Blutsold von Alaiya (Vampirjagd in New Orleans) ================================================================================ II. Fluchtversuche ------------------ Die Situation, in der Pakhet erwachte, war nicht ideal. Es roch moderig, ihre Hände waren hinter ihrem Rücken gefesselt und sie hing kopfüber. Metallene Ringe lagen um ihre Fußgelenke, hielten sie irgendwodran fest. Fußfesseln. Vorsichtig bewegte sie ein Bein, soweit es ihr möglich war. Sie hörte das Klirren von Ketten. Großartig. Folterkeller, eh? Es war dunkel, was die Annahme nahelegte, dass sie allein war. Sie schloss ihr rechtes Auge, konzentrierte sich darauf mit ihrem Glasauge zu sehen. Dank dem Zauber, der darauf war, konnte sie im Dunkeln sehen. Rasch musste sie ihre Einschätzung von zuvor korrigieren: Kein Folterkeller. Ein Ritualraum. Da war so etwas, wie ein Altar in der Mitte des Raums, dazu aktuell gelöschte Kerzen darum. Drei davon sehr groß und an den Ecken eines Dreiecks aufgestellt. Wundervoll. Der Altar schrie nahezu „Menschenopfer“. Würde sie darauf landen? Blutmagie … Blutmagie hieß nie etwas gutes. Es musste Derrick gewesen sein, der sie entführt hatte. Doch etwas im Kaffee. Scheiße. Warum war sie darauf eingegangen? Dann war er der Vampir oder nur ein anderer Verrückter? Zweiteres war eher unwahrscheinlich. Letzten Endes war es selten, dass sich zwei Serienkiller gleichzeitig rumtrieben und dass hier, dass stank definitiv nach Serienkiller. Aber warum sie? Sie entsprach nicht dem Bild. Es sei denn natürlich, dass er genau wusste, warum sie hier waren. Dann hatte er sie ausgeschaltet, um sie aus dem Weg zu räumen. Ziemlich dumm. Man hatte ihr die Stiefel ausgezogen und ihr dabei auch das versteckte Messer abgenommen, während Handtasche und damit ihre Waffe ebenfalls fehlten. Egal. Dann musste sie improvisieren. Zumindest hatte sie ihre viel zu kurze Hose noch und ihren Gürtel. Sie tastete danach. Zwar waren ihre Hände fixiert, allerdings in Reichweite ihres Hosenbundes. Sie tastete nach dem Gürtel, speziell nach den Nieten, die darauf saßen. Da. Das hatten sie nicht gefunden. Wenn sie in ihrem Job eine Sache genau gelernt hatte, dann war es, auf solche Situationen vorbereitet zu sein. Sie fand den kleinen Gegenstand aus Plastik, der vermeintlich zwei lose Nieten zusammenhielt. Vorsichtig, dass er nicht fiel, löste sie ihn mit einem Finger, verfluchte ihre Prothese, mit der sie nicht helfen konnte. Sie hatte keine Wahl. Sie musste hier heraus. Der Geruch in diesem Raum gefiel ihr gar nicht. Endlich hatte sie das Ding in der Hand. Es war ein Notfallschlüssel aus Plastik, der für die meisten Handschellen passte. Ein Grund, warum Kabelbinder bessere Fesseln abgaben. Nun, sie würde sich darüber nicht beschweren. Sie hatte sie eine Chance hier herauszukommen. Hinter dem Rücken zu arbeiten, noch dazu mit einer Hand, war schwer. Wenn Derrick tatsächlich magisch war, hatte er ihre Prothese fraglos bemerkt. Natürlich hatte er sie gelassen. Ohne wäre es schwerer gewesen, sie zu fesseln. Leise fluchte sie, als der Plastikschlüssel wieder an der Öffnung vorbeirutschte. Sie wusste nicht, wie viel Zeit sie hatte. Wo war Skyla? Hatte sie ihre Abwesenheit bemerkt? Wahrscheinlich. Zwar wusste Pakhet nicht, wie lange sie ausgeschaltet gewesen war, doch war es fraglos eine längere Zeit gewesen. Eine Stunde? Zwei? Drei? Ohne einen Blick nach draußen werfen zu können, war es schwer zu sagen. Da. Endlich. Der Schlüssel glitt in das Loch. Sie begann ihn zu drehen. Das leicht zu verbiegende Plastik war nicht die beste Methode, ließ sich aber im Vergleich zu einem Universalschlüssel aus Metall leichter verstecken. Schritte. Ein Keuchen. Jemand drehte knirschend einen Schlüssel im Schloss der Tür. Verdammt. Mit all der Kraft, die sie in ihren Fingern hatte, drehte Joanne den Plastikschlüssel und bekam die Handschelle um ihre Prothese auf. Rasch steckte sie den Schlüssel fort, um keine Aufmerksamkeit darauf zu ziehen. Herein in den Raum kam ein Mann, gekleidet in schwarze Roben, die tatsächlich an einen Priester erinnerten, gemeinsam mit einer Frau. Einer nackten Frau. „Fick dich, Arschloch“, fluchte Skyla, als der Mann, der nicht Derrick war, sie in den Raum stieß. „Dafür sind andere zuständig.“ Seine Stimme klang gelangweilt, während er sie weiter in den Raum, hin zu dem Altar brachte. Wie Joanne war Skyla gefesselt, die Hände hinter ihrem Rücken zusammengebunden. Anders als bei Joanne mit Seil, nicht mit Handschellen. „Sagt Mal, was wird das hier werden?“, fragte sie, bemüht ihre Stimme ebenso gelangweilt klingen zu lassen, wie er die seine. „Ist das hier … Was genau? Für Voodoo seit ihr zu weiß. Also was? Satanismus?“ Der Typ sah zu ihr. „Ah. Du bist wach.“ Ein wenig Überraschung war aus seiner Stimme zu hören. Der Kerl war eindeutig älter als Derrick es gewesen war. Sein Haar war angegraut und deutliche Falten zeichneten sich in seinem Gesicht ab. Auch sein Bart war ausgewachsen und mit grauen Strähnen durchzogen. „Bist du irgendeine Art Obermufti?“, fragte sie. Er musterte sie, drückte dann Skyla gegen den Altar und nahm eine Kette, die mit einem in den Stein getriebenen Eisennagel befestigt war und legte diese um Skylas Arm. „Uh, wir sind ganz erhaben, was?“ Pakhet übertrieb. Sie hoffte ihn dazu bringen zu können, sie anzugreifen. Er schien nicht trainiert. Eigentlich sollte sie ihn ausschalten können, wenn sie ihm nur nahe genug kam. Wenn sie Glück hatte, hatte er ein Messer oder Vergleichbares dabei. Er kam näher. Gut. Weiter. „Du bist ziemlich selbstsicher.“ „Ich neige dazu, mich von Typen nicht einschüchtern zu lassen.“ Selbst wenn ihr das Blut langsam in den Kopf senkte. Sie musste aus der Situation heraus. „Ist das so?“ Er hockte sich vor sie, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein. „Magst du mir vielleicht erzählen, wer euch angeheuert hat.“ „Dann gebt ihr zu, dass ihr die drei Frauen ermordet habt?“ Aktuell war er gerade so aus ihrer Reichweite, um ihm sicher eine Kopfnuss zu verpassen. Er musterte sie. „Nicht ermordet“, antwortete er. „Ja, sie sind rein zufällig gestorben, nachdem ihr sie entführt und Kopfüber aufgehängt habt, nicht?“ Sie machte ein verächtliches Geräusch. „Sicher. Was mich zur Frage zurück bringt: Satanismus? Oder vielleicht … Was?“ Sie erinnerte sich an Derricks Ring. „Ein missverstandener Odins-Kult vielleicht?“ Er verzog das Gesicht. Volltreffer, also? „Ich frage mich, wie du planst hier heraus zu kommen“, meinte er. „Denn du planst so etwas, nicht? Du bist definitiv eine andere Art Weib, als wir normal haben.“ „Charmant.“ Warum bedrohte er sie nicht. „Vielleicht sollten wir dir Manieren beibringen.“ Er streckte eine Hand nach ihrem Gesicht aus, doch sie schnappte daran, schenkte ihm einen vielsagenden Blick. „Oh ja, versucht mich zu ficken. Ich werde einem Typen wie dir gerne den Schwanz abbeißen.“ Er spuckte ihr ins Gesicht. „Eigentlich sollte ich dich gleich töten.“ Damit stand er auf und wandte sich ab. Missmutig verkniff sie sich ein Seufzen. Sie konnte kein Messer an seiner Robe erkennen, nichts, was sie ihm abnehmen konnte. Nicht auf die Entfernung. Nicht sicher. Da wäre es einfacher, er ging heraus. Noch einmal schaute er zu ihr, dann zu Skyla, ehe er die Tür schloss und sich wieder Dunkelheit über sie senkte. Pakhet seufzte. „Er hätte eine Kerze anlassen können.“ Stille. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe Skyla sprach. „Bist du okay?“ „Ja. Alles bestens.“ Pakhet löste ihre Hand von der Prothese. Dann spannte sie den Körper an, schwang vor, zurück, wieder vor und bekam ihre Beine zu fassen. Sie zog ihren Oberkörper daran hoch, bis sie die Ketten zu fassen bekam. Sie tastete die Fußfesseln ab, um den Mechanismus zu finden, mit dem diese geschlossen waren. Sie keuchte. „Was machst du?“, fragte Skyla. „Versuchen hier heraus zu kommen“, erwiderte sie. Da war ein Schloss daran. Ein älteres, schwergängiges Schloss. Kein moderner Mechanismus. Definitiv nichts auf das ihr Schlüssel passen würde. Mist. Dann die nächste mögliche Schwachstelle. Sie zog sich weiter empor. Ihre Prothese konnte sie zumindest halten, während sie mit der rechten Hand nach der Stelle tastete, an der die Kette befestigt war. Da. Ein in die Wand versenkter Ring. „Hast du die Hände frei?“, fragte Skyla. „Ja. Mehr oder minder.“ Die Handschellen hingen noch immer an ihrer rechten Hand. „Du kannst nicht ein wenig nachhelfen, oder?“ „Womit?“ „Ring. In Wand. Ich muss hier herunter.“ Skyla holte tief Luft. „Ich versuche es.“ Zweifel klang aus ihrer Stimme. Nach allem, was Pakhet über sie wusste, war sie auf weniger physische Magie spezialisiert oder darin begabt. Nichts geschah. Sekunden verstrichen, während Pakhets Bauchmuskeln von der Anstrengung zu Schmerzen begannen. Dann begann eine leichte Vibration durch die Wand zu gehen. So gut sie konnte ruckelte Pakhet an dem Ring. Er oder viel eher der dicke Nagel, an dem er befestigt war, begann sich zu lösen. Noch ein bisschen. Nur noch etwas. Er löste sich. Auch wenn sie mit dem Aufprall gerechnet hatte, schlug er für einen Moment die Luft aus ihren Lungen. Sterne tanzten vor ihren Augen, ehe sie sich besann. Keine Rippen gebrochen, allerhöchstens die Schultern geprellt. Darum konnten sie sich später kümmern. Mühsam richtete sie sich auf und löste ihren Gürtel, um mit dem Dübel der Gürtelschnalle zu versuchen die Fußfesseln aufzubrechen. Kein ideales Werkzeug, aber besser als nichts. Da fiel ihr etwas ein. „Danke“, meinte sie. Wieder war Stille ihre Antwort, gefolgt von einem leisen, kehligen Laut. Skyla war ruhiger, als sonst. Normal war sie vorlaut. Jedenfalls nach dem, wie Pakhet sie in den letzten Tagen erlebt hatte. Die Ärsche hatten nicht … Oder? Erst einmal mussten sie hier heraus. Endlich. Das erste Schloss gab nach. Klappernd viel es von ihrem Fuß. Pakhet fluchte. Hoffentlich hatte es niemand gehört. Rasch wiederholte sie dieselbe Technik am anderen Fuß. Es ging schneller, fühlte sich zumindest so an. Dann ging sie in die Knie und krabbelte zu Skyla hinüber. „Ist bei dir alles okay?“, fragte sie. Vorsichtig tastete sie nach den Schultern der anderen Frau. „Es geht“, erwiderte Skyla. „Mir ist kalt und was auch immer mir das Arschloch verabreicht hat, macht Kopfschmerzen.“ „Dann haben sie dir auch etwas untergemischt?“ Pakhet tastete nach der Kette, die der Typ an Skylas Arm festgemacht hatte. Das war ein moderner Mechanismus. Gut. Mit diesen hatte sie wenigstens Übung. „Jap. Das vermeintlich betrunkene Arsch“, murrte Skyla. „Ich bin auf einmal umgekippt.“ „Dasselbe bei mir. Idioten.“ Sie seufzte. „Wären sie klug gewesen, hätten sie uns ignoriert.“ „Ja.“ Ganz so überzeugt klang Skyla nicht. Da. Das Schloss gab nach, selbst wenn ihr Plastikschlüssel dem Gefühl nach langsam aufgab. Ein Glück. Die Seile waren das geringere Problem. Rasch löste sie die Knoten und befreite Skyla. Ihre Haut war eisig kalt. Unschlüssig schürzte Pakhet die Lippen. Sie wollte es nicht ansprechen. Dennoch tat sie es: „Haben die dich vergewaltigt?“ Der Mangel an Kleidung legte die Vermutung nah. Skyla antwortete nicht sofort. „Ich weiß es nicht. Als ich aufgewacht bin, war ich nackt und saß in einer Badewanne.“ Kurz verfiel sie ins Schweigen. „Zwei Typen haben mich gewaschen.“ Gewaschen, eh? Etwas sagte Pakhet, dass es kein gutes Zeichen war. „Rituelle Waschung?“ „Vielleicht.“ Offenbar hatte Skyla bereits einen ähnlichen Gedanken gehabt. Pakhet zögerte. Nun, zumindest hatten sie ihr die Lederweste und Hose gelassen. Mehr als Skyla. Sie löste die Riemen der Weste, öffnete sie um das Top darunter auszuziehen. Sie reichte es Skyla. „Hier. Zieh das über.“ „Danke.“ Skyla nahm es ihr ab. „Fuck.“ „Du sagst es.“ Pakhet zog die Lederweste wieder über. Das Leder lag unangenehm hart und kalt auf ihrer Haut. Dann bückte sie sich nach den Fußketten. Es war kein Messer, keine Pistole, aber besser als keine Waffe. Als der Typ vorhin gegangen war, hatte er keinen Schlüssel umgedreht. Zumindest hatte sie dergleichen nicht gehört. Es bestand also eine Chance, dass sie hier herauskam. Sie hielt Skyla die Hand entgegen. Dann fiel ihr ein, dass Skyla kaum würde sehen konnte und packte sie bei der Schulter. „Kannst du stehen.“ „Ja.“ Skyla griff ihre Hand und zog sich daran hoch. „Wie viel siehst du?“ „Umrisse.“ Pakhet nickte. Sie ging zur Tür, wandte sich aber noch einmal um. „Hast du irgendwelche offensiven Kräfte?“ „Ich kann Leute auf Berührung einschlafen lassen“, erwiderte Skyla. „Eventuell kann ich Wasser manipulieren. Alles andere ist schwer. Speziell …“ Sie hielt inne. „Kopfschmerzen“, sagte sie dann einfach. „Verstehe.“ Wenigstens war ihr dahingehend das schlimmste erspart geblieben. Vorsichtig griff sie nach der alten, gusseisernen Türklinke an der grobschlächtigen Holztür. Das Gebäude musste älter sein. Also so alt, wie Dinge in den USA halt waren. Oder es tat zumindest so, als wär es alt. Auch eine Möglichkeit. Das Internat, in das sie einst gegangen war, hatte auch versucht, wie ein altes, europäisches Schloss auszusehen. Sie drückte die Türklinke so vorsichtig, wie irgendwie möglich, mit der Hand ihrer Prothese herunter und öffnete die Tür dann. Wenigstens brannte draußen Licht. Elektrisches Licht. Doch auch der Flur sprach für ein älteres Gebäude. Die Wand war aus groben Steinen zusammengefügt. Sie waren am Ende des Flurs. Wenn sie sich den runden Aufbau des Zimmers besah, wahrscheinlich unter einem Turm. Unter, da sie keine Fenster gesehen hatte. Das oder in einer Krypta. Für solche war New Orleans doch bekannt. Sie war immer noch nicht sicher, was genau vor sich ging. Klar, die Typen waren Magier oder ein magischer Kult. Sie hatten das Blut der Frauen wahrscheinlich für ein Ritual genutzt? Und sicher, hier in New Orleans hat man direkt an Vampire gedacht. Aber … Drei Frauen in zwei Wochen? Was zur Hölle taten die hier? Sie trat in den Flur. Der Steinboden drückte kalt gegen ihre Füße. Was hätte sie nur für ihre Stiefel gegeben. Wenigstens war niemand hier. Vom Gang gingen sechs weitere Türen ab. Da hinten war eine gewundene Treppe nach oben. Sprach für ihre Theorie, dass sie unterirdisch waren. Was tun? Direkt fliehen oder hoffen, dass sie ihre Waffen fanden? „Wo haben sie dich hergebracht?“, fragte sie Skyla. „Von oben“, erwiderte sie. „Was ist oben?“ „Ein … Ich glaube, es ist ein Plantagenhaus.“ Das hieß weiter außerhalb der Stadt. Eine der besseren Gegenden wahrscheinlich. Jetzt wünschte sie, eine bessere Übersicht der Stadt im Kopf zu haben. Egal. Sie würde sich draußen schon orientieren können. „Und du weißt nicht, wo deine Sachen sind?“, fragte Pakhet. „Nein.“ Nun, zumindest konnten sie Glück haben und irgendwelche Kutten oder vergleichbares finden. Etwas, damit Skyla ihre Blöße besser bedecken konnte. Leise trat Pakhet zur ersten Tür, legte das Ohr dagegen. Keine Geräusche. Ein gutes Zeichen. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Offenbar der Schrank der Kultisten. Neben Eimer und Wischmopp war eine ganze Sammlung schwarzer und roter Kerzen hier zu finden. Beinahe hätte sie gelacht. Leider keine Ritualmesser oder vergleichbares. Sie hatte kein Glück. Sie schloss die Tür, wiederholte den Vorgang auf der gegenüberliegenden Seite. Der Raum war abgeschlossen. Die nächsten Türen. Hinter der ersten ein einfaches, unterirdisches Schlafzimmer, dessen Einrichtung irgendwo zwischen Westernhotel und Rotlichtmillieu lag. Das Zimmer war klein, doch es gab einen Schrank. Vorsichtig schlich Pakhet hinein, öffnete den Schrank, während Skyla an der Tür wartete. Sie schaute den Gang hinab, hielt Wache. Pakhet wusste das zu schätzen. Leute, die ohne, dass man ihnen etwas sagte, sinnvoll handelte. Der Schrank beinhaltete tatsächlich Kleidung. Einfache Männerkleidung, aber besser als nichts. Sie nahm ein T-Shirt, Unterhosen und eine Hose heraus, die wahrscheinlich zu lang für Skyla war. „Komm“, hauchte sie. Noch einmal sah Skyla den Gang hinab, folgte ihr dann in das Zimmer und schob die Tür hinter sich zu. Dann huschte sie zu ihr hinüber. „Danke“, hauchte sie. Pakhet sah sich im Raum um. Skyla würde einen Gürtel brauchen und ihren eigenen wollte sie nicht opfern. Selbst wenn ihr Notschlüssel nicht mehr viel bringen würde, wollte sie ihn behalten. Da kam ihr eine Idee. „Warte kurz hier.“ Damit eilte sie in den Altarraum zurück, hob das Seil vom Boden auf und schlich damit zurück. „Es ist nicht ideal, aber besser als nichts.“ Skyla nickte. Sie war blass. Die Sommersprossen zeichneten sich deutlicher als vorher auf ihrem Gesicht ab. „Ich fühle mich gerade nutzlos.“ Pakhet zuckte mit den Schultern. „Du hattest Pech.“ „Du bist erstaunlich entspannt mit der Situation“, erwiderte Skyla. Wieder antwortete sie mit einem Schulterzucken. „Hab schlimmeres erlebt.“ Die Bitterkeit klang deutlich in ihren Worten mit. Offenbar war Skyla vernünftiger, als nachzufragen. Wieder in den Flur zurück. Gegenüber war schon wieder abgeschlossen. Scheiße. Sie wollte doch nur ihre Klamotten haben. Dann der nächste Raum. Es sah aus, wie eine Art Konferenzraum. Wundervoll. Der letzte Raum war gänzlich antiklimatisch eine Toilette. Ja, sicher. Mysteriöser Kultkeller, aber garantiert nicht ohne Toilette. Pakhet trat auf die Treppe. Soweit hatte sie keinen Beweis gesehen, dass irgendjemand hier tatsächlich magisch war. Vielleicht waren es auch einfach nur verrückte Idioten. Gab davon ja genug. Gerade in diesen Weiten. Der obere Absatz der Wendeltreppe kam mit einer weiteren Tür. Gut. Dahinter waren Schritte zu hören. Natürlich. Sie griff die Kette fester, öffnete die Tür dann. Sie war am Rand eines weiteren, zu einem Innenhof offenen Gangs. Der Boden war mit weißem Gestein bedeckt. Und hier waren Typen. Positiv gesehen allerdings: Keine Schusswaffen. Zwei Typen liefen in normaler, wenngleich dunkler Kleidung den Gang entlang. Sie redeten, hoben den Blick, sahen zu ihr, fluchten. Dann war Pakhet bei ihnen, hatte die Kette um den Hals des ersten geworfen und zugezogen. Ein unschönes Knacken, das durch Mark und Bein ging, erklang und sein Körper erschlaffte. Das war keine Absicht gewesen. Egal. Der zweite besaß etwas Überlebenssinn und rannte. Zu seinem Pech in Skylas Richtung. Sie sprang auf ihn zu, griff nach seinem Arm und für einen Moment war er wie erstarrt. Dann fiel er zu Boden. Ungläubig starrte Skyla zu der Leiche zu Pakhets Füßen. „Du hast ihn getötet.“ Unnötigerweise bückte Pakhet sich, um nach den Puls zu fühlen. Sie hatte gespürt, wie sein Genick gebrochen war. Die Anspannung hatte dafür gesorgt, dass sie ihre Kraft nicht ganz unter Kontrolle gehabt hatte. „Ja“, gab sie dann zu. Für einen Moment war Skylas Blick auf den jungen Mann fixiert, dann schüttelte sie den Kopf. Wenn sie meistens Köder spielte, war sie vielleicht nicht daran gewöhnt, dass die Beute getötet wurde. Oder sie hatte sich auf vermeintliche Monster spezialisiert. Pakhet sprang über die halbhohe Mauer, die den Gang vom Innenhof trennte und sah zum Dach. Das Gebäude hatte zwei Stockwerke, inklusive des Erdgeschosses, und ein relativ flaches Dach, wie in der Gegend üblich. Sie käme hoch, aber nicht mit Skyla. Schade. Es wäre einfacher gewesen über das Dach zu gehen. Aber eigentlich sollten sie leicht herauskommen. Wie viele Leute waren hier im Haus? Fünf? Sechs? Wenn es ein Kult war vielleicht zwanzig. Pakhet seufzte. Sie würde barfuß rauslaufen dürfen. Und ihre Waffe. Eigentlich wollte sie ihre Pistole wiederhaben. Das Gebäude umschloss den Innenhof komplett, in einem nicht untypischen Versuch europäischen, antiken Baustil zu immitieren. Irgendwo sollte eine Doppeltür sein, die in eine Eingangshallte führte. Hier waren auch Fenster zum Innenhof. Fenster … Hatte sie jemand gesehen? Sie war so auf die beiden Typen fixiert gewesen, dass sie nicht darauf geachtet hatte. Zumindest schien es ein reiner Männerclub zu sein. Nicht unüblich für solche Vereine. Ach, verdammt. Da hinten war eine geschwungene Doppeltür. Solange niemand auf sie Schoss käme sie schon klar. Kurz durchsuchte sie die Taschen der Leiche, in der vergeblichen Hoffnung ein Messer oder vergleichbares zu finden. Dann richtete sie sich auf und zeigte zur Doppeltür, die hinter der Biegung an dem nächsten Abschnitt des Rundgangs gelegen war. Skyla nickte und hielt sich bei ihr. Unter die Fenster geduckt schlichen sie hin. Hoffentlich war niemand da. Pakhet zog die Türklinke herunter, zog die Tür auf. Die Kette lag kalt in ihrer Hand. Eine für Plantagen nicht unübliche Eingangshalle lag vor ihnen. Parkettboden. Eine Doppeltreppe, die zu beiden Seiten in den zweiten Stock hinaufführte. Soweit, so Klischee. Wichtiger aber: Da hinten war die Eingangstür. Ihr Weg hier heraus. Daneben eine alte Wanduhr. Es war kurz vor zwei. Rasch tauschte sie einen Blick mit Skyla, dann schlich sie in Richtung der Tür. Sie hatten Glück. Niemand stand hier zu sein. Wahrscheinlich rechnete niemand damit, dass sie entkamen. Es waren eben doch Stümper. Zu ihrem Glück. Es sei denn natürlich … Nein, hier war kaum richtige Magie im Spiel. Da. Noch ein paar Schritte. Jetzt war sie bei der Tür, in die kleine Fenster aus buntem Glas eingelassen waren. Die runden Türknaufe waren schwergängig, knirschten, als Pakhet sie drehte. Das Metall war ungewöhnlich kalt, beinahe eisig. Sie warf die Tür auf, trat hindurch und erstarrte im nächsten Moment. Ihre Muskeln waren wie erstarrt, verkrampft, schmerzten. Natürlich. Also war es doch reale Magie. Sie hätte es wissen müssen. Etwas kaltes legte sich von hinten an ihren Nacken. „Wohin wollt ihr denn gehen?“, fragte Derricks Stimme. Pakhets Kehle war zugeschnürrt. Sie konnte nicht antworten. Ihr ganzer Körper war gelähmt. Egal, wie sehr sie es versuchte, konnte sie keinen Muskel bewegen. Selbst ihr Herz kämpfte nur schwerfällig gegen den Zauber an. Aber was für ein Zauber? „Aber ich gebe zu, dass ich damit nicht gerechnet habe“, meinte er und ging um sie herum. Da war etwas in seinen Augen. Ein violetter Schimmer. Ein Feenzeichen. War er ein Wechselbalg? „Es tut mir wirklich Leid, euch den Abend verdorben zu haben.“ Seine Stimme klang beinahe aufrichtig. „Aber nachdem tatsächlich Magier beauftragt wurden … Es war zu entgegenkommend.“ Sein Messer schnitt leicht in Pakhets Haut, ließ etwas Blut tropfen. Im nächsten Moment breitete sich Kälte auf ihrer Haut aus. Ein Sog. Es war, als würde mehr Blut aus ihr gezogen werden. Gleichzeitig festigte sich der unsichtbare Griff, der sie festhielt. Sie kannte das Gefühl. Blutmagie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)