Heiratskandidaten von _Delacroix_ ================================================================================ Die harschen Worte ihrer Mutter hatten sie bereits den ganzen Tag verfolgt. Doch nun, im Festsaal, war es, als wollte die Erinnerung an sie selbst die kleine Band übertönen, die zusammengepfercht in einer Ecke für die Unterhaltung der Gäste sorgte. Auf der Tanzfläche konnte sie Lucius’ blondes Haar erspähen und so wandte sie sich eilig ab, um in die andere Richtung zu entfliehen. Andromeda hatte immer angenommen, an dem Tag, an dem Lucius sich eingestehen würde, dass sie nicht zusammenpassten, würde sie glücklich sein, und wie auf Wolken schweben, doch nun fühlte sie sich überhaupt nicht so. Vielleicht lag es an der Nonchalance, mit der Lucius am Morgen sein „Nein“ verkündet hatte, vielleicht auch an der Erklärung ihrer Mutter, sie habe bereits einen neuen Kandidaten ins Auge gefasst. Einen Kandidaten, bei dem sich ihr der Magen umdrehte. Amycus Carrow war für sein unleidliches Temperament bekannt. Dafür und für die Tatsache, dass er nicht lang fackelte, bevor er nach dem Zauberstab griff. Diese Verbindung würde in einer Katastrophe enden. Doch nach ihrer Meinung hatte natürlich niemand gefragt.   Das Ganze hatte nur einen einzigen Vorteil. Einen, an den Andromeda sich klammerte, wie eine Ertrinkende an das rettende Stück Holz. Die Carrows waren nicht reich. Reinblütig, ja, aber schlechte Haushaltsführung und unbedachte Investitionen hatten die Familie in den letzten Jahren fast ruiniert. Wenn sie also einen Kandidaten fand, der zumindest ähnliche Grundvoraussetzungen bieten konnte, würde ihre Mutter einknicken. Und dann wäre Carrow schneller vom Tisch, als er „Schuppenschwanz“ sagen konnte.   Es gab nur einen Haken: Andromeda hatte keinen Kandidaten.   Unsicher strich sie sich über den Unterarm. In ihrem Kopf hatte sich ihr Plan ganz einfach angehört. Sie hatte sich hübsch machen und auf der Geburtstagsfeier ihres Vater ein nettes Reinblut kennenlernen wollen. Eines, das sie aus den Heiratsplänen ihrer Mutter rettete und besser zu ihr passte als Lucius. Nur so richtig wollte es einfach nicht funktionieren. Nicht nur, dass die meisten Gäste entweder mit ihr verwandt oder aber viel zu alt für sie waren, die paar geeigneten Kandidaten, die noch übrig blieben, scharrten sich in einer großen Traube um ihre Schwester Bellatrix, die gerade eine politische Diskussion nach der Anderen führte. Und wollte sie wirklich einen Ehemann, der an den Lippen ihrer Schwester hing? - Wohl eher nicht.   Missmutig schlug Andromeda den Weg in Richtung Buffet ein. Vielleicht konnte sie ihren Kummer ja in einem großen Schälchen Mousse au Chocolat ertränken. Sie seufzte, während sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht fischte. Eigentlich hatte sie die letzten drei Stunden damit verbracht, sich die Haare zu einer kunstvollen Hochsteckfrisur zu hexen, doch wie immer, machten ihr ihre Locken einen Strich durch die Rechnung. Wild und ungezähmt, wie sie waren, wehrten sie sich gegen jeden Frisierzauber und fanden bei jeder Frisur die eine Stelle, an der sie aus dem sorgsam gewobenen Geflecht ins Freie schlüpfen konnten. So auch in diesem Fall. Dabei war ihr Aussehen heute doch so wichtig. Energisch strich sie sich die Strähne hinter das Ohr. Mit ein bisschen Glück würde sie wenigstens dort bleiben, bis sie das nächste Mal ins Bad kam und sie wieder festhexen konnte. Entweder das, oder -   „Verzeihung?“ Überrascht drehte sich Andromeda der Stimme entgegen und für einen kurzen Augenblick glaubte sie, all ihre Probleme hätten sich in Luft aufgelöst. Dann erkannte sie den jungen Mann und die Realität holte sie wieder ein.   „Guten Abend, Rodolphus“, begrüßte sie den Verlobten ihrer Schwester und bemühte sich um ein dünnes Lächeln. Er konnte ja nichts dafür, dass sich heute alles gegen sie verschworen hatte.   Sein sonst so kühler Blick wurde milder, während er die Hand hob, um ihr eine Haarnadel entgegenzuhalten. „Die ist dir heruntergefallen“, erklärte er.   Andromedas Lächeln vertiefte sich ein wenig. „Danke“, entgegnete sie und griff nach dem unscheinbaren Stück Metall. So hatte es die dreiste Locke also geschafft, ihrem Zauber zu entkommen. Sie hatte sich einfach mitsamt der Nadel aus dem Staub gemacht. „Heute bestehe ich eigentlich nur aus den Dingern“, scherzte Andromeda, während sie die Haarnadel zwischen ihren Fingern drehte und überlegte, ob sie es riskieren konnte, sie ohne einen Spiegel zurück in ihr Haar zu schieben. Die Antwort lautete „Nein“. Mit Pech würde sie dadurch nur noch mehr kaputtmachen und dann würden sich weitere Haare lösen und sie würde endgültig aussehen wie eine Vogelscheuche. Kurz musterte Rodolphus die Nadel in ihrer Hand, dann räusperte er sich. „Ich finde es mit weniger Nadeln übrigens hübscher. Es wirkt weniger streng, wenn du ein paar Strähnen herunterhängen lässt.“   Andromeda war überrascht. Ein nettes Kompliment wie dieses hatte sie schon lange nicht mehr gehört. „Trägt Bella ihre Haare deshalb immer offen?“, fragte sie neugierig, „Weil du das lieber magst?“   Rodolphus schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass es Bella interessiert, was ich für Präferenzen habe. Wenn du mich fragst, fehlt ihr einfach nur die Geduld, sich mit einem Berg voller Haarnadeln herumzuärgern.“   Andromeda kicherte leise. Diesen Gedanken konnte sie nachvollziehen. Ihre Schwester war stark, sie scheute keine Herausforderung und setzte ihren Willen immer durch, aber stundenlang vor einem Spiegel auszuharren, hätte sie als pure Zeitverschwendung abgetan. Bella wollte lieber diskutieren. Sie wollte hinaus in die Welt und etwas ändern. Bevorzugt natürlich in ihrem eigenen Sinne. Was Andere dabei dachten, interessierte sie nicht. „Sie führt gerade wieder eine politische Debatte, oder?“, fragte Andromeda und war fast ein bisschen neidisch auf Bellatrix. Wie gerne wäre sie auch einfach von Gast zu Gast gegangen und hätte über dieses und jenes gesprochen, ganz ohne die grässlichen Hintergedanken, die sie ob ihrer anstehenden Verlobung hegen musste.   Neben ihr seufzte Rodolphus schwer. „Es ist keine Debatte“, verbesserte er sie, „Wäre es eine, gäbe es mehr als nur eine Meinung.“   Er sprach nicht weiter, doch Andromeda verstand ihn auch so. Manchmal, wenn Bella in Fahrt war, war es schwer, ihr etwas entgegenzusetzen. „Worüber habt ihr denn gesprochen?“, fragte sie verständnisvoll und einen Moment lang schien er darüber nachzudenken, ob er es wirklich erzählen wollte.   Schließlich verschränkte er die Arme vor der Brust. „Es ging um die Frage, ob man Hogwarts verbieten sollte, Muggelgeborene aufzunehmen“, erklärte er, „Bella meint, eine solche Regelung würde der Gesellschaft gut tun, da sie schädliche Einflüsse eliminiert, noch bevor sie uns gefährlich werden können.“   Andromeda legte den Kopf schief und pustete sich eine neue Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie hatte keine Ahnung, wo die schon wieder herkam, aber eigentlich interessierte es sie auch nicht. „Das kann ich mir vorstellen“, pflichtete sie Rodolphus bei, „Aber da gibt es ein Problem, nicht wahr?“   Er nickte. „Wenn die Muggelgeborenen nicht lernen, mit ihren Fähigkeiten umzugehen, hexen sie mit Pech unkontrolliert wie sie gerade wollen und schaden damit sich und uns.“   „Was mehr Schaden anrichtet, als wenn man die Kinder auf die Schule lässt und ihnen dort die Grundregeln beibringt“, ergänzte Andromeda und Rodolphus Miene hellte sich überraschend auf.   „Genau“, pflichtete er ihr bei, „Man sollte der Schule besser auftragen, ihnen zusätzlich magische Bräuche und Traditionen beizubringen, damit sie nach ihrem Abschluss sinnvolle Mitglieder unserer Gesellschaft werden und nicht entwurzelt zwischen zwei Welten pendeln, die sich eigentlich nicht mischen sollten.“   „Wenn man die Mischung beider Welten verhindern will, muss man außerdem dafür sorgen, dass es genug attraktive Alternativen gibt. Jemand, der hier glücklich ist, wird sich bei den Muggeln kaum etwas Neues suchen wollen.“   Rodolphus nickte ein weiteres Mal. „Ganz meine Meinung“, versicherte er. „Ehrlich gesagt, ich bin überrascht, Bella hat mir erzählt, dass du und Narcissa überhaupt keine Meinung zu solchen Themen habt.“   „Wir haben sehr wohl eine Meinung“, entgegnete Andromeda und fühlte sich weniger gekränkt, als sie es wohl hätte sein sollen, „Unsere Meinungen sind nur nicht immer mit der von Bellatrix identisch. Und du weißt ja, wie sie ist. Jede Meinung, die nicht ihre ist, ist in ihren Augen gar keine Meinung.“   „Vielleicht solltest du mir mehr über deine nicht vorhandene Meinung erzählen“, bat Rodolphus und Andromeda nickte angetan.   „Wenn du möchtest, werde ich das gerne tun.“  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)