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Forced Fortune

von

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Eine schwere Bürde

Ich schnappte vergeblich nach Luft, im Versuch meine Tränen unter Kontrolle zu bringen. Immer wieder wischte ich sie mit meinen Händen weg, doch es wurden einfach nicht weniger. Ich musste ein schreckliches Bild abgegeben haben. Rova blieb jedoch stumm auf meinen Beinen liegen, während er mir beim Weinen zusah. Auch sein Gesichtsausdruck hatte gequälte Züge, doch er vergoss keine Träne. Er hatte sich auch nicht mit der Schuld eines Verbrechens herumzuschlagen. Nein, dieser Schmerz stand allein mir zu, mir, der Freundesmörderin. Nur wenige falsche Entscheidungen und mein Leben war vorbei. Es ging alles so furchtbar schnell. Noch immer zitterte ich vor Angst und Verzweiflung, denn niemand, und da war ich mir ganz sicher, niemand würde mir je wieder vertrauen können.

Ohne Zweifel hasste mich nun der gesamte Verein, dazu Saris Familie und alle, die sie kannten. Wäre Rova nicht gewesen, hätte mir Peter mit seiner Kurzschlussreaktion wahrscheinlich ein verdientes, schnelles Ende bereitet. Ich sollte Rova für seinen Einsatz dankbar sein, doch ich war es nicht.

„Warum hast du mich nicht einfach sterben lassen…?“,

japste ich näselnd, kaum hörbar, in mich hinein, doch der Mann unter mir war mir so nah, dass er es trotzdem vernahm. Ich sah ihn dabei nicht an, sondern blickte zur Seite auf den zerkratzen, fast matten Parkettfußboden. Meinen Blick wendete ich erst zu Rova, als er seine Hand hob, um mich sanft über meine gerötete, glühende Wange zu streicheln.

„Ich werde dich immer beschützen, egal was passiert. Gib dir nicht die Schuld an dieser Tragödie, meine Rose.“

Seine butterweichen Worte drangen nicht mehr bis zu meinem Herzen durch, das schon längst in meiner eigenen tristen Welt der Schuld versank. Sich eine Hand auf die wahrscheinlich schmerzende Brust pressend, erhob sich Rova behutsam von meinem Schoß und richtete sich behäbig auf. Versöhnlich reichte er mir seine andere Hand.

„Du brauchst heute Nacht nicht nach Hause zu gehen, wenn du dich dazu nicht in der Lage fühlst. Mir wäre wohler dabei, du bliebest hier, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst. Ich lasse dir im Obergeschoss ein Zimmer vorbereiten und informiere deine Eltern, damit sie sich nicht um dich sorgen, in Ordnung?“

Ich nickte ganz leicht, ergriff seine warme Hand und stand mit gesenktem Kopf auf.

Oh, mir ging es gar nicht gut. Nicht nur meine Seele, auch mein Körper war am Ende seiner Kräfte. Alles um mich herum begann sich plötzlich zu drehen, schneller und immer schneller, untersetzt mit einem lauten Fiepen in meinen Ohren. Rovas besorgter Blick verschwamm und wurde dann eins mit der Finsternis, die mich in ihrer wohltuenden Stille in Empfang nahm.
 

Die dichten, dunklen Vorhänge des Raumes, in dem ich erwachte, waren zugezogen und ließen fast kein Licht hinein. Von den Schuhen abgesehen, lag ich komplett bekleidet in einem weichen Himmelbett. Ein Pflaster war auf meinen Arm geklebt worden, unter dem ich einen frischen Schnitt vorfand, den ich nicht zuordnen konnte. Mein Schädel brummte so stark, dass ich mich nicht erinnern konnte, wie ich an diesen Ort gekommen war.

Hm, meine letzte Erinnerung, war… meine Verabschiedung vom SOLV.

Ich stand auf und wankte zum Fenster, um die schweren Vorhänge zu öffnen, worauf mich das gleißende Licht der hoch am Firmament stehenden Sonne blendete. Eigentlich war die Wärme der Herbstsonne angenehm und doch fühlte ich mich durch sie kein bisschen besser. Ich ließ den Blick nach draußen schweifen. Nun wusste ich, wo ich mich befand, denn der verwahrloste Garten hinter Rovas Villa war einfach unverkennbar. Dass dieses Haus über ein möbliertes Obergeschoss verfügte, war mir nie bewusst gewesen, denn die Vorhänge hielt er stets zugezogen, zumindest die zur Straßenseite.

Ich presste mich überwältigt ans Fensterbrett, als ich mir danach einen Überblick über das Zimmer verschaffte. Die edle und gepflegte Einrichtung war nicht das, was ich in dieser sonst so heruntergekommenen Villa erwartet hatte. Verzierte Holzmöbel, Vitrinen mit wahrscheinlich sehr wertvollen Porzellanfiguren und anderen golden glänzenden Schätzen, edle Ornamenttapete, Stuck an der hohen Decke und ein Orientteppich auf dem polierten Parkettfußboden. Diese Fülle überforderte meine Sinne vollkommen. Da war mir sogar Rovas wilder Garten lieber. Schnell wandte ich mich wieder dem Fenster zu, um etwas durchatmen zu können. Eine merkwürdig vertraute Schwärze war bereit, mich in Empfang zu nehmen, aber so leicht ließ ich mich nicht unterkriegen. Meine Güte, das waren doch nur ein paar Möbel!

Und trotzdem dauerte es minutenlang, bis ich fähig war, am Bett vorbei, immer noch barfuß, zur Tür zu wanken. Verunsichert, was mich noch erwarten würde, öffnete ich sie vorsichtig und betrat scheu den Gang, wo mich Alexander, diesmal in einem schwarzen „Iron Maiden“ T-Shirt, begrüßte.

„Schönheitsschlaf beendet, Prinzesschen?“

Ich ignorierte ihn, weil mir sowieso keine sinnvolle Antwort auf sowas einfiel. Seit wann beachtete mich der Kerl überhaupt? Vielleicht hätte ich ihm auch einfach einen „Guten Morgen“ wünschen sollen? Moment, wie spät war es eigentlich? Ach, und wieso war ich nochmal an diesem Ort? Ich brachte es nicht einmal fertig, ihn das zu fragen.

Erst als mich Alex in den Raum am Ende des Gangs führte, kam eine Erinnerung zurück. Genau dort war ich einen Tag zuvor auch langgelaufen, nur eine Etage tiefer. Ich traf auf Rova und dann…!

„Sari!“,

rief ich geschockt. Unmittelbar schossen mir wie Feuer brennende Tränen in die Augen. Plötzlich fiel mir alles wieder ein. Ich verlor das Gleichgewicht, doch der schwarzhaarige Kerl hinter mir griff sich einen meiner Arme und legte ihn sich über die Schulter. Völlig überrascht sah ich zu ihm auf und erkannte auch an ihm, wie sehr er unter meiner Tat zu leiden hatte. Er war es, den ich für meinen Henker hielt und nun schlang er seinen Arm straff um meine Taille, damit ich nicht zusammenbrach. So transportierte er mich in den Raum hinein, in dem Rova schon auf uns wartete.
 

Alex setzte mich auf einer roten, weich gepolsterten Couch ab, die jener im Raum darunter glich, nur eben in perfekt gepflegtem Zustand, wie alles auf dieser Etage. Mein Chef nahm neben mir platz, während sein Angestellter die Tür von innen schloss, an ihr stehen blieb und uns im Auge behielt. Ja, natürlich tat er das, denn mir konnte man nicht trauen. Ich war schließlich eine Mörderin. Rova legte seine Hand auf meine, die neben mir auf der Sitzfläche ruhte. Er beobachtete mich dabei, wie ich meine Beine an mich heranzog und die nackten Füße auf der Sitzfläche vor mir abstellte. Mir war kalt, mein Bauch tat weh und mehr hassen als zuvor, würde er mich dafür ohnehin nicht können.

„Ich zwinge dich nicht, hier zu bleiben, Lyz. Wenn du möchtest, kannst du deinen Studienplatz trotzdem antreten und ins Studentenwohnheim umziehen.“

Ich hatte meinen Kopf zwischen meinen Knien vergraben. Aufgrund dieses unerwarteten Angebots hob ich ihn an, um einen verstohlenen Blick durch meine ungekämmten, wirren rotbraunen Haare hindurch, auf Rova zu werfen. Er machte mir keinen Vorwurf? Was lief nur falsch mit ihm? Ich hatte das süßeste Mädchen der Galaxie auf dem Gewissen und er erzählte etwas vom Studieren?

„Deinen Eltern habe ich gesagt, Sari hätte einen Unfall gehabt und du seist mit ihr die ganze Nacht im Krankenhaus gewesen. So werden sie es verstehen, wenn du zu Hause um deine Freundin trauerst“,

fügte er in einer beruhigenden, tiefen Stimmlage hinzu. Sie hatte einen brummenden Klag, so gehaucht und zärtlich. Und dann noch seine goldenen Sternenaugen dazu. Er wusste, wie er mich kriegen konnte. Da hatte mir dieser Mann tatsächlich alles abgenommen, das mir Probleme bereiten konnte. Als ob es so leicht wäre.

In dem Moment, in dem ich mir die Tränen aus dem Gesicht wischte, hörte ich ein dumpfes Poltern aus dem Gang. Ich drehte mich zur Tür um, die noch immer zuverlässig von Alexander bewacht wurde. Hinter ihm nahm ich den Widerhall einer zunächst undeutlichen, männlichen Stimme wahr, die mit ihrem Näherkommen verständlicher wurde.

„… Alex, bist du hier? Versteckst du die Tussi etwa vor mir? Ich bring das dumme Gör um!“

Geschockt trafen sich unsere Blicke, bevor Alexander den Raum verließ, um den Mann mit der aufgebrachten Stimme abzufangen.

„Halt die Klappe, Pete! Du hast in diesem Haus nicht das Maul aufzureißen, klar? Rova macht die Regeln, nicht du!“,

schnauzte er dem ungebetenen Gast genervt entgegen.

„Rova, Rova. Dem hat das viele Silber doch das Hirn verklebt! Ich will Rache und die hole ich mir auch!“

Nun erkannte ich Peters Stimme ganz deutlich. Rova war bereits aufgestanden und machte sich auf den Weg zur Tür. Er schloss sie hinter sich und plötzlich herrschte eine Totenstille im Raum, was mich wunderte, denn für so schalldicht hielt ich die Türen in diesem alten Gebäude eigentlich nicht. Es dauerte keine Minute, bis Rova die Tür wieder öffnete und sich beruhigend lächelnd neben mich setzte, als sei nichts gewesen. Da war absolut nichts Auffälliges an ihm zu entdecken. Was hatte er mit ihm gemacht?

„Ich garantiere für deine Sicherheit, Liebes. Sei unbesorgt.“

Ich schluckte, als mir bewusstwurde, dass ich auf die Güte dieses Mannes angewiesen war und zwang mir ein Lächeln heraus.

„D-danke.“

So ein Irrsinn! Peter hatte doch recht! Wie schaffte es Rova nur, mich von meiner Schuld abzulenken? Ich war eine Mörderin und nichts anderes und trotzdem schützte er mich vor dem Zorn der anderen. Wieso tat er das? Keine angemessene Strafe zu erhalten, verwirrte mich. Ein bisschen wünschte ich mir, hinaus zu Peter zu gehen, damit er es beenden konnte und doch war ich Rova und auch Alexander dankbar für ihren Schutz.

Rova redete die ganze Zeit ruhig auf mich ein, erzählte mir ein bisschen was über Sari. Sie war vor einem Jahr in diese Villa eingezogen und seine Nichte, Teil SEINER Familie. Davon hatte sie nie ein Wort gesagt. Ursprünglich kam sie aus Siebenbürgen und dort sollte sie auch bestattet werden, erklärte er.

Tja, das bedeutete wohl, dass ich Sari nicht einmal Lebwohl sagen können würde. Bei ihrer Beerdigung wollte sie mich aber wahrscheinlich sowieso nicht dabeihaben, mich die Frau, die sie überhaupt erst unter die Erde gebracht hatte. Wie ohnmächtig lauschte ich Rovas Worten. Auch er wollte, dass ich in Deutschland blieb, einleuchtend.

Mindestens drei Mal fragte er mich, wie es mir ging, was ich stets mit:

„Frag nicht!“,

beantwortete. Ich verstand erst, was er eigentlich hören wollte, als er es ganz konkret ansprach.

„Ich werde dich nur dann gehen lassen, wenn du mir versprichst, dir nichts anzutun. Hörst du, Lyz! Du musst es mir versprechen!“

Ich nickte. Vielleicht war das eine Lüge. Das wusste ich nicht so ganz genau, aber wenn ich von diesem Mann nicht eingesperrt werden wollte, blieb mir nur diese Antwort. Naja, zumindest erschien er mir in diesem Moment wie einer, der zu so etwas fähig war. Nüchtern betrachtet, gab es außer ihm niemanden, der in der Position war, mir zu helfen. War der Schutz, den er mir anbot, dann nicht wie eine Erpressung, ihm die Treue zu schwören? Das passte zumindest zu seinem zwanghaften Wunsch, mit mir in Kontakt zu bleiben.
 

Alexander begleitete mich die paar Schritte bis nach Hause, ohne dass wir miteinander sprachen. Ich sah ihm nicht einmal ins Gesicht, weil ich es einfach nicht konnte. Ich öffnete die Haustür und verschloss sie ohne Verabschiedung. Es war klar, dass er mich hassen musste, schließlich hatte ich seine Freundin umgebracht.

Meine Eltern arbeiteten um diese Zeit noch, doch das machte auch keinen Unterschied. Wenn ich ehrlich war, erleichterte es mich sogar. So konnte ich mich in meinem Zimmer verkriechen, ohne eines ihrer überforderten Gesichter sehen zu müssen.
 

Die meiste Zeit weinte ich und das hörten meine Eltern auch. Trotzdem kam weder meine Mutter noch mein Vater auf die Idee, auch nur zu versuchen, mich zu trösten. Hätte Vater wieder seinen bescheuerten Spruch vom Glück abgelassen, wäre ich nicht in der Lage gewesen, meine Enttäuschung ihm gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Ich hasste mich und die Welt hasste mich zurück, wie ein Spiegel. Nur einer widersetzte sich meiner Regel, Rova. Hätte er mir nicht dieses Versprechen aus den Rippen geleiert, hätte ich meine alten Suizidgedanken wohl wiedergefunden, die ich in der Mittelstufe hatte. Er war so ein Dummkopf, doch seine goldenen Augen erschienen mir wie Sterne in der Dunkelheit, die mich am Leben hielten.

Im Haus ging ich wie gewohnt meinen Aufgaben nach, machte die Wohnung sauber und kochte. Ich sprach dabei kein Wort, auch nicht am Esstisch, sondern hörte meinen Eltern dabei zu, wie sie sich über die Arbeit austauschten. So war das eben bei uns.

Meine Trauer versuchte ich dadurch zu verarbeiten, mich noch mehr auf diverse Hilfeforen im Internet zu stürzen und die verrücktesten Fragen zu beantworten. Sari musste raus aus meinen Gedanken, vor allem diese merkwürdigen Todesumstände. War sie wirklich zerfallen, oder spielte mir mein Gedächtnis einen Streich? Alles schien zu verschwimmen, wenn ich mich versuchte, daran zu erinnern.

Nein, wenn ich leben wollte, dann musste ich das alles vergessen. „Wie kriege ich meine Akne los?“, „Ich muss einen Aufsatz über die Französische Revolution schreiben, kann mir jemand helfen?“ oder „Warum stürzt mein Rechner ab, wenn ich Pornos gucken will?“, das war mein Tagesinhalt, der alles verdrängen sollte und gleichzeitig der letzte Sinn, den mein Leben noch zu bieten hatte.

„Versuche auf keinen Fall den Rotweinfleck mit Weißwein aus deinem hellen Teppich zu waschen, es sei denn du willst, dass deine Wohnung nach Alkoholiker stinkt. Wasser und ein bisschen Seife sind viel effektiver und es riecht auch besser…“,

tippte ich im Dunkeln in die Tasten meines Laptops und die Tränen liefen und liefen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Schwabbelpuk
2019-03-03T20:11:13+00:00 03.03.2019 21:11
Irgendwie verstehe ich garnicht, warum sie sich nicht über Rova und Sari wundert. Ich meine, da ist ein Mädchen vor ihrem Augen zu Staub zerfallen und das ist okay so? Sie nimmt es ohne ein Wort hin. Das ist der einzige Punkt, wo ich nicht ganz hinterher steige, aber ansonsten lese ich mal weiter, vielleicht klärt sich das ja noch. ^^'
Antwort von:  Elnaro
03.03.2019 21:24
Es klärt sich noch warum Lyz die Sache mit dem Staub nicht mehr erwähnt. Das dauert aber noch ein paar Kapitel. Alles worauf Lyz nicht eingeht, nimmt sie nicht wahr, auch wenn es für den Leser offensichtlich ist.


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