Die Farbe Grau von Cocos ================================================================================ Kapitel 36: Überraschungsmomente -------------------------------- Wie sehr konnte ein Mensch sich in seinen einzelnen Persönlichkeiten unterscheiden? Wenn Aya diese Frage tatsächlich auf den Mann bezog, der gerade vor ihm das endgültige Missionsbriefing hielt, welches er durch seine Gabe geprüft hatte, dann kam er zu dem Schluss, dass die Unterschiede wie Tag und Nacht sein konnten, wenn man Bradley Crawford hieß. Er hatte den Mann in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten in verschiedenen Kleidungsstücken gesehen und immer hatte er anders gewirkt. Gerade eben saß nicht der entspannte Mann vor ihm, der eine weite Hose und ein legeres Shirt trug. Es saß auch nicht der begossene Pudel vor ihm, der sich schlussendlich aus dem Pool gezogen hatte und dem die Schlafanzughose wie eine zweite Haut an den Beinen und am Hintern geklebt hatte. Hier saß der Mann, der in der Vergangenheit die eiserne Kontrolle über jede sich ihm bietende Situation gehabt hatte. Hier saß der Mann, den nichts überraschen konnte und der ebenso strikt wie ruchlos seine Ziele erreichte. Aya fragte sich unwillkürlich, ob es an der Kleidung lag, dass sich auch der Gesichtsausdruck des Mannes änderte. In den Augen erkannte er nichts als Kälte, die Lippen hatten ihren sonstigen, ironisch-belustigten Zug verloren. Unterstrichen wurde das durch den maßgeschneiderten Anzug des Orakels, dessen makelloser Sitz keinen Zweifel an Perfektion ließ. Die Kälte mochte allerdings auch an den Nachrichten liegen, die sie am heutigen Tag erhalten hatten. Takatori war verschwunden und mit ihm sein kompletter Stab. Wie vom Erdboden, ohne eine Spur zu hinterlassen und bislang konnten ihn weder Naoe und Omi noch Schuldig und Siobhan lokalisieren. Dass Crawford es nicht vorhergesehen hatte, hatte sicherlich seinen Teil dazu beigetragen, dass die Laune des Orakels nicht die Beste war. Wenn er es freundlich ausdrückte. Die Tatsache, dass die Gaben der Rosenkreuzagenten wieder einmal blockiert worden waren, machte die kommende Mission zu einem Sicherheitsrisiko, das über das normale Maß der Gefährdung hinausging, insbesondere weil sie es mit einem unbekannten Feind zu tun hatten und weil es die mühsam aufrecht erhaltene Balance zerstören konnte, sie gegeneinander aufbringen konnte, so wie es bei Birman und ihm selbst geschehen war. ~Keine Sorge, ich werde dich umbringen, bevor du noch einmal Hand an meinen Anführer legen kannst~, griff Schuldig hilfreich seine Gedanken auf und Aya schnaubte innerlich. Als wenn er nicht selbst alles daran setzen würde, dass so etwas nicht noch einmal passierte. ~Du hast auf seinen Arsch gestarrt, Fujimiya.~ Aya hob die Augenbraue. „Fragen dazu?“, riss Crawfords Stimme ihn schuldbewusst aus seiner Replik an Schuldig und wie der Rest des Teams schüttelte Aya den Kopf. Im Prinzip war ihr Vorgehen einfach. Sie gingen rein, setzten die zuständigen Buchhalter fest, damit Schuldig sie befragen konnte, zogen die Daten von dem geschützten Server und vernichteten die gesamte Firma einschließlich der Daten. Ein Einsatz, wie sie ihn schon so oft hatten. Wenn sie nicht gestört oder beeinflusst werden würden. Das schlechte Gefühl, das Aya dabei hatte, konnte er nicht genau beziffern. ~~**~~ Leises Schluchzen hallte durch den Raum, in dem Nagi gerade die Daten sicherte, die das geschlossene Netzwerk geschützt hatte. Es roch schwer nach Blut und nach Schweiß…nach Angst vor dem Kommenden. Der Weißtaktiker und Jei waren bei ihm, ebenso wie Balinese und Siberian, sie schützten ihn, während Crawford, Schuldig und Abyssinian unweit des Serverraumes im Flur warteten. Mittlerweile war das gut gesicherte Gebäude still, unheimlich beinahe, wenn Nagi an die Toten dachte, mit denen Jei ihren Weg hierhin sorgfältig und zielstrebig gepflastert hatte. Der Zugriff war geräuscharm und effektiv erfolgt. Niemand wusste, dass sie hier waren. Nun, niemand außer mittlerweile der Buchhalterin, die donnerstags immer Überstunden machte, weil dann eine Zahlung aus Übersee eintraf, die sie persönlich betreuen musste. Bei aller Vorsicht war es diese Notwendigkeit, die sie angreifbar gemacht hatte und so würde dieser Donnerstag der letzte ihres bedauernswerten kleinen Lebens sein, stellte Nagi ohne wirkliches Bedauern fest. Sie gehörte zu denjenigen, die Schwarz hintergangen hatten in der Tadashi Corporation. Sie wusste von den Geschäften von Takatori und Lasgo. Schuldig hatte alle Informationen aus ihr herausgeholt, die er erhalten konnte, während Nagi und der Weiß nun das interne Netzwerk infiltrierten und die Daten aller Kontakte und Zahlungen sicherten, bevor sie das System durch einen Virus zum Erliegen bringen lassen würden. Nagi lächelte, während seine Finger über die Tatstatur flogen und er schließlich den Ladebalken beim Arbeiten zusah. „Wie lange noch?“, fragte Balinese, unruhig, aber wachsam und Nagi bedachte ihn mit einem kurzen Blick. Er überließ Bombay das Antworten. „Fünf Minuten, vermutlich etwas schneller.“ Balinese nickte und über das Headset gab auch Crawford eine Bestätigung des Zeitraumes. Nagi runzelte mit der Stirn. Das Zusammenwirken zwischen Schwarz und Weiß innerhalb einer Mission hatte momentan zur Folge, dass sie auf Headsets umgestiegen waren und nicht die fortschrittlichere Kommunikation via Telepathie nutzten. Und warum? Weil Bombay immer noch ein Problem mit Schuldig hatte und nicht in der Lage war, seine Angst in den Hintergrund zu stellen. Unprofessionell und voreilig war es gewesen… von Schuldig, den Weißtaktiker zu foltern. ~Na danke auch, du verliebter Techniktrottel~, erklang jener hilfreich in seinen Gedanken und Nagi schnaubte. ~Willst du es bestreiten, dass du dir selbst und uns gerade mehr Arbeit als nötig machst?~, fragte er trocken, erntete aber nicht mehr als einen mentalen Mittelfinger dafür. ~Der Kleine ist halt schwach.~ ~Das würdest du dir wohl wünschen…~ ~Du nicht, ich verstehe schon. Du brauchst etwas Starkes, Hartes…~ Schuldig konnte von Glück reden, dass er gerade keinen Sichtkontakt zu ihm hatte um seine Telekinese wirken zu lassen. Das geistige Lachen, was daraufhin in seinen Gedanken widerhallte, ließ ihn unwirsch die Lippen verziehen, ganz zum Erstaunen des jüngsten Weiß. Nagi reagierte nicht darauf, sondern wartete, bis die Daten heruntergeladen worden waren und speiste dann den Virus ein, der sämtliche Verbindungen kompromittieren würde. Schlussendlich drehte er sich zu der älteren Frau um, deren Blick zwischen ihm und dem Rechner ängstlich hin und her huschte, als sie sich sehr wohl bewusst war, was er getan hatte. Sie war nicht nur eine einfache Buchhalterin…sie hatte Einblick gehabt in die Geschäfte, auch wenn sie nichts von dem Verrat an Schwarz gewusst hatte, hielt er sich wieder vor Augen, auch angesichts der Diskussion, die sie noch vor dem Beginn des Auftrages geführt hatten. Nagis Blick wanderte zu Jei, dessen Augen seine Beute nicht mehr verlassen hatte, seitdem die Frau ihre Nützlichkeit überschritten hatte. Der Ire wollte ihr Blut und ihren Tod, doch aus anderen Gründen, als Weiß vielleicht vermuteten. Jei war wider Erwarten wütend auf jeden, der es gewagt hatte, an Crawfords Verrat mitzuwirken. Die Wut war derjenigen ähnlich, die er damals der abstrakten Gestalt namens Gott gegenüber empfunden hatte. Es hatte seine Weile gebraucht, bis Nagi gelernt hatte, die beinahe kaum vorhandenen Regungen des Iren zu lesen und die einzelnen Emotionen auseinanderhalten zu können. Doch mit der Zeit war es ihm gelungen, auch wenn er den Teufel tat und es Jei gegenüber zu erkennen gab. Die Diskussion, welche vor ihrer Abreise entbrannt war, hatte genau das zum Gegenstand gehabt. Ob es angebracht wäre, dem Iren die Buchhalterin zu überlassen. So sehr Schuldig auch mit den Augen gerollt hatte, hatte Nagi die Gründe der Weiß nachvollziehen können. Nicht, dass sie letzten Endes von Relevanz gewesen waren. Die Entscheidung, die die rothaarige Kritikeragentin schlussendlich getroffen hatte, hatte ihn überrascht. Zugunsten von Schwarz war sie zu dem Schluss gekommen, dass die Bestrafung der Buchhalterin ihnen oblag und damit Jei, der Anspruch auf sie erhoben hatte. Und jetzt gierte er darauf, die in der Ecke kauernde Frau zu töten. Nagi schmunzelte, als sie zu betteln begann. Sie hatte Kinder und Enkel, für die sie sorgen musste, die ohne sie nicht zurecht kamen. Sie würde auch nichts sagen und ab jetzt ganz sicher auf der richtigen Seite stehen, sie versprach es. Sie würde ab jetzt nie wieder eine falsche Entscheidung treffen und wenn es gewünscht war, würde sie natürlich auch Informationen herbeischaffen… Das Übliche also. Nagi ließ sich nicht dazu herab, auf ihr allzu stereotypes Flehen zu antworten. Das überließ er Schuldig, der mehr Spaß daran hatte, ihre Opfer mit ihren schlimmsten Ängsten zu quälen. ~Dringst du gerade in ihren Geist ein?~, fragte Nagi telepathisch, als sie aufschrie und sich weinend zusammenkauerte. ~Kann sein?~ Nagi warf einen Blick zur Seite und begegnete Tsukiyonos angespanntem Profil. Er sah auf die weißen Knöchel seiner Hände herunter. ~Hör auf damit, Schuldig. Ich brauche nur noch 37 Sekunden, dann ist auch der Weiß hier raus und dann kannst du mit ihr machen, was du willst.~ ~Nicht mehr nötig. Ich habe ihr bereits gesagt, dass ich mich um ihre lieblichen Enkel und wohl geratenen Kinder kümmern werde, dass sie sich da keine Sorgen machen müsse. Bin ich nicht ein Wohltäter?~ ~Du bist ein Arschloch.~ ~Also bitte, Nagi, deine Aussprache!~, spielte Schuldig den Empörten und Nagi schnaubte verächtlich. „Berserker“, merkte er kurz an und nickte in ihre Richtung. Jei stieß sich von der Wand ab, an der er entspannt gelehnt hatte und machte sich daran, der Sache ein Ende zu bereiten, ganz zum Missfallen und Misstrauen von Weiß. Wieder konnte Nagi nur mit den Augen rollen und an das denken, was Jei vor ein paar Stunden und Tagen gesagt hatte. Um was waren die Ritter für das Gute in dieser Welt denn besser? Jemanden erhängen? Jemanden aufschlitzen? Das war nicht besser, das war blutrünstig. Mit einem Blick auf die drei stummen Weiß machte der Ire seinem Opfer ein Ende, das – so schien es Nagi – tatsächlich schneller und gnädiger als sonst zu sein schien. Ja, die Frau kreischte, ja, ihre spitzen Schreie dröhnten sicherlich nicht nur in Nagis Ohren, während der Geruch ihres Blutes den Raum verpestete und ihre Stimme schließlich in ein nasses Gurgeln verkommen ließ, aber es dauerte keine fünf Minuten, dann hatte ihr Körper aufgegeben. Auch wenn Farfarello das nicht zufriedenstimmte, so wie er vor ihr stand und auf den leblosen Körper hinabsah, die Hand, welche das Messer umfasst hielt ebenso verkrampft wie die des jüngsten Weiß, der einen seiner Darts ähnlich starr festhielt. „Es war nicht genug“, sprach Jei ruhig aus, was seine Gestik Nagi bereits mitgeteilt hatte und sein verbliebenes Auge fixierte die beiden Weiß unzufrieden. „Nein, Berserker“, fuhr Nagi dazwischen und zog ihn warnend mit seiner Kraft zu sich herum. Ruhig fixierte er den Iren und dieser schüttelte schließlich mit dem Hauch von Belustigung den Kopf. „Deine Sorge ist unnötig, Technikjunge. Sie sind Teil des Handels. Sie war nicht genug.“ Crawford erschien im Türrahmen und sein ruhiger Blick fixierte Jei, ebenso, wie sich dieser auf ihn konzentrierte. „Das war nicht genug“, wiederholte er und Crawford neigte leicht den Kopf. „Es werden mehr kommen“, erwiderte er ruhig. „Sie warten auf uns, wenn wir das Gebäude verlassen.“ Das Lächeln, was auf dem vernarbten Gesicht erschien, war im besten Fall als erfreut zu beschreiben. Lautlos verließ Jei den Raum, in seiner Hand erwartungsvoll die blutige Klinge. ~~**~~ Es ging gut, bis sie auf die letzten Wachmänner trafen. Die Mission war letzten Endes einfach gewesen. Blutig und angespannt, aber unter dem Strich einfach. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie auf die letzten Wachen getroffen waren. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Aya mit Farfarello, Youji und Crawford ihnen entgegengegangen waren um sich ihrer anzunehmen. Aya hatte seinen Teil der Wachmänner bereits beseitigt, ebenso wie Youji und der Ire, während der Rest des Teams ihren Rückzug sicherte und das Areal vor dem Gebäude sicherte. Vier der Fünf, um die sich Crawford kümmern sollte, waren bereits tot und ein Wachmann war noch übrig. Ein einziger, doch irgendetwas stimmte nicht. Aya konnte nicht genau sagen, was es war und woher er das Wissen nahm, als die beiden Männer sich in der leeren Halle spiegelnder Fliesen gegenüberstanden, die den distinguierten Eingang zu der Firma bildeten… gebildet hatten. Der Weiß wusste nicht, an was es lag, dass er genau sagen konnte, wie sehr sich die Konzentration des Orakels wie auch seine Disziplin von Sekunde zu Sekunde auflösten. Nichts war an der veränderten Haltung zu erkennen, mit der sich um den letzten Wachmann kümmerte. Stirnrunzelnd trat Aya näher, die Hand griffbereit an seinem Katana um im Fall eines Falles eingreifen zu können. Erst, als er einen näheren Blick auf das Gesicht des Wachmannes warf, wurde ihm bewusst, dass es nicht Crawford war, dessen Anspannung und verändertes Verhalten ihm unterbewusst aufgefallen waren, sondern die Ähnlichkeit des Wachmannes mit Lasgos rechter Hand. Der Mann sah aus wie der Vernarbte, dessen nichtssagender Spitzname darauf hindeutete, dass er früher einmal einen anderen besessen hatte und der sicherlich polizeilich gesucht war in Japan. Dieser Mann hier hatte keine Narben, aber die Gesichtsform und die Augenpartie waren der des Vernarbten so ähnlich, dass man sie für Brüder halten konnte. Als er einen seitlichen Blick auf Crawford warf, der mit gezogener Waffe vor dem Mann stand, der ebenfalls seine Waffe auf ihn gerichtet hatte, wusste Aya, was es an dem Schwarz gewesen war, dass seine Aufmerksamkeit errungen hatte. Crawford stand vollkommen reglos da, ausschließlich auf den Mann fixiert, dessen Atem schnell ging und dessen Augen sich seiner Niederlage durchaus bewusst waren, der aber seine einzige Chance darin sah, an ihnen beiden vorbeizukommen, wieder zurück in den hinteren Teil des Gebäudes. Ein fruchtloses Unterfangen. „Oracle“, sagte Aya ruhig und schien damit Crawford aus seiner Starre zu holen. Ein Ruck ging durch den bislang bewegungslosen Körper und der Schwarz schlug los, noch bevor der Wachmann auch nur daran denken konnte, den Angriff zu parieren. Wenn Aya es sich ehrlich eingestand, hatte der Mann nicht den Hauch einer Chance. Crawford ging wie ein Besessener und doch auf eine unheimliche Art schweigsam auf ihn los und hatte ihn innerhalb von Sekunden entwaffnet. Weitere zehn Sekunden brauchte er, um den Mann zu Boden zu prügeln, wo er solange auf ihn einschlug, bis der Kopf des Mannes nicht mehr als eine blutige Masse und der Körper ein zuckendes Etwas mit einem Hauch von Leben war, das sich aber mit jedem Schlag mehr verlor. Das hier war kein sauberer Tod, es war schmutzig und brutal, es war archaisch und roh, was hier geschah und Aya wusste nicht, ob er davon nicht abgestoßen sein sollte, dass Crawford in diesem Moment mehr Tier war als es Farfarello jemals gewesen war. Momentan hielt ihn eine eigenartige Faszination gefangen, als er Crawford dabei zusah, wie der Schwarz seinen Feind – und nicht nur den, wie es schien – mit starrer Mimik und seinen Fäusten in den Tod prügelte. Er sagte immer noch keinen Ton, nichts verließ seine Lippen und es schien, als würde er die Blutspritzer, die er auf sich verteilte, nicht bemerken. Auch dann nicht, als der Mann unter ihm schon lange tot war und das Reservezeitfenster, das sie hatten, sich langsam dem Ende näherte. Keiner von ihnen wagte es, Crawford anzusprechen. Es hätte Aya eigentlich eine Warnung sein sollen, dass selbst Farfarello sich von seinem Anführer fernhielt und dass Schuldig ihn nicht mit einem dummen Spruch bedachte, als er sich wie von selbst nach vorne bewegte um dem knienden Mann eine Hand auf die Schulter zu legen. Doch nichts davon nahm er wahr und geriet nun selbst in den zerstörerischen Fokus der hellen, stechenden Augen, die ihn für den Bruchteil einer Sekunde maßen, bevor der Schwarz sich erhob und Aya schneller als er reagieren konnte, in den Lauf von Crawfords Waffe blickte, die entsichert auf ihn gerichtet war. Aya schluckte und unterdrückte mit Mühe das Hochreißen seines Katanas, das den Mann in ansehnliche zwei Teile geteilt hätte. Alle Selbstbeherrschung, die er aufzubieten hatte, benötigte er, um still stehen zu bleiben, um den hellen Augen ein ebenbürtiger Partner zu sein. Ein Partner, kein Gegner, hielt sich Aya immer wieder vor Augen und bohrte seinen Blick in den des Schotten. Dessen Gesicht über und über mit Blut besprenkelt war. „Was willst du?“, war es Crawford, der das Schweigen brach und das Eis in seinen Augen der Hitze seines Hasses keinen Zentimeter wich. Aya bemühte sich um Ruhe. Ob er damit Erfolg hatte… er würde es sehen. „Wir müssen gehen“, erwiderte er sorgsam ohne Emotionen um den Schwarz nicht noch weiter zu provozieren, wo dessen Finger schon am Abzug zuckte und es exakt eine Kugel brauchte, damit er nach all dem, was er überlebt hatte, hier sein Leben aushauchte. Ein dummes, aber verdientes Ende, befand Aya selbstironisch. „Derartige Einschätzungen überlässt du dem Hellseher.“ Da war sie, die eiskalte Arroganz des Schwarz. Aya schien sie eher wie eine Schutzschicht zu sein. Er neigte minimal seinen Kopf. „Würde ich, aber der ist gerade anderweitig beschäftigt.“ Crawford ließ seinen Blick auf die blutige Masse zu seinen Füßen gleiten und schmunzelte kalt. Aya las Befriedigung in seinen Augen. Seine Hände zuckten, doch er machte keine Anstalten, dem Orakel die Waffe aus der Hand zu ringen. Das Ergebnis konnte für ihn schlecht ausgehen… viel zu schlecht. „Komm, wir gehen“, wiederholte er daher ruhig, als würde Crawfords Finger sich nicht am Abzug befinden, als wäre er nicht über und über mit Blut bespritzt und als würde der Schwarz ihm nicht mit seinem Tod drohen. So ruhig, wie er sich bei Lasgo verhalten hatte, als dieser sich ein weiteres Mal seiner bedient hatte. So ruhig, wie er ihn aus dem Wald geholt hatte. „Du hast mir nichts zu sagen.“ War es ein Aufbäumen vor der unausweichlichen Logik ihrer Aufgabe hier? War es Arroganz? Oder waren es schlechte Erinnerungen an das, was geschehen war, die Crawfords Worte leiteten. „Halte dich an unseren Zeitplan, Oracle“, wiederholte Aya und streckte leicht seine Hände nach oben. „Unser Reservezeitfenster in bald aufgebraucht.“ „Das hält mich nicht davon ab, dir eine Kugel in den Kopf zu jagen, Weiß“, knurrte Crawford und hatte Recht damit. Nichts hielt ihn davon ab, jetzt, in diesem Moment und in Aya stieg das Gefühl hoch, dass es immanent wichtig war, dass es tatsächlich niemand war, der gerade eingriff. „Davon hält dich nichts ab außer deiner eigenen Integrität“, erwiderte Aya und hob den Kopf, legte ihn leicht schief. Natürlich hielt ihn auch die Strafe für sein Versagen ab, die folgen würde, wenn er den nächsten Vertrag brach. Und die Tatsache, dass er seinen Katalysator verlieren würde. Doch das verschwieg Aya gerade. „Meine Integrität?“, hakte Crawford nach, doch Aya versah das nicht mit einer Antwort, so standen sie sich für die letzte Minute ihrer Reservezeit stumm und schweigend gegenüber, bevor Crawford schlussendlich seine Waffe senkte. Mit einem letzten, wütenden Blick auf Aya verließ er die Eingangshalle und ging an einem bleichen und erschrockenen Naoe und ebenso unsicheren Weiß vorbei. Insbesondere Omis Blick hielt all das vor, was Aya sich selbst verboten hatte und sicherer als er sich wirklich fühlte, nickte er seinem Taktiker zu. „Wir gehen. Jetzt sofort“, sagte er laut und war durchaus stolz darauf, dass er das Zittern in seiner Stimme soweit unterdrücken konnte, dass sie zumindest auf den ersten Blick fest klang. ~~**~~ Crawford war immer der Meinung gewesen, dass sein Team eine schwierige Teamstruktur besaß und dass es deswegen desöfteren zu Reibereien zwischen Schuldig und Jei kam, bei denen ihm die undankbare Aufgabe zufiel, sie zu schlichten, bevor sie gefährlich eskalierten. Er war ebenso immer der Meinung gewesen, dass Schuldig das Schlimmste war, was einem Teamführer passieren konnte. Heute Abend war er eines Besseren belehrt worden. War Schuldig eine Plage, so waren wütende Weiß die biblische Gesamtheit aller Plagen, wenn es darum ging, zu rechtfertigen, warum er trotz Waffenstillstandes ihrem Teamführer eine Waffe ins Gesicht gehalten hatte. Drohungen widersprächen der Abmachung. Eine entsicherte, geladene Waffe war eine eindeutige Drohung. Die Einzigen, die dazu geschwiegen hatten, waren Fujimiya selbst und Tsukiyono gewesen. So war es nun auch der blonde Weiß, der anscheinend all seinen Mut zusammengenommen hatte und in der Tür zu seinem Badezimmer stand, in dem Crawford gerade seine Knöchel verarztete, die er sich an dem Wachmann blutig geschlagen hatte, der dem Vernarbten so sehr geähnelt hatte, dass es Crawfords Erinnerungen waren, die in dem Moment sein bewusstes Denken übernommen hatten. Für alles, was der Vernarbte ihm angetan hatte, hatte er sich gerächt. Jeder Schlag war eine eigene Rache an dem Mann gewesen, der Lasgos rechte Hand war. Doch dann hatte Fujimiya, natürlich wieder er, seine Rache unterbrochen. Mit einer Hand auf seiner Schulter, die ihm im ersten Moment fürchterliche Angst eingejagt hatte. Deswegen hatte er die Waffe gezogen und auf Fujimiya gerichtet. Deswegen hatte er wertvolle Augenblicke gebraucht um sich klar zu werden, wer vor ihm stand. Eigentlich war es erbärmlich gewesen, wie es Fujimiyas Strenge gebraucht hatte um ihn wieder zurückzuholen. Wie auch bei Lasgo, wie in dem Wald hatte sich seine Reaktion auf eben diese Stimmfärbung wie ein pawlowscher Reflex in ihn gebrannt. Was Crawford für einen Augenblick wirklich dazu verleitet hätte, den Weiß zu töten, ungeachtet aller Konsequenzen. Doch er hatte es nicht getan. Von seinen blutigen Knöcheln sah er auf und traf im Spiegel auf die blauen des jungen Weiß. Der Anblick warf ihn zunächst zurück in die Zeit bei Lasgo, in der sich Tsukiyono gegen eine Rache an ihm entschieden hatte. Crawford schüttelte unwirsch die Erinnerungen daran ab und kam nicht umhin, seine Gabe zu verfluchen, die ihm nicht mitgeteilt hatte, dass es eine dumme Idee war, sein Oberhemd auszuziehen. So blieb ihm nichts Anderes übrig, als sich überraschend unwohl zu fühlen, obwohl der Junge der Letzte war, vor dem er Angst haben sollte, nur weil er halb unbekleidet war. Der Junge, welcher jetzt ein Sinnbild der Nervosität und an Entschlossenheit gleichzeitig war. Crawford verstand, warum und dennoch war ihm nicht danach, es Bombay einfach zu machen. Auch wenn er den Mut respektierte, den Tsukiyono aufgebracht hatte, sich in sein Schlafzimmer zu begeben. „Warum?“ Crawford ließ sich Zeit damit, sich mit dem Tupfer das Blut von den Knöcheln abzutupfen. Er ließ sich so lange Zeit mit einer Antwort auf die Frage, bis die Nervosität des Anderen beinahe ihren Zenit erreichte. Warum er Fujimiya eine Waffe an den Kopf hielt? Die Frage würde keine ehrliche Antwort erhalten. Warum er den Vertrag brach? Auch darauf würde er dem Weiß keine Antwort geben. „Warum näherst du dich ihm?“ Er hatte viel erwartet, insbesondere Oberflächliches, doch das war etwas, das Crawfords Blick mühelos nach oben rucken ließ, hinein in die Augen des Weiß, der ihn aufmerksam musterte. Langsam richtete er sich auf und drehte sich um. Wie es schien, hatte er sich den zweifelhaften Luxus gegönnt, den Jungen wieder einmal zu unterschätzen. „Von wem sprichst du?“, fragte Crawford dementsprechend und sah an Tsukiyono herunter. Dem Weiß war seine Fragerei so wichtig, dass er sich noch nicht einmal aus seinem Missionsoutfit geschält hatte. Gleichwohl war er so angespannt, dass seine Hände sich zu eisernen Fäusten geballt hatten. „Von Aya.“ Ehrliche Überraschung ließ Crawford innehalten. Wieso sollte er sich Fujimiya nähern? Wie kam der Weiß darauf? Und warum, von all den Fragen, die er stellen konnte, interessierte er sich genau dafür, nachdem Crawford noch vor ein paar Stunden seinem Anführer eine entsicherte Waffe ins Gesicht gehalten hatte. Das hatte viele Bedeutungen, aber Annäherung gehörte sicherlich nicht dazu. Schweigend musterte er den Jungen vor sich und wartete darauf, dass dieser elaborierte, was anscheinend zu dieser fehlerhaften Annahme geführt hatte. „Du verhältst dich ihm gegenüber, als wäre er dir vertrauter als wir anderen. Du reichst ihm den Teil der Zeitung, den du gerade gelesen hast, er tut selbiges mit dir, ohne dass ihr euch dafür anseht oder anderweitig absprecht. Ihr albert im Pool herum.“ Crawford grollte. „Dein Anführer hat mich in den Pool gezogen, das ist wohl kaum ein Beweis für deine These.“ „Du hast dich zu ihm gesetzt.“ „Bin ich verpflichtet, einen Sicherheitsabstand zu meinem Pool zu halten, solange er sich darin aufhält? „Ihr habt euch gehasst.“ Die Worte waren mit einer solchen verzweifelten Wucht ausgesprochen, dass Crawford nicht umhin kam, sich über die Bedeutung dessen zu wundern. „Dies ist eine Zweckgemeinschaft, Tsukiyono und du hast dieser selbst zugestimmt. Ohne deine Zustimmung wäre sie nicht zustande gekommen. Und nun beschwerst du dich darüber, dass wir uns nicht gegenseitig zerfleischen? Hätte ich ihm heute eine Kugel durch den Kopf jagen sollen?“ „Das bedeutet aber nicht, dass ihr euch näherkommen müsst.“ „Wir kommen uns nicht näher“, wiederholte Crawford, ungeduldiger und bestimmter dieses Mal. Mit Unglauben sah er auf Tsukiyono hinab, dessen Mimik ihm deutlich sagte, dass ihm hier kein Wort geglaubt wurde. Eigentlich sollte es ihm egal sein. Aber aus einem unerfindlichen Grund war es das nicht. Diese alberne Kebbelei im Pool war sicherlich kein Näherkommen. Oder dass sie sich die Zeitung reichten. Das war rein gar nichts. Das waren lächerliche Beispiele für etwas, das es nicht gab. ~Hmmmh. Natürlich.~ Crawford grollte abgrundtief böse. ~Nicht du auch noch.~ Als er aus seiner mentalen Unterhaltung mit Schuldig auftauchte, sah er, dass der Weiß anscheinend sein Verhalten auf sich selbst bezogen hatte und einen Schritt zurückgewichen war, in seinem Gesicht nun deutliche Angst. „Schuldig“, erläuterte Crawford das, was als Beruhigung dienen sollte. Anscheinend mit Erfolg. Die offensichtliche Angst im Gesicht des Weiß verschwand und abgehackt nickte er. „Wie steht es mit dir und Nagi?“, spielte er den Ball zurück und mehr als alles andere traf das ins Schwarze, so schnell wie der Blick Tsukiyonos sich in seinen bohrte, sich seine Augen weiteten und die Gesichtsfarbe von ihrer nervösen Blässe in ein gesundes Rot wechselte. „Da ist nichts“, kam es wie aus der Pistole geschossen und nun war es an Crawford, die Augenbraue zu heben. „Ihr spielt zusammen Konsolenspiele.“ „Um seine Produktivität zu steigern.“ Crawford starrte Tsukiyono an. Wirklich? Glaubte der Weiß, er käme ihm gegenüber mit so einer Lüge durch? „Ihr albert herum.“ „Um seine Gabe zu stabilisieren.“ Locker verschränkte er seine Arme in das offensichtliche Unwohlsein des Weiß-Taktikers und lächelte diesem mit hoch erhobener Augenbraue ins Gesicht. „Ich hätte dich für einen besseren Lügner gehalten“, schmunzelte Crawford beinahe schon unanständig amüsiert, als seine Gabe ihm einen kurzen, aber wertvollen Ausblick in die Zukunft gab. „Ich lüge nicht, wieso sollte ich Nao-“ „Crawford, Siobhan schickt mich…“, ertönte es zögerlich hinter Tsukiyono und nur Nagi zuliebe brach Crawford nicht in schallendes Gelächter aus, als sich die Röte in Tsukiyonos Gesicht noch etwas mehr vertiefte und der junge Weiß herumfuhr, als würde der leibhaftige Teufel hinter ihm stehen. Nagi trat in den Türrahmen und musterte Tsukiyono ebenso kritisch, während sich sein Blick hilfesuchend zu seinem Anführer verirrte, als er nicht verstand, was geschah. „Verzeihung, ich wusste nicht, dass du Besuch hast. Soll ich euch alleine lassen?“, fragte Nagi unsicher und Crawford schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Tsukiyono und ich waren gerade fertig, oder?“, fragte er pointiert und die Augen des Weiß spießten ihn wenig erfreut darüber auf. Die Unzufriedenheit wich jedoch mit jeder Sekunde einem eiskalten Kalkül, das Crawford wider Willen Respekt abnötigte. „Sind wir, bis auf eine Sache. Das war das erste und letzte Mal, dass du Aya mit einer Waffe bedroht hast. Wenn das noch einmal passiert oder wenn du ein anderes Mitglied meines Teams bedrohst, dann löse ich den Vertrag zwischen uns auf und bitte Perser, Weiß von diesem Auftrag abzuziehen.“ Die Stille, die wie ein Donner auf Tsukiyonos Worte hin durch den Raum dröhnte, war ohrenbetäubend. Während er Nagis Fassungslosigkeit aus dem Augenwinkel heraus sah, war alles, was Crawford dem Weiß entgegenbrachte, stoische, kalte Ruhe, die von einem ernsthaften Versprechen pariert wurde. Tsukiyono wagte es tatsächlich, ihn vor seinem Telekineten zu bedrohen. Er wagte es tatsächlich, ihm eine Bedingung zu stellen und ihn unter Druck setzen, ihn erpressen zu können. Wut kochte in Crawford hoch, die ihm einflüsterte, dass er den jungen Weiß dafür schlagen sollte. Nicht einmal, nicht zweimal, mehrfach. Es war eben jene zügellose Wut, die beinahe Tsukiyonos Verderben und Tod gewesen war. Vielleicht war genau das der Grund, warum sich beinahe augenblicklich etwas Anderes in die Wut mischte, das er mit Vernunft und Verständnis betiteln konnte. Der Weiß hatte in der Sache Recht. Doch Crawford würde es niemals Nachgeben oder Einlenken nennen, was er dem Anderen entgegenbringen musste Nein, er nannte es Kompromiss. Das bedeutete nicht, dass er Tsukiyono leicht davonkommen ließ. Ganz bewusst trat er an ihn heran und überragte er den Weiß alleine durch seine schiere Größe. Ruhig und lässig vergrub er seine Hände in seinen Hosentaschen und starrte auf den Takatorisprössling hinunter, der seinen Blick anfangs störrisch und entschlossen, dann mit jeder Sekunde unsicherer erwiderte. Crawford lächelte. „Dein Mut ist beeindruckend, Tsukiyono Omi, das muss ich dir lassen. Ebenso beeindruckend wie deine Dummheit.“ Besagter Weiß schluckte mühevoll. „Nichtsdestotrotz, Tsukiyono, werde ich deine Worte das nächste Mal sorgfältig berücksichtigen, sollte ich mich wieder von unsachgemäßen Erwägungen leiten lassen.“ Es war das Zugeständnis, das er machen konnte, ohne sein Gesicht vor Nagi oder vor sich selbst zu verlieren, so bitter es auch war. Dass eben das wie eine Drohung klang, wollte er so. „Gibst du dich damit zufrieden?“, setzte Crawford nach und Omi nickte abgehackt. „Gut. Dann verschwinde aus meinem Schlafzimmer, Bombay.“ Unter Nagis bleicher Anwesenheit trat Tsukiyono überhastet und schnell den Rückzug an, ohne einen Blick zurück zu werfen. ~~**~~ So wie Tsukiyono auch war ihm Fujimiya bis jetzt aus dem Weg gegangen. Crawford wusste, dass der Japaner seit ihrer Rückkehr die Trainingshalle belegte. Er wusste, dass dieser die Wut, die er in sich eingeschlossen hatte, mit jedem Schlag seines Katanas herausließ und das schon seit Stunden. Natürlich war er der Grund dafür. Wer auch sonst? Er, seine Waffe und das, was dazu geführt hatte. So war auch er es, der sich dem Zorn des Anführers von Weiß stellen musste um die Balance wiederherzustellen, nachdem er sie aus den Fugen gebracht hatte. Langsam stieg Crawford die Treppe herunter. Seinen Anzug hatte er gegen bequeme Sportkleidung getauscht, die ihn bei seinem Vorhaben unterstützen würde, Fujimiyas Wut auf das zu lenken, was sie ausgelöst hatte. Der Weiß stand mit dem Rücken zu Tür und bemerkte nicht, dass Crawford den Raum betrat und die Tür hinter sich schloss, so konzentriert war er auf seine Übungen und unsichtbaren Feinde fixiert. Mit freiem Oberkörper trainierte er und Crawford konnte von seiner Position aus sehr gut die feinen Schweißperlen sehen, die den schlanken, aber muskulösen Körper bedeckten und von hartem Training zeugten. Fujimiya atmete schwer und seine Bewegungen waren – den Stunden, die er bereits hier unten verbrachte, geschuldet – nicht mehr hundertprozentig präzise. Crawford hatte das Gefühl, dass der Japaner noch bis zum Morgengrauen weitermachen würde, wenn er sich seiner nun nicht annahm. Er nutzte den Überraschungsmoment für sich, als er den anderen Mann mit dem Arm um seinen Hals an sich presste und dessen Katana mit seiner anderen Hand eisern unten hielt. „Warum unsichtbare Feinde bekämpfen, wenn die realen direkt hinter einem stehen?“, raunte er in das Ohr des Japaners, was – so wusste er bereits – in einem gewaltvollen Kampf zwischen ihnen beiden enden würde. Schwer atmend hatte er den Mann in seinen Armen, dessen Kraft und Kampfeswille spürbar unter seinen Händen zitterte. Der Weiß war angespannt, jede einzelne Muskelpartie dürstete es nach Kampf und Vernichtung der Bedrohung. „So wie dich?“, ertönte Ayas Bariton kurzatmig und die Brust hob und senkte sich in einem schnellen Rhythmus. Das Lächeln sah Crawford, noch bevor Aya sich mit einem gezielten Kopfstoß nach hinten von ihm befreite. Auf seine Visionen vertrauend wich Crawford dem Katana aus, das eindeutig in seine Richtung zielte, wenngleich vielleicht auch nicht dazu gedacht, ihn zu töten. Da war sie die Wut, die der Japaner für ihn und sein Tun empfand, für die Bedrohung. Wie hell doch die violetten Augen vor Wut leuchten konnten. Fujimiya überließ es Crawford, sich vor dem Katana in Sicherheit zu bringen, während er ihm nachsetzte und das schätzte Crawford mehr als er sich wirklich eingestehen wollte. So sehr der Japaner ihm auch in den vergangenen Wochen geholfen hatte, so wenig sah er ihn als schwach an. Oder als schützenswert. Nein, den Fehler machte er nicht. Es war wie in den Zeiten, die gar nicht mal so lange her waren. Noch vor Monaten hatten sie versucht, sich gegenseitig umzubringen, da hätte Crawford ohne zu zögern den Abzug gedrückt. Er hätte nicht zugelassen, dass Fujimiya ihm sagte, dass er zu gehen hatte. Fujimiya hätte keine Gelegenheit ausgelassen um ihn mit seinem Katana umzubringen, insbesondere, wenn Crawford selbst unbewaffnet war. So unbewaffnet wie ein Präkognitiver wie er nun eben sein konnte. Und so tanzten sie beiden ihren tödlichen Tanz, den sie nun schon seit Jahren miteinander tanzten. Crawford wich aus, wich zurück, gab Aya Raum, bis dieser sich sicher und überlegen fühlte, nur um dann zuzuschlagen. Wie schon damals beim menschlichen Schach nutzte er Fujimiyas Unaufmerksamkeit des scheinbar überlegenen Momentes und packte ihn schließlich, blockierte die tödliche Klinge und donnerte ihn gegen die Wand des Trainingsraumes. Der Weiß revanchierte sich mit einem Ellbogen, der auf sein Gesicht zielte und Crawford antipizierte den Schlag, konnte ihm jedoch nicht gänzlich ausweichen. Er revanchierte sich mit einem gezielten Schlag in die Magengegend seines Gegenübers und nutzte dessen Zusammenkrümmen, um ihm das Katana zu entreißen. Wortlos warf er es hinter sie beide und griff Fujimiyas Hals, hielt ihn still und presste ihn erneut gegen die Wand. Stumm maß Crawford den Mann, dessen Augen Mord und Rache schrien. „Du hast mir deine scheiß Waffe an den Kopf gehalten“, presste Fujimiya schon vorhergesehene Worte hervor und Crawford nickte. „Das habe ich“, gab er unumwunden zu. Was gab es da auch zu beschönigen? Trotz oder gerade wegen seines unumwundenen Geständnisses grollte Fujimiya. „Du hast mich bedroht. Nach allem, was ich für deinen scheiß Arsch riskiert habe.“ „Das habe ich.“ Fujimiya machte sich mit einer schnellen Abfolge von Schlägen von ihm los und wich keuchend in die Mitte des Raumes zurück. „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast, Arschloch?“ Wie bei Tsukiyono zuvor ließ Crawford das Lächeln durchaus zum Vorschein kommen und Fujimiya daran teilhaben. Die hasserfüllte Wut des Anderen jagte ihm eine Gänsehaut des Wohlseins über den Rücken und Crawford atmete bemüht ruhig ein. Das Lächeln blieb, als er Fujimiya in einen Kriegszug quer durch die Nahkampfarten verwickelte. Während der Weiß grollte, blieb Crawford stumm, zumindest bis zu dem Moment, in dem er die richtigen Worte gefunden hatte, die er mit jedem Schlag schier aus sich herausriss. „Er sah dem Vernarbten ähnlich.“ „Ich habe Augen im Kopf“, parierte Fujimiya nicht nur seine Worte und warf sie beide zu Boden, wo sie ihren Kampf fortsetzten. Mit Mühe hielt Crawford ihn unten und behielt seine Vormachtstellung. Auch wenn es zeitweise knapp war. „Ich musste ihn töten. Wenn nicht schon den Vernarbten, dann ihn.“ Fujimiya schnaubte und entwand sich seinem Griff, mit dem Crawford ihn am Boden halten wollte. Sein Atem streifte über Crawfords Haut und die Muskeln unter seinem eisernen Griff spannten sich an und zeigten ihm, wie stark der Japaner war. Wie sehr er aus den Jahren ihrer Zusammentreffen gelernt hatte. „Auch das kann ich mir zusammenreimen. Und das erklärt immer noch nicht, warum du mir eine Waffe an den Kopf gehalten hast, Orakel!“ Crawford wich den allzu gewaltbereiten Händen aus und warf Fujimiya herum, presste ihn bäuchlings auf die Trainingsmatte und hielt den Japaner mit seinem eigenen Körpergewicht unten, indem er sich längs an ihn presste, während er einen Arm des Mannes auf dessen Rücken gedreht hielt, zwischen ihnen gefangen und unbeweglich. „Für einen Moment warst du Lasgo und somit eine Bedrohung“, presste Crawford unwillig hervor und grollte, als Fujimiya sich unter ihm aufbäumte und sein Hintern somit unfreiwilligen Kontakt mit Crawfords Vorderseite machte. Er nutzte die Chance und drückte den Weiß damit wieder zurück auf die Matte. Der unter ihm liegende Mann ächzte, als ihm die Luft auf den Lungen gepresst wurde und er den Kampf gegen Crawford in eben jenem Moment verloren hatte. „Und dann warst du du. Du und deine verdammte Ruhe, du und deine Befehle, die du meinst geben zu können.“ Crawford lehnte sich gegen Fujimiya, dessen Kopf zur Seite gedreht war. Mittlerweile bäumte er sich nicht mehr gegen Crawford auf, wehrte sich nicht mehr gegen den ihn haltenden Griff. „Auf die du schlussendlich gehört hast“, presste der Weiß hervor und Crawford lachte dunkel. „Glaubst du wirklich, dass ich es nötig habe, auf dich zu hören und dass ich nicht in der Lage bin, meine eigenen Entscheidungen zu treffen? So wie ich hier gerade in der Lage bin, dich mühelos zu Boden zu ringen, Weiß, und das nach all den Jahren, wo du es besser hättest lernen können.“ Aya lachte rau auf. Mit dem Arm, der noch frei war, stemmte er sich soweit in die Höhe, dass er Raum hatte, seinen Kopf zu drehen und Crawford ins Gesicht zu sehen. Seine Augen waren ernst und in seinem Blick lag etwas, das er schwerlich identifizieren konnte. Eine Art Abwarten vielleicht, eine Art Vorsicht, die Crawford nicht zuordnen konnte. „Bist du deswegen erregt?“, fragte Fujimiya in die zwischen ihnen klaffende Stille und Crawford starrte auf ihn herunter. Das war eine Lüge. Er war nicht erregt. Wieso sollte die Nähe des Weiß ihn überhaupt erregen? Vor allen Dingen nachdem er die letzten Wochen nicht im Geringsten an seine eigene Lust gedacht hatte. Ganz im Gegenteil, er hatte das Thema gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Er selbst bestimmte, wann er erregt war und wann nicht. Er selbst versagte es sich ohne dass er dazu gezwungen wurde, durch Stimulation etwas zu empfinden, das er nicht empfinden wollte. Grollend drehte er Fujimiya auf den Rücken und umfasste warnend dessen Hals. Ruhig und besonnen ruhten die violetten Augen auf ihm, wichen nicht von seinem Blick. Sie machten ihm deutlich, was er nun, da er sich darauf konzentrierte, selbst spürte. Nach all den Wochen des Selbstversagens war er tatsächlich hart und empfindlich wie kurz nach seinem ersten Orgasmus. Und selbst jetzt, da er es sich bewusst wurde, nahm die Erregung nicht ab, sondern wurde mit jedem Atemzug, den er in der Gegenwart des Weiß tat und dessem Geruch ausgesetzt war, gestärkt. Schweigend starrten sie sich an, Fujimiya wissend und ruhig, er selbst… ja, was? Wütend. Vermutlich das. Wütend auf sich selbst und seine mangelnde Kontrolle. Erstaunt darüber, dass er noch in der Lage war, Erregung in Gegenwart eines anderen Mannes zu empfinden, auch wenn das gleich mehrere anwesende Menschen in seiner näheren Umgebung bestätigte, war er noch viel mehr hasste. Er konnte sich jetzt schon die Blicke Schuldigs und seiner Mutter ausrechnen, die ihm mit ihrer Besserwisserei und Selbstzufriedenheit auf die Palme treiben würden. Tsukiyono, dem er noch vor zwei Stunden ins Gesicht gesagt hatte, dass er Fujimiya nicht nahe war. Aber das stimmte doch auch, oder nicht? Fujimiya war nur ein männlicher Körper, der ihn zufällig erregte. Nichts Besonderes. So war es doch. Oder? Es konnte nicht sein, was Schuldig ihm zynisch an den Kopf geworfen hatte. Er stellte keine Bindung zu dem Mann her, dessen Augen keine Sekunde lang sein Gesicht verlassen hatten. „Ich habe dich nie gefragt, ob du auf Männer stehst“, holte Fujimiya seine Aufmerksamkeit zu sich zurück und lenkte sein Denken auf profane Themen. So profan, wie es seine Sexualität nun einmal war. „Warum sollte ich es überhaupt in Erwägung ziehen, dir darauf eine Antwort zu geben?“ „Warum nicht?“ Das Frage-Gegenfrage-Spiel war ermüdend, aber es brachte Crawford tatsächlich auf den Punkt, ob es schlimm war, wenn er mit Fujimiya über seine Sexualität sprach, schließlich konnte er die Sexualpartner des Anderen aufzählen, allesamt mit Namen und Adressen. Für einen Augenblick amüsierte er sich mit der Vorstellung, eben das zu tun und Fujimiya aus dem Konzept zu bringen, doch dann ließ er davon ab. „Das dürfte eindeutig sein“, gab er schließlich zu und Aya nickte. „Ebenso.“ „Ich weiß.“ Crawford hatte es sich nicht verkneifen können. Wirklich nicht. Und da war sie wieder, diese anregende Wut in den Augen des Mannes, der immer noch unter ihm lag. „Führst du eine Akte über mich oder hat Schuldig dir das eingeflüstert?“ „Selbstverständlich führe ich Akten.“ „Mit meinen sexuellen Vorlieben?“ „Natürlich.“ „Und?“ Wenn Fujimiya schon so fragte... „Dein letzter Fick hieß Nakamura Ryuu, du hast dich viermal mit ihm getroffen, bevor du ihn abserviert hast.“ Das Erstaunen, was er in dem Gesicht sah, war ihm Balsam für seine Seele und es amüsierte Crawford auf eine sehr niedere Art und Weise. „Das ist schon sehr detailliert“, grollte Aya und ruckte unter ihm, doch Crawford machte keine Anstalten, ihn freizugeben. Noch nicht. Viel zu sehr genoss er die latente Unsicherheit, die hinter der Wut lauerte und die so wunderbar von ihrem vorherigen Thema ablenkte. „Ich mache meine Arbeit eben richtig.“ „Wird das ein Vorwurf, weil ich über dich keine Akte führe?“ „Du nicht, aber sicherlich die rothaarige Agentin.“ Fujimiya schnaubte. „Sicherlich, obwohl ich nicht glaube, dass sie so in die Tiefe geht.“ Sachte Ironie schwang in den Worten mit und Crawford lächelte kurz. Wieder trat Stille zwischen sie und sie maßen sich, als könnten sie alleine in den Augen des jeweils Anderen Wahrheiten entdecken, die ihnen bisher verborgen blieben. In diesem Moment gab es für Crawford nichts Anderes als das stumme Duell zwischen ihm selbst und Fujimiya. Es gab nichts außer den Empfindungen, die er durch sich hindurchwaschen ließ. Die körperliche Nähe, die ihm keine Angst bereitete und die ihn nicht abstieß. Die Wärme des anderen Mannes, die ihm vor Wochen noch Übelkeit bereitet hätte. In dem Ferienhaus hatte alleine die Nähe auf dem Futon ausgereicht um ihm Magenschmerzen zu bereiten. Und nun war es der Kampf und die Nähe zu diesem Mann gewesen, dessen körperliche Attribute durchaus zu schätzen waren, der ihn erregt hatte. Er war noch in der Lage, Erregung zu empfinden. Er war nicht tot, Lasgo hatte nicht alle Emotionen aus ihm herausgefickt. Das war ein Sieg und Crawford verbuchte es jetzt, in diesem Moment als solchen, ohne Scham für das, was er fühlte. „Crawford, du…“, begann Fujimiya, kam jedoch nicht weit, als die Tür aufschwang und Schuldig im Rahmen stand. Die blauen Augen weiteten sich überrascht, ebenso wie die von Fujimiya, während Crawford sich den Luxus eines Augenrollens gönnte. „Eigentlich wollte ich sagen, dass der Mitternachtssnack fertig ist…“, begann Schuldig und sekündlich wurde sein Grinsen breiter. Crawford schnaubte. „…aber wie ich sehe, seid ihr beiden schon beim Nachtisch.“ Crawford befand, dass das ein guter Zeitpunkt war, sich nun endlich von Fujimiya zu lösen, der, so wurde es ihm erst jetzt bewusst, sich nicht eine Sekunde über die Erregung oder aber über die Tatsache beschwert hatte, dass Crawford ihn am Boden gehalten und auf ihm gelegen hatte. ~~~~~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)