Forced Fortune von Elnaro ================================================================================ Kapitel 3: Ich will nicht, dass du gehst ---------------------------------------- Mein Studium rückte näher und das bedeutete, ich würde endlich aus meinem Elternhaus herauskommen und ins Studentenwohnheim umziehen können, das ab Oktober gemietet war. „Soziale Arbeit“ hieß der Studiengang, in den ich mich eingeschrieben hatte. Den NC von 1,7 erreichte ich gerade so. Die 2 in der Deutschprüfung hatte mich fast noch rausgekickt, was fatal gewesen wäre, da ich keine andere Idee für meine Zukunft hatte. Für das Ehrenamt zwei- bis dreimal die Woche mit dem Zug anzureisen, hielt ich für keine gute Idee. Es hieß also, dass ich vom SOLV und seinen Mitarbeitern Abschied nehmen musste. Eigentlich sollte das keine große Sache sein, dachte ich und sofort verkrampfte sich mein Magen. Er war da offenbar ganz anderer Meinung. Meinen Austritt aus dem Verein musste ich meinen Kollegen nämlich noch beibringen. Ich hätte das gleich zu Beginn tun sollen, denn später gab es keine Gelegenheit mehr... Nicht einmal Sari wusste Bescheid, aber mit ihr würde ich mich regelmäßig treffen, so sehr wie sie mir ans Herz gewachsen war. Der einzige, den ich informiert hatte, war der Geschäftsführer August Lucard, dem ich meinen Austrittsantrag per E-Mail zukommen ließ. Er trug interessanterweise den selben Nachnamen wie Rova, was mir vorher noch gar nicht aufgefallen war, ein Familienunternehmen also. Er schien eine andere Niederlassung zu bevorzugen, denn ich hatte ihn noch nie gesehen, was mich nicht wunderte, wenn ich an die halb verfallene Villa dachte. Im Wochenmeeting hatte ich mir von Angeline, einer lieben Mitarbeiterin, einen eigenen Tagesordnungspunkt zuteilen lassen und das sollte schon verräterisch genug sein, um zu erraten, dass ich aufhören wollte. Was hätte ich diesen ganzen Leuten wohl sonst mitteilen wollen? Diesmal waren zwölf Mitglieder anwesend, nicht besonders viel, aber genug, um mir Angst zu machen. Vor vielen Menschen zu sprechen, lag mir einfach nicht. Ihre beurteilenden Blicke auf mir zu spüren war schrecklich! Wie zu jedem Meeting saßen wir alle zusammen an der langen Tafel im größten Raum der Villa. Ich hatte es seit jenem Erlebnis unterlassen, hier etwas verbessern zu wollen. Es war Rovas Haus und er musste selbst wissen, in welchem Zustand er es haben wollte, auch wenn er von meiner Seite nicht gerade auf Verständnis damit stieß. Your home is your castle. Das sollte man in Ordnung halten. Wie sie es oft zwischendurch tat, scherzte Sari mit zwei jungen Männern herum, von denen sie ab und zu erzählt hatte. Alexander, der mit seinem Metallica T-Shirt und seinen schwarz gefärbten, langen Haaren wahrscheinlich ein Metal-Fan war, hatte immer ein freches Grinsen auf dem Gesicht, außer er sah mich an, dann verlor er es. Bei Peter, einem dunkelblonden Kerl, der immerzu sportlich gekleidet war, fiel die Reaktion noch heftiger aus. Er war immer bedacht, Abstand zu mir zu halten, hatte mir nicht ein einziges Mal „Hallo“ oder „Tschüss“ gesagt. Zu ihr waren sie so nett, laut ihren Storys sogar beide verschossen in sie, aber mich konnten sie nicht leiden. Vielleicht weil ich ihnen ihre süße Sari streitig machte. „Lass sie uns in Zukunft gemeinsam trinken“, forderte Peter an Sari gerichtet, die sich Alexanders Arm griff und prompt im Singsang antwortete: „Hihi, das wird dir auch nicht helfen. Damit hat es nämlich überhaupt nichts zu tun.“ Waren sie und Alexander nun ein Paar? So wirklich klar war mir das nicht, schon weil sie es auf direkte Nachfrage hin abstritt. Auch wenn sie mir von ihren Neckereien berichtete, hielt sie sich über ihr Liebesleben bedeckt. Aber ich erzählte ihr ja auch nicht, was für ein Feuerwerk in mir startete, wenn Rova den Raum betrat. Vielleicht war unser gegenseitiges Vertrauen doch nicht so groß, wie ich zuvor so euphorisch gedacht hatte. Die Eröffnung der Sitzung durch Rova hatte den typischen Effekt disziplinierter Stille im Raum, während ich wieder dieses Kribbeln bekam. Wahrscheinlich sah ich meinen Chef zum letzten Mal. Ein bisschen Reue spielte da schon mit hinein. Als er an meinem Tagesordnungspunkt angelangte, lächelte er mir entspannt zu und fragte interessiert, was denn mein Anliegen sei. Es fiel mir unglaublich schwer, es auszusprechen, aber nun konnte ich nicht mehr davonlaufen. Ich berichtete von meinen Zukunftsplänen außerhalb des Vereins und von meiner Idee, stattdessen dem Cosmopolitan Club der Hochschule dabei zu unterstützen, ausländischen Studenten beim Einstieg zu helfen. Mein Chef saß an der anderen Seite der Tafel und damit am weitesten von mir entfernt, doch trotzdem sah ich deutlich, wie er den Glanz in seinen Augen verlor und sein Lächeln versiegte. Vielleicht, um mich besser erkennen zu können, lehnte er sich nach vorn auf seine Ellenbogen über den Tisch. „WAS?! Du willst weiterziehen und mich hier zurücklassen, Lyz? Was glaubst du, wieso…? Was hab ich getan?“ Bezog er das etwa auf sich? Was für ein Quatsch! Die meisten anderen an der Tafel überraschte mein Austritt nicht, aber er schüttelte nur verständnislos den Kopf. Es war ihm gelungen, die von mir verdrängen Schuldgefühle anwachsen zu lassen. "A-aber Rova, das hat doch nichts mit dem Verein zu tun und auch… auch mit dir nicht." Seinen Blick von mir abwendend, lehnte er sich nun nach hinten an die kunstvoll verzierte Stuhllehne, verschränkte seine Arme und murrte: „Kann ein anderer die letzten zwei Tagesordnungspunkte für mich durchgehen? Mir ist die Lust daran vergangen.“ Angeline, die freundlicherweise schon seit einigen Minuten das Protokoll ausgesetzt hatte, übernahm die Leitung des Meetings, zog das Blatt, das vor Rova lag, zu sich und versuchte den Rest zu moderieren. Er beteiligte sich nicht mehr am Gespräch, platzte jedoch schon nach kurzer Zeit mit einer verstimmten Anklage dazwischen: „Habt ihr das alle gewusst, oder warum bleibt ihr so gefasst? Warum sagt mir das keiner? Ich bin euer Chef und erfahre es als Letzter!?“ Nun zog er auch noch die anderen mit hinein. Mann, ich konnte es doch nur deshalb nicht früher ansprechen, gerade WEIL es mir beim SOLV gefiel. Wie sollte ich ihm das vor den anderen erklären, ohne respektlos zu wirken? Das war eher etwas für ein Vieraugen-Gespräch. Sari sprang für mich in die Bresche und machte damit alles nur noch schlimmer. „Ich hab es auch nicht gewusst. Lyzzy hat es nicht nur dir verschwiegen, Rova“, Ja klasse, sie war genauso sauer auf mich. Nicht ganz unverdient, eher sehr verdient sogar, denn egal, wie sehr ich mich bemühte ein guter Mensch zu sein, kam nie etwas Gutes dabei heraus, wenn ich mich jemandem annäherte. Ich hoffte einfach nur noch, dass das Meeting schnell zu Ende ging, damit ich mich verkriechen konnte. Mein Chef war der Erste, der wutentbrannt aus dem Raum stürmte, ohne mich noch einmal anzusehen, oder sich von mir zu verabschieden. Er war überhaupt der Einzige, der so eine große Sache daraus machte, denn alle anderen verabschiedeten sich nach und nach höflich von mir. Sogar Sari hatte sich schnell wieder gefangen, als ich ihr gestand, dass ich sie am liebsten jedes Wochenende sehen wollte. Von einigen anderen bekam ich ein paar Wortfetzen mit. Offenbar war nicht ich das Gesprächsthema, sondern Rova. „…ich verstehe nicht, was das Theater soll“ und „…er erzählt uns doch nichts.“ Ich besprach mich noch eine ganze Weile mit Sari, bis sie sich verabschiedete. Als kaum mehr jemand von den anderen anwesend war, ging ich im Haus auf die Suche nach Rova. Egal wie groß meine Scheu vor ihm auch gewesen sein mochte, auf diese Weise durfte ich es nicht enden lassen. Besonders erwachsen fand ich sein Verhalten nicht, vor allem nicht für einen Chef. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Mein Austritt musste ihn hart getroffen haben. Da es Abend und inzwischen dunkel geworden war, tauchte das schwache Licht der edel verzierten, aber leider sehr staubigen Wandleuchter die alten holzvertäfelten Gänge in eine düstere Atmosphäre. Bis nach Sonnenuntergang hatte ich mich zuvor noch nie in diesem Haus aufgehalten und ich wusste nun auch, warum. Es war total gruselig. Beunruhigt zwang ich mich Meter für Meter näher an das Zimmer heran, in dem sich Rova beim letzten Mal aufgehalten hatte, jener Raum mit den schweren Vorhängen und der alten Couch. Er hatte die Tür einladend für mich offenstehen gelassen. Wie erwartet saß er mit dem Rücken zu mir auf der verschlissenen Couch allein im Zimmer. Wieder zeichneten sich nur seine Umrisse ab, aber er war es eindeutig. Die schweren Vorhänge waren diesmal vollständig aufgezogen und offenbarten einen wunderschönen Blick hinaus auf den dunklen Nachthimmel. Rova bemerkte mein Eintreten, da mich das knarzende Parkett verriet. Kurz hinter der Tür blieb ich stehen, als er kühl fragte: „Nun, wo niemand mehr mithört, kannst du ehrlich sein! Es liegt an mir, dass du gehen willst. Ich habe dich erschreckt. Hättest du das Foto doch nie zu Gesicht bekommen!“ Er seufzte gequält, drehte sich auf der Couch zu mir um und legte seinen Arm dabei auf der Lehne ab. „Warum hast du mir deine Pläne nicht mitgeteilt? Es hätte so viele andere Möglichkeiten für dich gegeben, als aufzuhören. Du hättest SOLV Botschafterin an deiner Hochschule werden können und Spendenevents für uns organisieren. Hätte dir das nicht gefallen?" Seine Worte trafen mich mitten ins Herz. Nichts, was ich sagen konnte, würde das alles wieder gut machen können, aber irgendetwas musste ich doch entgegnen. „So habe ich das bisher noch gar nicht betrachtet.“ Seine düstere Gestalt erhob sich und kam auf mich zu. Sie hatte etwas Unheilvolles an sich, das mich nicht unbedingt aufbaute. „Weil dir die Weitsicht fehlt. Du bist eben noch sehr jung... oder hast du Geheimnisse vor mir? Ich muss wissen, ob es etwas mit mir zu tun hat!“ Wieder benutzte er diesen anklagenden Ton. Was sollte das? Ich war ihm doch nichts schuldig und nun nahm er mich so in die Mangel. Am liebsten wollte ich schnell wieder verschwinden, aber ich war wie festgefroren in meiner Position. Dass ich nicht von der Stelle kam, stresste mich zusätzlich. Die Situation entglitt mir allmählich. „Hör bitte auf, mich anzuklagen, Rova! Ich hab vorhin schon gesagt, dass du nichts damit zu tun hast. Die Welt dreht sich doch nicht nur um dich!“ Uuups, was war mir da im Eifer des Gefechts herausgerutscht? Erschrocken hielt ich mir die Hand vor den Mund. So wie ich meinen Chef angefahren hatte, erwartete ich nun einen achtkantigen Rauswurf von ihm, wohlverdient. Komischerweise schien das Gegenteil der Fall zu sein, denn er wurde ganz ruhig und kam auch den letzten Meter zu mir heran, näher als mir andere Menschen normalerweise kamen. Meine Beine bewegten sich nur leider keinen Schritt rückwärts. Sanft hauchte er mir ins Ohr, was mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. „Weißt du, Lyz, es soll auch nicht die ganze Welt sein, die sich um mich dreht. Deine reicht mir.“ Ich presste meine Hände an meine Brust und war nun endlich in der Lage, zurückweichen zu können. Innerlich war ich vollkommen zerrissen. Rova machte mich unruhig, misstrauisch sogar und doch fühlte ich diese intime Verbundenheit zu ihm. „Was genau willst du eigentlich von mir?“ Es mochte düster sein, doch ich sah durch sein erfreutes Lächeln seine weißen Zähne vor mir aufblitzen. „Ich erkläre es dir, Liebes. Du warst nicht leicht zu finden und doch gab ich mich damit zufrieden, einfach nur dein Vorgesetzter sein zu können. Wenn ich das jetzt nicht mehr sein darf, dann frage ich dich, wer oder was ich dann für dich sein soll?“ Blut schoss mir in den Kopf, das spürte ich deutlich. Wie bitte? Er hatte mich gesucht? Beim letzten Mal hatte sich das noch ganz anders angehört. Zudem verstand ich seine Frage zwar inhaltlich, aber nicht den Sinn dahinter. Völlig überfordert stammelte ich das eigentlich Falsche. „Was schwebt dir denn vor?“ „Nein, Liebes. Was schwebt dir vor? Ich kann alles für dich sein, nur eben nicht nichts, verstehst du?“ Nein? Ich schluckte, doch eigentlich war mein Mund vollkommen ausgetrocknet. Was genau versuchte er mir damit zu sagen? War er irgendwie auf mich fixiert, weil ich dieser Frau auf dem Foto ähnelte? Oder war das eine Masche? Er war der Chef dieses Ladens und sah super aus. Wieso konnte er mich nicht einfach zum Essen einladen, wenn er an mir interessiert war? Meine Güte, war ich mit der Situation überfordert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)