Forced Fortune von Elnaro ================================================================================ Kapitel 10: Kuss der Ignoranz ----------------------------- Ich folgte Rova bis zur Tür. Einen letzten Blick warf ich nach hinten zu Alex, der ziemlich mitgenommen aussah. Er tat mir leid, obwohl er sich selbst erst in diese dumme Lage gebracht hatte. Ich wusste jedoch, dass ihm am besten geholfen war, wenn er nun seine Ruhe hatte. Seinen auf der Küchenzeile neben der Zimmertür liegenden Mantel nahm Rova an sich und holte einen klimpernden Schlüssel aus der Jackentasche, um damit mein Zimmer aufzusperren. Zu wissen, dass er auch bei mir nach Belieben ein- und ausgehen konnte, war schon merkwürdig, aber überrascht war ich nicht. Immerhin ließ er mich von Alex überwachen, wahrscheinlich damit ich keine Flucht beging, auch wenn er es als Schutz bezeichnete. So dumm, ihm das abzukaufen, war ich nun nicht mehr, nicht nachdem er Alex derart bestraft hatte. Aber mal ehrlich, wo sollte eine dringend Tatverdächtige wie ich denn schon hin? Rova nahm mir die Freiheit nicht, bei näherer Betrachtung schenkte er sie mir. Schon deshalb gehorchte ich und ging ihm bis in mein Zimmer nach, in dem mir die warme, trockene Heizungsluft den Körper umspielte und mir endlich eine positive Empfindung schenkte. Ich schaltete meine Schreibtischlampe an, setzte mich dann auch hier wieder auf das Bett und nahm mir meine Bettdecke, die ich eng um mich legte. Sie wärmte mich nicht nur, sondern fühlte sich auch wie ein kleiner Schutzpanzer an. Rova verschloss die Tür hinter sich, hing seinen Mantel an meine kleine Garderobe, neben meinen ebenfalls dunkelblauen Wintermantel und setzte sich dann mit etwas Abstand zu mir aufs Bett. „Ich muss mich für ihn entschuldigen. Er hat sich immer noch nicht unter Kontrolle. Ich hatte gehofft, dass er sich bei dir etwas zusammenreißt, aber da habe ich ihn wohl überschätzt“, erklärte er, ohne seine Verärgerung über Alex zu verbergen. Jetzt, wo ich mit Rova allein in der Wärme meiner eigenen vier Wände saß, fühlte ich mich etwas besser. Das Unheilvolle, das er vor ein paar Minuten noch ausgestrahlt hatte, war verschwunden, aber mein Gedächtnis funktionierte einwandfrei. Ihm konnte ich nicht vertrauen, keine Sekunde lang, auch wenn es mich fertig machte, wenn mein Herz so positiv auf ihn reagierte wie in diesem Moment. Da ich schwieg, fragte Rova berechnend lächelnd: „Hast du eine Idee, wieso seine Reaktion auf dich so heftig ist?“ Er wusste ganz genau, dass ich das alles nicht verstand und auch nicht wahrhaben wollte. Ich schüttelte in einer abgehackten Bewegung schüchtern den Kopf, worauf er begann, noch breiter zu lächeln. Was er danach sagte, fand ich fast schon sadistisch. „Der Vollmond und der Geruch von Blut wecken unsere niedersten Instinkte. Einer dieser Einflüsse ist verkraftbar, aber sich zu kontrollieren, wenn beide aufeinandertreffen, ist eine große Herausforderung, vor allem für Jungspunde wie ihn. Hast du es ihm nicht angesehen? Er zitterte vor Gier nach dir.“ Gier? Nein, hatte ich nicht! Rova beugte sich etwas zu mir hin und strich zart über den Teil der Decke, unter dem sich mein Arm befand, wovor ich zurückzuckte. Sein selbstzufriedenes, düsteres Lächeln behielt er weiterhin bei, als er hauchte: „Nur seine Loyalität zu mir bewahrte dich davor, von ihm überwältigt zu werden.“ Ich wusste nicht, ob mich seine Aussage bedrohen oder beruhigen sollte. Bei Rova lag das alles so nah beieinander. Was ich wusste, war, dass ich ein weiteres Mal meine Sprache verlor. Seine edle Ausstrahlung schüchterte mich ein und wahrscheinlich wusste er das genau. Mein Versuch, direkten Blickkontakt mit ihm zu meiden, schien ihn irgendwann aber zu verärgern. Er atmete schwer aus, stand auf und lief dann in meinem Zimmer auf und ab. Als ich es wagte, einen Blick auf ihn zu werfen, blieb er unvermittelt stehen und sah mich bohrend an. Mit verschränkten Armen und hörbar enttäuscht schimpfte er: „Soll das alles sein, was ich von dir erhalte, Lyz? Kein Wort von dir zur Thematik, nur einen scheuen Blick? Wir kennen uns doch jetzt schon eine ganze Weile und du verhältst dich immer noch devot.“ Er schnalzte unzufrieden mit der Zunge, weshalb ich mich leise entschuldigte. Kaum hatte ich mit dem Satz begonnen, fasste er sich an die Schläfe und lachte verzweifelt in sich hinein. „Nicht dein Ernst.“ Getroffen fuhr ich in mich zusammen. Wie viele Fehler dieser Art würde er mir wohl durchgehen lassen? Ich wusste leider nicht, was ich besser machen konnte, sonst hätte ich es doch getan. Ich musste versuchen, tief durchzuatmen, denn das Wichtigste war, nicht den Kopf zu verlieren. Dass er meine Furcht nicht wollte, hatte er klar zum Ausdruck gebracht, also musste ich versuchen, diese als erstes abzulegen. Er hatte, enttäuscht wie er war, kurz geschwiegen, doch gerade in dem Moment, in dem ich meine verschränkte und ablehnende Haltung öffnen wollte, nahm er seine Hand wieder von der Stirn, sah mich offen an und sagte sanft: „Ehrlich Lyz, wenn du mal meine Frau werden willst, musst du endlich damit aufhören, dich immerzu zu entschuldigen.“ „D-deine…“, stotterte ich perplex, ohne die Frage zu Ende formulieren zu können. Nachdem es mir gerade noch so kalt war, begann nun Hitze in mir aufzusteigen, nicht wenig wohlgemerkt. Bis in die Zehenspitzen kribbelte es mir. War das Freude über seine Zuneigung? Eigentlich war das gut, denn so brauchte ich mich nicht gegen ihn zu wehren, aber da er es genau darauf angelegt hatte, fühlte es sich an, als sei ich ein billiges Mädchen, das sich leicht beeindrucken ließ. Auf längere Sicht war es jedoch klüger, meinen Stolz beiseite und Rova in mein Herz zu lassen. Dann seufzte er erneut, wohl weil ich schon wieder keinen ganzen Satz herausbrachte. „Du hast es wohl immer noch nicht begriffen. Dich aufzubauen ist schwieriger als ich dachte.“ Ich hatte gerade eine Menge zu verarbeiten. Was erwartete er denn? Mein Verstand versuchte zu erfassen, was es bedeuten würde, seine Frau zu werden. Puh, bei der Vorstellung Rova noch näher zu kommen, geriet mein Blut in Wallung. Seinen Kopf auf meinem Schoß liegen gehabt zu haben, war schon hart an der Grenze zu dem, was ich so aushielt. Da er mich scheinbar fälschlicherweise wieder für aufnahmefähig hielt, setzte er sich erneut zu mir aufs Bett. „Du musst der Realität langsam ins Auge blicken, Liebes, denn es gibt keine andere mehr für dich. Du scheinst Erlebtes lieber zu verdrängen, als zu verarbeiten. Wahrscheinlich bist du noch von Saris Tod traumatisiert. So eine Tragödie hatte ich nicht vorgesehen… Hast du zumindest meine kleine Notlüge über das Familienfoto durchschaut?“ Ich schüttelte den Kopf, der hochrot sein musste, während ich mir noch immer alle Mühe gab, seinen Aussagen möglichst offen gegenüberzustehen, um nicht alles nur noch schlimmer zu machen. Er erläuterte geduldig weiter: „Natürlich bin ich selbst auf dem Bild zu sehen, zusammen mit meiner Frau Elisabeth, meinem... Vater, einem meiner beiden Brüder mit seiner Frau und meiner geliebten Schwester. Weißt du, Elisabeth war ein einzigartiges Geschöpf. Sie war voller Energie und sprudelte vor Tatendrang. Leider verstarb sie Ende des Ersten Weltkriegs an einem gescheiterten Forschungsexperiment. Sie hatte ihr Leben lang davon geträumt, sich frei in der Sonne bewegen zu können wie die Menschen. Die Haut der Vampire reagiert generell sensibel auf UV-Strahlung, deshalb konnten wir die schützenden Wände unserer Häuser damals nur an düsteren Tagen oder in der Nacht verlassen. Ein Heilmittel fand ich erst viele Jahre, nachdem ich ihre Forschung fortgeführt hatte. Zu ihrem Tod führte allerdings nicht, wie du jetzt vielleicht vermutest, eine UV-Vergiftung, sondern das damals noch eingesetzte Medikament 'Argentum Colloidale', das sie ihren Probanden verabreichte. Wie giftig dieses Mittel für uns ist, weißt du bereits.“ „Wie makaber“, hauchte ich, während es mir die Kehle zuschnürte. Da gab es einige Gedanken, die ich vor Rova nicht aussprechen wollte. Dass eine Frau mein Gesicht trug, die Menschenversuche durchgeführt hatte, sie an derselben Todesursache verstarb wie Sari und sein Alter, das er laut seiner Geschichte mindestens haben musste…, das alles war einfach nur makaber. „Was redest du denn da vom Ersten Weltkrieg, Rova? Du bist doch keine hundert Jahre alt. Tse, so etwas gibt es nicht…, oder hast du ein Medikament entdeckt, mit dem man aufhört, zu…“, stammelte ich überfordert. Meine Unfähigkeit seine Wahrheit anzunehmen, schien ihn wirklich zu ärgern. Dabei war ich schon froh, überhaupt mal ein paar Gedanken aussprechen zu können. Er packte mich so fest an den Schultern, dass es weh tat und rüttelte mich einmal. Mit aufgerissenen Augen starrte ich ihn geschockt an, während er nun doch noch die Geduld mit mir verlor. Das kam ziemlich plötzlich. Zornig schrie er mich an: „Wach endlich auf, Lyz! Warum verschließt du dich weiterhin vor der Wahrheit? Mein Vater, Graf Alucard lebt in Siebenbürgen auf Schloss Bran; wir sammeln Blutkonserven, die wir selbst verbrauchen; Sari stirbt durch Silber, das in ihr Blut gelangt und ihre Molekülketten auflöst; Alexander dreht bei Vollmond durch und ich war vorhin selbst dabei, als er dir sagte, wer ich bin. Wie kannst du immer noch leugnen, dass vor dir ein Vampir sitzt?“ Heiße Tränen rannen über meine Wangen, während er sprach, doch sein Griff lockerte sich nicht. Etwas leiser, aber noch genauso aufgebracht, rief er: „Sag was dazu, Lyz! Du machst mich fertig!“ „Rova, du… du tust mir weh“, schluchzte ich, worauf er seine Hände lockerte und stattdessen seine Arme um mich legte, als wolle er mich damit trösten, doch diesmal beruhigte es ihn wahrscheinlich mehr als mich. Nur weil er seinem Großvater auf diesem Foto ähnelte und ich seiner Großmutter, musste er mir doch nicht so eine Geschichte auftischen. Alles was er sagte, war einfach nur absurd. Vampire gab es ebenso wenig wie Feen, rosa Elefanten oder den Osterhasen. Wenn einer zu mir käme und sagen würde, er könne ohne Hilfsmittel fliegen, dann würde ich ihm das auch erst dann glauben, wenn er sich vor meinen Augen in den Himmel aufschwingen würde. Ich war da sehr pragmatisch. Rova war ein ganz normaler Mann. Seine Haut war warm und hatte eine normale Farbe. Gestresst führte er seinen Verein und hielt Vorlesungen über stinknormale Gesetze. Egozentrisch und anziehend zu sein, waren ja wohl kaum Beweise für die Existenz von Fantasiewesen. Warum konnte Rova nicht einfach ehrlich zu mir sein und mir gestehen, dass er für seine loyalen Vampirschauspieler den Guru gab. Das war doch total okay. Vielleicht hätte ich mich darauf sogar eingelassen, aber mit so einem offensichtlich gelogenen Müll, konnte ich gar nichts anfangen. Vielleicht lebte er diese Lüge ja schon so lange, dass er inzwischen selbst daran glaubte. Alex hatte doch auch gesagt, er habe keine Lust mehr auf dieses “Schauspiel“. Das war doch Gegenbeweis genug. „Bitte Rova, das reicht“, flüsterte ich ihm ins Ohr, worauf er seine Umarmung löste und sich sein wunderbarer Duft wieder aus meinem wahrnehmbaren Bereich verflüchtigte. „Ich beiße dich schon nicht, das verspreche ich“, hauchte er lächelnd, wahrscheinlich im Glauben, ich würde ihm seine Geschichte abkaufen. Schon den ganzen Abend waren draußen die dumpfen Geräusche von Silvesterraketen zu hören und hin und wieder leuchteten bunte Farben in den Raum hinein. Das alles war für mich so in den Hintergrund getreten, dass mir das erst jetzt bewusstwurde. Ich wischte mir die Tränen ab, wobei mich Rova beobachtete. Zärtlich streichelte er mir durchs Haar, lächelte mich dabei liebevoll an und sagte: „Wie lange habe ich auf dich gewartet, meine Rose?“, bevor er sich mir erneut näherte. Ich wich zurück, bis er seine Hand an meinen Hinterkopf legte und es verhinderte. Ich glaubte, er wolle mich wahrscheinlich nur noch einmal umarmen, doch dann spürte ich, wie er seine samtigen Lippen auf die meinen presste. Dieser überwältigend hinreißende Mann küsste mich einfach so, völlig ungestüm. Überrumpelt riss ich die Augen auf und doch bebte mein Körper, als habe er alles richtig gemacht. Rova sah mich während des Kusses an, bemerkte meine Überraschung wahrscheinlich sogar, rückte aber nur noch näher zu mir auf. Da er mir die Decke am Rücken festhielt, war ich fast bewegungsunfähig, wie gefesselt, dabei wäre das gar nicht nötig gewesen. Ich hätte meine Arme eher um ihn geschlungen, als ihn von mir zu schieben, denn es gefiel mir. Ich wollte mehr davon, viel mehr. Das Feuerwerk vor dem Fenster war nichts gegen das, was ich fühlte, vor allem als er meine Lippen öffnete und dann seine Zunge in meinen Mund schob. Tief erregt legte ich die Stirn in Falten und schloss die Augen. Gegen meinen Willen loderte mein ganzer Körper in lichterlohen Flammen und doch wand ich mich in seinen Armen. Mein Bauch, meine Finger, sogar meine Füße, alles kribbelte. Ich schwebte, doch dann transportierte Rova etwas kleines, hartes, glattes auf seiner Zunge in mich hinein. Er platzierte es weit hinten in meinem Rachen, bevor er sich aus mir zurückzog. Danach schloss er meinen Mund, indem er mein Kinn zart nach oben drückte, sodass ich nicht anders konnte, als das herunterzuschlucken, was er mir da gegeben hatte. Was war das? Wieso unterbrach er dieses schöne Gefühl und ersetzte es mit einem Unbehagen, das mir die Brust zusammenschnürte? Wie konnte mir Rova nur so etwas antun? Ich wollte ihn fragen, mich beschweren, war aber so erregt und außer Atem, dass mir wohl nur ein flehendes Stöhnen entwichen wäre. Er machte mich willig und gleichzeitig so wütend auf ihn, dass ich es nicht fassen konnte. Er schenkte mir einen wehleidigen Blick, bevor er sich vollständig von mir löste und dann hauchte: „Schlaf jetzt, Liebes“. Dann stand er auf, nahm seinen Mantel von meiner Garderobe und ließ mich in meiner Erregung einfach zurück. „…Rova…“, hauchte ich genau so schrecklich frivol, wie ich es befürchtet hatte. Dieser Mann hatte mich für irgendwas missbraucht und das fühlte sich schrecklich an. Was hatte er mir da gegeben? Ich fühlte mich ohnmächtig, weil ich gar nichts tun konnte und wurde plötzlich zu müde, um richtig darüber nachzudenken. Es wäre vielleicht klug gewesen, ins Bad zu gehen, um die Tablette, oder was das war, wieder loszuwerden, doch da umfing mich der Schleicher der Schlaftrunkenheit bereits. 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