Die Farbe Grau von Cocos ================================================================================ Kapitel 22: Der Pakt der Wölfe ------------------------------ Sie hatten ihm das Oberhemd ausgezogen, stellte Omi fest, als er Crawford in Augenschein nahm. Dazu hatten sie seine Position verändert. Er kniete immer noch, aber seine Hände waren nun nicht mehr hinter ihm gefesselt, sodass er sich nicht unweigerlich die Schultern auskugeln würde, wenn er sich wehrte. Omi war sich zunächst nicht sicher, ob der Schwarz wirklich bei Bewusstsein war, doch dann hob Crawford den Kopf und sein abwesender Blick streifte ihn ohne Erkennen darin. Es war Schmerz, den er auf den sonst so überheblichen und sadistischen Gesichtszügen las. Auf den aufgesprungenen Lippen, die von Misshandlung und Vernachlässigung sprachen. Geschieht dir recht, du Monster, warf Omi ihm in Gedanken entgegen. Alles von dem hier geschieht dir recht und hast du dir durch deine Taten redlich verdient. Ein schmales Lächeln glitt auf seine Lippen und mit einem Seitenblick auf Lasgo sah er, dass der andere Mann ihn anerkennend beobachtete. Wenn es denn seine Rache an Schwarz war, so hatte er beschlossen, sie auszukosten. Und schlussendlich hatte sein Team leichtes Spiel mit dem Rest der feindlichen Gruppierung. Dann wären sie sie ein für alle Male los. Crawford würde keine Hand mehr an ihn legen und ihn mit seinen Schlägen beinahe zu Tode prügeln. Schuldig würde sich seiner Gedanken nicht mehr bemächtigen können. Naoe würde ihn nicht mehr foltern mit seiner fürchterlichen Art der Heilung, die nicht nötig gewesen wäre, wenn Crawford ihn nicht vorher fast umgebracht hätte. Für meine Mutter und für mich selbst, hielt sich Omi wieder und wieder vor Augen, auch als Naoe hereingebracht wurde. Der Junge sah schlecht aus im Vergleich zum letzten Mal, wo er ihn gesehen hatte. Seine Haut war durchscheinend und die dunklen Ringe unter seinen Augen sprachen nicht davon, dass er auch nur eine Minute Schlaf bekommen hatte. Die schmale Gestalt war zittrig und fahrig, die Pupillen fast bis an den Rand geweitet, obwohl es hier in diesem Raum immer noch gleißend hell war. Lasgo strich ihm eine der verschwitzten Strähnen aus dem Gesicht und ließ sich Tablet reichen, auf dem er anscheinend Daten überprüfte. Kurz runzelte der Drogenhändler die Stirn und überprüfte die Zahlen ein weiteres Mal, nur um dann etwas in den Dokumenten zu vermerken, die er schlussendlich an einen seiner Wachleute weiterreichte. „Nagi“, murmelte er sanft und sicherte sich so die verhuschte Aufmerksamkeit des Jungen. „Schau mich an, mein Junge.“ Beinahe schon vertrauensvoll sah Naoe hoch zu Lasgo und blinzelte träge, als dieser ihm sanft über das Gesicht strich. Widerstandslos ließ er sich zu Crawford führen, der insbesondere Naoe mit einer verzweifelten Schuld in den Augen ansah, die Omi sich nur schwerlich erklären konnte. Angst konnte er ebenso ausmachen, doch im nächsten Moment war er sich sicher, dass er sich getäuscht haben musste. Niemals würde das große Orakel Angst haben…oder? Doch unwahrscheinlich war es nicht. Crawford hatte vor Schmerz geschrien, als Naoe ihn gefoltert hatte. War es da nicht natürlich, Angst vor einem erneuten Übergriff zu haben? Was es auch war, es sollte Omi nicht kümmern. Seine Rache war das, was ihn kümmerte. Das, was Lasgo Nagi zuflüsterte, verstand Omi nicht, doch das war auch nicht notwendig. Das Aufwallen von Prodigys Kraft war nur zu eindeutig und keine Sekunde später waren es verzweifelte Schmerzlaute, die von den Wänden des sterilen Kellers widerhallten. ~~**~~ Omi starrte hinaus in die sonnige Umgebung, die außerhalb seiner Reichweite lag. Selbst hier, in dem Essensraum, in dem er seine Mahlzeiten mit Lasgo einnahm, konnte er nicht auf die sonnige Wiese gelangen, in die Freiheit, nach der er sich so sehr sehnte, jetzt, wo sein Wunsch nach Rache so sehr verdorrt war wie das Wasser in der trockensten Stelle einer Wüste. Sein Tee stand unangetastet vor ihm, als er in den Himmel starrte, aber nicht wirklich die blaue Schönheit dort würdigen konnte. Seitdem er wieder hier oben war, konnte er an nichts Anderes mehr denken als an das, was er noch Stunden zuvor miterlebt hatte. Rache hatte er gewollt. Rache für das, was in ihm angetan worden war. Oh…Rache hatte er bekommen. Mehr als er jemals verkraften könnte. Natürlich hatte Lasgo Crawford durch Nagi foltern lassen. Natürlich hatte er diesem Schmerzen zufügen lassen. Wenn das alles gewesen wäre, dann hätte es Omi vor sich selbst rechtfertigen können irgendwie. Doch das war es nicht und das machte all das hier nunmehr unerträglich. Lasgo hatte Nagi die Knochen unter Crawfords Haut verschoben. Bis dato hatte Omi nicht gewusst, dass man die Knochen sehen konnte, wenn sie sich im Gefängnis ihrer Muskeln unter der Haut bewegten ohne dass sie brachen. Er hatte nicht gewusst, dass Naoe zu so etwas fähig war. Er hatte andererseits aber auch nicht gewusst, dass sich verschiebende Knochen ekelhaft knirschten. Auf Naoes Geheiß und seiner kaum erhobenen Hand hatten sie sich schlussendlich wieder in ihre Ausgangsposition begeben nur damit das ganze Spiel von vorne beginnen konnte. Es war ein Wunder gewesen, dass Crawford am Ende der Tortur noch bei Bewusstsein gewesen war. Omi hätte ihm anderes gegönnt, insbesondere dann, als Lasgo sich zu ihm begeben hatte. Während er eine Hand in den schwarzen Haaren des Orakels vergraben und dessen Kopf zu sich zurückgezogen hatte, war es die andere gewesen, die Omi zum ersten Mal gezeigt hatte, dass sein Wunsch nach Rache so weder gerechtfertigt noch legitim war. Mit stummen, innerlichen Entsetzen musste er zusehen, wie sich die freie Hand des Verbrechers ihren Weg hinuntersuchte, unter den Bund der Hose. Ebenso stumm hatte er mitangehört, wie Lasgo Crawford verbal verdeutlicht hatte, dass er nur ihm gehörte, ihm schon immer gehört hatte und nur ein schwaches Stück Fleisch war. Er hatte Crawford gesagt, dass es erst aufhören würde, wenn er darum bettelte, gefickt zu werden. Erst dann würde er aufhören, ihm brutale Schmerzen zuzufügen. Crawfords gewispertes, verzweifeltes Nein war noch nicht einmal das Schlimmste an der Situation gewesen. Sein Zurückzucken und die Angst waren es nicht gewesen. Naoe war es. Naoe und seine verfluchten Tränen, die über das ausdruckslose Gesicht rannen, während er seinen Anführer diese abartigen Schmerzen zufügte. Und wie er ihn, auf Lasgos Geheiß, nach Crawfords Widerstand blutig peitschte, bis der Anführer von Schwarz tatsächlich das Bewusstsein verlor. In Omi selbst waren zu diesem Zeitpunkt weder Rachdurst noch Freude am Leiden des Anderen mehr gewesen. Er hatte in den blutbespritzten Keller gestanden, Naoe angesehen und zum ersten Mal, seit er hier war, ein schlechtes Gewissen gehabt. Omi wollte, dass es aufhörte. Mehr noch… „Ich möchte ihn sehen.“ Lasgo sah von seinem Frühstücksei auf, die Stirn nachdenklich gerunzelt, als müsse er genauestens überlegen, wen Omi meinte. Blaue Augen starrten in ihre grauen Gegenstücke. Soviel Auswahl bestand nun wahrlich nicht. „Warum?“ Das Warum war tatsächlich auch die Kernfrage, die Omi einen guten Teil der letzten Stunden gekostet hatte. Warum sollte er Crawford sehen wollen, warum sollte er den Schwarz überhaupt in seine Nähe lassen, wenn er sowieso totgeweiht war? Konnte er ihn überhaupt unter vier Augen sehen, ihm gegenübertreten und auch nur ein Wort an ihn richten, das nicht nur aus Verachtung und Hass bestand? Omi hatte hin und her überlegt und war für lange, nächtliche Stunden zu keinem schlüssigen Ergebnis gekommen, bis er den Funken an schlechtem Gewissen ausmachen konnte der dafür verantwortlich war, dass er Crawford bei sich haben wollte, zumindest für solange, bis er Ideen gewonnen hatte, wie diese Situation gelöst werden konnte. So sehr es Omi auch befriedigt hatte, Crawford und Naoe zunächst leiden zu sehen, so sehr er es ihnen auch gegönnt hatte, so wenig wollte er nun, dass es so weiterging. Die Frage war nicht zuletzt auch, was mit ihm war. Lasgo hielt ihn immer noch gefangen, denn nichts Anderes war sein Aufenthalt hier. Auch wenn der Ältere ihm augenscheinlich etwas Gutes tun wollte, so waren Omis Freiheiten begrenzt. Er hatte die Möglichkeit, fernzusehen, zu lesen, Musik zu hören, aber Waffen, spitze Gegenstände oder gar ein Ausflug nach draußen gehörten zu den Dingen, die ihm nicht gewährt wurden. Das hinterließ trotz des Befehls an Lasgos Wachen, ihm jeden Wunsch von den Lippen abzulesen, einen schalen Beigeschmack. Besser, wenn er sich einredete, dass es die Angst um sich selbst war, die ihn antrieb und nicht sein Gutmenschentum, was die beiden Schwarz unten im Keller anging. Nonchalant zuckte Omi mit den Schultern. Seitdem er in den Morgenstunden mit dem Ansatz eines Plans aufgestanden war, hatte er sich auf Indifferenz und Bosheit geschult, so als ob er die Nacht damit verbracht hatte, sich über das Geschehene klar zu werden und zu erkennen, dass Lasgos Weg der Richtige war. Täuschung, wie so oft bei Missionen. Er war jemand, der er nicht war. Und darin war Omi verdammt gut. „Im Keller stinkt es und ich mag es dort nicht. Es ist kalt und wenig heimelig. Ich möchte dort keine Stunden mit ihm verbringen, die ich auch hier oben mit ihm verbringen kann.“ Lasgo maß ihn lange, ließ seine angewiderten Worte unkommentiert. „Und wen? Den Kleinen?“, fragte er schließlich, doch Omi schüttelte den Kopf. Er zwang ein Lächeln auf seine Lippen, das Schuldigs durchaus Konkurrenz machte. Sollte es besser auch, denn es hatte sich in seine Gedanken gebrannt, kurz bevor der Telepath ihm jedwedes Denken genommen und seinen Geist zu seiner eigenen persönlichen Hölle gemacht hatte. „Natürlich nicht.“ Omi hob bedeutungsschwanger die Augenbraue, Youji war es dieses Mal, der aus ihm sprach. „Naoe hat sich nicht an der Folter beteiligt. Er hat nur die Befehle seines Anführers ausgeführt. Crawford war derjenige, der zugeschlagen hat. Ihn will ich. Prodigy ist mir egal.“ Omi musste den Hass, der seine Worte kolorierte, noch nicht einmal vortäuschen, so bitter waren die Erinnerungen, die ihn an die noch frische Gewalt überkamen. Selbst wenn Mitleid mittlerweile seine Gedanken beeinflusste, so war es doch nichts Positives, was ihn mit dem Orakel verband, ganz im Gegenteil. Sollten sie beide hier herauskommen, würde er sich persönlich um den Bastard kümmern. Hass war eine Sprache, die Lasgo verstand, sah Omi, als sich ein kleines Lächeln auf den Lippen des Drogenhändlers ausbreitete, das allzu bald zu einem breiten Grinsen wurde. „Wer bin ich, dir deinen Wunsch da auszuschlagen?“, fragte Lasgo schmunzelnd und Omi nahm bedächtig einen Schluck seines Kaffees. Schritt eins war also erfolgreich getan. Blieben nur noch die restlichen gefühlten Neunundneunzig. ~~**~~ Lasgo hatte tatsächlich sein Versprechen gehalten. Es musste um die Mittagszeit sein, als er Schritte auf dem Gang vor seinem Gefängnis hörte. Zumindest sagte ihm die grelle Sonne das, als er einen Blick aus dem Fenster warf. Es dauerte keinen Augenblick, da wurde seine Tür geöffnet und zwei von Lasgos Schränken – der Vernarbte und der Untersetzte – kamen hinein. In der Mitte führten sie das Orakel, das mehr in ihrem Griff hing als dass er selbst ging. „Wohin damit, Tsukiyono-san?“, fragte der Untersetzte überaus höflich, fiel es Omi wieder einmal auf. Keine Beleidigung, kein schlechtes Wort drang über ihre Lippen. Sie duzten ihn nicht, obwohl er weitaus jünger war als sie. Sie verbeugten sich, wenn sie gingen. Sie fragten nach seinen Wünschen. Paradox. „In die Mitte des Raumes. Auf seine Knie“, erwiderte Omi mit der gebotenen, zufriedenen Kälte in seiner Stimme und wies auf einen Platz unweit des Bettes. Mit der gleichen Zielstrebigkeit, mit der sie ihm Höflichkeit entgegenbrachten, übten sie nun Gewalt aus, um das Orakel seinen Wünschen entsprechend auf die Knie zu zwingen. „Wenn er Sie bedrohen oder angreifen sollte, sind wir sofort zur Stelle, Tsukiyono-san“, sagte der Vernarbte und Omi nickte wiederum schweigend. Lasgo hatte ihm eine Art Panikknopf in die Hand gedrückt. Ein Knopf, der einen sofortigen Alarm auslöste und seine Bewacher zu Beschützern vor dem Orakel machte. Na wunderbar. Wenigstens blieben sie nicht hier. „Sie können gehen“, versuchte er sich in einem Befehl und wie durch ein Wunder gehorchten ihm die Schränke. Erst als sich die Tür hinter ihnen mit einem leisen Klacken schloss und Omi das Einrasten des Schließmechanismus hörte, gestattete er sich, einen Blick auf die stumme Gestalt unweit von sich zu werfen. Crawfords Oberkörper war von Hämatomen und blutigen Striemen übersäht. Die zahlreichen Blutrinnsale hatten den Bund seiner Hose mit eben diesem getränkt. Eine schwarze Kapuze bedeckte seinen Kopf und seine Hände waren mit Handschellen hinter seinem Rücken gefesselt. Seine Handgelenke waren wundgescheuert und Omi konnte nur erahnen, wie lange das Orakel versuchte hatte sich von seinen Fesseln zu befreien. Wieviel hätte Omi noch vor ein paar Tagen darum gegeben, ihn genauso zu sehen und selbst derjenige zu sein, der für dessen Leid verantwortlich war. Viel, vielleicht auch alles. Und nun? Nun schlug sein Herz schneller vor lauter Angst vor diesem Mann, dieser Situation und dem, was noch kommen mochte. Wenn Omi es sich ehrlich eingestand – und das vermied er gerade – dann wollte er dem Blick aus den unangenehm stechenden Augen kein zweites Mal ausgesetzt sein. Er wollte nicht alleine mit diesem Mann in einem Raum sein, ganz egal, ob dieser gefesselt und unter Drogen gesetzt war oder nicht. Ob er den Anschein machte, dass er sich nicht aus eigener Kraft erheben könnte. Ratlos setzte Omi sich auf das Bett und beobachtete Crawford für eine lange Zeit in aller Stille. Fast wünschte er sich, dass der Amerikaner von sich aus anfangen würde zu sprechen. Nein, nicht nur fast. Er wünschte es sich definitiv, damit er auf den Spott und die Verwünschungen reagieren konnte, doch Crawford tat ihm nicht den Gefallen, sondern kniete mit gesenktem Kopf und zitternden Muskeln in der Mitte des Raumes. Omi fluchte innerlich und fasste sich schließlich ein Herz. Langsam stand er auf und kam zu Crawford, griff nach dessen Kapuze. Die schwarzen Haare des Amerikaners waren starr vor Blut, befand Omi, als er klopfenden Herzens auf ihn herabsah. Hatte er erwartet, dass Crawford ihn hasserfüllt und wütend anstarrte, dass er ihm Worte des Zorns entgegenspuckte, so täuschte er sich. Die geweiteten Pupillen des bleichen blutigen Gesichtes starrten auf den Boden und schienen sich da an einer der unzähligen Kerben des Parketts festzuhalten. Der Zustand des Orakels war mitnichten vergleichbar mit seiner sonstigen Überlegenheit und Arroganz, mit der Brutalität, die dieser immerwährend ausstrahlte. „Sieh mir in die Augen“, flüsterte Omi, bevor er sich davon abhalten konnte. Er spiegelte Crawford, als dieser ihn gefoltert hatte. Ein pervertierter Spiegel war es, denn Crawford hatte ihm verboten, ihm ohne Aufforderung in die Augen zu sehen. Er würde das nicht machen. Er würde zulassen, dass sich ihre Blicke begegneten. Es brauchte etwas, bis die braunen Augen sich hoben und der eindringliche Blick den seinen traf und ihm einen Einblick zeigte, den er liebend gerne nicht gehabt hätte. Da war Arroganz als Grundlage, beinahe überlagert von Erschöpfung und etwas, das Omi schwerlich als Vorsicht identifizierte. Er las Hass, mit Wut durchmischt und auch Angst. Nicht zuletzt das Wissen um das Kommende. Omi lächelte zufrieden und ohrfeigte Crawford. Laut hallte sein Schlag durch die sie umgebende Stille, gut und deutlich waren seine Geste und das Rucken von Crawfords Kopf zur Seite sichtbar. Omi war sich sicher, dass Lasgo hier Überwachungskameras und Wanzen angebracht hatte…sonst hätte der Drogenhändler ihn niemals alleine mit dem Amerikaner gelassen. Doch es war nicht nur Show für Lasgo. Seine Hand schmerzte von dem Schlag, der Schmerz seiner Seele jedoch milderte sich. Omi fragte sich unwillkürlich, ob die Angst ihn ihm sich mit jedem weiteren Schlag auch mildern würde, bis sie schließlich nicht mehr existent war. Herausfinden wollte er es nicht. „Verkehrte Welt“, murmelte er leise und Crawford blinzelte träge, bevor er die Augen schloss. Was würde Omi dafür geben, nun in die Gedanken des Orakels schauen zu können. Nichts…flüsterte eine kleine Stimme. Nichts, denn dort würde er Leid bis über seine Grenzen hinaus erkennen. Dem war er nicht gewachsen, dessen war sich Omi sehr sicher. Crawford schwieg, die spröden und rissigen Lippen zu einer starren Linie zusammengepresst. Sollte er, das war Omi momentan noch egal. Reden sollte Crawford garantiert nicht hier, sondern im Bad, wo das Rauschen der Dusche jeden Zuhörer abschrecken würde. Das Schweigen zwischen ihnen beiden gab Omi erneut Zeit, sich der Situation und der Möglichkeiten bewusst zu werden. Eher zufällige streifte sein Blick dabei den Plastikbecher mit Wasser, den er heute noch nicht angerührt hatte und blieb daran hängen. Crawford sah so aus, als hätte er seit längerer Zeit nichts mehr getrunken. Alles in Omi sträubte sich gegen die Vorstellung, dem Amerikaner etwas Gutes zu tun, doch wieder war es Pragmatismus, der siegte. Er hatte einen Plan für jetzt und er brauchte Crawford dafür. Wenn ihm dieser vorher starb, dann brachte ihm all sein Unwillen nichts. Schweigend holte er ihn und kam erneut zu Crawford zurück, dessen Gesicht sich wieder in die Ausgangsposition gedreht hatte und dessen Augen erneut auf das Parkett gerichtet waren. „Mach deinen Mund auf“, befahl Omi immer noch leise, seine Stimme rau vor unterdrückter Wut, doch Crawford gehorchte nicht. Wütend grollte Omi und packte das Kinn des Älteren, zog den Blick zu sich. „Ich sagte, mach deinen Mund auf, Orakel“, wiederholte er und stieß auf ebenso viel Widerstand. Gewaltsam zuckte Crawford zurück, als Omi den Becher an seine Lippen presste und leicht kippte, um ihm anzudeuten, dass er gefälligst zu trinken hatte. Es brauchte einige Augenblicke, bis Omi begriff, dass er so nicht weiterkommen würde und dass Crawford sein Angebot aus welchen Gründen auch immer nicht annehmen würde. Mit einem Schnauben ließ Omi von ihm ab und trank das Wasser selbst. „Du weißt, warum du hier bist?“, fragte er, nachdem er den Becher abgestellt hatte. Die braunen Augen weiteten sich minimal, als Crawford sich und Omi die Antwort verweigerte. „Ich nehme an, der Stratege folgt dem Vorbild seines Anführers“, erwiderte Crawford schließlich mit einer Stimme, die so viel beherbergte, dass es Omi unmöglich machte, einzelne Emotionen herauszufiltern. Das, was er am Leichtesten heraushörte, waren die Körperlichkeiten: die Heiserkeit von tagelangem Wasserentzug, der Folter und der daraus resultierende Missbrauch seiner Stimmbänder. Warum er Ayas Vorbild folgte, war ihm jedoch ein Rätsel, aber eines, das jetzt nicht wichtig war. Schmallippig lächelte er in das zerschlagene Gesicht. „Oh, ich habe einige gute Ideen, wofür du herhalten könntest.“ Da schaffte es Omi doch tatsächlich, ein Lächeln hervorzubringen und Worte über seine Lippen zu bringen, für die er sich schämte, die wie Säure in ihm brannten. „Du machst dich wirklich gut, so weit unten und bezwungen, Orakel, das muss man dir lassen. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich Lasgo nicht dankbar für diese Möglichkeit bin.“ Crawford zuckte zusammen und schloss die Augen, als würde er der bitteren Wahrheit nicht mehr ins Auge sehen können, die auf ihn zugerollt kam. Ein Laut irgendwo zwischen einem Lachen am Rande der Hysterie und purer Verzweiflung entrang sich seinen Lippen. „Denkst du, ein Bett, ein warmes Zimmer oder Tageslicht würden mich dazu verleiten, dich oder ihn darum zu bitten?“, wisperte er und öffnete abrupt die Augen, die weiterhin starr und geweitet auf den Boden starrten. „Tu, was du nicht lassen kannst, Mamoru Takatori, aber bringe es hinter dich, wenn du denn schon erfahren genug bist, deinen Schwanz gegen den Willen eines anderen Mannes in dessen Arsch zu stecken.“ Wut war es, unbändiger Zorn, die Omi erneut zuschlagen ließen, mit der Faust dieses Mal. Die Wucht seines Schlages und die Schwäche des Anderen schickten Crawford auf den Boden. Mit einem Stöhnen traf er auf das Holz und blieb dort benommen liegen. Omi vermeinte, Blut zu sehen, Blut, das er hervorgebracht hatte und das in der Menge des bereits vorhandenen, das sowieso schon den Körper des anderen Mannes bedeckte, verschwindend gering war und doch machte es einen Unterschied. Grollend packte er die Haare des Orakels und zog ihn daran wieder zu sich hoch. Sein Blick bohrte sich direkt in die Augen des verwundeten Mannes und dieses Mal genoss er den Schmerz darin wirklich. „Du meinst, nachdem ich meinen Schwanz schon im Hintern deines Telepathen versenkt habe, soll ich bei dir weitermachen? So wie Lasgo es mich gelehrt hat, du erinnerst dich? Dafür hast du mich schließlich gefoltert? Und so willens er momentan ist, dich zu foltern, so willens war er es auch, es mit einem Weiß zu treiben. Und mit Lasgo“, log er mit Schuldigs Grinsen auf den Lippen und wartete auf den hilflosen Zorn, die hilflose Wut, die er leicht besiegen konnte, jetzt, da er die Kontrolle hatte. Doch nichts von beidem kam. Omi wartete vergeblich auf eine derartige Reaktion. Als die Erkenntnis über seine Worte endlich in die Gedanken des Amerikaners einsickerte, durchfuhr ein Ruck den gefesselten Körper und Crawford presste seine Lider aufeinander, bevor sie die sich darin befindlichen Emotionen herauslassen konnten. Omi wusste nicht, ob er enttäuscht sein oder ob er der kleinen, aber konstanten Stimme in seinem Hinterkopf, die vor lauter Entsetzen über seine abartigen Vorschläge laut aufschrie, nachgeben sollte. Abrupt ließ er die Haare des Mannes los und erhob sich. Entschlossen richtete er den Blick auf das Badezimmer ließ den Weg dorthin und seinen Plan für den anderen Raum zu seinem Credo werden für alles, was noch kommen würde. Er war nicht Schwarz. Er war Weiß. Das würde er immer bleiben. Niemals würde er so werden wie diese Bastarde. Niemals. Niemals würde er so werden wie Lasgo. „Dein Gestank widert mich an. Steh auf und geh ins Bad“, befahl er kalt, nur zur Hälfte gelogen. Das Blut, das den Körper des anderen Mannes bedeckte, roch alt und bitter, doch seine Nase war eben jenen Geruch schon zu sehr gewohnt, als dass er sich noch wirklich daran stören würde. Aber er brauchte einen Grund, um den Amerikaner möglichst ohne Misstrauen zu erregen ins Bad zu schaffen. Doch Crawford verweigerte sich ihm. Omi schnaubte und ersparte sich dieses Mal eine Wiederholung seiner Worte. Entschlossen griff er sich den rechten Arm des Schwarz. Mit weniger Anstrengung als er erwartet hatte, zog er ihn auf die Beine und stieß das Orakel in Richtung Bad. „Geh vor“, grollte er und Crawford gehorchte tatsächlich, schwankte und stolperte unsicher in die ihm befohlene Richtung. Omi schluckte die Unsicherheit hinunter, die ihn trotz seines Vorhabens befallen hatte und sich anscheinend fließend mit seiner Wut abwechselte. Schritt zwei war getan. Er konnte nur hoffen, dass Crawford genug Verstand hatte, um Schritt drei rechtzeitig zu begreifen, denn ausufernd viel Zeit hatten sie nicht. Zeit für Diskussionen oder lange Erklärungen erst recht nicht. „In die Dusche mit dir“, wies Omi den Weg, doch es war Verweigerung, die sich ihm erneut in den Weg stellte. Omi warf die Tür hinter sich zu und ließ sich ein paar Sekunden Zeit, den blutigen Rücken des geschundenen Mannes zu betrachten, der nun deutlich und haltlos zitterte. Omi kam zu ihm und packte ihn erneut am Oberarm. Wenig überraschend leistete ihm der Amerikaner erbitterten aber hoffnungslosen Widerstand, dennoch brauchte es einiges, bis Omi sie beide in die Duschkabine befördert hatte, Crawford mit dem Rücken zur Wand am Boden sitzend, er an den Körper des Amerikaners gepresst. Ihn unten haltend. Nun war es tatsächlich Wut, die er in den markanten Zügen erkennen konnte. „Glaubst du wirklich, du wirst damit davonkommen ohne dass Schuldig dich dafür zerreißen wird, du widerliches Stück Scheiße?“, zischte Crawford laut genug für etwaige Wanzen und Omi ließ ihn einen Moment lang diese Wut zeigen, bevor er das Wasser voll aufdrehte, das er vorher sorgsam auf warm gestellt hatte. Crawford drohte ihm wegen dem, was er vermeintlich Naoe angetan hatte, nicht wegen dem, was er im Begriff war ihm selbst anzutun, registrierte er dabei und kurz runzelte er die Stirn, weil es so gar nicht in sein Bild von Schwarz passte, den Monstren, die er hatte kennenlernen dürfen. Omi starrte dem Mann ins Gesicht, dessen Nähe ihm soviel Probleme bereitete, dass sein Herz schmerzhaft schnell schlug. Lieber konzentrierte er sich da auf das Rauschen der Dusche, das so laut war, dass jede Wanze ihre Probleme haben würde, sie zu hören. Er durfte etwaige Überwachungskameras aber nicht vergessen, also blockierte er den Blick auf Crawfords Körpermitte mit seiner eigenen vor etwaigen neugierigen Blicken, indem er sich halb auf den anderen Mann setzte und dessen Kopf so weit zur Seite drehte, dass er guten Zugang zum Ohr des Orakels hatte und dass es so aussah, als wäre er an dessen Hals zugange. Gänsehaut kroch über Omis Körper bei dem ungewollten Kontakt, der ihm Übelkeit verursachte und der Crawford sich wehren ließ. Schritt drei. „Hör mir zu“, zischte Omi, als Crawford sich aufbäumte und ihn abwerfen wollte. Er nahm keine Rücksicht auf die beinahe schon verzweifelte Gegenwehr des Anderen. „Ich habe Naoe nicht angerührt, ich habe ihm nichts getan. Das war eine Lüge, um dich zu provozieren. Ich bin ebenso ein Gefangener wie du auch. Und ich will hier weg. Mit euch beiden. Hörst du, mit euch beiden“, knurrte er und Sekunden lang musste Omi darauf warten, dass seine Worte in Crawford Gehör fanden. Beinahe schon hatte er Angst, dass der Amerikaner ihn über seine Wut nicht verstand, doch dann war es Überraschung, die wie ein Ruck durch Crawfords Körper fuhr. „Ich habe keine Idee und keinen Plan, wie wir hier rauskommen und hoffe, dass du mir sagen kannst, was es von eurer Seite aus für Optionen gibt, Orakel. Spiel verdammt nochmal mit, das erkauft uns Zeit.“ Omi ließ seine Lippen in der Parodie eines pervertierten Liebesspiels über Crawfords blutige, wunde Haut direkt unter dessem Ohr gleiten, obwohl er sich am Liebsten übergeben hätte. Es musste echt aussehen. Je echter, desto mehr Zeit hatten sie. Desto mehr Chancen würden sich ihnen vielleicht eröffnen. „Was…?“, fragte der Amerikaner verwirrt und wollte ihm den Kopf zuwenden, doch Omi ließ ihn nicht. Grollend biss er in die Haut vor sich. Crawford quittierte das mit einem gewaltvollen Zusammenzucken, so, als wäre er losgelöst von seinem Körper und würde nur die körperlichen Impulse wahrnehmen, nicht aber, was es für ihn selbst bedeutete. „Hat er… hat er Nagi etwas getan?“, fragte der Amerikaner, als hätte er kein Wort von dem verstanden, was Omi ihm gerade gesagt hatte. Vielleicht war es auch so. Vielleicht drehten sich seine Gedanken wirklich um den jungen Telekineten. Höchstwahrscheinlich musste Omi ihm erst diese Frage beantworten, bevor er weiterkam. „Nicht in meinem Beisein. Erwähnt hat er auch nichts“, erwiderte und die hellen Augen huschten zu ihm, nur um sich dann erneut auf die andere Seite der Duschwand zu richten. Ganz sicher war da Sorge in dem feindlichen Gesicht. Omi packte erneut das Kinn des Anderen und hielt ihn an Ort und Stelle. „Konzentrier dich, Orakel. Ich brauche deine Einschätzung und das nach Möglichkeit, bevor Lasgo Verdacht schöpft.“ Crawfords Fesseln klirrten leise über das Rauschen der Dusche hinweg und unendlich lange, quälende Sekunden schwieg der Amerikaner. Sekunden, die reichten, dass Omi alles in Zweifel zog, was er sich bis hierhin zurechtgelegt hatte. „Rette Nagi.“ Als das Orakel schließlich reagierte, sah Omi ungläubig auf Crawford, dessen Blick sich gepeinigt weiter von ihm abwandte, weg von den Berührungen, die er nicht wollte. Die keiner von ihnen beiden wollte. Das war Crawfords Idee? Das war nicht sein Ernst… das war keine Idee...nicht mal im Ansatz. Das war ein Akt der Verzweiflung, nicht mehr. „Naoe? Warum?“, fragte er dennoch im Versuch, das Gespräch am Laufen erhalten und Crawford schloss die Augen. „Ihm geht es nicht gut. Ich habe ihn gesehen, es geht ihm nicht gut. Er… er ist instabil, er verträgt die Drogen, die sie ihm spritzen, nicht. Er wird es nicht überleben, wenn es so weiter geht…“, flüsterte der Schwarz. Omi war sich nicht sicher, ob er den bittenden Unterton in der Stimme des Amerikaners richtig vernommen hatte. Vielleicht hatte er sich über das Rauschen hinweg auch verhört, ganz sicher hatte er das. Lieber konzentrierte er sich darauf, dass der Wunsch des Amerikaners eben genau das war. Ein Wunsch, aber kein Plan. Dennoch. „Was ist mit dir?“ Das bittere Verziehen der Lippen zu etwas, das einem Lächeln ähnelte, bildete sich Omi ganz sicher nicht ein. Garantiert nicht. „Du und Nagi, ihr habt eine realistische Chance, von hier zu entkommen. Lasgo will mich. Nagi ist für ihn nur ein Mittel zum Zweck. Wenn seine Vorliebe meiner Person gegenüber dazu dienen sollte, ihn von Nagi fernzuhalten und eine Flucht zu ermöglichen, dann soll es nicht deine Sorge sein.“ Omi kam, trotz aller Dringlichkeit nicht umhin, Crawford wortlos anzustarren. Schwarz waren immer, zu jedem Zeitpunkt, widerliche und herzlose Bastarde gewesen. Sie waren Monster, die es zu töten galt, sie waren ruchlos, sadistisch und ohne Reue. Sie waren die Monster, vor denen er sich als Kind gefürchtete hatte. Und dennoch sah er hier Loyalität und Verbundenheit zulasten der eigenen Gesundheit. Opferbereitschaft. Crawford versuchte Naoe zu schützen, egal, was mit ihm geschah. Naoe weinte, wenn er seinen Ziehvater folterte. Alleine, dass Crawford Naoes Ziehvater war… „Du opferst dich für ihn?“, fragte er langsam und die Cognacaugen waren zum ersten Mal brutal und brachial ehrlich zu ihm. Omi wusste nicht, ob er dem Blick standhalten konnte. „Rette ihn. Bitte.“ Nur ein Flüstern waren die Worte gewesen, doch sie brannten sich in Omi, als hätte Crawford einen Schürhaken zur Hilfe genommen. „Wie? Auch dafür brauche ich einen Plan.“ Crawford schloss die Augen und schluckte. Endlos lang schien die darauffolgende Stille, in der sie beide von dem lauwarmen Wasser berauscht wurden. Omi glaubte beinahe, dass der Amerikaner bewusstlos geworden war, als sich die Lippen mit einem Laut der hilflosen Verzweiflung teilten. „Entweder, sie spritzen mir irgendetwas, das verhindert, dass ich Kontakt zu Schuldig aufnehmen kann und Nagi wird es vermutlich ebenso ergehen. Oder er ist grundsätzlich außerhalb unserer Reichweite“, sagte er dann und Omi wusste nicht recht, auf was der Amerikaner hinauswollte. „Durch… durch das, was Schuldig dir angetan hat, verfügst du über etwas Vergleichbares wie eine einseitige, mentale Verbindung zu ihm. Er hat ein Stück seiner selbst in dir gelassen und darüber ist es möglich, dass du ihn rufen kannst. Egal, wie weit ihr räumlich auseinander seid. Er kann dich nicht finden, aber du ihn.“ Omi starrte Crawford stumm an, als die Worte des Anderen in seinen Gedanken Gehör fanden. Schuldig. Und er. Er sollte Kontakt zu Schuldig aufnehmen, weil Schuldig eine Verbindung zu ihm hatte, seitdem er ihn mental geschändet hatte. Seitdem die Kraft des Telepathen ihm Stunde um Stunde die Hölle auf Erden bereitet hatte. Entsetzen schlich sich in seine Augen, kurz darauf gefolgt von unbändiger Wut. Er spürte das Wasser schon gar nicht mehr, das auf sie niederprasselte, so sehr war er in dem Vorschlag des Amerikaners gefangen und in dem, was es für ihn bedeuten würde. Abrupt erhob er sich und stolperte aus dem Bad hinaus in das stille Zimmer. Er sollte Schuldig kontaktieren? Er? Er war die einzige Hoffnung? Bei allem, was ihm lieb und teuer war, nein, das ging nicht, Crawford musste lügen, das musste alles ein irrwitziges, sadistisches Spiel des Amerikaners sein. Omi tigerte unruhig auf und ab, die Hände in seinen nassen Haaren vergraben, an denen er wütend zog. Bitte nicht. Bitte nicht. Wieder und wieder hallten die Worte durch seine Gedanken, wie vor ein paar Tagen, als Schuldig ihn…als er… Bitte nicht. Das durfte nicht sein. Bitte nicht… Omi schrie stumm auf, presste sich die Hand auf den Mund, dass auch ja kein Laut hervordringen würde, der seine Bewacher hereinlocken würde. Wütend hieb er auf seine Matratze ein, wieder und wieder trieb er seine Faust hinein. Alleine der Gedanke daran, Schuldig noch einmal in seine Gedanken zu lassen, sich der zerstörerischen Gabe ausgesetzt zu sehen, ließ ihn innerlich wimmern. Er wusste nicht, wie lange er Zeit damit verschwendete, sich vor den Erinnerungen zu fürchten, die zu frisch, zu roh waren, als dass er die Möglichkeit gehabt hatte, sie zu verarbeiten. Er konnte nicht anders, als vor seinem Bett zu knien, die nasse Stirn in die Laken zu pressen und die Finger in den Stoff zu krallen. Stumm schrie er seinen Schmerz hinaus, seine Verzweiflung, aus der er sich nicht lösen konnte, jetzt, wo sie wieder da war, als würde er wieder dort in dem Keller sein, der Gnade Schuldigs ausgeliefert, seinen grausamen Spielchen. Er hatte genauso geschrien wie Crawford auch. Stille kehrte mit einem Mal in seine Gedanken ein. Ihm war, als würde dieser Gedanke alleine die Panik und die Verzweiflung in ihm zum Erliegen bringen…in den Hintergrund drängen. Verzweifelt hielt sich Omi an dem Gedanken fest und zwang sich, ruhiger zu werden. Er zwang sich zu atmen, durchzuatmen. Er zwang sich, die Schreie in seinem Inneren für einen späteren Zeitpunkt aufzuheben. Zittrig atmete er ein. Du schaffst das, Tsukiyono. Du bist nicht mehr elf Jahre alt. Du bist nicht alleine. Langsam, unsicher noch, erhob er sich, drehte sich in Richtung Bad, in dem er unbeirrt das Wasser rauschen hörte. Crawford saß immer noch dort, sie mussten immer noch ihre Scharade zu Ende spielen. Tief durchatmend ging er zurück und blieb zunächst im Türrahmen stehen. Warum lehnte der Amerikaner sein Wasser ab, wenn er nun mit geöffneten Lippen unter der Dusche saß und mühevoll das Wasser schluckte, das in seinen Mund floss. Stirnrunzelnd betrat Omi das Bad und wurde Zeuge, wie Crawford unbewusst zusammenzuckte und vor ihm zurückwich. Blinzelnd sah er hoch zu ihm und irgendetwas, das er in den Augen des jungen Weiß sah, musste ihm Sorge bereiten, so wie sich Angst seine Gestalt hochfraß. Omi sah auf den blutigen Körper hinunter, die durchtränkte Hose. Er sah auf das Blut, das an seiner eigenen, nassen Kleidung klebte. Schließlich ließ er sich wieder auf die Oberschenkel des Orakels hinab und fuhr er mit seinen Lippen über das Ohr des Amerikaners. Für außen war es die nächste Stufe in dem pervertierten Liebesspiel. Ein Flüstern voller grausamer Liebesschwüre. „Versprich mir, dass du Nagi retten…wirst…versprich es…mir…“, wisperte der Mann, auf dem er saß, zitternd vor der Kälte des eiskalten Wassers und Omi schauderte unwillkürlich. Ob das Unwohlsein von eben jenem kam oder von der Unmöglichkeit des Flehens. Doch noch konnte er es nicht ausstellen. „Ich verspreche es“, murmelte Omi und Crawford schloss erleichtert die Augen, während ein Laut die Lippen des Amerikaners verließ, den Omi nicht für möglich gehalten hätte. Ein Schaudern durchlief seine Gestalt, als Omi die Dusche abstellte und sie beide von der Tortur des Wassers erlöste. Schweigend kroch er rückwärts, erhob sich und holte sich eines der Handtücher. Seine Hand krampfte sich um den Frotteestoff, als ihm bewusst wurde, was er gleich tun musste. Besondere Umstände, sagte er sich, machte er sich Mut. Er wollte nicht. Alles in ihm sträubte sich. Besondere Umstände. Nur dieses eine Mal. „Hoch mit dir“, legte Omi trotzdem oder gerade deswegen erneut die gebührende Kälte in seine Stimme. Crawford gehorchte umständlich, als wäre Omis Versprechen der Schlüssel zu Kooperation ohne Gegenwehr gewesen. Sich einen Ruck gebend, fasst Omi das Handtuch mit beiden Händen und machte sich daran, Crawford unwirsch abzutrocknen, gerade so als würde er nicht wollen, dass sein Bett nass wurde, auch wenn das Unsinn war. Der Amerikaner blutete aus den Wunden, die Naoe ihm geschlagen hatte. Das Bett würde auch im abgetrockneten Zustand des Orakels alles andere als unberührt aussehen. Rau fuhr er über Muskeln, die aufgrund der tagelangen Fesselung überansprucht und verkrampft waren. Grob fuhr er über Schnitte, die nur die Spitze des Eisberges von Lasgos Folter waren und färbte das weiße Handtuch hellrot. Mit keinem Wort ließ Crawford die Schmerzen erkennen, die er dabei haben musste. Als wenn Omi auch nur ein Einziges gebraucht hätte bei dem Leid, das nur allzu deutlich in den Augen des Schwarz stand. Stumm haschte er nach dem Blick des Amerikaners. Als er sich dessen Aufmerksamkeit sicher war, glitt sein eigener Blick kurz fragend zur Hose. Er verharrte auf Erlaubnis wartend, da er zumindest diese Grenze nicht überschreiten wollte. Crawford musste und sollte entscheiden, ob er lieber in seiner durchnässten Hose blieb oder ob Omi sie ihm ausziehen sollte. Zu intim war die Entscheidung, als dass Omi sie ihm abnehmen würde. Das sonst so ausdruckslose Gesicht war für einen Augenblick lang ein gequältes Wechselspiel von Emotionen. Widerwillen. Hass. Zorn. Etwas Anderes, das Omi nur schwerlich als Angst identifizieren würde. Eiserne Beherrschung gewann schließlich und Crawford nickte unmerklich. „Also dann.“ Omi war es kaum möglich, die Kälte beizubehalten, als Crawford vor seinem ersten Versuch zurückwich. Omi verharrte und wagte einen zweiten Versuch, als wieder Ruhe in den Mann vor ihm einkehrte. Zitternd griff der junge Weiß zum Bund der Hose und zögerte ein weiteres Mal, bevor er mit unsicheren Fingern zuerst den Knopf und dann den Reißverschluss löste und die Hose zu Boden fallen ließ. Er bedankte sich gedanklich dafür, dass Crawford anders als Youji die Güte besaß, Unterwäsche zu tragen. Schließlich zog er ihn zurück in das Schlafzimmer und bedeutete Crawford, sich auf das Bett zu legen. Schweigend gehorchte der Schwarz und Omi bedeckte dessen halbnackte Gestalt mit der wärmenden Decke. „Schlaf, mein Schöner, solange du noch kannst“, imitierte er Lasgos Worte laut genug für die Wanzen und dessen allzu vertrauliche Geste für die Kameras, auch wenn er sich am Liebsten die Hand solange gewaschen hätte, bis nichts mehr von der Haut, die Crawford berührt hatte, übrig war. ~~**~~ Crawford hatte tatsächlich geschlafen, zumindest hatte die kurzzeitig ruhige Atmung des Amerikaners darauf hingedeutet. Omi selbst hatte es keine Minute in dem Bett ausgehalten und so war er auf einen der Sessel geflüchtet um Crawford dabei zu beobachten, wie dieser mit geschlossenen Augen vor sich hindöste oder einfach zu schätzen wusste, dass es dieses Mal ein weiches Bett war, auf dem er lag. Omi war es egal, er würde ihn kein weiteres Mal anrühren. Ihm war jetzt noch flau im Magen, wenn er alleine daran dachte, wie nah er Crawford gewesen war. Doch alleine, dass er es geschafft hatte, ihn anzurühren und Ideen für einen Plan zu gewinnen, der ihn eventuell hier herausbringen würde, war ein Sieg, den Omi nicht verachtete. Nicht über Crawford, sondern über seine eigene Angst, die auch jetzt noch in ihm pochte, wenn er das Orakel nur dort liegen sah. Wieder und wieder ließ er sich dessen Worte durch den Kopf gehen und das, was sie bedeuteten. Hatte Crawford seinen eigenen Tod vorausgesehen? Hatte er gesehen, dass es ihm und Naoe möglich war zu fliehen? Oder wusste er schlicht, was auf ich zukommen würde, noch vom letzten Mal? Dass Crawford sich dabei um den jungen Telekineten sorgte, stand außer Frage. Dass er sein Leben für ihn opfern würde, überraschte Omi immer noch mehr als alles andere. Schwarz hatten nicht menschlich zu sein. Schwarz waren monströs, unmenschlich, Verbrecher. Doch wenn er jetzt zwischen Lasgo und den beiden Schwarz wählen musste, so würde Omi, bitter wie es war, Schwarz wählen. Er glaubte dem Drogenhändler, dass dieser seine Mutter geliebt hatte und dass er ihren Sohn unversehrt und glücklich sehen wollte. Doch der Mann war und blieb ein verrückter Sadist, der nicht davor zurückschreckte, einen Menschen aus fehlgeleiteten Gründen von Rache und Genugtuung zu Tode zu foltern. Das durfte nicht sein. Er konnte nicht zulassen, dass er seine Moral und sein Denken von dieser Unmenschlichkeit beschmutzen ließ. Wenn er also die Wahl hatte, einen Menschen aus den Klauen des Drogenhändlers zu retten, dann sollte er das tun, insbesondere wenn es sich dabei um Naoe handelte, der direkt hinter Farfarello ihm am Wenigsten angetan hatte, wenn er es sich ehrlich eingestand. Schwarz konnte er sich danach immer noch mithilfe seines Teams annehmen. Durch seine Gedanken hindurch bemerkte Omi zunächst nicht, wie sich die Tür öffnete, die ihn an einer Flucht hinderte. Als er aus den nachdenklichen Gedanken hochschreckte, war es auch schon zu spät und Lasgo stand in Begleitung zweier seiner Wachen im Raum. Omi maß den ehemaligen Liebhaber seiner Mutter stumm und versuchte herauszufinden, in welcher Stimmung sich dieser befand. „Du hast nicht mit ihm geschlafen“, stellte Lasgo mit einem Blick auf Crawford fest, dessen Augen immer noch geschlossen waren, dessen Atmung Omi aber verriet, dass er wach war. Er schüttelte den Kopf. „Mir war nicht danach.“ Lasgo kam zu ihm und setzte sich in den Sessel neben ihn. Nachdenklich ruhten die grauen Augen auf dem jungen Weiß und Omi fand seinen Verdacht bestätigt, dass Lasgo Wanzen und Überwachungskameras eingebaut hatte. Wie sollte er es sonst wissen? „Ganz der Sohn deiner Mutter“, murmelte der ältere Mann und Omi konnte es nicht verhindern, dass sich seine Lippen zu einem traurigen Lächeln verzogen. „Erzählst du mir ein wenig von ihr?“, bat er und Lasgo hob belustigt die Augenbrauen. „Vor ihm?“, deutete er auf Crawford. Omi zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern. „Wird er denn seinen Aufenthalt hier überleben?“ Lasgos Schmunzeln war mehr Antwort als die nachfolgenden Worte und er bestätigte Crawfords vorherige Vermutung ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. „Ich denke nicht.“ „Siehst du.“ So konnte er wenigstens etwas Zeit gewinnen, bevor Lasgo mit Crawford dort weitermachte, wo er aufgehört hatte. Und, wenn er ehrlich zu sich selbst war, wollte er mehr über seine Mutter hören. Egal, ob es aus dem Mund des Mannes neben ihm kam. Eine Weile schwieg der Drogenhändler, dann stahl sich ein echtes, schmerzliches Lächeln auf seine Lippen. „Sie liebte ihren Garten über alles, insbesondere die Kirschen, die an dem riesigen Kirschbaum hinter dem Anwesen ihrer Eltern wuchsen. Als wir klein waren, kletterten wir hinein und versteckten uns stundenlang vor unseren Eltern. Ich wurde noch nie in meinem Leben so oft geprügelt wie zu der Zeit, in der ich sie zu solchen gefährlichen Dingen verleitete.“ Lasgo zuckte spielerisch mit den Schultern, schlug die Beine übereinander. „Als sie älter wurde, entdeckte sie ihre Liebe zu Horrorfilmen. Unglaublich, wieviel Spaß ihr diese abscheulichen Filme bereiteten. Wenn wir zusammen ins Kino gingen, hatte ich immer die Wahl zwischen einer Liebesschnulze und einem Horrorfilm. Meine Liebe war wirklich groß…so voll, wie ich die Hosen hatte, bei dem, was wir uns ansahen.“ Omi kam nicht umhin zu lächeln. Vielleicht waren diese Erinnerungen gelogen. Vielleicht waren sie aufgebauscht. Wenn sie es nicht waren, so waren es wundervolle Anekdoten über das Leben seiner Mutter, die er vergessen hatte. Die ihm nicht mehr präsent war. Jetzt, in diesem Moment vermisste er die Erinnerungen an sie. Wer wusste schon, was er alles vergessen hatte? Jedes Lächeln, jedes Lachen, jede Umarmung war unwiderbringlich verschwunden. Omi blinzelte die Tränen weg, die sich in seine Augen stahlen. „Wie roch sie?“, fragte er und Lasgo seufzte. „Wie ein warmer, frischer Frühlingstag. Wie die ersten Sonnenstrahlen, die die Erde nach einem langen Winter wärmen. Wie frisches Gras und zarte Blüten.“ „Wie hörte sich ihre Stimme an?“ Ein Schnauben antwortete ihm. „Sanft zum Einen, wenn sie zufrieden war. Hart wie Eis zum Anderen, wenn es etwas gab, das ihr Missfallen erregt hatte. Wenn ihr Zorn jemanden traf, dann mit aller Wucht und dann dauerte es auch, bis sie sich aus diesem lösen konnte. So wie du. Du hast ihren Sprachrhythmus geerbt.“ Omi blinzelte und nun waren es wirklich Tränen, die sich unerlaubt seine Wangen hinunterstahlen. Er wischte sie sich weg und fuhr sich schließlich durch die Haare. „Das sind schöne Erinnerungen.“ Lasgo nickte nachdenklich. Dann straffte er sich und nickte zum Bett. „Lass uns damit weitermachen. Ich habe da noch etwas für dich.“ Das Lächeln des Drogenhändlers war sanft, aber Omi fuhr ein kalter Schauer über den Rücken, als er den Unterton dessen erkannte. Hinter der Sanftheit lauerte purer Sadismus und Freude an der Qual des Amerikaners. Uns…, geisterte es durch seine Gedanken und in dem Moment hatte er seine endgültige Entscheidung getroffen. Es gab kein Uns. Lasgo und er waren kein Wir. Seine Loyalität lag bei seinem Team, sein Versprechen bei Crawford. Stumm beobachtete er, wie Lasgo sich erhob und zu Crawford auf das Bett setzte. Die Augen des Amerikaners öffneten sich abrupt und Omi fand seinen Verdacht bestätigt, dass das Orakel die ganze Zeit wach gewesen war. „Zeit für deine Drogen, mein schöner Mann“, flüsterte Lasgo vertraulich und Crawford erschauerte schweigend, während sein Blick angewiderte Löcher in die gegenüberliegende Wand bohrte. „Zeit dorthin zurückzukehren, wo du hingehörst. Ich habe gehört, dass du dich bisher glücklich schätzen konntest und hoffe, du hast dich in der Zwischenzeit ausgeruht. Für das Kommende brauche ich dich ausgeruht und gestählt.“ Während er sprach, zog er langsam die Decke vom Körper des Orakels und strich mit seiner freien Hand langsam über den ihm dargebotenen nackten, wunden Rücken. Crawford ballte die gefesselten Hände zu angespannten Fäusten und Omi überkam schäumende Wut auf den Sadismus des Drogenhändlers. „Mach das nicht hier“, sagte er mit ruhigem, aber bestimmten Unterton. Überrascht sah Lasgo auf und Omi schüttelte den Kopf. „Ich will das nicht sehen.“ Er erhob sich, trat einen Schritt zurück in Richtung Bad. „Geh raus.“ Noch einen Schritt in Richtung abrupter Panik, deren Ursprung er sich schwerlich erklären konnte. „Bitte geh raus. Lass mich alleine, ich…bitte…“ Omis Stimme war immer und immer leiser geworden, flehender. Er ertrug die beiden Männer nicht mehr, die ihm soviel Böses und vermeintlich Gutes taten. Er ertrug die Gefühle nicht, die in ihm aufwallten und ihn zu erdrücken drohten. Abwehrend hob er die Hände, trat einen dritten Schritt zurück. Alles war zuviel, die Tatsache, dass er hier seit Tagen gefangen war, dass er Zeuge von Folter wurde und von Vergewaltigung werden würde… „Alles in Ordnung. Natürlich Omi.“ Aus dem Augenwinkel heraus sah er, dass seine Bewacher den Amerikaner aus dem Bett zerrten, ihm die Kapuze wieder über den Kopf stülpten und dass seinen Raum verließen. Seinen? Es war nicht sein Raum. Sein Raum war im Koneko, bei seinen Freunden und seiner Familie. Omi trieb seine Faust gegen die Wand. Einmal. Zweimal. Ein drittes Mal, bevor er hasserfüllt die geschlossene Tür anstarrte und wütender, pragmatischer Instinkt übernahm. ~Schuldig!~, sandte er aus, zumindest stellte er sich vor, dass er den Anderen rief. Vielleicht machte er es nicht richtig, denn nichts antwortete ihm. ~Schuldig!~, versuchte er es nochmal. Ein drittes Mal. Ein viertes. Nichts tat sich. Frustriert hielt Omi inne. Warum zur Hölle passierte nichts? Crawford hatte ihn doch nicht angelogen. Wieso antwortete ihm der Telepath nicht, wenn sie denn schon diese widerliche Verbindung zueinander hatten? ~Verdammt nochmal! SCHULDIG!~ ~~**~~ Aya trank den letzten Schluck kalten Kaffees aus seiner Tasse und warf einen Blick auf die Anrichte der Küche, auf der sich leere Essenspackungen stapelten, in deren Mitte die Kaffeemaschine thronte. Einen Moment lang erwog er, aufzustehen und seine Tasse wieder aufzufüllen, verwarf den Gedanken aber kurz darauf. Sein Kaffeekonsum war sowieso nur noch Makulatur, wirklich wach machte er ihn nicht mehr, was sicherlich daran lag, dass er seit zwei Tagen nicht mehr wirklich geschlafen hatte. Vor zwei Tagen hatten sie tatsächlich Unterlagen von Manx erhalten, die sie bei ihrer Suche nach Anhaltspunkten unterstützten. Farfarello hatte sie überbracht und jedwede Fragen nach dem Wie ignoriert. In der ganzen Katastrophe hatte Aya der Gedanke, dass der Ire einfach in Manx Büro spaziert war und sich von ihr die Unterlagen besorgt hatte, etwas absurd tröstlich Humoriges. Der Humor war sowohl ihm als auch seinem Team vergangen, als sie den Wust der Unterlagen gesichtet hatten. Dokumente, Videokameraaufzeichnungen, Gesprächsmitschnitte, alles mussten sie durchschauen und waren noch nicht einmal bei der Hälfte und das nach fünf Tagen. Alleine das verursachte Aya schon Kopfschmerzen. Fünf Tage waren seit der Entführung der Drei vergangen und sie hatten kein einziges Lebenszeichen von ihnen erhalten. Sie wussten weder, ob sie noch lebten noch was der Drogenhändler ihnen angetan hatte. Schuldig war da auch wenig Hilfe mit seiner defekten und instabilen Gabe und seiner immanenten sturen Verachtung für alle, in seinen Augen niederen Auswertearbeiten. Trotzdem war es Aya immer noch ein Rätsel, wie diese Kombination aus ihnen und Schuldig überhaupt funktionierte, ohne dass sie sich bis dato umgebracht hatten. Erschreckend gut, auch wenn er sich bewusst war, dass der Waffenstillstand lediglich bis zum Ende ihrer Mission halten würde. Fünf Tage und ihnen lief die Zeit davon. Die Tatsache, dass Lasgo mit Omi geschlafen und sich Crawford aufgezwungen hatte, legte die Vermutung nahe, dass der Drogenhändler sich den beiden bemächtigt hatte um dort weiterzumachen, wo er aufgehört hatte. Naoe passte da nicht ins Schema, doch Aya traute dem älteren Mann diesbezüglich alles zu. Er hatte einen Einblick in den brutalen Sadismus des Anderen werfen können und das machte jede Minute, die er die Augen schloss und nicht am Computer saß um die Informationen auszuwerten, zu einer vergeudeten Minute. Lasgo war wie vom Erdboden verschwunden. Die Areale, die sie im Rahmen ihrer ersten Recherche identifiziert hatten, waren verwaist, gerade so als hätten sie existiert. Die Kennzeichen, die sie identifiziert hatten, allesamt gefälscht und nicht mehr nachvollziehbar. Nur die geschäftlichen Verbindungen waren noch nachprüfbar, ebenso wie die Ein- und Ausgänge auf den ihnen bekannten Konten. Aya blinzelte, als seine trockenen, überreizten und übermüdeten Augen ihm unmissverständlich deutlich machten, dass er gerade nicht mehr auf den Computerbildschirm starren würde. Er schloss die Lider und presste seine Daumen darauf. Er machte sich Sorgen um Omi und das Wohlbefinden ihres Jüngsten. Es würde ihn zerstören, wenn Lasgo ihm ebenso zusetzte wie Crawford. Oder wenn der Drogenhändler es Crawford gleichtat und Gewalt auf ihn ausübte. Die Unsicherheit dessen ließ Aya nicht zur Ruhe kommen. Doch, und das überraschte ihn umso mehr, war Omi nicht der Einzige, um den er sich sorgte. Die Vorstellung, dass Lasgo sich Crawford erneut aufzwang und ihn folterte, löste Wut in ihm aus, von der er nicht wusste, woher sie kam. Ihn verband nichts mit Crawford, nichts außer Erpressung und Nötigung, von der er sich doch bereits befreit hatte. Er war dem anderen Mann nichts mehr schuldig und doch wollte er ihn ebenso wenig in den Händen Lasgos wissen wie Omi auch. Die Erkenntnis dessen war genauso frustrierend wie seine Ergebnislosigkeit. Und Schuldigs unbeirrter Schlaf, der sich unmissverständlich schnarchend zu ihm trug und ihn grollen ließ. Eigentlich sollte auch er seinen Teil dazu beitragen, sein Team zu retten, grimmte Aya stumm und sah, wie Schuldig die Stirn runzelte. Geradeso, als ob er ihn gehört hatte. Na das hoffte er doch. „Seltsam“, murmelte es hinter ihm und Aya öffnete die Augen. Langsam drehte sich um und sah zu Ken, der mit ihm gerade die Analyse der Kontobewegungen durchführte. „Was ist?“ Ken tippte nachdenklich mit dem Kugelschreiber auf eine der Positionen und umkreiste sie. Aya folgte dem Fingerzeig und runzelte die Stirn. „Das ist der Abgang einer höheren Summe“, erläuterte Ken. „Schmiergeld?“ „Jup und an sich nichts Neues. Der Empfänger ist hier das Spannende. Tadashi Corporation.“ Ayas Augen weiteten sich. „Das ist eine von Takatoris Scheinfirmen zur Geldwäsche.“ Ken nickte. „Ebenso interessant ist der Zeitpunkt der Zahlung. Er wurde in der letzten Woche angewiesen.“ Aya hob die Augenbraue. Das war weit nach Takatoris Auftrag an Crawford, Lasgo zu töten. Warum sollte eine von Lasgos Buchhalterfirmen Geld an Takatoris Scheinfirma überweisen, nachdem dieser den Mordauftrag gegeben hatte? „Zufall?“ „Glaube ich nicht. Ich denke, Schwarz wurden reingelegt bei dem Auftrag. Jemand wusste Bescheid. Woher sollte dieser jemand Bescheid wissen, wenn nicht über eine undichte Stelle, vermutlich in dieser Firma?“ Aya überdachte das einen Moment lang, dann ruhte sein Blick auf Schuldig. Ken folgte dem Unwillen in den Augen seines Anführers. „Willst du den Bastard wirklich aufwecken?“, fragte er zweifelnd und Aya seufzte. „Er ist der Einzige, der uns darüber Auskunft geben kann. Es sei denn, du willst den Iren suchen und fragen.“ Ken verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. „Ne danke, lass mal.“ Aya lachte, aber auch nur, weil er sich sicher sein konnte, dass Farfarello außer Hörweite war. Der Ire war wieder einmal verschwunden und niemand – einschließlich Schuldig – hatte eine Ahnung, wo er sich herumtrieb. Farfarello im Gegenzug schien auch nicht zu stören, dass Schuldig alleine unter drei Weiß war, was Aya eindeutig darauf zurückführte, dass Animositäten zwischen den beiden Männern bestanden. Er würde es Farfarello daher auch ohne Probleme zutrauen, dass dieser ihnen Schuldig in der Hoffnung auslieferte, dass der Telepath ihre Zusammenarbeit nicht überlebte. Seufzend stieß Aya Schuldigs Oberschenkel mit seinem Fuß an, viel Erfolg zeigte das jedoch nicht. Augenrollend begegnete er Kens ungläubigen Blick. „Also ich würde ja nicht so tief schlafen, wenn ich-“ „Du bist ja auch nicht mit soviel Dummheit umgeben, Schwachkopf“, erwiderte eben jener Telepath schlaftrunken und rieb sich vorsichtig über die Augen, die auf dunklen Augenringen lagen. Aya hob bedeutungsschwanger die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, wir haben etwas, aber das kannst du uns besser sagen.“ Er drehte sich zu Ken um und holte sich von ihm den Auszug der Kontobewegungen. Schuldig gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen angewidertem Stöhnen und ablehnender Kritik hin und her schwankte. „Ich wusste schon immer, dass ihr zu nichts nütze seid“, ätzte Schuldig und kaum eine Sekunde später traf ihn eine Papierkugel zielsicher auf die Nase, unzweifelhaft geworfen von Youji, der bösartig grinsend im Türrahmen stand und die Arme verschränkte. „Ich bringe dich um, Kudou“, knurrte Schuldig und hinter sich hörte Aya Youji lachen. „Du und welche Armee?“ Aya schmunzelte und ertrug die Morddrohung in den blauen Augen des Schwarz mit leichter Würde. Wortlos deutete er auf das Stück Papier mit den Informationen darauf. „Was sagt dir die Tadashi Corporation?“, fragte er und reichte Schuldig den Auszug. Schweigend wurde dieser studiert und das kurze Aufflackern in dessen Blick bestätigte Aya das, was er wissen wollte. Auch Schuldig kannte die Daten, auch der Schwarz war sich bewusst, was das hier bedeuten konnte. „Soweit wir wissen, ist das Takatoris Firma. Eine seiner Scheinfirmen für Geldwäsche“, erläuterte Aya und beobachtete die Mimik des Telepathen auf einen Hinweis auf Bestätigung. Als wäre es das Natürlichste der Welt, nickte Schuldig langsam, während er auf das Papier starrte, als könne er alleine durch die Ansicht der Zahlen den Grund für diese Zahlung finden. „Wer auch immer die Zahlung entgegengenommen hat, hat uns verkauft“, sagte der Schwarz schließlich langsam und seine gesunde Hand zerknüllte den Kontenauszug. „Verkauft wie Vieh an ein Arschloch…“ Aya kam nicht umhin, über die Wut des Telepathen zu schmunzeln. In all seinem Hass, in all seiner Wut war ihm immer bewusst gewesen, was für ein Mensch Takatori war und welche Art von Menschen er durch sein Handeln anzog. Dass ausgerechnet Schwarz Loyalität von den Mitarbeitern des durch und durch korrupten Politikers erhofft hatten, war bitter. Amüsant, aber bitter. Wenn Omi nicht davon betroffen gewesen wäre und wenn Lasgo Crawford nicht vergewaltigt hätte, hätte er Schwarz diese Lektion gegönnt. Wenn. „Was erwartest du von den Gefolgsleuten eines korrupten Politikers, der mit allen Mitteln an die Macht strebt?“, konnte er es sich dennoch nicht verkneifen, zu sagen. Schuldig sah langsam auf, in seinen Augen unbändiger Hass. „Dass sie sich an den Vertrag halten“, erwiderte der Telepath mit einem Ausdruck, der Aya das Fürchten lehrte. Langsam kroch ein Lächeln über die schmalen Lippen des Deutschen, das viel versprach, allem voran den Tod. Da war er, der grausame Schwarz, der in den letzten paar Tagen unter einer Schicht von Schmerz und Vorsicht vor der weißschen Übermacht vergraben war. „Ich werde dieses Stück Schei-“, begann Schuldig, hielt jedoch abrupt inne. Seine Augen verloren jeglichen Fokus und brachial zuckte er zusammen. Ein Laut, mehr Wimmern als alles andere verließ seine Lippen, während er sich ohnmächtig an den Kopf fasste und die Augen zusammenpresste, einen abgebrochenen Fluch auf den Lippen. ~~**~~ Als die fremde Kraft in ihn drängte, war es zunächst bodenlose Erleichterung, die Omi durchfloss. Für den Bruchteil einer Sekunde, war er wirklich froh um die Anwesenheit des Telepathen, bevor in der nächsten Sekunde sich diese Freude bereits in bodenlose Panik wandelte, als sein gepeinigter Geist sich daran erinnerte, was eben diese Kraft in ihm ausrichten konnte. Angerichtet hatte. Er hatte den Teufel gerufen und der Teufel hatte seinen Ruf erhört. Und nun waren es unbändige Erinnerungen an Stunden voller Folter, Pein und Leid, die sich ihren Weg an die Oberfläche seiner bewussten Gedanken suchten. Am Liebsten hätte es Omi wieder rückgängig gemacht, am Liebsten hätte er niemals aus einem dummen Impuls und einem noch dümmeren Vorschlag heraus den Telepathen gerufen, dessen Kraft schwer in seinen Gedanken wog und wie ein glühender Nagel an seinem Verstand zog. ~Takatori junior, na sowas~, drang Schuldigs spöttische, reißende Stimme, so wie er sie noch gut in Erinnerung hatte, überrascht in seine Gedanken und Omi rutschte zitternd an der Wand herunter. Er zog die Knie an seinen Körper und schlang die Arme darum. Abrupt schloss er die Augen, bevor Schuldig ihn wieder zwingen würde, sie aufzubehalten. Jetzt, wo Schuldig wieder da war, fürchtete er ihn wie nichts auf der Welt, weil er wusste, dass dieser ihn jeden Moment wieder quälen würde. Vergessen war das, was Crawford ihm gesagt hatte. Vergessen war das, was notwendig war. ~Bitte nicht, bitte tu mir nicht weh, bitte nicht~, flehte er in einem fort und es war schließlich ein Grollen, das dieses Flehen beendete. ~Ruhe~, befahl Schuldig und Omi versuchte zu gehorchen, versuchte, keine Strafe auf sich zu ziehen und scheiterte doch grandios an seiner eigenen Courage, die ihm all das hier eingebrockt hatte und die nun verflogen war wie nichts. Durch die Panik hindurch hatte er das Gefühl, dass Schuldig mit den Augen rollte und keinen Moment später zog es an eben jener Angst, die ihn momentan vollkommen ausfüllte. Verzweifelt versuchte sich Omi festzuhalten, seinen Verstand bei sich zu halten und stemmte sich gegen die Beeinflussung des Telepathen. ~Lass los, Kleiner, ich will nur deine Angst und deine Panik abmildern~, tönte es in seinen Gedanken und Omi schrie innerlich auf. Niemals! Das war eine Falle! Wenn er losließ, würde Schuldig seine Schutzlosigkeit dazu nutzen um ihn zu brechen. Doch er hatte keine Wahl. Schuldig war stärker als er und letzten Endes war Omi dazu gezwungen, loszulassen im Tauziehen um seine aufgewühlte Gefühlswelt. Wimmernd ließ er Schuldig etwas aus seinen mentalen Fingern reißen und blieb schließlich…alleine und leer zurück. Angst und Panik traten mit einem Mal in den Hintergrund, nicht mehr im Vordergrund, machten Platz für Vorsicht und Ruhe. Omi verharrte zitternd. ~So, besser~, tönte es nasal und Omi zuckte zusammen. ~Bitte tu mir nichts~, bat er leise und eine Welle an Zustimmung kam über ihn. ~Wird nicht passieren, Kleiner~, erwiderte Schuldig mit einer seltsamen Ruhe, die seine übliche Grausamkeit vermissen ließ und Omi lauschte widerwillig der ihm entgegengerbachten Entspannung und der positiven Konnotation der Worte. ~Wie hast du es geschafft, mich zu kontaktieren?~ ~Crawford… er hat gesagt, dass ich eine Verbindung zu dir habe aufgrund... Er selbst steht unter Drogen und kann dich nicht kontaktieren. Naoe auch nicht.~ ~Du bist bei ihnen?~ Omi nickte, dann fiel ihm jedoch ein, dass Schuldig das nicht sehen konnte. Dieser winkte gedanklich ab. ~Ich sehe deine Zustimmung, Kleiner. Keine Notwendigkeit.~ Omi schwieg beharrlich, wusste nicht, wie er sich nun verhalten sollte. Schuldig zeigte keinen Funken an Sadismus und ohne seine Angst, die ihn beherrscht hatte, schien eine Kommunikation möglich. Das entband Omi aber nicht von der Irritation, die ihn anhand der Freundlichkeit, die Schuldig ausstrahlte, überfiel. Das Einzige, was er sicher wusste, war, dass er den Deutschen nicht erzürnen durfte. ~Okay. Wo seid ihr? Wer ist bei euch? Wie viele? Wie geht es dem Orakel und Prodigy?~, drangen Fragen auf ihn ein, die er nicht alle auf einmal beantworten konnte. ~Ihnen geht es nicht gut, Lasgo lässt Naoe Crawford foltern~, erwiderte Omi elendig und Bilder des Amerikaners in seinen Ketten, blutend, sich vor Schmerzen windend, wurden aufgewühlt. Erinnerungen an Schreie und Tränen, deren Zeige er geworden war. Wut wallte zu ihm, Wut, die nicht seine war. Oh Gott, er hatte Schuldig wütend gemacht mit seinen Gedanken. Omi wimmerte innerlich. Schuldigs Wut würde zu seiner Qual führen, ganz sicher. Auch daran erinnerte er sich nur zu gut. Dann würde er wieder ebenso sehr schreien, wie es Crawford getan hatte. Wieder war es eine Welle der Beruhigung, die sich über seine Wut legte. ~Hey, Kleiner. Die Wut ist nicht gegen dich gerichtet. Mach weiter, gib mir Informationen, damit wir euch da rausholen können.~ Euch. Schuldig sprach von ihm und von Schwarz. Widerwillig beruhigte Omi das, auch wenn er wusste, dass er dem Telepathen kein Wort glauben durfte. Doch in diesem Moment war genau jener der Strohhalm, an dem er sich in all seiner Hoffnungslosigkeit klammerte. ~Ich weiß nicht genau, wo wir sind. In einem Haus umgeben von Natur. Ich bin in einem Zimmer eingesperrt. Lasgo ist hier mit mindestens drei seiner Wachen im Haus und einigen mehr, die draußen patrouillieren.~ ~Okay…Kleiner…~ Omi hatte den Eindruck, dass Schuldig sich über die Stirn rieb. Kopfschmerz lauerte hinter seiner Stirn, seltsam fremd und fern. ~Das ist meiner, nicht deiner. Ich projiziere den auf dich, weil wir eine Verbindung haben. Aber keine Sorge, du bist Schuld. Du und dein verdammtes Team…~ Omi wimmerte. Hatte Schuldig seinem Team etwas getan? ~Holt uns hier raus, bitte. Bitte bitte holt uns raus, ich halte das nicht mehr aus. Er wird sie umbringen, ich kann nicht mehr zusehen.~ ~Ich brauche mehr Infos von dir, Kleiner. Dazu werde ich jetzt tiefer in deine Gedanken einsteigen und mir das holen, was ich brauche und nutzen kann, klar?~ ~Bitte…tu mir nichts…~, wisperte Omi eher unbewusst wimmernd und Schuldig stupste seine Gedanken an. Omi zuckte zusammen. Was war das gewesen? Ein seltsames Gefühl, fast wie ein Schluckauf. Es kitzelte. Er schreckte zurück und vergaß für einen Moment seine Angst, als er auf das Kitzeln reagierte. Vor allen Dingen, als Schuldig es noch einmal machte. Und noch einmal. Es war ein Gefühl, das ungewollt und unweigerlich Lachen in ihm hochwallen ließ, obwohl Omi sich mit allem, was er aufzubieten hatte, dagegenstemmte und sich innerlich wand. Seine Reflexe ließen ihn lächeln, weil es so kitzelte. Sie ließen ihn vergessen, wer dafür verantwortlich war. ~Gut so. Braver Junge.~ Über das seltsame Gefühl hinweg hatte er nicht mitbekommen, dass Schuldig anscheinend tiefer geglitten war und nun nach Eindrücken, Erinnerungen und Anhaltspunkten suchte. Erinnerungen an den Ausblick nach draußen glitten an seinem inneren Auge vorbei, Erinnerungen an die Gesichter der Männer, an Lasgo, an die Kunstgegenstände, die im ganzen Haus verteilt waren. ~Pass auf, Kleiner. Ich werde jetzt in deinen Gedanken bleiben und das Ganze mit dir verfolgen, solange bis wir einen Anhaltspunkt haben.~ Wir? Wieso sollten Farfarello und er ein Interesse daran haben, ihn zu befreien? Sie würden ihn doch hier lassen in Lasgos Fängen und nur ihr Team befreien, fragte sich Omi erneut und Schuldig lachte. ~Wir, das sind just in diesem Moment Balinese, Siberian, Abyssinian und meine Herrlichkeit. Unser hauseigener Irrer stellt derweil eurer rothaarigen Agentin nach.~ Bilder tauchten vor Omis innerem Auge auf, die er gar nicht zu glauben vermochte. ~Doch doch, das kannst du ruhig. Verrückte Welt, ich sage es dir. Was bin ich froh, wenn das alles hier vorbei ist wir wieder die Alten sind. Ich habe langsam die Schnauze voll von euch.~ Panik wellte in Omi hoch bei den Worten. Die Alten bedeutete Qualen für ihn, dessen war er sich sicher. ~Na das werden wir dann sehen.~ Schuldig schwieg für einen Moment, lauschte weiteren Erinnerungen, die Omi an ihm vorbeiziehen ließ. Lauthals lachte er. ~Du hast was? Crawford hat dir allen Ernstes ein Versprechen abgenommen?! Und du hast eingewilligt?~ Der Telepath pfiff anerkennend und Omi wollte sich unwillkürlich das Gehirn aus dem Schädel kratzen, so sehr juckte dieser Laut noch unter der Schädeldecke. ~Kleiner, du bist ein Heiliger. Das ist nicht gut für dich.~ Ich weiß, jaulte Omi auf. Ich weiß…ich weiß… ~Pass auf, Kleiner. Du wirst einen Moment lang von mir nichts hören. Ich gebe die frohe Botschaft an dein Team weiter. Ich bin aber die ganze Zeit da. Keine Panik, so schnell wirst du mich jetzt nicht mehr los…~ Für Omi war es Versprechen und Drohung gleichzeitig. Stumm nickte er. ~~**~~ Als Schuldig wieder zu sich kam, lag er halb auf dem Boden, halb unter Kudou, welcher die Hand bereits zum Schlag erhoben hatte. „Untersteh dich, du Möchtegerndetektiv oder ich brate dir dein Gehirn zu kleinen, lustigen braunen Kötteln“, knurrte er wütend und machte sich los. Unwirsch befreite er sich aus der liegenden Position und erhob sich vor Schmerz aufstöhnend. Fahrig wischte er sich über die Stirn und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Zumindest die, die noch bei ihm waren und die nicht zum Jüngsten des Weißteams gezogen worden waren, als dieser ihn so unerwartet zu sich gerufen hatte. Schuldig war übel von dem plötzlichen Überfall und er hatte migräneartige Kopfschmerzen. Die Anwesenheit der übrigen drei Weiß wurde aufgrund seines unfreiwilligen Kontaktes zu dem Vierten im Bunde nur noch umso unerträglicher. Konnte sein Leben noch miserabler werden? Ja. Konnte es. Er sah da durchaus noch Potenzial, wenn er sich die drei fragenden Hirne genauer ansah, die nun in unterschiedlicher Intensität auf eine Erklärung warteten. Schuldig klärte seine Gedanken, als er in die Weite des Himmels starrte. „Der Kleine hat mich so eben kontaktiert, Tsukiyono…“ Er konnte sich schon die dämlichen Gesichter hinter sich vorstellen, dafür musste er sich nicht umdrehen. Überraschung und Schock dominierten die Gedanken der Weiß und Kudou wagte es doch tatsächlich, ihn am Arm fassen zu wollen. ~Dumme Idee, wirklich dumme Idee, Kudou~, warf er ihm in Gedanken entgegen und schickte ihm diesen einen guten Eindruck seines eigenen Kopfschmerzes. Das Aufstöhnen des Anderen vernahm er mit einem eisigen Lächeln, das Zurücktaumeln Kudous auch. „Ihr seid zum Kotzen“, richtete er an niemand Bestimmten in den Raum, vielleicht auch aus seiner eigenen Wut heraus. Sein Team wurde gerade gefoltert, während sich Bombay den Arsch puderte und Versprechen an das Orakel machte. Nagi, unter Drogen gesetzt, Crawford… Crawford war ein Arschloch, aber das hatte er nicht verdient. Nein, niemals. Schuldig atmete tief durch und drehte sich um. „Also nochmal. Bombay hat mich kontaktiert. Ich habe in seinen Erinnerungen und Eindrücken Anhaltspunkte rausgefischt, wo sie sich aufhalten könnten. Umgebung, Einrichtungsgegenstände, Essensgewohnheiten und so. Die Kunst sieht zum Beispiel nicht so aus als wäre sie sie von der Stange, darüber dürfte sich etwas finden lassen. Finden wir den Künstler, finden wir die Galerie. Über den Galeristen kann man erfahren, wer welche dieser hässlichen Statuen gekauft hat und wer sie sich wohin hat liefern lassen.“ Abyssinians schreckensbleiche Gesichtsfarbe passte wunderbar zu seinen roten Haaren, befand Schuldig und grinste ihm entgegen, doch das Grinsen verlor sich schneller als er es aufhalten konnte. „Im Gegensatz zu meinem Team wird er da auf Händen getragen. Weil – Achtung, große Neuigkeit – Lasgo früher seine Mutter gevögelt hat. Was für ein böser Junge. Erklärt im Übrigen auch, warum er euren Kleinen gefickt hat. Uääh.“ Schuldig schüttelte sich, als er näher darüber nachdachte. „Das ist selbst mir zu abgefahren.“ „Und das will schon was heißen“, stöhnte Kudou mit wütendem Blick auf und Schuldig grinste ihm entgegen. „Noch `ne Runde, Kudou? So langsam habe ich das Gefühl, du willst deinen unzähligen Liebschaften auch mal sagen, dass du Kopfschmerzen hast, wo du doch sonst derjenige bist, der’s immer zu hören bekommt.“ „Wenigstens habe ich Liebschaften, im Gegensatz zu dir, Bäuchlein.“ „Du schreist wirklich danach, du - “ „Keinen interessiert euer scheiß Sexleben, ihr egozentrischen Hurenböcke!“, wurde er von der Seite angeschrien und gegen seinen Willen zuckte Schuldig zusammen. Sein Blick kam hasserfüllt auf dem tumben Fußballer zum Ruhen, der seinen Kopfschmerz mit einem Mal in ganz neue Höhen trieb. „Hör auf hier den großen Macker zu spielen, Balinese. Und du erst recht, Mastermind“, fuhr der Weiß in seiner Tirade fort und richtete einen anklagenden Finger auf ihn. Schuldig hatte nicht übel Lust, eben diesen abzubeißen oder Hidaka ganz von seinem unnützen Leben zu befreien. „Du hast Infos, die uns vermutlich zu Lasgo führen werden, also fangen wir an, diese im Team auszuwerten. Klar?“ Im Team, dass Schuldig nicht lachte. Sie waren kein Team. Amüsiert maß der Telepath ihn und schraubte damit die Wut des Fußballers noch ein Stückchen weiter nach oben. Wieder richtete sich der Finger anklagend auf ihn. „Ist. Das. Klar?“, fragte er rau vor Zorn und schließlich hob Schuldig seine unverletzte Hand. Dummheit konnte eben nicht abgeholfen werden. „Verstanden, Siberian. Du brauchst es alles nochmal in chronologischer Reihenfolge, weil dein Erbsenhirn zu mehr nicht in der Lage ist.“ Bevor der andere Mann auf ihn losgehen konnte, hatte Fujimiya sein Teammitglied in einem eisernen Schraubstock gefangen und stemmte seine Fersen in den Teppichboden, um Hidaka davon abhalten, ihn aus dem Fenster zu werfen oder wahlweise von oben bis unten mit seinen Krallen aufzuschlitzen. Schuldig war beeindruckt von den blutigen Bildern in den Gedanken des Weiß, die bei Jei durchaus für feuchte Träume gesorgt hätten. „Von Anfang an, in chronologischer Reihenfolge, Schuldig“, grollte Hidaka und generös, wie der Telepath war, folgte er dieser allzu subtilen Bitte. ~~~~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)