Teenage Love von Puppenspieler ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Sie erzählte nicht, dass die Kurasame-Sache sich erledigt hatte. Es war sowieso schon peinlich genug, dass ihre Klassenkameraden davon wussten, aber jetzt auch noch zuzugeben, dass sie aufgegeben hatte, aus welchen Gründen auch immer – niemals. Nur über ihre Leiche. Da war es ihr bedeutend lieber, jeden Tag wissendes Grinsen und dumme Sprüche und gutgemeinte Ratschläge zu ertragen, die sie nicht brauchte.   Irgendwann würde Gras über die Sache wachsen. Irgendwann war es genug mit dem Drama, es würde ihnen langweilig werden, wenn keine Resultate kamen, und dann würden sie sich etwas Neues suchen, an dem sie sich exzessiv aufhängen konnten.   Und so enthusiastisch, wie ausgerechnet Queen ins Klassenzimmer stürzte, eine Pappkiste in den Armen und mit vor Begeisterung strahlendem Gesicht, schien etwas Neues sogar schneller zu kommen, als Sice je gehofft hätte.   „Hört mal alle her! Ich habe die besten Nachrichten!“   Sie ließ die Kiste aufs Lehrerpult fallen und blieb selbst dahinter stehen. „Ihr wisst doch hoffentlich alle noch, dass ich beim Organisationskomitee für das Akademie-Fest bin, nicht wahr?“ „Natürlich doch.“ Cater schnaubte beleidigt. „Deshalb lässt du uns ja auch hier alleine mit der Planung, was wir eigentlich mit unserer Klasse machen sollen.“ Planung, die sie übrigens noch nicht einmal angefangen hatten, weil sie alle keine Lust hatten – oder keine Ideen. Oder dumme Ideen, so wie Ace, der allen Ernstes vorschlug, mit den Züchtern gemeinsame Sache zu machen und einen Streichelzoo zu arrangieren. Oder weil sie auch einfach unterbesetzt waren, wo auch King, Trey und Jack fehlten, weil sie mit ihrer dämlichen Band und ihrem Auftritt auf dem Fest beschäftigt waren. Aber wozu sollten sie auch anfangen? Sie hatten noch Wochen bis zum Fest, und sie bekamen genug Schulstunden in der Woche dafür freigestellt, sich damit zu beschäftigen. Und die anderen Klassen waren doch auch nicht weiter, von allem, was Sice so gehört hatte.   „Jedenfalls sind heute die Karten angekommen.“ „Was für Karten?“, fragte Cinque sofort neugierig. Sie brachte Queen damit dazu, breit zu grinsen. Mit viel zu viel Sorgfalt öffnete sie die Kiste und zog dann eine Karte hervor. Sie bestand aus zwei Teilen, und auf beiden Hälften war je ein halbes Herz zu sehen. „Diese Karten“, begann sie aufgeregt, „Für den Akademie-Ball. Am Morgen des Festes werden ein paar Helfer am Eingang stationiert, wo die Karten an Gäste verteilt werden. Die Schülerschaft bekommt ihrer schon in der Aufbauphase.“ „Seit wann braucht man Karten für den Akademie-Ball? Davon hab ich ja noch nie gehört.“ „Alte Tradition, kommt alle Jahre mal wieder. Hab gehört, wie ein paar Lehrer mal drüber geredet haben, wie toll das mit den Karten doch ist, wenn es gemacht wird.“ Eight sah nicht aus, als hätte er ihre Begeisterung verstanden. Sice ahnte auch jetzt schon, dass sie dumm finden würde, was da noch kam.   „Wie ihr jedenfalls sehen könnt“, fuhr Queen fort und hob noch eine andere Karte hoch. Auch ein Herz, aber mit einem anderen Muster bedruckt, „ist jede Karte ein bisschen anders. Sie werden nach dem Zufallsprinzip verteilt, eine Hälfte an die Männer, eine an die Frauen, und auf dem Ball sollen dann jeweils die miteinander tanzen, die eine Kartenhälfte bekommen haben. Ist das nicht großartig?“   Es war nicht großartig. Für Sice zumindest. Eight sah auch alles andere als angetan aus. Cinque fand es toll. Cinque fand alles toll, was Ärger schrie. „Ernsthaft? Wir dürfen nicht einmal unseren eigenen Tanzpartner aussuchen?“, Cater verzog das Gesicht nur noch weiter, „Das ist ziemlich lahm, findet ihr nicht? Ich hab jedenfalls keine Lust, mit irgendeinem komischen Kerl zu tanzen.“ „Gleichfalls“, seufzte Sice sofort. „Es könnte eine interessante Erfahrung sein“, gab Deuce zurück, „So lernt man schließlich auch neue Leute kennen.“   Queens Räuspern unterbrach die Diskussion.   „Wie ihr hier seht, habe ich eine Kiste voll mit Karten, die ich bei den Vorbereitungen verteilen soll. Genauso wie die anderen Mitglieder des Komitees. Und… nun ja. Es wäre nicht schlecht, wenn ich ein bisschen Hilfe bekommen könnte.“ Sie hob vielsagend die Augenbrauen, während sie ihre Brille richtete. „Es liegt nicht in meiner Verantwortung, zu überprüfen, dass ihr nicht Sorge dafür tragt, dass die zweite Hälfte eurer eigenen Karte dort landet, wo ihr sie gerne hättet.“ „Oh!“ Cinque klatschte verzückt in die Hände und sprang auf. „Das heißt, Sice gibt ihre zweite Kartenhälfte Kurasame! Hmmmm~ und wem geb ich denn meine~?“   Cinques Frage brachte neue Diskussionen mit sich – Sices klinkte sich komplett aus, während die Mädchen begannen, zu überlegen, mit wem sie denn gern tanzen würden. Und natürlich plapperte auch Deuce munter mit, auch wenn sie immer wieder beteuerte, dass sie bei allen Vorlieben trotzdem den Zufall entscheiden lassen wollte. Natürlich doch. Zumindest so lange noch, bis ihr dann doch noch ein Traumtyp einfiel, den sie gern für sich haben wollte.   „Das geht noch nicht einmal auf, oder? Es werden nicht exakt gleich viele Männer und Frauen zum Fest kommen.“ „Ace, verdirb uns nicht den Spaß! Außerdem ist das doch sicher kein Problem, oder, Queen?“ „Cater hat recht; außerdem kann es auch immer passieren, dass beim Verteilen ein Fehler gemacht wird. Nachdem es aber auch nur darum geht, neue Kontakte zu fördern, ist das doch auch kein Problem. Wir sind kein Kuppelservice.“   Die Art, wie Queen das sagte, ließ durchaus durchklingen, dass sie sich trotzdem genau so verhielten.   „Ihr werdet mir jedenfalls helfen. In dem Karton sind mehr Karten, als es aussieht. Wir werden aufteilen, wer sich um welche Ecke der Akademie kümmert während der Vorbereitungsphase. Ihr könnt selbst entscheiden, ob ihr euren Tanzpartner dem Schicksal überlasst, oder ob ihr selbst Schicksal spielt. Und was Jack, Trey und King angeht… Die werden mit ihrer Band wohl so beschäftigt sein, dass sie vom Helfen ausgenommen sind.“ Sice grinste. Plötzlich erschien ihr die ganze Sache so viel spaßiger.   „Queen, wenn du willst, dass ich dir ernsthaft helfe, sorg dafür, dass ich Treys bessere Hälfte abkriege.“   Endlich konnte sie sich rächen. Endlich.       ***       „Hast du schon eine Idee, wem du deine Karte gibst?“   Die Frage hörte Sice in den letzten Tagen viel zu oft – offenbar hatten die anderen Organisationskomiteemitglieder es ähnlich wie Queen gehalten und ihren Klassenkameraden und Helfern selbst freigestellt, sich ihren Partner auszusuchen, also wurden die verdammten Karten das große neue Gespräch der halben Schule.   Dass man sie fragte, das war allerdings neu. Die, die es interessierte, glaubten doch alle, zu wissen, was sie tun würde.   Dass es nicht Seven war, die sie fragte, war noch viel erstaunlicher. Mehr als irritiert sah sie zu ihrem unerwarteten Gesprächspartner hinüber. So viel zu einem entspannten Spaziergang draußen auf dem Gelände, ohne genervt zu werden. „Was?“ „Ob du eine Idee hast, wem du deine Karte geben wirst“, wiederholte Ace noch einmal. Der knubbelige kleine Chocobo, den er auf den Armen spazieren trug, quäkte, als wollte er seinen Worten noch mehr Nachdruck verleihen. Wahrscheinlich war dem Vieh aber nur langweilig, jetzt, wo Aces volle Aufmerksamkeit nicht mehr auf ihm lag.   „Ziemlich dumme Frage, findest du nicht?“ „Nein. Ich habe einfach nicht den Eindruck, dass du sie dem Kommandanten geben wirst.“   Manchmal vergaß sie, dass Ace, bei aller Wolkenkopfattitüde, die er beizeiten haben konnte, ein genauso scharfsinniger Beobachter war. Und ehrlich – es wäre ihr lieber gewesen, es auch beim Vergessen zu belassen. Aber jetzt war das Thema da, und im Grunde wurde es auch Zeit, dass sie sich mal damit auseinandersetzte.   Sie seufzte, zuckte mit den Schultern. „Wenn du so fragst – keine Ahnung. Vielleicht werf ich die zweite Hälfte einfach versehentlich in den Müll.“ Die Idee war zwar komplett spontan, gefiel ihr spontan aber auch sehr gut. Das wäre was. Einfach gar nicht tanzen. „Oder ich mach es wie Deuce. Wenn der Zufall mir irgendeinen totalen Vollhorst hinwirft, kann ich dem Kerl immer noch auf die Füße treten.“ Ob nun mit Worten oder wortwörtlich. Sie hatte da genug Optionen. „Und du? Gibst das Ding deiner Flamme von der Chocobo-Ranch?“   Jetzt war es an Ace, mit den Schultern zu zucken. Er sah hinunter zu dem quäkenden Vogel auf seinem Arm, kraulte ihm behutsam den Kopf. „Es wäre einfach, nicht wahr? Allerdings finde ich, dass Deuce nicht ganz im Unrecht damit ist, dass es eine gute Gelegenheit ist, neue Kontakte zu knüpfen.“ „Reichen dir deine Chocobo-Freunde nicht mehr? Bist doch sonst nicht so der soziale Typ.“ „Jemand sagte mir, es wäre nicht schlecht, wenn ich mir auch ein paar menschliche Freunde suche – so über meine Klassenkameraden hinaus.“ Sice war so frei jemand mit Flamme von der Chocobo-Ranch zu übersetzen. Und hey, vielleicht war es ja wirklich gut für Ace. Für sie wäre das definitiv nichts, sich ernsthaft auf irgendeinen zufälligen Partner einzulassen und zu versuchen, ihn mögen zu lernen. Sie mochte keine Überraschungen, und vor allem solche nicht. „Huh. Ich glaube, ich mach wirklich die Mülltonnenvariante.“ Ace sah sie mit einem Blick an, der ihr klar verständlich machte, dass sie damit nicht durchkommen würde. Irgendwer würde sie dafür drankriegen und ihr notfalls dann spontan noch einen Partner organisieren. Sie wusste, wie nervig penibel das Organisationskomitee in allem, was es tat, war.   Sie warf ergeben die Hände in die Luft. „Dann wird’s wohl doch Füßetrampeln werden.“   „Oder du gibst sie jemandem, mit dem du freiwillig tanzen würdest.“   Sice lachte. Laut. Aces kleine Begleitung quäkte sie empört an und plusterte sich auf beinahe doppelte Breite auf. Sie ignorierte den dummen Vogel, während sein Babysitter ihm beruhigend den Kopf tätschelte. „Als ob es das gäbe.“ Sie konnte ja ihre Kameraden allesamt mehr oder minder gut leiden, aber tanzen wollte sie mit keinem von ihnen. Sie wollte an und für sich überhaupt nicht tanzen.   Aces einzige Antwort war ein Blick. Ein ungläubiger Blick. Sice erwiderte ihn missgelaunt, in Gedanken schon bei einem Konter auf die stille Implikation – und dann wechselte der blöde Kerl das Thema, indem er zwei Kartenhälften aus der Tasche zog und sie nachdenklich betrachtete. „Ich weiß nur nicht, ob ich mir zutraue, das selbst zu verteilen und es dabei dem Zufall zu überlassen, wer mein Partner wird.“ „Wirf die Karte zurück zu den anderen und behalt am Ende eben die letzte Hälfte, die übrigbleibt?“ „Mh.“ Überzeugt sah Ace von der Idee nicht aus. Mit Karten war er schon immer etwas eigenwillig gewesen; wahrscheinlich gefiel ihm einfach das Muster oder so etwas Dummes. Sice schüttelte den Kopf. „Oder gib das Ding jemand anderem, der es für dich verteilt. Du könntest es mir geben. Ich verspreche dir auch, ich geb’s nicht Trey.“ Nein. Für Trey hatte sie längst einen viel besseren Plan. Sie hatte von diesem Streber aus Klasse 3 gehört, der sich zu gern selbst reden hörte. Für sie klang das nach einem absoluten Traumpaar.   Ace schüttelte amüsiert den Kopf. „Ich denke–“ Ein Krähen unterbrach ihn. Offenbar hatte der kleine Chocobo genug davon, immer wieder ignoriert zu werden. Wirklich genug. Bevor sein Aufpasser auch nur reagieren konnte, hatte das Vieh sich eine Hälfte der Karte geschnappt und war aus Aces Armen gehüpft. „Joker!“ „Oooooooooder du lässt deinen Federlatz entscheiden, ganz genau“, kommentierte Sice belustigt. Ace warf ihr einen beinahe beleidigten Blick zu. Sie hätte ihn nicht foppen sollen. Man foppte Ace nicht. Das war so eine Sache, die selbst die Lebensmüderen unter ihnen nicht taten. So, wie man Deuce nicht foppte. Die beiden konnten jeder für sich auf andere Art ganz schön verstörend sein, wenn sie verärgert waren.   „Kümmer du dich lieber darum, dir einzugestehen, dass es durchaus Leute gibt, mit denen du freiwillig tanzen würdest.“   Oder auch einfach nur gemein.   Wäre Ace lang genug geblieben, Sice hätte ihm etwas an den Kopf geworfen – wortwörtlich. Doch er eilte im nächsten Moment schon davon und seinem dicken Federbüschel hinterher. Hoffentlich kotzte der Vogel die Karte irgendeiner hässlichen Schreckschraube vor die Füße.   Nur nicht Trey. Der hatte einfach noch Schlimmeres verdient.       ***       Je näher der Tag des Akademiefestes kam, desto hektischer wurde es.   Inzwischen hatten sie sogar so etwas wie einen Plan für ihre eigene Klasse – sie wollten ein Spukhaus aus ihrem Klassenraum machen. Cinques Idee. Cater hatte sich so lange vehement dagegen gewehrt, bis selbst Deuce unabsichtlich aufgelacht hatte. Nach dieser Schmach knickte sie ein. Nach dieser Schmach wurde sie zur größten Verfechterin der Idee.   Obwohl Sice sich ziemlich sicher war, dass Cater sich von allem, was sie selbst vorschlug, gedanklich in die Hosen machte vor Angst, trieb sie das ganze Projekt mit Feuereifer an, fand immer wieder neue Ideen, wie man den Raum noch ein wenig weniger einladend machen konnte, wie man Besucher erschreckte, wie man überzeugend mit billigen Tricks Geister und Monster darstellen konnte. Es war eine großartige Sache. Seit man ihr die Rolle als Sensenmann zugesprochen hatte, war Sice jedes Mal bester Laune, wenn es an die Besprechungen und schließlich an die Vorbereitungen ging – auch wenn letztere sich ein bisschen dämlich anfühlten, wie eine Kunststunde, in der niemand Ahnung hatte, was er eigentlich tat.   Und zwischen all dem Chaos, in dem sie Kostüme nähten, Geister aus Leim und Käsetuch bastelten und Jack, King und Trey darum beknieten, sich irgendwie neben ihrer eigenen Arbeit noch um passende musikalische Untermalung zu kümmern, war der verdammte Akademieball natürlich auch immer noch Thema. Was auch passierte, es war unmöglich, ihm zu entfliehen.   „Ich hab mich ja immer noch nicht entschieden“, seufzte Cater schwer. „Shhh. Still“, mahnte Deuce sanft. Sie war gerade dabei, zu versuchen, den Jammerlappen halbwegs überzeugend zu einer Leiche zu schminken. Nachdem der Großteil ihrer Requisiten und Dekorationen inzwischen fertig war, erprobten sie nun das Make-Up, das sie passend zu ihren Kostümen spazieren tragen wollten. Cater gab noch einen gequälten Laut von sich, hielt aber folgsam den Mund. Was für ein Segen. „Cinque weiß auch noch nicht, was sie machen will.“ Das Mädchen seufzte schwer, sprang leichtfüßig von der Leiter hinunter. Wieso man ausgerechnet den abgedrehten Zwerg mit Vorhänge Austauschen betraut hatte, war Sice schleierhaft, aber gut. Ihre eigene Aufgabe war auch nicht viel besser: Sie durfte die fertigen Käsetuchgeister mit Blut bepinseln. Es war dämlich, es war monoton, und es bot ihr keine Gelegenheit, das Gelaber der anderen Mädchen zu ignorieren.   „Ich hab ja überlegt, die Karte einfach Moglin zu geben. Glaubt ihr, die Mogrys kommen auch alle zum Ball? Bestimmt, oder?“ „Häh? Die Viecher können tanzen?“ „Bestimmt besser als du, Nine!“ „Sag das nochmal, und ich zeig dir, wie ich tanzen kann!“ „Eeeeew, nein! Ich verzichte.“   „Hach.“ Und da sprach Cater doch wieder. Inzwischen war Deuce aber auch erst einmal fertig, suchte in dem ganzen Schminkzeug nach irgendetwas, das sie wohl noch brauchte. „Sice und Nine haben’s schon echt gut. Wissen so genau, wo ihre Kartenhälften hinsollen… und wir armen Dinger sitzen hier und sind völlig überfordert von der Auswahl.“ „Ihr könntet immer noch den Zufall entscheiden lassen“, wandte Deuce ein. „Ah. Gefunden! Cater, halt jetzt bitte wieder still.“ Cater jammerte, aber gehorchte immerhin.   Die Diskussion verstummte trotzdem nicht. Cinque plapperte weiter. Queen mischte sich ein. Seven bekannte sich ebenfalls zu der Fraktion von Zufallstanzpartner. Eight verkündete wieder einmal, wie dumm er die ganze Sache im Gesamten fand. Und trotzdem war er ebenfalls dafür, sich seinen eigenen Tanzpartner auszusuchen. Sice konnte es sogar nachvollziehen. Wäre sie er, sie würde auch nicht riskieren wollen, mit einem Mädchen zu tanzen, das sie überragte.   Im Gegensatz zu Nine, der es schon einmal gewagt hatte, war sie aber nicht dumm genug, das laut auszusprechen.   Sie seufzte. Legte Pinsel und Käsetuchgeist weg und lehnte sich zurück. Sie entkam dem Thema einfach nicht. Ständig ging es um diese ollen Ballkarten, und so sehr sie versuchte, es zu ignorieren – sie wusste, sie musste sich doch irgendwann entscheiden, was sie mit ihrer zweiten Hälfte machen wollte. Einfach irgendwem geben und irgendwen vergraulen. Sie in den Müll werfen und die Rache des Organisationskomitees damit provozieren.   Auf Ace hören.   Sie wollte nicht auf Ace hören. Sie wollte nicht einsehen, dass ja, es vielleicht wirklich Menschen in ihrem Leben gab, die wenig ätzend genug waren, um freiwillig mit ihnen zu tanzen.   Sie könnte die Karte auch immer noch Kurasame geben – aber wozu? Selbst wenn es irgendjemand hinterfragte, dass sie nicht mit Kurasame tanzte, es war einerlei. Sie konnte immer noch behaupten, dass sie einfach zu spät gekommen sei. War eine realistische Sorge; sie wäre doch nicht das einzige Mädchen, das mit ihm würde tanzen wollen. Nur, dass sie es wirklich nicht mehr wollte. Seit ihr so richtig bewusst geworden war, dass sie im Grunde nur in sein Gesicht verliebt gewesen war, nicht in ihn als ganze Person, hatte ihr Interesse deutlich abgenommen. Sicher, vermutlich hätte sie auch feststellen können, dass sie Kurasame im Gesamtpaket attraktiv fand, aber ihre eigene Oberflächlichkeit wurmte sie viel zu sehr, als dass sie es drauf ankommen lassen wollte. Lieber neu orientieren. Irgendwann.   Seufzend ließ sie den Kopf in den Nacken kippen.   Es dauerte nicht lange, bis etwas – oder eher jemand – in ihrem Blickfeld erschien. Ace, die dumme Lesebrille auf der Nase, scheinbar auch mit seiner angedachten Arbeit schon fertig, wenn er Zeit hatte, herumzuwandern und Leute zu erschrecken. „Was willst du?“, murrte sie. Überflüssige Frage, die eine überflüssige Antwort bekam: „Hast du dich inzwischen entschieden?“ „Hast du die Karte von deinem Vogel wiederbekommen?“ Er schüttelte den Kopf. Sie grinste boshaft. „Und? Was für eine neue Bekanntschaft wirst du zum Tanz nehmen müssen?“ Er schüttelte wieder nur den Kopf. Natürlich wollte er es nicht erzählen. Strenggenommen hätte seine Tanzpartnerin die Karte ja auch noch gar nicht haben sollen. Sice seufzte unzufrieden, setzte sich wieder ordentlich auf. Weg von Ace und seinem aufmerksamen Blick.   „Ich hab’s eingegrenzt“, erklärte sie an den Käsetuchgeist gewandt, der direkt vor ihr stand. Sie sprach gerade laut genug, dass auch Ace in ihrem Rücken es hören würde. Oder auch nicht. War ja auch nicht ihr Problem. „Worauf?“ „Füßetreten, Zorn der Organisation, oder auf den nervigen Kotzbrocken hinter mir hören.“   Ace lachte. Blöder Dreckskerl.   „Klingt für mich nach einer Entscheidung.“   Sie hasste es, wie sehr es wirklich danach klang.       ***       Der Morgen des Fests kam. Ihr Horrorhaus hatten sie am Vortag schon aufgebaut, damit sie genug Zeit hatten, ihren Job als Kartenverteiler zu machen, und ihre Attraktion trotzdem pünktlich fertig wurde. Es war der dämlichste Job. Sice hasste ihn.   Spätestens nach dem dritten Mal, dass sie erklären musste, wieso es die dummen Teile überhaupt gab, war sie schon so genervt, dass sie gar keine Lust mehr hatte, weiter zu machen. Dem nächsten Idioten, der nachhakte, drückte sie die Karte einfach ins Gesicht. „Behalt sie einfach, dann merkst du’s irgendwann.“   Immerhin hatte sie inzwischen entschieden, was sie mit ihrer zweiten Kartenhälfte machen wollte.   Und dieses Mal hatte sie einen Plan, der funktionieren würde.   „Hey, Seven!“ Auf halbem Weg durch ihre Route stolperte sie über ihre Kameradin – nicht verwunderlich, immerhin lagen die Ecken der Akademie, um die sie sich kümmern sollten, direkt nebeneinander. „Sice. Kommst du voran?“ „Mäßig. Es nervt, wie vielen Idioten ich den ganzen Quark erst noch erklären muss. Und du?“ „Gleichfalls. Ich habe immer noch viel zu wenig geschafft vor lauter Erklärerei. Und dann sind da so viele, die plötzlich Sonderwünsche haben…“ Sice hob die Augenbrauen. „Du hast sie hoffentlich nicht angenommen.“ Seven blinzelte so ertappt, dass sie schon fast fürchtete, dass sie es doch getan hatte, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Ich war aber kurz davor.“ Es war so typisch.   „Zeig mal, was du noch übrig hast.“ Mehr als Sice selbst noch. Es war aber auch eine absolute Pest. „Du musst dich ranhalten.“ – „Ich weiß“, erwiderte Seven seufzend, „Ich versuche ja schon, die Erklärung so kurz zu fassen wie möglich.“ „Erklär es einfach gar nicht. Das hilft. Dann kommt auch niemand mehr auf Sonderwünsche.“ „Aber…“ – „Kein Aber!“ Seven öffnete den Mund zu einem erneuten Protest, schloss ihn dann mit einem leisen, amüsierten Laut aber doch wieder und lächelte einfach nur. Sices Mundwinkel zuckten, dann wandte sie den Blick ab, um in ihrer Tasche zu kramen.   „Ich hab übrigens noch was, das ich dir geben wollte.“   Die halbe Karte war schlicht, das aufgedruckte Herz einfach nur platt schwarz. Sice hatte es gefallen, also hatte sie die andere Hälfte für sich beansprucht. Sie hielt das Stück Papier unter Sevens Nase, sah sie mit erhobenen Augenbrauen abwartend an. Ihr Herz klopfte. Sie war nicht direkt nervös, aber die Situation war trotzdem doof. Peinlich? „Ace meinte, ich soll wenigstens jemanden zum Tanzen suchen, dem ich nicht vorsätzlich auf die Füße trete“, fügte sie noch hinzu, als Seven einfach nicht antworten wollte. Das Mädchen sah einfach nur in stiller Überraschung auf die Karte hinunter. Langsam hob sich ihr Blick, und genauso langsam nahm sie die Karte entgegen. „Danke, dass du mir nicht auf die Füße treten willst?“ Sice schnaubte. Die Nervosität, die sie kurzzeitig übermannt hatte, verflog wieder, während sie Seven gegen die Schulter boxte.   „Bild dir nichts drauf ein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)