Welt ohne Grenzen von SoraNoRyu ================================================================================ Kapitel 15: Siecher (Gladiolus Amicitia) ---------------------------------------- Mühsam versuche ich, meiner Tochter klar zu machen, warum man abends unbedingt ins Bett gehen muss. ‚Nachts kommen die Siecher raus‘ ist kein Argument mehr, war es innerhalb Insomnias eh nie, aber was anderes fällt mir nicht ein. „Papa ist auch müde“, rede ich mich heraus, „Und wir Erwachsenen können erst ins Bett, wenn die Kinder schon schlafen.“ „Warum denn?“ Crowes Stimme ist quengelig, uneinsichtig. Sie hat sich verdächtig schnell daran gewöhnt, dass ihr Papa nicht mehr bei jedem falschen Wort brüllt. „Weil… weil eben!“ Himmel warum will dieses Kind nur unbedingt wach bleiben? Mit Iris hatte ich nie solche Probleme. Gut, wir hatten auch Jared, der sich gekümmert hat. Der gute, alte Jared… sein Enkelsohn steht mir leider nicht zur Verfügung, den hat Iris schon wieder irgendwo hin gezerrt. Ich will nicht wissen was der Junge gerade mit meiner Schwester anstellt. Wahrscheinlich das, was ich mit meiner Frau machen werde, wenn Crowe nur endlich einschläft. Ich setze gerade zu einem neuen Argument an, da tut sich etwas am Himmel. Ein helles, violettes Licht steigt aus der Zitadelle auf und legt sich wie ein Schirm über die Stadt. Ich kenne dieses Licht. Der Wall von Insomnia… er hing über Lucis, als ich geboren wurde und er war noch dort, als ich die Stadt mit den anderen verlassen habe. Bis zu König Regis‘ Tod. Danach nie wieder, denn was gab es auch zu beschützen? Als die Menschen wieder in die Stadt zurückgekehrt sind, gab es keine Feinde mehr, keine Siecher, keine Gefahr. Warum also jetzt der Wall? Das kann mir nur einer beantworten, nur der, der den Wall hochziehen kann. Noctis. „Ich muss los“, sage ich und stehe ruckartig auf, „Crowe, bleib im Bett, ich sag Mama Bescheid. Wenn du aufstehst, gibt es Ärger.“ Ich packe meine Jacke, sage Edna im Vorbeilaufen Bescheid, dass ich weg muss und sie die Kleine ins Bett zu bringen hat, und eile zur Zitadelle. Mit dem Chocobo-Express, weil ich immer noch keinen Führerschein habe. Blöder Verwaltungsaufwand… dabei habe ich den Deppentest längst bestanden. Vor lauter Eile, in die Zitadelle zu kommen, vergesse ich fast, von meinem Vogel abzusteigen. Er verweigert den Eintritt durch das Tor kreischend und ich springe doch noch ab, entschuldige mich und eile in die Eingangshalle, die Treppe hinunter in den eingestürzten Kellerraum, in dem der Kristall wieder aufgetaucht ist. Der Raum ist leer bis auf den riesigen Edelstein, und der gibt ein schwaches Licht ab. Einen Moment fürchte ich, er hätte Noct vielleicht wieder in sein Inneres gesaugt, dann aber drehe ich mich um und hetze hoch in den Thronsaal. Noct sitzt zusammengesunken auf dem großen Stuhl, den Kopf auf der Schulter, die Arme locker im Schoß verschränkt. Er trägt schmutzige Kleidung und hat den Schirm seiner Kappe so tief herunter gezogen, dass ich sein Gesicht nicht sehen kann. Zu seinen Füßen, den Kopf an Nocts Beine gelehnt, liegt Sunny, und auch er sieht aus, als hätte er gekämpft. Die Luft stinkt nach Blut, Schweiß und brünftigem Behemoth. „Nooooct!“ Ich kann nicht sehen, ob mein Freund noch atmet, und so eile ich auf ihn zu, packe ihn grob an der Schulter und schüttle ihn wach. Die Kappe rutscht von seinem Kopf und er brummt leise, irgendwas von wegen „Noch fünf Minuten, Ignis“. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Schläft nur… einen Moment lang hatte ich echt Angst. Sunny macht müde die Augen auf, sieht mich verschlafen an und lehnt sich wieder an Nocts Beine. Ich will ihn wach treten, fragen, was passiert ist, aber ich reiße mich zusammen. Der Kerl spricht eh nicht mit mir. Aus dem Gang sind eilige Schritte zu hören und schon steht Ignis im Raum. Sicher hat auch er denn Wall bemerkt… nicht mehr lange und wir haben hier noch mehr Gesellschaft. Iris, Cor, Monica und Dustin sind nicht weit hinter ihm, auch Dave von der Meldatio ist in der Stadt und mit von der Partie. Ich habe irgendwie das Bedürfnis, Noct vor den Augen der anderen zu schützen, aber das bringt nicht viel. Zumindest scheint Ignis im Gegensatz zu mir nicht lange suchen zu müssen, um Hinweise auf das bisherige Geschehen zu finden – um Sunnys Schultern hängt eine Kamera, die er sich nimmt, um die Fotos zu prüfen. Die ersten Bilder sind recht langweilig, nur ein paar Tauben vor dem Bahnhof. Nett, wenn man Tiere mag, vielleicht. Dann ein Bild von Noct, ganz anonym mit Schirmmütze und Anglerkleidung. Gefühlt tausend Bilder von Noct beim Angeln. Ein paar Bilder von der Stadt, beim Essen im Krähennest, noch mehr Stadtansichten, dann die Spielhalle von innen. Noct mit der Spielwaffe in der Hand vor dem Automaten. Noct und Sunny zusammen beim Spielen. Dann wird es interessant, das nächste Bild zeigt einen Jäger, der mit Noct spricht. „Das ist Tom“, klärt uns Dave auf, „er leitet die Abteilung in der Stadt.“ „Meinst du, er hat den beiden erzählt, was du mir berichtet hast?“, fragt Cor. „Worum geht es? Ein Monster in der Stadt?“, frage ich. „Knapp außerhalb“, entgegnet Dave, „Wir haben fünf sehr gute Jäger an das Vieh verloren und wissen noch nicht genau, was es ist.“ Ich atme nochmal den Gestank ein, der in Nocts Kleidung hängt. „Tippe auf Behemoth“, vermute ich und hoffe, dass der Blutgeruch nur von dem Tier stammt. Meine Jungs sehen zumindest äußerlich unverletzt aus. „Was immer es ist könnte den Wall nötig gemacht haben“, schätz Ignis und drückt weiter. Es folgen gefühlte Trillionen Fotos von Chocobos, ein paar Bilder der Stadt, mehrere davon zeigen die Zeltstadt im zerstörten Nordviertel, wieder Chocobos, Chocobos vor der Nordmauer, Chocobos auf der Steppe dahinter, endlich Noct vor einer Höhle. Noct in der Höhle. Selfie vor einem alten niflheimer Schlachtschiff. Endlich eins von einem Behemoth, ein geradezu winziges Exemplar. Derselbe Behemoth nochmal mit abgetrenntem Kopf neben Noct. Ein zweiter Behemoth, etwas größer. Auch tot. Noch ein Behemoth. Nahaufnahme vom Behemothkopf mit Schusswunde. Ein vierter, Rot und recht groß, auch erlegt. Dann, endlich, das eigentliche Monster. Auch das sieht aus wie ein Behemoth, nur riesig, mit zusätzlichen Hörnern, entsetzlich dunkel. Ein zweites Foto, nur Sekundenbruchteile später aufgenommen, aus größerer Nähe. Ich kann eine Leiche erkennen, die auf den Schulterspießen der Bestie hängt. Einer der Jäger vielleicht. Nächstes Foto, noch näher. Ignis klickt die Bilder durch, zehn Fotos für die Spanne einer Sekunde, in der das Monster unglaublich schnell auf den Fotografen zugeschossen ist. Das letzte Bild der Reihe blickt direkt ins offene Maul, zeigt eine grässliche, verhornte Zunge und zwischen den Zähnen hängende Menschenknochen. Ich schaudere bei dem Gedanken daran, wie nah es dem Fotografen gekommen sein muss. Ein allerletztes Foto zeigt die Kreatur aus der Ferne, von der Nordmauer auf die Steppe hinunterfotografiert, endlich im Ganzen. Groß, schwarz, und triefend vor Dunkelheit. Sie wagt sich nicht aus dem Schatten heraus… ein Siecher. Es ist unmöglich, aber ich bin mir fast sicher. Ein Siecher steht vor unserer Stadt. Noct schreit plötzlich und fährt wie getroffen aus dem Schlaf hoch, ich kann ihn gerade so in meinen Armen auffangen. Auch Sunny rührt sich, blickt besorgt zu ihm auf. „Es greift an“, wimmert Noct, „es greift den Wall an.“ Seine Augen sind geweitet, rot leuchtend von der Macht des Ringes und doch voller Angst. Ich erinnere mich, wie der Wall König Regis geschwächt hat, weil er dessen Lebensenergie nutzt, um Angriffe abzufangen. Voller Sorge drücke ich Noct fester an mich, weiß nicht, was ich sagen soll. Er zittert. „Wir müssen etwas tun.“ Cors Stimme ist gebietend, befehlsgewohnt. Alle im Raum sehen ihn an, alle außer Noct, der sich zitternd an meine Weste krallt. Nur langsam beruhigt er sich wieder. „Der König wird denn Wall nicht ewig gegen diese Angriffe halten können. Wir müssen da raus und den Siecher vernichten.“ „Sagt sich so leicht“, wage ich einzuwenden, „Wir sind nicht mehr so jung wie damals… und massiv unterbesetzt. Die meisten Gleven und Garden, die in der langen Nacht gekämpft haben, lecken seit zehn Jahren ihre Wunden, sind invalid oder in Rente. Die jungen Rekruten sind vielversprechend, haben aber seit ihrer frühen Kindheit keinen Siecher mehr gesehen, geschweige denn je gegen einen gekämpft.“ „Ja, und das da draußen ist nicht gerade einer von der kleinen, anfängerfreundlichen Sorte.“ Sunny rappelt sich hoch und setzt sich anständig hin. Mit fällt auf, dass er Waffen trägt… die meisten davon Niflheimer Fabrikate, aber auch Promptos alte Lionheart. Das und die Fotos… ich glaube, zumindest eine Frage hat sich geklärt. „Glaubst du wir könnten es mit dem Siecher aufnehmen? Zusammen?“, fragt Iris. Sunny zögert. „Weiß nicht… also wir sind jedenfalls nur gerannt. Mit Gladio und Ignis wär’s vielleicht gegangen… ein anständiges Paket Heilmittel und eine stärkende Mahlzeit natürlich vorausgesetzt. Aber… ich weiß nicht.“ Er sieht Noct an, der sich langsam beruhigt. Nur hin und wieder zuckt er, als müsste er einen kräftigen Schlag abfangen. Ich streichle meinem König beruhigend über Kopf und Rücken, unfähig, ihn vernünftig zu beschützen. Nicht von hier… nicht, wenn ich nicht zwischen dem Vieh und dem Wall stehe. „Ich gehe“, beschließe ich, „Und ich nehme jeden mit, der mir helfen kann und will.“ Cor nickt und wendet sich zu Dave um. „Hast du noch Jäger, die uns beistehen können? Wir brauchen jeden Mann und jede Frau, die Erfahrung im Umgang mit Siechern hat. Libertus und ich werden zusammensuchen, was an Garde und Gleven vom alten Team noch zu finden ist, eventuell ein paar junge Rekruten als Heiler.“ „Die Heiler kann ich anführen“, bietet Iris an, „Wir sorgen dafür, dass es an Tränken nicht mangelt.“ „Ich komme auch mit raus“, Nocts Worte überraschen mich, mehr noch, dass er sich aus meinen Armen hochstemmt um sich aufrecht in den Thron zu setzen. Es sieht nach viel Arbeit aus. „Entschuldigt meinen Zusammenbruch, das ist das erste Mal, dass ich selbst den Wall stütze. Ist doch schwerer, als es bei meinem Vater ausgesehen hat…“ Er öffnet und schließt mehrfach seine rechte Hand, blickt dabei nachdenklich auf den Ring. „Ich werde hinter dem Wall bleiben und euch mit meiner Magie unterstützen. Magie solltet ihr auch nutzen können… Zusammen werden wir es schaffen.“ Ich will protestieren, aber Noct sieht mich direkt an. „Keine Sorge, ich bleibe hinter dem Wall und in Sicherheit. Ich will nur nicht hier sitzen und mir Sorgen machen müssen… Ich spüre ohnehin, wenn der Siecher denn Wall angreift. Ich will nicht mit jedem Schlag fürchten müssen, er hätte euch getötet.“ „Nun, wenn dem so ist“, meint Ignis gelassen, „Sollte ich mich wohl auf den Weg in die Küche machen und dafür Sorge tragen, dass für alle ein anständiges Essen bereitet wird. Noct, Prompto, ihr beide nutzt die Zeit am besten für ein entspannendes Bad und ein wenig Ruhe, ich komme euch dann holen.“ Prompto, eh? Ich habe das Gefühl, was verpasst zu haben, aber anscheinend hat sich diese Frage nun tatsächlich geklärt. Aber das besprechen wir besser in einer privateren Runde, nur wir vier bei einem Glas Wein, wenn der Siecher aus der Welt geschafft ist. „Gladio, wir beide trommeln unsere Leute zusammen. Nur ein kleines Team vielleicht, und nur die Besten“, meint Cor. Ich stehe auf und folge ihm mit Iris, Monica und Dustin, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Cor wird auch nicht jünger… er kämpft in der Königsgarde seit er dreizehn war, ist mit fünfzehn als jüngstes Mitglied seit Menschgedenken in die Leibgarde des Königs aufgenommen worden. Noct ist der dritte König dieser Blutlinie, dem er dient, und langsam sind die schwarzen Haare weiß geworden. Trotzdem… Cor geht noch immer aufrecht, ohne Stock, und hat bessere Werte im Training als die meisten Zwanzigjährigen. Ich bin froh, ihn gegen den Siecher in meinem Team zu haben. Monica und Dustin werden wohl die jungen Rekruten anführen, gegen die kleineren Behemoths zu kämpfen, damit wir von der alten Elite uns auf den eigentlichen Siecher konzentrieren können. Iris übernimmt mit ein paar anderen die Versorgung mit Heilmitteln und Vitazaubern. Alles zu besprechen macht Mut und gibt Ruhe, aber vor allem lenkt es mich davon ab, mir Sorgen um Noct zu machen. Einen Moment lang… als ich ihn dort liegen gesehen habe dachte ich fast, er wäre tot. Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass er mir noch einmal stirbt. Und auch Prompto… diesmal werde ich meine Freunde beschützen, um jeden Preis, egal, gegen was. Dieser Siecher wird noch bereuen, je aus der Erde gekrochen zu sein. Mit einem kleinen, aber leistungsstarken Trupp stehen wir schließlich im großen Speisesaal, wo das Küchenteam unter Ignis Leitung ein wahres Festessen auf den wackeligen Tisch gestellt hat. ‚Nur‘ ein Eintopf, eigentlich, aber was für ein Eintopf! Allein der Geruch macht einen um zehn Level stärker. Leidener Kartoffeln, Behemothfleisch, Caemkarotten und alles, was sonst noch so richtig schön stark macht und dabei wunderbar warm und leicht verdaulich im Magen liegt. Und es ist genug da, dass jeder noch zweimal nachholen kann. Cor und Ignis langweilen alle mit ihren komplizierten Einsatzplänen, damit nachher auch jeder weiß, wo auf und vor der Nordmauer er stehen und was er tun soll. Ich brauche fast nicht zuzuhören, ich weiß, wo mein Platz ist: Direkt vor dem König, als Schild zwischen dem Wall und dem Siecher. Angreifen, sobald sich die Möglichkeit bietet. Nicht im Weg stehen, wenn die großen Magier angreifen. Ignis und Prompto werden mit Noct hinter dem Wall bleiben und aus der Distanz mit schwerer Maschinerie sowie Feuer und Heilzaubern eingreifen. Cor kämpft an meiner Seite gegen den Siecher, unterstützt nach Möglichkeit von Monica und Dustin, während Callus und Nora die Leitung im Kampf gegen die normalen Behemoths inne haben. Ich lasse meinen Blick über die neue Generation an Garden und Gleven schweifen. Alles Kinder, aber als wir damals nach Altissia aufgebrochen sind, waren wir genauso jung. Eines Tages wird meine Tochter auch mal Uniform tragen und dem König als Schild dienen, als Älteste Amicitia dieser Generation. Schwer vorstellbar, aber an den Gedanken, dass meine süße kleine Schwester ein vollwertiges Mitglied der Königsgarde ist, habe ich mich ja auch irgendwann gewöhnt. Nur der Gedanke, dass sie auf dem Schlachtfeld neben dem Siecher herumhüpfen soll, gefällt mir noch nicht. Aber sie ist stark, und sie kämpft mit den jungen Rekruten und als mobiler Weißmagier. Und Talcott ist ja auch dabei. Solange die Kinder dem Siecher nicht zu nahe kommen, wird schon alles gut gehen. Mein Schwert ist scharf, mein Schild stark, und ich kämpfe an der Seite von Cor, dem Unsterblichen. Die Nervosität vor dem Kampf ist das Schlimmste. Noct zumindest sieht besser aus. Er zuckt noch immer regelmäßig zusammen, als müsste er einen Angriff blocken, aber die Bewegung ist viel subtiler, als würde er sich langsam daran gewöhnen, es zu verbergen. Er trägt jetzt saubere Kampfkleidung mit den Abzeichen des Königshauses, und sein Anblick gebietet tatsächlich Ehrfurcht. Ein richtiger König, eben. Doch noch was geworden, das freche Kind. Irgendwie macht es mich richtig stolz, ihn so zu sehen. Das Küchenpersonal räumt den Tisch ab und wir werden in den teuersten Autos zur Nordwand gefahren. Ignis fährt Noct, Prompto und mich im Star of Lucis, und endlich sind wir vier wieder unter uns. Noct döst, Promptio zappelt, und Ignis hat seine Augen fest auf der Straße… ich fühle mich glatt zwanzig Jahre zurückversetzt. „So“, fange ich schließlich an, „Seit wann wissen wir jetzt, dass Sunny-Boy unser Prompto ist?“ „Seit ich endlich ein wenig geschlafen habe“, gibt Ignis zu, „Ich wusste die ganze Zeit, dass ich etwas übersehen haben muss, dass da eine ganz offensichtliche Lösung direkt unter meinen Fingern liegt, aber ich war zu müde und zu überfordert, um den Gedanken zu fassen.“ „Ich sag ja, du hättest einfach ins Bett gehen sollen“, brummt Noct, aber er klingt nicht wütend. „Verzeiht mir“, entschuldigt Ignis sich trotzdem. „Und was war‘s nun?“, fragt Prompto ungeduldig, „Also diese einfache Lösung?“ „Der lucische Spion, der dich damals aus der Fabrik gerettet hat, hat einen ausführlichen Bericht, ja fast schon ein Tagebuch, geführt. Er war so umsichtig, deinen Barcode zu dokumentieren, damit man das gerettete Kind jederzeit von den feindlichen Soldaten unterscheiden könnte.“ „Und den Bericht gab‘s noch?“ „Ja. Ich musste ein wenig suchen, aber die Bibliothek ist zum größten Teil unversehrt und der Bericht gut erhalten. Es lagen sogar Fotos und Unterlagen von deiner Adoption dabei und ein paar spätere – anscheinend hat der Mann sich Sorgen gemacht und dich so lange beobachtet bis er sicher sein konnte, dass es dir gut geht bei uns.“ Prompto schweigt. Er wirkt nachdenklich, sicher ist die Information neu für ihn. „Ich kann dir den Bericht später gerne kopieren, wenn du willst. Der Spion ist leider inzwischen verstorben, aber die Zeilen, die er über dich geschrieben hat, waren sehr liebevoll. Anscheinend hat er seine Mission abgebrochen, weil er es nicht über sich gebracht hat, weiter involviert zu werden… er musste zumindest ein einziges Kind retten um mit intaktem Gewissen aus der Sache herauszukommen. Er hat auch beschrieben, dass du ganz still und brav warst, und erst außer Hörweite der Niffen zu weinen begonnen hast. Dann aber warst du wohl untröstlich, und der Rest des Kapitels liest sich wie das Tagebuch eines jungen, völlig überforderten Vaters, der noch nie vorher ein Baby in der Hand hatte.“ „Der Mann wäre sicher stolz wenn er wüsste, dass dieses Baby jetzt die Uniform der Königsgleven trägt und seinen König beschützt“, meint Noct. Prompto wird rot und verkrümelt sich verlegen in seinem Sitz. „Wir sind jedenfalls alle heilfroh, dass du wieder hier bist, Prompto. War nicht dasselbe ohne dich.“ „Genau, hast uns gefehlt, Kleiner“, stimme ich zu und lehne mich über den Sitz vor mir, um Prompto ein wenig zu ärgern. Er wehrt sich eher so halbherzig, scheint sich noch zu sehr zu freuen, dass wir wieder normal mit ihm umgehen. Der arme Kerl hat viel zu viel mitgemacht. „Wir sind da“, meint Ignis schließlich und hält den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Nordtor. Eine alte Steintreppe führt hoch auf den Rundlauf, hier trennen sich erst mal unsere Wege – drei nach oben auf die Mauer, ich raus durchs Tor. Nochmal die Waffe prüfen, auf Cor und die anderen warten, tief durchatmen und los. Auf in den Kampf. Auf dieser Seite des Walls ist es noch ruhig, beinahe friedlich, wenn man es nicht besser weiß. Ich hebe das Breitschwert über meine Schulter, nicke Cor zu, und auf einen Wink von ihm stoße ich das Tor auf und trete hindurch. Der Wall lässt uns ungehindert passieren, ein weicher Vorhang aus freundlicher Energie, wie damals, als er noch von König Regis gehalten wurde. Es fühlt sich an, als würde ich durch ein Portal in eine andere Welt gehen. Draußen ist es kalt, und mit einem Mal kann ich das donnernde Gebrüll von tausend Behemoths hören, rieche den Gestank der paarungsbereiten Männchen, Blut, und den unverkennbaren Mief der Dunkelheit. Promptos Fotos haben einen winzigen Einblick geboten, aber selbst als wandhohe Projektion im Besprechungsraum werden sie der Realität nicht gerecht. Dieser Siecher ist riesig, einer der größten, die ich in meinem Leben gesehen habe. Turmhoch, mit mannslangen Krallen und Zähnen, die fast nicht mehr in sein aufgerissenes Maul passen wollen steht er da und dreht langsam, witternd, die Augen in unsere Richtung. Eine lange, dornenbewehrte Zunge schnellt heraus und schnalzt wieder zurück, dann wendet sich das Vieh mit seinem ganzen Körper um und schlägt seinen mächtigen Schwanz gegen den Wall, statt wie vorher seine Krallen zu nutzen. Eine Pranke rast direkt auf uns zu, als wollte sie uns alle mit einem Schlag zerquetschen. „Ausschwärmen!“, befiehlt Cor und ich stürme vorwärts, Schild in der Linken, Schwert in der Rechten. Der Vorderlauf fährt knapp hinter mit in den Boden, ich wende mich schwungvoll um, lasse meine Breitschwert durch die Luft sausen und nutze die Energie der Bewegung, um sie mit aller Kraft im Lauf der Bestie zu versenken. Die Klinge prallt beinahe nutzlos an der schuppigen Haut ab, aber ich setze unbeirrt nach, noch ein Schlag, drei, vier, ausweichen. Keine Chance, die Tatzenhiebe zu blocken, dafür ist das Tier zu riesig, mein Schild zu schwach. Wieder donnert die Rute des Monsters mit Gewalt gegen den Wall. „Wir müssen weg von der Stadt!“, brülle ich. Ich weiß nicht, ob mich jemand im Schlachtgetümmel hört und kann kaum sehen, wo die anderen sind. Cor ist als einziges noch in meiner Nähe, auch er versucht, ein Stück aus der rechten vorderen Tatze zu schlagen, um den Siecher zu Fall zu bringen. Kein leichtes Unterfangen, wenn das Tier die Pranke andauernd hebt, um uns zu verscheuchen wie zwei lästige Fliegen. Und wieder donnert sein Schwanz gegen den Wall, mehrfach diesmal, und mir reißt der Geduldsfaden. Ich werfe mein Schwert, springe hinterher, um es als Kletterhilfe zu nutzen und arbeite mich so auf den Rücken des Siechers hoch, wo ich ihm die Klinge in den kräftigen Nacken ramme. Nicht tief, aber irgendwo da unter der stinkenden Mähne findet mein Schwert Halt und verursacht genug Schmerz, um das Monster in Raserei zu versetzen. Buckelnd und springend versucht es, mich abzuwerfen, aber ich kann mich halten und schaffe es, das Tier außer Reichweite der Stadtwand zu lenken, bevor es sich zu Boden wirft um mit beiden Vorderpfoten nach der Schmeißfliege in seinem Nacken zu krallen. Ich kann mit knapper Not ausweichen, rolle mich unter der Bestie weg und renne noch weiter fort von der Stadt, während ich wilde Haken schlage um nicht doch unter den stampfenden Pfoten zu landen. Jeder Schlag hinterlässt deutliche Spuren im Boden, die Erdbeben machen es schwer, beim Laufen das Gleichgewicht zu halten. Ein Blitzschlag fährt aus Richtung des Walls in den Rücken der Kreatur und lähmt sie lange genug, dass ich wieder zum Angriff übergehen kann. Es ist nicht leichter als vorher, aber langsam bilde ich mir ein, im rechten Vorderlauf des Monsters oberflächliche Klingenspuren sehen zu können, einige der festen Schuppen sind angekratzt oder gar abgesplittert. Ich schicke mein Schild in den Äther, um das Breitschwert mit beiden Händen zu fassen und entfessle eine Angriffsserie auf das Bein, die das Monster zumindest für einen kurzen Moment zu Straucheln bringt, bevor es sich wieder aufbäumt und sein schreckliches Gebrüll hören lässt. Donnernd fahren beide Vorderpranken wieder in den Boden und ich muss mich konzentrieren, um im resultierenden Erdbeben nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Eine Welle Heilmagie wäscht über mich und ich danke wem immer sie geschickt hat, bevor ich mich wieder auf die geschwächte Pranke stürze. Aus einem der Kratzer dringt schwarzes Blut, dahinter kann ich eine Dunkelheit sehen, die so tief ist, dass sie beinahe wieder leuchtet. Das Innere des Siechers… ein Fortschritt. Cors Klinge drängt tief in die neu geschaffene Schwachstelle. Ich kann nicht verstehen, was er mir zuruft, habe aber keine Zeit, zu fragen und kann es mir eh denken. Gemeinsam dreschen wir auf die Wunde ein, vergrößern den Schaden, bringen den Siecher zum Straucheln und Fallen, um zumindest ein paar Treffer in sein hässliches Gesicht landen zu können. Es schnappt nach uns, die monströsen Zähne reißen tiefe Furchen in den Boden, wo wir gerade noch gestanden haben, im nächsten Moment schlägt die dornige Zunge nach uns. Der Gestank ist betäubend, einen Moment lang bin ich versteinert – unfähig, mich zu rühren, unfähig, einen Gedanken zu fassen, wenn auch den Göttern sei Dank nicht verwundbar. Noch in der Starre kann ich sehen wie meine kleine Schwester auf mich zustürmt, zwischen den gefährlichen Krallen hindurch, als das Vieh sich wieder hochstemmt. Sie wirft etwas nach mir, eine glänzende, goldene Nadel, und die Starre bricht genau rechtzeitig, um Iris aus dem Weg zu stoßen, als die Pranke nach ihr greift. Die scharfen Klauenspitzen klirren gegen mein Schild und ich muss mich kräftig gegen den Boden stemmen, um nicht umzufallen. Iris verschwindet und ich gehe wieder zum Angriff über. Wir machen kaum Schaden, nur winzige Fortschritte. Meine Kraft schwindet viel schneller als früher, ich zähle die Heiltränke nicht mehr, deren Fläschchen ich schon in meiner Hand zerbrochen habe. Ein einziger guter Treffer des Monsters kann mich direkt ins Grab schicken, tausende der unseren öffnen einen kleinen Riss in seiner Haut. Ein aussichtsloser Kampf, aber einer, den wir dennoch gewinnen werden. Für Lucis. Für Insomnia. Für den König! Ich lege meinen gesamten Frust und all meine Wut in den nächsten Angriff, all die Jahre, die ich mich schwach und nutzlos und als Versager gefühlt habe, alles, alles Ardyns Schuld, alles wegen dieser verdammten Siecher. Wut, Angst, Hass, Verzweiflung… wenn es darauf ankommt, ist all das meine Waffe. Niemand wird mich je wieder hindern, meinen König zu beschützen. Niemand wird je wieder wagen, Hand an ihn zu legen. Niemals… niemals werde ich wieder nutzlos daneben stehen, wenn er leidet. Ich lasse Noct nicht noch einmal sterben. Nie wieder. Ein letzter Hieb und mein Schwert sinkt tief in das Bein des Siechers. Dunkelheit quillt aus der Wunde, wäscht über mich wie eine ätzende Flüssigkeit, aber ich bin ein Krieger des Lichts, ein Recke des Königs, und ich halte stand. Ziehe mein Schwert zurück um erneut auszuholen und es dem Monster ins Auge zu stoßen, blind vor Wut, so voller Kraft, dass es mir gelingt. Das Vieh baumt sich auf, brüllt, stößt seinen widerwärtigen Atem in die Luft und ich halte mich mit aller Kraft am Griff meines Schwertes, ziehe mich hoch auf die Stirn der Kreatur und schlage mit meinen bloßen Fäusten zu. Stirb. Stirb. Stirb endlich, du verdammtes Biest! Wieder peitscht eine krallenbewährte Pranke an mir vorbei, verfehlt mich um Millimeter. Es knallt, es pfeift, und ein Raketengeschoss saust nur knapp unter mir in den Hals des Tieres, lässt rußige Spuren darauf zurück und macht dabei kaum mehr Schaden als ich und Cor mit unseren Klingen. Von hier oben kann ich die ganze Stadt sehen, die winzigen Menschen auf der Mauer hinter dem Wall, Lichtblitze, wann immer Promptos Waffen zünden und ein stetes Leuchten, wo mein König ist. Die Macht der Lucii… die Macht des Lichts. Ich fühle ungeahnte Kräfte in mir, reiße mein Schwert aus der klaffenden Wunde, wo mal ein Auge war, und stoße erneut zu, tiefer dieses Mal, und nochmal, bis das Monster den Kopf herumwirft und mich aus dem Gleichgewicht bringt. Wie viele Meter bis zum Boden? Die Antwort will ich nicht wissen, aber der Fall ist vermutlich lange genug, um darüber nachzudenken. Dreißig Meter? Fünfzig? Sicher ragt der Kopf des Siechers weit über das Dach des Caelum Via hinaus. Viel zu tief, um zu überleben. So will ich nicht sterben. So sterbe ich nicht. „Flieg!“, befiehlt Nocts Stimme in meinem Kopf, und als hätte ich nie etwas anderes getan werfe ich mein Schwert nach dem Siecher, wie ich es dem kleinen Prinzen hundertmal erklärt habe, sehe, wie es sich in den verletzten Vorderlauf gräbt und strecke die Hand aus, um es wieder zu fangen. Es funktioniert. Ich halte den Griff der Waffe fest, stemme meine Beine gegen die schuppige Haut, als das Biest sich wieder auf alle viere fallen lässt, ziehe knapp über dem rettenden Boden die Klinge heraus und sprinte außer Reichweite. Es ist… peinlich, aber erst mal muss auch ich mich auf die Vorderläufe fallen lassen um mich herzhaft zu erbrechen. Jetzt weiß ich, warum die Gleven so ungern warpen… was für ein beschissenes Gefühl. Mit ausreichend geleertem Magen rapple ich mich wieder auf und verschaffe mir einen Überblick. Die Steppe hinter Insomnia ist ein Schlachtfeld, überall Behemoths und Leute, die versuchen, sie zu überwältigen, Jäger, Garden, Gleven, ein höllisches Durcheinander in deren Zentrum die Mutter aller Behemoths wütet. Riesengroß, ungeheuerlich stark, aber inzwischen immerhin auf nurmehr drei Beinen. Ein Feuerzauber kracht in die Flanke der Bestie, gefolgt von einem weiteren und einer Salve aus dem Raketenwerfer. Das Tier strauchelt, brüllt, bäumt sich wieder auf und will auf den Wall zustürmen, wo die Angriffe herkommen. Cor allein kann sie nicht stoppen, aber dafür bin ich jetzt da, springe dem Monster zwischen die Hinterläufe, schwinge mein Schwert, um es zu Fall zu bringen und muss eilig beiseite hüpfen, um nicht zertrampelt zu werden. Dennoch – die Aufmerksamkeit des Siechers ist wieder bei mir, weg vom Wall, weg von Noct, Ignis und Prompto. Du rührst meine Freunde nicht an, Biest… Nicht, solange ich hier stehe! „Stirb endlich!“, brülle ich und hacke auf den Hinterlauf ein, wie ich es schon mit der vorderen Pranke getan habe. Cor holt mich ein und hilft mit, dass wir das Biest gemeinsam zu Fall bringen. Nicht mehr viel… die Hinterläufe sind anatomisch bedingt kürzer und schlanker als die vorderen, dienen nur der Fortbewegung statt dem Kampf. Hier ist es einfacher, Schaden anzurichten – und gleichzeitig bedeutet ein Erfolg, dass sich das Monster nicht mehr aufbäumen kann. Über uns schlagen donnernd Zauber und Raketen ein, um uns Gebrüll, Schreie, Kämpfe, aber hier unter dem Leib des Siecher fühle ich mich, als würde ich gegen die stählerne Säule eines großen Raumes kämpfen, zu hart für mein Schwert, aber doch gerade verletzlich genug, mit Kraft und Mühe Kratzer um Kratzer zusammenzufügen zu einem Riss, einem Spalt, einer klaffenden Wunde die groß genug ist, das Schwert hineinzustoßen. Mit all meiner Kraft stemme ich die Klinge in das Fleisch des Siechers, rüttle daran, drehe das Schwert, ziehe es schließlich heraus und springe beiseite, um nicht unter dem Gegner begraben zu werden. Die Erde bebt unter dem Gewicht des verletzten Monsters. Ich lasse ihm keine Zeit, sich hochzustemmen, springe auf seinen Rücken, grabe meine Klinge in die von Feuermagie weichgekochte Flanke und reiße noch im Laufen eine tiefe Wunde die ganze Seite hoch auf meinem Weg vor zum Kopf. Weiter… nur noch ein bisschen. Ich kann spüren, wie die Kraft des Siechers nachlässt während die meine beständig von Zaubern und Tränken regeneriert wird, spüre Noct’s Kraft, die Liebe meines Königs in jedem seiner Heilzauber. Ihr nehmt ihn mir nicht nochmal weg. Nie wieder. Ein letzter Sprung bringt mich zurück auf den Kopf des Siechers. Ich schwinge mein Schwert hoch über meinen Kopf in die blutende Augenhöhle, arbeite mich weiter dahin vor, wo bei einem lebenden Wesen das Gehirn wäre. Der Siecher brüllt, bäumt sich auf, soweit es seine verletzten Beine zulassen, schwankt, schlägt mit der heilen Vordertatze nach mir. Diesmal lasse ich nicht los, bohre mein Schwert nur tiefer in die Wunde mit aller Kraft, die ich aufbieten kann. Für den Frieden. Für das Licht des Tages. Für alle, die mir etwas bedeuten muss dieses Monster aus der Welt verschwinden. „Du hättest bleiben sollen, wo Noct dich hingeschickt hat“, höhne ich und halte dem giftigen Atem stand, der aus dem Maul unter mir quillt, „Ihr Siecher habt lang keinen Platz mehr in dieser Welt.“ Aber noch ist es nicht vorbei. Der Siecher wirft seinen Kopf herum um mich abzuschütteln, rammt ihn schließlich mit den Hörnern voraus in den Boden. Ich muss loslassen und abspringen, um nicht zerquetscht zu werden, als das Monster versucht, mein Schwert aus seinem Gesicht zu bekommen, indem es die blutende Augenhöhle gegen den Boden reibt. Noch einmal hebt es den hässlichen Kopf, ekliger Atem schlägt mir ins Gesicht und ich hebe meinen Schild während ich versuche, nicht zu atmen. Die Zunge des Monsters schnellt hervor und kracht mit so viel Wucht gegen das Metall, dass ich kaum gegenhalten kann. Ich taumle zurück, sehe die dornenbewährte Zunge nun auf Iris zuschießen und werfe mich dazwischen. Ich weiß noch im selben Moment, noch bevor der Schlag trifft, dass ich einen Fehler gemacht habe. Der Winkel stimmt nicht, so kann ich den Schlag nicht vernünftig abfangen. Ich spanne die Muskeln an, bereite mich auf das Schmerz vor, aber der kommt nicht, nur ein dumpfes Krachen und das leise Knacken eines Knochens. Ich kann sehen, wie mein Schild klappernd zu Boden fällt, habe kein Gefühl mehr in den Fingern. Mein linker Arm hängt nutzlos herunter, ein neues Gelenk an einer Stelle, wo keines hingehört, aber Iris ist unverletzt. Der Siecher brüllt noch einmal entsetzlich, aber diesmal prallt sein Atem an uns ab, als hätte Iris einen schützenden Zauber gewirkt. Mit einem kläglichen Wimmern gräbt der Siecher sein verletztes Gesicht ein letztes Mal in den Boden bevor er endgültig in den selbigen zurücksinkt. Besiegt, tot, nur noch ein normales Behemothweibchen. Mein Breitschwert fällt klirrend zu Boden, stumpf und verdreht. Ich werde ein neues brauchen. „Gladdi, dein Arm!“, ruft Iris entsetzt. Ich muss lachen. „Ja, der ist wohl hinüber…“ schade, dass Heilzauber und Tränke keine Knochenbrüche heilen. Ich hab grad so keinen Bock auf Krankenhaus und wochenlang Stillsitzen… Das ist in vierzig Jahren das erste Mal, dass ich mir etwas gebrochen habe. Hatte ich mir schmerzhafter vorgestellt, aber vielleicht ist das auch nur das Adrenalin. „Bei euch alles gut soweit?“ Mir fällt jetzt erst auf, warum Iris überhaupt so nah an den Siecher herangekommen ist. Cor sitzt in einer recht unbequemen Haltung am Boden, im Gegensatz zu mir scheint er schlimme Schmerzen zu haben. „Nur der Rücken“, grummelt er, „Hab mir wohl ne Bandscheibe rausgehauen. Peinlich sowas…“ „Wirst halt doch langsam alt mit deinen fünfundsechzig Jahren, was?“, scherze ich. „Klappe, Grünschnabel. Im Gegensatz zu dir muss ich mir wenigstens keinen Anfängerfehler vorwerfen lassen.“ „Autsch, das tat weh.“ Langsam kehrt auch ein wenig Gefühl in meinen kaputten Arm zurück. Kein sehr angenehmes, leider… Aber in der Tat nicht so schmerzhaft wie die Tatsache, dass Cor Recht hat. Solche Fehler sollte ich längst nicht mehr machen, auch nicht nach zehn Jahren Frieden. Ich setze mich neben Cor auf den Boden, vorsichtig, meinen Arm nicht zu bewegen. Noch ist es stockdunkel… aber die normalen Behemoths haben größtenteils die Flucht ergriffen, nachdem der Oberboss gefallen ist, einige fangen an, sich gegenseitig zu töten. Der Wall über der Stadt steht noch, aus dem Tor kommen blinkende Lichter auf uns zu. Krankenwägen… die muss Dustin gerufen haben, ich habe ihn vorhin telefonieren sehen. Ob Noct mich im Krankenhaus besuchen kommt? Langsam muss ich mich mit dem Gedanken anfreunden, blöd im Bett zu liegen und mich über Blümchen zu freuen, weil sie Besuch ankündigen. Aber den Arm brauch ich noch, also werde ich wohl brav tun, was der Notarzt von mir will. Seufzend und jammernd, aber eine Wahl habe ich ja nicht. Immerhin… diesmal habe ich es geschafft. Wir haben gewonnen, haben keinen aus unseren Reihen verloren. Ein paar Verletzte, aber nichts Schlimmeres als mein Arm. Mein Stolz als Schild des Königs ist wiederhergestellt. Mein Leben hat wieder einen Wert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)