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Die Farbe Grau

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Disclaimer: die Serie und ihre Charaktere gehören nicht mir und ich verdiene kein Geld damit.

Sodele, mein Notebook ist zwar immer noch nicht da, aber dafür versuche ich es jetzt mal mit mobilen Geräten. Ich hoffe, es klappt alles und entschuldige mich schonmal im Voraus für eine eventuell gesteigerte Anzahl an Rechtschreibefehlern. ;) Komplett anzeigen

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Enthüllungen

~~**~~
 

Mit Argusaugen verfolgte Schuldig den Weg seines Anführers vom Eingang des Anwesens aus in ihre Küche.
 

Dass das Orakel seinen Wagen nicht in die Garage gefahren hatte, lag vermutlich einzig und alleine daran, dass der Panda ihn im Verlauf des Tages noch sehen wollte. Es erklärte jedoch nicht, woher der Hellseher zu so einer frühen Zeit kam, im kompletten Ornat samt Mantel, Schal, Handschuhen, die er komplett am Eingang losgeworden war.

Schuldig gönnte sich einen Moment um Crawford stumm zur Wahl seines Anzuges zu gratulieren, denn schon vor einiger Zeit hatte dieser die elendig Cremefarbenen gegen etwas Passenderes, Gedecktes getauscht, das nicht quasi in der Sekunde des Anschauens Augenkrebs verursachte.
 

Aber das war hier nicht das Thema, ganz und gar nicht.
 

Stumm erhob Schuldig sich und folgte Crawford in die Küche, in der sich dieser gerade seine zweite Kaffee des Tages kochte und mit dem Rücken zu ihm in an der Anrichte arbeitete, als wäre in der letzten Nacht überhaupt nichts gewesen. Gerade so, als hätten sie Crawford nicht aus einem Alptraum geholt, als hätte er Schuldig nicht beinahe erwürgt und als hätte er ihm nicht zweimal ins Gesicht geschlagen wie zu ihren besten Zeiten.

Schuldig lehnte am Türrahmen und verschränkte die Hände. Als ihm das anhaltende Schweigen zu bunt wurde, grollte er, auch wenn das seinem noch immer wunden Hals schmerzte.
 

„Du hast nichts dazu zu sagen?“, stellte er in den Raum und mühte sich um Ruhe, auch wenn er das Orakel am Liebsten gepackt und ihm eine verpasst hätte.

Crawford drehte sich um und maß ihn ausdruckslos. „Wozu?“, fragte er, obwohl in seinen hellen Augen bereits das Wissen um die Antwort auf die Frage glomm. Schuldig würgte innerlich. Er kannte diesen Ausdruck nur zu gut. Das war der „Hellseherarschloch“-Ausdruck, jahrelang, vermutlich seit der Geburt perfektioniert durch den Mann, der vor ihm stand.

„Du weißt ganz genau, wozu. Spiel keine Spielchen, Crawford.“

Betont amüsiert hob sich eine der schwarzen Augenbrauen und Schuldig kam nicht umhin, die tiefen Augenringe zu bemerken, die auf der blassen Haut gut zu sehen waren. Ganz so gut ging es dem Mann nicht. Ganz so unbeeindruckt von der letzten Nacht war er auch nicht. Na also. Jetzt musste er es nur noch zugeben.
 

Und darüber sprechen.
 

Aber Schuldig könnte sich auch die Rückkehr der Jediritter in echt wünschen, das käme auf der gleiche Ergebnis, mutmaßte er.

„Ich wüsste nicht, dass dich das etwas angeht“, bestätigte Crawford seine Vermutungen und Schuldig biss sich schier auf die Zunge.

„Du hattest einen Alptraum, der mich mit hineingezogen hat und der sicherlich vieles war, aber keine deiner üblichen Visionen, die dich nachts überfallen.“

„Entdeckst du plötzlich deine väterliche Sorge, Mastermind?“

„Du erkennst weder mich noch Nagi und gebärdest dich wie wild, als wir versuchen, dich aufzuwecken.“

„Mir ist es neu, dass Schwarz Wert auf Klatsch und Tratsch legt und in selbige Kategorie fällt dein unsinniges Gerede.“

„Du trägst Spuren von Folter auf deinem Oberkörper und deinen Armen. Um deine Handgelenke befinden sich wunde Stellen von Fesseln. Wer hat dich so derart aufgemischt?“

„Man möchte meinen, dass du mir zuhörst, wenn ich dir aus reinem Goodwill deine impertinenten Fragen beantworte, Schuldig, denn über die Antworten verfügst du ohne Ausnahme bereits. Für den Rest ist Rosenkreuz zuständig, nicht der mir unterstellte Telepath.“
 

Schuldig war nicht dumm, er kannte diese Art von Versuch, ihn loszuwerden. Crawford bediente sich dieser bodenlosen Arroganz immer dann, wenn er sich ihn vom Leib halten wollte. In der ersten Zeit hatte er es genutzt, um Schuldig soweit auf die Palme zu treiben, dass dieser handgreiflich wurde, um ihm dann seinen Platz zuzuweisen. Wieder und wieder hatten sie sich wie zwei Wölfe gemessen, die schlussendlich ihren Platz im Rudel gefunden hatten, nachdem sie oft genug aneinandergeraten waren. Schuldig mutmaßte, dass Crawford das mit Absicht getan hatte. Mit langfristiger Planungsabsicht.

So war das Kräftemessen schlussendlich verebbt und auf ein für alle Umstehenden erträgliches Maß herabgesunken.
 

Nicht so heute. Nicht, seitdem er Crawford aus diesem Hotel abgeholt hatte. Dieses Mal jedoch ließ sich Schuldig durch die Provokation des Orakels nicht dazu verleiten, ihre Diskussion in Gewalt ausarten zu lassen.

„Du hast versucht, mich umzubringen.“

„Selbst Schuld. Niemand hat dich gezwungen, ohne meine Erlaubnis mein Schlafzimmer zu betreten.“

„Du hast mich beinahe erwürgt.“

„Damit wärst du nicht der Erste.“
 

Vielleicht gelang es Crawford doch, ihn auf die Palme zu treiben, beschloss Schuldig und verzog das Gesicht vor Wut und Fassungslosigkeit über die zynische, arrogante Nonchalanz seines Gegenübers. Er stieß sich vom Türrahmen ab und näherte sich seinem Anführer.

Sie waren beide beinahe gleich groß, nur Millimeter trennten sie. Genug für Schuldig, um ohne jede Scham in den persönlichen Bereich des anderen Mannes vorzudringen. Auch er konnte provozieren, sehr gut sogar. An vielen Tagen war er darin besser als Crawford. Schuldig lächelte abfällig.

„Nagi macht sich Sorgen um dich. Aber das ist dir scheißegal, oh großer Anführer. Du dringst in meine Gedanken ein und überflutest mich mit Schmerz und Angst und Leid und Panik und es ist dir egal, oh großer Anführer. Du bringst die Abläufe des Teams durcheinander, aber auch das ist dir egal. Oh großer Anführer. Sag mir, Crawford, ist deine zukünftige Position innerhalb von Rosenkreuz schon so sicher, dass du es nicht mehr für notwendig erachtest, die dir gestellten Aufgaben zu ihrer Zufriedenheit zu erledigen oder ruhst du dich genau darauf aus?“
 

Ja, provozieren konnte Schuldig sehr gut und wenn er einmal wunde Punkte gefunden hatte, dann nutzte er sie, wenn es ihn weiterbrachte. Mit freudigem Sadismus bediente er sich kleinerer und größerer Schwächen, insbesondere, wenn sie einem beinahe unbesiegbaren Gegner wie Crawford gehörten.

Und wie der andere Mann sich provozieren ließ. Sie war seine Schwachstelle, immer schon gewesen. Alleine die Nennung ihrer Verbindung war etwas, das ihn zuverlässig und schnell auf die Palme brachte.
 

Das gab Schuldig auch sein Hinterkopf zu verstehen, als er mit vollster Wucht gegen den Kühlschrank schlug, während Crawford seinen Hals eisern umfasst hielt.

Ebenso eisern unterdrückte Schuldig jeglichen Impuls sich zu wehren, denn das war es nicht, was er wollte. Einen Kampf hier würde er verlieren, selbst jetzt. Also würde er Crawford weiterhin mit seinen Worten foltern und ihn aus der Reserve locken um irgendeine Antwort auf seine Fragen zu erhalten und die gottverdammte Elefantenherde aus dem Weg zu räumen, die im Raum stand. Die Wut in ihm genau darüber konnte und wollte er nicht unterdrücken und das ließ er seinen Anführer sehen und spüren, auch wenn diese ihn nur an seinen Schilden touchieren würde.
 

„Hat das etwa einen Nerv getroffen?“, fragte er in das zornige Gesicht und die seinen Hals umfassenden Finger drückten warnend zu. Und ob, aber natürlich Crawford den Teufel tun und das zugeben.

„Du vergisst dich, Mastermind. Dich, deine Position und deinen Nutzen das Team betreffend“, strichen eiskalte Worte über Schuldigs von den Schlägen immer noch wunde Wange.

„Und wieder weichst du mir aus. Was glaubst du, was passiert, wenn du mich nach Österreich zurückschickst? Was glaubst du, werde ich ihnen in meiner Befragung sagen, Orakel?“, erwiderte er und grinste in die an Hass grenzende Wut hinein.

Ein minimales Zucken durchlief den Hellseher, gerade genug um Schuldig ein Indiz dafür zu sein, dass Crawford auch seine Leichen im Keller hatte. Oder zumindest genug Angst vor ihren Auftraggebern verspürte, dass er ein Interesse daran hatte, Schuldig nicht mit ihnen zusammen zu bringen. Gespielt nachdenklich legte der Telepath den Kopf schief.

„Was sagen sie zu den Fesselspuren und zu den Alpträumen in deinen frühmorgendlichen Sitzungen mit ihnen? Was halten sie von deinen fehlenden Visionen, die dich noch nicht einmal vor abgelaufener Milch warnen? Wenn ich mich nicht recht irre, haben sie dich doch genau für deine Hellsicht zum Teamführer auserkoren?“

Crawfords freie Hand zuckte und Schuldig wusste, dass der andere Mann zuschlagen würde. Er bereitete sich innerlich darauf vor, wurde jedoch bitter enttäuscht, als die Hand von weißen, vernarbten Fingern zurückgehalten wurde.
 

Wie ein Geist tauchte Jei hinter ihrem Anführer auf und hielt dessen angespannten Arm in einem eisernen Griff. Ausdruckslos ruhte sein Auge auf ihnen, ebenso leer musterte er ihrer beider Gesichter.

„Lass mich los, Berserker“, knurrte Crawford wütend. Er erreichte zu Schuldigs innerer Schadenfreude aber rein gar nichts damit.

„Er ist von Nutzen.“

Schuldig schnaubte. „Solches Lob aus deinem Mund? Wie komme ich dazu, Jei?“

Beide Männer ignorierten ihn zugunsten ihres ganz eigenen Kampfes, den sie just in diesem Moment stumm und nonverbal vor seinen Augen austrugen.

„Ich wüsste nicht, wie eine gebrochene Nase seinen Wert mildern sollte.“

~Ich schon, du Wahrsagerarschloch~, verlagerte sich Schuldig auf die mentale Kommunikation. Auch da fand er keine Antwort und Crawford ignorierte ihn, als hätte er nichts gesagt.
 

„Der Panda hat angerufen und Nagi mitgeteilt, dass er dich erwartet.“ Jeis Ton drückte nichts anderes als völlige Verachtung und abgrundtief bodenlosen Hass auf Takatori aus. Schuldig wusste, dass wenn Crawford nicht derjenige wäre, der zwischen den beiden Männern stünde, ihr Auftraggeber bereits tot und Futter für die Würmer wäre. Aber nein, der allzu brave Berserker fügte sich dem Urteil des Kronprinzen und ließ die Finger vom Panda. Schade, wirklich schade.

Schuldig grinste in das von der letzten Nacht und von Takatori gezeichnete Gesicht.

„Na los, geh schon, oh großer Anführer von Schwarz. Nicht, dass unser Zugpferd dir seinen Golfschläger beim nächsten Mal in den Arsch schiebt, weil ihm dein Gesicht nicht mehr reicht.“

Wie verbrannt reagierte Crawford auf seine zynischen Worte, was Schuldig sich im ersten Moment fragen ließ, ob seine Worte nicht mehr Wahrheit beinhalteten, als er es gerade beabsichtigt hatte. Wer wusste schon, welche dunklen Vorlieben der nach Macht gierende Politiker hatte.
 

Er. Ach ja. Stimmte. Er wusste das. Konnte es wissen, wenn er tief genug graben würde, hieß das. Aber Schuldig wollte nicht. Und alleine die Vorstellung, dass ihr Auftraggeber so etwas tun würde, ließ Übelkeit in ihm hochsteigen. Angewidert schüttelte er sich.

Crawford löste sich unter dessen von ihm und trat nun seinerseits mit einem angewiderten Laut zurück.

„Wir sind noch nicht fertig miteinander“, richtete er vielversprechend drohend an Schuldig und wurde mit einem Lachen belohnt.

„Oh das hoffe ich doch. Ich warte noch auf Antworten.“
 

~~**~~
 

Mit Bedacht zog Youji den Umschlag zu sich, den Birman ihnen mitgebracht hatte. In ihm befand sich ihre neueste Mission, die sie ohne ihren Anführer bestreiten würden, weil dieser bereits abgelehnt hatte. Warum das so war, konnte Youji nur mutmaßen, doch es warf in der momentanen, aufgeheizten Situation kein gutes Licht auf Aya. Eben das stand auch in den Augen der Agentin, als sie ihnen die Details ihrer Zielpersonen erläuterte und dabei klar machte, dass sie jede einzelne, verfügbare Kraft brauchten, jetzt, da ihr Anführer diese Mission nicht mit ihnen bestreiten wollte.
 

Es war selten genug, dass Aya einen Auftrag ausschlug.
 

Youji seufzte innerlich, als er an die Verzweiflung des rothaarigen Mannes dachte, mit der er die ihm gemachten Vorwürfe bestritt. Und Youji glaubte ihm jedes Wort.
 

„Ich gehe davon aus, dass ihr die restlichen Details selbst erarbeiten werdet?“, schloss Birman das Briefing und erntete ein dreifaches Brummen. Nach einem Tag harter Arbeit zwischen pubertierenden Mädchen hatte keiner von ihnen rechte Lust, noch kommunikativ zu sein. Das einte sie alle.

„Gut. Nun zu einem anderen Thema.“
 

Wieder war es ein Umschlag, den sie aus der Tasche zog. Langsam, beinahe bedächtig holte sie Bilder aus dem schmucklosen, braunen Papier und hielt sie zunächst vor ihnen allen verborgen. Youji runzelte die Stirn und tauschte fragende Blicke mit Omi und Ken aus. War es ein neuerlicher Beweis für Ayas Schuld? Wenn er ihre gerunzelte Stirn richtig interpretierte, dann konnte es nur diesen Zusammenhang haben.

Birman schluckte schwer.

„Unser Forensikteam hat die Überreste des Areals überprüft, das Aya in die Luft gesprengt hat. Sie haben eine der Überwachungskameras bergen können, die nicht durch die Explosionen zerstört worden ist. Augenscheinlich gehörte sie zu einem der Wohntrakte, vermutlich zu dem, in dem Abyssinian während seines Auftrages gewohnt hat. Bei der Auswertung der zu der Kamera gehörigen Festplatte haben wir etwas gefunden, das…“ Sie stockte und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, las Youji in ihnen Pein und Schmerz und er wusste, dass es nicht gut aussehen würde für Aya.
 

Sie legte die Fotos auf den Tisch und Youji starrte auf die Aufnahmen, als wären die Gift. Er griff zu dem nächstgelegenen Bild und versuchte zu begreifen, was er dort sah. Er versuchte zu begreifen, wer der Mann war, mit dem Aya zusammen an einem Küchentisch saß und der ihn auf dem nächsten Foto sogar zum Lächeln gebracht hatte. Er versuchte zu begreifen, was er auf dem Bild sah, das Omi in seinen Händen hielt. Oder Ken. Oder die restlichen Bilder, die immer die gleichen zwei Personen zeigten.
 

Aya, zum Einen. Das Orakel von Schwarz, zum Anderen.
 

Unmissverständlich zeigten die Bilder ihren Anführer, wie er friedlich mit Crawford zusammensaß. Sie zeigten, wie sie gemeinsam aßen. Wie Aya den Anführer des feindlichen Teams berührte. Wie er ihm eine Tasse Kaffee reichte.

Ungläubig starrte Youji auf die Bilder. Neben ihm gab Omi einen Laut des vollkommenen Unverständnisses von sich und Ken tastete zittrig nach den Abbildungen des Verrates, als würden sie ihn beißen. Das konnte doch nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein. Wie war das möglich?

Fragend irrte sein Blick zu Birman, die bedauernd den Kopf schüttete. „Ich weiß es nicht, Youji“, kam sie seiner Frage zuvor. „Ich kann mir die Bilder ebenso wenig erklären wie ihr. Wir hatten keine Information darüber, dass Oracle auch Bestandteil der Mission war. In seinem Bericht hat Aya nichts von dem Schwarz erwähnt. Mit keinem Wort hat er ein Zusammentreffen mit ihm erwähnt. Oder seinen augenscheinlichen Verrat.“

„Lasgo hatte Geschäftsverbindungen zu Takatori?“, fragte Ken mit belegter Stimme und Youji ahnte, worauf er hinauswollte. Es jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken.

„Das vermuten wir“, nickte Birman.

„Und bei Crawford handelt es sich um den Leibwächter von Takatori“, vervollständigte Omi den Verdacht, der bisher unausgesprochen im Raum stand.

Auch hierzu nickte Birman und Youji bohrte seinen Blick in das vor ihm liegende Foto. Detailliert sezierte er jeden kleinen Quadratmillimeter und versuchte in der Szenerie vor seinen Augen Antworten zu finden, die Aya ihm nicht gegeben hatte. Nichts hatte Aya hierüber gesagt, rein gar nichts. Und Youji fragte sich, warum er sich ihm nicht anvertraut hatte.
 

Hatte er wirklich das Vertrauen in ihn verloren? Hatte er sie hintergangen zugunsten von Schwarz?
 

Youji spulte sein letztes Gespräch mit Aya vor seinem inneren Auge ab und fragte sich, welche Anzeichen es dafür gegeben hatte, dass sein Freund ihn anlog nach all den Jahren. Schuldig konnte es nicht sein. Der Telepath war nicht in der Lage dazu, in Ayas Gedanken einzugreifen. Gezwungen wurde er auch nicht, denn warum sonst sollte Aya in Gegenwart des Schwarz lächeln?
 

Als es Youji wie Schuppen von den Augen fiel, zuckte er nicht nur innerlich zusammen.
 

Aya hatte ihn nicht angelogen. Er hatte die Wahrheit gesagt, wenn auch nicht so, dass Youji jemals darauf kommen würde. Er hatte ihm genau gesagt, was geschehen war. Er hatte ihm versucht zu sagen, was passiert war und hatte es doch nicht gekonnt. Ayas Verzweiflung, mit der er ihm die Worte entgegengespien hatte, kam Youji erneut in den Sinn und nun begriff er sie. Es ging hier nicht rein um die Vergewaltigung eines Mannes. Nein… das, was Aya im Besonderen geschockt hatte, war anscheinend die Identität des Mannes.

Abrupt und überhastet griff Youji nach den Bildern und besah sie sich eines nach dem anderen. Eines nach dem anderen untersuchte er konkret auf den Zustand des Orakels. Und eines nach dem Anderen offenbarte ihm, was er zu wissen glaubte und wofür er mehr und mehr Beweise fand.
 

Zu allererst war da die Kleidung. Youji kannte Crawford nur formell, absolut spießig in Anzug und Krawatte. Nie hatte er ihn anders gesehen. Nun trug er legere Kleidung. Seine Brille fehlte, das Gesicht verhärmt und von Kampfspuren gezeichnet. Die Kaffeetasse hielt er mit beiden Händen. Die Haltung, wenn er stand, war eine Schonhaltung, die Youji nur zu gut kannte. Der Schwarz war verwundet.
 

Youji atmete bedacht aus. Der Mann, von dem Aya ihm erzählt hatte, der Sexsklave, den er vor Lasgo gerettet hatte, das war…

Er schluckte. Bei allem, was ihm heilig war. Aber warum Crawford? Wieso war der Berater Takatoris ein Gefangener Lasgos? Das ergab keinen Sinn.
 

Blinzelnd sah Youji hoch und schüttelte den Kopf. „Nein… das ist nicht, wonach es aussieht. Ich glaube nicht daran, dass Aya uns verraten hat.“

Birman seufzte. „Youji, ich weiß, dass es schwierig ist, das zu akzeptieren, aber anhand der wirklich erdrückenden Beweislage… schau dir doch die Fotos an, was gibt es denn da noch für Zweifel?“

„Nein. Nein! Es gibt Gründe dafür. Ich weiß, dass es sie gibt. Aya hat…er hat mir etwas gesagt. Etwas, dass das erklären würde. Lass mich ihn fragen. Lass mich ihm diese Bilder zeigen, Birman, dann wird er dir erklären, warum.“

Ärger kroch über ihr Gesicht wie eine hässliche Fratze. „Youji, es gibt keine Erklärung außer der, dass er Verrat begangen hat. Selbst wenn er nicht mit Lasgo unter einer Decke steckt, wir sehen ihn hier in aller Ruhe und Frieden mit einem Feind. Einem Feind, den es zu töten gilt. Das alleine ist Verrat, Youji. Das alleine reicht. Und dann wäre noch das hier.“
 

Sie holte ein letztes Foto aus ihrer Tasche und warf es verächtlich auf den Tisch. Den toten Mann darauf kannte Youji nicht und fragend sah er hoch. Birman grollte.

„Das ist ein Kritikeragent, den wir tot beim Friedhof von Ayas Eltern gefunden haben. Die DNA-Spuren stimmen mit denen von Oracle überein. Oracle. Beim Friedhof von Ayas Eltern, zum gleichen Zeitpunkt, an dem sich auch Aya dort befand, bevor er Agent als vermisst gemeldet wurde. Er war dort, Youji und hat den Agenten getötet. Ebenso wie Aya dort war. Was, frage ich euch, hat er, der sein Leben lassen musste, gesehen, dass der Mann ich umgebracht hat, der auf den Fotos so friedlich mit Aya zusammensitzt?“
 

Neben ihm zuckte Omi zusammen und keuchte leise. „Nein, das kann nicht sein, Birman. Wieso…?“

„Ich weiß es nicht!“, fuhr sie hoch und schlug frustriert mit der Faust auf den Tisch, die Miene zu einer Maske der Wut verzogen. „Ich weiß nur, dass es keine logische Erklärung dafür gibt außer der, dass Aya das von langer Hand geplant hat und nun versucht, auch noch Weiß zu zerstören. Oder warum glaubt ihr, hat er die kommende Mission abgesagt, von der wir annehmen können, dass Schwarz zugegen sein wird?“

Youji schüttelte fassungslos den Kopf und schluckte mühevoll. „Nein, Birman. Dafür muss es eine Erklärung geben. Dafür gibt es bereits eine Erklärung. Warum fragst du nicht Aya? Warum holen wir ihn nicht? Warum…?“

„Weil es euch alle gefährdet, verdammt nochmal!“, schrie sie und erhob sich so ruckartig, dass ihr Stuhl nach hinten kippte. „Ihr alle seid in Gefahr, dass Schwarz euch umbringt, wenn ihr erkennen lasst, dass ihr wisst, was geschehen ist. Wir müssen dem zuvorkommen und den Verrat an der Wurzel ausrotten, habt ihr mich verstanden! Das ist die einzige Möglichkeit, euch in Sicherheit zu bringen. Und ich werde verdammt sein und noch einen Agenten diesem Dreckspack opfern!“
 

Kens Blick spiegelte Youjis Verzweiflung wieder. Omis blasses Gesicht ebenso. Doch weder Ken noch Omi wussten, was Youji wusste oder vielmehr glaubte zu wissen. Und das, was er vermutete, musste die Basis für eine logische Erklärung sein, die das alles hier auflösen würde. Einschließlich dem Mord an einem ihrer Agenten. Einschließlich dieser Gräueltat.

Youji schüttelte den Kopf.
 

„Gib mir zwei Tage, Birman. Zwei verdammte Tage um Licht ins Dunkel zu bringen.“

„In zwei Tagen könnt ihr bereits tot sein, insbesondere dann, wenn ihr ohne Aya bei eurem nächsten Auftrag auf sie trefft.“

„Bitte!“

„Youji?“ Omi, seine Stimme unsicher. „Wieso?“

„Es gibt da etwas, das gegen Ayas Schuld spricht. Er hat es mir in unserem letzten Gespräch anvertraut. Ich möchte ihn mit den Bildern konfrontieren und ich schwöre euch, dass ich ihn eigenhändig töten werde, sollte ich mich irren und sollte er übergelaufen sein. Ich schwöre es euch.“

„Womit willst du ihn konfrontieren?“, fragte Ken und machte Youji deutlich, dass er keine ausweichende Antwort dulden würde. Ken vertraute ihm in diesem Punkt nicht und das schmerzte Youji mehr, als dass er es zugeben wollte. Auch wenn er es verstehen konnte. Das hier war nicht ihr sonstiges Gekabbel untereinander. Dies hier war noch nicht einmal mit den ernsteren Konflikten der ersten Zeit zu vergleichen.

Sorgfältig wägte Youji die Worte ab, die er seinem Team und Birman mitteilen würde, in der irrigen Annahme, dass er jemanden schützen musste, der es sicherlich nicht verdient hatte.

Langsam atmete er aus, bedächtig wieder ein.
 

„Aya hat mir von einem Mann erzählt, den er vor Ort gerettet hat. Er sagte, dieser Mann sei ein Sexsklave gewesen, an dem sich Lasgo vergangen hätte. Lasgo hätte ihm den Mann geschenkt, damit er sich auch an ihm bediene und Aya habe ihn davor bewahrt, weiter missbraucht zu werden. Er hat mir gegenüber keinen Namen genannt, aber was, wenn Crawford der besagte Mann ist?“ Hilflos sah er in die Runde und blieb an Birman hängen, über deren Gesicht ein dunkler Schatten huschte, den er nicht identifizieren konnte. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch Omi kam ihr zuvor.

„Das kann doch nicht sein, Youji. Wie sollte er denn… warum sollte Aya denn… wie passt das alles zusammen?“

Der ältere Weiß schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wie das zusammenpasst, aber es würde die Fotos erklären. Und seht sie euch doch an. Seht euch Crawford auf ihnen genau an. Wirkt er wie das arrogante Hellseherarschloch darauf? Nein. Schaut euch die Kleidung an, die Haltung. Der Mann auf diesen Fotos ist verwundet. Die Frage ist nur, von was. Und wenn wir dieser Frage nachgehen, dann wissen wir auch, warum Aya ihm geholfen hat und warum die Fotos ihn derart kompromittierend zeigen und den Eindruck erwecken, er sei ein Verräter.“
 

Birman schnaubte verächtlich. „Das ist nichts weiter als eine vage Theorie, Balinese. Und dazu noch sehr weit hergeholt.“

„Aber sie wäre möglich.“ Ken, die treue Seele. Ken, der Aya mochte und ihn respektierte.

Birman schüttelte den Kopf. „Youji, Ken, das ist zu gefährlich.“

Sie stieß auf taube Ohren. Youji grollte. „Zwei Tage. Das sind wir Aya schuldig, Birman. Das sind wir unserem Freund verdammt nochmal schuldig.“
 

Damit erhob er sich ebenso und nahm die Fotos an sich. Wortlos, aber mit einem festen Blick auf sie ging er an ihr vorbei nach draußen. Er musste Aya finden, er musste ihn zur Rede stellen. Er musste wissen, ob es sich bei dem Mann, den Lasgo gefangen gehalten und vergewaltigt hatte, tatsächlich um den Anführer von Schwarz handelte.
 

~~**~~
 

Youji erlaubte sich gerade soviel Höflichkeit, um anzuklopfen, bevor er Ayas Zimmer betrat, das nach Stunden endlich wieder bewohnt war.

Wo er sonst einen bissigen oder ironischen Kommentar für sein allzu vertrauliches Verhalten erhielt, schenkte ihm Aya nun noch nicht einmal Aufmerksamkeit. Gedankenverloren starrte er aus dem Fenster, ein Bein zu sich auf den Sessel gezogen, das andere lang vor sich ausgestreckt. Seine Stirn war kritisch verzogen und anscheinend erkannte er erst jetzt, dass Youji sich in seinem Zimmer befand.
 

„Was willst du hier?“, fragte er mit seinem tiefen Bariton rau, als hätte er seine Stimme schon lange nicht mehr benutzt und Youji hob die Augenbraue. Er sparte sich seinen Charme und die gute Laune, mit der er sonst auf ihren Anführer zutrat, wenn er etwas wollte, sei es auch nur eine Antwort auf seine Fragen. Dafür war das hier zu ernst für sie alle. Insbesondere für den rothaarigen Mann selbst.

„Ich will dich etwas fragen, Aya. Und ich möchte, dass du mir eine ehrliche Antwort darauf gibst.“

Stirnrunzelnd setzte sich Aya auf. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dich jemals angelogen zu haben“, gab er zurück. Wortlos deutete er auf den zweiten und Youji konnte sehen, wie die Entspannung einer allumfassenden Anspannung wich. Aya ahnte, was auf ihn zukommen würde und alleine das machte Youji wütend. Warum hatte ihr Anführer das vor ihm verschwiegen? Ausgerechnet das? Vertraute er ihm so wenig, dass er sich ihm nicht öffnete und nicht ehrlich zu ihm war, wenn es etwas gab, das ihn belastete, oder mit dem man ihn eventuell erpressen konnte?

Eigentlich konnte sich Youji die Antwort selbst geben. Natürlich vertraute Aya ihnen nicht, denn er war schon immer ein Einzelkämpfer gewesen, der regelrecht Angst hatte, sich auf andere zu verlassen.
 

Langsam ließ sich der älteste Weiß auf den allzu gemütlichen Sessel nieder, der ihm schon für viele Stunden eine bequeme Unterlage während ihrer ruhigen und tiefen Gespräche gewesen war, die sie schlussendlich hatten führen können. Seine Finger ballten sich unwillkürlich zur Faust, als er für einen Moment über die Möglichkeit sinnierte, dass Aya sie tatsächlich verraten hatte und nun mit Schwarz und Takatori gemeinsame Sache machte, so unwahrscheinlich das auch war. So absurd und widerlich.
 

„Wer war der Mann, den Lasgo als Sexsklaven gehalten hat? Wie war sein Name?“, fragte Youji ohne Umschweife und sah an den sich weitenden Augen, dass seine Vermutung die Goldrichtige gewesen war. Dafür brauchte er noch nicht einmal das schuldbewusste Zusammenzucken des rothaarigen Mannes oder den mühevoll hüpfenden Adamsapfel, der den Kloß namens Lüge hinunterzuschlucken versuchte.

Zunächst blieb ihm Aya eine Antwort schuldig, während er ihn mit großen, überrumpelten Augen anstarrte und anscheinend nicht wusste, wie er sich aus dieser Frage herauswinden konnte ohne zu lügen. Youji erlöste ihn aus seiner Starre, indem er in seine Gesäßtasche griff und die Fotos hervorzog, die ihn wie ein schweres Gewicht begleiteten. Im Stapel warf er sie auf den niedrigen Beistelltisch zwischen den beiden Sesseln und wartete, dass Aya sie aufnahm.
 

Beinahe schon ruckartig griff dieser danach und ebenso ruckartig fuhr er zusammen, als hätte er sich verbrannt. Foto um Foto um Foto besah er sich, steckte es nach hinten, besah sich das Nächste und ließ sie schließlich langsam wieder sinken.

„Birman sagt, du hättest uns auf der Mission an Schwarz verraten. Sie glaubt, dass Crawford dort war und etwas damit zu tun hatte, dass du Lasgo nicht ausgeschaltet hast. Sie glaubt auch, dass du für den toten Kritikeragenten auf dem letzten Foto verantwortlich ist. Hast du uns verraten, Aya?“ Betont ruhig hatte er Fakten rezitiert und die Frage gestellt, doch das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Youji vor Aufregung zitterte und dass sich seine Muskeln vor lauter Anspannung schmerzhaft zusammenzogen. Ihm war kalt vor Übelkeit und mit einem Blick auf seinen Freund fand er all das bestätigt, was auch in ihm selbst tobte. Ayas Hand zitterte. Er war kalkweiß im Gesicht. Seine Lippen öffneten und schlossen sich wieder, ohne einen Ton heraus zu lassen. Dann sah er mit großen Augen hoch und schluckte erneut schwer.
 

„Diese Fotos stammen von Birman“, stellte er nicht ganz als Frage in den Raum und Youji nickte. Auch das rief eine Reaktion des Entsetzens hervor, die der älteste Weiß nicht ganz einzuordnen vermochte.

Dann ließ Aya sie abrupt auf den Tisch fallen und presste seine Hand auf seinen Mund. Stolpernd erhob er sich, schlug sich den Unterschenkel an dem niedrigen Tisch und stürmte an Youji vorbei aus seinem Zimmer hinaus in das Badezimmer. Hustend und würgend übergab er sich über ihrer Kloschüssel.
 

Youji ließ ihm diese Privatsphäre, doch als ihr Anführer nicht zurückkehrte, folgte er ihm.
 

Er fand ihn kniend, mit gesenktem Kopf über der Schüssel.
 

„Aya.“ Eine Warnung, Erinnerung, Frage… all das beherbergte der Name des Mannes, der nun den Kopf hob. Unsicher tastete seine Hand nach der Spülung und noch viel unsteter kam er wieder auf die Beine. Schweigend wandte er sich zum Waschbecken und wusch sich seinen Mund aus, befreite sich wieder und wieder vom üblen Geschmack des hochgekommenen Mittagessens. Zittrig umklammerte er die Keramik und schloss die Augen.
 

Wie so oft war es Zeit, die er benötigte, um von sich aus zu erzählen. So auch jetzt.
 

Ihre Baduhr zeigte fünf Minuten an, in denen sie hier schweigend gestanden hatten. Fünf lange, schweigende Minuten, in denen Youji jede Regung von Aya beobachtet, ausgewertet und analysierte und feststellte, dass an dem anderen Mann nichts Falsches oder Verlogenes war, sondern dass dieser ehrlich tief geschockt war.

Erst nach den unendlichen fünf Minuten, sah er hoch und fand den Mut, Youji direkt in die Augen zu sehen. Sein Adamsapfel hüpfte mühevoll, als er schluckte.

„Mach die Tür zu, Youji.“

Überrascht hielt der älteste Weiß inne. „Es riecht jetzt nicht ganz so gut hier drin, Aya, können wir nicht zurück in dein Zimmer?“

„Mach die Tür hinter dir zu“, wiederholte Aya strenger als vorher, mit mehr Kraft als vorher. Gleichzeitig drehte er den Wasserhahn des Waschbeckens voll auf und verfuhr mit dem Hahn ihrer Wanne ebenso. Stirnrunzelnd folgte Youji dem Befehl und lehnte sich gegen die geschlossene Tür, die Hände locker vor sich verschränkt. Ayas Augen huschten zu eben jenen und Youji wusste, dass Aya erkannte die eindeutige Botschaft dessen.
 

Notfalls würde er seine Waffe nutzen, die er immer bei sich trug.
 

„Was soll das alles, Aya?“, fragte Youji erneut und der rothaarige Mann ließ sich auf den Badewannenrand nieder. Schlussendlich nickte er.

„Die Bilder sind echt. Jedes einzelne von ihnen, auch wenn ich mit dem letzten Bild nichts anfangen kann. Ich kenne den Mann nicht und habe auch seine Leiche bis gerade eben noch nie gesehen. Die Bilder von Crawford und mir aber…“ Aya stockte und presste seine Handballen auf die Augen. Ein verzweifelter Laut verließ seine Lippen. „Ja, er ist derjenige, von dem ich dir erzählt habe. Er ist Lasgos Sexsklave. Vielmehr war er es, bevor ich ihn endgültig da herausgeholt habe.“

Es zu vermuten und es noch einmal gesagt zu bekommen, waren zwei unterschiedliche Paar Schuhe, stellte Youji fest. Trotz aller Vermutungen war es ein Schlag in seine Magengrube, dass ausgerechnet Aya einem Feind half, den es zu töten galt. Es drehte Youji den Magen um und ließ ihn schwindeln. Es lief ihm heißkalt den Rücken hinunter, das zu hören.

„Warum hast du ihn nicht getötet?“, fragte Youji und abrupt sah Aya hoch.
 

„Ich wollte, doch ich konnte es nicht, weil ich meine Tarnung aufrecht erhalten musste. Dann wollte ich ihn zu Kritiker bringen, doch das konnte ich nicht. Und schlussendlich habe ich ihn gehen lassen.“

Wut keimte in Youji hoch, als er sich der feinen Nuancen der ausgelassenen Wahrheit bewusst wurde, die Aya ihm erneut unterbreitete. Schon wieder. Als wären die Auslassungen der vergangenen Tage nicht genug gewesen. Er grollte zornig.

„Ich habe keine Lust auf Auslassungen mehr, Aya. Entweder du erzählst mir jetzt alles, jedes Detail, jedes noch so verdammt unwichtige Detail oder ich prügle dich hier drin windelweich und schleppe dich dann zu Perser persönlich. Klingt das gut für dich? Wirklich?“

Betäubt schüttelte Aya den Kopf.

„Also?“
 

Youji wartete exakt dreißig Sekunden, bis er einen Schritt nach vorne trat und anscheinend war das der Anstoß für Ayas Redseligkeit. Detail um Detail um Detail servierte ihm der sitzende Mann auf einem Silbertablett, das ekelerregender nicht sein konnte. Angefangen von erzwungenem Oralsex, dem Aya unfreiwillig gelauscht hatte, über das Geschenk, über ihren brüchigen und widerwilligen Waffenstillstand, bis hin zu Ayas Wutausbrüchen und seiner eigenen, schlimmen Tat, die er selbst nicht verstand, über ihren Kampf und die endgültige Befreiung des erneut missbrauchten Orakels. Selbst die Nacht in einem Ferienhaus weitab der Zivilisation ließ er nicht aus, auch nicht, wie er Crawford in dem Hotel abgesetzt hatte. Ebenso wenig wie er Youji Birmans Beteiligung an diesem völligen Horror ersparte.
 

Mehr als alles andere schockierte das Youji über alle Maßen.
 

„Das kann nicht sein“, presste er hilflos hervor. „Das KANN nicht sein, nicht Birman. Wieso sie? Warum sollte ausgerechnet sie…?“

Gepeinigt stöhnte Aya auf. „Wenn ich das wüsste, Youji. Sie sagt, es ist ihre Rache an Schwarz und ihr Kampf für die richtige Sache. Deswegen erpresst sie mich auch mit meiner Schwester und droht mir, Aya zu töten, wenn ich nicht das tue, was sie verlangt.“
 

Was?!?“ Youji glaubte, sich verhört zu haben. Er musste sich verhört haben, anders konnte er sich das nicht erklären, was hier vor sich ging. Wieso sollte Birman zu all dem auch noch Aya so etwas antun? Niemals hatte sie ein Anzeichen dafür gegeben, dass sie ihn so sehr hasste oder dass sie ihren Weg nicht als den Richtigen ansah.

Aya nickte. „Schon nach meiner Rückkehr kamen erst Lasgo, dann sie zu mir. Sie erpresste mich mit meiner Schwester und erteilte mir den Auftrag, Perser zu töten.“ Hilflos sahen violette Augen zu ihm hoch. Hilflos baten sie um Rat. Hilflos war aber auch Youji angesichts solcher unerwarteter, unvorstellbarer Grausamkeit.

„Sie wird auch Weiß umbringen lassen, wenn sie erfährt, dass ihr es wisst, deswegen habe ich nichts gesagt. Ich muss ihr Spiel mitspielen, um euch und Aya sicher zu wissen, auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich das anstellen soll. Ich kann Perser nicht töten, ich darf es nicht. Aber was für eine Wahl bleibt mir, wenn sie meine Schwester bedroht?“

„Sag es ihm und bitte ihn, deine Schwester in Sicherheit zu bringen.“
 

Verzweifelt schüttelte Aya den Kopf. „Das kann ich nicht. Sie hat Männer außerhalb von Ayas Krankenhauszimmer positioniert und ich weiß nicht, welchen der Ärzte sie geschmiert hat, die sofort handeln, wenn sie Wind davon bekommt.“

„Wir können uns um die Männer kümmern und Aya an einen sicheren Ort bringen.“

Aya lachte bitter auf. „An welchen denn? Wir haben nicht die infrastrukturellen Möglichkeiten, sie ihren Bedürfnissen entsprechend unterzubringen. Sie würde ohne die Geräte innerhalb von Minuten elendig zugrunde gehen, Youji.“

„Aya, es muss doch - “

„Nein! Das ist es ja. Nein, es gibt nichts. Und nur, weil ich Crawford da rausgeholt habe. Nur weil ich verdammt nochmal nicht zulassen konnte, dass sie ihn in ihre Finger bekommt, wenn ich ihn Kritiker ausliefere.“
 

Youji runzelte die Stirn. In allem, was Aya ihm erzählt hatte, war ihm Birmans Verrat zu allererst ins Auge gestochen. Aber da gab es noch ein anderes Problem und das hieß Schwarz.

„Du hast dich mit ihm auf dem Friedhof getroffen, richtig?“, fragte er und Aya schüttelte den Kopf.

„Ich wusste nicht, dass er kommen würde. Ich war da, um beim Grab meiner Eltern Ruhe und Antworten zu finden.“

„Was hat er gemacht?“

„Mich mit einer Waffe bedroht, ohne mich umzubringen oder mich zu verletzen. Geredet. Sich angehört, was ich zu sagen hatte. Sonst nichts. Ich schwöre Youji, sonst weiß ich von nichts!“
 

Und ja, Youji glaubte Aya das. Er glaubte ihm, dass er nur Gutes im Sinn gehabt hatte. Er glaubte ihm, dass er keinen Verrat begangen hatte. Er glaubte ihm, dass er Hilfe brauchte.

„Wie hat er auf dich reagiert? Ich meine darauf, dass du es weißt, dass du quasi Zeuge seiner Vergewaltigung warst und dich ihm selbst beinahe aufgezwungen hast?“ Ekel überkam Youji, doch er schluckte ihn hinunter. Damit würde er sich später befassen.

„Ich hätte erwartet, dass er mich umbringt, sobald ich nicht mehr für ihn nützlich bin, aber das hat er nicht getan. Ich habe keine Ahnung warum nicht, denn ich glaube nicht, dass ein Mann wie er es einfach hinter sich lassen kann, was passiert ist.“

Youji nickte bestätigend. „Ich auch nicht. Daher meine Frage, was er in dem Ganzen von dir will.“

„Rache, im schlimmsten Fall.“

„Die wird er nicht bekommen, wenn wir den Auftrag erhalten, dich zu töten oder Birman dich durch ihre Leute erledigen lässt.“
 

Aya verfiel wieder in grüblerisches Schweigen, das mit einem abgehackten Laut endete. „Ich weiß nicht, was ich machen soll, Youji. Ich stehe mit dem Rücken zur Wand und ich habe keine Handlungsoptionen mehr. Und ich kann niemanden um Hilfe bitten ohne dass Birman davon Wind bekommt. Deswegen wirst du auch Ken und Omi nichts erzählen, sie dürfen da nicht mit reingezogen werden. Und du auch nicht…ich hätte nicht mit dir reden sollen, dir nichts erzählen sollen, sie werden dich - “

Abrupt brachen die beinahe schon panischen Worte ab, als Youji mit einem Satz bei Aya war und ihn zu sich hochzog. Fest presste er ihn an sich und schloss seine Arme wie einen Schraubstock um den Anderen.

„Nein, Aya. Wir finden gemeinsam eine Lösung. Du bist nicht mehr alleine. Du hast mich. Ich lasse mir etwas einfallen, hörst du? Nicht heute Abend. Aber ich verschaffe dir Zeit, versprochen. Zeit, damit wir zusammen einen Plan finden.“
 

Der Mann in seinen Armen schwieg dazu, doch nach unendlich langer Zeit schloss er seine Arme um die Körpermitte von Youji und ließ seinen Kopf gegen das Schlüsselbein fallen. Youji vermeinte, durch sein T-Shirt hindurch Feuchtigkeit spüren zu können, doch er mochte sich auch täuschen. Für sein Seelenheil vermochte er das… denn Aya weinen zu sehen, wäre dem sicherlich nicht zuträglich.
 

~~**~~
 

Youji stellte fest, dass ihn die letzten Jahre träge gemacht hatten. Ja, die Verbrecherjagd hatte ihn zwar körperlich fit gehalten. Wieder und wieder musste er sich in neue Rollen eindenken, was eine gewisse Art der Abwechslung mit sich brachte. Aber eine ernsthafte Gefahr für Leib und Leben, das hatte er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehabt. Gefahr für sein Team, seine Freunde, auch nicht.

Und so stellte Youji fest, dass ihm genau das gefehlt hatte, so bitter es auch war. Er lebte genau hierfür, für die Problemlösung, für das beinahe Aussichtslose, das er lösen würde. Er war derjenige, der die Fäden in der Hand halten musste, damit sie das hier alle unbeschadet überstanden.
 

Mehr als alles andere aber ehrte ihn das Vertrauen, das Aya in ihn hatte.
 

Und so begann er zu planen und Fäden zu spinnen, um das zu erreichen, was er wollte.

Er hatte mit Birman gesprochen, freundlich bis in seine Haarspitzen, auch wenn er sie am Liebsten durch das Telefon hinweg erwürgt hätte. Er hatte sie davon überzeugt, dass er noch Zeit bräuchte, dass er aber alles unter Kontrolle hatte. Er hatte mit Omi und Ken gesprochen und ihnen gesagt, dass er noch etwas Zeit bräuchte und dass er nach ihrem Auftrag noch einmal ausführlich mit ihnen und mit Aya sprechen würde. Das war nicht wirklich gelogen, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Er würde mit Weiß sprechen, aber erst, nachdem sie diese Mission hinter sich gebracht hatten. Aya hatte er zu seiner Schwester geschickt.
 

Er zog seinen Mantel über das klassische, kurzärmlige Oberteil und schloss diesen. Wie vor jeder Mission überprüfte Youji seinen Draht und streifte sich als Letztes die Handschuhe über. Erst dann steckte er das unscheinbare Stück Papier in seine Manteltasche. Mit einem letzten Blick in den Spiegel verließ er sein Zimmer und kam zu Ken und Omi, die bereits fertig waren und unten warteten.
 

Es war ein einfacher Auftrag. Ein Verbindungsmann von Takatori, eine wichtige Schnittstelle in den Finanzbereich des organisierten Verbrechens und der Geldwäsche. Ohne ihn würde sich zumindest der Südflügel von Tokyo über Monate, wenn nicht sogar Jahre destabilisieren.

Der Mann selbst hatte einen penibel festgelegten Tagesablauf, der vor Monaten durch Zufall und eine aufmerksame Beobachterin entdeckt worden war. Und so würden sie sich seinem Ablauf in der Nacht anpassen und ihn nach seinem wöchentlichen Treffen mit dem Masseur abfangen.
 

Einfach und schon tausendmal dagewesen.
 

Gemeinsam fuhren sie los und kämpften sich durch den abflauenden Stadtverkehr. Der Masseur befand sich in einem der Luxusviertel, das still und verschwiegen war. Am Anfang hatten solche Aufträge noch ein gewisses Maß an Abwechslung gebracht, doch nun war auch das kein Thema mehr.

Nur eine einzige Sache würde Abwechslung hineinbringen und wenn Youji darauf wetten müsste, würde er sagen, dass Takatori ein so prämiertes Zugpferd nicht alleine lassen würde.
 

Er behielt Recht.
 

Fujiwara Shichiro war umringt von Bodyguards, die für Weiß keine wirkliche Herausforderung darstellten. Einen nach dem anderen schalteten sie aus, routiniert in Zusammenarbeit und Kommunikation, immer in dem Wissen, dass ihr Hiersein eine offene Einladung für Schwarz war, insbesondere für den Hellseher des gegnerischen Teams, dessen Gabe aber unter dem Einfluss von Lasgos Tun gelitten hatte. So hatte es Aya ihm erzählt und heute Abend, so sein Plan denn aufging, würde Youji eben diese aufgestellte These testen. Nicht, dass viel mehr hatte als eine Vermutung.
 

Crawford war ein berechnendes Arschloch, das nur seinen eigenen Vorteil und den seines Auftraggebers kannte. Wieder und wieder hatte er mit Weiß gespielt und sie spüren lassen, dass sie nichts weiter waren als lästige Fliegen, die es zu beseitigen galt, wenn ihre Nützlichkeit überholt war. Doch noch waren sie anscheinend in irgendeiner Art und Weise für Schwarz von Nutzen, denn nur deswegen lebten sie noch mit einem feindlichen Team als Gegner, das aus einem Telekineten, einem Telepathen und einen verrückten Massenmörder bestand, allesamt angeführt von einem Mann, der die Zukunft voraussah.

Warum also ließ so jemand den Mann am Leben, der sich ihm beinahe aufgezwungen und der Momente seiner größten Schwäche miterlebt hatte? Was war die Motivation dahinter? Youji konnte sich drei Gründe vorstellen. Entweder, Crawford spielte mit Aya, grausam und sadistisch, wie er nun einmal war. Oder aber er fühlte sich ihm in einer Art Dankbarkeit verbunden. Unwahrscheinlich, bei dem arroganten Amerikaner. Die dritte Möglichkeit war die Absurdeste von allen und Youji war sich beinahe sicher, dass sie nicht zutraf. Was wäre, wenn Crawford Aya tatsächlich noch benötigte?

Er hat meine Zukunft gesehen, nicht seine‘, hatte Aya ihm gesagt und Youji fragte sich unwillkürlich, ob dem immer noch so war. Obwohl das Blödsinn war. Nein, vielmehr vermutete er, dass es ein absurdes quid pro quo war, das Crawford davon abgehalten hatte, Aya zu töten.
 

„Wir bekommen Besuch“, murmelte Bombay über ihre Kommunikation hinweg und Youji konnte sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. Pünktlich wie die Maurer.

„Schwarz?“, versicherte er sich und bekam ein zustimmendes Brummen von Siberian. Dann konnten die Spiele beginnen.
 

Auch Schwarz waren in den letzten Jahren faul geworden und hatten sich einer Gewohnheit hingegeben, die sie schwerlich durchbrachen. Bisher hatte das keine Auswirkungen auf ihre Zusammentreffen gehabt, weil sie immer die gleichen Kämpfe mit den ähnlichen Ausgängen gefochten hatten. Doch nun half es Youji, sich auf das gegnerische Team einzustellen. Sie schickten Berserker vor, wie immer. Der blutrünstige Ire war Pfeilfutter, vermutlich absolut entbehrlich. Direkt nach ihm kam der Kleine des Teams, Prodigy, das telekinetische Wunderkind. Er würde sie durch gezielt gesetzte, telekinetische Stöße auseinandertreiben, sodass Mastermind und Oracle ihren Spaß mit ihnen treiben konnten.

Für gewöhnlich war Mastermind sein Gegner, das bedeutete aber nicht, dass sie nicht ab und an Abwechslung in ihre Zusammentreffen brachten und versuchten, das gegnerische Team aus der Fassung zu bringen. Aufgrund von Ayas Fehlen würde Youji sich heute um das Orakel kümmern, das ihm keine fünf Minuten nach Bombays Hinweis ein arrogant amüsiertes Lächeln voller abschätziger Musterung einbrachte, als dieser ihm den Weg zu seinem Auftrag versperrte. Youji konzentrierte sich einzig und allein auf ihn, da er wusste, dass sein Team ihn im Zweifelsfall zu sich rufen würden, wenn es ernst wurde und sie Hilfe benötigten.
 

„Na sowas. Heute also der große Blonde“, spottete Crawford und schien seine Aufmerksamkeit für einen Moment lang auf seinen Telepathen zu richten. Dann wandte er sich ihm zu und zog seine Waffe, ließ sich von Youji in einen Kampf verwickeln, der von Anfang an durch seine Hellsicht bestimmt war, mit der er den Drähten und de Nahkampf des Weiß auswich.

So geschickt, wie er auch immer Aya ausgewichen war in der Vergangenheit, als dieser sich mit ihm geschlagen hatte.
 

Youji folgte strikt seinem Plan, hochkonzentriert auf seine Aufgabe, Crawford solange zu beschäftigen und in Atem zu halten, bis Omi und Ken mit ihrem Teil des Plans fertig waren und erste Erfolge erzielten. Wobei es noch nicht einmal mehrere sein mussten. Ein einziger Dart würde heute reichen und der Kleine des Teams wäre außer Gefecht gesetzt, dafür hatte Youji gesorgt um Omis Gedanken zu schützen. Sorgsam verbarg er dieses Wissen unter seiner Konzentration, die, so hatten ihre vergangenen Kämpfe gezeigt, Schuldig insbesondere dann Steine in den Weg legte, wenn der Telepath sich selbst mehrerer Angreifer erwehren musste.
 

Und so lockte Youji das Orakel weg von seinem Team, hinein in eine der stillen und dunklen Seitengassen. Er ließ den Amerikaner glauben, dass dieser die Oberhand hatte, er gab sich erschöpft und ausgelaugt von dem Kampf und machte Fehler, die er für gewöhnlich machte, wenn er sich am Ende eines Kampfes befand.

Das überhebliche Lächeln des Schwarz teilte ihm genau das mit, was er wissen musste und Youji ließ sich seinen Draht, mit dem er bisher gekämpft hatte, aus der Hand reißen. Das Entsetzen, das nun auf seinem Gesicht erschien, war ebenso gestellt wie das strauchelnde zu Boden gehen, aber dadurch hatte er die Möglichkeit, in seine Tasche zu greifen und den Zettel hervorzuholen und ihn in seiner Hand zu halten.
 

Crawford kam näher, mit zweckmäßig erhobener und entsicherter Waffe. Sein Blick war überheblich, aber ruhig, wie immer, wenn er sich siegreich wähnte. Im Gegensatz zu Schuldig oder dem vernarbten Irren hatte das Orakel anscheinend keinen sadistischen Spaß daran, Menschen zu töten, sondern zielte und tötete immer pragmatisch, schnell und sauber.
 

Unwillkürlich schlug Youjis Herz schneller. Noch war er nicht ganz wehrlos, aber es war ein Tanz auf der Messerspitze. Insbesondere hatte er keinen Anhaltspukt dafür, dass der Amerikaner nicht plötzlich doch ernst machte.

Er atmete tief durch. Das war jetzt nicht wichtig.
 

„Was bezweckst du mit einem sinnlosen Weglocken? Hast du die fahle, trügerische Hoffnung, dass es dir gelingen mag, mich in einer einsamen Gasse zu erwürgen?“, fragte der stehende Mann und verzog die Lippen vor Abscheu. Youji lächelte kurz und zog dann ganz langsam, sodass Crawford es sehen konnte, was er tat, das Foto hervor.

„Nicht ganz. Aber ich habe das hier für dich, Oracle.“
 

Für den Bruchteil einer Sekunde entglitt Crawford seine immerwährende Kontrolle. Für eine Millisekunde zuckten seine Augen voller Neugier zu dem durch die flackernde Straßenlaterne beschienenen Foto und blieben daran hängen. Es war die Sekunde, die Youji dazu brauchte, um sich klar zu werden, dass Crawford das nicht vorhergesehen hatte und dass er es tatsächlich geschafft hatte, den anderen Mann zu überraschen. Von sich selbst beeindruckt blinzelte er, gab sich aber sonst den mühsamen Eindruck von völliger Unbeeindrucktheit.
 

Auch wenn sein Herz nun wirklich raste.
 

Schweigen trat zwischen sie und Youji wartete vergeblich auf eine bissige Bemerkung. Nichts tat sich und je länger Crawford auf das ihm entgegengestreckt Bild starrte, desto zorniger wurde er.

„Woher hast du das?“, grollte der Schwarz schließlich. Eine komische Frage für diese Situation, befand Youji, aber bezeichnend alle Male, hatte er doch das Bild ausgesucht, auf dem Aya den Schwarz anscheinend aufrecht hielt und die Haltung des Schwarz nichts Anderes als Widerwillen ausdrückte.

„Von der Person, die Weiß einen ganzen Stapel solcher Bilder gegeben hat mit der Vermutung, dass Abyssinian uns verraten und einen Pakt mit Schwarz eingegangen ist“, erwiderte er und der Blick der stechenden, hellen Augen bohrte sich schließlich in ihn, als könne er ihn alleine dadurch töten. Ansonsten blieb Crawford stumm, nur seine Waffe gab Youji deutlich zu verstehen, dass es besser für seine körperliche Unversehrtheit wäre, wenn er weitersprach.

„Birman hat sie sich anscheinend aus einer der Sicherheitskameras herauszogen, die durch die Explosionen nicht zerstört wurde. Sagt sie. Abyssinian hingegen sagt etwas Anderes.“

„Das da wäre?“ In Mordlust gegossene Worte schossen ihm entgegen und Youji zuckte unwillkürlich zusammen. Da war sie, die sonst fehlende Bereitschaft des Orakels, mit Genuss zu töten. Ob Youji das auf sich bezogen so gut fand, bezweifelte er im höchsten Maße.
 

„Er sagt, dass du nicht freiwillig dort gewesen bist und dass er deinen Arsch aus den Fängen Lasgos gerettet hat. Zweimal.“ Den Rest verschwieg Youji, da er instinktiv ahnte, dass Crawford Mitwisser erledigen würde, die die schmutzigen Details seines Aufenthaltes kannten. Alle bis auf Aya vermutlich.

„Birman ist der Meinung, dass es ein Verrat ist. Und Verrat bestraft Kritiker mit dem Tod.“

Deutlicher konnte Youji es nicht sagen, dass Ayas Leben auf dem Spiel stand, deutlicher konnte er selbst keinen Verrat begehen ohne dass er der Nächste war, dessen Kopf sauber von seinem Rumpf getrennt werden oder der mit einer Kugel im Kopf enden würde. Doch anscheinend kannte Crawford keine Gnade, so schnell, wie er zu seiner überheblichen Arroganz zurückfand.
 

„Das ist etwas Schlechtes?“, fragte er höhnisch und Youji knirschte mit den Zähnen. Der Hohn riss an seiner Selbstbeherrschung und an seiner Sorge um seinen Freund, der von Birman fälschlicherweise als Verräter bezeichnet wurde. Der Hohn machte ihm deutlich, dass er vielleicht falsch gelegen haben konnte und dass Crawford ihn mit Freuden vorführen würde. Und so konnte Youji gar nicht anders. Wie immer, wenn er derjenige war, der in die Ecke gedrängt wurde, teilte er aus.

Abgrundtief böse knurrte er.
 

„Für uns? Auf jeden Fall. Für dich? Sicher. Denn so wie du ihn auf dem Friedhof nicht getötet hast oder auch in dem Ferienhaus, in dem ihr untergekommen seid, nachdem er dich aus dem Areal geholt hat, brauchst du ihn noch.“

Der Schuss ins Blaue war vage und zum großen Teil verzweifelt, aber alleine an Crawfords erster Reaktion, einem beinahe unsichtbaren Zurückzucken, sah Youji, dass er zumindest einen Funken Wahrheit in sich trug. Da spielte es keine Rolle, dass Crawford deutlich amüsiert lachte und den Kopf schüttelte.

„Wozu, außer als Sandsack, sollte ich einen von euch stümperhaften Auftragskillern brauchen, Balinese?“, fragte er und Youji starrte ihm wütend in die Augen.

„Wozu? Dass er dir hilft, die Geschehnisse vor deinem Team geheim zu halten. Oder aber um deine Gabe stabil zu halten, die – warte, was hat er nochmal gleich gesagt? – sich in Lasgos Areal nur auf ihn gerichtet hat, nicht aber auf dich, weil sie instabil ist. Sag mir, Crawford… hast du immer noch Probleme?“, forderte Youji den Teufel zu einem Tanz heraus, dessen Schritte er noch nicht einmal im Ansatz kannte.
 

Crawfords langsames, teuflisches Lächeln deutete ihm an, dass zumindest einer von ihnen den Tanz dann doch beherrschte.
 

~~~~
 

Wird fortgesetzt. ^^


Nachwort zu diesem Kapitel:
Kommentare und Kritik sind immer gerne gesehen (Nektar einer Autorin, ihr wisst schon ;) ) Und wer weiß, vielleicht rettet das Youjis Leben *flüüücht* Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2018-11-25T13:56:16+00:00 25.11.2018 14:56
Das hier ist ein akuter Fall von „keine Zeit, aber ich kann nicht anders“ xD

Dieses Wortgefecht von Brad und Schuldig – herrlich! :D Diese beiden haben wirklich immer einen besonderen Unterhaltungswert, oder? Hach! Ich finde es übrigens sehr gut, dass Schuldig am Ball bleibt, auch wenn Brad hier seinen Doktor in Abwimmelogie nochmal unter Beweis stellen will 8) Schuldig, ausgewiesener Prof. prov., ist einfach brillant in dem, was er tut, und ehrlicherweise tut mir in dieser Episode weder Brad noch Schuldig leid xD viel mehr feiere ich sie beide für ihre jeweilige (Re-)Aktion. Rosenkranz ist auch noch so ein schlafender Riese im Hintergrund. Was es mit denen noch auf sich hat … uiuiui! Es gibt so viele Plotpunkte, die alle nochmal (wieder-)kommen könnten. Ich bin gespannt! :o Aber erstmal: Farfarello! Ich hab ihn vermisst – dass ich das mal sagen würde … Takatori (ich muss jedes Mal lachen, wenn du vom Panda sprichst xD) verheißt ja auch nur seltenst etwas Gutes. Was will der denn noch? Ugh … Btw, ich finde es sehr raffiniert, wie du immer mal wieder einstreust, was die anderen Jungs von dem halten, was Brad angetan worden ist – Schuldig und der Golfschläger sind da ja mehr als eindeutig, aber auch Youji!

Im ersten Moment wollte ich durchatmen: hach, Youji! Dann merkte ich: Die Kombination aus Birman, Überwachungskamera und Foto ist ganz und gar nicht gut. Diese Situation, diese Bilder … eigentlich zeigt sich da nur wieder, dass ein Bild tatsächlich nur ein Bild ist. Da fehlt der Hintergrund, da fehlen Informationen, es sind nur Momentaufnahmen, die nichts weiter zeigen als das, was das Auge gerade sieht. Das finde ich hier sehr wirkmächtig auf den Punkt gebracht, wenn man die Vorgängergeschichte im Hinterkopf hat. Ich liebe Youjis Gedanken, sein deduktives Vorgehen – irgendwie wird viel zu oft vergessen, dass Youji noch mehr kann als nur gut aussehen, oder? Es ist einfach klasse, dass du seinem Charakter mehr Platz einräumst und ihn handeln lässt, wie er wirklich handeln würde. Jetzt doch: hach, Youji! Hach, Cocos! *_* (Und argh, Birman! xD Irgendwann wird sie kopfüber von der Decke baumeln!)

Oh Gott, es spitzt sich hier ja immer weiter zu ;__; meine armen Nerven! Aya und Youji im Bad, das ist wie ein Showdown. Ich bin so froh, dass Aya jetzt – theoretisch – einen Partner in Crime (haha) hat, aber Youji … oh Youji >.< Zum Glück glaubt er ihm, zum Glück ist jetzt wieder ein kleines bisschen Hoffnung da!

Youji vs. Brad – genial. Sherlock Youji in Aktion rockt einfach die Bude; so ein kluger Kerl! Ein überraschter Brad ist ja auch mal etwas absolut nicht Alltägliches xD die beiden … das ist wirklich ein Tanz mit dem Teufel. Meine Herren, wieder so ein Cliffhanger!! Fehlt nur noch, dass Schuldig aus einer Mülltonne hervorspringt und nicht länger Mäuschen spielen will :'D

Du hast mir wieder einmal den Tag versüßt *_* <3
Antwort von:  Cocos
25.11.2018 21:47
So! Last but not least :D

Ich liebe Brad und Schuldig als Unterhaltungsfaktoren. Die sind einfach immer schön zusammen: egal, ob sie sich fetzen, ob sie sich übereinander lustig machen oder ob sie im Team gegen jemanden arbeiten (niemand möchte die beiden glaube ich unisono gegen sich haben, das wird der Weltuntergang).
Prof. Dr. phil. Brad Crawford? Aber sowas von! Er muss nur aufpassen, dass ihm sein Doktortitel nicht aberkannt wird, so wie er sich verhält. Rosenkreuz hat da nämlich eine Menge zu zu sagen. Also hätte. Wenn sie es wüssten. Aber was sie nicht wissen, macht sie nicht heiß, oder wie heißt das Sprichwort? :D

Schwarz ist nicht ganz grün mit dem Politiker. Wehe, wenn der einmal zum Abschuss freigegeben wird. ;)

Ich habe versucht, Birman in dieser Szene als das hinterletzte Arsch darzustellen, weil sie einfach diese Situationen nimmt, in denen beide Menschlichkeit gezeigt hat und sie gegen Aya verwendet um ihn zusätzlich unter Druck zu setzen und zu diskreditieren. Aber sie rechnet nicht mit Youji (Gott sei Dank!).
Soso Youji gefällt dir also? :D Dann bekommt er extra Screentime! :D

Was Youji vs. Brad angeht, so könnte ich mir vorstellen, dass Aya seinem Freund den Kopf abreißen wird für so eine leichtsinnige und gefährliche Aktion o.O. Er spielt halt schon ordentlich mit dem Feuer, während er den offenen Benzinkanister bei sich trägt. Ja, auch wenn es ihm gelungen ist, Brad zu überraschen und auch wenn er sich - wie Schuldig auch - da wie ein Hund an einem Knochen verbeißen wird (bis auf den klitzekleinen Unterschied, dass Youji mehr weiß als Schuldig. Oh oh. Ohje.)

Das freut mich doch sehr, dass ich dir den Tag versüßen konnte! ^_^v Auch du hast mir den Tag mit deinen Kommentaren versüßt und nochmal einen Mordsmotivationsschub gegeben! Danke!



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