel konzentrieren. Schnell. Pakhet warf zwei der Typen zur Seite und versenkte das Messer im Rücken der Alten. Zumindest war das ihr Plan, doch das Messer schnitt nicht. Also war die alte magisch geschützt. Schon fuhr sie herum, während das Blut sich mehr und mehr um Skyla sammelte. Die Kristalle schmolzen, verfärbten sich. Und da kam Pakhet ein Gedanke. Als die alte ihren Arm hob, trat sie gegen das Knie. Was auch immer es war, war es genug physische Kraft, um ihr Gleichgewicht für einen Moment zu verlagern. Genug, um das Messer in ihrer Hand, das Ritualmesser zu schnappen zu bekommen. Sie nahm es und stach zu, traf den Hals der Alten. Im nächsten Moment warf die unsichtbare Macht sie wieder zurück, verschwand im nächsten Moment wieder. Die Frau griff sich an den Hals, tastete nach dem Messer, als Pakhet wieder zu ihr sprang, den Griff des Messer nahm und es durch die Kehle der alten zog. Das Blut tröpfelte zu Boden, tröpfelte auf Skylas Körper, auf den dunklen Steinboden um den Altar. Pakhet zog das Messer zurück und stach dann in die Brust der Alten, dessen Körper unter der Berührung zu zerfließen schien. Wortwörtlich. Endlich gaben Pakhets Beine nach, als der Körper der Frau sich in dieselbe schwarze Flüssigkeit auflöste, über den Boden schwappte. Wahrscheinlich war sie nicht einmal tot. Was auch immer sie war, könnte so leicht nicht getötet werden. Da waren noch immer Typen. zwei Stück. Da waren noch immer Typen. Und Skyla. EPILOG: Süß, nicht sauer ------------------------ Es war vor allem Sorge, die Pakhet hatte kommen lassen. Nicht, dass sie diese Sorge zugegeben hätte. Doch hatte sie Skyla das letzte Mal gesehen, als man sie in den Krankenwagen gebracht hatte. Sie hatte keinen Grund gesehen, die Magierin im Krankenhaus zu besuchen. Wahrscheinlich hatte sie eh dafür gesorgt zu einem Heiler gebracht zu werden. Letzten Endes war es nur ein weiterer Job und Skyla jemand, den sie nicht wiedersehen würde. Sie hatte bisher niemanden wiedergesehen, den Michael von außerhalb der Firma angeheuert hatte. Trotzdem fühlte sie eine gewisse Verantwortung für Skylas Zustand. Sie selbst hätte vorher merken sollen, dass etwas nicht stimmte. Sie hätte sich vorher befreien sollen. Wäre Skyla nicht magisch, wäre sie gestorben. Jetzt saß Pakhet in einer Brasserie am Rand der French Quarters. Vor ihr eine breite Tasse schwarzen Kaffees. Ihr Flug zurück nach Südafrika würde am Abend gehen. Sie würde nach New York fliegen und von dort aus nach Joburg. Wahrscheinlich würde sie von Joburg aus mit einem Transportflieger nach Kapstadt zurück. Abwarten. So oder so würde sie in Joburg übernachten, sich nach all dem Scheiß hier vielleicht etwas amüsieren. Für sie war es verhältnismäßig glimpflich ausgegangen. Ein großer blauer Fleck zierte ihr Kinn, ihr Hals sah aus, als hätte eine Raubkatze versucht, sie ihr auszureißen, doch keine der Wunden war tief. Außerdem bedeckten einige große, blaue Flecken ihren Oberkörper. Ihre Weste hatte sowohl Stiche abgefangen, als auch gebrochene Rippen verhindert, hatte aber nicht sämtliche Schläge abfangen können. Es war egal. Sie war schmerzen gewohnt. Ja, sie hatte schlimmeres erlebt. Da. Skyla betrat das Lokal. Ihr Haar hing offen über die Schultern, die heute mit einem schwarzen Pulli bedeckt waren. Der Pullover hatte einen Rollkragen, um ihren Hals zu verdecken. Der obere Rand eines Pflasters war dennoch zu sehen. Kurz ließ sie ihren Blick über die Leute in der Brasserie wandern, ehe sie Pakhet entdeckte. Sie lächelte, ging zu ihr hinüber. Sie setzte sich zu ihr. „Hi.“ „Hi.“ Pakhet war nicht sicher, wie sie reden sollte. Sie redete selten mit Kollegen über etwas anderes als den Job. Eine Frage schien angemessen. „Wie geht es dir?“ „Nichts was ein wenig Magie nicht heilen kann.“ Sie schüttelte den Kopf. „Zum Glück.“ Um einer Antwort zu entgehen hob Pakhet den Kaffeebecher an den Mund, trank. „Du warst nicht bei einem Heiler?“, fragte Skyla. Ihr Blick war an Pakhets Kinn hängen geblieben. „Nein. Nicht hier.“ In Südafrika gab es Heiler, die sie kannte. Dort würde sie sich wohler fühlen. Skyla nickte. „Ich wollte mich bedanken.“ Nun setzt Pakhet den Kaffeebecher ab und sah sie an. „Wofür?“ „Du hättest mich da drin zurücklassen können.“ „Ja. Aber es war mein Job den Vampir zu erledigen. Selbst wenn der Vampir eigentlich keiner war.“ Nicht, dass es die Behörden interessiert hätte. Deren Wissen über diese Details war kaum vorhanden. Am Ende war Derrick für sie nur ein anderer Vampir, wenngleich einer Art, die sie nicht kannten, gewesen. Wirklich falsch war es wahrscheinlich nicht, zumal diejenigen seiner Handlanger, die überlebt hatten, seit seinem Tod sich verwirrt und inkohärent gezeigt hatten. Alles sprach für eine Art Glamour, der über ihnen gelegen war. Skyla musterte sie für zwei, drei Sekunden. „Ja, wahrscheinlich.“ „Du hast Derrick ausgeschaltet, während er versucht hat, deine Kehle durchzuschneiden. Das war beeindruckend.“ Ein Lächeln huschte über das sommersprossige Gesicht. „Meine Talente sind einseitig, aber dahingehend zumindest ausgeprägt.“ Sie senkte den Blick. Ihre Wangen glühten. Wie alt war sie eigentlich? Eine Kellnerin kam zu ihnen hinüber. „Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“, fragte sie Skyla. „Ja. Sicher. Ich hätte gerne einen Latte Macchiato. Und …“ Sie sah zur Theke, an der einige Kuchen ausstanden. „Bringen Sie uns doch zwei Stücke von der Mandeltorte.“ „Sicher.“ Die Kellnerin machte eine Notiz. „Bei Ihnen noch etwas?“, fragte sie dann Pakhet, die nur den Kopf schüttelte. Nachdem die Kellnerin gegangen war, seufzte sie. „Ich weiß die Geste zu schätzen, aber ich esse generell wenig Süßes.“ Skyla lächelte. „Probier es zumindest.“ Pakhet verkniff sich ein Schulterzucken. „Okay.“ Damit schien Skyla zufrieden. Für eine Weile schwieg sie, sah aus dem Fenster. Draußen regnete es. Der Regen hämmerte in dicken Tropfen gegen die Glasfassade der Brasserie, vor der sie saßen. Schließlich gab sich Pakhet einen Ruck. „Was da passiert ist, war meine Schuld. Ich hätte auf dich aufpassen sollen. Aber ich habe mich selbst in eine Falle locken lassen. Das tut mir leid.“ Skyla zuckte mit den Schultern. „Früher oder später sollte das passieren. Es war halt so. Wir sind rausgekommen.“ „Ich frage mich nur, wo der Alte abgeblieben ist“, meinte Pakhet. Denn unter den Typen, die die Polizei später festgenommen hatte, war der alte Mann, der Skyla zuerst in den Kerker gebracht und sich nicht hatte provozieren lassen, nicht gewesen. Eine Sache, die Pakhet noch immer beunruhigte. Sie hatte schon so genug Feinde, zumal sie nicht sicher sein konnte, was er gewesen war. „Hoffen wir, er war genau so kontrolliert …“ Skyla seufzte. Bevor sie das Gespräch fortsetzen konnten, kehrte die Kellnerin mit zwei Tellern und einem hohen Glas für Skyla zurück. Sie stellte alles ab, lächelte dann von der einen zur anderen. „Gibt es sonst noch etwas, das ich Ihnen bringen kann?“ Pakhet schüttelte den Kopf. „Nein. Vielen Dank.“ Skyla nahm ihr Glas, nippte daran. „Du arbeitest von Südafrika aus?“ „Ja.“ Pakhet nickte. Sie beäugte den Kuchen misstrauisch. Ihre Worte von zuvor waren keine Lüge gewesen. Sie mochte nichts Süßes. „Dein Dialekt ist aber Amerikanisch“, meinte Skyla und brachte sie damit ironischerweise auf das Thema zurück, auf das Derrick sie vorher angesprochen hatte. „Ja. Meine Eltern waren Amerikaner“, erwiderte Pakhet. Mehr musste Skyla nicht wissen. Mehr musste niemand über sie wissen. „Verstehe.“ Skyla zog den Teller mit dem Kuchen näher an sich heran. „Und du arbeitest immer allein?“ „Nun, selten allein. Aber halt … Mit Gelegenheitspartnern.“ Was auch immer es interessierte. Skyla lächelte sie an, doch eine Spur von Mitleid lag in ihren Augen. Mit einer Gabel trennte sie ein Stück des Kuchens ab und schob es sich in den Mund, schluckte, ehe sie sprach: „Vielleicht solltest du darüber nachdenken, mit einem Team zu arbeiten. Fest. Ich könnte jemanden wie dich gebrauchen, der mir den Rücken freihalten kann.“ Pakhet seufzte. „Ich komme so schnell aus Südafrika nicht weg.“ Schon gar nicht in die USA. Sie wäre tot, würde sie sich von Michael trennen und hierher ziehen. „Und … Nun, ich denke nicht, dass ich eine gute Performance abgegeben habe. Oder endest du normalerweise in Gefangenschaft von deinem Target?“ „Nein“, erwiderte Skyla. „Aber andere, die darin landen kommen ohne SWAT-Team nicht heraus.“ Pakhet schüttelte den Kopf. „Nein. Ich … Ich gehöre nach Südafrika. Und ich arbeite meistens besser allein.“ Skyla seufzte. „Verstehe.“ Sie trennte ein weiteres Stück Kuchen ab, um es zu essen, hielt dann inne. Sie lächelte amüsiert. „Der Kuchen ist nicht vergiftet, weißt du?“ Pakhet verzog die Lippen zu einem kurzen Grinsen, ehe sie ihre Gabel nahm. Vorsichtig trennte auch sie ein kleines Stück ab und schob es sich in den Mund. „Und?“ Skyla hob eine Augenbraue. Mit einem Schulterzucken nahm Pakhet ein weiteres Stück. „Weniger süß, als erwartet.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)