Blut, Stahl und Rauch von AraniShadon ================================================================================ Kapitel 2: Ein neues Leben -------------------------- Anjus Pferd war ein Problem. Fionnlagh konnte es ja nun schlecht in sein Auto packen, auch wenn sie gerade auf dem Weg zu genau diesem waren. Er fühlte sich auch nicht wohl damit es hier einfach freizulassen – zumal Anju dieser Option sicher nicht zustimmen würde – also brauchte er einen Hof, eine Ranch, irgendetwas. Und er brauchte einen Wagen mit Anhänger. Fionnlagh zupfte an seiner Unterlippe, ging gedanklich seine Kontaktliste durch. Am schnellsten würde Jeremy zu ihnen kommen können. Der andere Jäger wusste zwar nicht, was ordentliche Umgangsformen waren und er würde Anju erschießen, wenn er dessen Augen sah, aber sein kleiner Bruder züchtete Pferde und würde Anjus Ross sicher aufnehmen. Fionnlagh warf einen Blick über seine Schulter. Anju folgte ihm behände und verdammt leise. Es war schaurig, wirklich. Aber noch unheimlicher war, dass das Pferd Anju folgte, ohne das dieser es an den Zügeln führen würde. Fionnlagh hatte keine Ahnung von diesen Tieren, wirklich nicht, aber er bezweifelte, dass so ein Verhalten normal war. „Wie ist sein, uh, sein Name?“, fragte er mit einem Kopfnicken. „Oon“, erwiderte Anju und machte keine Anstalten, das Gespräch weiter fortzuführen. Schweigsamer Geselle. Fionnlagh schob den Rucksack höher, rieb mit der freien Hand über seinen Nacken. „Die Welt aus der du kommst, dein Zuhause. Kaer Morhan.“ Anju nickte leicht, weswegen Fionnlagh weiter sprach. „Gibt es da jemanden? Eine Familie, Menschen, die dich vermissen werden?“ Anju presste einen Moment den Kiefer aufeinander. Fionnlagh konnte verstehen, dass es ein hartes Thema war, aber er musste es wissen. Selbst wenn er machtlos war, etwas dagegen zu tun, gefangen und gestrandet wie Anju in dieser Welt war. „Ich habe keine Frau oder Kinder, falls du das meinst. Aber es gibt meine Brüder, andere Hexer. Sie werden nach mir suchen, die Spuren der Konjunktion finden und wissen, was das bedeutet. Sie werden mich in Ehren halten, in ihren Erinnerungen an unsere gemeinsame Vergangenheit.“ Mit anderen Worten, sie gingen davon aus, das Anju für sie verloren war. Fionnlagh war sich nicht sicher, ob es ihm mit diesem Wissen besser ging oder nicht. Vielleicht in dem Sinne, dass da keine Kinder waren, die nun ohne ihren Vater aufwuchsen. Nicht, dass sich sein eigener Vater groß für ihn interessieren würde. Fionnlaghs Lippen zogen sich zu einer dünnen Linie. Nein, an seinen alten Herrn, würde er nun ganz sicher nicht denken. Stattdessen kramte er nach seinem Telefon, das den Angriff dies Bies zwar nicht unbeschadet überstanden hatte, aber noch immer funktionierte. Auch wenn es recht merkwürdig klapperte. Das Glück war ihm hold. Erst gab es nur einen Balken, aber schon fünfzig Meter weiter gesellte sich ein weiterer dazu. Genug, um zu telefonieren. Fionnlagh blätterte durch seine Kontakte, den Daumen schon fast auf der Taste zum Wählen, da realisierte er, das Anju ein Telefon vermutlich gar nicht kannte. Da er aber eines brauchen würde, musste Fionnlagh ihm erklären, wie es funktionierte. Gut. Er würde sich darum kümmern, sobald sie wieder in der Zivilisation angekommen waren. Jeremy hob nach dem dritten Mal klingeln ab. „Was willst du?“ Seine Stimme war rau und mürrisch. Fionnlagh verband sie stets mit einem übellaunigen alten Mann, aber Jeremy war nicht älter als er selbst. „Ich dachte, nach der Sache in Arizona sind wir quitt.“ „Sind wir auch. Aber hör' mal, ich brauch 'nen Stellplatz für ein Pferd und Timothy hat sicher nichts dagegen, wenn noch eins auf seiner Ranch rumrennt.“ „'N Pferd? Ernsthaft jetzt?“ „Ja, ernsthaft.“ „Du machst mich schwach, Alter. Wo bist du?“ Fionnlagh gab den Standpunkt seines Wagens durch, den er sich im Vorfeld notiert hatte, dann wartete er und lauschte, wie Jeremy mit Papier raschelte, dann Schubladen oder Schränke öffnete, um den – wie er es ausdrückte – verfluchten Schlüssel für den verfluchten Anhänger zu finden. „Ich hol' Tim und dann sind wir in einer Stunde bei dir. Bis dahin überleg dir 'ne gute Story, woher du 'n Pferd in den Wäldern von Connecticut herzauberst.“ Jeremy legte auf, bevor Fionnlagh ihm antworten konnte. Er schnaubte und sah dann zu Anju hinüber, der den Hals seines Tieres streichelte. Eine gute Story, huh? Wie wäre es mit einem Hexer, der aus einer anderen Dimension kam? Wohl eher nicht. „Anju, hör mal. Wegen Oon.“ Die grünen Augen des Hexers richteten sich auf Fionnlagh und dieser atmete tief ein. Es gab keinen guten Weg, das jetzt zu sagen. „Wir können ihn nicht mit uns nehmen. Aber ich habe gute Bekannte, die ihn gut behandeln werden. Wir können ihn dann dort besuchen.“ „Ich weiß“, war die simple und doch recht überraschende Antwort Anjus. „Ich habe es aus deinen Worten gelesen, die du in das kleine Kästchen gesprochen hast.“ Der Hexer hob einen Arm, deutete auf Fionnlaghs Hand. „Mein Telefon?“ Fionnlagh starrte es an, dann offerierte er es Anju, der es behutsam nahm und von allen Seiten betrachtete. „Ich kann damit Menschen kontaktieren, die weit von mir entfernt sind, auch rund um die Welt. Du wirst auch eines brauchen.“ „Demnach funktioniert es wie die Xenogloss. Doch dies hier, dein Telefon, sieht anders aus. Du wirst es mir erklären müssen.“ „Natürlich.“ Fionnlagh zögerte, beobachtete, wie Anju konstanten Kontakt zu seinem Pferd hielt, sich sogar dagegen lehnte. „Das mit Oon tut mir leid.“ „Wenn du sagst, dass es notwendig ist, ihn unterzubringen, dann vertraue ich deinem Wort. Oon wird es verstehen.“ „Kennt ihr euch schon lange?“ Die Bäume lichteten sich, ließen die Straße erkennen, an der Fionnlagh seinen Wagen geparkt hatte. „Seit er ein Fohlen ist. Die Pferde von Hexern sind speziell gezüchtet, da sie im Kampf nicht scheuen dürfen. Außerdem brauchen sie einen starken, nur schwer beeinflussbaren Charakter. Oon hier ist in beiden etwas ganz besonders.“ Oon wieherte leise, als hätte er Anju verstanden, worauf sich ein Mundwinkel des Hexers hob. Dann fokussierte sich der Blick abermals auf Fionnlagh. „Was ist mit dem Sattel, der Ausrüstung. Ist sie sicher bei diesem Timothy?“ „Ja, ja, das ist sie“, antwortete Fionnlagh automatisch, aber wenn er ehrlich war, dann überraschte ihn Anjus exzellentes Gehör. Er hatte nicht laut mit Jeremy telefoniert und war mehrere Meter vor diesem gewesen. Er musste sich mit diesem hinsetzen, in Erfahrung bringen, welche Fähigkeiten er besaß. Sie erreichten sein Auto, von dem er das Tarnnetz abzog und es mit schnellen Griffen in ein flaches Paket zusammenlegte. Anju studierte den dunklen Jeep aufmerksam, die Schultern zurückgezogen und angespannt. Es behagte ihm ganz offenbar nicht. Fionnlagh öffnete beide Türen und den Kofferraum, gab Anju so die Möglichkeit, in das Innere zu sehen. „Du kannst die Sachen, die du mitnehmen willst, hier hineintun.“ Er tätschelte den Rand des Kofferraums, zögerte und nickte dann doch in Richtung des Hexers. „Und, uh, deine Schwerter müssen auch rein.“ Nun verengten sich Anjus Augen, sodass er wie eine schlecht gelaunte Katze aussah. „Warum?“ Nur ein einziges Wort. So hart und düster, dass es Fionnlagh eiskalt über den Rücken fuhr. Automatisch verschob er sein Gewicht auf die Fußballen, fiel in eine halbe Angriffsposition, bevor er sich zusammen riss und bewusst entspannte. „Es würde zu sehr auffallen. Ich nehme an, in deiner Welt ist es normal, dass du sie trägst?“ Anju nickte, was Fionnlagh erwiderte. Das hatte er sich schon gedacht. „Hier ist es enorm ungewöhnlich. Wie auch deine Rüstung.“ „Meine Schwerter sind mein Zeichen und meine primären Waffen. Meine Rüstung ist mein Schutz.“ Anju verschränkte die Arme vor der Brust, seine Präsenz beeindruckend vereinnahmend. „Beides zu verlieren macht mich während einer Jagd verwundbar. Warum also verlangst du es von mir?“ Fionnlagh strich sich durch das Haar, schluckte. Es war in der Tat hart, was er von Anju forderte und wenn man ihm sagen würde er solle seine Taurus und seine Messer rausrücken, dann würde er demjenigen wohl einen Vogel zeigen. Aber Himmel, es waren nun einmal Schwerter! Und eine gottverdammte Rüstung! Fionnlagh trat einen Schritt auf Anju zu, eine Hand erhoben, um ihn zu besänftigen, einen Kompromiss vorzuschlagen „Wenn wir auf Jagd gehen, bekommst du beides wieder. Ich schwöre es dir.“ Noch ein Schritt, bis er dem Hexer eindringlich in die Augen sehen konnte. „Aber in der Zeit, die dazwischen liegt, werden wir es verwahren. Es ist essenziell, das wir unauffällig sind und das erreichen wir nur, wenn wir dich an diese Welt anpassen.“ Anju schwieg, die Arme vor der Brust verschränkt, die Brauen zusammengezogen. Er dachte nach, erkannte Fionnlagh, wog das Für und Wider ab, seine Möglichkeiten und Chancen. „In meiner Welt gibt es überall Kreaturen, bei Tag und weit mehr bei Nacht. Ist es hier genauso?“, fragte er letztendlich langsam. „Dieses Ding, dein ... Auto. Wird es uns vor Monstern beschützen können, wenn wir in ihm sind?“ „Ja, das wird es. Die Monster in dieser Welt zeigen sich selten am Tage.“ Oder sie waren getarnt, lebten unter den Menschen, aber das würde er Anju noch nicht sagen. Und auch nicht, das ein Wagen sie nicht vor allem schützen konnte, was da draußen so rumkroch, bewaffnet mit Zähnen und Klauen, die Autotüren aufbiegen konnten, als wäre es Knete. „Wir sind sicher.“ Anju studierte sein Gesicht, aufmerksam und durchdringend, dann nickte er einmal und begann die Gurte zu lösen, die seine Schwerter hielten. Er fing sie geübt auf, brachte sie zum Jeep. Er zögerte trotzdem, bevor er sie in den Kofferraum legte. Fionnlagh trat zu ihm, legte ihm eine Hand auf die Schulter, drückte diese. „Du wirst sie nicht verlieren.“ Die Muskeln unter seiner Hand waren hart, aber das Nicken des anderen Mannes weicher. Anju akzeptierte es. Zumindest für den Moment. Fionnlagh lächelte diesen ermutigend an und wollte gerade fragen, was Anju noch alles mitnehmen wollte, da spannte sich dieser vollkommen an. Mit unglaublicher Geschwindigkeit packte er Fionnlagh und brachte sie zu Boden, bevor dieser wusste, wie ihm geschah. Für einen winzigen Augenblick desorientiert schoss Adrenalin in jede Pore von Fionnlaghs Körper. Kampf oder Flucht und er wusste sich noch nicht zu entscheiden. Fionnlagh wehrte sich gegen Anju, doch dessen Griff war unerbittlich und so blieb er wo er war. Mit dem Bauch auf dem Boden, das Gesicht nur ein paar Zentimeter vom Hinterrad des Jeeps entfernt und Anjus Arm, schwer über seinem Rücken. „Bleib still“, wisperte der Hexer harsch in sein Ohr. „Lausche. Etwas kommt näher. Schnell.“ Fionnlagh tat, was Anju gesagt hatte. Die Augen geschlossen, strengte er sich an, zu hören, was den Hexer so beunruhigt hatte. Als Erstes war da nichts, doch dann gab es ein Brummen. Konstant, danach etwas unruhiger und wieder konstant. Der Motor eines Autos. Jeremy, höchstwahrscheinlich. Fionnlagh atmete bewusst aus, fühlte, wie sein Herzschlag langsamer wurde. Mit den Fingern umschloss er Anjus Handgelenk, Haut auf Haut, der Daumen so, das er den konstanten Puls des anderen zu fühlen vermochte. Er war ebenfalls beschleunigt, aber er glich bei weiten nicht dem Stakkato seines eigenen. „Es ist alles in Ordnung, Anju.“ Fionnlagh legte alle Ruhe, die er aufzubringen vermochte, in seine Stimme und Worte. „Das ist nur ein anderes Auto.“ Keine Antwort, aber der Griff löste sich, so dass Fionnlagh aufstehen konnte. Das war auch ganz gut so, denn wenn Jeremy sie so gefunden hätte, wäre mit Sicherheit ein dämlicher Spruch gekommen. Fionnlagh klopfte sich ab und fuhr sich durch das Haar. Das Geräusch des Motors wurde lauter, also blieben ihm nur noch ein paar Minuten, um Anju auf den anderen Mann vorzubereiten. Er beugte sich in seinen Kofferraum, angelte nach einer Jacke, die hier schon seit Ewigkeiten drin lag, schloss diesen und auch die Türen. „Gibt es viele von diesen Autos hier?“ Anjus Stimme klang wieder so neutral wie Fionnlagh es kennen gelernt hatte, aber die Körpersprache des Hexers war noch immer angespannt. „Sind sie alle so laut?“ Fionnlagh dachte an die Großstädte mit ihren Blechlawinen, an Staus und Hupkonzerte, als ob es etwas ändern würde, nur weil man lautstark gegen das Stillstehen protestierte. „Ja, ich fürchte.“ Er öffnete die Jacke, hielt sie Anju hin. „Aber du wirst dich schnell daran gewöhnen. Hier, zieh das an. Es ist das einzige, was ich im Moment dabei habe.“ Anju streifte die Jacke über. Es sah ein wenig merkwürdig aus, nachdem Fionnlagh den Reisverschluss hochgezogen hatte, da sich gerade der Schulterschutz darunter abzeichnete, aber es würde für den Moment genügen müssen. Er zupfte an dem Kleidungsstück herum, ohne das es besser wurde. „Jeremy wird wissen wollen, wer du bist. Wir werden ihm sagen, dass ich dich beim Bies gefunden habe, in Ordnung? Wer du genau bist und wie du hier hergekommen bist lassen wir lieber weg.“ Anju nickte nachdenklich. „Um unauffällig zu bleiben.“ Fionnlagh konnte seinen Blick spüren, während er die Straße hinunterstarrte, und Jeremys näher kommenden Wagen im Blick behielt. „Du vertraust ihm nicht.“ „Ich vertraue ihm, dass er mir den Rücken freihält“, entgegnete Fionnlagh. Jeremy war ein guter und erfahrener Jäger, kompetent im Verfolgen seiner Beute, dem Lesen von Spuren. Vielleicht war er auch dazu zu gebrauchen, in eine Kneipe zu gehen und die Betrunkenen darin abzuziehen. Aber wirklich persönliche Belange? Fionnlaghs Seele, sein Herz? Nein, niemals. In seinem Leben hatte es nur eine Person gegeben, mit der er so offen gewesen war und diese Person war seit mehreren Jahren tot. Anju verengte ein wenig die Augen, so als würde er die Worte durchdringen müssen, doch er antwortete nicht. Stattdessen wand er sich zusammen mit Fionnlagh dem dunklen Chevy zu, der in diesem Moment bei ihnen parkte. Jeremy schob sich einen Moment später hinter dem Steuer hervor. Er war ein großer Mann mit schwarzen Vollbart und kleinen Augen. Das schulterlange Haar trug er in einem Zopf, im Mundwinkel steckte wie üblich eine Zigarette. Ihr Geruch stieß Anju auf, Fionnlagh sah, wie der Hexer kurz die Nase rümpfte und grinste innerlich. Es war schon erstaunlich, wie eine kleine Geste derart Missfallen ausdrückte. Jeremy schüttelte ihm zum Gruß die Hand, drückte kurz seine Schulter, aber der Blick des anderen Jägers lag auf Anju. Gott sei Dank, war dieser halb um den Jeep herum zurückgewichen, so dass dieser zwischen ihm und Jeremy stand. So würde der andere Jäger Anjus Augen nicht sehen. Ein kluger Schachzug, musste Fionnlagh neidlos anerkennen und eine rasend schnelle Adaption des Hexers in dieser Welt unauffällig zu sein. „So, wo hast du das Tierchen?“ Jeremys Stimme war dunkel und wenn Fionnlagh sie zu lange hörte, tat ihm seine Kehle weh, so rau und heiser klang sie. „Und wer ist das?“ „Anju“, erwiderte Fionnlagh und ersann in wenigen Sekunden eine Geschichte, die Jeremy ihm abkaufen würde. „Er ist ein LARP Spieler, der hier in den Wäldern trainiert hat, bis er und Oon zum Abendessen auserwählt wurden. Ich kam rechtzeitig, wie man sehen kann, aber nun scheut das Pferd.“ Wie auf Kommando schnaubte und wieherte Oon nervös von seinem Standort zwischen den ersten Bäumen aus. „Du weißt selbst, dass man nach so einer Begegnung nicht mehr normal leben kann, Jeremy.“ Fionnlagh senkte die Stimme und beugte sich näher zu dem anderen Jäger, um seine Geschichte besser zu verkaufen. „Weder Mensch noch Tier.“ Jeremys Blick wurde sanfter, genauso wie Fionnlagh es vorausgeahnt hatte. Opfer waren immer schwer zu ertragen und zu verarbeiten, Lebende oft noch schlimmer als Tote. „Gut, dann lass mich mal versuchen. Ich bekomm den Kleinen schon in den Anhänger. Oon heißt er, sagst du?“ Fionnlagh nickte, was Jeremy mit einem Brummen quittierte und dann zu dem Pferd hinüberging. Er sprach zärtlich mit ihm und wurde im Gegenzug nicht nur von Oon intensiv beobachtet. Eine viertel Stunde später war das Tier sicher verstaut. Sie würden Jeremy auf die Ranch begleiten und vielleicht würde Fionnlagh dort Timothy ein wenig Kleidung aus dem Kreuz leiern können. Jetzt galt es aber erst einmal Anju in seinen Jeep zu bekommen. „Fahren wir“, sagte er leise zu diesen und legte eine Hand in den Rücken, um ihn zu führen. Er öffnete ihm die Tür, schob die Hand dann automatisch auf den Kopf des Hexers, damit dieser sich nicht stieß, sah anschließend zu ihm hinein, deutete auf den Gurt. „Den hier musst du anlegen.“ Er zog ein wenig an der Schnalle, gab sie Anju in die Hand. „Das Teil kommt da rein.“ Er tippte auf das Gegenstück des Verschlusses, dann schloss er behutsam die Tür, umrundete er den Wagen und schob sich hinter das Lenkrad. „Alles gut?“ Anju nickte, aber er saß steif und kerzengerade auf dem Sitz und als Fionnlagh den Motor startete, ballten sich seine Fäuste. Fionnlagh konnte es ihm nicht verdenken, aber es gab auch nichts, wie er die Fahrt erleichtern konnte. Zum Glück waren sie auf einer sauber asphaltierten Straße. Schlaglöcher würden wahrscheinlich selbst für einen Hexermagen zu viel sein. Normalerweise hörte Fionnlagh Musik, um die Stille zu vertreiben, aber jetzt mit Anju war das nicht möglich. Anderseits war sein neuer Begleiter nicht gerade das, was man redselig nennen konnte. Und so war es wohl an ihm, ein Thema zu finden. Eines das Anju nicht an das erinnerte, was er verloren hatte, obwohl genau das die Themen waren, die Fionnlagh am meisten interessierten. Anju hatte von anderen Hexern gesprochen, sie Brüder genannt. Meinte er damit eine Art Waffenbruder? Oder teilten sie das gleiche Blut? War Hexer eine Art Titel, so wie er selbst ein Jäger war? Sie besaßen spezielle Tränke – hochtoxisch für normale Menschen, erinnerte sich Fionnlagh – was also machte sie für Anju verträglich? Welchen Ursprung hatten seine offensichtlich extremen Sinne? „Erzähl mir, was ein Hexer ist.“ Fionnlagh sah kurz zu Anju, dann wieder auf die Straße, aber aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, dass sich der andere Mann regte, die Finger der rechten Hand gegen das Fensterglas legte. „Hexer wurden von den Zauberern als Antwort auf die Monster erschaffen, die über unsere Welt hereinfielen. Wir sind professionelle Monsterjäger, nie gern gesehen und meist verachtet, aber notwendig. Kinder, die zum Hexer auserkoren sind, werden sehr früh von ihren Eltern getrennt oder sie sind Waisen. Sie werden in den Schulen der Hexer in Geist, Körper und Seele trainiert und gestählt und auf die Kräuterprobe vorbereitet. Sie macht aus einfachen Menschen Hexer, was nur wenige von ihnen überleben. Außerdem sind alle Hexer männlich, der weibliche Körper ist nicht für die Kräuterprobe geschaffen.“ „Und diese Kräuterprobe – sie verändert die Hexer?“ „Das ist korrekt. Hexer sind künstlich eine erschaffene Mutation, die es erlaubt, versteckte Potenziale des menschlichen Körpers offenzulegen. Hexer sind schnell und wendig und können lange Zeit ohne Nahrung auskommen. Unsere Sicht ist in der Nacht exzellent. Wir trainieren hart, auch nach der Kräuterprobe und schärfen so auch die anderen Sinne – Geruch, Hörvermögen, Tastsinn.“ Ein perfekter Jäger, ausgebildet für ein einziges Ziel. Es war unglaublich und gleichzeitig gab es erstaunliche Parallelen zu mancher Erzählung von Jägern, die seit Kindesbeinen darauf trainiert wurden, die Welt mit einem anderen, klareren Blick zu sehen. „Und der Name? Ihr wendet doch keine Magie an, oder?“ Fionnlagh wackelte mit seinen Fingern, um seine Worte zu unterstreichen, aber die Geste ging vollkommen an Anju vorbei, der schlicht den Kopf schüttelte. „Wir nutzen Magie nicht, wie es ein Zauberer macht, aber wir sind in der Lage einfach Magie zu wirken. Wir nennen das Hexer-Zeichen, eines davon ist Igni – Feuer. Ich werde es dir demonstrieren, wenn wir dieses Gefährt verlassen haben.“ Was wohl ganz klug war. Fionnlagh hatte den Wagen gerade erst gekauft und war nicht erpicht darauf, als verkohlte Leiche auf dem Fahrersitz zu enden. „Warum heißt ihr dann Hexer?“ „Es ist eine Bezeichnung der Zauberer für Menschen mit geringen magischen Fähigkeiten.“ Ein pragmatischer Begriff also, simpel und auf dem Punkt gebracht, damit man die Hexer von den Zauberern unterscheiden konnte. Fionnlaghs Mundwinkel hob sich in einem bitteren Lächeln. Klang für ihn ganz nach einem Herrn und seinem Schoßhund. Schweigen kehrte in den Wagen zurück, bis sie die Ranch von Timothy erreichten. Anju lehnte sich etwas in seinem Sitz vor, als sie langsamer wurden, studierte das flache Hauptgebäude, dann den Stall und die Pferde. Genau dort parkten sie auch und wurden bereits von Timothy erwartet. Jeremys Bruder sah ganz anders aus, das Haar war zwar ebenfalls dunkel, aber modern und frech geschnitten, die Augen hell und immer vergnügt. „Ein Pferd, Fionn?“, begrüßte er den Jäger, als dieser ausstieg. „Ehrlich, immer wenn ich denke, du kannst mich nicht mehr überraschen oder weißt schon gar nicht mehr, wer wir sind, dann kommt ein neuer Anruf von dir. Mit so einer Bitte.“ Er zog Fionnlagh in eine schnelle Umarmung, noch bevor dieser sich dagegen wehren konnte und versuchte es Gott sei Dank nicht bei Anju, der abermals den Jeep als Barriere zwischen sich und den anderen Menschen benutzte. „Ich tu', was ich kann, Timothy“, erwiderte Fionnlagh mit einem schiefen Grinsen. Jeremys Bruder schüttelte nur den Kopf, wies dann auf sein Haus. „Ich hab' euch das Gästezimmer vorbereitet und im Bad liegen Handtücher und frische Sachen. Wenn ihr Hunger habt, auf dem Herd steht Eintopf und frisches Brot. Ich kümmere mich um Oon. Jeremy sagte, dass er gesattelt ist, mit allem drum und dran. Ich nehm' ihm das Zeug ab und ihr könnt es euch später aus der Scheune holen, okay?“ „Alles klar, klingt ja nach einem Plan. Dann sehen wir uns später. Tim, Jeremy.“ Der Andere nickte, derweil Fionnlagh zum Hexer trat und diesen abermals mit einer Hand im Rücken führte. Das Gästezimmer befand sich im ersten Stockwerk am Ende des relativ langen Flures und war simpel eingerichtet: zwei Betten, eine Kommode und ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. Die Wände waren schmucklos, das große Fenster geöffnet. Dem Raum fehlte der weibliche Einfluss, keine Frage, aber er war sauber und funktional. Eine zweite Tür führte zum angrenzenden Badezimmer. Anju betrachtete ausgiebig die Duschkabine, die Toilette, das Waschbecken. Letzteres schien ihm am vertrautesten zu sein, sicherlich, weil es Ähnlichkeit zu Waschschüsseln hatte. Fionnlagh drehte das Wasser auf, zeigte und erklärte Anju, welche Sachen er tragen konnte, wie er die Temperatur einstellte, wie man die Toilette benutzte und die Türen der Dusche öffnete und schloss. Es war einfacher als erwartet – vielleicht weil Anju nicht wie ein kleines Kind war, das die Funktionsweise von allem durchdringen wollte, dem es begegnete. Der Hexer akzeptierte und nahm hin und war im Begriff sich auszuziehen, als Fionnlagh noch neben ihm stand. Körperliche Scham war Anju augenscheinlich fremd, weswegen Fionnlagh sich hastig zurückzog und vor der geschlossenen Tür stehend den Kopf schüttelte, irgendwo zwischen besorgt und amüsiert. In Inneren des Raumes hörte er Anju unter die Dusche steigen, was hieß, dass er hier mehrere Minuten gestanden und Löcher in die Luft gestarrt hatte. Es war nur, falls Anju ihn gebraucht hätte, rechtfertigte er vor sich selbst. Nun riss er sich mit einem Ruck los und kehrte ins Gästezimmer zurück. Wenn Anju in zwanzig Minuten nicht zurück war, würde er nachsehen, ob er in der Dusche ertrunken war und inzwischen das generöse Angebot annehmen, die Küche zu plündern. Jeremy war noch bei Timothy, was Fionnlagh ganz recht war, so musste er sich mit niemandem auseinandersetzen, als er zwei Schüsseln Eintopf schöpfte und diese zusammen mit herrlich duftendem Brot und zwei Äpfeln, sowie Wasser auf ein Tablett stellte und nach oben brachte. Anju war wieder im Zimmer, als er zurückkam. Er trug bereits Hosen und war im Begriff sich das Sweatshirt überzuziehen. Quer über ein Schulterblatt verlief eine breite Narbe, am unteren Rücken gab es noch eine – die Spuren der Arbeit, die sie beide verrichteten. Fionnlagh räusperte sich, brachte das Tablett zum Tisch hinüber. „Hier, falls du hungrig bist.“ Er war es auf jeden Fall, weswegen er sich hinsetzte und damit begann den Eintopf in sich hineinzuschaufeln. Wenig später gesellte sich Anju zu ihm, griff nach dem Brot. Fionnlagh studierte ihn einem Moment lang, als er die beiden Wasserflaschen aufschraubte. So in normaler Kleidung ging Anju fast als ganz normal durch und es würde genügen. Einzig die Augen waren ein Problem, aber vielleicht wusste Ems, was sie da machen konnten. Sein Freund war in dieser Hinsicht unglaublich kreativ. Oh. Verdammte Scheiße. Er hatte Ems nicht angerufen, seit er aufgewacht war und jetzt ging die Sonne bereits unter. Das hieß, es waren fast 36 Stunden vergangen. Fionnlagh krümmte sich. Ems war sicher außer sich vor Sorge. Langsam ließ er das Brot sinken, erhob sich vom Tisch und angelte nach seinem Handy. Mit einer Hand wedelte er in Richtung des Essens, als Anju fragend den Blick hob. „Iss weiter, ich muss nur mal telefonieren.“ Er trat auf den Flur und von da ins Schlafzimmer von Timothy, dann wählte er die Nummer seines Freundes. Es dauerte nicht mal ein Freizeichen lang, dann hob dieser ab. „Fionnlagh! Hast du eine Vorstellung davon, wie sehr ich mich gesorgt habe? Du hast versprochen, dich zu melden, verdammt noch mal!“ Fionnlagh zuckte unter Emrys aufgebrachter Stimme zusammen. Wirklich, sein Freund war schlimmer als jede Glucke, der er je in seinem Leben begegnet war. „Wo bist du? Bist du verletzt? Hast du gefunden, was in den Wäldern gehaust hat? Mir gefällt es nicht, dass du immer solo bist. Du brauchst einen neuen Partner, aber nein, du wehrst dich ja dagegen, wie eine Zicke am Strick. Was, wenn du mich mal nicht zurückrufst? Weißt du, wie es ist, hier zu sitzen und sich zu wundern und zu sorgen? Verdammt, beim nächsten Mal komme ich mit, ganz gleich, was du davon hälst!“ Wurde Emrys nervös oder sorgte er sich, begann er wie ein Wasserfall zu reden. Es war dann klüger, ihn alles erzählen zu lassen, als zu versuchen ihn zu unterbrechen. Aufnahmefähig war er nämlich nicht, solange er in diesem Zustand war. Jetzt aber war es still, eine Pause, die Fionnlagh zeigte, dass nun er etwas sagen konnte. Und das war, zuallererst, eine Entschuldigung. „Ems, es tut mir leid. Wirklich. Ich weiß, ich hätte gleich anrufen sollen, aber, uh, hier hat sich etwas Überraschendes ergeben.“ „Was ist los?“ Emrys war besänftigt, konnte Fionnlagh hören, aber ob seiner Worte besorgt und ja, wenn man Fionnlaghs Vergangenheit so betrachtete, gab es dafür auch ausreichend Gründe. „Ersteinmal die gute Nachricht: Das Vieh ist tot und wird niemanden mehr Ärger machen. Jetzt die Überraschung: Ich habe, na ja, wie soll ich sagen … ich habe da jemanden gefunden. Anju heißt er.“ Auf der anderen Seite der Leitung sog Emrys scharf die Luft ein. „Ein Opfer?“, fragte er sanft und Fionnlagh schüttelte den Kopf, obwohl sein Freund das nicht sehen konnte. „Nein, nein. Weit davon entfernt. Er hat mir den Arsch gerettet. Das Ding is' nur, das er nicht aus unserer Welt stammt.“ Langes, schweres Schweigen folgte seinen Worten. Emrys glaubte ihm, daran bestand kein Zweifel, dennoch war es schwer zu schlucken. Fionnlagh ließ ihm die Zeit, die er brauchte, lauschte stumm dem leisem Atem. Nichts anderes war zu hören, bis Emrys schließlich leise fragte, ob Fionnlagh dachte, das Anju gefährlich sei. Ja, auf jeden Fall, dachte er, aber das sprach er nicht aus. Emrys meinte nicht die Art von Gefahr, die Fionnlagh in Anju sah, nämlich, was geschehen würde, wenn Anju ihm als Feind gegenüber stehen würde. Nein, sein Freund wollte wissen, ob eine Gefahr für die Menschheit bestand, weil Anju bei Vollmond mächtig an Beharrung zulegte, oder weil er Blut als seinen favorisierten Schlummertrunk einnahm. „Nein. Aber er ist speziell und sehr außergewöhnlich.“ Nun hob sich ein Mundwinkel Fionnlaghs. „Ich bin nicht sicher, ob ihr euch verstehen würdet.“ Was bei der sanften, pazifistischen Natur seines Freundes wirklich ein Statement war. Wieder ein Schweigen, aber nicht so lange wie zuvor. „Das wird sich zeigen. Ihr werdet zu mir kommen, und zwar sofort.“ 'Okay, doch keine Glucke', korrigierte Fionnlagh amüsiert in Gedanken. 'Es ist eher eine Mischung aus bockigen Kleinkind und einem Diktator.' Aber er wusste ganz genau, wann er sich zu fügen hatte und so summte er in einer Antwort. „In Ordnung. Wir fahren morgen früh los. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)