Die Farbe Grau von Cocos ================================================================================ Kapitel 26: Die Kluft zwischen uns ---------------------------------- „Manx?“ Widerwillig hielt die rothaarige Kritikeragentin inne, als sie die Stimme des Mannes vernahm, dem sie am Liebsten immer noch den Hals für sein überstürztes Handeln umdrehen wollte. Ja, sie war noch wütend. Immer noch. Und eigentlich war sie jedes Mal wütend, wenn sie auch nur eine Minute vor den Überwachungsmonitoren aufhielt, die ihr in aller Deutlichkeit vermittelten, was sie, wenn sie es sich ehrlich eingestand, nicht hatte wahrhaben wollen: die beiden Männer verfügten über eine Verbindung zueinander, die sie vor diesem ganzen Schlamassel nicht gehabt hatten. Weiß und Schwarz hatten sie zu bekämpfen. Punkt. Diese Verbindungen, die sich ergeben hatten, waren hinderlich für ihre Aufgabenerfüllung. Doch hier waren sie, in Kritikergewahrsam. Und wo eine exzellente Möglichkeit bestanden hatte, sie in eine ihrer Forschungseinrichtungen zu bringen, weit ab von Japan, weit außerhalb der Reichweite von Rosenkreuz. Sie hätten Monate Zeit gehabt, die PSI zu studieren und Versuche an ihnen durchzuführen, bevor die gegnerische Organisation auch nur Hinweise zum Verbleib ihrer Agenten erhalten hätte. Aber nein. Schneller als sie wirklich reagieren konnten, war die Dame des Hauses auf den Plan getreten und hatte ihnen einen Freundschaftsbesuch abgestattet, im Rahmen dessen sie sich gerade mit Schwarz besprach. Vertane Chancen, sah man mal davon ab, dass Perser ihr aller Wahrscheinlichkeit nach die Erlaubnis für eine solche Mission nicht erteilt hätte. Sie drehte sich um und maß den Anführer von Weiß lange und schweigend, wie er bleich und zittrig vor ihr stand. Für einen Moment lang gönnte sie ihm das just erfolgte Vergnügen, sich mit der Rosenkreuzagentin auseinandergesetzt zu haben. Dann rief sie sich zur Ordnung. Er war immer noch einer ihrer Männer und in all seiner Torheit loyal zu den Idealen ihrer Organisation. „Was willst du?“, fragte sie kühl, aber nicht ungnädig. „Können wir reden?“ Sie war versucht, nein zu sagen. Doch das wäre hoch unprofessionell gewesen, also nickte sie in Richtung ihres improvisierten Büros auf dieser Etage und er folgte ihr in den kleinen, kargen Raum hinein, der sonst als Ablageort genutzt wurde. „Was kann ich für dich tun, Abyssinian?“ Unsicher blieb er an der Tür stehen und lehnte sich gegen die Wand, während sie Platz nahm. Soweit, ihm einen Sitzplatz anzubieten, war Manx aber noch nicht, würde sie auch in den nächsten Wochen nicht sein. Selbst, wenn dieses Desaster hier vorbei war und sie nicht befürchten musste, dass das feindliche Team sie alle hier dem Erdboden gleichmachte. „Wer ist diese Frau?“, kam er ohne Umschweife zum Thema und Manx schnaubte verächtlich. „Hat dir das dein neuer, bester Freund nicht mitgeteilt?“, hielt sie mit einem schmalen Lächeln dagegen und ertrug seinen wütenden Blick mit stoischer Leichtigkeit. „Er ist nicht…“ „Du unterhältst dich mit ihm, du bringst ihm Kaffee mit, du stützt ihn, wenn er zu Boden geht. Reden wir nicht über das, was du mir weismachen willst“, fuhr sie Aya scharf über den Mund und bedeutete ihm mit einer resoluten Handbewegung zum Schweigen. Widerwillig folgte er ihrem Befehl. „Die Frau bei Schwarz ist die Dame des Hauses. Das ist die Bezeichnung der Österreicher für ihre Exekutorin, die sie immer dann schicken, wenn es darum geht, ohne zu Zögern ein Problem zu beseitigen.“ Sie lächelte schmal. Oh wie viele Probleme es auf einmal lösen würde, wenn Schwarz vom Erdboden verschwinden würden. „Sie wird Schwarz töten?“, fragte Aya stirnrunzelnd nach und Manx schüttelte den Kopf. „Unwahrscheinlich. Sie ist hier um Ordnung in die Dinge zu bringen. Eben jene Ordnung und jenes Gleichgewicht, das ihr mit eurem Mist zerstört habt.“ Aya hob seine Augenbraue und sie sah, wie er seine Hände zu Fäusten ballte. „Mit unserem Mist, Manx? So nennst du das, was passiert ist?“, fragte er lauernd, wütend gar. „So nenne ich die dummen Entscheidungen, die ihr alle in der letzten Zeit getroffen habt, ja.“ Herausfordernd hob sie die Augenbraue und lieferte sich mit ihm ein stummes Blickduell, das er zuerst aufgab. „Wenn sie zu Rosenkreuz gehört, was ist sie dann? Ihre Präsenz in dem Krankenzimmer war erdrückend“, lenkte er zähneknirschend auf das eigentliche Thema zurück und Manx akzeptierte das. „Sie ist eine Telepathin.“ Auch wenn Aya dazu nichts sagte und seine Miene auf Neutralität schulte, konnte Manx hinter den glatten Zügen angewiderte Resignation feststellen. „Halte dich von ihr fern, Abyssinian. Ihr Codename ist Thanatos und sie hat sich diesen Namen nicht durch Nichtstun erworben.“ Überrascht wurde sie gemustert. „Du kennst sie“, stellte Aya fest und nun war es an Manx zu schnauben. „Ich kenne ihre Arbeit.“ „Warum sollte ich den Kontakt zu ihr suchen?“ Manx zog es vor, darauf nicht zu antworten. Sicherlich würde Abyssinian selbst darauf kommen. Später, irgendwann. Sie gönnte ihm den Moment des Erkennens aber jetzt schon von ganzem Herzen. Ja, das war ihre kleine Rache an dem Mann, der vor ihr stand. ~~**~~ Lange herrschte nichts Anderes als angespanntes Schweigen zwischen ihnen, sobald die Tür hinter dem Iren zugefallen war. Crawford starrte aus dem Fenster und weigerte sich, Schuldig auch nur in Ansätzen zur Kenntnis zu nehmen, wo der andere Mann nun schon freien Zugang zu seinen Gedanken hatte und damit zu allem, was ihn ausmachte. Mühsam hatte er sich über die Jahre hinweg seine Schilde erarbeitet um der immer neugierigen Gattung Telepath keinen Zugang zu seinen Gedanken zu gewähren. Er hatte seine ganze Kindheit und Teile seiner Pubertät damit verbracht, eben jene Schilde aufzubauen, die nun erzwungen am Boden lagen und zu nichts nutze waren. Das, was er zu schützen und zu verbergen suchte, lag nun offen sichtbar für den Mann, der ihn tot sehen wollte, damit dieser in seiner spöttischen und verachtenden Art sich seine Schwäche zunutze machen konnte. Crawford wusste, dass Rosenkreuz ihn scheitern sehen wollten, anders konnte er es sich nicht erklären. Sechs Wochen waren sicherlich ein generöser Zeitraum, der ihnen zugestanden worden war um wieder zu funktionieren, bevor sie getrennt und ausgelöscht wurden. Sechs Wochen um aus dem am Boden liegenden Team wieder ein funktionierendes Team zu machen. Sechs Wochen, um zu lernen, Schuldigs Spott und seine beißende Gabe zu kompensieren. Sechs Wochen um Lasgo zu finden und zu vernichten. Wo sie bisher doch so erfolgreich gewesen waren damit. Crawford würde Nagi kein zweites Mal in die Nähe des Drogenhändlers lassen. Niemals wieder würde er zulassen, dass der Junge in dieser oder irgendeiner anderen Art missbraucht wurde. Übelkeit wallte in ihm hoch bei dem Gedanken, wozu Lasgo den Telekineten gezwungen hatte, bei dem Leid, das der Junge ihm zugefügt hatte und dem Leid, das der Junge selbst ertragen musste. ~Deine Gedanken sind zum Kotzen.~ Crawford zuckte trotz besseren Wissens innerlich wie äußerlich zusammen. Natürlich würde Schuldig die Gelegenheit nutzen in seine Gedanken zu dringen, auch wenn er es nicht wollte. Er konnte nichts dagegen tun, war dem ebenso hilflos ausgeliefert wie er es Lasgo und Nagi vor ihm gewesen war. Tief atmete Crawford durch. Ein und aus, dreimal, bis die Erinnerungen an die Vergewaltigungen und die Folter ihn nicht mehr erstickten unter ihrer Wucht. Er hatte das überstanden, durchgestanden, überlebt. Also würde er auch Schuldig überleben. Schuldig war nicht anders als Lasgo, jemand, der ihn gegen seinen Willen einnahm. Er würde das durchstehen und wenn nicht… Ja, was, wenn nicht? Dann gab es zwei Möglichkeiten. Er wartete sechs Wochen auf das Urteil des Rates. Oder aber er zog entgegen des Befehls der Exekutorin vorher seine Schilde wieder hoch. Das wäre sein sicheres Todesurteil. Crawford schloss die Augen, doch das Geräusch einer Bewegung ließ ihn beinahe augenblicklich wieder aufschrecken. Schuldig war aufgestanden und hatte sich zu ihm hinuntergebeugt, das Gesicht viel zu nahe vor seinem, die blauen Augen unleserlich und prüfend. „Tu’s nicht“, sagte Crawford rau, bevor er sich beherrschen konnte. Es sollte als Befehl herauskommen, doch es war selbst zu leise um eine Bitte zu sein. Tu’s nicht galt für alles, was noch kommen mochte, es galt für alles, das er nicht kompensieren konnte. Doch Schuldig war schon, als er noch seine Barrieren gegen ihn hatte, darauf bedacht gewesen, seine Grenzen auszuloten und zu überschreiten. Es war ein stetiger Kampf gewesen, den Crawford mitunter nur gewonnen hatte, weil er über gute und robuste Schilde verfügte. Dieses Mal würde er ihn verlieren. Schuldig nickte. „Ja, das wirst du, denn nun hast du mir nichts entgegen zu setzen, oh großes, schildloses Orakel. Wie schön deine sonst so verborgenen Gedanken doch vor mir liegen und du kannst mir glauben, ich werde sie nach Belieben nutzen. Insbesondere dann, wenn du Nagi auch nur ein weiteres Haar krümmst und wenn du ihn auch nur einmal schief ansiehst, dann verkleinere ich dein Hirn langsam und schmerzvoll zu Staub, haben wir uns verstanden?“ Als Beweis kroch Schuldigs Kraft wie eine Schlange in seine Gedanken und ließ eine Spur aus brennendem Schmerz zurück, der gar nicht mehr aufhören wollte. Crawford presste seine Lippen zusammen um keinen Laut heraus zu lassen. Die Befriedigung wollte er dem Telepathen nicht gönnen, egal, wie tief dieser in seine Gedanken drang und Erinnerungsfetzen hochwirbelte, die demütigender nicht sein konnten. Sein Körper versteifte sich und er verlor den Fokus auf seine Umgebung, als Schuldig sich seiner in Flammen stehenden Nervenenden weiter bediente und ihn für das Vergangene leiden ließ, genauso wie es Nagi getan hatte... nur tiefer, hasserfüllter. Crawford war sich nicht mehr sicher, ob er wirklich stumm blieb bei den Schmerzen, die Schuldig ihm zufügte. Er war sich nicht mehr sicher, wieviel Zeit verging, in der er dem telepathischen Griff des Mannes vor ihm nicht entkommen konnte, der Schmerz und schmerzvolle Erinnerungen hochzerrte und ihn darin untergehen ließ. Wie weit er darunter vergraben war, merkte Crawford erst dann, als das Schließen der Tür wie ein Donnergrollen an seine überempfindlichen Ohren drang und ihn zusammenzucken ließ, wie er hier auf dem Bett lag und ohne zu blinzeln an die Decke starrte. War Schuldig weg? In einer halben Stunde würde er die Frage mit ja beantworten können. Würde er wiederkommen? Diese Frage konnte er jetzt schon mit ja beantworten. Kein schöner Gedanke. Crawford blinzelte langsam und schloss dann die Augen. ~~**~~ Spätestens, als das Gefühl der Hände, die über seinen Körper wanderten und ihn als Besitz markierten, die ihm schlussendlich Schmerz und Lust zufügten, allumfassend wurde, riss er sich mit einem Ruck aus seinen Träumen, die ihn schnell atmend aus eben jenem unruhigen Schlaf zogen, in den er seit Schuldigs Besuch gefallen war. Ohne Ziel, ohne Erkennen schlug Crawford im ersten Moment um sich, fuhr sich über seine Arme, über seinen Oberkörper, nur um die unsichtbaren Hände loszuwerden, die ihm zugesetzt hatten und immer noch zusetzten. Doch das reichte genauso wenig wie das Licht, das ihm deutlich machte, dass er sich nicht mehr in dem Keller oder in Lasgos Schlafzimmer befand, um die an ihm klebenden Fetzen des Traumes zu beseitigen. Er musste aus dem Bett, weg von dem Ort, an dem es wieder passieren konnte. Er musste einen klaren Kopf bekommen, auch wenn sich jede Faser seines Hirns anscheinend dagegen wehrte, als er nun ins Bad stolperte. Immer noch konnte er dank Schuldigs Einwirken auf seine Gedanken nicht richtig sehen, doch das durfte ihn nicht hindern. Mit zittrigen Händen drehte Crawford das warme Wasser auf und wusch sich damit über das Gesicht. Einmal, zweimal, solange, bis er das Gefühl hatte, wenigstens einen klaren Gedanken fassen zu können. Es half ihm, aber wirklich besser machte es die Unruhe in ihm, diesem Raum entkommen zu müssen nicht. Tief einatmend warf er einen Blick in den Spiegel, in das bleiche Gesicht, was ihm dort entgegenstarrte. Der Infusionsständer, an den er gefesselt war, er musste weg, also zog er sich die Nadel, die in seinem Handrücken steckte. Es blutete, doch das war ihm egal. Er musste aus dem Zimmer heraus. Die Türklinke fand er im zweiten Anlauf und sah sich, sobald er einen Schritt in den Flur hineintrat, bewaffneten Sicherheitskräften entgegen, an die er sich mit Mühe erinnerte und sie als Kritikeragenten identifizierte. Nichtsdestotrotz alarmierte er sie genauso wie sie ihn erschreckten. „Wo wollen Sie hin?“, fragte der Mann, der Crawford am Nächsten war, während seine die Hand bereits an seinem Taser hatte. Crawford war versucht, sein Glück auszutesten und sich in die Bewusstlosigkeit schocken zu lassen, auch wenn ihm sein logisches Denken bereits sagte, dass es keine gute Idee sein würde. Dass es eine wirklich dumme Idee sein würde. „Raus“, presste er hervor ohne zu elaborieren, wohin und es drückte in diesem Moment nur zu prägnant seine eigene Gedanken- und Gefühlswelt aus. Er musste weg von diesem Zimmer und weg von den Schatten, die dort lauerten. Wohin…das war ihm egal. Nur raus. Er sah den Widerspruch in den Augen des vermummten Gesichts, noch bevor dieser die Worte des Agenten erreichte und es war ebenso inakzeptabel wie die Rückkehr in dieses verfluchte Zimmer. „Wohin?“, fragte der Mann vor ihm dennoch und Crawford schwieg erbittert. Raus aus diesem Zimmer wäre ein Eingestehen seiner Schwäche, das inakzeptabel war. Raus aus diesem Gebäude ein Ding der Unmöglichkeit in seinem momentanen Zustand und ohne entsprechende Kleidung. Aber alleine der Flur half da schon und das war ein erbärmlicher Trost. Doch wie es schien, war es auch nicht notwendig. Mit einem knappen Kopfnicken nach rechts deutete der Agent auf Sessel, die er in dem weniger grell erleuchteten Ende des Flures zu erkennen vermeinte. „Die Sitzecke dahin weit genug?“, fragte er knapp und Crawford nickte ebenso unmerklich, bevor er sich langsam in Bewegung setzte, immer in Begleitung eines stummen, bewaffneten Agenten, der ihm anscheinend um Längen mehr zutraute als er sich selbst. Und dennoch war der Sessel des Bereiches, in dem er sich gerade befand, eine Erleichterung, wenn nicht gar eine Erlösung. Von hier aus hatte er einen ungehinderten Blick auf die Lichter der nächtlichen Stadt. Von hier aus konnte er ausblenden, dass es jemals so etwas wie das Zimmer gegeben hatte. Hier konnte er sitzen und alles andere ausblenden, auch wenn er sich sehr wohl bewusst war, dass seine blutende Hand genauso Aufmerksamkeit erregt hatte wie seine langsame, schwerfällig Flucht hierhin. Mit jeder Minute, die er hier saß, schwanden die Eindrücke der Hände auf ihm, der Kraft in ihm, der Vergewaltigungen und Folter. Er sah es nicht mehr vor sich, das Lächeln der verhassten Lippen. Er spürte nicht mehr den Atem des älteren Mannes in seinem Nacken, auch wenn die Männer auf dem Gang hinter ihm ihm Unbehagen verursachten. Langsam verschwand der Phantomscherz in seinem Unterleib zugunsten des realen Schmerzes in seiner Hand und in seinem restlichen Körper. Eine Wohltat, wenn auch erbärmlich. Er ließ sich beruhigen von der unbeirrbaren Stadt, die so schnell nichts aus der Bahn werfen konnte und ihren Lichtern und weit sichtbaren Leuchtreklamen, die in den dunklen, latent nebligen Himmel strahlten. Er ließ sich treiben von den Erinnerungen an diese Stadt, die nichts mit seinem Team, seiner Arbeit und den letzten Wochen zu tun hatten und fand so ein Stück seines Selbst wieder, das er so dringend benötigte. Schlussendlich war es das unmissverständliche Klacken von Highheels, das seine Meditation beendete und ihm bedeutete, dass er ungewollte und ungebetene Gesellschaft erhalten würde, die anhand der lauten Missbilligung auf dem Linoleumboden nur einer Person in diesem kleinen Kosmos gehören konnte. Für einen Moment richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Frau, die sich in der Scheibe hinter ihm spiegelte, bevor er beschloss, dass es besser sein würde, sie zu ignorieren. Warum sie hier war und wer sie geholt hatte, war unzweifelhaft. Nur dass sie alleine hier war, beruhigte ihn, bedeutete es doch, dass sie ihn nicht in das Zimmer zurückzerren ließ, aus dem er geflohen war. Sie kam um ihn herum und aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie sie ihn musterte, an seinem Handrücken hängen blieb und die Augenbraue hob. Nichts von seinem Widerstand gegen seine Behandlung kommentierte sie, sondern ließ sich schweigend auf den Sessel neben ihm nieder, um ihm nun direkt in das Gesicht zu schauen. „Du versetzt meine Männer nun schon zum zweiten Mal in Aufregung. Interessant, ich hätte darauf gewettet, dass dein Telepath da weitaus weniger pflegeleicht ist und du der Vernünftige bist“, sagte sie so neutral wie ihr Gesichtsausdruck war und Crawford schnaubte. „Wenn deine Männer so einfach in Aufregung zu versetzen sind, solltest du sie austauschen“, hielt er dagegen und wandte den Blick ab, als er sie nicht länger ansehen konnte. Interessant, wie sehr sein Hirn doch weibliche Kritikeragenten in den Vordergrund stellte, wenn es um die Verarbeitung des Geschehenen ging. Er konnte seinen Blick nicht lange auf ihr ruhen lassen, weil er die Andere vor Augen hatte. Er konnte sie nicht ansehen, weil er dann die Erinnerungen nicht in Schach halten konnte und sich dadurch noch mehr Schwächen erlaubte, als er ihnen bereits schon gezeigt hatte. Das Einzige, was ihn zuverlässig vor der aufkommenden Übelkeit bewahrte, war, dass sie anders roch. Sie trug nicht das süßliche Parfum ihrer Agentin, sie nutzte einen herberen Duft, der unaufdringlich zu ihm herüberwehte. „Immer noch ganz der alte, arrogante, aber nicht mehr ganz so überlegene Anführer von Schwarz?“, schmunzelte sie und es zerrte an seiner Selbstbeherrschung. Noch reagierte er nicht darauf, doch es fiel ihm von Sekunde zu Sekunde schwerer, die Nähe der Frau neben sich zu ertragen. „Möchtest du etwas Bestimmtes von mir?“ Sie schwieg und sah hinaus in die Dunkelheit. Crawford nutzte die fehlende Aufmerksamkeit um sie eingehender zu betrachten. Die dunklen Schatten unter ihren Augen zeugten von zu wenig Schlaf, die müden Linien um ihre Mundwinkel von Stress. Kein Wunder, da sie beinahe Persers Sohn verloren hatte, nachdem Schwarz ihn sich geholt hatte. Nicht zum ersten Mal fragte Crawford sich, was er wohl mit Bombay gemacht hätte, wenn Jei ihn nicht zurück zu Weiß gebracht hätte. Er konnte nicht klar sagen, ob er wieder genug zur Besinnung gekommen wäre um den Weiß freizulassen oder ob er ihn schlussendlich umgebracht hätte in seinem undisziplinierten Denken und Handeln. „Ich möchte mit dir über Birman sprechen“, sagte sie schließlich und alleine der Name der Anderen löste in Crawford Erinnerungen aus, die er am Liebsten ganz weit weg gewusst hätte. Ihre Nägel, wie sie schmerzhaft und blutend über seine Haut kratzten. Crawford schluckte schwer. Brauchte es tatsächlich nur einen Namen, um ihn zurückzuwerfen zu den endlosen Minuten und Stunden, in denen er ihnen beiden ausgeliefert gewesen war mit der einzigen Genugtuung, dass weder Lasgos Schwanz noch ihre Hände ihm auch nur ein Stück Lust hatten bereiten können. Sie, die ihn in die Hand nahm und falsche Zärtlichkeit ausübte, die ihr nicht erlaubt worden war. Er hatte es nicht gewollt. Niemals. Zu keinem Zeitpunkt. Der Drang, einfach zu gehen, wurde übermächtig. Manx hatte kein Recht, sie zu stellen. Keiner der Kritikeragenten hatte das Recht dazu, sie und ihre nutzlose Organisation. Unwillkürlich ballte er seine Hände zu Fäusten, die weiß waren vor Anspannung. Ihre Lippen, die mit ekelhafter Zärtlichkeit an seinem Ohrläppchen knabberten, während sich ihre Finger in ihm befanden. „Nicht über Tsukiyono?“, versuchte Crawford die Kritikeragentin durch pure Provokation davon abzulenken, was nun sicherlich folgen würde. Dass er damit scheiterte, hätte er sich vorher denken können. Manx war nicht umsonst die rechte Hand Persers. Diese Frau wusste, was sie tat und sie war professionell genug, sich durch solche Kleinigkeiten nicht ablenken zu lassen. Im Gegenteil. „Abyssinian sagte, dass er dich unter anderem deswegen gerettet hat, weil unsere Zielperson sich zusammen mit unserer Agentin an dir vergangen hat“, konterte sie mit ihren ganz eigenen Waffen. Crawford atmete tief durch. Einmal, zweimal, dreimal, bevor er die sachlich ausgesprochenen Worte schweigend akzeptieren konnte. Es sollte ihn nicht überraschen, dass Fujimiya mit ihr darüber sprach, dennoch machte es ihn wütend. Wer wusste eigentlich nicht, was passiert war? War das, was er nicht hatte verhindern können, allgemeines Wissen? Wussten die Männer auf dem Flur auch davon? Eisern schwieg er. „Birman schweigt dazu. Sie schweigt, warum sie von Berserker angeschossen wurde, während Bombay augenscheinlich keinen Kratzer an sich hatte. Ebenso schweigt sie zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen, die Abyssinian sehr deutlich gegen sie erhoben hat. Möchtest du diese bestätigen?“ Nein, wollte er nicht. Wütend fuhr er auf und grollte. „Zu welchem Zweck?“ Er musste ihr lassen, dass sie weiterhin vollkommen ruhig blieb und sich nicht durch ihn aus der Ruhe bringen ließ. Nur ihre Hand hatte sie erhoben und hielt damit vermutlich die hinter ihm stehenden Agenten davon ab ihn zur Ruhe zu zwingen. Wenn Crawford raten müsste, würde er darauf tippen, dass er noch innerhalb dieser Nacht mithilfe von Tasern ruhiggestellt werden würde, so sinnlos dumm wie er sich verhielt. „Ihr Verhalten wird nicht ungesühnt bleiben, sollte es der Fall sein.“ Crawford schnaubte verächtlich. Nicht ungesühnt. Was würden sie machen? Sie in den Außendienst versetzen? Er schwieg und wandte den Blick ab, zurück zur Weite der Stadt. Er würde sich selbst um die Agentin kümmern, wenn er wieder auf den Beinen war. Dafür brauchte er weder Kritiker noch die Frau, die gerade vor ihm saß. „Ich brauche eure Gerechtigkeit nicht“, erwiderte Crawford angewidert und sah überrascht auf, als Manx auflachte. Da war nichts Warmes in diesem Lachen, im Gegenteil. Ihre Mimik, ihre Gestik waren eingefroren in Eis und Kälte. „Du denkst, es geht hier um dich“, stellte sie überrascht fest und kurz huschte Hohn über ihre Züge, den sie nur zu schnell zu verstecken wusste unter ihrer dicken Schicht an Professionalität. „Weit gefehlt, Oracle. Hier geht es um das Bekenntnis zu den Zielen unserer Organisation. Hat sie sich an einer Person – egal, ob an dir oder an jemand anderem – vergriffen und paktiert sie mit dem Feind, ist sie untragbar. Was es bedeutet, wenn sie untragbar wird, weißt du ebenso wie ich. Ansprüche deinerseits werden daraus nicht abgeleitet. Wenn es nach mir ginge, würdest du bereits seit deiner Rückkehr nach Tokyo in einer unserer Einrichtungen untersucht werden. Wenn es nach mir ginge, würdest du für deinen Vertragsbruch, den du und dein Team in dem Moment begangen habt, als ihr euch an Bombay und Abyssinian vergriffen habt, tot in dem Schutt des zusammengestürzten Gebäudes liegen. Zu deinem unbeschreiblichen Glück und meinem bedauerlichen Pech hat die Dame des Hauses aber gleich nach ihrer Ankunft das Gespräch mit Perser gesucht und die Modalitäten besprochen.“ Crawford konnte seine Überraschung nicht verbergen und ein Teil von ihm war zu erschöpft um es überhaupt zu versuchen. Thanatos hatte Kontakt zu Perser gesucht noch bevor sie Schwarz aufgesucht hatte? Das erklärte die Ruhe, mit der die Kritikeragentin auf sie reagiert hatte. Das erklärte aber mitnichten, was besprochen worden war. Vermutlich, wie Schwarz begleichen konnte, was sie Bombay ohne Befehl angetan hatten. Und andere Dinge. Sein Stolz verbot ihm danach zu fragen so schwieg er und sie beobachtete ihn dabei. Analysierend und brennend spürte er ihre Aufmerksamkeit, mit der sie ihn bedachte. „Abyssinians Beschreibung der Situation ist korrekt“, beantwortete Crawford schließlich die Eingangsfrage und nun war Manx diejenige, die mit seinen Worten nicht gerechnet hatte. „Warum hat sie es getan?“ Crawford verzog verächtlich seine Lippen. „Du denkst, dass sie mir das ins Ohr gesäuselt hat, während sie damit beschäftigt war sich…“ Er stockte. Damit. Mit ihm. Mit seinem Körper. Lasgo hinter ihm, sie vor ihm. Haut auf Haut, ungewollt und widerlich. Schaudernd löste er seine eisern geballten Fäuste. „Hat sie etwas gesagt, was ihr Verhalten begründet?“ Diese Frage war einfacher zu beantworten. Die Worte der Anderen hatten sich in seine Gedanken gebrannt, als wäre es erst gestern passiert. „Sie meinte, sie hätte genug davon, dass Schwarz und ich ihr das Leben schwermachen und dass immer wieder größere Arschlöcher entkommen würden durch unser Tun.“ Die Kritikeragentin runzelte die Stirn. „Das ist etwas, über das sie sich desöfteren beschwert hat. Schon vor Jahren.“ „Was soll mir das jetzt sagen?“ Sie winkte ab. „Nichts.“ Sie stockte einen Moment, zögerte mit der Antwort. „Damit wir uns richtig verstehen, Crawford. Ich heiße nicht gut, was sie getan hat. Sie repräsentiert mit einem solchen Verhalten keinesfalls Kritiker.“ „Das habe ich nicht angenommen.“ Nun war es an ihm zu zögern. „Schließlich repräsentiert mein oder Schuldigs Verhalten auch nicht unsere Organisation.“ „Die fehlende Freigabe für euer Handeln Bombay und Abyssinian gegenüber ist mir bewusst und wurde bereits bestätigt.“ Unzweifelhaft von der Dame des Hauses. „Sachfremde Erwägungen haben…“, begann Crawford, wurde dann jedoch von Geräuschen der Unruhe hinter sich auf dem Flur unterbrochen. Abrupt drehte er sich um und fuhr aus dem Sessel. Er schwankte unter der Wucht der Vision, die ihn überkam. ~~**~~ Die Decke war weiß, vermutete Nagi. Momentan tanzten die Lichter der Straße und des anderen Hochhauses an ihr. Merkwürdig vertraut und doch fremd waren sie ihm, wie es immer vorkam, wenn Schuldig etwas aus seinen Erzählungen bereitstellte und er diese Erinnerungen mit der Realität abglich. Mittlerweile war er daran gewöhnt, doch nun war es ein faszinierender Unterschied, dem er für Minuten nachhing, bevor er sich bewusst wurde, wo er sich befand. Vielleicht lag es auch daran, dass Schuldigs Erinnerungen an diesen Raum sich primär auf die Tagesstunden bezogen und die Nacht ausgelassen hatten. Nagi kam nicht umhin, die Trostlosigkeit der Nacht zu kritisieren, die diesen Raum befallen hatte, auch wenn er dankbar war für die Dunkelheit, die ihn umgab. Der Wust seiner Erinnerungen, die er momentan ganz nach hinten in seine Gedanken geschoben hatte, bestand primär aus gleißender Helligkeit. Dunkelheit war Schutz und Sicherheit. Nagis Blick schweifte nach links zu dem Monitor, die anscheinend seine Vitalparameter zeigten. Glaubte er ihnen, so war er gesund oder auf dem Weg der Besserung. Glaubte er seinem Körper, so war ihm übel vor Hunger und er hatte brachialen Durst. Er fühlte sich zittrig und kalt, gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass Fieber ihn im sicheren Griff hatte. Der Blick nach rechts zeigte ihm Schuldig, wie er verdreht in einem Sessel saß und tief und fest schlief. Nagi musste unwillkürlich schmunzeln. Unelegant lag sein Kopf auf dem Nachttisch, der Mund geöffnet und ein leichter Speichelsee unter sich auf dem Nachttisch. Ein schwaches Lächeln huschte über Nagis Lippen. In Sicherheit, geisterte es in seinen Gedanken umher und Erleichterung durchströmte ihn. Sie waren entkommen. Crawford lebte. Wenn Nagi Schuldig Glauben schenkte und das tat er, dann hatte der Taktiker von Weiß sie mithilfe von dem Mann gerettet, der friedlich neben ihm schlief. Mithilfe von Tsukiyono war Schuldig auf ihre Spur gekommen und hatte verhindert, dass er Crawford mit seiner Gabe umbrachte. Crawford. Nagi schluckte, als Angst und Verzweiflung ihn mit einer Wucht überkamen, die ihresgleichen suchte. Crawford hatte ihn aus dem Haus geworfen und er hatte den älteren Mann zum Dank dafür über Tage hinweg gefoltert und schließlich beinahe getötet. Was war er doch für ein dankbares Teammitglied, wenn er überhaupt noch eins war. Nagi wusste es nicht und die Unsicherheit tötete ihn innerlich, wenngleich er wusste, dass er jede Strafe verdient hatte, die ihm auferlegt wurde. Schuldig hatte ihm erzählt, dass Crawford sich ebenfalls hier befand, in den Händen von Kritiker. Drei Zimmer weiter, wie es ihm die Gedanken des Telepathen mit einem verächtlichen Unterton berichtet hatten. Er musste zu ihm, musste wissen, was für eine Strafe ihn erwartete. Er musste wissen, ob die braunen Augen ihn immer noch hasserfüllt ansehen würden. Ob sie ihn überhaupt ansehen würden nachdem was er getan hatte. Es war unumstößliche Wahrheit, dass dem Anführer eines Teams Gehorsam zu leisten war. Ebenso, dass der Anführer eines Teams immer Recht hatte, deswegen leitete er auch dieses Team. Nagi hatte das Handeln seines Anführers wiederholt in Frage gestellt und das alleine würde schon rechtfertigen, dass Crawford ihn verstieß oder zu Rosenkreuz brachte. Und das war gewesen, bevor Lasgo ihn dazu benutzt hatte, Crawford zu foltern und ihm jeden Knochen im Leib zu biegen, ihm schließlich über den Körper zu streichen, als wären sie… Die Tränen, die seinen brennenden Augen zu entfliehen drohten, bekämpfte Nagi, indem er sich in eine sitzende Position hochkämpfte. Er musste den Hass sehen, er musste wissen, dass Crawford noch der war, der er vorher war. Er musste wissen, dass er den anderen Mann nicht durch sein Handeln zerstört hatte. Unsicher schwang er die Beine aus dem Bett. Erst jetzt bemerkte er, dass in seinem Arm eine Nadel steckte und dass er anscheinend an einem Tropf hing, der ihn mit einer unbekannten Flüssigkeit versorgte. Ungute, dunkle Erinnerungen überkamen ihn und Nagi sich unvorsichtigerweise den Zugang, der ihn so sehr an die Spritzen erinnerte, die sie ihm in dem gleißend hellen Keller verabreicht hatten. Achtlos ließ er sie auf dem Bett liegen und zittrig langte er nach dem Monitor, schaltete ihn aus, bevor er sich die Elektroden vom Körper riss. Der Weg zum Flur, dessen Licht unter der Tür hindurchschimmerte, war jedoch beinahe zuviel für seinen geschwächten Körper. Fiebrig wollte er nach der Türklinke greifen, als die Tür sich mit einem Ruck öffnete und Helligkeit ihn erschrocken zurückzucken ließ. „Schuldig-san, wie oft muss ich Ihnen denn noch sagen, dass…“, begann eine strenge, weibliche Stimme und brach mit einem Laut der Überraschung abrupt ab. Nagi sah hoch, in das fremde Gesicht und seine erste Reaktion war, die Frau instinktiv von sich wegzustoßen, die ihn überrascht musterte. Er wollte es, doch seine Gabe wollte ihm nicht gehorchen…nichts entkam seinen Händen, die sich abwehrend gehoben hatten. Nun war er es, dessen Laute seine Überraschung und Angst verrieten. „Naoe-san.“ Die Höflichkeit in der ruhigen Stimme der Frau ließ ihn wieder hochsehen. „Sie sind wach“, fuhr sie fort, als wäre es das Normalste der Welt, als würde sie ihn kennen. Als müsste er sie kennen, doch er hatte keine Ahnung, wer sie war, was sie hier tat und. „Verstehen Sie mich?“ Er nickte stumm. „Wissen Sie, wo Sie hier sind?“ Wiederum nickte er. „Wissen Sie, wie Sie hierher gekommen sind?“ Ein drittes Mal nickte er und sie gestattete sich ein erleichtertes Seufzen. „Mein Name ist Sasaki Airi und ich bin Krankenschwester auf dieser Station. Ich habe die letzten Tage auf Sie aufgepasst.“ Sie versuchte sich an einem kleinen Lächeln und er starrte sie stumm an. Sie war Kritiker. Wie alle hier. Warum war sie freundlich? Sie arbeitete für den Feind. Warum hatte sie auf ihn aufgepasst? Er verstand nicht… „Ich will zu Oracle“, drang es aus seinem Mund. Es hatte eine Forderung sein sollen, doch der Nichtgebrauch seiner Stimme ließ die Worte beinahe in seinem Mund verdorren. Mit Mühe presste er sie hervor, unsicher, ob sie gehört worden waren. Doch anscheinend hatte die Frau keine Mühe, ihn zu verstehen. „Sie sollten sich erst einmal hinsetzen“, erwiderte sie beschwichtigend und streckte die Hand nach seinem Oberarm aus. Nagi wich zurück, ein Laut des Schreckens auf seinen Lippen und zögernd verweilte ihre Hand zwischen ihnen. „Bitte haben Sie keine Angst, Naoe-san. Ich möchte nur nicht, dass Sie sich verletzen, wenn Ihre Kräfte sie verlassen. Sie sehen nicht gut aus und Sie fühlen sich sicherlich auch nicht so.“ Stumm schüttelte er den Kopf, die rechte Hand an der Wand verkrampft, die ihn stützte, als könne sein Anker ihn davon abhalten, wieder in das Zimmer verfrachtet zu werden und gar nichts dagegen zu tun. „Zu Oracle“, wiederholte er erneut, sturer dieses Mal und seine Augen bohrten sich in die der älteren Frau, die schließlich mit einem Nicken nachgab. Sie drehte sich weg von ihm und musterte den Bereich, in dem er Crawford vermutete. „Gehen Sie nach rechts und den Ganz hinunter. Am Ende ist eine kleine Sitzecke, dort befindet er sich.“ Kurz hielt sie inne und musterte Nagi. „Sie werden den Weg aber nicht alleine meistern.“ Als wenn er sich von einer Kritikeragentin sagen lassen würde, was er konnte, dachte Nagi in einem Anflug von Sturheit. Eisern und verbissen kämpfte er sich auf dem schwer bewachten Flur voran. Agenten in Uniformen mit Sturmhauben und Gewehren standen hier, ihre Blicke allesamt auf ihn gerichtet. Er erkannte an ihrer Anspannung, dass sie bereit waren, ihn zu erschießen, wenn er sie angriff. Nicht, dass es ihnen etwas geholfen hätte, wenn er im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen wäre. Wenn… Doch nun war er schier machtlos gegen sie. Nagi atmete tief ein und folgte dem Wink der Schwester. Seine nackten Füße trugen ihn unsicher die ersten paar Meter über den weißen, fensterlosen Flur, der dem Keller so sehr ähnelte, in dem er die letzten Tage gefangen war, dass es wehtat. Er brauchte die Wand als Stütze und sah sich nun einem Mann gegenüber, der ausdruckslos auf ihn hinabstarrte und sich nicht regte. Normalerweise hätte Nagi ihn aus dem Weg gewischt, wie eine lästige Fliege, nun aber brachte er noch nicht einmal die Worte hervor um den Mann aus dem Weg zu befehlen, selbst wenn dieser darauf gehört hätte, was er stark bezweifelte. Also stieß er sich von der Wand ab und strauchelte keine drei Sekunden später, als sein Kreislauf ihm den Dienst versagte. Durch das Rauschen in seinen Ohren spürte er, wie eine resolute, aber sanfte Hand ihn am Arm packte und ihn aufrecht hielt. Die Wärme an seiner Seite musste die Wärme eines menschlichen Körpers sein und panisch wollte Nagi um sich schlagen, um dieses widerwärtige Gefühl loszuwerden, das ihn zurück in den Keller zu Crawford bringen würde, damit er den Mann folterte, der ihn von der Straße geholt hatte. „Ganz ruhig, mein Junge, ganz ruhig“, murmelte die Stimme der Schwester sanfte und beruhigende Worte an sein Ohr und Nagi schloss die Augen. Es mochte der Ton sein oder alleine schon die Tatsache, dass sie eine Frau und kein Mann war, aber sie erreichte ihr Ziel. Nur zu dankbar konzentrierte er sich auf die Unterschiede und konnte so die Angst Stück für Stück zurückkämpfen und sich auf das besinnen, was er eigentlich wollte. Dennoch. „…lassen Sie…los…“ Sie gab einen nicht unfreundlichen Laut der Ablehnung von sich. „Dann fallen Sie hier auf dem Flur um und werden Ihr Ziel nicht erreichen, Naoe-san. Damit wird es unvermeidbar sein, dass ich Sie zurück in Ihr Bett bringe, damit Sie Ihrem erschöpften Körper Ruhe gönnen. Wollen Sie das?“ Er schüttelte widerwillig den Kopf. Sie machte wieder dieses Geräusch, das irgendwo zwischen einem zustimmenden Brummen und einem Schnauben lag. „Dann müssen Sie damit leben, dass ich Ihnen helfe.“ Nagi wusste auf die endgültigen Worte nichts zu erwidern. Die Drohung schwebte wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf und so ließ er sich von ihr über den endlos langen Gang führen, immer vor Augen, dass er Crawford sehen musste und dass er dafür alles verdiente, was ihn widerfuhr. Alles. Je näher er der Sitzecke kam, in der er verschwommen die Umrissen zweier Personen ausmachen konnte, je mehr scheute er sich, dort hinzugehen, zu dem Mann, dessen Foltermeister er gewesen war. Er scheute sich Crawford in die Augen zu sehen und zu wissen, dass der andere Mann ihn hassen würde für das, was er war und war er getan hatte. Er hatte Angst vor der Ablehnung in Crawfords Augen und davor, dass das Orakel ihn zurückweisen würde. Doch er musste. Er musste ihn sehen, musste sehen, dass es ihm gut ging. Seine Sturheit und Sehnsucht halfen ihm, sich von ihr dorthin führen zu lassen. Schritt um Schritt trat er in sein selbstgewähltes Verderben, bis aus den Schemen klare Umrisse und aus den klaren Umrissen detaillierte Gesichtsausdrücke wurden. Nagi erzitterte unter der Wucht der Gefühle, die ihn mit einem Mal überrannten. Crawford sah schlimm aus in seiner Krankenhauskluft, die ihn so verletzlich scheinen ließ. Es war Nagis Schuld. Er hatte ihm diese Kleidung aufgezwungen, nur er, niemand anderes. Er war zu schwach gewesen, sich gegen Lasgo zu wehren, gegen die Drogen und die Befehle des anderen Mannes. Tränen ließen seine Sicht verschwimmen, als er sich bewusst vor Augen hielt, dass Crawford lebte. Nachdem, was er ihm angetan hatte, ein Wunder. Die Augen des Mannes, den er im Geheimen als seinen Ziehvater angesehen hatte, musterten ihn und waren leicht geweitet vor… ja, vor was? Abscheu? Angst? Er konnte es nicht genau sagen, doch das musste es sein. Die Lippen des Mannes bewegten sich, doch durch das Rauschen in seinen Ohren konnte Nagi nicht mehr richtig hören, was Crawford ihm zu sagen hatte. Vermutlich waren es Worte des Hasses, des Unmuts, Worte der Enttäuschung über sein Versagen und seinen Ungehorsam. Aber er konnte nicht mehr gehorsam sein, als mit seiner Kraft nun auch sein Körper nachgab und die Erleichterung ihn in die Bewusstlosigkeit begleitete. Nur nebenbei wurde ihm bewusst, dass er aufgefangen wurde und dass die Schwester ihn mit ihren resoluten, sanften Händen stützte. Es war seltsam tröstend, als gnädige Schwärze ihn umfing und er sich in die Umarmung der Schwester fallen ließ. ~~**~~ „Rum?“ „Gerne. Whisky?“ „Natürlich.“ Sie lächelten einander an und gaben ihre Bestellung an ihren persönlichen Kellner weiter, der sie in dem Separee, in dem sie sich niedergelassen hatten, bediente. Beide waren sie ihrem Credo treu, sich nie zweimal am gleichen Ort zu treffen, also hatte er das Mandarin Oriental ausgesucht, das ihnen nun einen fantastischen Blick auf die Skyline Tokyos eröffnete. Hohe Decken bildeten einen offenen und hellen Kontrast zu ihrem letzten Treffen in der abgeschiedenen Lounge. „War der Zustand Ihrer Außendienstmitarbeiter zu Ihrer Zufriedenheit, Siobhan?“, fragte Shuichi und die Dame des Hauses wiegte scheinbar unschlüssig mit sich selbst den Kopf hin und her. „Zufrieden war ich nicht, das kann man nicht sagen. Der Zustand, in dem sie sich befinden, ist inakzeptabel und führt zu Komplikationen, die meine Auftraggeber so nicht wünschen. Die Behandlung und Betreuung Ihrerseits jedoch“, hob sie beschwichtigend die Hand, als er widersprechen wollte. „…ist ausgezeichnet und nur zu loben. Richten Sie Ihrem Personal bitte meinen herzlichen Dank für die kompetente und unvoreingenommene Versorgung aus.“ Shuichi nickte unmerklich, als er das Lob zur Kenntnis nahm. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen anhand der Frustration, die in ihren sorgsam neutral gewählten Worten mitschwang. „Ich war überrascht“, gab er schließlich zu und sie nahm seine Worte zum Anlass, ihre Augenbraun hochzuziehen. „Worüber?“ Er zögerte mit der Antwort, runzelte die Stirn. Er wägte Formulierungen ab, Worte und beschloss schließlich, dass Höflichkeit hier nichts zu suchen hatte. „Über die Art und Weise, vor allem aber auch den Zeitraum, den Ihre Außendienstmitarbeiter gebraucht haben um unter den gegebenen Umständen zu kollabieren. Jahrelang gab es keinen Riss zwischen ihnen, so perfekt wie sie zusammenwirkten. Nun jedoch liegt das ganze Team am Boden und befindet sich kurz vor der Selbstzerstörung.“ Ihre grauen Augen musterten ihn aufmerksam und sie gab keinen Hinweis darauf, was sie dachte oder wie sie seine ehrlichen Worte aufnahm. Sie lächelte lediglich, als ihr Kellner ihnen die gewünschten Getränke servierte. Sie toastete ihm zu und nahm einen Schluck, bevor sie sich eine Antwort erlaubte. „Die Hybris, unantastbar zu sein aufgrund der eigenen Fähigkeiten, ist etwas, das uns alle von Zeit zu Zeit befällt. Die Frage ist, wie wir damit umgehen, wie leichtsinnig wir damit sind und welche Anker wir uns erschaffen. Blindes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist da nicht ausreichend und führt zu Ignoranz den lauernden Gefahren gegenüber. Kommt es dann zu einem einschneidenden Erlebnis, so hängt das Schicksal eines ganzen Teams von einer einzelnen Person und den von ihr getroffenen Entscheidungen ab. Dass eben diese in den letzten Wochen fehlerhaft bis hin zu einem möglichen Vertragsbruch waren, darüber müssen wir nicht reden.“ Ein dunkles Lächeln huschte über ihre Lippen. „Deswegen haben meine Mitarbeiter für die Bewältigung der noch offenen Konflikte und die Beseitigung von Unwägbarkeiten auch einen Zeitraum von sechs Wochen erhalten.“ Shuichi maß sie überrascht, insbesondere den unzufriedenen Zug um ihre Mundwinkel. „Sechs Wochen scheinen mir ein geringer Zeitraum für die Art von Konfliktbewältigung zu sein“, erwiderte er schließlich. „Es ist mehr, als ich dem Team zugestanden hätte.“ Erneut überrascht hob er die Augenbraue und ein kurzes, spöttisches Schmunzeln huschte über ihre Lippen. „Die Arbeitsweise unserer Außendienstmitarbeiter ist aufeinander abgestimmt. Wir wählen sie sorgfältig aus für die Ziele meiner Auftraggeber. Von ihnen werden perfekte Leistungen, Hingabe und Treue zu unserer Organisation gefordert. Ein solches Versagen, wie es uns hier präsentiert wird, ist inakzeptabel und wird sanktioniert. Eine Einheit wie diese sollte das wissen und sich nicht in ihrer Hybris suhlen.“ Leise Wut hatte sich in ihre Worte gestohlen und er maß sie nachdenklich. „Der Schlüssel darf nicht fehlerhaft sein, wenn er in das Schloss passen soll.“ Graue Augen maßen ihn scharf und unnachgiebig in all ihrer Härte. Ihre Gabe prickelte an seinen Schläfen ohne ihn zu durchdringen, ein Entgegenkommen alter Zeiten. Schließlich hielt die alte Güte wieder Einzug in ihre Augen und sie lächelte zufrieden. „Ein scharfer Geist ist tausendmal schöner als pure Gier“, erwiderte Siobhan zunächst kryptisch. „Ja, sie sind der Schlüssel für eine bessere Zukunft.“ ~Und wo kommen dann wir ins Spiel?~, kam er zum Wesentlichen und nahm einen Schluck Rum. Durchdringend maß er sie, genau wissend, dass sie seine telepathische Frage sehr wphl gehört hatte, auch wenn sie es momentan vorzog, noch nicht darauf zu antworten, sondern sich ihrem eigenen Getränk zu widmen, das sie nun auf ihrem Oberschenkel absetzte. Ungeachtet der Kondensflüssigkeit, die einen Ring auf ihrer Hose bildete. ~Es hat sich herausgestellt, dass die Interessen meiner Auftraggeber und unseres Partners entgegenlaufend sind~, wechselte auch sie nahtlos auf die Gedankenebene und er schmunzelte über das warme Prickeln hinter seiner Stirn, das ihre Worte wie stets begleitete. Es hatte sich nicht verändert, über die letzten dreißig Jahre hinweg nicht. ~So entgegenlaufend, dass einer Trennung nichts mehr im Wege steht. Da, wo aber unser Partner seine Hoffnungen auf unseren Subunternehmer legt, haben wir beschlossen, dass diese Hoffnung fehlerhaft ist um unsere Interessen zu wahren.~ ~Die da wären?~ ~Die Unterstützung von Schlüsselpositionen bei der Erreichung deren Ziele zur Stabilisierung und Gewinnmaximierung unseres Unternehmens sowie der Einflussnahme auf das politische Geschehen zugunsten unserer Mitarbeiter~, erwiderte sie brachial ehrlich und er runzelte gedanklich die Stirn. ~Soll mir das ein Anreiz sein, mit Ihnen zusammen zu arbeiten, Siobhan? Es klingt mir eher nach einem Grund, keine Kooperation mit Ihnen einzugehen.~ ~Ich bin ehrlich zu Ihnen. Dafür biete ich Ihnen ein Team, das, wenn es wieder zur alten Stabilität zurückgefunden hat, eine wertvolle Unterstützung für Ihre Sache sein wird und den Frieden in Japan dauerhaft vorantreiben kann.~ ~Wir sprechen von denen, die nun für meinen Bruder das Land ins Chaos stürzen.~ ~Was sich nicht als der richtige Weg herausgestellt hat.~ Er schob ihre Gedanken eine Weile lang hin und her, überdachte sie und wägte die Bedeutung ab, die ihre Worte für sein Handeln hatten. Das, was sie ihm anbot, barg hunderte Möglichkeiten und ebenso viele Gefahren. ~Was wollen Sie wirklich, Siobhan?~ Ein bedauerndes Lächeln lag auf ihren Lippen. ~Eine Zukunft, Shuichi-kun~, erwiderte sie sanft und der zarte Zwischenton der Verzweiflung in ihren Worten machte ihm deutlich, dass da noch etwas viel Größeres lauern musste. ~Und für diese Zukunft lassen Sie sich mit dem bisherigen Feind ein?~ ~Sie sind einer der vielen möglichen Wege, die schlussendlich an unser Ziel führen. In diesem Moment, wo wir hier sitzen, sind Sie derjenige, dessen Ausgang sich mit dem deckt, was wir erreichen wollen.~ ~Wie sähen die Konditionen aus?~ ~Die Fähigkeiten des Teams stünden Ihnen ohne Einschränkung zur Verfügung, Sie könnten über jede Fähigkeit nach freiem Willen verfügen. Einzige Grenze ist die, uns zu schaden.~ ~Rosenkreuz nicht zu schaden.~ ~Richtig.~ ~Was ist mit SZ?~ ~Werden eine Zusammenarbeit zwischen Ihnen und uns nicht mehr erleben, wenn sich die erlangten Informationen über eine Differenz zwischen ihrer und unserer Vorhaben endgültig bestätigen sollten.~ ~Mein Bruder?~ ~Wird für die Verbrechen, die er gegenüber Ihrem Land und meinen Auftraggebern begangen hat, durch Sie bestraft. Wir werden dem nicht mehr im Wege stehen.~ Für lange Momente schwieg Shuichi und sinnierte über die so eben erlangten Informationen. Jedem anderen hätte er kein Wort geglaubt, doch schon vor langer Zeit – und immer wieder in den darauffolgenden Jahren – hatte er erkannt, dass die Gattung der Telepathen sich im Gegensatz zu anderen PSI oder anderen Menschen selten Lügen bediente um zu erreichen, was sie wollte. Siobhan hatte er noch nie lügen hören, eben weil es sinnlos war. Die Rosenkreuzagentin konnte Menschen nach ihrem Willen beeinflussen, ihnen Wahrheiten einflüstern und sie dazu bringen, sie so zu glauben, als hätten sie sie schon ein Leben lang gelebt. Sie musste nicht lügen. Deswegen war das, was sie sagte, die Wahrheit. Shuichi lächelte. „Wissen Sie, ich erinnere mich an ein Ereignis, ich glaube, es ist jetzt beinahe dreißig Jahre her“, begann er und sah gedankenverloren aus dem Fenster. „Ich war auf dem Weg zur Arbeit, ich glaube, es war meine zweite Woche als Polizist. Ich hatte Dienst und auch wenn diese Stadt nicht so überfüllt war wie heute, glich sie dennoch einem geschäftigen Bienenstock, der erschüttert wurde durch so manche Katastrophen. Während meines Dienstes kam es zu einem Bombenattentat, das viele Menschen verschüttete, darunter auch eine junge Frau, etwa in meinem Alter. Hochschwanger war sie, eingeklemmt unter Tonnen an Geröll in einer Höhle, die sich wie durch ein Wunder über ihr gebildet hatte. Ihre Wehen setzen ein und ich kletterte zu ihr in diese Höhle, während das Geröll und über uns knarzte und es gefährlich knackte. Ich wusste zwar nicht wie, aber ich musste ihr helfen, diese schwere Zeit zu überstehen. Ich hatte Angst, dass ich etwas falsch machen würde, doch sie leitete mich an, als ihre Wehen sie immer und immer stärker zu überkommen drohten. Sie leitete mich an, ihr zu helfen und beruhigte mich, einen jungen Polizisten, der ihren schweren, ausländischen Akzent kaum verstand. Und irgendwie brachten wir zusammen dieses Kind auf die Welt, diesen kleinen zerknautschten Jungen, der so fürchterlich laut schrie in dem Gewölbe. Die Frau, überglücklich und zu Tode erschöpft, gab ihm noch vor Ort seinen Rufnamen, nach dem Großvater väterlicherseits. Und sie bat mich, ihm einen zweiten Namen zu geben, der, der ich ihr Retter und Geburtshelfer gewesen war.“ „Rodrick“, ergänzte sie sanft und Shuichi nickte. „Ich hatte den Namen just einen Tag zuvor in einem Film gehört und war fasziniert gewesen. Zugegeben, mir fiel auch kein besserer ein, ich kannte ja kaum westliche Namen.“ Er schwieg für eine Weile. ~Nachdem die Frau, ihr Sohn und ich sicher waren und es klar wurde, dass es ein Bombenattentat eines Clans war, schwor ich mir, keinen Verbrecher mehr entkommen zu lassen, kostete es, was es wolle. Dort, wo das System versagte, wollte ich derjenige sein, der sie ihrer Gerechtigkeit zuführte. Ich wollte eine Organisation aufbauen, die solche widerlichen Schweine nicht davonkommen ließ.~ ~Immer noch ein nobler Vorsatz, den ich, wie Sie wissen, zu schätzen weiß.~ Shuichi nickte. „Heute gestatte ich mir von Zeit zu Zeit einen Blick auf den Jungen von damals und sehe, was aus dem zerknautschten, käseschmierigen Bündel an Geschrei geworden ist und halte mir immer wieder vor Augen, wofür es sich zu kämpfen lohnt, egal, was das Schicksal sonst für Überraschungen vorhält.“ „Das Schicksal hat damals schon sein Auge auf Sie geworfen. Doch manchmal braucht es Zeit, Shuichi-san, damit sich Schicksale einander annähern.“ Bedächtig nickte der Anführer von Kritiker. „Ich frage mich manchmal, ob der Mann, den ich damals zur Welt gebracht habe, weiß, wer ich bin. Ob seine Mutter es ihm gesagt hat.“ Elegant zuckte sie mit den Schultern. „Vielleicht hat sie ihm die Geschichte das eine oder andere Mal erzählt. Aber ich könnte mir vorstellen, dass sie ihm den Namen desjenigen verschwiegen hat, der ihn mit seinen zittrigen Händen in die Arme der Mutter gelegt hat.“ Er lachte leise. „Ist vermutlich auch besser so.“ „Es gibt keine Zufälle, Shuichi-san“, merkte Siobhan nach längerer Zeit scheinbar aus dem Zusammen gerissen an. „Es gibt nur Schicksale. Für welches werden Sie sich entscheiden?“ „Für das Leben und den Frieden Japans, Siobhan. Immer.“ „Dann sind wir im Geschäft?“, fragte sie und streckte ihre Hand aus. Langsam nickte Shuichi. „Wir haben einen Deal“, bekräftigte er mit Worten und einem Handschlag ihre teuflische Verbindung. ~~**~~ Crawford warf einen Blick auf seinen mit einem Pflaster versehenen Handrücken, der mittlerweile den Tropf entbehrte, den er sich in der gestrigen Nacht in seinem Drang, dem Zimmer zu entfliehen, gezogen hatte. Noch gut hatte er Sasakis hochgezogene Augenbraue vor Augen, die ihm mitgeteilt hatte, was die Schwester von seinem neuerlichen Versuch, ihr das Leben schwer zu machen, hielt. Kommentarlos hatte sie die Wunde in Augenschein genommen, sie gesäubert, versorgt und ihm ein Pflaster gegeben. Kommentarlos hatte sie ihm drei Gläser der Limonade gereicht und ihn sie eins nach dem anderen auftrinken lassen. Als Preis dafür, dass er nicht mehr an den Tropf kam. Crawford hatte diesen Preis ebenso wie die nun zu schluckenden Schmerzmedikamente bezahlt. Schuldig hatte ihn die letzten Stunden in Ruhe gelassen und Crawford war dankbar darum, so konnte er sich der Illusion hingeben, dass er alleine mit sich und seinen Gedanken war. Thomas hatte ihm in der gedankenlastigen Zeit seit seinem Aufwachen frische Kleidung, sein Handy, einen großen Thermosbecher voller starkem Kaffee sowie die Adresse des neuen Anwesens gebracht und sich mit einem minimalen, stummen Nicken, hinter dem er seinen prüfenden Blick versteckt hatte, wieder verabschiedet. Crawford war nicht überrascht, er kannte den PSI-unbegabten Mann nicht anders und wusste, dass dieser mit wenigen Personen viele Worte wechselte außer mit seiner Mutter. Vielleicht hatte er es sich über die Jahre hinweg abgewöhnt…das Sprechen, weil Siobhan meist mit ihm per Telepathie kommunizierte. Die Musterung überraschte ihn ebenso wenig, schließlich kannte der Mann ihn schon etwas länger und hatte diverse Phasen seines Lebens begleitet. Immer mal wieder überraschte Thomas Crawford mit seinem Detailwissen über seine Wünsche und Gepflogenheiten. Es hatte etwas gedauert, aber schlussendlich waren seine Bemühungen von Erfolg gekrönt gewesen, sich die mitgebrachte, legere Kleidung überzustreifen. Vor Wochen nch waren Anzüge eine Selbstverständlichkeit gewesen, nun aber war es jetzt ein kleiner Erfolg für ihn, sich die leichte Hose und das Shirt überzuziehen. Dankbar machte Crawford das aber noch lange nicht. Ganz und gar nicht. Wütend über seine eigene Schwäche ballte er die Faust und ließ sich vom geschäftigen Treiben der Stadt beruhigen, bevor er sich schlussendlich langsam erhob. Der Vorsatz, sich zu Nagi zu begeben, war schon da gewesen, seitdem er das erste Mal bewusst an den Telekineten gedacht hatte. Er hatte es immer wieder nach hinten geschoben. Aus Angst und Widerwillen vor schlechten Erinnerungen heraus. Wenn er schlief, konnte er die Stunden der Gewalt und des Schmerzes nicht zurückhalten und seine Träume vermengten das Erlebte mit dem Gefürchteten. Crawford war sich nicht sicher, ob er seine Selbstbeherrschung aufrecht halten konnte, wenn er Nagi von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. In der vergangenen Nacht hatte es schon Überwindung gekostet, auch wenn er bereits gewusst hatte, dass der Junge das Bewusstsein verlieren würde. Just in dem Moment, in dem sich die Augen des Telekineten auf ihn gerichtet hatten, hatte Crawford das Herzrasen nicht verhindern können, das in Erwartung neuerlich Folter eingesetzt hatte. Wie konnte er sich nun sicher sein, ob er seine Emotionslosigkeit beibehalten konnte, die umso wichtiger war, jetzt, da sie eine Frist hatten. Gute Grundvoraussetzungen, befand Crawford mit einem zynischen Schnauben. Ein Viertel seines Teams widerte ihn an. Vor dem anderen Viertel hatte er Angst. Das dritte Viertel war sporadisch da und schien durch die Geschehnisse vollkommen unbeeindruckt zu sein und sich natürlich lieber mit der Dame des Hauses zu vergnügen. Sechs Wochen hatte er um sein Herzrasen beim Anblick des Telekineten unter Kontrolle zu zwingen. Sechs Wochen um sein Team wieder zusammenzukitten, das er selbst auseinandergerissen hatte. Sechs Wochen, um Lasgo zu vernichten und Takatori in den kommenden Monaten an die Macht zu bringen. Um sich selbst konnte er sich danach kümmern. Crawford atmete tief durch. Sich verstecken brachte nichts, es wegignorieren ebenso wenig. Nagi hatte sich in der letzten Nacht auf den Weg zu ihm begeben, er hatte alles daran gesetzt, seinen Anführer zu sehen, bevor er zusammengebrochen war. Der Junge war stark, also musste er auch in der Lage dazu sein, sich ihm zu nähern. Langsam erhob er sich, nahm sich den Thermobecher und verließ das Zimmer. Wie anders der Flur doch im Tageslicht aussah, stellte er fest und maß die bewaffneten Kräfte durchdringend, die ihn nun seinerseits fixierten. Dieses Mal waren sie nicht überrascht und keiner von ihnen hatte die Hand am Taser, als er sich langsam und ungelenk auf dem Weg zu Nagis Zimmer machte. Mit klammen Händen öffnete er die Tür und trat in den Raum hinein, den seine Instinkte unter allen Umständen meiden wollten. ~~**~~ Er stand da, in ungewohnt lässigen Sachen, welche die schonende Haltung, die er einnahm, noch verdeutlichten. Eine einfache Hose, ein Shirt, nicht die gewohnten Anzüge. Dazu der Thermobecher, in dem sich sicherlich Kaffee befand, das Lebenselixier seines Anführers. Fast, aber nur fast hätte Nagi sich sagen können, dass alles normal war, dass er einen bösen Traum geträumt hatte. Fast. Wären da nicht das zerschlagene Gesicht und die bandagierten Hände, der Schnitt am Haaransatz. Wären da nicht die Augenringe, die Schonhaltung, die müden, braunen Augen. Wäre da nicht der offen sichtbare Schmerz. Wären da nicht seine Erinnerungen an Dinge, die ER und nur ER Crawford angetan hatte; Erinnerungen an Dinge, die Lasgo seinem Anführer angetan hatte. Widerwärtige, verachtenswerte Dinge. Crawford hatte ihn aus dem Haus geworfen und er hatte den älteren Mann zum Dank dafür gefoltert und zum guten Schluss auch noch gegen seinen Willen berührt, weil Lasgo es ihm befohlen hatte. Nagi erinnerte sich noch gut an den Moment, von dem er sich fragte, wie weit Lasgo es wohl getrieben hätte, wenn er sich nicht aus dem Bann hatte lösen können vor lauter Verzweiflung. Hätte er Crawford dann tatsächlich gegen seinen Willen befriedigt? Und Schlimmeres? Was war er doch für ein widerwärtiges, verachtenswertes Teammitglied, wenn er überhaupt noch eins war. Doch Crawford war hier, er hatte keine Waffe, die er auf ihn richtete, er ging nicht wütend auf ihn los, er tat gar nichts. Hieß das, dass sie reden würden? Nagi wusste es nicht und die Unsicherheit machte ihn fertig, wenngleich er ebenso wusste, dass er jede Strafe verdient hatte, die ihm auferlegt wurde. Er hatte Crawford gefoltert, hatte seine Wut ohne Rücksicht, ohne Niederhalt an dem anderen ausgelassen. Er hatte dessen Schreie gehört und sich an ihnen gelabt, gelächelt, sich ohne Unterlass an ihm bedient und den Mann innerlich mit seinen Kräften auseinandergerissen. Solange, bis Lasgo ihm gesagt hatte, dass er aufhören sollte, nicht, bis das Flehen seines Anführers ihn erreicht hatte. Tränen traten in Nagis Augen. Und als Lasgo Crawford dieses widerwärtige Aphrodisiakum aufgezwungen hatte, hatte er nichts dagegen tun können, mit seiner Gabe über Crawfords Körper zu fahren, als hätte er ein Recht dazu. Das Zittern steigerte sich, als Nagi den Sinn und die Sünde seiner Gedanken nun wirklich begriff. Er wandte beschämt den Blick zur Seite, konnte ihn nicht mehr ansehen, den Mann, der nun hier stand, der zu ihm gekommen war… Aus Reflex strauchelte Nagi aus dem Bett. Er hatte kein Recht, sich in dieser bequemen Lage zu befinden, wenn sein Anführer derart gelitten hatte und immer noch litt. Stumm bohrte er seinen Blick auf das kalte Linoleum. „Wie geht es dir?“, durchbrach die kalte Stimme seines Anführers Nagis sprudelnde Gedanken und er zuckte zusammen. Crawford fragte, wie es ihm ging Sollte er nicht eher fragen, wie schwer er seinen Anführer verletzt hatte? Sollte er sich nicht entschuldigen und büßen für das, was er getan hatte? Nagi ballte die Hände zu Fäusten und behielt seinen Blick dort, wo er war. Was stand er denn noch hier und warum kniete er nicht auf dem Boden vor Crawford, mit einer tiefen Bitte um Entschuldigung? „Es tut mir leid.“, presste er für all sein Versagen hervor und Stille grüßte ihn. Erst nach endlosen Sekunden hörte er, wie Crawford einen Schluck Kaffee nahm. Feige war er, wie er nicht aufsah, wollte er doch weder Wut noch Hass in den Augen des Anderen sehen. Es genügte, wenn er sie gleich in den Worten des anderen hören würde. Das reichte schon um seine Gestalt zittern und schwanken zu lassen, doch er wagte es nicht, sich hinzusetzen, nicht, wenn Crawford hier war, zu ihm gekommen war… „Ist das so?“ Crawfords Ton war mühsam ruhig, wie als wenn er ihn gleich schlagen wollte, und Nagis Augen schossen nun doch hoch, verzweifelt und voller Angst. „Ich wollte es nicht. Wenn er mich nicht unter Drogen gesetzt hätte, nie…ich hätte dich nie…ich wollte nicht…könnte nicht…“ Nagi verhaspelte sich, schwieg hastig und schluckte mühsam. „In deinen Augen standen Wut, Hass, Verachtung, Genugtuung und Schadenfreude.“ Crawford erinnerte sich…natürlich, warum auch nicht? Er erinnerte sich schließlich auch an das, was ihm zu dem Zeitpunkt unter dem Einfluss von Hypnose und Drogen so recht erschien und nun verachtenswert war. So verachtenswert, dass Nagi sich nichts lieber wünschte, als seine Kräfte, sobald er sie wieder vollends unter Kontrolle hatte, gegen sich selbst richten zu können und sich selbst dafür zu strafen, was er getan hatte. Er hatte kein Recht. Er hätte Crawfords Wut ertragen müssen und es ihm nicht mit doppelter Münze heimzahlen sollen. „Ich war wütend und enttäuscht, dass du mich als wertlos abstempelst. Dass ich für dich nichts wert bin, dass ich ersetzbar bin. Ich wollte nicht zurück in die Gosse oder als Versuchsobjekt enden…Aber ich hätte dir nie freiwillig wehgetan. Wäre ich ich selbst gewesen, ich hätte…hätte…“ Eine Hand auf seinem Kinn ließ ihn wie ein Tier aus Angst vor dem Schlag zurückweichen, bis er sich besann, was Crawford das letzte Mal mit ihm gemacht hatte, als er Ungehorsam gezeigt hatte. Das letzte Mal, als er ihm gesagt hatte, er könne in die Gosse zurückehren, aus der er gekrochen war. Ja…das würde Nagi jetzt müssen, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass ihm je verziehen wurde. Wenn er Glück hatte, würde Crawford ihn nur verstoßen nach den sechs Wochen, vielleicht schlagen, vielleicht strafen. Wenn er weniger Glück hatte, würde er verdienterweise Rosenkreuz oder SZ ausgeliefert, dass sie ihn brachen. Dass sie ihn zu einem ihrer Versuchsobjekte machten. Braune Augen begegneten seinen und Nagi glaubte, sein Herz würde seinen Brustkorb sprengen, so stark schlug es. Doch dann verweilten die Augen auf etwas anderem und Nagi wusste nur anhand der Erinnerung an den Schmerz, der an der bestimmten Stelle gepocht hatte, dass es seine vormals aufgesprungene Lippe sein musste, die bereits heilte. „Ich habe Dinge gesagt, die ich nicht hätte sagen sollen. Aus Gründen, die ich nicht mehr vertrete.“ Crawfords Hand zitterte leicht und Nagi begriff, was für eine Überwindung es für den Älteren sein musste, seinen Folterer anzufassen, mit ihm zu sprechen. „Das ist meine Schuld, für die du dich gerächt hast.“ Vorwurf, Anklage, Tatsache, Schuldeingeständnis, Entschuldigung… „Kann ich… wie kann ich es wieder gut machen?“, flüsterte Nagi und Crawfords Blick wurde unfokussiert und abwesend, die Augen und Gedanken ausnahmsweise in die Vergangenheit gerichtet, auf das, was nur sie beide teilten. „Das weiß ich nicht“, antwortete er schließlich ehrlich, zögerlich gar. „Kann ich es denn je wieder gut machen…irgendwie?“ Hoffnung schlich sich in Nagis Worte, Hoffnung auf Besserung. „Auch das weiß ich nicht.“ Das war kein Nein, sagte sich Nagi im minimalen fahlen Schimmer der Hoffnung auf Besserung, auf Vergebung. Es musste sich auf seinem Gesicht zeigen, in seinen Augen da dieser Schimmer an Hoffnung Crawford seine Hand zurückziehen ließ, als wäre es ihm zu viel, als wäre es ihm zuwider, ihn anzufassen. Als bräuchte er das Leid als Buße, als Rache. Nagi wusste, dass es dumm war, was er tat, er wusste, dass er mit Ablehnung gestraft werden würde und dennoch ließ er nicht zu, dass sich Crawford wieder von ihm entfernte. Ruckartig trat er einen Schritt vor und zog den anderen Mann mit seinen Händen zu sich zurück, immer darauf bedacht, seine Kräfte nicht einzusetzen, um Crawford nicht zu erzürnen. Wie ein Schraubstock schlossen sich seine Arme um Crawford. „Estutmirleidestutmirleidestutmirleid“, presste er kaum verständlich hervor und versteckte seinen Kopf am der muskulösen Brust des Größeren. „Ich verspreche, ich werde es wieder gut machen, ich werde alles tun, was du willst…bitte…“ Nagi zitterte nun gewaltig, konnte gar nicht mehr aufhören, als er anfing zu weinen und sein Körper von heftigen Schluchzern geschüttelt wurde. Je weniger Crawford auf seine Nähe reagierte, desto mehr suchte er sie und grub seine Finger in den Rücken des erstummten Mannes. „Hass mich bitte nicht…bitte bitte hass mich nicht…“ „Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin“, erwiderte Crawford schließlich und trieb Nagi die Speerspitze ins Herz. „Aber einen Versuch ist es wert.“ Eben jene Speerspitze löste sich in Wärme statt in Schmerz auf und Nagi wagte es zu hoffen…wagte den kleinen Funken an Positivem, der in ihm aufflackerte. Die Hand, die sich vorsichtig, wie tastend auf seine Haare legte und unschlüssig dort liegen blieb, überraschte ihn und ließ ihn still verharren, aus Angst, diesen Moment zu zerstören. Crawford mochte ihn nicht mögen, aber er…er würde versuchen, ihn nicht zu hassen. Damit konnte Nagi leben…nachdem, was er getan hatte, war es das Höchste, was er verlangen konnte. Crawford versuchte sich leicht von ihm zu lösen und Nagi ließ ihn augenblicklich. Er wollte den Mann kein weiteres Mal zwingen, seinem Willen zu folgen. Nicht noch einmal. Er sah hoch und entdeckte zwar Kälte in den braunen Augen, aber keine Feindseligkeit, keinen Hass. Vielleicht gab es noch Hoffnung. „Darf ich denn bei euch bleiben?“ „Du gehörst zu Schwarz. Warum solltest du es nicht?“ Die kühlen Worte wärmten Nagi und er nickte. Er sah auf Crawfords verbundene Hände, sah, dass sie und der Thermobecher zitterten. Es war der Instinkt seiner…ihrer Bindung…der ihn handeln ließ. Getrieben von dem Wunsch Gutes zu tun, streckte er seine geistigen Fühler aus, seine Gabe, von der er bislang nicht gewusst hatte, dass er sie wieder für sich nutzen konnte, um sich um das Handgelenk zu legen und zu beruhigen, Mut zu machen. Im gleichen Moment wo er die Bindung jedoch aufleben ließ, wusste Nagi, dass er einen Fehler gemacht hatte. Crawford zuckte wie verbrannt zurück und ließ den Becher fallen, der auf dem hellen Linoleum eine dunkle Kaffeespur hinter sich herzog. Braune Augen glimmten nun doch vor rasenden, negativen Emotionen, vor Erinnerungen, die sie beide teilten. „Es tut mir leid. Ich… ich wollte die Bindung… ich… Ich werde dir nie wieder wehtun…ich wollte dir nur etwas Gutes tun…ich schwöre es…es tut mir leid…“, versuchte sich Nagi hastig stolpernd zu rechtfertigen. Seine telekinetischen Stränge warteten zurückgezogen auf irgendeine Bestrafung, darauf, dass Crawford ihn wegen seiner Unverschämtheit anschrie, schlug, auf irgendetwas. Doch das einzige, was das Orakel tat, war, sich langsam und steif nach dem Becher zu bücken und ihn aufzuheben. Einen Moment lang, einen kurzen Augenblick nur hatte Nagi vor Augen, wie Crawford vor ihm kniete, der Körper übersäht von Wunden, die er ihm selbst beigebracht hatte. Ein Moment, dann schob er diese Erinnerung ganz weit weg. „Du tust mir etwas Gutes, indem du mir nie wieder mit deinen Kräften zu nahe kommst“, sagte Crawford schließlich, als er sich aufrichtete und Nagi direkt in die Augen sah. In ihnen war nichts außer Ernst zu lesen und der Junge nickte stumm. Wenn das der Preis für Crawfords Akzeptanz war, dann würde er ihn mit Freuden bezahlen. ~~~~~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)