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DigiRonpa

Mut. Freundschaft. Liebe. Wissen. Ehrlichkeit. Zuverlässigkeit. Licht. Hoffnung ... Verzweiflung.
von

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Fall 03: Tägliches Leben I – Der Herr der Dunkelheit

Es war noch helllichter Tag, als sich Taichi in sein Bett warf, aber er fühlte sich so müde und so elend wie noch nie zuvor in seinem Leben.

Sora. Ken. Yamato. Takeru. Vier von ihnen waren bereits tot. Und nichts, absolut gar nichts hatte sich an ihrer Situation geändert! Sie saßen immer noch auf dieser Insel fest, und man konnte den Himmel oder die Umgebung absuchen, so sehr man wollte – keine Anzeichen eines Suchtrupps, keine anderen Menschen, nichts!

Unter seiner Decke brütete er finster vor sich hin. Dass Yamato die Person gekannt hatte, mit der er am Strand telefoniert hatte, verhieß nichts Gutes. Vielleicht hatte auch Taichi mit der Mutter eines der anderen telefoniert – vielleicht hatte einer der anderen seine Eltern gehört, die um Hilfe flehten! Es war ihnen weiterhin verboten, darüber zu reden, und die Ungewissheit machte ihn rasend.

Von Yamatos Leiche war keine Spur mehr zu sehen gewesen, als sie das Rathaus wieder verlassen durften, das nun eher ein Gerichtsgebäude geworden war. Nicht mal mehr ein Blutspritzer war übrig.

Hikari war seit Takerus Tod am Boden zerstört – vermutlich ging er ihr von allen am nächsten. Taichi schwor sich, bei allem, was ihm heilig war, dass er seine kleine Schwester am Leben halten und hier rausbringen würde, komme, was da wolle! Er hatte das Gefühl, als hätte Yamato ihn noch im Tod zu einem Streit herausgefordert. Als wollte er ihm nun sagen: Sieh her, wie weit ich dafür gegangen bin, um mein kleines Geschwisterchen zu retten. Mach‘s besser.

Als sie Takerus Haus noch einmal durchsucht hatten, waren sie auf Hinweise gestoßen, die seine Geschichte bestätigten. Dennoch hätte Taichi zu gern gewusst, was genau die Person am Telefon Yamato gesagt hatte. Ob die Nachricht wirklich so ähnlich war wie die, die er selbst erhalten hatte?

Als hätte er seine Gedanken erraten, war dann plötzlich Monokuma auf der Türschwelle erschienen. „Puhuhu, es sieht aus, als hättet ihr alle eine Menge Fragen. Also schön, bei einem Schulausflug soll man ja etwas lernen. Ich werde euch Antworten geben!“

Damit war er verschwunden, und eine Mail war auf Koushiros Laptop aufgetaucht. Es war eine Aufforderung, dass er mal wieder die Karte der File-Insel aufrufen sollte. Ein neues Gebiet war darin eingezeichnet worden. Labyrinth stand daneben, und darunter die Erklärung: Alles Wissenswerte über die DigiWelt, die DigiRitter und den Schultrip! Es war ein reißerisches Angebot, auf das sie nicht eingehen sollten, wenn man Taichi fragte.

Dennoch waren sie es ihren toten Freunden wohl schuldig. Sie tappten nur im Dunkeln und schlugen nach allen Richtungen aus, und dabei hatte es nun schon vier Todesopfer gegeben. Wenn schon so viel Leid passierte, sollten sie wenigstens wissen, wieso!

Und außerdem wollte niemand mehr in der Spielzeugstadt bleiben. Das stand ihnen allen ins Gesicht geschrieben. Es gab immer noch Gift und diese verfluchten Pilze in der Stadt, und die Erinnerung an die Verschiedenen wog schwer. Nachdem Taichi einen wenig erholsamen Schlaf hinter sich gebracht hatte, trottete er am späten Nachmittag zum Platz mit der Festtafel. Die anderen waren bereits versammelt, wie in stiller Übereinkunft. Manche hatten sich Bündel geknüpft, in denen sie Gebrauchsgegenstände aus ihren Häusern mitnehmen wollten. Es herrschte Aufbruchsstimmung.

„Zu dem Labyrinth?“, fragte Koushiro und sah dabei Taichi an. Dieser wusste nicht, wieso gerade er das entscheiden sollte – vermutlich weil er der Letzte war und die anderen behauptet hatten, es wäre ihnen egal. Also nickte er nur. Bevor sie ohne Ziel in der Wildnis umherirrten, konnten sie genausogut einen Ort ansteuern, von dem sie zumindest wussten, dass es dort etwas gab.

„Meint ihr nicht, dass es wieder eine Falle von Monokuma ist?“, fragte Miyako zaghaft.

„Klar ist es das.“ Wallace legte den Arm um ihre Schultern. Er schien als Einziger gut gelaunt. Sie streifte seinen Arm nicht mal ab, so apathisch war sie. „Aber eine Falle ist erst gefährlich, wenn man sie zuschnappen lässt. Egal was passiert, ich glaube nicht, dass noch jemand von uns einen Mord begehen wird.“

„Du hast da ja ziemlich großes Vertrauen in Leute, die du kaum kennst“, meinte Daisuke.

„Du irrst dich“, sagte Wallace plötzlich ernst. „Ich habe zwei von diesen Strafprozessen mit euch durchgestanden. Ich weiß ungefähr, woran ich bei euch bin.“

Daisuke senkte betreten den Kopf. „Ja … ich schätze, du hast recht. Wenn wir uns nur von Anfang an schon besser gekannt hätten … dann hätte uns Ken nie so kalt erwischen können.“ Er ballte die Fäuste. Die Sache nagte also noch immer an ihm.

So wurde es beschlossen. Mit Trauer und Wut als ihren Wegbegleitern, machten sich die Freunde auf, dieses Labyrinth zu suchen.

Sie marschierten über Nacht und lagerten unter freiem Himmel. Irgendwie schienen sich die Überlebenden stärker zusammenzuraufen, denn obwohl kaum jemand etwas redete, fühlte man doch eine seltsame Eintracht. Sie stellten nicht einmal eine Wache auf – vielleicht, weil es jedem von ihnen gleichgültig war, ob sie von wilden Tieren angegriffen werden könnten. Bisher hatten sie solche sowieso nicht gesehen.

Am nächsten Tag marschierten sie bis zum frühen Nachmittag, ehe sie in das auf Koushiros Karte vermerkte Gebiet gelangten. Der Eingang zu den Ruinen war ein von Ranken überwuchertes Steingebäude, an dem der Zahn der Zeit üble Spuren hinterlassen hatte. Sie betraten den Eingangsraum. Kalt war er und aus schmutzigem Stein. Die Wände waren voller fremdartiger Schriftzeichen. In einer Ecke war ein breiter Spalt im Boden eingelassen, so als steckte hier üblicherweise etwas, das man jedoch entfernt hatte.

„Und jetzt?“, fragte Mimi. „Ich habe keine Lust, mich in dem Labyrinth da zu verlaufen.“ Sie deutete auf den einzigen Tunnel, der von hier abzweigte – und sich bald darauf in mehrere Gänge teilte.

„Das ist vielleicht gar nicht nötig“, meinte Koushiro und schloss seinen Laptop an ein Kabel an, das aus der Wand ragte. „Es sieht so aus, als könnte ich von hier auf die Daten zugreifen. Gebt mir ein paar Minuten.“

Aus den Minuten wurde eine gute Stunde. Schließlich rief er sie alle wieder zu sich.

Die Neuigkeiten waren geradezu verstörend. Unter den Daten, die Koushiro ausgegraben hatte, waren zuallererst Videoaufzeichnungen, auf denen sie zu sehen waren.

Die Freunde schnappten nach Luft. Man sah sie durch die Wildnis wandern, in der Straßenbahn campen, in die Fabrik hinabsteigen … obwohl jeder von ihnen schwor, nirgends eine Kamera gesehen zu haben.

„Ich glaube, ich habe eine Erklärung dafür“, meinte Koushiro. „Nach dem, was ich in der Fabrik und jetzt, gerade eben, herausgefunden habe, sind wir nicht mehr in der … wie soll ich sagen … in unserer Welt.“

„Jetzt nimm uns nicht auf den Arm“, brummte Taichi. „Wenn du durchdrehst, sag’s gleich.“

„Ich meine es ernst. Diese Welt ist in mehr als nur einem Aspekt sonderbar. Ich habe hier eine Weltkarte gefunden, seht ihr? Wir sind hier, auf dieser Insel. Es gibt aber auch noch einen Kontinent, nämlich hier.“

Eine dreidimensionale Karte erschien in der Luft, wie ein Hologramm. Taichi beschloss, sich über gar nichts mehr zu wundern.

„Das ist nicht die Erde, oder?“, fragte Miyako beklommen.

„Fast. Seht euch mal diese Karte hier an – das sind die Computernetzwerke der Erde. Die Knotenpunkte sind Server, da seht ihr das große Backbone, und …“ Er bemerkte, dass er genauso gut eine andere Sprache hätte sprechen können. „Sagen wir, diese Karte zeigt, wie das Computernetz der Erde aussehen würde, wenn es statt Leitungen und Daten und Rechnern aus Landmassen bestehen würde.“

Die beiden Karten waren identisch.

„Aha“, sagte Taichi. „Und was sagt uns das?“

„Das ist vielleicht ein ziemlich krasse Theorie“, meinte Koushiro, „allerdings würde es gleichzeitig erklären, warum hier so merkwürdige Dinge passieren können wie bei Kens und Takerus Hinrichtung. Und warum ich hier, obwohl es nirgendwo Projektoren gibt, eine Weltkarte erscheinen lassen kann, nur weil ich in dem Programm in diesen Ruinen etwas verändere. Und es erklärt, wie Monokuma uns filmen und überwachen kann, ohne dass wir etwas davon merken.“

„Und zwar?“, fragte Taichi. „Mach‘s nicht so spannend, Mensch.“

„Alles um uns herum ist nicht echt“, sagte Koushiro mit erschütternder Endgültigkeit. „Alles, was ihr hier seht, auch wir selbst, besteht aus Daten. Und Daten kann man leichter manipulieren als die Dinge in unserer Welt.“

„Moment, soll das heißen, wir träumen das hier nur?“

Es folgte eine für alle Beteiligten ermüdende Diskussion, was denn nun echt war und was nicht, ob die Toten wirklich tot waren und ob das überhaupt alles möglich sein konnte. Im Endeffekt fanden sich alle damit ab, in einem merkwürdigen Paralleluniversum gefangen zu sein.

„Das Video“, murmelte Daisuke. „Spiel es weiter ab. Bitte.“

Koushiros Bildschirm zeigte immer noch als Standbild die Kantine in der Fabrik.

„Ich weiß nicht, ob das …“

„Tu es. Bitte.“

Schulterzuckend drückte der Rotschopf auf Play. Man sah, wie eine Zeitlang nichts passierte, nachdem sie sich alle schlafengelegt hatten. Dann öffnete sich irgendwann die Tür, und Ken war zu sehen, der Sora auf dem Arztwägelchen in den Raum schob. Daisuke verkrampfte sich bei dem Anblick, und auch die anderen vergaßen zu atmen. Mimi wandte den Blick ab, Jou ebenfalls, Wallace inspizierte desinteressiert die Inschrift an den Wänden, aber die anderen sahen klar und deutlich, wie Ken Sora fesselte und an den Ventilator band. Dann verschwand er. Zwei Stunden nach diesem Zeitpunkt würden die Ventilatoren hochfahren und sie umbringen.

„Okay“, murmelte Daisuke. „Das reicht.“

„Was für einen Grund hatte es jetzt, dass wir uns das ansehen mussten?“, fragte Miyako erregt. Das Video hatte eindeutig alte Wunden aufgerissen.

„Hast du sein Gesicht gesehen?“, fragte Daisuke. „Du mochtest Ken auch, nicht wahr, Miyako? Hast du sein Gesicht gesehen, als er sie aufgeknüpft hat? Er hat gegrinst! Kannst du dir vorstellen, dass jemand bei so einer Aktion grinst?“

„Ken war ja wohl nicht richtig im Kopf“, sagte Taichi unwirsch. „Vergessen wir es endlich.“

„Vergessen? Er war ein guter Kerl, ich weiß es! Die Art, wie er sich mit uns unterhalten hat … Er kann nicht einfach nur ein psychopathischer Mörder gewesen sein!“

Koushiro nickte. „Zu ihm habe ich auch etwas Interessantes ausgegraben“, kündigte er an. „Aber zuerst will ich euch was anderes zeigen.“

Er öffnete ein Video, das die Telefonzellen zeigte.

„Wir begehen jetzt doch keinen Regelbruch, oder?“, fragte Mimi ängstlich, die ahnte, was jetzt kam.

„Monokuma hat uns verboten, uns untereinander über die Telefongespräche auszutauschen. Er hat nichts davon gesagt, dass wir nicht an seine eigenen Aufzeichnungen dürfen. Im Gegenteil, er hat uns ja quasi hierher eingeladen.“ Koushiro spielte das Video ab.

Man sah Yamato in der Enge der Telefonzelle wie durch ein Fischaugenobjektiv. Dann hörte man eine weibliche Stimme.

„Hallo? Ist da jemand?“

Yamato erstarrte sichtlich. „Hallo? Wer ist da?“

„Ich kann Sie nicht hören“, erwiderte die Frau. „Bitte, ich soll Ihnen sagen, dass ich Natsuko bin und hier festgehalten werde …“

Der Rest des Telefonats war so, wie Taichi es von seinem eigenen kannte. Es war jedoch eindeutig, was geschehen war. Yamato hatte tatsächlich mit seiner Mutter gesprochen. Das war aus seinen Reaktionen eindeutig herauszulesen.

Sie sahen sich, obwohl es Taichi fast schon wie ein Frevel vorkam, noch den Rest seiner tragischen Geschichte an. Wie er Takeru nachts noch störte, als dieser bereits im Bett lag, wie er ihm Cola zu trinken anbot und ihm somit das Gedächtnis tilgte. Wie er ihn anfiel, dann von Takeru verwundet wurde; wie er seinen Bruder niederschlug, ihm erneut die Pilzlimonade einflößte und schließlich die Nachrichten auf den Schreibtisch legte. Es war alles so, wie sie es geschlussfolgert hatten.

„Wartet mal, geh nochmal zurück zu den Telefonzellen“, brachte Miyako atemlos hervor. „Ich will wissen, was ihr anderen gehört habt! Vielleicht sind da meine Eltern dabei!“

„Das sollten wir uns sparen“, meinte Koushiro.

„Warum? Wenn es ihnen schlecht geht, muss ich …“

„… jemanden töten? Die Frist ist längst vorbei, Miyako“, sagte Koushiro eindringlich. „Aber es ist sowieso egal. Wenn diese Welt hier wirklich aus Daten besteht, kann Monokuma die Stimmen unserer Eltern auch ganz einfach gefälscht haben. Ich traue ihm das zu. Sogar wenn das hier unsere Welt wäre – nachdem ich das Techniklevel von Andromon gesehen habe, traue ich ihm eine ganze Menge zu!“

Das mussten die anderen erst mal verdauen. Taichi fühlte sich ein kleines bisschen erleichtert.

„Hier, das habe ich sonst noch zu dieser Welt gefunden.“ Das Bild eines der DigiVices erschien. „Man nennt diese Welt die DigiWelt – genauso, wie Ken es gesagt hat. Und auf einem Kontinent jenseits des Meeres gibt es tatsächlich einen DigimonKaiser, der die Wesen, die hier leben, knechtet. Sie heißen Digimon. Der DigimonKaiser ist aber seit geraumer Zeit inaktiv.“

„Weil er hier war“, stellte Taichi fest. „Und jetzt ist er tot.“ Daisuke knirschte erneut mit den Zähnen.

„Diese Digimon, was ist das genau?“, fragte Iori.

„Digitale Monster. Sie können alle möglichen Formen annehmen.“ Koushiro zappte durch ein Sammelsurium aus obskuren Gestalten. Auch Andromon und Shellmon waren darunter. „Laut den Informationen müssten hier auf der Insel auch überall welche leben. Ich frage mich, wo sie hinverschwunden sind.“

„Sieht es nicht so aus, als hätte Monokuma sie unter Kontrolle?“, fragte Hikari.

„Möglich. Er hat auch etwas mit unseren DigiVices angestellt.“ Das Bild von vorhin erschien wieder. „Die DigiVices sind nämlich so etwas wie heilige Artefakte. Ihnen werden ganz unglaubliche Kräfte zugeschrieben, mit denen die Macht der Dunkelheit – also ich nehme an, das bedeutet einfach, das Böse – bekämpft werden kann. Nur die DigiRitter besitzen sie, und sie ermöglichen es Digimon, sich weiterzuentwickeln.“

„DigiRitter“, murmelte Mimi. „Das hab ich doch schon mal gehört …“

„Das Wort habe ich gefunden, als ich in der Fabrik über die DigiVices recherchiert habe. Dort wurde auch erwähnt, dass es irgendwo auf der Insel dieses Labyrinth hier gibt“, sagte Koushiro. „Angeblich sind die DigiRitter dazu ausersehen, sozusagen die Welt zu retten. Sie haben Digimon-Partner, die an ihrer Seite kämpfen, und es hat schon mal eine frühere Generation von DigiRittern gegeben, die irgendetwas Böses bekämpft haben, das durch eine sogenannte Feuerwand kam. Feuerwand – wie eine Firewall. Das ist sicher kein Zufall.“

„Das klingt ja alles sehr abenteuerlich. Seid ihr jetzt bald fertig?“, fragte Wallace ungeduldig. „Wir können dem, was wir hier finden, sowieso nicht trauen.“

„Eine Sache noch.“ Koushiros Stimme wurde düster. „Es geht um etwas, was sich die Saat der Finsternis nennt. Laut den Informationen hier ist es eine Art digitales Programm, das sich auch in unserer Welt manifestieren kann. Und Ken Ichijouji war damit infiziert. Es sind eine Art … Sporen, die durch den Nacken ins Rückenmark des Betroffenen eindringen.“ Er zeigte ihnen Bild von etwas, das wie mikroskopische schwarze, stachelige Kugeln aussah – fast wie Treibminen. „Hier stehen übrigens auch andere Übertragungsmöglichkeiten. Man kann mit einem gewöhnlichen Scanner wie einem Kartenlesegerät die Saat aus dem Nacken des Betroffenen kopieren und dann jedem anderen einsetzen. Die Saat bewirkt, dass man unglaublich intelligent und sportlich wird – aber gleichzeitig entwickelt sich damit die Macht der Finsternis. Man wird kaltherzig und grausam und machtgierig. Soweit die Informationen, die hier stehen. Ich schätze, das ist genau, was Ken passiert ist. Darum ist er der DigimonKaiser geworden. Und darum hatte er keine Skrupel, jemanden zu ermorden.“

Es war still geworden in dem kalten Steinraum. „Wegen so einer komischen Saat also“, knurrte Daisuke verbissen.

„Hast du sonst noch etwas gefunden?“, fragte Taichi, der sich lieber mit der Zukunft als mit der wenig freudvollen Vergangenheit beschäftigen wollte.

„Nur, dass es hier angeblich einen Wächter geben soll, der die Ruinen bewacht. Aber der scheint auch verschwunden zu sein, genau wie die meisten anderen Digimon.“

„Irgendeinen Weg zurück in unsere Welt?“, hakte Taichi nach.

Koushiro schüttelte den Kopf. „Da bin ich leider überfragt.“

„Wie es aussieht, ist unsere Lage nur noch schlimmer geworden“, sagte Joe mutlos. „Wir haben gedacht, wir wären einfach nur auf einer Insel. Dann hätten wir lediglich ein Schiff finden oder ein Boot bauen müssen, um fortzukommen … Aber wenn wir in einer anderen Welt sind, wie sollen wir dann je von hier wegkommen?“

„Außer, indem wir jemanden töten?“ Wallace schnalzte mit der Zunge. „Ich sehe da gerade wenig Chancen. Vorausgesetzt, man glaubt den Mist, der da in diesen Datenarchiven steht.“

Ein Blick in die Runde sagte Taichi, dass die anderen es glaubten.

„Hoffnung“, murmelte Hikari plötzlich.

„Was?“, fragte er seine Schwester.

„Takeru wurde von der Hope‘s Peak wegen seiner Hoffnung ausgewählt. Er war die Ultimative Hoffnung – und jetzt ist er tot. Er hat einfach seine Hoffnung vergessen. Und für uns ist jetzt auch alles hoffnungslos.“

Niemand konnte dieser traurigen, aber wahren Bemerkung widersprechen.

 

Wenn man die Stimmung der angeblichen DigiRitter bedachte, hätte es eigentlich regnen müssen, als sie am späten Nachmittag das Labyrinth verließen und sich durch den Dschungel schlugen. Mimi hatte bereits Mühe, einen Fuß vor den anderen zu setzen, so viel waren sie in letzter Zeit marschiert. Ohne ein Ziel vor Augen tappten sie über Stock und Stein, während es beständig dunkler wurde. Mimis Magen knurrte bereits vernehmlich, und sie stellte sich darauf ein, eine weitere Nacht unter dem Sternenzelt zu verbringen, wo allerlei Kriechtier über sie krabbeln konnte und wo Äste und Steine einem in den Rücken stachen.

So schrecklich die jüngsten Erlebnisse auch waren, die Erschöpfung ließ Mimi sich nichts sehnlicher wünschen als ein ganz normales Haus, in dem sie schlafen konnte. Nicht das aus der Spielzeugstadt mit ihren mörderischen Spielzeugen, sondern irgendein neues, unbescholtenes.

Und als hätte irgendeine höhere Macht ihre Gebete erhört, fanden sie genau das.

Sie marschierten in die Nähe des großen Berges, der die Inselmitte beherrschte. Ein festgetretener Pfad, wie eine Einfahrt, stach zuerst ins Auge, und dann sahen sie, wie sich aus den Dämmerschatten ein herrschaftliches Haus schälte, das sich an die Felswand drängte.

Der Anblick weckte ihre keuchenden Lebensgeister. Im Nu hatten sie sich vor dem Tor versammelt. Das Gebäude wirkte aus der Nähe noch größer, fast wie eine Villa. Zwei Stockwerke voller Fensterreihen, ein ausladendes Dachgeschoss, ein Balkon und drei runde Türme mit Spitzdächern.

„Was meint ihr?“, fragte Wallace. „Ob es sicher ist?“

„Ich finde, es wirkt auf jeden Fall merkwürdig“, sagte Jou.

„Ach, mir ist egal, ob es merkwürdig ist, ich will einfach nur ein Dach über dem Kopf und schlafen.“ Miyako gähnte. Sie sprach Mimi aus der Seele.

„Es ist jedenfalls nicht auf der Karte verzeichnet“, stellte Koushiro mit raschem Blick auf seinen Blechkasten fest. „Zumindest hat Monokuma wohl nicht versucht, uns herzulocken.“

„Meinst du, er findet uns nicht, wenn wir uns da drin verstecken?“, fragte Mimi hoffnungsvoll.

„Ich glaube nicht, dass wir ihm entkommen können. Er kann sicher die ganze Insel überwachen. Denkt dran, dass hier alles aus Daten besteht“, erinnerte sie Koushiro.

„Jaja, ich hab’s nicht vergessen“, murrte Mimi, die das Ganze immer noch nicht glauben konnte. „Gehen wir nun rein oder nicht?“

Sie gingen rein. Was hatten sie zu verlieren? Es war mehr oder weniger jedem klar, dass die einzige Gefahr auf dieser Insel sie selbst waren.

Das Haus war von innen genauso herrschaftlich wie von außen und erweckte einen westlichen Eindruck. Ein edler, roter Teppich war in der riesige Eingangshalle ausgelegt. Gegenüber der Tür hing das lebensgroße Gemälde eines strahlenden Engels, das eine beruhigende Atmosphäre verströmte. In der Luft hing ein köstlicher Duft, der Mimis Magenknurren erneut entfachte. Dem Geruch gingen sie als Erstes nach.

Sie fanden einen richtigen Speisesaal. Die lange Tafel war leer, aber eine Tür weiter lag die Küche. Dort standen einige benutzte Teller herum und Essensreste, aber auf einem riesigen Herd dufteten halb erkaltete Töpfe.

Mimi meinte, hinter einer Theke etwas davonhuschen zu sehen, und zuckte zusammen. „Was ist?“, fragte Taichi alarmiert.

„Ich … ich glaube, ich habe eine Ratte gesehen“, meinte sie kleinlaut.

Taichi runzelte die Stirn. „Hier gibt’s keine Ratten. Hier gibt es gar keine Tiere.“

Mimi zuckte mit den Schultern. Vielleicht hatte sie sich die Bewegung auch nur eingebildet.

„Wer, denkt ihr, wohnt hier?“, fragte Hikari und sah in die Töpfe. Der Duft verstärkte sich.

„Die Frage ist eher, ob er es uns übelnehmen wird, wenn wir uns einfach bedienen.“ Taichi krempelte die Ärmel hoch und nahm frische Teller aus einem Schrank.

„Das … das sollten wir nicht machen“, sagte Joe, obwohl sein Magen wohl am lautesten knurrte. „Das ist Diebstahl.“

„Die Eingangstür war doch offen. Und wir sind halb verhungert. Wer immer hier wohnt, hat sicher genug Kohle, um den Verlust zu verkraften“, sagte Taichi.

„Und wenn er hereinplatzt, während wir noch essen?“

„Dann erklären wir ihm die Sache einfach“, sagte Wallace. „Außerdem sind wir doch alle gewissenlose Mörder, oder? Lebensmitteldiebstahl ist in unserer Lage harmlos. Und wer soll das überhaupt sein, dem das Essen hier gehört? Das köchelt hier sicher schon Ewigkeiten vor sich hin. Vielleicht haben hier Digimon gewohnt, die jetzt verschwunden sind.“

Das würde aber nicht erklären, warum es hier vor allem frisches Essen gab, aber Mimi wollte nicht kleinlich sein. Wer dachte schon noch an gute Erziehung nach einem kräftezehrenden Marsch und im Angesicht so vieler Köstlichkeiten?

Sie beluden ihre Teller mit Eintopf, Suppe und Fleisch mit dunkler Soße. Auch Brot fanden sie und mehrere Flaschen Saft. Damit veranstalteten sie einen Festschmaus im Speisesaal, bis sie platzten.

Im Anschluss erkundeten sie in kleinen Gruppen das Haus. Es schien tatsächlich verlassen. Im oberen Stock gab es eine ganze Reihe von Gästezimmern, in denen je mindestens acht Personen schlafen konnten. Sie stellten gerade fest, dass das Dachgeschoss versperrt war, als Miyako die Treppe hochgestürmt kam.

„Ihr ahnt nicht, was ich gefunden habe“, rief sie strahlend.

Sie führte die anderen in den Keller. Dort, in einem hohen Saal mit Spitzbögen, dampfte ein heißes Bad in einem Steinbecken vor sich hin. Der Saal war mit einer hohen Trennwand in einen Bereich für Männchen und einen für Weibchen geteilt. In einem Vorraum lagen weiche Frotteemäntel bereit. Mimi stieß einen glücklichen Seufzer aus. Hier würde sie endlich ihr Kleid waschen und trocknen können.

So wurde das Bad in dieser Villa zum nächsten Zwischenstopp erklärt.

 

Iori seufzte, als er sich in das heiße Wasser gleiten ließ. Er hatte noch nie etwas Angenehmeres gespürt. Die Hitze lockerte seine verspannten Muskeln und der Dampf trieb die dunklen Gedanken aus seinem Kopf. Für einen Moment konnte er seine Sorgen vergessen. Er beobachtete, wie Taichi und Wallace Jou neckten, der es erst nicht wagte, zu ihnen in das Becken zu steigen, und sich letztendlich doch einen Ruck gab. Leise hörte er über die Trennwand die drei Mädchen miteinander reden.

„Wie lange sind wir wohl schon hier?“, fragte sich Iori laut.

„Neun Tage“, sagte Jou, der sich bis zum Hals ins Wasser hatte gleiten lassen. Daisuke starrte nur die ferne Decke an, als wären seine Gedanken ganz weit weg.

„Nur Mut“, sagte Taichi. „Wir sind hier vielleicht in einer Welt aus Daten, aber wir haben jemanden, der sich mit Daten echt gut auskennt. Koushiro, ich verlass mich auf dich.“

„Hm.“ Der Rotschopf wirkte darüber nicht gerade glücklich, aber er schloss die Augen und ließ sich so weit ins Wasser sinken, wie es ging, ohne dass er dabei ertrank. Er schien so müde, als könnte er jeden Moment einschlafen. „Heute nicht mehr. Heute verlass dich nur darauf, dass ich schlafen werde.“

„Dein ultimatives Talent hat sicher was mit Computern zu tun“, mutmaßte Wallace.

„Nicht ganz“, murmelte Koushiro halb ins Wasser. „Wissen.“

„Wissen? Na, immerhin.“

„Was ist dein Talent, Wallace?“, fragte Taichi.

„Das ist eher was Spezielles. Ich hab einen Brief von der Hope‘s Peak bekommen, in dem sie schreiben, sie hätten mich ausgelost. Und weil es mein Schicksal wäre, aufgenommen worden zu sein, bin ich der Ultimative vom Schicksal begünstigte Schüler.“ Wallace grinste, und Iori wusste nicht, ob er das ernst meinte. „Was ist mit euch?“

Daisuke schwieg weiterhin, Joe murmelte etwas von „Zuverlässigkeit“, und Iori sah sich genötigt, die Wahrheit über seine eigene Aufnahme preiszugeben. „Ich bin im Reserve-Kurs“, gab er zu.

„Echt? Das sind die Leute, die kein besonderes Talent haben, aber dafür zahlen, aufgenommen zu werden, oder?“

„Nur weil mir die Akademie kein spezielles Talent zugesteht, heißt das nicht, dass ich unfähig bin“, sagte Iori verärgert.

Taichi winkte ab. „Jetzt reg dich nicht gleich auf. Ist doch egal, warum wir dabei sind. Das Ganze war sowieso nur eine Farce. Die haben irgendwas erfunden, damit wir die Akademie betreten. Alles, damit sie uns hier in diese Welt schicken und uns gegenseitig umbringen lassen können.“

„Kommen wir zu erfreulicheren Themen“, verkündete Wallace versonnen und senkte seine Stimme. „Welches unserer drei Mädels findet ihr am schärfsten?“

Der Themenwechsel war so abrupt, dass Taichi kurz auflachte, ehe er wieder ernst wurde. „Wenn ich dran denke, dass wir hier alle in Lebensgefahr schweben, will ich da eigentlich gar nicht näher drüber nachdenken.“

„Du hast es ja einfach. Für dich kommen nur zwei infrage“, meinte Wallace.

„Für euch andere auch“, sagte Taichi scharf, und diesmal lachte der Amerikaner.

„Dann sagen wir, rein hypothetisch. Um uns auf andere Gedanken zu bringen. Wir sind sechs Jungs und nur drei Mädchen. Wird also ein harter Kampf.“

„Dann fang du doch an“, sagte Taichi missmutig.

„Ist doch ganz klar. Sie sind alle toll. Ich würde mit jeder von ihnen etwas anfangen, wenn ich die Chance hätte.“ Wallace fuhr sich theatralisch durchs Haar.

„Du machst dich gerade extrem unbeliebt bei jemandem, weißt du das?“

„Was ist mit dir, Taichi? Läuft da nicht was zwischen dir und Mimi?“

„Quatsch“, sagte er impulsiv. „Ich finde sie … Sie ist total zickig, okay? Das verwöhnte Prinzesschen. Viel zu anstrengend.“

„Du kennst sie also schon ziemlich gut“, grinste Wallace.

Taichi spritzte ihm einen Schwall Wasser ins Gesicht. „Halt die Klappe.“

Der Amerikaner wischte sich die Augen aus und wandte sich an die anderen. „Und ihr? Daisuke frag ich erst gar nicht.“

Dieser brummte nur etwas Unwilliges.

„Ähm, ich finde sie auch alle sehr sympathisch“, wich Jou der Frage aus, „aber ich könnte mir nicht vorstellen, also …“

Iori schwieg eisern.

Wallace seufzte. „Oh Mann, mit euch Spießern macht das keinen Spaß.“

 

Es geschah auf dem Weg zurück nach oben. Nachdem sie ihre Kleidung gewaschen und zum Trocknen aufgehängt hatten, hatten sich die DigiRitter in die Morgenmäntel gehüllt und schlurften die Treppen hoch. Um zu ihren Zimmern zu gelangen, mussten sie erneut die gähnend leere Eingangshalle des Hauses durchqueren.

Die plötzlich nicht mehr leer war. Vor dem Bild mit dem Engel stand eine düstere Gestalt.

Die Freunde blieben abrupt stehen, als sie sie bemerkten. Draußen war es längst stockdunkle Nacht, nur aus einigen Türen hier im Erdgeschoss drang Licht, wo sie es nicht ausgeschaltet hatten, und so ertrank die Gestalt bis auf ihre Umrisse in den Schatten. Jou bekam nur den Eindruck eines langen, dunklen Mantels. So, wie die Gestalt dastand, hatte sie die Arme verschränkt.

„Ihr Bastarde.“ Die Stimme rollte tief und düster durch die kahle Halle. „Was habt ihr hier zu suchen? Habt ihr geglaubt, ich würde es nicht spüren, wenn jemand mein Haus betritt?“

Als Vernünftigster und Ältester der Gruppe fühlte sich Jou verpflichtet, zu antworten. Er trat einen Schritt vor – was gar nicht so einfach war, denn diese stillstehende Gestalt in der dunklen Halle flößte ihm ungeheure Angst ein. Und sicher nicht nur ihm, nach allem, was passiert war … Zumindest hoffte er das. Er wollte nicht der Einzige sein, dem die Knie schlotterten.

„Ähm, entschuldigen Sie bitte“, begann er, „meine Freunde und ich waren nicht sicher, ob das Haus bewohnt ist oder nicht, und wir waren auf der Suche nach einer … Unterkunft, und …“

„Wer hat euch geschickt?“, unterbrach die Gestalt sein Gestammel. „Welchem der Dämonenkönige habt ihr die Treue geschworen?“

„Äh, niemandem, wir … sind ganz zufällig hier langgekommen“, sagte Jou hilflos. „Wir entschuldigen uns, dass wir Ihr Essen genommen und Ihr Bad benutzt haben.“ Er verbeugte sich tief, während Taichi ihm in die Seite knuffte.

„Du Idiot! Musst du ihm das verraten?“

„Hm“, machte der Schatten. „Ihr habt euch also ohne Erlaubnis an meinen Besitztümern gütlich getan? Ihr Unholde habt großes Glück gehabt, dass meine Devas euch dabei nicht erwischt haben.“ Die Gestalt ließ ein kehliges Lachen ertönen und bewegte sich erstmals. Joe hörte, wie schwere Stiefel über den Boden schleiften. Schließlich kam die Person unter der Galerie hervor, wo die Schatten am dichtesten waren, und der Lichtschein erfasste sie.

Es handelte sich um einen jungen Mann. Seine tiefe Stimme ließ ihn älter wirken, als er vermutlich war, und auch sein Körperbau war verhältnismäßig schmächtig. Sein Gesicht wirkte fast bedrohlich, die Haut war blass, als würde er nur wenig Sonne sehen. Eine breite Narbe zog sich über sein linkes Auge, von einem seiner Ohren baumelte ein Ring. Unter dem schwarzen Mantel trug die Gestalt ein weißes Hemd, und um den Hals hatte sie einen violetten Schal gewickelt. „Ich frage euch noch einmal: Wer seid ihr, und wer hat euch geschickt?“, rief er lauter und zeigte mit anklagende Geste auf die DigiRitter, die ihn anstarrten. Trotz der finsteren Aura, die ihn umgab, wirkte er wie ein Mensch. Jou war erleichtert. Der erste andere Mensch, den sie hier auf der Insel trafen …

„Was Jou gesagt hat, stimmt“, sagte Mimi. „Wir sind den ganzen Tag gewandert und müde und hungrig, und als wir das Haus gesehen haben, haben wir eben die Chance ergriffen. Du bist selbst schuld, wenn du die Tür nicht abschließt“, fügte sie schnippisch hinzu.

Der Junge lachte leise. „Du Einfaltspinsel glaubst, ich bräuchte ein Schloss, um meine Besitztümer zu schützen?“ Schließlich brach er in schallendes Gelächter aus. „Närrin! Als ob der Herr dieser Insel sich hinter Schlössern und Mauern zu verstecken bräuchte!“

„Der Herr dieser Insel?“, wiederholte Miyako.

„Davon stand nichts in den Daten in dem Labyrinth“, flüsterte Koushiro den anderen zu.

„Das heißt, du weißt nicht, wer das ist?“, gab Taichi ebenso flüsternd zurück.

„Ich frage euch ein letztes Mal. Wagt es nicht, meine Geduld auf die Probe zu stellen – wer seid ihr?“

„A-also ich bin Jou“, stellte Jou sich vor, sich bewusst, dass sie als Eindringlinge wohl zuerst ihre Namen nennen mussten. „Das da sind Taichi, Hikari, Koushiro, Wallace, Mimi, Iori, Miyako und Daisuke.“

„Ist das so?“, grollte der andere. „Seid ihr allein hier? Habt ihr irgendwelche Monster bei euch, die ihr ausbildet?“

„Ähm, nein, wir sind allein.“ Jou erinnerte sich an die Sache mit den DigiVices und den Digimon, die sie angeblich zur Seite hätten haben sollen.

„Wir haben gehört, dass wir DigiRitter sein sollen, aber wir hatten von Anfang an nur das hier.“ Koushiro holte sein DigiVice aus der Tasche seines Mantels. Anders als Jou hatte er sich selbst im Bad nicht davon trennen wollen.

Der junge Mann zuckte zusammen. „Wie? Ihr seid im Besitz der heiligen Waffe des Lichts? Seid ihr etwa gekommen, um meine Herrschaft der Finsternis zu beenden?“ Im nächsten Augenblick erschien ein herausforderndes Grinsen auf seinem Gesicht. „Nun denn, DigiRitter, ich bin bereit. Falls ihr es wagt, den ersten Streich zu führen, werde ich nicht zögern, euch zu zermalmen.“

„St-stopp!“, ging Hikari dazwischen. „Wir wissen gar nicht, was von uns erwartet wird, und wir wollen auch garantiert keinen Streit mit dir … Wir haben nur gehört, dass wir die DigiRitter sind, aber wir wissen nicht, was genau wir tun sollen.“

„Wir wissen nur, dass wir die Macht der Dunkelheit bekämpfen müssten – aber wir haben eigentlich ganz andere Sorgen“, fügte Miyako hinzu.

„Die Macht der Dunkelheit? Da kommt ihr zu spät. Die Macht der Dunkelheit hat diese Insel bereits fest in ihrem Würgegriff!“ Der andere breitete theatralisch die Arme aus. „Doch bin ich heute guter Laune. Anstatt euch Unholde für eure Unverfrorenheit zu bestrafen, werde ich euch für die Nacht Unterschlupf in meinem Allerheiligsten gewähren. Fühlt euch geehrt, denn nicht viele, die meine geheimen Kammern erblickt haben, weilen noch unter den Lebenden!“

Jou fragte sich, was an dem Speisesaal, den Zimmern und dem Bad so geheim sein sollte, aber vielleicht spielte der Mann auch auf die Türen im Untergeschoss an, die verschlossen gewesen waren – oder auf die Tür zum Dachboden.

„Äh, vielen Dank. Wenn möglich, werden wir dich dafür entschädigen“, sagte er. „Und …“

„Wenn wir hier wegkommen. Wir sitzen leider auf dieser Insel fest“, nahm Wallace ihm das Wort aus dem Mund. „Du weißt nicht zufällig, wie man von hier fortkommt?“

„Hm“, schnaubte der andere. „Es gibt kein Geheimnis dieser Insel, das ich nicht kenne. Allerdings hat die Flucht von hier einen hohen Preis.“

„Dann weißt du, wie wir nachhause kommen?“, fragte Mimi atemlos.

„Wenn ihr willens seid, durch den finsteren Schlund der Hölle zu schreiten und den Monstern entgegenzutreten, die dort auf euch lauern, kann ich euch den Weg zeigen“, sagte er. „Doch noch stehen sind die Sterne nicht in der richtigen Konstellation dafür. Das Tor zur Hölle aufzureißen, während Krieger des Lichts in der Nähe sind, ist selbst für mich keine leichte Aufgabe.“

Jou wurde dieser Junge von Minute zu Minute unheimlicher. Plötzlich ergriff Daisuke das Wort, der bisher geschwiegen hatte: „Wenn du so viel über die Macht der Dunkelheit und das alles weißt, was weißt du dann über die Saat der Finsternis?“

Zwei verschiedenfarbige Augen taxierten Daisuke wachsam. Die anderen schwiegen erwartungsvoll. Wieder lachte der Unbekannte sein kehliges Lachen. „Es gelüstet dich nach gefährlichem Wissen, du Unhold. Über die Saat der Finsternis sollte kein Sterblicher je sprechen. Sie stammt aus dem Untiefen der Finsteren Dimension, die sich bei jedem Kataklysmus anschickt, die Welt zu zerstören. Nur einigen wenigen ist es zu verdanken, dass dieses Chaos diese Welt noch nicht überflutet hat.“

„Meinst du damit dieses Übel, das aus der Feuerwand gekommen ist? Das die ersten DigiRitter besiegt haben?“, fragte Koushiro.

„Die Geschichten über die Feuerwand sind weit untertrieben“, sagte ihr Gastgeber bedeutungsschwer. „Aber lasst es mich so sagen. Das Übel, von dem du sprichst, ist nicht das Einzige, was durch das Feuer geschritten ist. Ich sehe, wir haben die gleichen Interessen. Doch der Weg dorthin ist euch versperrt. Selbst ich hätte beinahe das Leben verloren, als ich von dort meine Devas beschworen habe.“

Jou hatte plötzlich das Gefühl, dass es nicht ratsam wäre, im Haus dieses Fremden zu übernachten. „Wir … danken für das Angebot wegen den Schlafmöglichkeiten, aber …“, begann er.

„Wir nehmen es sehr gern an“, fiel ihm Taichi ins Wort.

„Aber …“

„Mach dir mal nicht ins Hemd. Wenn er uns was tun wollte, hätte er es längst getan.“

„Und er weiß, wie wir hier wegkommen“, sagte Mimi.

„Ja, aber warum sagt er es uns nicht einfach?“

„Er kann uns vielleicht noch mehr über unsere DigiVices sagen und über die DigiWelt“, meinte Koushiro. „Entschuldige, aber du kennst dich doch sicher hier auf der Insel aus, oder?“

Der Mann lächelte schief. „Es gibt wenige Orte in dieser Welt, die ich nicht kenne. Sprich, was ist dein Begehr, Unhold?“

„Hast du schon einmal etwas von Monokuma gehört?“, fragte Koushiro.

Für einen Moment schwieg der Fremde. „Monokuma“, murmelte er dann in seinen Schal. „Dieser Name weckt Erinnerungen. Ist er etwa wieder zurückgekehrt aus den Abgründen des Nichts, in das ich ihn gestoßen habe?“

„Also kennst du ihn?“

„Nur zu gut“, sagte der andere düster. „In einem früheren Leben war er mein Erzfeind. Er schwor mir und meinen Schützlingen den Tod und wollte uns elendig verrecken lassen, doch er hatte meine Macht unterschätzt.“

Das klang zur Abwechslung einmal erleichternd. „Es sieht so aus, als hätte Monokuma es auf uns abgesehen“, meinte Jou. Iori hüstelte, als wollte er etwas sagen, aber dafür war ja wohl später noch Zeit. Es war sicher nicht ratsam, einen Mann mit derartigen Stimmungsschwankungen mitten im Gespräch zu unterbrechen.

„Keine Sorge“, erwiderte der andere großspurig. „Wenn er seine schmutzgien Pfoten auf meinen Boden setzt, werde ich ihn hinfortfegen wie ein Wintersturm die letzten Blätter des Herbstes. Ihr seid hier völlig sicher. Gundham Tanaka hat noch nie seine Schutzbefohlenen im Stich gelassen.“

„Gundham?“, fragte Hikari. „Dein Name ist Gundham Tanaka?“

„So ist es, Unterweltlerin.“ Gundham reckte stolz sein Kinn. „Ich bin Gundham, Herr des Tanaka-Imperiums, Meister der Vier Dunklen Devas der Zerstörung und der beste Monsterbändiger, den diese Welt je gesehen hat.“

„Monster?“, fragte Miyako. „Meinst du zufällig die Digimon, die hier leben sollen?“

„Ich meine alles, was die Bezeichnung Monster verdient.“

„Du bändigst sie? Dann bist du also dafür verantwortlich, dass es auf dieser Insel keine Digimon mehr gibt?“, fragte Mimi verwirrt.

Plötzlich schlug Gundhams Stimmung abermals um. „Es ist spät, ihr Unholde. Der Mond hat längst den feurigen Ball der Sonne vom Himmel verdrängt. Bezieht eure Zimmer. Ich werde einen Bannkreis der Stählernen Befestigung erschaffen, für den Fall, dass wir in der Nacht angegriffen werden. Und ich hoffe, dass Monokuma sich blicken lassen wird. Er ist nur ein kleiner Happen, doch ich werde ihn als Futter für meine Dunklen Devas verwenden.“

Lachend schritt er davon, erklomm die Treppen. Jou glaubte im letzten Moment, ehe er wieder aus dem Lichtschein trat, zu sehen, wie sich sein Schal bewegte – als würde er tatsächlich mit den Schatten verschmelzen wollen und sehnte sich bereits nach der Dunkelheit. Aber Jou hörte immer noch seine Schritte, und während sie ihm im Dunkeln hinterhersahen, betrat er ein Zimmer ganz am Ende der Galerie. Dann war es wieder still in dem Haus.

Die DigiRitter tauschten bezeichnende Blicke. Es war noch nicht an der Zeit zu schlafen. Erst einmal mussten sie sich über den einzigen anderen Menschen unterhalten, der auf dieser Insel lebte – und der zugleich ihr Gastgeber, Monokumas Feind und angeblich der Herrscher über die File-Insel war.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Eine merkwürdige Person ist aufgetaucht - und ich lasse euch nun genauso im Dunkeln stehen wie die Charaktere ;) Der Titel ist übrigens eine Anspielung auf die Episode, in der sie in der Serie auf Devimon stoßen. Fand ich ganz passend^^
Das nächste Kapitel bekommt wieder Überlänge. Es wird erst nach den Feiertagen online kommen, also wünsche ich euch schon mal frohe Weihnachten :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  RinRainbow
2019-01-11T11:31:34+00:00 11.01.2019 12:31
Hallo mal wieder x)
Gundham!!!
Das kam jetzt aber wirklich überraschend.
Wobei es eine tolle Idee ist auch einen Original Charakter aus der Serie miteinzubauen - unnötig zu erwähnen, dass Ibuki mir lieber gewesen wäre, aber gut, mit Gundham kann ich auch leben :p
Bin gespannt wie genau du ihn in die Geschichte miteinbinden wirst!
Das die Digiritter ihm gegenüber skeptisch sind ist nachvollziehbar, er ist ja auch sehr...speziell? xD
Hilfreich wäre er wohl definitiv, schließlich kennt er Monokuma ziemlich gut.
Es bleibt auf jeden Fall spannend!

Achja, Wallace und seine "Männergespräche" waren klasse xD
Er lockert die ganze düstere Stimmung einfach auf, ein echter Sonnenschein ^^

Liebe Grüße x)
Antwort von:  UrrSharrador
15.01.2019 01:05
Hey, danke dir mal wieder für deinen Kommi :)
Ich war schon gespannt, was du zu ihm sagen würdest xD Ich finde ja, seine Reden passen ganz gut in diese Welt^^ Er bekommt aber nur eine kleine Rolle, da der Fokus weiterhin auf den DigiRittern liegen soll.
Ich muss gestehen, Wallace' Abschlusssatz war da 1:1, was ich mir gedacht habe, als irgendwie kein Charakter da war, mit dem sich das Thema hätte vertiefen lassen :,D
Von:  NamEkianer92
2018-12-24T08:13:04+00:00 24.12.2018 09:13
Hallu Again ~

Der 2. Fall war tatsächlich um einiges leichter als der erste, gerade weil man den potenziellen Täter anhand des Ausschlussverfahrens gut eingrenzen konnte.
War natürlich nichtsdestotrotz interessant zu lesen ^^

Zum aktuellen Kapitel muss ich leider gestehen, dass ich die entsprechende Staffel nicht mehr verfolgt habe x) bin gespannt was da noch folgt ^^

Ansonsten frohe Weihnachten und einen guten rutsch :)

Antwort von:  UrrSharrador
09.01.2019 15:10
Danke^^ Keine Sorge, ist nicht weiter relevant ;)
Von:  EL-CK
2018-12-21T15:45:35+00:00 21.12.2018 16:45
"Als wollte er ihm nun sagen: Sieh her, wie weit ich dafür gegangen bin, um mein kleines Geschwisterchen zu retten. Mach‘s besser." Ich finde dieser Satz passt ganz gut zu Yamato und Tai...
... Und jetzt kommt auch noch die Digiritter-Legende dazu... Interessant... Freu mich schon auf mehr....

Die auch frohe Feiertage 🎄
Antwort von:  UrrSharrador
09.01.2019 15:09
Danke dir ;)


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