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Forced Fortune

von

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SOLV - Wir sind die Lösung

„Glück ist weder Zufall, noch hat es etwas mit Schicksal zu tun. Man entscheidet sich dazu, es zu haben, ganz einfach.“

In etwa so lautete Vaters schlauer Spruch, wenn es mir dreckig ging. Er, ein passionierter Prokurist und Pedant sondergleichen, war nie besonders gut, wenn es darum ging, mich zu trösten. Immerhin versuchte er es wenigstens, im Gegensatz zu meiner Mutter, die nie ein gutes Wort für mich übrighatte.
 

Was Glück so genau sein sollte, darüber sparte er sich aus. Das Internet verriet mir allerhand darüber. Selbstliebe stand ganz oben. So weit, so unmöglich. Mit Freunden Zeit verbringen. Dazu müsste man erst einmal welche haben. Anderen helfen. Das klang machbar. Ich stellte mir einen umgekehrten kategorischen Imperativ vor. Wenn ich helfe, wird mir geholfen, wenn ich lächle, spiegeln das die anderen und mögen mich.

Irgendwann in der Mittelstufe verinnerlichte ich diesen Grundsatz. Tatsächlich wurde mein Alltag angenehmer, ich fand sogar aus meiner Depression heraus, aber vollständig erfüllend war es nicht. Aus Mangel an Alternativen zog ich es trotzdem durch. Keine gute Entscheidung, wie sich später herausstellte. Sie trieb mich in emotionale Distanz, die mir zwei ganz besondere Männer später mit Gewalt wieder abtrainieren mussten. Wieso mit Gewalt anstatt Geduld?

Weil das Glück nicht zu den Geduldigen kommt.
 

Kurz vor Abschluss meines Fachabis sprach mich ein aufgedreht fröhliches Mädchen auf der Straße an, ob ich mich nicht für Vereinsarbeit im sozialen Bereich begeistern könnte. Sie hatte nicht einmal einen Flyer dabei. „Spontane Eingebung“, nannte sie es. Ganz offensichtlich war sie ein ganz klein wenig verrückt. Fand ich super, denn das war ich ebenfalls. Vielleicht war das Freundschaft auf den ersten Blick, wenn es sowas gab. Auf jeden Fall war mir klar, dass ich sie kennenlernen wollte. Ich schrieb mich deshalb noch am selben Tag in diesen Verein, den sogenannten SOLV, ein.

Dies war die beste Entscheidung meines bisherigen Lebens. Das Mädchen hieß Sarina, aber alle nannten sie Sari und sie war die witzigste und wärmste Person, die ich bis zu diesem Tag kennenlernen durfte. Der „Sozial Orientierte Lebenshilfe Verein“ hatte eine Niederlassung nur ein paar Straßen von meinem Elternhaus entfernt. Im Internet stand, dass dies sogar der Hauptsitz war. Das fand ich echt merkwürdig, denn ich glaubte immer, diese alte Villa stünde leer. Sie war im Jugendstil erbaut, verziert mit Ranken, Ornamenten und hübschen Frauen- als auch Männerfiguren an den Giebeln. Das war nichts Besonderes, denn alle Gebäude in diesem Viertel entstanden in der Gründerzeit um 1900, so auch die kleine Villa meiner Eltern. Am Haus war kein Hinweisschild angebracht, nichts, das auf den Verein hindeutete, aber trotzdem trafen sich ihre Mitglieder dort mehrmals pro Woche.

„Heute lernst du unseren Chef kennen. Eigentlich Vizechef, aber egal“,

empfing mich meine neue Freundin, die ihren Kopf herumwirbelte und dabei ihre blonden Locken hüpfen ließ. Mit diesem Manöver begrüßte sie eilig die anderen Mitglieder, die so langsam eintrafen. Wir alle setzten uns an eine lange Tafel, einen sehr gut erhaltenen Echtholztisch. Wie alles in dieser Villa mussten er und die dazu passenden Stühle antik sein. Stilsicher war es fraglos, aber, von der Tafel einmal abgesehen, auch ziemlich verfallen, von innen wie von außen. Vielleicht erzielte der Verein zu wenige Einnahmen, um seine Niederlassung zu sanieren? Besonders vertrauenswürdig kam mir das nicht vor.

Ich sah flüchtig in die Gesichter der vielen fremden Leute am Tisch. Sie reagierten verhalten auf mich und wendeten sich schnell wieder ihren Gesprächen zu. Ich schloss daraus, dass es mir gegenüber Vorbehalte geben musste.

So weit, so normal. Ich erinnerte mich daran, wie ich einmal eine Mitschülerin fragte, warum ich ein so verzichtbarer Teil der Gruppe sei. Ihre Antwort war ebenso verletzend wie einfach. Sie beschrieb mich als unnahbar. Da Ganze war schon eine Weile her, aber daran geändert hatte sich überhaupt nichts. Kein Wunder also, dass ich mich so sehr über Saris offene Art freute.

Ihr Ellenbogen stieß mich von der Seite an und holte mich aus meinen unangenehmen Erinnerungen.

„Da ist er!“

Der stellvertretende Geschäftsführer betrat den Raum und augenblicklich kehrte Ruhe in die zuvor regen Gespräche ein. Bei seiner Erscheinung wunderte mich das nicht wirklich. In ein wahrscheinlich super teures, faltenfreies Hemd und Anzughose gekleidet, zu dem es garantiert ein passendes Sakko gab, erfüllte er das optische Klischee eines typischen Frontmanns. Ich fand es nett, dass er mich mit einem Lächeln und wenigen Worten als neues Mitglied begrüßte. Es schien keine große Sache zu sein, dass jemand zur Gruppe stieß. Wenn ich die vielen jungen Leute sah, konnte ich mir vorstellen, wie hoch die Fluktuation sein musste. Das war ganz gut so, denn ich wollte auch nur ein paar Monate bis zum Studium bleiben und dann umziehen.

Nach dem Meeting ging das Gestupse an meinem Arm schon wieder los.

„Und?“

Ich runzelte die Stirn.

„Und, was?“

Sari hob die perfekt gezupften Augenbrauen an, als sie konkreter wurde.

„Rova, Robert-Valentin Lucard, unseren Chef, wie findest du ihn?“

„Macht einen fähigen Eindruck“,

antwortete ich ehrlich. Er war eindeutig Geschäftsmann und ich traute ihm Verhandlungsgeschick zu. So wie sie mich ansah, wollte sie wohl aber eher auf sein blendendes Aussehen hinaus. Da sie mit den Augen rollte, tat ich ihr den Gefallen, das zu sagen, was sie wahrscheinlich hören wollte.

„Er ist hübsch.“

„Hübsch? Lyzzy, hast du Tomaten auf den Augen? Nenn mir einen Mann, der mit ihm mithalten kann!“

Unwillkürlich sah ich zu seinem nun leeren Stuhl und rief ihn mir in Erinnerung. Ein zartes Gesicht, wilde goldene Haare, eindringlicher Blick aus ebenfalls goldenen Augen und ein guter Körperbau. Keine Ahnung, ob es jemanden gab, der mithalten konnte. Irgendein Schauspieler vielleicht. Männer wie er verpufften in meiner Gegenwart, seit ich von einem Schönling wie ihm sitzen gelassen wurde. Naja, das versuchte ich mir jedenfalls einzureden.

„Ist doch egal. So einen hatte ich schonmal. Die haben mehr Freundinnen, als sie zählen können und verletzen einen nur.“

Mein Geständnis regte sie an, ihre Hand auf meine zu legen, wie es eine Freundin tun sollte. Sie wusste ja nicht, wie gut sich das für mich anfühlte.

„Einen wie ihn hattest du garantiert noch nicht. Vertrau mir.“

Einen Konzernchef, ne, da hatte sie recht. Mein Ex war noch im Studium, als ich mit ihm zusammen war. Wir hatten sechs Jahre Abstand, aber Rova war mindestens zehn, wenn nicht gar fünfzehn Jahre älter als Sari, beziehungsweise ich. Der Gedanke brachte mich zum Lächeln. Wieso dachte ich über so etwas nach? Um mich ging es garantiert nicht, sondern um sie und ihn. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie auf ihn stand und meinen Segen wollte.
 

Es vergingen zwei Wochen, in denen ich den Verein regelmäßig besuchte. Diesmal stand etwas ganz neues auf dem Plan: Eine Kleiderspende sortieren. Wie immer betrat ich den großen, fast schon saalähnlichen Raum der Villa. Auf dem matt gewordenen Parkettboden lagen ganze Berge von Wäsche. Klamotten aller Art, von neu bis abgeranzt und auch Schuhe fanden sich dazwischen. Ein einziges Chaos und ich sah nur zwei Personen daran arbeiten. Meine Freundin Sari und… den Chef? Wow, wo machte einer wie er noch solche Arbeit?

„Hey Lyzzy, wir haben schon mal ohne dich angefangen“,

rief sie erfreut und winkte mir fröhlich mit einer gelben Bluse in der Hand zu. Rova lächelte ebenfalls freundlich in meine Richtung. Sah schon ziemlich gut aus, der Mann, da hatte Sari recht. Ich hoffte für sie, dass es irgendwann zwischen ihm und ihr klappen würde.

So locker wie sonst war die Atmosphäre nicht. Irgendetwas Komisches lag in der Luft, das ich nicht näher definieren konnte. Ich schob mir ein paar Sachen zum Tisch, auf dem ich die Kleidung begutachtete und sortierte, um sie danach zusammenzulegen. Zwar würde die für gut befundene Kleidung im nächsten Schritt in eine Wäscherei kommen, doch trotzdem arbeitete ziemlich akkurat, weil ich das zu Hause so gelernt hatte. Da kam das Pedantische meines Vaters in mir durch. So war ich eben. Unruhig machte mich eher der Blick zweier goldener Augen, den ich auf mir spürte. Ich war sicher, dass da gerade meine Leistung beurteilt wurde, was mich direkt ins Schwitzen brachte.

„Wie war die Aktion auf dem Markt am Samstag, Lyz?“,

hörte ich die warme, tiefe Stimme meines Beobachters fragen. Warum hatte er sich damit nicht an Sari gewandt? So ein Mist!

„Gut, denke ich… hab keinen Vergleich. Waren einige Leute da, die sich Blut abnehmen lassen haben.“

Was war das denn für eine schrecklich formulierte Antwort? Wieso ließen mich meine grauen Zellen ausgerechnet in diesem Moment hängen?

„Mehr als sonst, Rova. Lyzzys positive Art spornt die Leute an, mitzumachen“,

sprang Sari ein, die sich gerade in einem rosa Negligé verheddert hatte. Von ihren lieben Worten peinlich berührt, winkte ich ab. Dass ich dort so gut auf fremde Menschen zugehen konnte, lag doch vor allem an ihrem Einfluss auf mich.

„Wirklich? Das freut mich aber“,

bestätigte er und lächelte Sari breit zu, die entzückt in sich zusammensank. Die zwei waren einfach süß zusammen.

Ich fischte gerade eine blaue Sandale aus meinem Kleiderberg, die da eigentlich nicht hineingehörte.

„Hat einer von euch die andere gesehen?“,

fragte ich in den großen Raum hinein, den Schuh zur Anschauung am Finger baumelnd.

„Hab ihn. Fang!“,

rief der Chef im selben Moment, als er ihn schon warf. Die Sandale landete genau vor mir auf dem T-Shirt, das ich zuletzt zusammengelegt hatte. Geschockt sprang ich auf, weil ich dachte, er trifft mich damit. Eine Hand war zu meiner Brust geschnellt, die nun unter meinen aufgeregten Atemzügen bebte. Sari begann zu Lachen.

„Dein Gesicht, Lyzzy. Du bist total bleich geworden!“

Ja, haha. Wer den Schaden hat und so weiter. Rova machte auch erst einen geschockten Eindruck, aber sein Gesicht erhellte sich zusehends, bis auch er zu Lachen anfing.

„Fang! Nicht hüpf hoch!“

Nun schmiss es Sari total weg. Ihr volles, ansteckendes Lachen hallte im Raum wider und erweichte auch mich. Sie wischte sich die Tränen ab, schniefte und sah Rova an, der neben ihr saß.

„Du weißt nicht, wie sehr ich mich freue, dich Lachen zu hören. Lyzzy hat wohl auf jeden diesen positiven Effekt.“

Während mich ein starkes Kribbeln durchflutete, sah Rova ein wenig überrascht aus. Sie nahm einige Hemden auf den Arm, kam zu mir, um sie mit meinem Stapel zu vereinen und flüsterte mir zu:

„Ohne deiner Anwesenheit kann er ein ganz schöner Stinkstiefel werden.“

„Erzähl ihr nicht solche Sachen, Sari!“,

rief er. Dass er sie aus dieser Entfernung gehört hatte, ließ auf ein gutes Gehör schließen. Sie kicherte und verließ dann den Raum… Sekunde, ließ sie mich gerade mit Rova alleine? Na super! Was jetzt?

Ich legte einfach weiter die Kleidung zusammen, die ich für nutzbar hielt. Kaum einen Moment später sprach er mich an.

„Sieh mal, Lyz!“

Aus seinem Kleiderstapel zauberte er ein weißes, kurzes Spitzenkleid mit schwarzen Verzierungen und Schleifchen hervor. Zuerst hielt er inne, um es selbst zu betrachten und es dann mit ausgestreckten Armen zwischen sich und mich zu halten.

„Wunderschön“,

säuselte ich, ohne nachzudenken.

„Das finde ich auch. Es sieht ganz nach deiner Größe aus. Würdest du es für mich anprobieren?“

Moooment, da musste ich mich verhört haben. Ich sollte was?

„Ich? Aber… das geht nicht, Rova. Das hier ist doch kein Selbstbedienungsladen. Ich… kann…“

Er lächelte zärtlich. Das hatte er an diesem Tag schon häufiger getan, aber wie es schien, nur in meine Richtung… Mein Herz drehte fast durch, setzte kurz aus und legte dann richtig los. Rova hielt Blickkontakt. Es war ihm absolut ernst.

„Na gut“,

gab ich nach, nahm das Kleid an mich und verschwand aus dem Raum. Das Badezimmer lag schräg gegenüber, ein großer Raum voller vergilbter Fliesen mit Bordüre im Rosenmuster. Wohl fühlte ich mich darin gar nicht, eher beobachtet, auch wenn es dafür keinen wirklichen Grund gab. Da fiel mir ein, wo war eigentlich Sari abgeblieben? Sie war doch nicht etwa abgehauen?

Mit einem merkwürdig unruhigen Gefühl im Bauch zog ich meine enge Jeans und das Top aus und das Kleid an. Die weiße Spitze fügte sich derart geschmeidig an meinen Körper, dass es fast schon gruselig war, aber betrachten konnte ich mich nirgends. So groß das Bad auch sein mochte, gab es keinen Spiegel darin, oder zumindest keinen intakten, denn ich sah, innerhalb eines goldenen Rahmens an der Wand, Reste von Spiegelscherben. Schade um dieses einst edle Stück.

Ich drehte mich einmal um die eigene Achse, um zu testen, ob der Rock in die Höhe flog. Keinen Schritt hätte ich vor die Tür des Badezimmers gemacht, wenn er zu wenig Sicherheit geboten hätte. So nackt um die Beine war ich normalerweise nicht unterwegs. Ein komisches Gefühl.
 

„Unglaublich. Das behältst du auf jeden Fall!“,

begrüßte mich Rova vor Freude strahlend, auf seine Ellenbogen über den Tisch zu mir gelehnt. Etwas ungläubig sah ich an mir herab, denn so wie er reagiert hatte, musste ich richtig gut ausgesehen haben. Es war mir ein bisschen unangenehm, ein so knappes Kleid zu tragen, wo mir meine Mutter doch eingetrichtert hatte, dass nur leichte Mädchen Röcke trugen, die über dem Knie endeten… und dieses endete weit darüber.

„Seh ich damit nicht wie eine Lolita aus?“,

fragte ich unsicher, immerhin erreichte ich gerade mal eine Körpergröße von 1,62 m, und da mogelte ich schon ein bisschen. Rova schmunzelte mich an.

„Würde dich das stören?“

Das war kein „Nein“… also stimmte es wohl. Naja, wenn es ihm gefiel, mochte ich es auch irgendwie. Schon zuvor hatte er mich oft angesehen, aber in diesem Kleid konnte er kaum ein Auge von mir lassen. Er schien zufrieden mit seinem Werk zu sein und obwohl ich so etwas sonst gar nicht mochte, genoss ich seine Aufmerksamkeit ein wenig. Ich hoffte nur, dass er mich nun nicht für ein leichtes Mädchen hielt, ganz so, wie es meine Mutter prophezeite.

Rova und ich unterhielten uns noch etwa eine halbe Stunde über den Verein und Saris Verbleib, bis er aufstand.

„Das reicht für heute, Lyz. Ich habe noch einen Anschlusstermin.“

Er warf sich ein, natürlich zu seiner Hose passendes, blaues Sakko über und begleitete mich nach draußen. Das kam so plötzlich, dass ich keine Chance hatte, mich wieder umzuziehen. Tja und das wiederum hieß, ich musste notgedrungen in diesem knappen Kleid nach Hause gehen. Na, das konnte noch heiter werden.
 

Es kam wie erwartet. Kaum Zuhause angekommen, beschimpfte mich meine dürre Mutter, die sich dazu ihre hässliche, strenge Brille festhielt, als Hure.

„Ellys! Geh dir sofort etwas anderes anziehen, bevor dein Vater dich sieht!“,

brüllte sie. Meiner Vermutung nach fühlte sie sich von mir bedroht. Aufgrund einiger Komplikationen bei meiner Geburt, hatte ich ihr das Sexualleben gestohlen. Ich, das unerwünschte Kind, verursachte diese irreparablen Schäden. Meine Mutter wurde niemals müde, mir das zu sagen. Ich ganz allein hatte ihr Leben zerstört. Das verstand ich. Deshalb war ich auch nicht wütend auf sie. Geduldig ertrug ich ihr giftiges Gekeife, schließlich war das alles, was ich ihr als Entschuldigung anbieten konnte. Immerhin schlug sie mich nicht, obwohl eine Aggression in ihren Augen funkelte, die ihren Drang danach verriet. Sie klammerte sich an gewisse Moralvorstellungen, die ihr verboten, handgreiflich zu werden. Das gehöre sich nicht in einer gut situierten, bürgerlichen Schicht wie unserer, sagte sie dann gern. Vater hätte mir nicht geholfen, das wusste ich. Ihm war ich dann doch zu gleichgültig.
 

Zwei Tage später stieß ich wieder beim regulären Mittwochs-Meeting auf Sari. Demonstrativ hatte ich das Kleid wieder angezogen, schon um es ihr vorführen zu können. Sie saß mit zwei Jungs zusammen an der Tafel in der Villa, aber die Kleiderberge waren inzwischen beseitigt worden. Als sie mich sah, sprang sie sofort auf, sprintete zu mir und fiel mir um den Hals, wie sie es seit kurzem immer häufiger tat.

„Ich freu mich auch, dich zu sehen!“,

lachte ich, musste ihr aber auch einen Vorwurf machen.

„Wie konntest du mich nur einfach so mit dem Chef alleine lassen?“

„Was hast du da Phänomenales an?“,

überging sie mich. Ich vergaß die Anklage, denn mir schoss augenblicklich das Blut in den Kopf.

„Das hat mir Rova… geschenkt?“

Sie hüpfte um mich herum und sah mich von allen Seiten an, was mir immer peinlicher wurde, bis sie sich in ihren Komplimenten fast überschlug.

„Das ist toll! Wunderschön! Lyzzy, du bist eine Augenweide, wow! Lass uns shoppen gehen! Du brauchst passende Accessoires!“

„Brauchte ich?“

„Auf jeden!“

Sie drehte sich zum Rest der Anwesenden, vier, nein fünf Mitglieder und rief ihnen zu:

„Wir melden uns ab für heute, bye!“

Dann schnappte sie sich meine Hand und zog mich hinter sich her.
 

Wie angedroht, schleppte sie mich in einen Schuh- und einen Taschenladen. Eine Lederfarbe, die sich Cognac nannte, passte besonders gut zu meinen kastanienbraunen Haaren, befand sie und empfahl mir, mich damit einzudecken.

Zwei Taschen, zwei Paar Schuhe und einen leeren Geldbeutel später machten wir uns auf den Rückweg. Sari nahm sich wirklich viel Zeit für mich. Ich empfand das als große Ehre.

„Warum vergeudest du deine Zeit mit mir? Du… weißt doch fast gar nichts über mich“,

fragte ich viel zu negativ. Mist, dabei mochte sie es doch viel lieber, wenn ich positiv war.

„Vergeuden? Haha, du machst Witze, Lyzzy, du machst mich einfach glücklich!“

„Glücklich?“,

wiederholte ich perplex. Warum musste sie ausgerechnet dieses Wort benutzen? Ich verstand das Glück nicht. Es war zu abstrakt. Ganz ohne, dass ich zu fragen brauchte, versuchte sie es zu erklären.

„Ich find es schön mit dir, kann's mir ohne dich schon gar nicht mehr vorstellen. Ich war ein bisschen einsam, bevor wir uns kennengelernt haben.“

„Du klaust mir meinen Text!“,

lachte ich ergriffen und doch fiel es mir schwer, das diesem fröhlichen Mädchen abzukaufen. Wie konnte sie einsam gewesen sein? Ich dachte, sie verstand sich mit allen gut, nicht so oberflächlich wie ich es tat, sondern richtig freundschaftlich.

„Bist du schon lange beim Verein?“,

fragte ich, um der Sache nachzugehen.

„Nicht als aktives Mitglied, aber Rova kenn ich schon ewig, falls du das wissen wolltest.“

Eigentlich nicht. Wie kam sie schon wieder auf ihn? Er musste ziemlich viel ihrer Rechenleistung beanspruchen, wenn er ihr immer wieder dazwischen platzte. Es hatte sie echt erwischt. Das machte mir gleich ein schlechtes Gewissen. Er machte nämlich den Eindruck, an mir interessiert zu sein. Ein Gedanke, der mein Herz höherschlagen ließ, aber das musste ich ignorieren. Meiner Freundin den Kerl auszuspannen, kam überhaupt nicht in Frage.

Silber in seinen Adern

Ein paar Wochen verstrichen, in denen ich eine tolle Zeit mit Sari verbrachte. Seit der Grundschule hatte ich keine Freundin mehr wie sie. Mich ihr anzuvertrauen, speziell was meine Familie betraf, blieb trotzdem undenkbar. Nie wieder würde ich jemandem etwas über sie erzählen. Das hatte ich mir vor zwei Jahren geschworen, als mich mein Ex deswegen sitzen ließ.

Von ihm hingegen berichtete ich Sari ausführlich, denn Jungs waren ihr Lieblingsthema, direkt gefolgt von klassischer Weltliteratur. Sie las sehr viel. „Krieg und Frieden“ war eines ihrer Lieblingsbücher, über das sie stundenlang philosophieren konnte. Im Gegenzug berichtete ich ihr von den Problemen anderer Leute, sprich, den Fragen, mit denen ich mich in Hilfeforen auseinandersetzte. Wer hätte gedacht, dass mein Hobby so unterhaltend sein konnte?
 

Meine Abschlussprüfungen hatte ich erfolgreich hinter mich gebracht und nun endlos viel Zeit, bis das Studium im Oktober losging. Obendrein war Sari in den Urlaub gefahren und ich fiel in ein Loch gefühlter Nutzlosigkeit. Ich wusste einfach nichts mit mir anzufangen.

Ich lag auf dem Bauch auf meinem mit einem Blumenmuster bezogenen Bett und starrte in Richtung meines Laptops, der auf meinem säuberlich aufgeräumten Schreibtisch stand. Mein Rechner war mein kleines Heiligtum, mein Tor zur Welt und doch so wirklichkeitsfremd. Einige User in ein paar Hilfeforen schuldeten mir noch eine Rückmeldung, andere einen Dank, 27, um genau zu sein. Ich konnte nachschauen und doch nur enttäuscht werden, oder aber trat ich mir selbst in den Hintern und bewegte selbigen mal vor die Tür, auch dann, wenn meine Freundin gerade nicht greifbar war.

Der einzige Ort, der mir in den Sinn kam, war das Vereinsgebäude. Donnerstags gab es keine Meetings oder Veranstaltungen, aber eine helfende Hand konnte man sicher immer gebrauchen, vor allem mal eine, die das Haus in Ordnung brachte. Auch zu Hause machte ich den ganzen Haushalt, schuftete wie ein Dienstmädchen, ja wirklich. Ich bekam sogar Geld fürs Kochen und Putzen. Es störte mich nicht weiter. Wenigstens wurde ich gebraucht. Ich schnappte mir also einen Eimer, schmiss ein paar Putzsachen hinein und lief die zwei Querstraßen bis zur alten SOLV Villa. Meine Laune hob sich wieder. Die Sonne kribbelte mir so angenehm auf der Haut und ich hatte wieder einen Sinn für mich gefunden. Alles prima also.
 

Um ins Gebäude zu gelangen, musste man zuerst durch das quietschende Eisentor und dann durch den verwilderten Garten. Vielleicht würde ich beim nächsten Mal eine Gartenschere mitbringen, um zumindest den Weg etwas freizuräumen, aber zuerst war das Haus dran. Ich betrat die Villa, wie selbstverständlich, durch ihre kunstvolle hohe Eingangstür aus Massivholz. Im Haus war vom schönen Wetter draußen kaum noch etwas spürbar, so verdreckt wie die Fenster waren. Dort würde ich anfangen. Sie ragten nur leider so weit empor, dass ich schnell an meine Grenzen stieß. Meine Arme waren einfach zu kurz, um bis an die oberen Scheiben zu gelangen. Na gut, mir blieb nichts anderes übrig, als eine Leiter zu suchen.

Im Gemeinschaftsraum Fenster zu putzen, war noch ganz angenehm gewesen, durch eine verlassene Villa zu schleichen, deren Parkett bei jedem Schritt unheilvoll quietschte, war dagegen etwas ganz anderes. Ich klopfte an allerhand Türen und probierte viele der geschwungenen Messingtürklinken aus. Viele Räume waren verschlossen, manche standen leer und andere wurden als Lager genutzt, aber Leiter fand ich keine. Nur viele sehr schöne antike Stühle, auf die ich mich garantiert nicht stellen würde.

Inzwischen glaubte ich, es sei ohnehin niemand im Haus und öffnete die letzten Türen, ohne anzuklopfen. Die Tür am Gangende belehrte mich leider eines Besseren.

In diesem schummrigen Raum empfing mich die Silhouette eines Mannes, auf dessen golden schimmerndes Haar der einzige Lichtstrahl fiel. Er saß allein auf einer Couch, die mit dem Rücken zu mir stand. Nach Frisur und Statur zu urteilen, konnte das nur Rova sein.

„Hoppsa, ich wusste nicht, dass hier jemand ist. Tut mir sehr leid, ich… hätte anklopfen sollen“,

stammelte ich beschwichtigend, aber Antwort bekam ich keine. Oder doch? Hörte ich da ein leises Stöhnen?

Der golden schimmernde Lichtstrahl sank tiefer. Irgendetwas stimmte nicht!

Ich lief in den Raum hinein, um die alte Couch herum und sah Rova vor mir, wie der drohte, langsam von der Sitzfläche zu rutschen. Geistesgegenwärtig machte ich einen Schritt auf ihn zu und versuchte ihn mit aller Kraft zurückzuschieben. Meine Güte war dieser Kerl schwer, aber ich schaffte es. Sein Duft stieg mir betörend in die Nase, als ob das gerade wichtig gewesen wäre.

Als ich glaubte, er säße wieder halbwegs stabil, sprach ich ihn an. Mein Ersthelferkurs war eine Weile her, aber im Prinzip wusste ich, was zu tun war.

„Was ist passiert? Rova?“

„Die Dosis, … sie war zu hoch“,

presste er angespannt aus seinen Lungen.

„Wovon?“,

fragte ich aufgeregt, doch er drohte schon wieder umzukippen, diesmal aber zur Seite. Vielleicht hätte ich ihn in die stabile Seitenlage bringen sollen, setzte mich aber schnell neben ihn, um ihn abzufangen.

Ich trug wieder dieses weiße Kleid, vielleicht weil ich unbewusst gehofft hatte, auf ihn zu treffen. Und das beim Putzen… mir war auch nicht mehr zu helfen und nun bekam ich die Quittung dafür, denn im Schwung war mein Rock an den Oberschenkeln nach oben gerutscht. Sein Nacken lag nun also auf meiner nackten Haut und das fühlte sich ziemlich intim an. Mit einer Hose wäre mir das nicht passiert…

„Du hast eine Überdosis wovon?“,

fragte ich erneut, doch Rova war nicht mehr ansprechbar, bei Bewusstsein aber schon. Das einzig Richtige wäre gewesen, ihn wieder abzulegen und sofort einen Krankenwagen zu rufen, doch er öffnete seine Augen und sah mich durch seine wirren Haarsträhnen hindurch an. Der einzige Lichtstrahl, den die dicken Vorhänge hineinließen, fiel erneut genau auf sein golden schimmerndes Haar. Das machte er doch mit Absicht, denn so sah ich nicht nur seinen Schmerz, sondern wurde von der Makellosigkeit seines Gesichts gefesselt. Fasziniert strich ich ihm eine Strähne aus den Augen, die ihn sicher störte und bemerkte dabei, dass mein Zeigefinger von einer Wunde rot eingefärbt war. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, wann und wo ich mich verletzt haben konnte, wenngleich es genügend Möglichkeiten in diesem renovierungsbedürftigen Haus gab.

War ich blöd? Ich musste etwas tun! Als ich mich ein kleines Stück aufrechter setzte, damit ich aufstehen konnte, packte Rova mein Handgelenk. Dann führte er meinen blutenden Zeigefinger bis zu seinem Mund.

Mein Herz setzte einen Schlag aus, als sich seine warmen, weichen Lippen um meinen Finger schlossen. Wollte er verhindern, dass ich sein teures Hemd beschmutzte? Hatte er denn keine anderen Sorgen, als auf sein gutes Aussehen zu achten?

„Rova, ich muss aufstehen, einen Notarzt rufen“,

versuchte ich ihm mit sanfter Stimme klarzumachen. Er deutete ein Kopfschütteln an, während er mich die ganze Zeit über anstarrte. Seine stechenden goldenen Augen funkelten mich an wie Sterne in der Nacht. Wie versteinert blieb ich regungslos sitzen und erwiderte seinen Blick. Für mein Herz war das eine Zerreißprobe und das, während ich mich kaum traute, zu atmen.

Es dauerte ein paar Minuten, die sich endlos anfühlten, bis er mir meine Hand wieder überließ und endlich seine Augen schloss. Damit auch ich mich etwas von der Anspannung erholen konnte, seinen Zustand aber trotzdem unter Kontrolle behielt, legte ich meine Hand auf seiner Brust ab, natürlich mit dem blutenden Finger nach oben. So spürte ich nicht nur, wie sich seine Lungen mit Luft füllten und wieder leerten, sondern auch, wie sein Herz kraftvoll gegen seinen Brustkorb hämmerte.

Wobei hatte ich ihn hier nur gestört? Neben ihm sah ich etwas in der Düsternis stehen, das eine zugeklappte Box sein konnte. Gerade, als ich mich ein wenig in diese Richtung lehnte, nahm Rova wieder meine Hand, die er nun an seine Brust presse. Er hauchte dazu ein zärtliches:

„Bleib hier“,

was mich dazu bewog, wieder an die Lehne zu sinken und die Augen zu schließen. Meine Güte, was machte ich da nur? Unterlassene Hilfeleistung nannte man das. Irgendwann, schätzungsweise eine viertel Stunde später, die man mir auch als ganzen Tag hätte verkaufen können, nahm Rova einen tiefen Atemzug und erhob sich danach von meinem Schoß. Schnell schob ich meinen Rock zurecht, bevor er meine Oberschenkel sah. Ohne ein weiteres Wort zu mir, stand er auf und verschwand taumelnd aus dem düsteren Zimmer. Offenkundig sollte ich ihm nicht folgen.

Sofort flutete auch ich meine Lungen mit der leicht modrigen Luft. Erledigt sank ich in mich zusammen und beugte mich zu der kleinen Box, die ich kurz zuvor erspäht hatte. Nur sie würde mir das Geheimnis verraten können, wovon er sich diese zu hohe Dosis verpasst hatte. Verstohlen rutschte ich an die Metallbox heran, öffnete sie und nahm eines der drei kleinen Fläschchen heraus, die zusammen mit einigen Einwegspritzen darin lagen.

„Argentum Colloidale“ las ich. Das war Latein, ich also aufgeschmissen. Moment, „Argentum“ hatte ich schon einmal im Chemieunterricht gehört, aber es wollte mir einfach nichts Näheres dazu einfallen. Ein wenig überhastet stellte ich es zurück und dabei kippte ein altes, einmal zusammengefaltetes Foto ins Boxinnere, das sorgfältig an der Seite platziert worden war.

Im Gegensatz zur Ursache von Rovas Vergiftung, ging mich dieses Bild überhaupt nichts an und trotzdem konnte ich nicht widerstehen, einen Blick darauf zu werfen. Das schummrige Licht gab sich große Mühe, mir das so schwer wie möglich zu gestalten. Es war anstrengend, die Gesichter der Gruppe auf diesem vergilbten Schwarzweißbild zu erkennen. Der Knick verlief genau durch eine kleine Lücke zwischen dem wahrscheinlich blonden Ehepaar in der Mitte. Links und rechts von ihnen standen je ein weiteres Pärchen. Ihre schicke Kleidung aus der Jahrhundertwende deutete auf wohlhabende Leute hin. Alle sechs waren sie vor einem kleinen Treppenaufgang drapiert worden, der zu einer verzierten Holztür führte, die mir merkwürdig vertraut vorkam.

Warum würde Rova ein so altes Foto zu seinen Medikamenten legen?

Ich drehte es um. Auf der Rückseite des leicht fleckigen Papiers stand etwas, das von einem Kind mit Buntstift geschrieben worden sein musste. „Meine Elisabeth“ und ein Herz dahinter. Nun nahm ich mir jedes Gesicht einzelnen vor. Wer von ihnen war das wohl?

Plötzlich stockte mir der Atem. Das linke Paar… nein, das war unmöglich. Der junge Mann links sah aus wie eine etwas jüngere Version von Rova, aber noch viel verstörender fand ich die Frau neben ihm.

Trug sie… etwa mein Gesicht? Ihre Haare waren länger und ihr Ausdruck selbstbewusster als meiner, aber sonst...?

Mir platzte fast der Brustkorb vor Schreck, als Rova, in frischer Kleidung, den düsteren Raum betrat. Ohne jede Spur seines so typischen Lächelns, kam er schnurgerade auf mich zu.

„WAS hast du gesehen?“

„W-Was ist das für ein Zeug, das du dir da spritzt?“,

kam mir ausweichend über die Lippen. Er ignorierte auch diese Frage und kam stattdessen unvermittelt auf mich zu, um die Couch herum zum Medizinköfferchen. Sofort bemerkte er das offen darauf liegende Gruppenfoto, klappte das Köfferchen zu und verschloss es mit einer kleinen Metallkappe.

„Hast du dir dieses Foto genauer angesehen?“,

bohrte er unruhig nach, aber mit weicherer Stimme als zuvor. Immerhin stand er nun direkt vor mir.

„Dein Blick sagt mir, dass dir die beiden Personen links aufgefallen sind. Mitunter ist das ganz gut so, denn ich wusste nicht, wie ich es dir beibringen soll.“

Sichtlich erschöpft setzte er sich neben mich und versuchte mir diesen verstörenden Umstand zu erklären.

„Dieser Mann ist mein Großvater. Mir ist schon vor einiger Zeit aufgefallen, dass du seiner ersten Frau gleichkommst, nicht meine Großmutter, wohl aber seine große Liebe. Sie starb in jungen Jahren.“

„Elisabeth?“

Daraufhin nickte er, ließ ermattet den Kopf hängen, beugte sich nach vorn und legte seine Unterarme auf seinen Oberschenkeln ab. Ich kombinierte und plapperte unüberlegt los:

„Daher kommt dein Interesse an mir also?“

Eine bessere Frage, als diese Unterstellung, fiel mir nicht ein? Unter Stress funktionierte ich einfach nicht.

Dieser Mann glaubte doch etwa an das Übernatürliche!? An Wiedergeburt und dass wir füreinander bestimmt waren, oder so einen Quatsch? Da sträubten sich mir die Nackenhaare. Ich war nicht religiös, mochte weder Fantasy-Kram, noch Esoterik, was mich zu einer überzeugten Realistin machte. Und als solche wusste ich eines ganz genau: etwas wie Schicksal gab es nicht. Das war obendrein eine der wenigen nützlichen Weisheiten meines Vaters.

Wichtiger war es ohnehin, sich um Rovas Gesundheit zu kümmern, anstatt über dieses Bild zu diskutieren, deshalb sprang ich auf und reichte ihm die Hand.

„Es ist jetzt wichtiger, dich endlich zu einem Arzt zu bringen.“

„Ich habe eine medizinische Ausbildung und kann mich selbst medikamentieren, Lyz“,

antwortete er, ohne meine Hand zu ergreifen, wohl aber den Kopf zu heben. Ich machte mir viel zu große Vorwürfe, um mich so leicht abschütteln zu lassen.

„Dann begleitete ich dich nach Hause, wo immer das ist, okay?“

„Ich bin hier zuhause.“

Damit hatte ich nicht gerechnet und prompt platzte es aus mir heraus:

„In dieser Bruchbude?"

Ups, das war zu viel. Natürlich entschuldigte ich mich direkt bei ihm, auch weil ich dann streng genommen in sein Haus eingebrochen und in seine Privatsphäre eingedrungen war, doch es war zu spät. Alles war zu spät, denn ich hatte ihn sichtlich verletzt.

Ich machte einen Schritt in Richtung Tür, weil er mich offensichtlich nicht mehr um sich haben wollte. Schüchtern, mit einem abgehackten Winken verabschiedete ich mich.

„Ich hab für heute genug Mist gebaut. Ich… gehe jetzt besser.“

Auch er erhob die Hand zum Abschied, leider ohne mir etwas Tröstliches mitzugeben. Noch im Gehen drehte ich mich um und sah, wie er hinter mir wieder auf der Couch in sich zusammensank. Was hatte ich da nur angestellt? Tränen bildeten sich in meinen Augen, als ich kopflos nach draußen stürmte und natürlich meinen Putzeimer bei ihm vergaß.
 

Auf der Straße angekommen, wandte ich mich noch einmal zu der alten, wirklich heruntergekommenen Villa um. Kein Wunder, dass mir die Umgebung auf dem Foto so vertraut vorgekommen war. Es musste genau dort aufgenommen worden sein, wo ich gerade stand. Egal was an dieser verrückten Sache mit den gleich aussehenden Leuten dran war, schien dieses Haus schon lange in seinem Familienbesitz zu sein. Oder aber hatte er das Foto im Haus gefunden, was nicht weniger merkwürdig gewesen wäre.
 

Zu Hause angekommen machte ich mir zuerst ein Pflaster über die kleine Wunde an meinem Zeigefinger. Ich strich bedächtig darüber und bekam dabei mächtiges Herzklopfen. Dieser geheimnisvolle Kerl war nicht der Richtige für mich. An die Seite eines Frontmannes gehörte eine Frontfrau, nicht ein schüchternes Ding wie ich. Außerdem war er viel zu hübsch. Auf keinen Fall wollte ich wieder einen, den jede wollte, denn er würde sich jede nehmen. Nicht zu vergessen, dass er abergläubisch war. Bei diesem Mann ließ ich Sari nicht nur aus Freundschaft den Vortritt. Wenn ich eines in meinem Leben nicht gebrauchen konnte, dann einen Typen, der mir das Herz brach.

Ich versuchte mich abzulenken und sah nach, ob ich Reaktionen auf meine Antworten in den Hilfeforen erhalten hatte. Ich fand tatsächlich drei, die ich… nicht las. Wie von selbst gab ich stattdessen das Suchwort „Argentum Colloidale“ ein. Auch kolloidales Silber genannt, diente es, laut Wikipedia, vor etwa einem Jahrhundert der Infektionsbekämpfung, als man noch keine wirksameren Mittel kannte. In der Schulmedizin setzte man es also nicht mehr ein, aber Rova meinte, er könne sich selbst medikamentieren. Wahrscheinlich litt er einer Krankheit, die er versuchte, mit alternativen Mitteln zu bekämpfen.

Aber er sagte auch etwas von einer zu hohen Dosis. Wie sollte das bei einer Spritze überhaupt funktionieren? Er musste doch die genauen Milliliter in den Zylinder gesogen haben, nicht mehr und nicht weniger. Warum log er mich an? Hielt er mich für einfältig?
 

Ich versuchte Rova aus meinen Gedanken zu verdrängen, womit ich nur wenig Erfolg hatte. In der Realität klappe es dagegen prima, denn er verschwand wochenlang weitestgehend von der Bildfläche. Ich fand es gut so, denn ich hatte keine Ahnung, worüber ich mit ihm sprechen sollte, ohne dass es peinlich werden würde.

Ich will nicht, dass du gehst

Mein Studium rückte näher und das bedeutete, ich würde endlich aus meinem Elternhaus herauskommen und ins Studentenwohnheim umziehen können, das ab Oktober gemietet war. „Soziale Arbeit“ hieß der Studiengang, in den ich mich eingeschrieben hatte. Den NC von 1,7 erreichte ich gerade so. Die 2 in der Deutschprüfung hatte mich fast noch rausgekickt, was fatal gewesen wäre, da ich keine andere Idee für meine Zukunft hatte.

Für das Ehrenamt zwei- bis dreimal die Woche mit dem Zug anzureisen, hielt ich für keine gute Idee. Es hieß also, dass ich vom SOLV und seinen Mitarbeitern Abschied nehmen musste. Eigentlich sollte das keine große Sache sein, dachte ich und sofort verkrampfte sich mein Magen. Er war da offenbar ganz anderer Meinung.

Meinen Austritt aus dem Verein musste ich meinen Kollegen nämlich noch beibringen. Ich hätte das gleich zu Beginn tun sollen, denn später gab es keine Gelegenheit mehr... Nicht einmal Sari wusste Bescheid, aber mit ihr würde ich mich regelmäßig treffen, so sehr wie sie mir ans Herz gewachsen war.

Der einzige, den ich informiert hatte, war der Geschäftsführer August Lucard, dem ich meinen Austrittsantrag per E-Mail zukommen ließ. Er trug interessanterweise den selben Nachnamen wie Rova, was mir vorher noch gar nicht aufgefallen war, ein Familienunternehmen also. Er schien eine andere Niederlassung zu bevorzugen, denn ich hatte ihn noch nie gesehen, was mich nicht wunderte, wenn ich an die halb verfallene Villa dachte.

Im Wochenmeeting hatte ich mir von Angeline, einer lieben Mitarbeiterin, einen eigenen Tagesordnungspunkt zuteilen lassen und das sollte schon verräterisch genug sein, um zu erraten, dass ich aufhören wollte. Was hätte ich diesen ganzen Leuten wohl sonst mitteilen wollen? Diesmal waren zwölf Mitglieder anwesend, nicht besonders viel, aber genug, um mir Angst zu machen. Vor vielen Menschen zu sprechen, lag mir einfach nicht. Ihre beurteilenden Blicke auf mir zu spüren war schrecklich!
 

Wie zu jedem Meeting saßen wir alle zusammen an der langen Tafel im größten Raum der Villa. Ich hatte es seit jenem Erlebnis unterlassen, hier etwas verbessern zu wollen. Es war Rovas Haus und er musste selbst wissen, in welchem Zustand er es haben wollte, auch wenn er von meiner Seite nicht gerade auf Verständnis damit stieß. Your home is your castle. Das sollte man in Ordnung halten.

Wie sie es oft zwischendurch tat, scherzte Sari mit zwei jungen Männern herum, von denen sie ab und zu erzählt hatte. Alexander, der mit seinem Metallica T-Shirt und seinen schwarz gefärbten, langen Haaren wahrscheinlich ein Metal-Fan war, hatte immer ein freches Grinsen auf dem Gesicht, außer er sah mich an, dann verlor er es. Bei Peter, einem dunkelblonden Kerl, der immerzu sportlich gekleidet war, fiel die Reaktion noch heftiger aus. Er war immer bedacht, Abstand zu mir zu halten, hatte mir nicht ein einziges Mal „Hallo“ oder „Tschüss“ gesagt. Zu ihr waren sie so nett, laut ihren Storys sogar beide verschossen in sie, aber mich konnten sie nicht leiden. Vielleicht weil ich ihnen ihre süße Sari streitig machte.

„Lass sie uns in Zukunft gemeinsam trinken“,

forderte Peter an Sari gerichtet, die sich Alexanders Arm griff und prompt im Singsang antwortete:

„Hihi, das wird dir auch nicht helfen. Damit hat es nämlich überhaupt nichts zu tun.“

Waren sie und Alexander nun ein Paar? So wirklich klar war mir das nicht, schon weil sie es auf direkte Nachfrage hin abstritt. Auch wenn sie mir von ihren Neckereien berichtete, hielt sie sich über ihr Liebesleben bedeckt. Aber ich erzählte ihr ja auch nicht, was für ein Feuerwerk in mir startete, wenn Rova den Raum betrat. Vielleicht war unser gegenseitiges Vertrauen doch nicht so groß, wie ich zuvor so euphorisch gedacht hatte.
 

Die Eröffnung der Sitzung durch Rova hatte den typischen Effekt disziplinierter Stille im Raum, während ich wieder dieses Kribbeln bekam. Wahrscheinlich sah ich meinen Chef zum letzten Mal. Ein bisschen Reue spielte da schon mit hinein.

Als er an meinem Tagesordnungspunkt angelangte, lächelte er mir entspannt zu und fragte interessiert, was denn mein Anliegen sei. Es fiel mir unglaublich schwer, es auszusprechen, aber nun konnte ich nicht mehr davonlaufen. Ich berichtete von meinen Zukunftsplänen außerhalb des Vereins und von meiner Idee, stattdessen dem Cosmopolitan Club der Hochschule dabei zu unterstützen, ausländischen Studenten beim Einstieg zu helfen. Mein Chef saß an der anderen Seite der Tafel und damit am weitesten von mir entfernt, doch trotzdem sah ich deutlich, wie er den Glanz in seinen Augen verlor und sein Lächeln versiegte. Vielleicht, um mich besser erkennen zu können, lehnte er sich nach vorn auf seine Ellenbogen über den Tisch.

„WAS?! Du willst weiterziehen und mich hier zurücklassen, Lyz? Was glaubst du, wieso…? Was hab ich getan?“

Bezog er das etwa auf sich? Was für ein Quatsch!

Die meisten anderen an der Tafel überraschte mein Austritt nicht, aber er schüttelte nur verständnislos den Kopf. Es war ihm gelungen, die von mir verdrängen Schuldgefühle anwachsen zu lassen.

"A-aber Rova, das hat doch nichts mit dem Verein zu tun und auch… auch mit dir nicht."

Seinen Blick von mir abwendend, lehnte er sich nun nach hinten an die kunstvoll verzierte Stuhllehne, verschränkte seine Arme und murrte:

„Kann ein anderer die letzten zwei Tagesordnungspunkte für mich durchgehen? Mir ist die Lust daran vergangen.“
 

Angeline, die freundlicherweise schon seit einigen Minuten das Protokoll ausgesetzt hatte, übernahm die Leitung des Meetings, zog das Blatt, das vor Rova lag, zu sich und versuchte den Rest zu moderieren. Er beteiligte sich nicht mehr am Gespräch, platzte jedoch schon nach kurzer Zeit mit einer verstimmten Anklage dazwischen:

„Habt ihr das alle gewusst, oder warum bleibt ihr so gefasst? Warum sagt mir das keiner? Ich bin euer Chef und erfahre es als Letzter!?“

Nun zog er auch noch die anderen mit hinein. Mann, ich konnte es doch nur deshalb nicht früher ansprechen, gerade WEIL es mir beim SOLV gefiel. Wie sollte ich ihm das vor den anderen erklären, ohne respektlos zu wirken? Das war eher etwas für ein Vieraugen-Gespräch. Sari sprang für mich in die Bresche und machte damit alles nur noch schlimmer.

„Ich hab es auch nicht gewusst. Lyzzy hat es nicht nur dir verschwiegen, Rova“,

Ja klasse, sie war genauso sauer auf mich. Nicht ganz unverdient, eher sehr verdient sogar, denn egal, wie sehr ich mich bemühte ein guter Mensch zu sein, kam nie etwas Gutes dabei heraus, wenn ich mich jemandem annäherte. Ich hoffte einfach nur noch, dass das Meeting schnell zu Ende ging, damit ich mich verkriechen konnte.

Mein Chef war der Erste, der wutentbrannt aus dem Raum stürmte, ohne mich noch einmal anzusehen, oder sich von mir zu verabschieden. Er war überhaupt der Einzige, der so eine große Sache daraus machte, denn alle anderen verabschiedeten sich nach und nach höflich von mir. Sogar Sari hatte sich schnell wieder gefangen, als ich ihr gestand, dass ich sie am liebsten jedes Wochenende sehen wollte. Von einigen anderen bekam ich ein paar Wortfetzen mit. Offenbar war nicht ich das Gesprächsthema, sondern Rova.

„…ich verstehe nicht, was das Theater soll“

und

„…er erzählt uns doch nichts.“
 

Ich besprach mich noch eine ganze Weile mit Sari, bis sie sich verabschiedete. Als kaum mehr jemand von den anderen anwesend war, ging ich im Haus auf die Suche nach Rova. Egal wie groß meine Scheu vor ihm auch gewesen sein mochte, auf diese Weise durfte ich es nicht enden lassen. Besonders erwachsen fand ich sein Verhalten nicht, vor allem nicht für einen Chef. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Mein Austritt musste ihn hart getroffen haben.

Da es Abend und inzwischen dunkel geworden war, tauchte das schwache Licht der edel verzierten, aber leider sehr staubigen Wandleuchter die alten holzvertäfelten Gänge in eine düstere Atmosphäre. Bis nach Sonnenuntergang hatte ich mich zuvor noch nie in diesem Haus aufgehalten und ich wusste nun auch, warum. Es war total gruselig. Beunruhigt zwang ich mich Meter für Meter näher an das Zimmer heran, in dem sich Rova beim letzten Mal aufgehalten hatte, jener Raum mit den schweren Vorhängen und der alten Couch.
 

Er hatte die Tür einladend für mich offenstehen gelassen. Wie erwartet saß er mit dem Rücken zu mir auf der verschlissenen Couch allein im Zimmer. Wieder zeichneten sich nur seine Umrisse ab, aber er war es eindeutig. Die schweren Vorhänge waren diesmal vollständig aufgezogen und offenbarten einen wunderschönen Blick hinaus auf den dunklen Nachthimmel. Rova bemerkte mein Eintreten, da mich das knarzende Parkett verriet. Kurz hinter der Tür blieb ich stehen, als er kühl fragte:

„Nun, wo niemand mehr mithört, kannst du ehrlich sein! Es liegt an mir, dass du gehen willst. Ich habe dich erschreckt. Hättest du das Foto doch nie zu Gesicht bekommen!“

Er seufzte gequält, drehte sich auf der Couch zu mir um und legte seinen Arm dabei auf der Lehne ab.

„Warum hast du mir deine Pläne nicht mitgeteilt? Es hätte so viele andere Möglichkeiten für dich gegeben, als aufzuhören. Du hättest SOLV Botschafterin an deiner Hochschule werden können und Spendenevents für uns organisieren. Hätte dir das nicht gefallen?"

Seine Worte trafen mich mitten ins Herz. Nichts, was ich sagen konnte, würde das alles wieder gut machen können, aber irgendetwas musste ich doch entgegnen.

„So habe ich das bisher noch gar nicht betrachtet.“
 

Seine düstere Gestalt erhob sich und kam auf mich zu. Sie hatte etwas Unheilvolles an sich, das mich nicht unbedingt aufbaute.

„Weil dir die Weitsicht fehlt. Du bist eben noch sehr jung... oder hast du Geheimnisse vor mir? Ich muss wissen, ob es etwas mit mir zu tun hat!“

Wieder benutzte er diesen anklagenden Ton. Was sollte das? Ich war ihm doch nichts schuldig und nun nahm er mich so in die Mangel. Am liebsten wollte ich schnell wieder verschwinden, aber ich war wie festgefroren in meiner Position. Dass ich nicht von der Stelle kam, stresste mich zusätzlich. Die Situation entglitt mir allmählich.

„Hör bitte auf, mich anzuklagen, Rova! Ich hab vorhin schon gesagt, dass du nichts damit zu tun hast. Die Welt dreht sich doch nicht nur um dich!“

Uuups, was war mir da im Eifer des Gefechts herausgerutscht? Erschrocken hielt ich mir die Hand vor den Mund. So wie ich meinen Chef angefahren hatte, erwartete ich nun einen achtkantigen Rauswurf von ihm, wohlverdient. Komischerweise schien das Gegenteil der Fall zu sein, denn er wurde ganz ruhig und kam auch den letzten Meter zu mir heran, näher als mir andere Menschen normalerweise kamen. Meine Beine bewegten sich nur leider keinen Schritt rückwärts. Sanft hauchte er mir ins Ohr, was mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte.

„Weißt du, Lyz, es soll auch nicht die ganze Welt sein, die sich um mich dreht. Deine reicht mir.“

Ich presste meine Hände an meine Brust und war nun endlich in der Lage, zurückweichen zu können. Innerlich war ich vollkommen zerrissen. Rova machte mich unruhig, misstrauisch sogar und doch fühlte ich diese intime Verbundenheit zu ihm.

„Was genau willst du eigentlich von mir?“

Es mochte düster sein, doch ich sah durch sein erfreutes Lächeln seine weißen Zähne vor mir aufblitzen.

„Ich erkläre es dir, Liebes. Du warst nicht leicht zu finden und doch gab ich mich damit zufrieden, einfach nur dein Vorgesetzter sein zu können. Wenn ich das jetzt nicht mehr sein darf, dann frage ich dich, wer oder was ich dann für dich sein soll?“

Blut schoss mir in den Kopf, das spürte ich deutlich. Wie bitte? Er hatte mich gesucht? Beim letzten Mal hatte sich das noch ganz anders angehört. Zudem verstand ich seine Frage zwar inhaltlich, aber nicht den Sinn dahinter. Völlig überfordert stammelte ich das eigentlich Falsche.

„Was schwebt dir denn vor?“

„Nein, Liebes. Was schwebt dir vor? Ich kann alles für dich sein, nur eben nicht nichts, verstehst du?“

Nein? Ich schluckte, doch eigentlich war mein Mund vollkommen ausgetrocknet. Was genau versuchte er mir damit zu sagen? War er irgendwie auf mich fixiert, weil ich dieser Frau auf dem Foto ähnelte? Oder war das eine Masche? Er war der Chef dieses Ladens und sah super aus. Wieso konnte er mich nicht einfach zum Essen einladen, wenn er an mir interessiert war? Meine Güte, war ich mit der Situation überfordert.

Ein Opfer aus Liebe

Rova ging geschmeidig an mir vorbei zur Tür und schloss sie hinter mir. Sein suspektes Verhalten trieb meinen Puls auf 180. Ich hatte es nicht geschafft, ihn davon abzuhalten und wich in den Raum hinein vor ihm zurück. Wahrscheinlich tat ich genau das, was er wollte, denn so trieb er mich in seine Falle, wie eine jagende Katze.

„Also, wie geht es mit uns beiden weiter?“,

fragte er und lächelte mir sanft durch die Düsternis entgegen. Das Licht des Nachthimmels schien nur ihm zu gelten, nur ihn zu beleuchten, so deutlich, wie ich ihn inzwischen erkennen konnte.

"Rova, eigentlich…"

Mehr brachte ich nicht heraus, während ich weiterhin vorsichtig rückwärtsging, um so viel Abstand zu meinem Chef zu gewinnen, wie nur möglich.

"Du weißt gar nicht, was es mir bedeutet, dass du dieses Kleid so oft trägst.“

Das war mir gerade sowas von egal. Viel lieber wollte ich wissen, was in ihm vorging. Was stimmte mit ihm nicht? So angriffslustig war Rova doch noch nie, eher wie ein wilder Tiger, als eine zahme Katze, fand ich inzwischen. Was für ein verrückter Vergleich, aber es war nicht zu leugnen, dass sich die Angst weiter in mir vorarbeitete. Wenn ich nicht schnell etwas tat, dann drohte ich erneut in eine Schockstarre zu verfallen und wer wusste schon, ob er sich dann wieder nur damit zufriedengab, mir ins Ohr zu flüstern. Damit dies nicht passierte, blieb ich in Bewegung und lief um die Couch herum, die als eine Art Schutzwall zwischen mir und ihm dienen sollte.

Rova schritt langsam auf mich zu und kippte dabei seinen Kopf leicht zur Seite.

„Lyz, wenn es jemanden gibt, der nichts vor mir zu befürchten hat, dann du. Also setz dich und wir unterhalten uns ein wenig miteinander.“

Mir fiel der dunkelblaue, kleine Metallkoffer auf der Sitzfläche ins Auge. Vielleicht war das eine Chance auf Verteidigung für mich, wenn auch nur eine ganz kleine. Meine Güte, wie hatte mich dieser Kerl nur so schnell zu einem derartigen Gedanken verleitet?

„R-Rova. Ich möchte … nach Hause gehen.“

Na also. Der kleine Hoffnungsschimmer gab mir genügend Mut, meine Wünsche wieder frei auszusprechen. Ich durfte nicht die Nerven verlieren, das war schon der ganze Trick.

„Kommt nicht in Frage! Lyz, wenn du jetzt gehst, stehe ich ohne eine Lösung da. Wir klären das jetzt und hier! Fünf Minuten maximal und ich lasse dich gehen.“

„D-das ist Freiheitsberaubung...“

Ich wurde schon wieder leiser. So ein Mist! Er fasste sich an die Stirn, weil er wohl auch nicht mehr weiterwusste.

„Nein, ich zwinge dich doch zu nichts. Warum willst du mich nicht verstehen?“

Er war es, der es nicht verstand. Ich würde mich von ihm zu gar nichts drängen lassen, aber an ihm vorbeizukommen, war ohne Druckmittel vollkommen unmöglich. Ich, für meinen Teil, fühlte mich ziemlich bedroht. Warum sollte ich das nicht mit gleicher Münze zurückzahlen?

Eilig stürzte ich zu seinem Medizinkoffer, öffnete ihn und nahm eine der Spritzen heraus. Rova unterbrach mich nicht, während ich sie hastig randvoll mit dem Kolloidalen Silber füllte. Zwar sah er es hinter der Lehne nicht, konnte sich aber sicher denken, was ich tat. Er belächelte mein Vorhaben sogar.

„Liebes, leg das wieder weg! Das ist ein Heilmittel, wie du sicher weißt.“

„Das glaube ich dir nicht! Du- du hattest den Anfall doch nach der Injektion! Das habe ich genau gesehen!“

„Was für ein Unsinn. Ich habe dir doch schon erklärt, dass es an der Überdosierung lag“,

versuchte er meine Aussage zu entkräften.

„Und was ist das dann?"

Wieder lächelte er, nun nur noch etwas breiter und kam weiter auf mich zu. Wieso ließ er sich davon nicht beeindrucken? Glaubte er, dass ich bluffte? Ja, natürlich wollte ich diese doofe Spritze gar nicht benutzen, sondern nur damit drohen, doch nun zwang er mich, ihren Einsatz tatsächlich in Erwägung zu ziehen. Dieser starrköpfige Esel!

Er seufzte.

„Mach es uns beiden doch nicht so schwer! Antworte mir einfach auf meine Frage, wie wir ab sofort zueinander stehen und alles ist gut. So und jetzt sag mir, was du dir wünschst. Soll ich mit dir studieren, dein Kommilitone werden vielleicht, oder eher dein Dozent, schließlich bin ich älter als du? Oder soll ich Eis verkaufen und du besuchst mich hin und wieder? Das würde mir völlig ausreichen. Ich möchte es genauso haben, wie es dir gefällt, denn mir liegt dein Wohl sehr am Herzen. Also, nun setz dich und wir klären das schnell!“

"Du bist doch verrückt!",

rief ich inzwischen vor Angst deutlich zitternd, da er schon um die Couch herumkam, hinter der ich vergeblich Schutz suchte. Was sollte ich tun? Diese Spritze benutzen? War ich dazu überhaupt in der Lage? Nein, nein, nein, Rova!

„Verrückt? Aber Lyz, wenn du mich beleidigst, statt mir zu antworten, lehne ich deinen Antrag zum Austritt aus dem Verein ab. Ich will doch nichts weiter als mich mit dir zu einigen“,

drohte er mir stirnrunzelnd in einem Ton, als wäre er der Vernünftige von uns beiden. Warum versuchte er mich zu einer Antwort zu zwingen? Er musste doch spüren, dass dies der falsche Weg war, um mich für sich zu gewinnen.

Es ging wohl nicht anders. Widerwillig hielt ich die Spritze schützend vor mich, was ihn noch immer kein bisschen anhob. Eindeutig war er der Überzeugung, ich würde sie jeden Moment fallen lassen und ehrlich gesagt, glaube ich das auch. Ich wich so weit zurück, wie ich konnte, bis an das große Fenster, in das die helle Mondsichel hineinschien. Ein Kopfschütteln andeutend, sprach er mit ruhiger Stimme weiter:

„Dein Verhalten überrascht mich, Lyz. Kannst du mich denn überhaupt nicht verstehen? Ich verspreche, dir nichts zu tun, das du nicht möchtest. Jetzt sei doch nicht so misstrauisch und leg die Spritze weg!“

Inzwischen war er so nah, dass mich seine ausgestreckten Hände an den Schultern berührten. Das löste einen Schock aus, der mich wie ein Blitz durchlief und eine unbeabsichtigte Gegenreaktion forcierte. Mit ganzer Kraft rammte ich ihm die Nadel geradewegs in den Körper hinein. Sie durchstieß problemlos das schicke elfenbeinfarbene Hemd, das er an diesem Tag trug und versank vollständig in seiner Brust. Sofort drückte ich auch den Kolben soweit nach unten, wie nur irgend möglich und blickte ihm dabei direkt ins geschockte Gesicht. Damit hatte wohl keiner von uns beiden gerechnet.

Fassungslos schaute er erst zu mir zurück und dann auf die Spritze hinab, die ich gerade wieder losließ. Unmittelbar zog Rova sie wieder heraus, bevor er taumelnd zurückwich.

„Ins Herz, du kleine… Sadistin“,

presste er mit dünner Stimme aus seinen Lungen und ging danach unerwartet plötzlich zu Boden.
 

Zitternd und mit weichen Knien stolperte ich an ihm vorbei auf die Couch zu, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde. Es war meine Freundin Sari, die laut schimpfend hereinstürmte.

„Rova, was sollte das denn? Wieso bist du…-“

Sie unterbrach ihre Anklage, als sie zuerst mich und dann entsetzt den am Boden hockenden Rova fixierte.

„Was hast du mit ihm gemacht?!“,

schrie sie hysterisch in meine Richtung. Mein Atem rasselte so schnell, dass ich fast hyperventilierte. Rova hatte mich bedroht! Ich konnte nichts dafür. Aber wie sah das für sie aus? Bedrohte sie mich nun auch? Sie liebte ihn doch, kannte ihn schon ihr ganzes Leben lang und mich erst seit ein paar Wochen. Selbstverständlich würde sie auf seiner Seite stehen, nicht auf meiner und mich dafür verantwortlich machen. Bestimmt würde sie mich auch angreifen!

In einer weiteren Kurzschlussreaktion rettete ich mich ein zweites Mal zum Medizinkoffer auf der Couch und füllte zitternd eine Spritze mit dem Silbergemisch, meiner einzigen Waffe. Wie schon für Rova, war auch für Sari die Sitzfläche nicht zu sehen, da sie von der Lehne verdeckt wurde, aber sie wusste nicht, dass sein Köfferchen dort stand. Ich versteckte die Spritze in meiner Handfläche so gut ich konnte und trat, auf der von Rova weiter entfernten Seite, vor die Couch. Hätte Sari gewollt, hätte sie ihm auf direktem Weg zu Hilfe eilen können, doch sie ging auf mich los.

„Spinnst du? Du kannst jetzt nicht abhauen, wenn es Rova so schlecht geht. Hilf ihm gefälligst!“,

brüllte sie mich langsam panisch werdend an. Ihm helfen? Wie denn? Ich verstand kein Wort, sondern wollte doch einfach nur noch raus aus der Villa. Wieso durfte ich das nicht? Was war nur auf einmal los? Warum war alles plötzlich ein Zwang? Wo war ich hier hineingeraten? Meine Freundin packte mich unsanft am Arm und zerrte mich kraftvoll in Rovas Richtung, während sie weiter schrie:

„Es ist mir egal, ob du das warst oder nicht, du musst ihm jetzt helfen!“
 

„Lass mich los!“,

brüllte ich völlig verängstigt, doch das war ihr egal. Immer weiter zerrte sie mich mit einer enormen Kraft, gegen die ich machtlos war, weiter zu ihm hin. Auch aus meiner Angst wurde Panik.

„Sari!“,

schrie ich noch einmal ohne Erfolg. Ich hatte keine Zeit, noch über mögliche Folgen nachzudenken und versenkte die Nadel im Affekt in ihren Arm. Ich hoffe, das würde reichen, doch dieses starke Mädchen zog trotzdem noch wie von Sinnen an mir herum. Sie zwang mich förmlich, den Kolben nach unten zu drücken, auch wenn ich es nur sehr zaghaft tat und nicht mit Inbrunst, so wie bei Rova. Diesmal kam die Reaktion sofort, denn es fror ihre Bewegung ein. Noch während mein Finger Druck auf den Kolben gab, spürte ich tief in mir, dass ich einen fatalen Fehler begangen hatte.

Es war ein verwirrter Blick, den Sari mir entgegenbrachte, als verstehe sie das alles nicht.

„Au, w-was ist das…?“,

fragte sie gebrochen, während ihr eine Träne die Wange herunter rann, die sich schon vorher gesammelt haben musste.

Fassungslos beobachtete ich, was geschah. Ich hatte nicht einmal ein Viertel der Silbertinktur in ihren Arm gespritzt und doch war Saris Körperreaktion vernichtend. Die Spritze in meiner Hand verlor den Widerstand, ganz so als würde ihr Arm nachgeben. Danach sackte meine Freundin in sich zusammen, sah mit aufgerissenen Augen zu mir und hauchte:

"Was hast du… getan, ... Lyzzy?"

Danach senkte sie ihren Kopf wieder. Von ihrem Arm ausgehend, fraß sich das Gift durch ihren Leib. Saris Haut nahm eine fahle Farbe an, bis ihr Arm spröde wurde und langsam zu zerbröseln begann. Das musste eigentlich unmöglich sein und doch breitete sich dieses Phänomen immer weiter aus. Ich sah wie versteinert zu Sari herab. Der Schock verhinderte jede Regung meinerseits. Nicht einmal umarmen konnte ich meine strebende Freundin, die stetig weiter zu einer weißen Masse zerfiel. Sie so zu sehen, war schrecklich! Warum tat niemand etwas!?

Ihr zierlicher Körper, ihre hübschen, blonden Locken, alles löste sich nach und nach auf. Ich glaubte nicht, was ich da sah und war damit nicht die einzige. Alexander und Peter, die beiden jungen Männer, mit denen sie sich so gut verstand, stürmten ebenfalls in den Raum hinein.
 

Sie mussten gerade noch gesehen haben, wie Saris Körperform zu einem undefinierbaren Masseberg verkümmerte und langsam immer weiter zu Staub zerbröselte. Alexander schaltete den elektrischen Kronleuchter an der Decke ein, der mich blendete, obwohl er nicht besonders hell war, während Peter ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche zog, mit dem er gezielt auf mich zu schritt. Er holte aus und schrie mir die ersten Worte entgegen, die er je an mich gerichtet hatte.

"Was hast du ihr angetan, du dummes Gör?"

Den Schmerz erwartend, schloss ich die Augen, doch er blieb aus. Vorsichtig blinzelte ich und erkannte Rova vor mir, der sich trotz seiner schweren Vergiftung, vor mich geworfen hatte. Den Stich hatte er mit seinem Arm abgefangen, der nun blutete. Perplex fing Peter seinen Chef auf, der langsam nach vorn kippte und setzte ihn danach vorsichtig auf dem Boden ab. Sein Blick war nicht weniger hasserfüllt als zuvor, als er mir entgegen schrie:

„Das ist deine Schuld, dummes Gör!“

War es das? Was hätte ich sonst tun sollen? Nach seiner Anklage drehte sich Peter zu Alexander um, der sich zu Saris Überresten begeben hatte, glasige Augen bekam und überfordert stammelte:

„Scheiße… Pete, was machen wir, wenn der Prinz auch noch draufgeht? Das ist Silber, ist dir das überhaupt klar?“
 

Peters Gesicht verzog sich, als er die Szene betrachtete. Ich glaubte, er hätte, ebenso wie Alex, auf der Stelle zu Weinen beginnen können, doch er drückte seine Trauer nur in Aggression aus.

„Na und? So schnell kratzt einer wie der nicht ab. Soll die Schlampe es richten, die ihn abgestochen hat!"

Meine weichen Knie waren nach all dem nicht mehr fähig, mich zu tragen. Ich sackte in mich zusammen, gerade in dem Moment, als Peter mir das Messer zuwarf, an dem noch Rovas Blut klebte. In meinem Kopf war nicht mehr viel los. Alles verschwamm hinter einem Schleier, Geräusche wurden Dumpf, als seien sie ganz weit entfernt. Ich verstand einfach nicht, was ich tun sollte und stammelte nur verwirrt irgendetwas. Da dies für Alexander anscheinend alles zu lange dauerte, erhob er sich von Sari. Ich sah, wie sich dieser schwarz gekleidete Kerl wie ein Henker auf mich zu bewegte. Das war mein Ende, das letzte, was ich zu sehen bekommen würde… das dachte ich…

Stattdessen nahm er das Messer vom Boden auf, griff sich meinen Arm, stach mir aber nicht in den Körper, oder etwas in der Art, sondern ritzte mir nur eine flache Wunde hinein. Von einem Schmerz war nichts zu spüren, gar nichts. Wahrscheinlich das Adrenalin.

„Peter hat recht. Meine Fresse, jetzt hab dich nicht so!“,

fauchte er mich an. Dann zog er mich unsanft nach vorn, bis die blutende Schnittwunde direkt über Rovas Mund war.

Nur ein paar Tropfen genügten, um den inzwischen leblos erscheinenden Mann, den, wenn auch schweren und unregelmäßigen, Atem zurückzugeben.

Alex stöhnte erleichtert und flüsterte in sich hinein:

„Na bitte. Krass, was der inzwischen aushält.“

Er verdeckte seinen Mund mit einer Hand, drehte seinen gesenkten Kopf zu dem Staubhäufchen, das einmal Sari gewesen sein sollte, sog einmal schwer Luft ein und hauchte dann leise mit sanfter Stimme:

„Sari… wenn es bei dir doch auch so einfach wäre, … mein kleiner Wirbelwind...“

Seine Augen sah ich nicht mehr, da sie von seinen langen, pechschwarzen Haaren verdeckt wurden, doch an seiner geröteten Wange lief schon wieder eine Träne herab. Peters Blick war hingegen im tiefen Hass auf mich versteinert.

„Dafür wirst du bezahlen, du Miststück! Ich mach dich-…“,

brüllte er, bis sein Satz durch Rovas angestrengte, dünne Stimme unterbrochen wurde.

„Du legst keinen Finger an sie, ist das klar? Geht jetzt, alle beide!“

Die beiden jungen Männer gingen, einer weinend, einer fluchend, zur Tür, hielten dort aber misstrauisch Wache. Mich wollten sie wohl nicht nochmal mit ihrem Chef allein lassen. Ich sah zu Sari hinüber und die Tränen überkamen auch mich. Auf allen Vieren hockte ich am Boden, während mich der Heulkrampf übermannte. Das war ein Albtraum! Ich wollte nicht glauben, was ich getan hatte! Das konnte nicht die Wirklichkeit sein! Wieso wachte ich nicht auf?

„Ich wollte… das nicht! Sari ist meine Freundin. Ich wollte das nicht!“,

beteuerte ich gebrochen.

„Das weiß ich doch. Sieh nicht mehr hin!“,

hauchte mir der auf der Seite liegende Rova zärtlich zu, obwohl er schreckliche Schmerzen haben musste. Hasste er mich gar nicht dafür? Wieso nicht? Ich war doch hassenswert! Meine Mutter hatte recht. Ich war ein wertloses Stück Dreck! Ich brachte allen nur Unglück!

„Komm zu mir, Liebes“,

hörte ich von Rova und krabbelte an ihn heran. Völlig in Tränen aufgelöst, setzte mich direkt neben ihn, legte seinen Kopf wie beim letzten Mal auf meinem Schoß ab und strich ihm zittrig die nass geschwitzten, goldenen Haare aus dem Gesicht. Er hob sogar ganz kurz seine Mundwinkel zu einem flüchtigen Lächeln, im Anbetracht der Umstände, kaum zu glauben.

„Elisabeth, meine Rose“,

hauchte er wie in Trance, die wohl daran schuld war. Ich glaubte nicht, dass er wirklich schon verstanden hatte, was da eben passiert war, was mit Sari passiert war…

Diesem obsessiven Mann war ich so wichtig, dass er sich trotz dieser schweren Vergiftung noch für mich ins Messer geworfen hatte. Wie konnte ich nur so dumm sein, ihn abzulehnen? Warum hatte ich nicht einfach mit ihm über seine Pläne mit mir gesprochen? Dann wäre nichts davon passiert. Nun… war ich die Mörderin meiner Freundin… Was sollte mir dieses Leben je wieder zu bieten haben? …

Eine schwere Bürde

Ich schnappte vergeblich nach Luft, im Versuch meine Tränen unter Kontrolle zu bringen. Immer wieder wischte ich sie mit meinen Händen weg, doch es wurden einfach nicht weniger. Ich musste ein schreckliches Bild abgegeben haben. Rova blieb jedoch stumm auf meinen Beinen liegen, während er mir beim Weinen zusah. Auch sein Gesichtsausdruck hatte gequälte Züge, doch er vergoss keine Träne. Er hatte sich auch nicht mit der Schuld eines Verbrechens herumzuschlagen. Nein, dieser Schmerz stand allein mir zu, mir, der Freundesmörderin. Nur wenige falsche Entscheidungen und mein Leben war vorbei. Es ging alles so furchtbar schnell. Noch immer zitterte ich vor Angst und Verzweiflung, denn niemand, und da war ich mir ganz sicher, niemand würde mir je wieder vertrauen können.

Ohne Zweifel hasste mich nun der gesamte Verein, dazu Saris Familie und alle, die sie kannten. Wäre Rova nicht gewesen, hätte mir Peter mit seiner Kurzschlussreaktion wahrscheinlich ein verdientes, schnelles Ende bereitet. Ich sollte Rova für seinen Einsatz dankbar sein, doch ich war es nicht.

„Warum hast du mich nicht einfach sterben lassen…?“,

japste ich näselnd, kaum hörbar, in mich hinein, doch der Mann unter mir war mir so nah, dass er es trotzdem vernahm. Ich sah ihn dabei nicht an, sondern blickte zur Seite auf den zerkratzen, fast matten Parkettfußboden. Meinen Blick wendete ich erst zu Rova, als er seine Hand hob, um mich sanft über meine gerötete, glühende Wange zu streicheln.

„Ich werde dich immer beschützen, egal was passiert. Gib dir nicht die Schuld an dieser Tragödie, meine Rose.“

Seine butterweichen Worte drangen nicht mehr bis zu meinem Herzen durch, das schon längst in meiner eigenen tristen Welt der Schuld versank. Sich eine Hand auf die wahrscheinlich schmerzende Brust pressend, erhob sich Rova behutsam von meinem Schoß und richtete sich behäbig auf. Versöhnlich reichte er mir seine andere Hand.

„Du brauchst heute Nacht nicht nach Hause zu gehen, wenn du dich dazu nicht in der Lage fühlst. Mir wäre wohler dabei, du bliebest hier, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst. Ich lasse dir im Obergeschoss ein Zimmer vorbereiten und informiere deine Eltern, damit sie sich nicht um dich sorgen, in Ordnung?“

Ich nickte ganz leicht, ergriff seine warme Hand und stand mit gesenktem Kopf auf.

Oh, mir ging es gar nicht gut. Nicht nur meine Seele, auch mein Körper war am Ende seiner Kräfte. Alles um mich herum begann sich plötzlich zu drehen, schneller und immer schneller, untersetzt mit einem lauten Fiepen in meinen Ohren. Rovas besorgter Blick verschwamm und wurde dann eins mit der Finsternis, die mich in ihrer wohltuenden Stille in Empfang nahm.
 

Die dichten, dunklen Vorhänge des Raumes, in dem ich erwachte, waren zugezogen und ließen fast kein Licht hinein. Von den Schuhen abgesehen, lag ich komplett bekleidet in einem weichen Himmelbett. Ein Pflaster war auf meinen Arm geklebt worden, unter dem ich einen frischen Schnitt vorfand, den ich nicht zuordnen konnte. Mein Schädel brummte so stark, dass ich mich nicht erinnern konnte, wie ich an diesen Ort gekommen war.

Hm, meine letzte Erinnerung, war… meine Verabschiedung vom SOLV.

Ich stand auf und wankte zum Fenster, um die schweren Vorhänge zu öffnen, worauf mich das gleißende Licht der hoch am Firmament stehenden Sonne blendete. Eigentlich war die Wärme der Herbstsonne angenehm und doch fühlte ich mich durch sie kein bisschen besser. Ich ließ den Blick nach draußen schweifen. Nun wusste ich, wo ich mich befand, denn der verwahrloste Garten hinter Rovas Villa war einfach unverkennbar. Dass dieses Haus über ein möbliertes Obergeschoss verfügte, war mir nie bewusst gewesen, denn die Vorhänge hielt er stets zugezogen, zumindest die zur Straßenseite.

Ich presste mich überwältigt ans Fensterbrett, als ich mir danach einen Überblick über das Zimmer verschaffte. Die edle und gepflegte Einrichtung war nicht das, was ich in dieser sonst so heruntergekommenen Villa erwartet hatte. Verzierte Holzmöbel, Vitrinen mit wahrscheinlich sehr wertvollen Porzellanfiguren und anderen golden glänzenden Schätzen, edle Ornamenttapete, Stuck an der hohen Decke und ein Orientteppich auf dem polierten Parkettfußboden. Diese Fülle überforderte meine Sinne vollkommen. Da war mir sogar Rovas wilder Garten lieber. Schnell wandte ich mich wieder dem Fenster zu, um etwas durchatmen zu können. Eine merkwürdig vertraute Schwärze war bereit, mich in Empfang zu nehmen, aber so leicht ließ ich mich nicht unterkriegen. Meine Güte, das waren doch nur ein paar Möbel!

Und trotzdem dauerte es minutenlang, bis ich fähig war, am Bett vorbei, immer noch barfuß, zur Tür zu wanken. Verunsichert, was mich noch erwarten würde, öffnete ich sie vorsichtig und betrat scheu den Gang, wo mich Alexander, diesmal in einem schwarzen „Iron Maiden“ T-Shirt, begrüßte.

„Schönheitsschlaf beendet, Prinzesschen?“

Ich ignorierte ihn, weil mir sowieso keine sinnvolle Antwort auf sowas einfiel. Seit wann beachtete mich der Kerl überhaupt? Vielleicht hätte ich ihm auch einfach einen „Guten Morgen“ wünschen sollen? Moment, wie spät war es eigentlich? Ach, und wieso war ich nochmal an diesem Ort? Ich brachte es nicht einmal fertig, ihn das zu fragen.

Erst als mich Alex in den Raum am Ende des Gangs führte, kam eine Erinnerung zurück. Genau dort war ich einen Tag zuvor auch langgelaufen, nur eine Etage tiefer. Ich traf auf Rova und dann…!

„Sari!“,

rief ich geschockt. Unmittelbar schossen mir wie Feuer brennende Tränen in die Augen. Plötzlich fiel mir alles wieder ein. Ich verlor das Gleichgewicht, doch der schwarzhaarige Kerl hinter mir griff sich einen meiner Arme und legte ihn sich über die Schulter. Völlig überrascht sah ich zu ihm auf und erkannte auch an ihm, wie sehr er unter meiner Tat zu leiden hatte. Er war es, den ich für meinen Henker hielt und nun schlang er seinen Arm straff um meine Taille, damit ich nicht zusammenbrach. So transportierte er mich in den Raum hinein, in dem Rova schon auf uns wartete.
 

Alex setzte mich auf einer roten, weich gepolsterten Couch ab, die jener im Raum darunter glich, nur eben in perfekt gepflegtem Zustand, wie alles auf dieser Etage. Mein Chef nahm neben mir platz, während sein Angestellter die Tür von innen schloss, an ihr stehen blieb und uns im Auge behielt. Ja, natürlich tat er das, denn mir konnte man nicht trauen. Ich war schließlich eine Mörderin. Rova legte seine Hand auf meine, die neben mir auf der Sitzfläche ruhte. Er beobachtete mich dabei, wie ich meine Beine an mich heranzog und die nackten Füße auf der Sitzfläche vor mir abstellte. Mir war kalt, mein Bauch tat weh und mehr hassen als zuvor, würde er mich dafür ohnehin nicht können.

„Ich zwinge dich nicht, hier zu bleiben, Lyz. Wenn du möchtest, kannst du deinen Studienplatz trotzdem antreten und ins Studentenwohnheim umziehen.“

Ich hatte meinen Kopf zwischen meinen Knien vergraben. Aufgrund dieses unerwarteten Angebots hob ich ihn an, um einen verstohlenen Blick durch meine ungekämmten, wirren rotbraunen Haare hindurch, auf Rova zu werfen. Er machte mir keinen Vorwurf? Was lief nur falsch mit ihm? Ich hatte das süßeste Mädchen der Galaxie auf dem Gewissen und er erzählte etwas vom Studieren?

„Deinen Eltern habe ich gesagt, Sari hätte einen Unfall gehabt und du seist mit ihr die ganze Nacht im Krankenhaus gewesen. So werden sie es verstehen, wenn du zu Hause um deine Freundin trauerst“,

fügte er in einer beruhigenden, tiefen Stimmlage hinzu. Sie hatte einen brummenden Klag, so gehaucht und zärtlich. Und dann noch seine goldenen Sternenaugen dazu. Er wusste, wie er mich kriegen konnte. Da hatte mir dieser Mann tatsächlich alles abgenommen, das mir Probleme bereiten konnte. Als ob es so leicht wäre.

In dem Moment, in dem ich mir die Tränen aus dem Gesicht wischte, hörte ich ein dumpfes Poltern aus dem Gang. Ich drehte mich zur Tür um, die noch immer zuverlässig von Alexander bewacht wurde. Hinter ihm nahm ich den Widerhall einer zunächst undeutlichen, männlichen Stimme wahr, die mit ihrem Näherkommen verständlicher wurde.

„… Alex, bist du hier? Versteckst du die Tussi etwa vor mir? Ich bring das dumme Gör um!“

Geschockt trafen sich unsere Blicke, bevor Alexander den Raum verließ, um den Mann mit der aufgebrachten Stimme abzufangen.

„Halt die Klappe, Pete! Du hast in diesem Haus nicht das Maul aufzureißen, klar? Rova macht die Regeln, nicht du!“,

schnauzte er dem ungebetenen Gast genervt entgegen.

„Rova, Rova. Dem hat das viele Silber doch das Hirn verklebt! Ich will Rache und die hole ich mir auch!“

Nun erkannte ich Peters Stimme ganz deutlich. Rova war bereits aufgestanden und machte sich auf den Weg zur Tür. Er schloss sie hinter sich und plötzlich herrschte eine Totenstille im Raum, was mich wunderte, denn für so schalldicht hielt ich die Türen in diesem alten Gebäude eigentlich nicht. Es dauerte keine Minute, bis Rova die Tür wieder öffnete und sich beruhigend lächelnd neben mich setzte, als sei nichts gewesen. Da war absolut nichts Auffälliges an ihm zu entdecken. Was hatte er mit ihm gemacht?

„Ich garantiere für deine Sicherheit, Liebes. Sei unbesorgt.“

Ich schluckte, als mir bewusstwurde, dass ich auf die Güte dieses Mannes angewiesen war und zwang mir ein Lächeln heraus.

„D-danke.“

So ein Irrsinn! Peter hatte doch recht! Wie schaffte es Rova nur, mich von meiner Schuld abzulenken? Ich war eine Mörderin und nichts anderes und trotzdem schützte er mich vor dem Zorn der anderen. Wieso tat er das? Keine angemessene Strafe zu erhalten, verwirrte mich. Ein bisschen wünschte ich mir, hinaus zu Peter zu gehen, damit er es beenden konnte und doch war ich Rova und auch Alexander dankbar für ihren Schutz.

Rova redete die ganze Zeit ruhig auf mich ein, erzählte mir ein bisschen was über Sari. Sie war vor einem Jahr in diese Villa eingezogen und seine Nichte, Teil SEINER Familie. Davon hatte sie nie ein Wort gesagt. Ursprünglich kam sie aus Siebenbürgen und dort sollte sie auch bestattet werden, erklärte er.

Tja, das bedeutete wohl, dass ich Sari nicht einmal Lebwohl sagen können würde. Bei ihrer Beerdigung wollte sie mich aber wahrscheinlich sowieso nicht dabeihaben, mich die Frau, die sie überhaupt erst unter die Erde gebracht hatte. Wie ohnmächtig lauschte ich Rovas Worten. Auch er wollte, dass ich in Deutschland blieb, einleuchtend.

Mindestens drei Mal fragte er mich, wie es mir ging, was ich stets mit:

„Frag nicht!“,

beantwortete. Ich verstand erst, was er eigentlich hören wollte, als er es ganz konkret ansprach.

„Ich werde dich nur dann gehen lassen, wenn du mir versprichst, dir nichts anzutun. Hörst du, Lyz! Du musst es mir versprechen!“

Ich nickte. Vielleicht war das eine Lüge. Das wusste ich nicht so ganz genau, aber wenn ich von diesem Mann nicht eingesperrt werden wollte, blieb mir nur diese Antwort. Naja, zumindest erschien er mir in diesem Moment wie einer, der zu so etwas fähig war. Nüchtern betrachtet, gab es außer ihm niemanden, der in der Position war, mir zu helfen. War der Schutz, den er mir anbot, dann nicht wie eine Erpressung, ihm die Treue zu schwören? Das passte zumindest zu seinem zwanghaften Wunsch, mit mir in Kontakt zu bleiben.
 

Alexander begleitete mich die paar Schritte bis nach Hause, ohne dass wir miteinander sprachen. Ich sah ihm nicht einmal ins Gesicht, weil ich es einfach nicht konnte. Ich öffnete die Haustür und verschloss sie ohne Verabschiedung. Es war klar, dass er mich hassen musste, schließlich hatte ich seine Freundin umgebracht.

Meine Eltern arbeiteten um diese Zeit noch, doch das machte auch keinen Unterschied. Wenn ich ehrlich war, erleichterte es mich sogar. So konnte ich mich in meinem Zimmer verkriechen, ohne eines ihrer überforderten Gesichter sehen zu müssen.
 

Die meiste Zeit weinte ich und das hörten meine Eltern auch. Trotzdem kam weder meine Mutter noch mein Vater auf die Idee, auch nur zu versuchen, mich zu trösten. Hätte Vater wieder seinen bescheuerten Spruch vom Glück abgelassen, wäre ich nicht in der Lage gewesen, meine Enttäuschung ihm gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Ich hasste mich und die Welt hasste mich zurück, wie ein Spiegel. Nur einer widersetzte sich meiner Regel, Rova. Hätte er mir nicht dieses Versprechen aus den Rippen geleiert, hätte ich meine alten Suizidgedanken wohl wiedergefunden, die ich in der Mittelstufe hatte. Er war so ein Dummkopf, doch seine goldenen Augen erschienen mir wie Sterne in der Dunkelheit, die mich am Leben hielten.

Im Haus ging ich wie gewohnt meinen Aufgaben nach, machte die Wohnung sauber und kochte. Ich sprach dabei kein Wort, auch nicht am Esstisch, sondern hörte meinen Eltern dabei zu, wie sie sich über die Arbeit austauschten. So war das eben bei uns.

Meine Trauer versuchte ich dadurch zu verarbeiten, mich noch mehr auf diverse Hilfeforen im Internet zu stürzen und die verrücktesten Fragen zu beantworten. Sari musste raus aus meinen Gedanken, vor allem diese merkwürdigen Todesumstände. War sie wirklich zerfallen, oder spielte mir mein Gedächtnis einen Streich? Alles schien zu verschwimmen, wenn ich mich versuchte, daran zu erinnern.

Nein, wenn ich leben wollte, dann musste ich das alles vergessen. „Wie kriege ich meine Akne los?“, „Ich muss einen Aufsatz über die Französische Revolution schreiben, kann mir jemand helfen?“ oder „Warum stürzt mein Rechner ab, wenn ich Pornos gucken will?“, das war mein Tagesinhalt, der alles verdrängen sollte und gleichzeitig der letzte Sinn, den mein Leben noch zu bieten hatte.

„Versuche auf keinen Fall den Rotweinfleck mit Weißwein aus deinem hellen Teppich zu waschen, es sei denn du willst, dass deine Wohnung nach Alkoholiker stinkt. Wasser und ein bisschen Seife sind viel effektiver und es riecht auch besser…“,

tippte ich im Dunkeln in die Tasten meines Laptops und die Tränen liefen und liefen.

Unerwünschte Unterstützung

Zwei Wochen hatte ich Zeit, um mich selbst emotional wieder herzustellen und auf das Studium vorzubereiten. Ich dankte Rova für meine Freiheit, denn eigentlich gehörte ich vor ein Gericht, aber genug davon. Ich hatte so langsam akzeptiert, dass ich nichts wert war, ihm aber trotzdem etwas an mir lag, also gab ich mir Mühe, weiterzumachen. Mein kleines neues Zuhause bestand aus einem schlicht möblierten Zimmer im Studentenwohnheim, das mir meine Eltern bezahlten. Sie mochten sein, wie sie wollten, mein Studium unterstützten sie. Allerdings nicht meinen Umzug, den musste ich allein bewältigen. Ich holte meine paar Sachen mit dem Zug, denn eigenes Auto besaß ich keins und meine Eltern ließen mich auch nicht mit ihren fahren. "Aushängeschilder" nannten sie ihre beiden silberfarbenen Mercedes’, an die keine Fahranfängerin wie ich herangelassen werden durfte.

Dieser Neustart sollte mir helfen, all meinen Kummer hinter mir zu lassen. Keine Eltern, welche Platons Politeia zu genau nahmen und mich deshalb fast weggegeben hätten, kein schweres Verbrechen an einer jungen Frau und kein Minderwertigkeitsgefühl sollten mich mehr stören. Ich musste diesem neuen fremden Leben die Hand reichen und mit ihm voranschreiten. Vielleicht würde ich dann auch endlich herausfinden, was Glück bedeutete.
 

Meine erste Vorlesung startete ein paar Tage später mit dem stimmigen Titel „Jugend und Soziale Arbeit“. Ich setzte mich ins vordere Drittel des Hörsaals und drehte mich nach hinten um, damit ich sehen konnte, wer alles mit mir studieren würde. Die Reihen füllten sich mit vielen ebenso neugierigen und unsicheren Gesichtern wie meinem. Viele der jungen Leute waren bunt gekleidet, hatten Piercings oder waren sonst auf irgendeine Art und Weise auffällig. Es freute mich, dass ich mich mit meinem weißen Spitzenkleid gut einreihte. Tatsächlich wollte ich nichts anderes mehr tragen, als das Geschenk des einzigen Menschen, der an mich glaubte. Da ich aber auch ein wenig Wechselkleidung benötigte, hatte ich mir vor ein paar Tagen ein ähnliches im Internet bestellt.

Zu meiner großen Freude blieb ich nicht lange allein auf meinem Platz, denn eine junge Frau, namens Hanna, setzte sich neben mich und wir unterhielten uns nett. Es war im wahrsten Sinne zu schön, um wahr zu sein, denn kurz darauf betrat eine schwarze Gestalt den Saal, eine, die direkt schmerzhafte Erinnerungen weckte, Alexander. Seine bloße Anwesenheit kratze mich auf und zu allem Überfluss kam er auch noch auf die Idee, sich auf den anderen Platz neben mich zu setzen. Auch er passte mit seinen langen Haaren, seinem schwarzen „SLAYER“ Shirt und der Lederjacke besser als gedacht in diese Gruppe, denn er schien nicht der einzige Metal-Fan zu sein. Ich hoffte, er würde sich mit diesen anderen Studis anfreunden und mich in Ruhe lassen, was natürlich nur ein netter, kleiner Traum von mir war.

Zwar sagte Alexander zunächst kein Wort, ihn zu ignorieren war mir trotzdem unmöglich. Ich entschuldige mich bei Hanna und drehte mich zu Alex, den ich direkt schnippisch anblaffte.

„Was machst du hier?“

Er grinste schräg und warf sich seinen langen schwarzen Zopf auf den Rücken.

„Was glaubst du wohl? Studieren natürlich, Prinzesschen.“

Prin-… wie bitte? Überrascht von seinen frechen Worten, wendete ich meinen Blick wieder Hanna zu, die uns irritiert beäugte und dann vorsichtig flüsterte:

„Darf ich fragen, wer das ist?“

„Das ist Alexander, ein ehemaliger Mitar…-“

„ihr Freund!“,

warf er unüberhörbar, an mir vorbei zu Hanna schauend, ein. Auch einige Studenten hinter uns bemerkten es, denn sie stellten kurz ihre Gespräche ein und blickten erst zu ihm und dann zu mir. Oh, wie ich es verabscheute, im Rampenlicht zu stehen. Der Kerl musste doch spinnen, so etwas zu behaupten!

„A-also wenn überhaupt, dann Exfreund, klar?“,

rief ich schließlich, um die Sache zu entspannen. Er beugte sich näher zu mir, ich mich aber sofort von ihm weg. Was fiel ihm ein?

„Ha, gut gekontert. Ich hab was weniger Pfiffiges erwartet. Dein Ex, echt süß. Das hättest du wohl gern, hm?“

„Wa-? Du kannst mich mal gernhaben, du- du Stalker!“,

warf ich zurück, was sein Lächeln einschlafen ließ. Diese Bezeichnung hatte ihm nicht geschmeckt und auch, wenn es eigentlich mein Ziel war, ihn damit zu treffen, tat es mir sofort unglaublich leid. Mann, ich war für solche frechen Konversationen einfach nicht geschaffen. Manchmal hasste ich mich tagelang für eine kopflos ausgesprochene Dummheit. Als Kind hatte ich meiner Mutter einmal gesagt, sie sei eine Eiskönigin, aus bekannten Gründen. Ich machte mir ewig Vorwürfe dafür, denn so war ihre Zuneigung sicher nicht zu gewinnen.

Immerhin gab Alex erstmal Ruhe und es dauerte auch keine Minute mehr, bis der Professor den Hörsaal betrat. Die Vorlesung war spannend und das Themenfeld genau das, was ich mir vorgestellt hatte. Nur dieser Kerl neben mir störte. Das Schlimmste an ihm wusste ich in diesem Moment ja noch nicht einmal. In seiner Gegenwart war es mir nämlich nicht möglich, auch nur ein vernünftiges Gespräch mit meinen Kommilitonen aufzubauen. Immerzu warf er einen sarkastischen Kommentar dazwischen, wenn ich etwas sagte oder zog die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Mit meiner Befangenheit hatte ich keine Chance gegen ihn. Außerdem kamen andauernd Fragen dazu, wie wir zueinander standen. Ich hatte keine Lust mehr, mich gegen ihn zu wehren und ließ ihn herumerzählen, ich sei seine Flamme.

„Das Prinzesschen ist mein Mädchen, also Pfoten weg!“,

behauptete er mit stolzgeschwellter Brust, dieser Macho. Als ob! Ein schönes Märchen hatte er sich da zusammengereimt.
 

Nach einer vierten Einheit endete der offizielle Teil des Tages. Ohne ihm Bescheid zu geben, machte mich auf den Weg zu meinem Termin im Cosmopolitan Club. In einer E-Mail meinten sie, ich solle mal vorbeikommen, weil ich doch einen Austauschstudenten betreuen wollte. Voller Vorfreude lief ich los, doch Alex verfolgte mich wie ein Schatten.

„Ich brauche keinen Aufpasser. Was soll mir hier schon passieren?“,

knurrte ich in seine Richtung.

„Mir egal, was du denkst“,

war alles, was er dazu zu sagen hatte, doch so schnell gab ich diesmal nicht auf.

„Sag Rova, dass ich auf dich verzichten kann!“

„Sag's ihm doch selbst!“

Ich stampfte verärgert auf den Boden und lief einen Schritt schneller, doch das schien ihn kein bisschen zu beeindrucken. Ein Kontrollblick über meine Schulter verriet mir, dass er amüsiert lächelte. Mann, der Typ war durch nichts aus der Ruhe zu bringen.

Ein wenig musste ich nach dem Büro suchen, doch selbst auf Nachfrage verriet ich Alex nicht, wohin ich unterwegs war. Ich fand den Raum schließlich auch ohne seine Hilfe. Immerhin hatte er so viel Anstand, draußen zu warten.

Lukas, ein freiwilliger Helfer des Clubs, empfing mich. Er trug denselben Namen wie mein ehemaliger Klassenkamerad, der total nette kleine Bruder meines Exfreundes. Das machte ihn sympathisch, aber leider versuchte er mich schnell wieder abzuwimmeln. Es sei zu früh für mich, einen Austauschstudenten zu betreuen, weil ich als Ersti vom „Tuten und Blasen noch keine Ahnung“ hätte und deshalb auch niemandem helfen könne. Ganz schön herablassend. Das hätte der Lukas, den ich kannte, niemals gesagt. Vielleicht wusste er aber nur nichts von meiner besonderen Eignung. Mit allerhand Argumenten versuchte ich ihn zu überzeugen, doch er stand auf und komplimentierte mich nach draußen.

„Tut mir Leid. Komm im nächsten Semester wieder. Bis dahin kannst du uns bei unseren Aktivitäten unterstützen und uns über die Schulter schauen, abgemacht?“

Nix da, abgemacht! Na toll! Trotz innerer Gegenwehr gab ich nach und ging hinaus. Alexander bemerkte meine Verstimmung sofort und quetschte mich auf dem Weg zum Wohnheim darüber aus. Es war etwas eigenartig, aber er wollte wirklich hören, was ich für Probleme hatte. Solcherlei Fragen wurden mir üblicherweise nicht gestellt. Verständnislos schüttelte er nach meiner Erklärung den Kopf und schimpfte:

„Schwachsinn, wir werfen unsere Noobs auch gleich ins kalte Wasser und das funktioniert wunderbar. Ich klär das für dich.“

Ich konnte ihn nicht davon abhalten, zurückzustürmen und den armen Lukas einen Kopf kürzer zu machen. Sein Auftritt war mir extrem peinlich. Ich wusste nicht, ob ich mich je wieder im Cosmo Club sehen lassen konnte, doch zu meiner Überraschung bekam ich durch ihn tatsächlich einen Austauschstudenten zugeteilt, einen österreichischen Maschinenbaustudenten aus dem dritten Semester, der sein Auslandssemester bei uns absolvierte. Bei ihm könne ich nichts versauen, denn er käme zur Not auch gut ohne Hilfe zurecht, erklärte Lukas.

Okay, das kam unerwartet und war… einfach genial! Alex hatte etwas für mich erreicht, das ich alleine nicht schaffte. Ich wusste nicht, ob sich je schon einmal jemand so für mich eingesetzt hatte. Gut, ich gab es zu, damit rückte Alex in seiner Beliebtheit bei mir ein ganzes Stück nach oben, auch wenn er den ganzen Tag genervt hatte. Wahrscheinlich war er im Studiengang „Soziale Arbeit“ doch nicht so schlecht aufgehoben, wie ich zunächst dachte. Menschen zu helfen, lag ihm.
 

Doch eigentlich recht zufrieden mit meinem ersten Tag, machte ich mich auf den Heimweg zum Studentenwohnheim. Merkwürdigerweise folgte Alex mir auch dorthin, sogar bis vor die Tür meiner Einzimmerwohnung. Ich wollte ihn schon zurechtweisen, da holte er einen Schlüssel aus seiner schwarzen Umhängetasche und öffnete damit die Tür neben meinem Zimmer.

„D-Du willst jetzt nicht sagen, dass du neben mir wohnst?!“

„Nö, ist doch offensichtlich“,

grinste er, wobei mich einer seiner Zähne anfunkelte. Dann verschwand Alex in seinem Zimmer.

Na super, Adios Neuanfang, willkommen ihr Albträume! Ich wusste nicht, wie ich sein leidendes, tränennasses Gesicht vergessen sollte, nachdem ich… Ich wusste ja nicht einmal, wieso er überhaupt ein Wort mit mir wechselte. Ich war das Letzte!

Klar kam es, wie es kommen musste. Kaum fiel die Tür hinter mir ins Schloss, lehnte ich mich an sie und fing schon wieder an zu heulen. So war das alles nicht geplant. Warum tat Rova mir das an? Konnte er nicht jemanden schicken, den ich nicht kannte? Wie sollte die Lava in mir abkühlen und zu Gestein werden, wenn er die fest werdende Gesteinsdecke immer wieder zersprengte? Am besten, ich setzte mich an ein paar Hilfeforen und beantwortete zwei, drei Fragen nach einer ausgiebigen Recherche. Das half mir abzuschalten und brachte sogar noch jemandem etwas.

Das Leben eines Aufpassers

Auch wenn ich so tat, als ob ich von Alex' gluckenhaftem Gehabte genervt sei, genoss ich es insgeheim. Dass sich tatsächlich jemand für das interessierte, was ich tat, war ungewöhnlich, eine Abwechslung, die gern zur Gewohnheit werden durfte. Bereits nach ein paar Tagen schaffte er es, meine schlimme Erinnerung an seinen gequälten Gesichtsausdruck in jener Nacht, durch sein für ihn so typisches, freches Grinsen zu überschreiben. Dieser Schuft musste mich aber auch immerzu necken. Wenn ich nicht hinsah, malte er mir kleine hässliche Smileys auf meine Mitschriften oder stupste mich an, wenn er meinte, ich würde nicht mehr zuhören.

Inzwischen hatten wir auch den österreichischen Austauschstudenten Sebastian kennengelernt, ein adrett gekleideter und kluger Kerl. Ihm zu helfen, kam dem Versuch gleich, einem Fisch das Schwimmen beizubringen. Er fand sich vom ersten Tag an besser an der Hochschule zurecht als wir. Dennoch boten wir ihm den Kontakt zu jemandem außerhalb seiner Seminargruppe, was er begrüßte.

Wie ich es mir schon denken konnte, klärte Alex sofort die Fronten mit Sebastian, der das total locker nahm und wie immer und überall stahl mir auch hier mein super sympathischer Begleiter die Show. Es mochte ja sein, dass ich nicht gern im Mittelpunkt stand, von jemandem unfreiwillig in die zweite Reihe gestellt zu werden, fühlte sich trotzdem so an, als sei ich unwert. Vielleicht war das Alex' Art, mir zu zeigen, dass er nicht mich vor der Welt, sondern umgekehrt, die Welt vor mir schützen musste, weil ich so unerträglich war… damit verstärkte er nur meine Selbstzweifel. Mit derlei Gedanken nervte ich mich schon seit Jahren selbst. Ich fühlte mich als unerwünschtes Mädchen, mit unnützen Fähigkeiten. Ob es mir jemals gelingen würde, dieses Selbstbild abzulegen?
 

Die meiste Zeit verbrachte Sebastian zwar mit Leuten aus seiner Seminargruppe, aber wir verabredeten uns zur Semesterauftaktparty, die in der Mensa stattfand. Ein bisschen fragte ich mich, ob Alex die Mensa an diesem Tag das erste Mal von innen gesehen hatte, denn er ging nie mit mir in der Mittagspause dorthin. Irgendwann würde ich ihn vielleicht fragen, warum er nicht mitkommen wollte, aber aus irgendeinem Grund fürchtete ich mich vor seiner Antwort.

In dieser stimmungsvollen Beleuchtung erkannte aber auch ich die sonst so schnöden Speisesäle kaum wieder. Fleißige Mitglieder des Studentenrates hatten sie in Dancefloors verschiedener Musikrichtungen verwandelt, worauf wir an jeder Ecke hingewiesen wurden. „Sponsored by StuRa“, stand auf den Plakaten, den Flyern, im Internet, quasi überall.

Die manchmal etwas merkwürdig anmutenden Elektrobeats in Saal 1 klagen, als hätte der DJ vorher etwas eingeworfen. Man konnte dazu zappeln als habe man einen Anfall oder einen Roboter verspeist, oder, was wir taten, einfach in Saal 2 verschwinden. Dort trafen wir auch auf einige unserer Kommilitonen, mit denen Sebastian und ich Freibier aus Plastikbechern tranken. Alex tat wahrscheinlich gut daran, diese billige Plörre gar nicht erst anzurühren, denn sie stieg schnell zu Kopf, mir zumindest.

Es war ziemlich gedrängt, klar bei der miesen Musik im anderen Saal. Ich wunderte mich deshalb nicht, als mich ein fremder Kerl anrempelte. Er entschuldige sich sofort freundlich, fragte dann aber direkt, ob ich nicht mit ihm tanzen wolle. Das schien eine spontane Frage gewesen zu sein, die mir schmeichelte.

„Zieh Leine!“,

hörte ich es neben mir in einem stinkigen Ton von Alex, der sich prompt vor mich stellte. Seine breiten Schultern nahmen mir die Sicht auf den Rempler, aber ich konnte mir denken, dass er nicht besonders glücklich darüber war, direkt so angefahren zu werden. Alex ging immer voll auf Konfrontation, wenn sich mir jemand nähern wollte, dabei hatte ich doch eigentlich den Wunsch, neue Leute kennenzulernen. Es war echt nicht einfach mit ihm… hm, oder war es im Gegenteil sogar zu einfach mit ihm?
 

Tanzen… als ob ich das vor diesen vielen Leuten getan hätte, die mich alle anstarren konnten. Wenn, dann machte ich das alleine zu Hause. Vielleicht hätte ich mich von Alex überreden lassen, aber nur von ihm… Genau bei diesem Gedanken stupste er mich an.

„Okay, warum nicht?“,

rief ich durch den Lärm hindurch, bis ich sah, dass er mir sein leuchtendes Handy mit einem vibrierenden Hörer darauf entgegenhielt. Oh Mann, fast hatte ich mich vor ihm lächerlich gemacht. Gut, dass ich nichts übers Tanzen gesagt hatte. „Der Prinz“, las ich auf dem Display und sah darüber das Profilbild, einen Drachenkopf mit einer Krone. Wer rief ihn da an? Ein Drachen… prinz?

Natürlich war die Musik viel zu laut für ein Telefonat, deshalb musste Alex den Saal verlassen. Ein bisschen unruhig wurde ich immer, wenn mein Beschützer nicht bei mir war, schon verrückt, denn eigentlich hatte ich doch nichts zu befürchten. Ich nahm es wie eine Erlösung auf, als Sebastian eine Handbewegung Richtung Tür machte. Ihm wurde es wohl auch gerade zu viel. Wir traten hinaus auf den schnöden, ganz normal mit Deckenleuchten erhellten Gang.

Alex war allem Anschein nach für das Telefonat mit dem „Prinzen“ nach draußen gegangen. Ich sah ihn jedenfalls nicht mehr. Sebastian machte den Eindruck, er wollte nicht nur raus aus dem Saal, sondern sich allein mit mir unterhalten. Bisher hatte ich nur einmal zur Mittagspause über banalen Kram mit ihm gesprochen.

„Wegen Alex. Nicht falsch verstehen, ich find ihn nett, aber… mich könnt ihr zwei nicht täuschen. Er ist nicht dein Freund, ich meine, er hat dich noch nie umarmt, oder geküsst.“

Geküsst? Wow, nein, das hatte er nicht. Schräge Vorstellung. Aber das konnte Sebastian doch egal sein, oder… machte er sich etwa Gedanken um mich? Ob ihm meine merkwürdige Situation aufgefallen war? Er musste mich ermahnen, damit ich reagierte. Dieser blöde Alkohol machte mich träge im Kopf.

„Nein, nein,…~ er ist nicht mein Freund, eher sowas wie ein Aufpasser“,

antwortete ich unbedacht und winkte ab. Mann, dieses billige Bier war wie ein Wahrheitsserum. Hey Moment, wieso ärgerte ich mich auf einmal darüber, meine Beziehung zu Alex abzustreiten?

Sebastian bog mit mir in einen schummrig düsteren Raum mit Arbeitstischen ab, der garantiert dazu diente, fleißigen Studenten während des Semesters einen Platz zum Lernen anzubieten. Es war ganz schön ruhig dort, nur noch ein dumpfes Hämmern des Basses und ein paar Tonschnipsel konnte ich noch von den überfüllten Sälen über uns wahrnehmen.

„Wovor schützt er dich denn?“,

wollte er nun wissen, wenn ich mir das nicht einbildete, sogar besorgt. Tja, das war eine gute Frage. Vor Racheaktionen wahrscheinlich. Viel mehr interessierte mich aber, warum ich das Gefühl hatte, wir würden uns vor Alex verstecken. Das wollte ich nämlich nicht. Da ich wieder nicht reagierte, versuchte mir Sebastian seine Beobachtung zu beschreiben.

„Geht es um Kontrolle? Unterdrückt er dich? Ich hatte so einen Fall in der Familie und ich sag dir, das kann ich nicht ausstehen!“

Unterdrückt? So ein Quatsch. Er passte auf mich auf wie eine Art Gefängniswärter, was ja auch sein gutes Recht war, nachdem… nein, diese Erinnerung wollte ich nicht durchleben. Sebastian hatte nicht das Recht, sich in meine Angelegenheiten einzumischen. Wenn Rova der Meinung war, er müsse mich von Alex begleiten lassen, dann hatte er sich schon etwas dabei gedacht.

„Nein, alles ist gut, Sebastian. Hör bitte auf, dir Sorgen zu machen. Ich gehe jetzt wieder zur Treppe, damit Alex mich findet.“

Er nickte mir zu, als würde er mich verstehen, kam mir aber nicht nach, sondern setzte sich in dem düsteren Raum auf einen der vielen freien Stühle. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, mir hinterher zu rufen:

„Wenn du irgendwann mal Hilfe brauchen solltest, kannst du zu mir kommen. Mehr wollt ich gar nicht sagen.“

Ich erwiderte nichts, denn Hilfe hatte ich eigentlich schon genug. Ein wenig verwirrt von seiner Aktion ging ich hinaus und in eben diesem Moment kam auch Alexander zurück. Entweder hatte er gar nichts davon mitbekommen oder er spielte den Unwissenden. Um Sebastian schien er sich seit seiner ersten Zurechtweisung überhaupt keine Gedanken zu mehr machen, obwohl er jedem anderen, auch gern wiederholt, auf die Finger klopfte.
 

Ich hatte die Hände den Rest des Abends vom Alkohol gelassen, war aber trotzdem noch etwas beschwipst, als wir uns irgendwann nach Mitternacht auf den kurzen Heimweg machten. Natürlich war Alex nüchtern, denn er hatte nicht ein einziges Glas angerührt und machte sich schon den ganzen Abend über mich lustig.

„Stockbesoffen, das kleine Prinzesschen!“,

prustete er, als ich fast an eine Säule gelaufen war, die da vorher definitiv noch nicht stand. Wer hatte auf so einem wichtigen Pendelweg zwischen Mensa und Studentenwohnheim auch bitte dermaßen lichtschwache Laternen aufstellen lassen? Schon wieder hatte mich Alex „Prinzesschen“ genannt, was ich sogar ganz niedlich fand, aber diesmal erinnerte es mich an den Namen auf seinem Display.

„Wer hat dich denn vorhin angerufen?“

„Haha, was glaubst du wohl?“

Wenn er so fragte, konnte es nur Rova gewesen sein, aber wieso stand dort:

„Der Prinz?“

„Jop“,

kam nur knapp von ihm. War es vielleicht müßig, etwas aus ihm heraus zu bekommen.

„Ist er adliger Abstammung? Würde mich nicht wundern.“

Wieder bekam ich nur ein:

„Jop“.

Das brachte mich nicht voran, aber immerhin war meine Zunge lockerer als sonst. Seine auch, wie es schien, denn meist antwortete er auf solche Dinge gar nicht.

„Was will Rova eigentlich von mir?“,

„Kapier ich auch nicht“,

schmetterte mir der freche Kerl neben mir grinsend entgegen. Ich versuchte ein ernsthaftes Gespräch aufzubauen und dann sowas! MANN! Dann versuchte ich es eben anders.

„Hab ein Foto in seinen Sachen gefunden, ein uraltes und darauf ist ein Mann zu sehen, der wie er aussieht und eine Frau, die-“

„Nope, darüber red ich mit dir nicht. Hab schon genug gesagt“,

würgte er meinen offensiven Vorstoß ab. Eigentlich hatte er nichts weiter gesagt, außer „Jop“. Das konnte man wohl kaum als „genug“ bezeichnen.

„Kannst nicht, oder willst nicht?“

Langsam schien er sauer zu werden, denn seine Stimmlage änderte sich zu einer ziemlich entnervten.

„Hör mal, Lyz, ich bin nicht dein Rova Lexikon! Wenn du Fragen zu ihm hast, dann stell sie ihm selbst! Ich hab darauf echt keinen Bock.“

Das würde schwierig für mich werden, da mich Rovas Gegenwart nervös machte. Trotzdem verstand ich Alexanders Unmut und schwenkte um. Meine lockere Zunge musste ich doch ausnutzen.

„Okay, schon gut. Trotzdem frage ich mich, ob das hier nicht über deine Arbeit beim SOLV hinausgeht. Du willst mir doch bestimmt nicht weiß machen, dass du zufällig mit mir studierst. Also, wie läuft das? Bekommst du Geld dafür, mich Tag und Nacht zu beschatten?“

Damit hatte ich den Bogen wohl überspannt, denn Alex brachte seine Verärgerung ziemlich offen zum Ausdruck. Ich erschrak mich heftig, als er urplötzlich meinen Oberarm packte und mich danach schroff anging:

„Jetzt reicht es aber, Prinzesschen. Rova ist nicht irgendein Auftraggeber für mich. Ich würde alles für ihn tun, klar? Wenn er mir sagt, ich soll mit dir studieren, dann gehe ich an die Hochschule, ohne ihn in Frage zu stellen. Wenn er sagt, ich soll dich mit meinem Leben beschützen, gut, kein Ding, aber glaub mir, wenn Rova mir befiehlt, dich zu töten, bin ich zur Not auch dazu bereit. Bilde dir also bloß nichts ein, du dumme Kuh und jetzt ist Schluss mit diesem grenzdebilen Ausgefrage!“

Sein Griff war so fest, dass es weh tat, doch immerhin ließ er mich nach seiner Standpauke wieder frei. Dass er es nicht leiden konnte, wenn ich Fragen stelle, hätte er auch netter ausdrücken können. Mit seiner Aggressivität schüchterte er mich nur unnötig ein. Warum um alles in der Welt musste er überhaupt so eine gemeine Drohung aussprechen? Ich wusste schon längst, dass ich nichts wert war und nun zeigte er mir noch auf diese Weise, wie recht ich damit hatte.

Meine Euphorie kippte durch ihn sofort in Sentimentalität um. Tränen begannen mir über die glühenden Wangen zu rinnen, denn bis eben hatte ich mir tatsächlich eingebildet, dass sich langsam eine Freundschaft zwischen uns entwickelte. Keine Zweckfreundschaft, sondern eine, die sich echt anfühlte.

Er war ein paar Meter weiter gelaufen, blieb aber stehen, als er bemerkte, dass ich ihm nicht mehr folgte. Über mir brach alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Wie dumm war ich eigentlich?

„Alex“,

schluchzte ich,

„Ich verstehe gut, dass du mich hasst. Ich hasse mich noch viel mehr als du, das kann ich dir versichern. Ehrlich, du brauchst deine Zeit nicht weiter mit mir zu verschwenden. Lass Rova den Befehl geben. Das wäre besser für uns alle, kein großer Verlust...“

Ich erkannte im Licht der Laterne, wie sich Alex‘ Gesichtsausdruck in einen Leidenden verwandelte. Mit so viel Verzweiflung, die ihm da von mir entgegenschlug, hatte er bestimmt nicht gerechnet.

„Scheiße, nein Lyz, eigentlich…“

Wahrscheinlich wollte er gerade einen Schritt auf mich zu machen, da riss er die Augen auf, im selben Moment, als es hinter mir schallte:

„Na, sieh einer an, dein hübsches Köpfchen ist doch nicht nur Schmuck, du dummes Gör. Dass du bereit für Rache bist, macht es mir natürlich leichter!“

Wieder einmal erkannte ich Peters Stimme. Diese unschöne Bezeichnung für mich, benutzte auch nur er. Noch bevor ich mich vollständig zu ihm umgedreht hatte, stand Alexander schon schützend vor mir. Seine schnelle Bewegung ließ sein langes, schwarzes Haar im sanften Licht der Laterne glänzend wehen, was ich atemberaubend schön fand. Ein paar meiner Herzschläge galten in diesem Moment nur ihm, aber vielleicht verklärte auch nur der Alkohol meinen Blick.

„Pete, alte Socke. Wie ich sehe, bist du ganz alleine? Hat keiner Lust, mit dir den Zwergenaufstand zu proben?“,

rief Alex seinem ehemaligen Kumpel entgegen und bekam dafür einen ordentlichen Konter.

„Genau wie du. Hat sich außer dir keiner gefunden, Rovas Spielzeug zu beschützen? Die Dynastie wird immer schwächer, Alex. Das siehst du doch an der Kleinen. Lass den Loyalitäts-Schwachsinn und komm zu uns. Glaub mir, so lebt es sich leichter, weniger umständlich vor allem.“

Obwohl Peter immer näher kam, wich Alex keinen Zentimeter zurück, sondern rief enttäuscht:

„Du warst nie ein Loyalist aus Überzeugung. Ich hätte schon früher merken müssen, dass es dir nur um Sari ging.“

Kurz darauf stieß er mich nach hinten und befahl mir, ich solle sofort ins Wohnheim laufen, das Licht einschalten und anlassen. Ich sah das Gebäude schon, weit war es also nicht, aber mein Magen krampfte sich auf einmal heftig zusammen. Es war ein Name gefallen, den ich nicht hören wollte, der mich schwer mitnahm. Alles drehte sich, deshalb stolperte ich ständig auf meinem Weg, aber immerhin fiel ich nicht hin.

Zitternd wühlte ich meine Schlüssel aus meiner kleinen Umhängetasche, schloss hastig die Haustür und oben angekommen meine Zimmertür auf. Drinnen schloss ich wieder ab und machte alle Lichter an, wie es mir Alex gesagt hatte. Es blendete so heftig, dass ich die Augen zusammenkneifen musste, was mir zusätzlich auf den Magen schlug. Ich hasste diese grellen Glühbirnen und war schon einmal kurz davor gewesen, sie auszutauschen.

Etwa eine viertel Stunde saß ich stocksteif auf meinem Bett. Die schlimmste Übelkeitswelle hatte ich überstanden und ging das Gesagte durch. Es fielen Worte über eine Dynastie, die von Loyalisten unterstützt werde. Das passte zu diesem ominösen Prinzentitel, von dem ich eben erst erfahren hatte. Peter meinte, auf der Gegenseite sei das Leben leichter. War da irgendeine alte Blutfehde im Gange, die durch mich wieder hochkochte? Durch meine… Tat? Nein, das wurde mir alles zu viel. Ich wollte das nicht wissen. Meine Ohren fingen an, laut zu Summen, deshalb hielt ich sie mir mit den Händen zu und kippte zur Seite auf mein Bett. Wieso konnten mich diese Erinnerungen nicht einfach in Frieden lassen? Ich wollte doch nur studieren und ganz normal leben, wie jeder andere auch.

Ich weinte eine Weile für mich allein, beruhigte mich ein wenig und hörte dann, wie im Zimmer neben mir die Tür aufgesperrt wurde. Dass Alex endlich zurück war, ließ den größten Teil meiner Anspannung wieder von mir abfallen. Vorsichtig presse ich mein Ohr an meine Tür und fragte, wahrscheinlich etwas zu leise und auch noch näselnd:

„Bist du das, Alex?“

Antwort bekam ich keine, fürchtete mich aber auch davor, aufzuschließen und zu ihm zu gehen. Eine Handynachricht würde es auch tun, dachte ich, setzte mich auf mein Bett und schrieb ihm. Tatsächlich las er sie sofort und antwortete:

„Lass das Licht in der Nacht an. Mir geht es gut. Wir reden morgen.“

Ich hörte sein Stöhnen durch die Wand hindurch und wusste, dass er mich angelogen hatte. Bestimmt war er verletzt. Er hatte mich beschützt und nun ging es ihm schlecht deshalb. Ich wollte so gern helfen, aber wenn ich seiner Anweisung folgen wollte, waren mir die Hände gebunden.

Plötzlich Professor

Am nächsten Morgen klopfte es an meiner Tür, gefolgt von einem Ruf von Alex' Stimme:

„Ich bin's. Mach auf!“

Ich war noch nicht einmal aufgestanden und noch im Schlafanzug. Eigentlich erleichterte es mich, von ihm zu hören, aber da ich kein Auge zugemacht hatte, ging es mir richtig mies. Wie sollte ich in diesem hell erleuchteten Zimmer mit Operationssaal-Feeling auch schlafen? Verpennt, verheult und zu allem Überfluss auch noch verkatert, war ich garantiert keine Augenweide, aber ich ließ Alex trotzdem nicht vor der Tür stehen. Schließlich gehörte sich das nicht. Im Gegensatz zu mir, wirkte er erholt, kein bisschen geschafft oder verletzt von der Auseinandersetzung mit Peter in der vergangenen Nacht.

„Du weißt nicht, wie froh ich bin, dass es dir gut geht“,

hauchte ich erleichtert und stürzte mich dabei am Türrahmen ab, weil es mir schon wieder schwindelig wurde. Er zuckte mit den Schultern, als sei nichts gewesen.

„Hab ich doch geschrieben.“

Dann ging er zielstrebig auf mein ungemachtes Bett zu, das von meinem Körper noch warm sein musste, legte die Hände an seinen Hinterkopf und ließ sich nach hinten kippen. Also echt! Da wollte ich eigentlich gleich wieder hin, um noch ein bisschen zu schlafen, denn die Uhr zeigte gerade mal kurz nach Sieben.

„Selbst nach dem Vorfall hast du immer noch keinen Schimmer, was los ist, oder? Solltest eigentlich genügend Hinweise gesammelt haben über die Zeit“,

bemerkte er, als erwarte er irgendeine Schlussfolgerung von mir. Ich sah ihm unzufrieden und stirnrunzelnd dabei zu, wie er mein geblümtes Bett okkupierte.

„Hinweise? Auf?“

„Darauf musst du schon selbst kommen, Sherlock. Horrorfilme guckst du wohl nicht? Na, es würden wohl auch Liebesschnulzen reichen.“

„Weder, noch. Filme interessieren mich nicht so sehr“,

stammelte ich nun mit der Frage im Sinn, welchen Überschneidungspunkt wohl Horror- und Liebesfilme miteinander haben konnten. Ein maskierter Mörder mit Kettensäge verliebt sich in einen Zombie, oder… hä? Ne.

„Alles klar, mehr sag ich nicht. Einem Mädchen, das hinterm Mond lebt, kann ich nicht helfen.“

„Heeey, was heißt hier hinterm Mond? Ich informiere mich über Tagesnachrichten und kann zu jedem Problem, das du dir nur vorstellen kannst, einen Rat geben.“

„Da ist was Wahres dran. Vielleicht solltest du dir in deinen Hilfeforen mal einen Rat holen, anstatt immer nur welche zu geben!“,

prustete er und sah danach ertappt zu mir, denn von diesem Hobby hatte ich ihm nie erzählt, nur einer anderen Person. Er musste es von IHR erfahren haben. Ich hatte mich um eine gute Stimmung bemüht, aber die Erinnerung an sie versetzte mir einen Stich ins Herz. Selbst unzufrieden mit seiner Äußerung, stand Alex von meinem Bett auf.

„Ich weiß das, weil ich… Das war blöd von mir, sorry. Zieh dich jetzt bitte an! Ich will nicht zu spät zur ersten Einheit kommen!“

Moment? Erste Einheit?

„Du machst wohl Witze! Ich hab Kopfschmerzen. Ich wollte dich aus meinem Zimmer schmeißen und mich nochmal hinlegen!“

„Nix da, du bist hier zum Studieren, nicht zum Party machen!“

Tja, da war ich wohl abgeblitzt, denn er schleifte mich, ohne Rücksicht auf Verluste, zu unserer ersten Rechtsvorlesung. In der ersten Woche war das Modul ausgefallen, wofür wir den Grund nicht kannten. Vielleicht war Alex so sehr auf einen guten ersten Eindruck bedacht wie ich üblicherweise, allerdings war ich nicht wirklich vorzeigbar und wollte mich lieber verkriechen. Zudem schmerzte mir das Herz ganz fürchterlich, denn seine Worte, er würde mich auf Befehl töten, hallten in mir nach. Ihm lag gar nichts an mir. Das alles war nur Show, wie bei meinen Eltern.
 

Da ich zu sehr trödelte, schlugen wir erst auf, nachdem der Dozent schon begonnen hatte. Unsere etwas dezimierten, aber dennoch zahlreich anwesenden Kommilitonen stellten sich gerade der Reihe nach vor. Es war schade, das verpasst zu haben, denn so konnte man immer noch etwas Neues erfahren.

Alex, der vor mir lief, verdeckte beim Eintreten den unbekannten Dozenten, doch als er in den Saal hinein beiseite trat, schlief mir augenblicklich das Gesicht ein. Diesen wilden, goldblonden Schopf kannte ich nur zu gut. Der elegante Mann trug einen eher legeren Anzug, in dem er trotzdem toll aussah, aber er konnte eigentlich auch alles tragen.

„Herzlich willkommen in meiner Vorlesung, ihr zwei Schlafmützen. Da ihr mich schon kennt und ich euch, braucht ihr euch nicht vorzustellen“,

sagte er amüsiert lächelnd.

„Rova!? Was- was willst du hier?“,

platze es ungewollt aus mir heraus, was natürlich wildes Getuschel im Saal ausbrechen ließ. Ich wollte nicht glauben, was ich da sah, denn genau das hatte er mir angedroht! Er konnte es wirklich nicht sein lassen.

„Da dein Kommentar für Unruhe sorgt, Lyz, erkläre ich es deinen Kommilitonen schnell. Wie ich schon sagte, bin ich stellvertretender Geschäftsführer des 'Sozial Orientierten Lebenshilfe Vereins' und diese beiden jungen Herrschaften hier, sind Mitglieder des Vereins.“

Ja, klasse! Jetzt stellte er mich auch noch als Mitglied vor. Ganz offensichtlich stand er zu seinem Wort, schließlich hatte er mir angedroht, meinen Austrittsantrag abzulehnen, wenn ich ihm nicht sagte, was er zukünftig für mich sein sollte, tja und das hatte ich nicht.

Nun war er mein Dozent geworden UND mein Chef geblieben. Eigentlich hatte ich nicht vor, noch an SOLV Veranstaltungen teilzunehmen, weil ich nicht mehr unter die Augen der anderen Mitglieder treten wollte. Leider hatte ich da aber offenbar kein Mitspracherecht. Rovas Zuweisung war bindend für mich, denn nur er hatte die Macht, mich zu beschützen. Egal was da käme, ich würde mich seinem Willen beugen müssen, damit er nicht mit der Wahrheit zur Polizei ging. Dass er den Spieß so umdrehen musste, fand ich wirklich link. Wenn er mich verstehen würde, hätte er mich einfach in Ruhe gelassen, bis ich die ganze Sache verarbeitet hatte.

Rova schmunzelte und sprach dann weiter:

„Und da wir gerade beim Thema sind, vergesst nicht, nächste Woche in der Mensa fleißig Blut zu spenden. Blutspenden rettet Leben! So, die Unterbrechung war lang genug. Wir machen weiter, wo wir aufgehört haben. Zuletzt war Frau Langscheidt, die junge Frau in dem grünen Kapuzenpulli dran. Also dann jetzt der junge Herr zu Ihrer Linken.“

Der Student stellte sich vor und Rova begann im Anschluss mit seiner Vorlesung im Modul „Recht I“. Er nutzte keine Vortragsfolien, sondern schrieb meist ein Wort oder ein paar Paragraphen an das Whiteboard und erzählte dazu ein, zwei spannende Fallbeispiele. Er sprach völlig frei, bezog seine Zuhörer aktiv mit ein und so wunderte es mich nicht, dass ihm jeder im Raum an den Lippen klebte. Er konnte so etwas unmöglich zum ersten Mal gemacht haben, so souverän wie er vor uns stand.

Dabei meinte er noch, er habe eine medizinische Ausbildung und nun kannte er sich blendend mit unserem Rechtssystem aus. Schon wieder gab er mir neue Rätsel auf. Wieso musste er auch unbedingt noch den Gastdozenten spielen, obwohl er mir doch schon Alex auf den Hals gehetzt hatte?

Es war schlimm, wie leicht es ihm fiel, mich mit seiner bloßen Erscheinung um den Finger zu wickeln. Ich hatte schon wieder verdrängt, wie ästhetisch ich ihn fand. Gern hätte ich die Augen geschlossen, um nur seiner schönen, warmen Stimme zu lauschen, aber dann hätte ich vielleicht eine seiner eleganten Bewegungen verpasst, was schade gewesen wäre. Oft streifte mich während der Vorlesung einer seiner zärtlichen Blicke, die ich aus meiner Sicht absolut nicht wert war.
 

Nach Abschluss seiner drei Einheiten bat er Alex und mich nach vorn, angeblich um die Spendenaktion vorzubereiten, auf die er an dieser Stelle gleich noch einmal hinwies. Während wir unsere Sachen zusammenpackten, konnte ich zwei junge Frauen unfreiwillig dabei belauschen, wie sie sich miteinander über unseren neuen Dozenten unterhielten.

„Ich muss unbedingt in diesen Verein. Herr Doktor Lucard soll mich auch am Ende des Unterrichts zu sich bestellen. Hab schon im Netz nach Bildern von ihm gesucht und jetzt ein neues Hintergrundbild~“,

sang sie heiter. Die andere schaute etwas ernster, war aber nicht weniger angetan.

„Chrissi, du zeigst hier ganz neue Seiten von dir! Haha, aber wenn du beitrittst, mach ich das auch! Ihm würde ich am liebsten Mal im Dunkeln begegnen!“

Ach du meine Güte, waren diese Hühner pubertär und völlig unreflektiert. Sie kannten Rova nicht mal. Nur weil er gut aussah, musste man sich doch nicht so anbiedern. Sowas konnte ich gar nicht leiden. Alex musste mir meine Abscheu angesehen haben. Er beugte sich so vor mich, dass ich meine Tasche nicht mehr weiter einräumen konnte und fragte grinsend:

„Hehe, eifersüchtig, Prinzesschen?“

Als ob! Ich ignorierte ihn einfach und ging an ihm vorbei nach vorn ans Pult, vor dem der „Herr Doktor“ schon auf uns wartete. Er freute sich sichtlich, mich zu sehen, denn er strahlte mich regelrecht an.

„Lyz, ich bin so froh, dass es dir gut geht. Ich habe schon von dem Vorfall letzte Nacht gehört und weitere Vorkehrungen getroffen. Es wird sich nicht noch einmal wiederholen. Ich habe dir doch versprochen, auf dich aufzupassen.“

Danach wandte er sich an Alex.

„Das war saubere Arbeit, Alexander. Peter wird sie nicht noch einmal angreifen können. Hoffen wir, dass jetzt Ruhe eingekehrt, aber bleib weiterhin wachsam!“

Zu diesem Input fielen mir bestimmt hundert Fragen ein, zum Beispiel, was genau mit Peter passiert war, oder wieso sich Rova nun doch dazu entschlossen hatte, mich auch als Dozent heimzusuchen. Hach, es war wie verhext, denn kaum stand er vor mir, lähmte es mir die Zunge. Nichts von dem, was ich sagen wollte, brachte ich heraus und meine Knie wurden weich vor Angst. Wie ein kleines Mädchen stand ich da und sah ihn einfach nur schüchtern an. So schlimm, wie an diesem Tag, war es schon lange nicht mehr. Dabei hatte ich gedacht, ich hätte mich so langsam im Griff.
 

Rova bat mich, ihm in sein neues Arbeitszimmer zu folgen, das sich nur zwei Stockwerke über uns befand. Alexander nahm draußen Stellung, während Rova und ich das überraschend geräumige Büro betraten. Was musste man machen, um als Gastdozent einen solchen Raum zugeteilt zu bekommen? Dieses Zimmer stand doch nie und nimmer leer. Tatsächlich war an seinem Namensschild „Dr. jur., Dr. med., Dr. rer. nat. Robert-Valentin Lucard“ zu lesen, was ich für einen schlechten Scherz hielt. Musste er es mit seinen gefälschten Titeln denn wirklich so übertreiben? So viele konnte er in seinem Alter noch gar nicht haben und das machte ihn unglaubwürdig, toll vorbereitete Vorlesung hin oder her. Er war offenbar nicht nur ein guter Lügner, sondern auch noch ein Betrüger. Wie hätte er sonst so viele Abschlüsse nachweisen können?

Ich setzte mich ihm an seinem Schreibtisch gegenüber auf einen etwas wackelig aussehenden Drehstuhl, der wahrscheinlich in einem der Computerkabinette einmal übriggeblieben war. Nervös drehte ich mich darauf immer wieder hin und her und betrachtete ein SOLV Werbeplakat, das er an der Wand zwischen typischen, unaufregenden Büromöbeln angebracht hatte.

„SOLV- Wir sind die Lösung“, stand in großen weißen Lettern auf einem Foto mit einer kitschig fröhlichen Standardfamilie darauf, die im Grünen miteinander spielte. Der Verein war die Losung. Gut, aber wofür? Das klang wie ein Werbespruch der Zeugen Jehovas, die ins Paradies einluden. Ich runzelte die Stirn unbeabsichtigt ganz leicht, was sofort von Rovas aufmerksamen Augen bemerkt wurde.

„Unsere neue Plakatkampagne. Nicht gut?“

Zwickmühle! Ich atmete tief ein, doch das reichte ihm schon, um das Poster von der Wand zu reißen. Danach zerknüllte er es und setzte sich vor mich an seinen grauen Schreibtisch.

„Ich lasse die Auflage einstampfen. Welche Gedanken kommen dir denn, wenn du an den Verein denkst?“

Oje…

„Vielleicht, … SOLV-Mitarbeiter, die Freude daran haben, anderen zu helfen? Das war es, was mich motiviert hat.“

Rova sah mich vollkommen entgeistert an. Ich musste das Dümmste gesagt haben, das er je gehört hatte.

„Lyz, das ist perfekt!“,

rief er überraschend, stand dabei wieder von seinem Stuhl auf und kam um den Tisch herum. Er lehnte sich neben mich an die Tischplatte, lächelte auffordernd zu mir herab und schmiss danach seine Ideen dazu in den Raum.

„Es wird eine ganze Flut neuer Spender heran spülen, wenn wir dich dabei ablichten, wie du einem jungen Mann die Hand hältst, während er sich tapfer von uns anzapfen lässt. 'SOLV- Hilfe zahlt sich aus'!“

Vielleicht war das besser, aber hatte er da gerade „dich“ gesagt? ICH sollte auf seine Plakate? Das wurde ja immer schöner. Hätte ich doch meinen Mund gehalten... Ich sank langsam immer weiter auf diesem klapprigen Stuhl in mich zusammen, der dabei quietschte.

„Lyz, wie geht es dir? Hattest du heute Angst davor, nach draußen zu gehen?“,

erkundigte er sich besorgt. Vor ihm konnte ich offenbar gar nichts verbergen.

„Alles gut. Alex beschützt mich doch. Ich hab auch nicht viel mitbekommen, ehrlich gesagt, weil er mich so schnell ins Studentenwohnheim geschickt hat.“

Er ließ ein paar Finger über eine meiner Haarsträhnen gleiten. Ich wehrte es nicht ab, denn immer wenn er so etwas tat, schlug mein Herz automatisch etwas schneller. Ich mochte seine Nähe, auch wenn sie mich gleichzeitig stresste.

„Sieh mich mal an, Liebes.“

Diese Sanftheit war einfach schön. Ich hob meinen Kopf an, während er sich zu mir nach unten beugte.

„Nicht Alexander beschützt dich, sondern ich, nur leider kann ich nicht immer so für dich da sein, wie du es verdienst. In meiner Position trage ich große Verantwortung, verstehst du?“

Nun, eigentlich nicht. Gar nichts verstand ich. Wie viele Jobs hatte er überhaupt? Was genau war er für Alex? Was… war er für mich?

„Lyz? Lyz, was hast du auf dem Herzen?“,

fragte er eindringlich, da er zu spüren schien, wie aufgewühlt ich war. Leider brachte ich rein gar nichts über die Lippen, was ein betretenes Schweigen nach sich zog. Neben dem in meinem Kopf rauschenden Blut, hörte ich noch die von der Tür gedämpften Stimmen vorbeilaufender Leute auf dem Gang, als mir stumm eine einzelne Träne die Wange herunter rollte. Dieses verräterische Tröpfchen hätte sich doch noch gedulden können, bis ich wieder allein war.

Rova stoppte die Träne mit seinem Daumen, den er danach sanft über meine Wange wischte. An einer Armlehne drehte er meinen Stuhl noch etwas weiter zu sich. Er legte eine Hand auf meinen Hinterkopf ab und zog mich in seine Arme hinein. Ich trug so viel mit mir herum, doch niemals nahm mich mal jemand tröstend in den Arm.

Durch seine Wärme spürte ich erst, wie mitgenommen ich war. Sie brachte meine Fassade zum Einstürzen und beförderte meine tiefe Trauer ans Tageslicht. Für meine Tränen gab es nun kein Halten mehr. Dieser Mann gab mir so viel, dabei wollte ich das doch gar nicht.

„Lyz, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr es mich schmerzt, dich so zu sehen. Was belastet dich so sehr?“,

hauchte er zu mir herab. Ich presste mein Gesicht an sein blaues Sakko und sah mich nicht imstande, ihm zu antworten, jedenfalls nicht gleich. Mein emotionaler Ausbruch entstand aus einer Mischung aus Trauer über all das, was passiert war und Freude über seine Besorgnis. Es interessierte ihn, wie es mir ging. Es gab nichts Größeres für mich.

Ich brauche etwas Zeit, bis ich schließlich leise wimmerte:

„Man hasst mich. Alle hassen sie mich!“

„Wer hasst dich, Lyz?“

„Alle, der ganze SOLV, Peter, Alex und wahrscheinlich auch du, wenn du ehrlich bist.“

Er drückte noch fester zu.

„Wenn ich dich hassen würde, hätte ich dich dann im Arm? Und Alex hat dich gestern mit vollem Einsatz beschützt, also hasst er dich auch nicht.“

„Weil du es befohlen hast... Er hat mir gesagt, dass er nur Anweisungen befolgt“,

entkräftete ich. Rova ließ daraufhin locker, fasste mich an den Schultern und versuchte mich anzusehen, doch ich senkte meinen Kopf so weit herab, dass meine offenen Haare mein Gesicht verdeckten.

„Das bedeutet nicht, dass er dich hasst. Peter war der Einzige, der so empfand, doch vor ihm brauchst du dich nicht mehr zu fürchten. Es gibt jetzt nur noch uns drei, die Kenntnis davon haben, was in Wahrheit passiert ist. Wenn du es also nicht aussprichst, wird niemals jemand etwas davon erfahren.“

Überrascht strich ich mir eine Strähne hinters Ohr und sah Rova an. Da war wieder dieser Blick von ihm, der mich über die dunkelsten Stunden gerettet hatte. Außer uns wusste also niemand etwas. Das bedeutete, er hatte sogar seine Familie für mich angelogen, unglaublich. Wieso war ich ihm nur so wichtig?

Da mir die Nase lief, drehte ich mich notgedrungen von ihm weg, um ein Taschentuch herauszusuchen. Er richtete sich vor mir auf und sagte zärtlich:

„Egal um was es geht, wenn du traurig bist oder Hilfe brauchst, dann ruf mich an, ja, Liebes? Dann komme ich zu dir.“

Ich erinnerte mich daran, dass Sebastian fast dasselbe, nur ein paar Stunden zuvor, zu mir gesagt hatte und es irritierte mich ein wenig. Eigenartiger Zufall… Meine Gefühle für Rova wurden immer stärker und doch traute ich ihm kein Stück über den Weg. Vielleicht war aber auch genau das mein Fehler. Mich Rova zu widersetzen hatte nur Unglück über uns alle gebracht. Unglück… im Gegensatz zum Glück, fiel es mir leicht, das Unglück zu definieren. Tja, was sagte das wohl über mich aus?

„Okay, mach ich. Danke“,

bestätigte ich schließlich. Er geleitete mich hinaus und überließ mich wieder seinem Gefolgsmann Alex. Ohne ein einziges Wort zu meinen offensichtlich glasigen Augen und meinen wahrscheinlich geröteten Wangen, begleitete er mich nach Hause. Wenn es darauf ankam, konnte er also auch sensibel und rücksichtsvoll sein, nicht nur ein fieser Kerl, der sich über alles und jeden lustig machte.

An meiner Zimmertür erklärte mir Alex, ich brauche das Licht nicht wieder über Nacht einzuschalten. Ich bestätige, dabei hatte ich nicht einmal den gewünschten Effekt dieser Maßnahme verstanden. Vielleicht sollte es zeigen, dass ich noch nicht schlief…? Oder ich hörte auf zu raten und fragte einfach.

„Wieso sollte ich es überhaupt anlassen?“

Alex zuckte mit den Schultern.

„Weil es den Angreifer blenden soll. Wenn du aus 'nem dunklen Raum in einen sehr hellen kommst, siehst du erstmal nix. War nicht meine Idee.“

Okay, das war banal, aber vielleicht gar nicht mal so dumm. Damit gab ich mich zufrieden.
 

Auch ohne Flutlicht gestaltete sich die Nacht nicht einfach für mich, so viele Bilder wie mir immer noch im Kopf herum spukten. Ich fragte mich, was mit Peter passiert war. Ob ich Alex fragen konnte, was er mit ihm gemacht hatte? Wohl kaum… Dieser ganze SOLV kam mir inzwischen mehr als verdächtig vor. Diese Strukturen und Rovas Position ließen mich an eine Sekte denken oder organisiertes Verbrechen. Dieser exzentrische, goldblonde Mann verhielt sich doch eher wie ein Guru oder Mafiaboss als wie ein normaler Chef. Alex behandelte er wie einen Leibeigenen und mich ließ er nicht mehr aus dem Verein austreten. Dann war da noch dieser Prinzentitel und Rovas viele Doktortitel.

Alex' Verweis auf Horrorfilme half mir da überhaupt nicht weiter. Vielleicht wollte er damit andeuten, dass Rova ein bisschen was Psychotisches an sich hatte. Dann hätte er aber wohl kaum gesagt, er würde alles für ihn tun. Hm, es sei denn, er hatte ihn genauso in der Hand wie mich. Mann, diese wilden Vermutungen brachten mich auch nicht weiter. Schlaftrunken nahm ich mein Handy und schreib an Alex:

„Ist der SOLV wirklich nur ein Verein?“

Ich starrte wie gebannt auf das leuchtende Display. Es verschwamm immer wieder vor meinen Augen, doch dann erschien das kleine Gelesen- Häkchen dahinter. Mit seiner Antwort ließ Alex allerdings auf sich warten. Die Minuten verstrichen, in denen ich das Gerät immer wieder ablegte, um es doch sofort wieder in die Hand zu nehmen. Er schrieb, das meldete die App zurück, sendete es aber nicht. Dieser Kerl machte mich noch verrückt. Erst nach geschlagenen 21 Minuten kam seine Antwort.

„Stell Rova deine Fragen!“

Ja toll, danke für nichts. Erst spannend machen und dann doch nichts verraten. Enttäuscht legte ich das Handy beiseite und sank in mich zusammen. Bis vor dem Vorfall hatte ich geglaubt, er wäre mir ein Freund und nun war alles dahin. Wieso musste er nur behaupten, ich sei nur ein Befehl, ein Auftrag für ihn? Das tat so weh, dass sich mein Magen schon wieder krampfte. Dieser Arsch! Dabei hatte ich gedacht, er könne mich von allen am besten verstehen. Ich musste der Tatsache ins Auge blicken. Ich war noch genauso einsam wie früher. Das Herz ausschalten und einfach weiterleben, was anderes blieb mir nicht übrig. Ich wusste, wie das ging, … aber… ich wollte es nicht mehr.
 

Erst nach ein paar Tagen kam mir der Gedanke, dass ich Alex' Freundschaft, über seinen blöden Auftrag hinaus, vielleicht trotzdem gewinnen konnte. Er machte überhaupt keinen verlogenen Eindruck, wenn er mich so schief angrinste. Was, wenn er nur überreagiert hatte? Es war zu lustig mit ihm, als neben ihm Trübsal blasen zu können.

Ohne, dass wir große Fortschritte machten, verstrichen ein paar Wochen, doch dann trafen wir auf jemanden, der mir meine Situation erneut vergegenwärtigte, meinen Ex Freund Mick. Das war jener gutaussehende Kerl, der mir beigebracht hatte, so wenig wie möglich über mein Elternhaus preiszugeben. Ich begegnete ihm beim Einkaufen, einer der wenigen Momente außer Haus, den ich allein sein durfte. Außer beim Mittagessen ließ mich Alex ja nie aus den Augen. Mick war inzwischen Geschäftsmann, stand aber noch am Anfang seiner Karriereleiter, die er mit Leichtigkeit erklimmen würde, so ein rücksichtsloser Rüpel, wie er war. Alex wartete vor dem Supermarkt auf mich und ging, wie zu erwarten, sofort auf meinen Ex los, dem er nach einer Provokation sogar ins Gesicht schlug. Er machte seinen Job als Aufpasser viel zu gut, denn Mick flüchtete danach über alle Berge. Rovas Schutz war ein Käfig, das wurde mir erst durch dieses Erlebnis so richtig bewusst.
 

Ich arrangierte mich damit, denn immerhin war Alex' Gegenwart so angenehm, dass ich über vieles hinwegsehen konnte. Mir fielen auch keine echten Alternativen ein. Es gab aber auch Zeiten, zu denen sich Alex mehr als merkwürdig verhielt. Wie sein Wutausbruch nach der Party, bei dem er mich „dumme Kuh“ genannt hatte, vermuten ließ, empfand Alex auch negative Emotionen für mich. Verrückterweise brachen diese immer in Phasen aus, in denen er mich kaum ansah. Dann verheilt er sich distanziert, wurde wortkarg und lachte auch nicht mehr. Zeitweise vermutete ich, dass in ihm noch eine andere Persönlichkeit wohnte, die seinen Job und mich nicht ertragen konnte. Ich erkannte ihn an diesen speziellen Tagen kaum wieder, doch ebenso schnell, wie seine Launen kamen, gingen sie auch wieder. Aus Angst, damit eine solche Phase auszulösen, fragte ich lieber nicht nach. Ich befürchte, sie waren Ausdruck seines tief in ihm brodelnden Hasses auf mich.

Kapier es endlich!

Wenn ich von den Zeiten einmal absah, in denen sich Alex vollkommen in sich zurückzog, oder anders gesagt, sich wie ein absoluter Arsch verhielt, lief unsere Freundschaft super. Er hatte Filme als DIE große Bildungslücke bei mir ausgemacht, welche er meinte, unbedingt beheben zu müssen.

In der Adventszeit klopfte Alex nachmittags oft an meine Tür und wir schauten uns dann irgendwelche Blockbuster auf Amazon Prime an. Ich hatte mir dafür extra einen Studenten Account besorgt. „Pulp Fiction“, „Doom“ und „Stirb Langsam“ waren die ersten drei Filme, die wir sahen. Danach beäugte er mich erwartungsvoll und fragte, welchen ich am liebsten mochte. Er schien einen klaren Favoriten zu haben, den er mir aber nicht verraten wollte. Wie gern ich ihm meine Antwort auch auf den Leib schneidern wollte, ließ er nichts durchsickern. Für ihn war das ein Zeichen, einfach weiterzumachen, bis mich ein Film so richtig vom Hocker reißen würde, eine schöne Idee, die mir entgegenkam.
 

An den Weihnachtsfeiertagen fuhr ich dann nach Hause, doch da meine Eltern bereits ab dem 27. Dezember wieder arbeiten gingen, verbrachte ich den Rest der vorlesungsfreien Zeit damit, einen Beleg für Rovas Modul „Recht I“ zu erarbeiten und mich auf die Prüfungen vorzubereiten, obwohl diese erst Ende Januar anstanden. Sebastian war zu Hause in Linz und sogar das Studentenwohnheim glich einem Geisterhaus, so ruhig war es.
 

Nachdem wir vor Weihnachten schon viel Zeit miteinander verbracht hatten, rechnete ich natürlich damit, dass Alex auch am Nachmittag des 31. bei mir klopfen würde, um gemeinsam mit mir Silvester zu feiern. Meine Konstitution war nicht gerade die Beste, hatte doch in der Nacht zuvor meine verspätete Regelblutung eingesetzt, die mir krampfartige Schmerzen bereitete. Verkriechen wollte ich mich trotzdem nicht. Ich warf einfach eine Schmerztablette ein und wartete auf ihn, doch Alex erschien nicht. Das war bis zu diesem Zeitpunkt noch nie passiert. Zuverlässigkeit war immerhin eine seiner größten Stärken.

Ich beschloss, den Spieß umzudrehen und bei ihm zu Klopfen.

Nur einen Spalt breit öffnete er mir die Tür. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich den Mumm hatte, ihn zu besuchen, denn er war weder gekämmt noch ordentlich angezogen. Halbnackt, nur mit einer Jogginghose bekleidet, stand er da und ein eisiger Wind wehte mir aus seinem Zimmer entgegen. Ich hatte diesen Raum noch nie gesehen und versuchte vergeblich an diesem ungezogenen Kerl vorbeizuschauen. Ein wenig lag das aber auch daran, dass sein Körper meinen Blick ablenkte, denn er war deutlich besser gebaut, als ich vermutet hatte und mit offenen Haaren sah ich Alex auch zum ersten Mal. Das schwarze Perlenarmband, das er stets an seinem linken Handgelenk trug, rundete seine Erscheinung erstaunlich gut ab...

„Sorry Lyz, aber ich fühle mich nicht so gut. Wir lassen es heute ausfallen“,

stöhnte er mir monoton entgegen, als wolle er mich am liebsten sofort wieder loswerden. Das passte mir so gar nicht, hatte ich doch extra für ihn eine Tablette genommen.

„Ich glaub, ich höre schlecht! Heute ist Silvester. Da will ich nicht wegen dir alleine rumsitzen!“

Er seufzte, als sei er vollkommen überfordert mit mir. Es musste sich um einen dieser Tage handeln, an denen er sich veränderte. Das war die Gelegenheit, herauszufinden, warum er sich so launisch verhielt.

„Bittest du mich nun endlich mal rein, oder kommst du mit rüber?“

Ohne ein Wort zu sagen, ging er in sein Zimmer hinein. Er ließ die Tür offenstehen, was wohl hieß, ich dürfe eintreten. Neugierig sah ich mich um und wunderte mich nicht, warum er immer mich besuchte. Er hatte die vorgefertigte Möblierung aus Pressspan nicht das kleinste bisschen personalisiert. Kein „Metallica“ Poster oder ähnliches war hier zu finden. Da lagen nur ein paar Klamotten auf dem Boden und das dunkelgrau bezogene Bett war unordentlich.

Alex bemerkte, dass ich fröstelte, schloss das Fenster und lehnte sich dann an den Schreibtisch, der davor stand. Gegen sein Zimmer war der Hausflur noch die reinste Sauna gewesen, so eisig war es bei ihm und doch trug Alexander nicht einmal ein Oberteil. Er verhielt sich wirklich seltsam.

Da dieser Raum genauso aufgebaut war wie meiner, setzte ich mich auf sein ungemachtes Bett. Das hatte er auch bei mir getan und konnte er gern als Retourkutsche verstehen. Alex schwieg, beobachtete mich unzufrieden und legte dann eine Hand vor seinen Mund.
 

„Wollen wir was gucken? Oder magst du mir erzählen, was mit dir los ist?“,

fragte ich absichtlich aufgesetzt fröhlich.

„Wie erträgst du dich eigentlich selbst?“,

warf er mir hart als Gegenfrage entgegen, ohne die Hand aus dem Gesicht zu nehmen. Für den normalen Alex wäre das völlig üblicher Sarkasmus gewesen, doch dieser hier meinte es ernst. Er wendete den Blick von mir ab und fuhr emotionslos fort:

„Deine falsche Fröhlichkeit macht mich krank und jetzt musst du dich mir auch noch so aufdrängen wie ein streunendes Tier, bei dem man den Fehler gemacht hat, es einmal zu Füttern.“

Das war gemein und mehr als ich ertragen konnte.

„Dann sag doch einfach mal, was los ist! Hast du deine Tage, oder sowas?“

„Tss, ne, aber du“,

schnaubte er karg, leicht nach vorn gebeugt und nun wieder zu mir schauend, mit einem starren eigenartigen Blick, den ich bei ihm noch nie gesehen hatte. Seine Hand beließ er noch immer vor dem Mund und ich bildete mir ein, dass sie begann zu zittern.

Wie konnte er von meiner Regelblutung wissen? Zögerlich sprach ich diese Frage aus, doch er reagierte gar nicht darauf, sondern starrte mich einfach nur weiter an. Das wurde mir langsam unheimlich.

„Irgendwas stimmt doch nicht mir dir. Ich erkenne dich ja gar nicht wieder.“

„Heute ist Vollmond, Prinzesschen und dann blutest du auch noch mein Zimmer voll. Hast du auch nur den leisesten Schimmer, wie scheiße es mir deshalb geht?“,

schnauzte er mich an, doch ich verstand nicht, was er damit sagen wollte. Ich schüttelte den Kopf und überlegte, ob seine schlechte Laune mit diesen Ereignissen zusammengefallen sein konnte. Er ging zu seiner Tasche, wühlte kurz darin herum und nahm sein Handy heraus. Nachdem er mit zitternden Händen eine kurze Nachricht getippt hatte, legte er es wieder zurück, erhob sich und machte da weiter, wo er zuvor aufgehört hatte.

„Ich sag dir jetzt mal was. Ich habe keine Lust mehr, Rovas Clown zu spielen. Weißt du eigentlich, was für ein altkluger Rotzbengel er ist? Vor kleinen Mädchen wie dir lässt er den großen Macker raushängen, aber hinter den Kulissen, hah! Unsicher wie ein Kind, aber will der Spross des Grafen sein?“

„Verhält er sich anders, wenn ich weg bin? Warte, er ist der Sohn eines Grafen? Alex, warum erzählst du mir das alles so plötzlich?“

Er entschied sich zwar dafür, Fragen zu beantworten, aber nicht unbedingt jene, die ich gerade gestellt hatte.

„Ich kapier das nicht. Du musst das doch merken. Merken, dass wir vom SOLV anders sind. Du willst wissen, was für eine Organisation wir sind? Unser früherer Name lautete 'Society Of Loyal Vampires' oder besser gesagt, die Loyale Vampirgesellschaft und du bist Rovas Braut, im Grunde also schon ein Teil von uns und weißt es nicht mal. Das gibt‘s doch nicht. Ich hab genug von diesem hirnrissigen Schauspiel.“

„Vampire…?“,

wiederholte ich ungläubig mit dünner Stimme. Was erzählte er da für Märchen? Oder hatte ich doch richtig gelegen mit meiner Vermutung darüber, dass der SOLV eine Sekte war, vielleicht so eine Art Vampir-Rollenspiel-Sekte mit Rova als Vampirguru in ihrer Mitte? Ich stellte sie mir nun wie eine Mischung aus einem LARP und Okkultisten vor.

Ich hatte keine Zeit mehr, weiter darüber nachzudenken, denn in diesem Moment schloss Rova die Zimmertür auf und knallte sie schwungvoll hinter sich zurück ins Schloss. Der von der Tür verursachte Windzug ließ dabei seinen dunkelblauen Mantel wehen. Geschockt krallte ich meine Finger instinktiv in Alexanders Bettlaken. Diese ganze Situation überforderte mich so langsam. Was ging hier eigentlich ab? Am besten war, ich verhielt mich so unauffällig wie möglich, denn zwischen den beiden Männern zog eine gewaltige Gewitterfront auf.

„Wieviel hast du ihr erzählt?“,

fragte Rova schroff an Alex gerichtet. Zur Antwort strich sich dieser durchs wilde, schwarze Haar und lachte:

„nur, dass du ein altkluger Vampiradelsspross bist“,

was Rova dazu brachte, schief zu grinsen.

„Bei Vollmond wirst du ja ganz schön zynisch. Das musst du dir unbedingt abgewöhnen.“

Er drehte sich zu meiner verängstigten Gestalt, sah wehleidig zu mir herab und hauchte in einer ganz anderen, warmen Tonlage:

„Oh Lyz, ich hatte mir so gewünscht, dir alles selbst zu erzählen, aber du hast nie gefragt. Das habe ich immer sehr bedauert. Heute wird es schwierig für dich mit uns beiden, wenn ich deinen Zustand bedenke. Weißt du, meine Rose, es gibt keinen schlechteren Zeitpunkt zwei Vampiren zu begegnen, als an Vollmond und wenn du einen derart delikaten Blutgeruch absonderst.“
 

Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Woher konnte auch Rova davon wissen? Das war mir wirklich unangenehm, obwohl ich mich doch eigentlich nicht für meine Weiblichkeit schämen müsste.

Ganz davon abgesehen, dass es aus irgendeinem Grund offensichtlich zu sein schien, dass ich menstruierte, versuchte mein Verstand nach irgendeiner plausiblen Erklärung für all das zu suchen. Vampire,… das waren Fantasiegestalten. So etwas gab es in der realen Welt nicht und wenn doch, wären sie wohl kaum unerkannt geblieben. Sicher wollten mir die beiden nur Angst einjagen und verwechselten Silvester mit Halloween. Ein so perfider Streich passte in mein Bild von Alex. Rova konnte ich nicht einschätzen, weshalb ich ihm auch alles zutraute.

Der einschüchternde goldblonde Mann zog seinen Mantel aus und warf ihn auf die Küchenzeile, auf der schon andere schwarze Kleidungsstücke von Alexander lagen. Dann kam er sanft lächelnd auf mich zu und setzte sich zu mir auf das Bett, wobei ich ein Stück von ihm wegrutschte. Am liebsten wollte ich einfach nur noch weg von den beiden, einfach raus aus dieser Situation.

„Sei unbesorgt, Lyz. Auch wenn du jetzt weißt, was wir sind, haben wir uns nicht verändert. Ich werde dich auch weiterhin beschützen“,

hauchte er sanft und strich mir über den Arm. Gänsehautalarm!

„Was bedrückt dich denn noch, Liebes?“

fragte er, wahrscheinlich, weil ich mich von ihm ganz leicht weggedreht hatte. Erst als ich nicht antwortete, weil mir jedes Wort im Hals stecken blieb, kam die erneute Nachfrage mit Nachdruck.

„Ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nicht sagst, was los ist.“

„Lass sie doch! Da kommt nix mehr“,

warf Alex arrogant klingend in den Raum, worauf ihn Rova rügte:

„Wenn du mich nochmal so respektlos von der Seite ansprichst, streiche ich dir den 'UV-Blocker'.“

Danach war Alex ruhig.
 

Unter großem Druck versuchte ich herauszufinden, wie ich reagieren sollte. Immer weiter sank ich in mich zusammen, weil ich nicht wusste, was Rova eigentlich von mir erwartete, ja nicht einmal, was er von mir wollte. Wie konnte ich ihn nur zufrieden stimmen, damit er mich wieder in Ruhe ließ? Sollte ich vielleicht auf das Rollenspiel einsteigen? Aber als was? Als Opfer, oder seine Braut, wie Alex mich bezeichnet hatte? Das war doch verrückt! Ich musste die Sache anders angehen, vielleicht versuchen, etwas herauszufinden.

Rova beobachtete mich geduldig dabei, wie ich auf der Stelle herumrutschte und mich irgendwie überwand.

„Rova, ich… naja, ich habe eine Frage an dich… schon lange.“

Er lächelte, rückte wieder ein Stück auf und antwortete erfreut:

„Na endlich. Bitte, frag mich alles, was du möchtest. Ich verspreche dir auch, dass ich dich diesmal nicht anlügen werde.“

Das „diesmal“ versuchte ich zu überhören und stellte, kaum hörbar leise, meine Frage:

„Warum ich?... Warum hast du ausgerechnet… Interesse an mir?“

Alex begann düster in sich hineinzulachen. Er war noch immer wie ausgewechselt, was mich fassungslos machte.

„Darf ich es ihr sagen? Bitte, Rova!“,

kicherte er. Das brachte das Fass nun zum Überlaufen, denn sein Chef stand blitzschnell auf, legte die Spitze seines Zeigefingers auf die Brust seines halbnackten Gefolgsmanns, der immer noch am Schreibtisch lehnte und sich sofort nach hinten zurück beugte. Ich dachte ja, mein Pulsschlag sei schon schnell, aber diese aggressive Bewegung auf ihn zu, hatte mich richtig geschockt.

Ich konnte beobachten, wie Rova seinem Angestellten mit dem Fingernagel über den Oberkörper strich. Das sah erst einmal gar nicht so schlimm aus, bis ich bemerkte, dass an der roten schmalen Spur, die er hinterließ, Blut heraustropfte. Ich schnappte nach Luft und drehte mich von den beiden weg. Es war krass, mit welcher Selbstverständlichkeit er Alex verletzte. Ob er mich auch körperlich züchtigen würde, wenn ich nicht so funktionierte, wie er es sich vorstellte? Dagegen war Alex' genervtes Verhalten noch niedlich gewesen. Wo war ich da nur hineingeraten?

„Ich erhalte langsam den Eindruck, du nimmst mich nicht richtig ernst, mein Lieber. Meine Drohung vorhin war übereilt, das stimmt. Wenn ich dir den 'UV-Blocker' streiche, kannst du meine Lyz nicht mehr begleiten, deshalb bin ich heute gnädiger als sonst. Ich werde mir eine andere Bestrafung für dich überlegen“,

fauchte Rova wütend. Was sollte dieser “UV-Blocker“ eigentlich sein? Vielleicht eine Droge, von der Alex abhängig war? Ein momentaner Entzug hätte auch sein enthemmtes Verhalten und die Hitzewallung erklärt.

Nachdem Rova ihm dem Rücken zuwandte, ergänzte er streng:

„Lerne endlich mit dem Rausch umzugehen! Junge Leute wie du ermüden mich.“

Okay, es ging wirklich um Drogen, aber warum dann Rausch, statt Entzug? Das passte alles hinten und vorne nicht zusammen.

Rova sah zu mir, fand sein Lächeln wieder und reichte mir die Hand.

„Lass uns zu dir gehen. Sicherlich ist es bei dir deutlich wärmer und die Gesellschaft ist besser."

Ich spurte. Was blieb mir auch anderes übrig, nachdem ich sah, was passieren konnte, wenn es nicht nach seinem Willen ging? Es kostete viel Kraft, ihm entgegenzukommen, nur leider schaffte ich es nicht, das Zittern meiner eiskalten Hand vor ihm zu verbergen. Sofort legte er sanft seine Zweite auf meine, wodurch seine Wärme in mich einströmte. Ein schönes Gefühl und das, obwohl er damit nur einen Moment zuvor noch seinen Angestellten gezüchtigt hatte.

Alex schien so extrem neben sich zu stehen, dass er nicht einmal für ein paar Minuten den Mund halten konnte. Ich verstand ja, dass er sich körperliche Bestrafung nicht bieten lassen wollte, aber Rova in dieser Situation noch zu provozieren, war sicher nicht besonders klug. Ermattet keuchte er:

„Verdammt, wenn du Sari wenigstens nur ein einziges Mal so angesehen hättest wie dieses eingeschüchterte, naive Mädchen... Sie hat alles für dich getan und ist sogar für dich gestorben. Ist dir das überhaupt klar, undankbarer Idiot!“

Rova richtete sich erneut auf und wendete seinen Kopf zu seinem Angestellten, der sich die Hand auf die blutende Wunde presste. Dass Alexander nun auch mich mit hineinzog, war gemein und fühlte sich für mich wie ein Stich ins Herz an. Recht hatte er trotzdem, denn was er sagte, spiegelte genau meine eigenen Gedanken wider. Ich war überzeugt davon, Sari sei ein viel wertvollerer Mensch gewesen als ich es je sein konnte. Das trieb mir die Tränen in die Augen. An Saris Ende zu denken, war einfach zu viel für mich.

Rova verstand meine Tränen wahrscheinlich falsch, denn seine Drohungen wurden härter.

„Ich werde mich bestimmt nicht vor dir rechtfertigen, Alexander. Lass mich nicht an deiner Loyalität zweifeln, sonst endest du wie dein Freund Peter, hast du das verstanden?“

Da Alex verärgert das Gesicht abwendete, brüllte Rova noch einmal:

„Ob du das verstanden hast, hab ich dich gefragt!“

„Verstanden, Eure Hoheit“,

rief Alex schließlich widerwillig.

Auch wenn ich hundert Fragezeichen vor mir hatte, nachdem Rova nun schon als Prinz, Sohn eines Grafen und Hoheit betitelt wurde, zweifelte ich zumindest nicht mehr an seiner adligen Herkunft.

Kuss der Ignoranz

Ich folgte Rova bis zur Tür. Einen letzten Blick warf ich nach hinten zu Alex, der ziemlich mitgenommen aussah. Er tat mir leid, obwohl er sich selbst erst in diese dumme Lage gebracht hatte. Ich wusste jedoch, dass ihm am besten geholfen war, wenn er nun seine Ruhe hatte.

Seinen auf der Küchenzeile neben der Zimmertür liegenden Mantel nahm Rova an sich und holte einen klimpernden Schlüssel aus der Jackentasche, um damit mein Zimmer aufzusperren. Zu wissen, dass er auch bei mir nach Belieben ein- und ausgehen konnte, war schon merkwürdig, aber überrascht war ich nicht. Immerhin ließ er mich von Alex überwachen, wahrscheinlich damit ich keine Flucht beging, auch wenn er es als Schutz bezeichnete. So dumm, ihm das abzukaufen, war ich nun nicht mehr, nicht nachdem er Alex derart bestraft hatte. Aber mal ehrlich, wo sollte eine dringend Tatverdächtige wie ich denn schon hin? Rova nahm mir die Freiheit nicht, bei näherer Betrachtung schenkte er sie mir.

Schon deshalb gehorchte ich und ging ihm bis in mein Zimmer nach, in dem mir die warme, trockene Heizungsluft den Körper umspielte und mir endlich eine positive Empfindung schenkte. Ich schaltete meine Schreibtischlampe an, setzte mich dann auch hier wieder auf das Bett und nahm mir meine Bettdecke, die ich eng um mich legte. Sie wärmte mich nicht nur, sondern fühlte sich auch wie ein kleiner Schutzpanzer an. Rova verschloss die Tür hinter sich, hing seinen Mantel an meine kleine Garderobe, neben meinen ebenfalls dunkelblauen Wintermantel und setzte sich dann mit etwas Abstand zu mir aufs Bett.

„Ich muss mich für ihn entschuldigen. Er hat sich immer noch nicht unter Kontrolle. Ich hatte gehofft, dass er sich bei dir etwas zusammenreißt, aber da habe ich ihn wohl überschätzt“,

erklärte er, ohne seine Verärgerung über Alex zu verbergen. Jetzt, wo ich mit Rova allein in der Wärme meiner eigenen vier Wände saß, fühlte ich mich etwas besser. Das Unheilvolle, das er vor ein paar Minuten noch ausgestrahlt hatte, war verschwunden, aber mein Gedächtnis funktionierte einwandfrei. Ihm konnte ich nicht vertrauen, keine Sekunde lang, auch wenn es mich fertig machte, wenn mein Herz so positiv auf ihn reagierte wie in diesem Moment.

Da ich schwieg, fragte Rova berechnend lächelnd:

„Hast du eine Idee, wieso seine Reaktion auf dich so heftig ist?“

Er wusste ganz genau, dass ich das alles nicht verstand und auch nicht wahrhaben wollte. Ich schüttelte in einer abgehackten Bewegung schüchtern den Kopf, worauf er begann, noch breiter zu lächeln. Was er danach sagte, fand ich fast schon sadistisch.

„Der Vollmond und der Geruch von Blut wecken unsere niedersten Instinkte. Einer dieser Einflüsse ist verkraftbar, aber sich zu kontrollieren, wenn beide aufeinandertreffen, ist eine große Herausforderung, vor allem für Jungspunde wie ihn. Hast du es ihm nicht angesehen? Er zitterte vor Gier nach dir.“
 

Gier? Nein, hatte ich nicht! Rova beugte sich etwas zu mir hin und strich zart über den Teil der Decke, unter dem sich mein Arm befand, wovor ich zurückzuckte. Sein selbstzufriedenes, düsteres Lächeln behielt er weiterhin bei, als er hauchte:

„Nur seine Loyalität zu mir bewahrte dich davor, von ihm überwältigt zu werden.“

Ich wusste nicht, ob mich seine Aussage bedrohen oder beruhigen sollte. Bei Rova lag das alles so nah beieinander. Was ich wusste, war, dass ich ein weiteres Mal meine Sprache verlor. Seine edle Ausstrahlung schüchterte mich ein und wahrscheinlich wusste er das genau. Mein Versuch, direkten Blickkontakt mit ihm zu meiden, schien ihn irgendwann aber zu verärgern. Er atmete schwer aus, stand auf und lief dann in meinem Zimmer auf und ab. Als ich es wagte, einen Blick auf ihn zu werfen, blieb er unvermittelt stehen und sah mich bohrend an. Mit verschränkten Armen und hörbar enttäuscht schimpfte er:

„Soll das alles sein, was ich von dir erhalte, Lyz? Kein Wort von dir zur Thematik, nur einen scheuen Blick? Wir kennen uns doch jetzt schon eine ganze Weile und du verhältst dich immer noch devot.“

Er schnalzte unzufrieden mit der Zunge, weshalb ich mich leise entschuldigte.

Kaum hatte ich mit dem Satz begonnen, fasste er sich an die Schläfe und lachte verzweifelt in sich hinein.

„Nicht dein Ernst.“

Getroffen fuhr ich in mich zusammen. Wie viele Fehler dieser Art würde er mir wohl durchgehen lassen? Ich wusste leider nicht, was ich besser machen konnte, sonst hätte ich es doch getan. Ich musste versuchen, tief durchzuatmen, denn das Wichtigste war, nicht den Kopf zu verlieren. Dass er meine Furcht nicht wollte, hatte er klar zum Ausdruck gebracht, also musste ich versuchen, diese als erstes abzulegen.

Er hatte, enttäuscht wie er war, kurz geschwiegen, doch gerade in dem Moment, in dem ich meine verschränkte und ablehnende Haltung öffnen wollte, nahm er seine Hand wieder von der Stirn, sah mich offen an und sagte sanft:

„Ehrlich Lyz, wenn du mal meine Frau werden willst, musst du endlich damit aufhören, dich immerzu zu entschuldigen.“

„D-deine…“,

stotterte ich perplex, ohne die Frage zu Ende formulieren zu können. Nachdem es mir gerade noch so kalt war, begann nun Hitze in mir aufzusteigen, nicht wenig wohlgemerkt. Bis in die Zehenspitzen kribbelte es mir. War das Freude über seine Zuneigung? Eigentlich war das gut, denn so brauchte ich mich nicht gegen ihn zu wehren, aber da er es genau darauf angelegt hatte, fühlte es sich an, als sei ich ein billiges Mädchen, das sich leicht beeindrucken ließ. Auf längere Sicht war es jedoch klüger, meinen Stolz beiseite und Rova in mein Herz zu lassen.

Dann seufzte er erneut, wohl weil ich schon wieder keinen ganzen Satz herausbrachte.

„Du hast es wohl immer noch nicht begriffen. Dich aufzubauen ist schwieriger als ich dachte.“

Ich hatte gerade eine Menge zu verarbeiten. Was erwartete er denn? Mein Verstand versuchte zu erfassen, was es bedeuten würde, seine Frau zu werden. Puh, bei der Vorstellung Rova noch näher zu kommen, geriet mein Blut in Wallung. Seinen Kopf auf meinem Schoß liegen gehabt zu haben, war schon hart an der Grenze zu dem, was ich so aushielt.

Da er mich scheinbar fälschlicherweise wieder für aufnahmefähig hielt, setzte er sich erneut zu mir aufs Bett.

„Du musst der Realität langsam ins Auge blicken, Liebes, denn es gibt keine andere mehr für dich. Du scheinst Erlebtes lieber zu verdrängen, als zu verarbeiten. Wahrscheinlich bist du noch von Saris Tod traumatisiert. So eine Tragödie hatte ich nicht vorgesehen… Hast du zumindest meine kleine Notlüge über das Familienfoto durchschaut?“

Ich schüttelte den Kopf, der hochrot sein musste, während ich mir noch immer alle Mühe gab, seinen Aussagen möglichst offen gegenüberzustehen, um nicht alles nur noch schlimmer zu machen. Er erläuterte geduldig weiter:

„Natürlich bin ich selbst auf dem Bild zu sehen, zusammen mit meiner Frau Elisabeth, meinem... Vater, einem meiner beiden Brüder mit seiner Frau und meiner geliebten Schwester. Weißt du, Elisabeth war ein einzigartiges Geschöpf. Sie war voller Energie und sprudelte vor Tatendrang. Leider verstarb sie Ende des Ersten Weltkriegs an einem gescheiterten Forschungsexperiment. Sie hatte ihr Leben lang davon geträumt, sich frei in der Sonne bewegen zu können wie die Menschen. Die Haut der Vampire reagiert generell sensibel auf UV-Strahlung, deshalb konnten wir die schützenden Wände unserer Häuser damals nur an düsteren Tagen oder in der Nacht verlassen. Ein Heilmittel fand ich erst viele Jahre, nachdem ich ihre Forschung fortgeführt hatte. Zu ihrem Tod führte allerdings nicht, wie du jetzt vielleicht vermutest, eine UV-Vergiftung, sondern das damals noch eingesetzte Medikament 'Argentum Colloidale', das sie ihren Probanden verabreichte. Wie giftig dieses Mittel für uns ist, weißt du bereits.“

„Wie makaber“,

hauchte ich, während es mir die Kehle zuschnürte. Da gab es einige Gedanken, die ich vor Rova nicht aussprechen wollte. Dass eine Frau mein Gesicht trug, die Menschenversuche durchgeführt hatte, sie an derselben Todesursache verstarb wie Sari und sein Alter, das er laut seiner Geschichte mindestens haben musste…, das alles war einfach nur makaber.

„Was redest du denn da vom Ersten Weltkrieg, Rova? Du bist doch keine hundert Jahre alt. Tse, so etwas gibt es nicht…, oder hast du ein Medikament entdeckt, mit dem man aufhört, zu…“,

stammelte ich überfordert. Meine Unfähigkeit seine Wahrheit anzunehmen, schien ihn wirklich zu ärgern. Dabei war ich schon froh, überhaupt mal ein paar Gedanken aussprechen zu können. Er packte mich so fest an den Schultern, dass es weh tat und rüttelte mich einmal. Mit aufgerissenen Augen starrte ich ihn geschockt an, während er nun doch noch die Geduld mit mir verlor. Das kam ziemlich plötzlich. Zornig schrie er mich an:

„Wach endlich auf, Lyz! Warum verschließt du dich weiterhin vor der Wahrheit? Mein Vater, Graf Alucard lebt in Siebenbürgen auf Schloss Bran; wir sammeln Blutkonserven, die wir selbst verbrauchen; Sari stirbt durch Silber, das in ihr Blut gelangt und ihre Molekülketten auflöst; Alexander dreht bei Vollmond durch und ich war vorhin selbst dabei, als er dir sagte, wer ich bin. Wie kannst du immer noch leugnen, dass vor dir ein Vampir sitzt?“

Heiße Tränen rannen über meine Wangen, während er sprach, doch sein Griff lockerte sich nicht. Etwas leiser, aber noch genauso aufgebracht, rief er:

„Sag was dazu, Lyz! Du machst mich fertig!“

„Rova, du… du tust mir weh“,

schluchzte ich, worauf er seine Hände lockerte und stattdessen seine Arme um mich legte, als wolle er mich damit trösten, doch diesmal beruhigte es ihn wahrscheinlich mehr als mich. Nur weil er seinem Großvater auf diesem Foto ähnelte und ich seiner Großmutter, musste er mir doch nicht so eine Geschichte auftischen. Alles was er sagte, war einfach nur absurd.

Vampire gab es ebenso wenig wie Feen, rosa Elefanten oder den Osterhasen. Wenn einer zu mir käme und sagen würde, er könne ohne Hilfsmittel fliegen, dann würde ich ihm das auch erst dann glauben, wenn er sich vor meinen Augen in den Himmel aufschwingen würde. Ich war da sehr pragmatisch. Rova war ein ganz normaler Mann. Seine Haut war warm und hatte eine normale Farbe. Gestresst führte er seinen Verein und hielt Vorlesungen über stinknormale Gesetze. Egozentrisch und anziehend zu sein, waren ja wohl kaum Beweise für die Existenz von Fantasiewesen.

Warum konnte Rova nicht einfach ehrlich zu mir sein und mir gestehen, dass er für seine loyalen Vampirschauspieler den Guru gab. Das war doch total okay. Vielleicht hätte ich mich darauf sogar eingelassen, aber mit so einem offensichtlich gelogenen Müll, konnte ich gar nichts anfangen. Vielleicht lebte er diese Lüge ja schon so lange, dass er inzwischen selbst daran glaubte. Alex hatte doch auch gesagt, er habe keine Lust mehr auf dieses “Schauspiel“. Das war doch Gegenbeweis genug.
 

„Bitte Rova, das reicht“,

flüsterte ich ihm ins Ohr, worauf er seine Umarmung löste und sich sein wunderbarer Duft wieder aus meinem wahrnehmbaren Bereich verflüchtigte.

„Ich beiße dich schon nicht, das verspreche ich“,

hauchte er lächelnd, wahrscheinlich im Glauben, ich würde ihm seine Geschichte abkaufen.

Schon den ganzen Abend waren draußen die dumpfen Geräusche von Silvesterraketen zu hören und hin und wieder leuchteten bunte Farben in den Raum hinein. Das alles war für mich so in den Hintergrund getreten, dass mir das erst jetzt bewusstwurde. Ich wischte mir die Tränen ab, wobei mich Rova beobachtete. Zärtlich streichelte er mir durchs Haar, lächelte mich dabei liebevoll an und sagte:

„Wie lange habe ich auf dich gewartet, meine Rose?“,

bevor er sich mir erneut näherte. Ich wich zurück, bis er seine Hand an meinen Hinterkopf legte und es verhinderte. Ich glaubte, er wolle mich wahrscheinlich nur noch einmal umarmen, doch dann spürte ich, wie er seine samtigen Lippen auf die meinen presste. Dieser überwältigend hinreißende Mann küsste mich einfach so, völlig ungestüm. Überrumpelt riss ich die Augen auf und doch bebte mein Körper, als habe er alles richtig gemacht.

Rova sah mich während des Kusses an, bemerkte meine Überraschung wahrscheinlich sogar, rückte aber nur noch näher zu mir auf. Da er mir die Decke am Rücken festhielt, war ich fast bewegungsunfähig, wie gefesselt, dabei wäre das gar nicht nötig gewesen. Ich hätte meine Arme eher um ihn geschlungen, als ihn von mir zu schieben, denn es gefiel mir. Ich wollte mehr davon, viel mehr.

Das Feuerwerk vor dem Fenster war nichts gegen das, was ich fühlte, vor allem als er meine Lippen öffnete und dann seine Zunge in meinen Mund schob. Tief erregt legte ich die Stirn in Falten und schloss die Augen. Gegen meinen Willen loderte mein ganzer Körper in lichterlohen Flammen und doch wand ich mich in seinen Armen. Mein Bauch, meine Finger, sogar meine Füße, alles kribbelte.

Ich schwebte, doch dann transportierte Rova etwas kleines, hartes, glattes auf seiner Zunge in mich hinein. Er platzierte es weit hinten in meinem Rachen, bevor er sich aus mir zurückzog. Danach schloss er meinen Mund, indem er mein Kinn zart nach oben drückte, sodass ich nicht anders konnte, als das herunterzuschlucken, was er mir da gegeben hatte.

Was war das? Wieso unterbrach er dieses schöne Gefühl und ersetzte es mit einem Unbehagen, das mir die Brust zusammenschnürte? Wie konnte mir Rova nur so etwas antun? Ich wollte ihn fragen, mich beschweren, war aber so erregt und außer Atem, dass mir wohl nur ein flehendes Stöhnen entwichen wäre. Er machte mich willig und gleichzeitig so wütend auf ihn, dass ich es nicht fassen konnte.

Er schenkte mir einen wehleidigen Blick, bevor er sich vollständig von mir löste und dann hauchte:

„Schlaf jetzt, Liebes“.

Dann stand er auf, nahm seinen Mantel von meiner Garderobe und ließ mich in meiner Erregung einfach zurück.

„…Rova…“,

hauchte ich genau so schrecklich frivol, wie ich es befürchtet hatte.

Dieser Mann hatte mich für irgendwas missbraucht und das fühlte sich schrecklich an. Was hatte er mir da gegeben? Ich fühlte mich ohnmächtig, weil ich gar nichts tun konnte und wurde plötzlich zu müde, um richtig darüber nachzudenken. Es wäre vielleicht klug gewesen, ins Bad zu gehen, um die Tablette, oder was das war, wieder loszuwerden, doch da umfing mich der Schleicher der Schlaftrunkenheit bereits.

Was einen Vampir ausmacht

Erst etwa zur Mittagszeit des nächsten Tages wachte ich wieder auf, ohne genau zu wissen, was passiert war. Silvester schien ich jedenfalls verschlafen zu haben. Etwas verwirrt und mit dröhnendem Schädel setzte ich mich im Bett aufrecht. Mir war übel, oder auch flau, das war schwer festzustellen, deshalb stand ich langsam auf und ging zu meiner kleinen Kochnische, wo noch ein trockenes Brötchen vom Vortag lag, das ich nahm und hinein biss.

Meine Kehle war so trocken, dass ich direkt etwas Leitungswasser hinterher trinken musste. Ich erholte mich langsam, auch wenn ich eine Art Schleier vor den Augen behielt, während nach und nach die Erinnerungen an den Vortag zurückkehrten. Alex und Rova hatten mir allerhand unglaubwürdige Geschichten erzählt und mir damit einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Vampire… das hörte sich auch einen Tag später noch bescheuert an. Danach war ich mit Rova allein. Er hatte mir eine Tablette oder Kapsel eingeflößt, … mit einem Kuss!

Wie schön hätte es sein können, ihn zum ersten Mal zu küssen? Er zog es jedoch vor, meine Gefühle für ihn nur auszunutzen. Ich wünschte mir so sehr, mit jemanden darüber sprechen zu können. Aber wem, außer Alex, würde ich so etwas schon anvertrauen können? Dem Armen ging es am Abend zuvor gar nicht gut. Er konnte noch so sehr den Starken markieren, es war doch eindeutig, dass auch er jemanden an seiner Seite brauchte, nach allem, was er mit Rova durchzustehen hatte.

Entschlossen, Alex zu zeigen, dass ich dieser jemand für ihn sein konnte, klopfte ich an seine Tür. Leider öffnete er mir nicht, weshalb ich mich dazu hinreißen ließ, zu lauschen. Als ich Schritte vernahm, klopfte ich erneut und forderte ihn auf, gegen die verschlossene Tür rufend, mich einzulassen. Meine Hartnäckigkeit zahlte sich aus, denn plötzlich klinkte es kurz und heftig, worauf sich die Tür ruckartig einen Spalt breit öffnete. Alex stand allerdings nicht dahinter, deshalb schob ich die Tür vorsichtig auf und beobachtete, wie er sich gerade wieder an den Schreibtisch lehnte. Ich ging in den kalten Raum hinein. Alex' Empfang war so kühl wie die Raumtemperatur, aber ich wusste ja wieso, also war es okay.

„Was willst du?“

Es war gar nicht so leicht, ihm ins Gesicht zu blicken, denn nun trug er nicht mehr nur eine, sondern gleich fünf große Striemen über seinem nackten Oberkörper. Was um alles in der Welt hatte Rova nur mit ihm gemacht? Lange mustern konnte ich ihn aber auch nicht, denn das gehörte sich nicht. Es anzusprechen, schien mir obendrein unmöglich.

„Warum könnt ihr beiden nicht einfach ehrlich zu mir sein? Stattdessen tischt ihr mir irgendwelchen Unsinn auf. Wenn du Rovas Spiel nicht spielen willst, dann…-“

„Sei nicht so zickig! Ich glaub es ja nicht. Rova war gestern nochmal bei mir und beschwerte sich bei mir darüber, dass du es einfach nicht kapieren willst. Scheiße, er ist richtig ausgerastet. Er gibt mir die Schuld daran, dass du so naiv bist. Der Typ hasst mich. Sari hätte das hier alles besser gemacht. Sie hatte ein Gespür für solchen Gefühlsfirlefanz. Weißt du, was er mir sagte? Er wünschte sich Pete oder ich wären an ihrer Stelle gestorben. Nun gibt er mir auch noch die Schuld an ihrem Tod, dabei ist er es, der dieses hochgiftige Zeug überall rumliegen lässt.“

Wütend warf er den Bürostuhl neben sich um und trat noch einmal dagegen. Ich fürchtete mich nicht vor ihm, sondern verstand seine Verärgerung sehr gut. Ich bewegte mich zu ihm, weil ich ihn beruhigen wollte, doch er stieß mich zur Seite in Richtung seines unordentlichen Bettes. Ich stolperte nach hinten, blieb mit den Beinen an der Bettkante hängen und fiel. Das Bett federte meine Arme und meinen Hintern aber zum Glück sehr weich ab.

„Ein schlechter Zeitpunkt, um mir nahe zu kommen, Prinzesschen“,

drohte er, während er sich zittrig an den Mund fasste und auf mich zukam. Ich wollte mich aufrichten, doch da war er schon direkt vor mir. Ich Dummkopf merkte erst, dass ich die Situation völlig falsch eingeschätzt hatte, als er sich über mich beugte und meine Oberarme auf die Matratze drückte. Rova hatte doch nicht etwa recht damit gehabt, als er meinte, Alexander habe vor Gier nach mir gezittert?

„Wa-was tust du denn da? A…lex…“,

hauchte ich viel zu weich. Meine Atemgeschwindigkeit musste sich vervielfacht haben, denn ich schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land. Seine Atmung jedoch entspannte sich immer weiter und auch seine Gesichtszüge taten das, je länger er auf mir war. Von Rova wünschte ich mir so etwas insgeheim, aber doch nicht von Alex. Er war doch mein einziger Freund. Was immer er vorhatte, es war ein Fehler.

Meine anfängliche, wirkungslose Gegenwehr kam komplett zum Erliegen, als sich unsere Blicke trafen. Alex' langes, schwarzes Haar glitt Strähne für Strähne auf mich hinab und umspielte seinen muskulösen Körper, auf dem ich die fünf langen und tiefen Kratzspuren noch einmal flüchtig aus der Nähe betrachtete.

„Wenn du es nicht glauben willst, dann zeige ich dir eben auf die harte Tour, was einen Vampir ausmacht. So wie du mich gerade anglotzt, glaub ich bald, du magst mich sowieso lieber als diesen goldgelockten Schnösel.“

Seine Aussage stieß nochmal eine ganze Menge Adrenalin in mir aus, das mir durch den Körper jagte. Was um alles in der Welt wollte er mit mir tun?

Er beugte sich zu mir herunter, ganz nah an mein Gesicht, wodurch ich spürte, dass seine langen Atemzüge überhaupt nicht ruhig waren, sondern vor Erregung bebten. Wahrscheinlich diente seine langsame Atmung der Selbstkontrolle.

Leider kamen seine Lippen meinen gefährlich nahe. Nicht er auch noch! Mir sprang fast das Herz aus der Brust, schließlich wollte ich nicht von meinem einzigen Freund geküsst werden. Noch einmal zerrte ich verzweifelt an meinen Armen, die ich durch seinen festen Griff schon kaum noch spürte. Immerhin schien er begriffen zu haben, dass ich nicht geküsst werden wollte, denn er lenkte ab, berühre meine Wange mit seiner und nahm einen tiefen Atemzug durch die Nase, die er in meine ungekämmten Haare presste. Dabei berührte sein schwitzender Oberkörper mein weißes Kleid an meiner vor Angst bebenden Brust und beschmutzte mich dabei mit seinen Wunden.

„Ich hoffe, ich tue dir gleich nicht zu sehr weh. Ich habe das nämlich noch nie gemacht“,

flüsterte er und löste eine neue Panikwelle in mir aus. Leidenschaftlich widmete er sich meinem Hals, den er sanft mit seinen Lippen streifte. Instinktiv drehte ich mein Gesicht von ihm weg, was er als Ablehnung verstehen sollte, doch er nahm es wohl eher als Einladung wahr.

Eine warme, weiche und feuchte Berührung an meinem Hals, den ich ihm ungewollt präsentierte, ließ mich zusammenzucken. Er hatte wohl wirklich gerade darüber geleckt. Danach öffnete er langsam seinen Mund und bohrte seine spitzen Eckzähne in mein zartes Fleisch hinein. Ich zuckte zwar zusammen, aber mehr als zwei kleine Pikse hatte ich nicht gespürt.

Während er vor Erregung über mir bebte, flossen mir heiße Tränen ohne Unterbrechung aus meinen zusammengekniffenen Augen über meine glühende Wange. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass Alex tatsächlich mein Blut aus meiner Halsschlagader trank. Seine Zunge drückte er auf die Wunden, damit mein hämmernder Puls nicht zu viel aus mir herauspresste. Er blieb anfangs sehr sanft und vorsichtig, ließ sich viel Zeit. Er schien mir kontrolliert zu sein und doch spürte ich eine schwelende Bedrohung. Es sagte doch, er habe das noch nie getan, also würde er auch für nichts garantieren können. Wie konnte ich dann eine Situation, in der mein Leben in Gefahr geriet, nur so dermaßen stimulierend finden?

Irgendwann begann sich Alex zu jedem kleinen Schluck rhythmisch zu bewegen und presste erst nur seine Brust, dann aber seinen ganzen Körper auf meinen. Ganz automatisch synchronisierte ich meine Atmung mit seiner, bis mir beim Ausatmen ein unwillkürliches Stöhnen entfuhr, dem schon beim nächsten Atemzug ein weiteres folgte.

Es war ein merkwürdiger Trancezustand, der meine Sinne benebelte und mir vor Augen führte, wie lange ich schon keinen festen Freund mehr hatte. Dieses feurige Keuchen von mir, das nach mehr verlangte, war erniedrigend. Hatte ich es denn wirklich so nötig, dass ich mich von meinem Freund verführen ließ, nur weil Rova es nicht tat? Warum musste mir Alex nur so schreckliche Gedanken in den Kopf pflanzen? Ich war doch kein wahlloses Flittchen!

Nach einiger Zeit löste er sich von meinem Hals, nahm seine Hände von meinem tauben Armen, griff sich eine rechte Hand und presste diese auf die Bisswunde.

„Drück dagegen! Es müsste gleich aufhören,“

hauchte er atemlos mit bebender Stimme. Er verharrte noch einen Augenblick auf mir, um mein beschämtes Gesicht zu betrachten. Sein Blick war ähnlich entspannt wie vor dem Biss, was mich glauben ließ, dass er über etwas nachdachte. Dann zog er die Augenbrauen zusammen, wischte sich den Mund mit seinem Unterarm ab, an dem aber ohnehin nicht viel Blut klebte und drehte den Kopf von mir weg.

Aus seiner Hosentasche holte er ein Papiertaschentuch, das er mir reichte. Erst dann strich er sich das wilde, lange Haar aus dem Gesicht und stand auf. Ich setzte mich und tupfte die Halswunde mit dem Taschentuch ab, die schon kaum noch blutete. Worüber hatte er wohl nachgedacht? Hatte er getestet, ob ich unter ihm so abgehen würde, wie er auf mir? Ob ich ihn bitten würde, weiterzumachen? Dieser Gedanke war unerträglich. Ich schämte mich so sehr, dass ich verdrängte, um was es ihm in Wahrheit gegangen war, nämlich mir zu zeigen was einen Vampir ausmacht. Er hatte es doch sogar vorher gesagt und ich dachte vor lauter Erregung schon nur noch an das Eine. Wie tief war ich eigentlich gesunken?

Er atmete noch eine Weile schwer und fragte dann schließlich, ohne mich anzusehen:

„Glaubst du es jetzt, …Prinzesschen?“

Ich zog meine Beine an mich heran, antwortete ihm nicht und trocknete meine Tränen mit dem nur etwas beschmutzten Taschentuch. So langsam trat meine Lust in den Hintergrund und gab meinem Kopf die Möglichkeit, die Dimension dieser Erfahrung zu begreifen. Alex hatte mir in den Hals GEBISSEN und mein Blut GETRUNKEN. Es ging nicht um sexuelles Verlangen, sondern um den BEWEIS, den ICH gefordert hatte. Mir wurde auf einmal so schwindelig.

Dieser ganze Unfug, den Rova über seine tote Frau Elisabeth erzählt hatte, das Gerede von loyalen Vampiren, die Peter verraten hatte, das UV-Strahlen Medikament, alles fügte sich zu einem Bild. Selbst Sari war kein Mensch gewesen, deshalb hatte sie auch so viele Geheimnisse vor mir. Aber wenn es Vampire gab, was gab es dann noch alles? War meine ganze Weltsicht verkehrt?

Und wer war vielleicht noch alles ein Vampir? Wie sollte ich sie von Menschen unterscheiden? Das war mir alles zu viel.
 

Alex beugte sich, von mir abgewandt, nach vorn, legte seine Hände auf dem Schreibtisch ab und begann mit sich selbst zu schimpfen:

„Scheiße, ich hab mich hinreißen lassen. Der Chef wird mich umbringen.“

Das brachte meine Gedanken wieder zurück zu dem, was eben passiert war. Neben der Scham, wuchs nun ein Gefühl der Schuld in mir, denn es stimmte, was er sagte. Als Adliger stand Rova sicher nicht nur im Verein an der Spitze, sondern auch in der Vampirhierarchie. Ich wusste vorher schon, dass es nicht gut war, ihn zu verärgern, aber nun erhöhte sich mein Respekt vor ihm noch weiter. Mich unterzuordnen, damit ich gut durchs Leben kam, war eine meiner Grundfesten und Alex hatte sie ins Wanken gebracht. Ganz egal, ob es mir zwischenzeitlich unerklärlicherweise gefallen haben mochte, hatte Alex uns beide mit seinem unwiderlegbaren Beweis in Gefahr gebracht.

„Alex, … du - du hattest nicht das Recht dazu. Das hat nur Rova“,

schimpfte ich. Er drehte sich zu mir, wobei ich glaubte, er schwankte ein wenig, deshalb stützte er sich weiterhin auf den Schreibtisch.

„Er hat dir ja ganz schön den Kopf gewaschen.“

Auch er schien nun verärgert zu sein. Was hatte er denn von mir erwartet? Verbittert wendete er sich erneut von mir ab, beugte sich nach vorn, als hätte er Schmerzen in der Brust, die vielleicht von den Kratzwunden stammten und befahl mir harsch:

„Raus hier! Du machst es nur noch schlimmer. Trag ein Tuch oder einen Schal, oder beides, mir egal, aber wenn du deine Freundschaft zu mir ernst gemeint hast, dann behältst du das hier für dich, okay?“

Ich antwortete nicht, stand mit weichen Knien auf, wobei es mir auch noch ziemlich im Kopf drehte und ließ Alex in seiner Verbitterung allein zurück.

Ein Vampir… er war wirklich ein Vampir. Viele Wochen lang hatte ich mit ihm studiert, mit ihm Filme angesehen und Späße gemacht, dabei passte er wohl nur auf die Mahlzeit seines Chefs auf. Da kam ich gleich zum nächsten Problem… Rova. Sein Kuss war so schön, aber wieso hatte er ihn mir überhaupt gegeben? Konnte einer wie er etwas für seine Beute empfinden?

Ich war bereit gewesen, mich an ihn anzupassen, sein Vampirschauspiel mitzuspielen, denn immerhin hatte er echte Gefühle in mir geweckt, aber das war etwas ganz anderes, als sein reales Opfer zu sein. Es machte mir viel zu große Angst.
 

In meinem rettenden Zimmer angekommen, ging ich sofort unter die Dusche, um mich von den beschämenden Spuren meiner Lust zu befreien. Als ich fertig war, zog ich mir eine Hose an, nicht wieder eines der Spitzenkleider, die Rova mir besorgt hatte. Bisher hielt ich eine Flucht für aussichtslos, aber unter diesen neuen Umständen, musste ich es einfach probieren. Ich konnte mein Leben doch nicht mit zwei VAMPIREN verbringen.
 

Ich nahm mein Handy und schrieb Sebastian, dem österreichischen Austauschstudenten, eine Nachricht, einen Hilferuf sogar. Ich bat ihn darum, einen Tag eher, also morgen schon, anzureisen, weil ich nicht mehr wusste, wie ich es hier noch aushalten sollte. Sebastian hatte mir Hilfe angeboten und nun benötige ich jede, die ich kriegen konnte.

Nur wenige Minuten später antwortete er mir, dass er gleich morgen früh starten wolle. Kaum las ich seine Antwort, bereute ich es, ihm geschrieben zu haben. Entweder zog ich ihn damit in dieses lebensgefährliche Spiel hinein, oder, noch viel wahrscheinlicher, war auch er ein Vampir. Erneut nahm ich mein Handy und schrieb, dass ich schon klarkommen würde, es doch nicht so schlimm sei und er sich nicht sorgen sollte.

Als er nicht reagierte, behauptete ich, ich hätte ihn nur testen wollen. Seine Antwort ließ eine halbe Stunde auf sich warten.

„Sorry, war gerade am Packen. :O Gib dir keine Mühe. Morgen bin ich bei dir. Ich verstehe das schon ;) Treffen 14 Uhr im Übungsraum in der Mensa?“

Ich warf das Handy, ohne zu reagieren, zur Seite. Natürlich war es für ihn sichtbar, dass ich seine Nachricht gelesen hatte und seinen Vorschlag damit ungewollt bestätigte. Wieso konnte ich nicht nachdenken, bevor ich handelte? Vollkommen verwirrt von allem, was in den letzten zwei Tagen passiert war, verkroch ich mich unter meiner Bettdecke. Tränen kamen diesmal keine, dafür war ich viel zu durcheinander.
 

------------------------------------
 

Damit endet die Leseprobe von Forced Fortune. :D
 

Eines sei schon verraten: Rova wird den Verrat aufdecken und reagiert nicht besonders erfreut auf Lyz' Fluchtversuch. :O
 

Allerbesten Dank fürs Lesen! <3
 


 

Ich veröffentliche die Geschichte in insgesamt 3 Büchern.

Band 1:

https://shop.tredition.com/booktitle/Forced_Fortune/W-395-450-876



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Kommentare zu dieser Fanfic (134)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  JaqieLimanu
2021-02-24T11:33:44+00:00 24.02.2021 12:33
Oh nein :( das wurde ja sehr schnell ganz schön dramatisch! Arme Sari :(
Antwort von:  Elnaro
24.02.2021 13:55
Das ist wahr... :´(
Aber nur so passiert es, dass Lyz Alex auf den Hals gehetzt bekommt. Er wäre sonst so gar nicht Rovas erste Wahl gewesen und die Geschichte nimmt ihren Lauf.
Von:  JaqieLimanu
2021-02-23T21:22:12+00:00 23.02.2021 22:22
Aaaaaah, er wird mir immer u nheimlicher >_<
Antwort von:  Elnaro
24.02.2021 11:25
Und das, obwohl sich Rova Mühe gibt, nicht allzu bedrohlich rüber zu kommen. :)
Antwort von:  JaqieLimanu
24.02.2021 16:07
Mittlerweile finde ich seine höfliche Art sehr charmant XD Aber er ist mir dennoch suspekt
Von:  JaqieLimanu
2021-02-23T12:44:43+00:00 23.02.2021 13:44
Echt mysteriös! Frage mich, was es mit dem Silber auf sich hat.
Antwort von:  Elnaro
24.02.2021 11:20
Aww, ich freue mich sehr darüber, dass du dir die Zeit für For For genommen hast, Jaqie <3
Antwort von:  JaqieLimanu
24.02.2021 16:12
Klar! Steht schon zu lang auf meiner Leseliste :D Bin schon sehr gespannt, wie es sich entwickeln wird. Ich nehme mir mal vor, zu jedem Abschnitt was zu schreiben. Mal mehr und mal weniger, je nachdem was mir auffällt oder einfällt :3
Von:  Schwabbelpuk
2019-03-03T23:52:02+00:00 04.03.2019 00:52
Lass sie doch einfach mit Alexander zusammenkommen, ja? Er ist mir viel symphatischer...xD Fand die Szene unglaublich toll, eine sehr erotische "Blut-trink-Szene" (kann man das so nennen?). Hat mir sehr gut gefallen das Kapitel, sowohl inhaltlich, als auch sprachlich. Nun ist die Katze auch aus dem Sack, das war's dann wohl mit dem Selbstverteidigungsmechanismus. :P Hoffe Rova tut Alexander nichts...
Antwort von:  Elnaro
04.03.2019 16:25
Du warst ja mega fleißig! Vielen Dank! Ich nehme mir jeden Kommentar in Ruhe einzeln vor :)

So ein Biss überzeugt selbst die größte Skeptikerin ^^
Antwort von:  Schwabbelpuk
04.03.2019 16:27
Wenn ich mir die Zeit nehme, etwas zu lesen, möchte ich danach auch meinen Senf dazu geben. xD
Von:  Schwabbelpuk
2019-03-03T22:07:29+00:00 03.03.2019 23:07
Die Gute hat wirklich einen sehr stark ausgeprägten Selbstverteidigungsmechanismus...xD das ist schon unmenschlicher als jeder Vampir. Ich frage mich, was er ihr da zu schlucken gegeben hat? Sicher nichts gutes...
Antwort von:  Elnaro
03.03.2019 23:28
Ich halte Verdängung nicht für unmenschlich, vor allem nicht, wenn es um übernatürliche Dinge geht. Ich würde eher an meinem Gegenüber zweifeln, als an mir und allem, was ich in meinem bisherigem Leben gelernt habe :) Diese Reaktion ist allerdings anders als jene, die man sonst üblicherweise in Filmen usw. vorgesetzt bekommt. Da glaubt meist jeder alles sofort.
Antwort von:  Schwabbelpuk
04.03.2019 00:02
Touché, Punkt für dich. ^^
Antwort von:  Elnaro
04.03.2019 00:16
Ich habe aufgrund deiner Kommentare an zwei, drei Stellen noch einen Satz hinzugefügt, um Lyz ein klein wenig nachvollziehbarer zu machen. Ich kann sie sich allerdings nicht selbst,... ich sag mal, psychoanalysieren lassen. Das kann keiner, wenn er in der Situation drin steckt. Das geht erst in der Restrospektive, die ich hier aber nicht verwende. Man erlebt alles durch ihre eingeschränkte Sicht.
Antwort von:  Schwabbelpuk
04.03.2019 00:29
Alles gut! Ich wollte das jetzt nicht als Kritik rüberkommen lassen, das war nur das, was ich beim lesen empfunden habe. Vielleicht sehe auch nur ich das so. Lass dich nicht verunsichern. ^^
Antwort von:  Elnaro
04.03.2019 00:37
Neinnein, das ist keine Verunsicherung, sondern trifft genau den Punkt, den ich als Schwachstelle betrachte. Lyz ist resilient und das kann schnell unsympathisch werden. Ein bisschen verstehen sollte man sie schon können :)
Von:  Schwabbelpuk
2019-03-03T20:52:27+00:00 03.03.2019 21:52
Irgendwie fehlt mir die "Oh mein gott" "WAS? WIE?" Reaktion...xD Ich finde ihre Reaktion so...unglaubwürdig. Aber vielleicht steht sie nur unter Schock und es kommt noch was. Tatsächlich mag ich Alexander bisher mehr, als die eigentliche männliche Hauptfigur, aber das kann sich ja noch ändern. Lyz geht mir ein wenig auf den Zeiger, sorry. xD
Antwort von:  Elnaro
03.03.2019 22:11
Jop, diese Reaktion kommt bei ihr nicht. Sie geht anders mit psychischem Stress um.
Sympathieverteilung ist absichtlich so gewählt.
Von:  Schwabbelpuk
2019-03-03T20:40:13+00:00 03.03.2019 21:40
Ach Lyz, ich bezweifle, dass das gefälschte Titel sind. Rova muss ja unfassbar viel Langeweile haben. Ich glaube, Alexander ist auch ziemlich zwiegespalten, wie er mit Lyz umgehen soll. Und wo steckt eigentlich Sebastian? xD
Antwort von:  Elnaro
03.03.2019 21:58
Im Grunde ist Sebastian keine Bezugsperson für Lyz, deshalb hebt sie ihn an dieser Stelle nicht hervor. Die Frage kam so geil rüber xD
Von:  Schwabbelpuk
2019-03-03T20:19:02+00:00 03.03.2019 21:19
Mir erschließt sich nicht ganz, warum man ein Gothic-Fan sein sollte, nur, weil man ein weißes Spitzenkleid trug? Weiß ist ja nun nicht grade die Farbe von Gothics. Aber mal dieses Detail beiseite, Alexander ist mir definitiv symphatisch. Ich glaube mit dem wird das noch recht lustig. ^^
Antwort von:  Elnaro
03.03.2019 21:29
Mit der Gothic-Sache hast du natürlich recht. Lolita würde besser passen, aber gibt es eine Lotita-Szene? Öhm, ich schiebe es mal auf Lyz' Unweissenheit. Dumdidum
Antwort von:  Schwabbelpuk
03.03.2019 21:32
Gute Frage, ich weiß es nicht. xD Lyz ist einfach unwissend, die Erklärung ist abgenommen.
Von:  Schwabbelpuk
2019-03-03T20:11:13+00:00 03.03.2019 21:11
Irgendwie verstehe ich garnicht, warum sie sich nicht über Rova und Sari wundert. Ich meine, da ist ein Mädchen vor ihrem Augen zu Staub zerfallen und das ist okay so? Sie nimmt es ohne ein Wort hin. Das ist der einzige Punkt, wo ich nicht ganz hinterher steige, aber ansonsten lese ich mal weiter, vielleicht klärt sich das ja noch. ^^'
Antwort von:  Elnaro
03.03.2019 21:24
Es klärt sich noch warum Lyz die Sache mit dem Staub nicht mehr erwähnt. Das dauert aber noch ein paar Kapitel. Alles worauf Lyz nicht eingeht, nimmt sie nicht wahr, auch wenn es für den Leser offensichtlich ist.
Von:  Schwabbelpuk
2019-03-03T20:02:57+00:00 03.03.2019 21:02
Geht ja ganz schön turbulent zu, Lyz hat ein wenig zu viel Feuer für Rova glaube ich. ^^ Arme Sari, das hat sie glaube ich nicht erwartet. (p.s. heulende Männer sind unsexy, sorry Peter xD)
Antwort von:  Elnaro
03.03.2019 21:25
Oh, tatsächlich war es Alex, der weinen musste. Ist nicht ganz eindeutig im Text.


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