Autumn Blue(s) von yamimaru ================================================================================ Kapitel 5: Tempus fugit – amor manet - Die Zeit vergeht - die Liebe bleibt (Teil 2) ----------------------------------------------------------------------------------- 14. Februar 2019 - auf einem Hausdach - Tokyo   „Glaubst du, wir haben alles?“ Aoi lief nun bereits zum fünften Mal um die Picknickdecke herum, die wir an einem windgeschützten Fleckchen auf dem Flachdach unseres Appartementblocks ausgebreitet hatten und auf der sich alles tummelte, was ich heute für den Valentinstag besorgt hatte. Jetzt würde ich also doch noch zu meinem Picknick mit meinen Liebsten kommen, auch wenn der Anlass ein etwas anderer sein würde, als ich es geplant hatte. Aber je länger ich Zeit hatte, mir Gedanken über Aois Vorhaben zu machen, umso mehr freute ich mich für die beiden und desto glücklicher war ich darüber, dass mein Liebster mich nicht nur wie selbstverständlich dabei haben wollte, sondern vielmehr darauf bestanden hatte. Ich lächelte und schnaubte leise, als ich ihn noch einen Moment länger beim nervösen Hin- und Herlaufen betrachtete, bis es mir doch zu viel wurde und ich ihn einfach um die Taille fasste, als er das nächste Mal an mir vorbeikam.    „Ja, Schatz. Wir haben alles, genau wie beim ersten Mal, als du mich das gefragt hast.“ Ich küsste seinen Nacken und zog ihn näher gegen mich. „Du läufst noch einen Graben in den Beton, wenn du so weitermachst.“   „Wo bleibt er denn?“   „Du kennst ihn doch …“ Ich hatte noch weiterreden wollen, aber genau in dem Moment quakte mein Handy laut und aufgebracht und als ich unnötigerweise aufs Display schaute, leuchteten mir die Worte ‚Ducky ruft an‘ entgegen. „Ruha?“, meldete ich mich und bekam das vorfreudige Grinsen kaum unter Kontrolle, was sich soeben auf meine Lippen geschlichen hatte.   „Da bin ich einmal pünktlich und ihr seid nicht da“, nörgelte es mir entgegen und ich riskierte einen flüchtigen Seitenblick auf meine Armbanduhr, was mein Schmunzeln nur noch weiter werden ließ.   „Es ist viertel nach zwei, das ist nicht pünktlich, mein Schatz.“   „Alter Erbsenzähler“, grummelte er und ich hörte, wie er in der Wohnung auf und ab ging. „Jetzt sag schon, wo seid ihr?“   „Auf dem Dach.“   „Hä?“   „Wir sind auf dem Dach. Beeil dich lieber, der Champagner wird warm.“ Mit diesen Worten legte ich auf und gab Aoi, der sich während meines kurzen Telefonats aus meiner Umarmung gelöst hatte, um erneut wie ein eingesperrter Tiger auf und ab zu laufen, ein aufmunterndes Daumenhoch. Daraufhin wurde er allerdings nur noch blasser um die Nase, als er ohnehin schon die ganze Zeit über war, bevor er sich im nächsten Augenblick merklich am Riemen Riss, die Schultern straffte und ein fast schon ergeben wirkendes Lächeln auf seine Lippen zauberte.   „Mein Testament liegt in der zweiten Schublade vom Schreibtisch“, teilte er mir mit Grabesstimme mit. „Du weißt also Bescheid, wenn ich diesen irrsinnigen Plan aus irgendwelchen Gründen … du weißt schon, ein Herzinfarkt oder so … nicht überleben sollte.“   „Weichei“, neckte ich ihn, im Versuch seine Anspannung ein wenig zu zerstreuen, trat noch einmal an ihn heran und küsste ihn für einen langen Moment. „Du hast schon ganz andere Herausforderungen gemeistert, Blue, das kriegst du jetzt auch noch hin.“   „Hab ich das, ja?“ Nachdenklich legte sich seine Stirn in Falten, bevor er mich nach einigen Sekunden verschmitzt anlächelte und weitersprach. „Dich dazu gebracht, aus deinem kleinen Kabuff auszuziehen, zum Beispiel?“   „He~!“, entrüstete ich mich, „das war mein Junggesellen-Hauptquartier.“    „Junggesellen-Hauptquartier, na klar.“ Aois Augenbraue wanderte ein ganzes Stück nach oben und zeigte mir so überdeutlich, was er von dieser Bezeichnung hielt. „Ich bleib bei Kabuff und es war ein hartes Stück Arbeit, dich davon zu überzeugen, dass du es bei Uruha und mir viel schöner haben würdest.“ Er nickte bekräftigend, fuhr sich in einer mir nur allzu bekannten Geste durchs Haar und atmete tief durch. „Du hast recht … ich schaff das … glaub ich.“   „Sag ich doch.“ Ich verdrehte neckend die Augen. „Aber viel bedeutender, als mich aus meiner gemütlichen Wohnung zu vertreiben …“   „Also das ist jetzt aber unfair“, echauffierte sich mein Liebster, aber ich grinste nur und fuhr fort.   „… Ist doch, dass du unseren Uruha eingefangen und ihm gezeigt hast, dass es okay ist, geliebt zu werden.“   „Oh Reita.“ Für einen Moment wurde Aoi ganz still und erwiderte meinen Blick, bevor er seine Stirn sacht gegen meine lehnte. „Immer, wenn ich zu wissen glaube, was als Nächstes von dir kommt, sagst du sowas und wirfst mich damit vollkommen aus der Bahn.“ Ein kleiner Kuss folgte seinen Worten, auf die ich nicht wirklich etwas zu erwidern wusste.   „Ehm“, machte ich also leicht überrumpelt und versuchte auf die Schnelle herauszubekommen, ob ich mal wieder irgendwas Dummes gesagt hatte. Passierte mir ja öfter mal und vielleicht sollte ich doch endlich lernen, erst zu denken und dann zu reden. „Tut …“, setzte ich an, aber Aoi schüttelte nur noch immer lächelnd den Kopf und legte mir seinen Zeigefinger auf die Lippen.   „Danke, Rei.“   Im selben Moment, als ich trotz der zarten Berührung seines Fingers den Mund geöffnet hatte, um ihm zu sagen, dass er sich nun wirklich nicht bei mir bedanken musste – denn was hatte ich schon großartig getan? – ging in unmittelbarer Nähe die Tür zum Dach auf und Uruha streckte seinen Kopf hindurch.   „Da seid ihr ja“, stellte er lächelnd fest und trat, gefolgt von einer Wolke roter Herzluftballons, ins Freie. „Ich weiß jetzt übrigens, was ich vergessen habe.“ Sein Lächeln wurde schief und er zwinkerte mir zu, währenddessen ich mich tatsächlich für einige lange Sekunden nur eines fragen konnte: Wie um Himmelswillen war er mit all den Ballons durchs Treppenhaus gekommen?   ~*~   Wir hatten uns das Picknick schmecken lassen und auch wenn Aoi etwas stiller war als sonst und ganz offensichtlich keinen übermäßigen Appetit zu haben schien, hatte ich den Eindruck, als würde Uruha nicht bemerken, dass was im Busch war. Bis er sich irgendwann zu mir herumdrehte und mir leicht gegen den Oberarm boxte.   „Raus mit der Sprache!“   „Hä?“ Überrumpelt blinzelte ich ihn an und schluckte erst einmal die Erdbeere herunter, die es sich soeben zur Aufgabe gemacht hatte, meine Lebensspanne signifikant zu verkürzen. Tod durch Ersticken und das am Valentinstag, ging doch nicht theatralischer oder? „Was denn?“, röchelte ich zur Untermalung meiner Ahnungslosigkeit und sah wohl jämmerlich genug aus, sodass sich mein Süßer doch tatsächlich dazu hinreißen ließ, mir sacht auf den Rücken zu klopfen.   „Ich meine die Blicke, die Aoi und du euch ständig zuwerft, irgendwas heckt ihr doch aus.“   Ich schaute erst Uruha, dann Aoi an und wusste um ehrlich zu sein nicht, was ich darauf nun hätte antworten sollen. War schließlich nicht an mir, mit der Sprache herauszurücken. Aoi war merklich blasser geworden, hatte aber dieses entschlossene Funkeln in den Augen, das mich unter anderen Umständen immer ganz nervös machte. Auf eine sehr, sehr gute Art und Weise.   „Uruha“, fing er an und ich hatte das unbestimmte Gefühl, nun ganz dringend Chips oder Popcorn zu brauchen, um die beinahe unerträgliche Spannung, die sich binnen Sekunden in mir aufgebaut hatte, durch lautes Kauen abbauen zu können.   Minuten verstrichen, in denen ich zu meiner Schande gestehen musste, dass ich kaum etwas von Aois Antrag mitbekam. Zumindest nicht die Worte, denn ich war viel zu beschäftigt damit, die Gesichtszüge meiner beiden Liebsten zu studieren. Meine Finger glitten nervös an der Halskette entlang, die Uruha mir vorhin stolz wie Oskar zum Valentinstag geschenkt hatte und die in einem hübschen Medaillon ein Bild von uns Dreien verbarg.   In diesem Augenblick ergriff Aoi die Hand meines besten Freundes und ich schloss meine Finger so fest um das Schmuckstück, innerlich hoffend und bangend, dass alles gutgehen würde, dass sich später vermutlich rote Abdrücke auf meiner Haut abzeichnen würden. Verdammte Nervosität. Spätestens jetzt konnte ich noch besser verstehen, wie mein armer Aoi sich den ganzen Tag über gefühlt haben musste. Ich erwischte mich dabei, wie ich auf meiner Unterlippe herumkaute, so angespannt war ich mittlerweile. Hoffentlich ging jetzt alles gut.   Uruha konnte irrational handeln, wenn er sich in die Enge getrieben fühlte, was ganz sicherlich mit ein Grund für die knochentiefe Aufregung und Angst meines Liebsten gewesen war. Ich konnte Aoi absolut verstehen, ganz ehrlich, hatte ich diese Reaktion meines besten Freundes doch schon hautnah miterlebt, als er vor so vielen Jahren mitten in der Nacht vor meiner Wohnung gestanden und beinahe schmerzhaft überfordert von der Tatsache gewesen war, dass Aoi wirkliche Gefühle für ihn empfand.   Ich schluckte und versuchte Uruhas panischen Blick von damals aus meiner Erinnerung zu vertreiben, als Aoi genau in diesem Moment eine schwarze Schmuckschatulle aus der Innentasche seiner Jacke zauberte und sie unserem Süßen entgegenhielt. Mein Atem stockte und ich konnte den Blick nicht von den beiden Männern vor mir nehmen.   „Willst du mein Mann werden?“   Uruha versteifte sich merklich und presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie nur noch zwei schmale, weiße Striche waren. Innerlich feuerte ich ihn an und sagte ihm mental noch einmal all die Dinge, die ich ihm auch schon vor so vielen Jahren erzählt hatte.   „Du verdienst es, glücklich zu sein“, wisperte ich so leise, dass ich nicht gedacht hätte, er hätte meine Worte gehört, aber plötzlich konnte ich in seine geweiteten Augen  blicken, in denen sich die Fassungslosigkeit nur zu deutlich abzeichnete. Ich lächelte und hätte ihn am liebsten in meine Arme gezogen, aber stattdessen nickte ich nur sacht. Einen langen Moment sahen wir uns an, bis auch er kaum merklich nickte und sich wieder Aoi zuwandte.   „Ja“, sagte er mit kratziger Stimme und nach einem tiefen Atemzug noch einmal, diesmal deutlich lauter, bevor er unserem Liebsten erleichtert lachend um den Hals fiel. „Ja, will ich.“   „Halleluja! Braucht noch jemand einen Schnaps?“ Ich grinste frech, als mich Uruhas entrüsteter Blick traf und streckte ihm die Zunge heraus, einfach, weil ich so unendlich erleichtert war.   „Banause“, grummelte er, nicht ganz ernst gemeint, und streckte einen Arm nach mir aus. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen und fand mich keine Sekunde später von meinen beiden Männern umarmt wieder. Und nein, ich will jetzt keine Kommentare übers Gruppenkuscheln hören, okay? Nach so einem nervenaufreibenden Tag hatten wir uns diese kleine Zuneigung ja wohl alle drei mehr als verdient.   „Ich liebe euch“, nuschelte ich gegen Uruhas Schulter und spürte keinen Moment später Aois Lippen hauchzart an meinem Ohr.   „Wir dich auch, Reita, wir dich auch.“   ~*~   Langsam verschwand die Sonne hinter den Hausdächern der Großstadt und tauchte die Schleierwolken am dunkler werdenden Himmel in sanfte Pastelltöne. Ich folgte den Rauchkräuseln meiner Zigarette mit den Augen, wie sie träge nach oben stiegen und mein leises, zufriedenes Seufzen mit sich nahmen. Auf dem gegenüberliegenden Hausdach versammelte sich gerade eine Schar Spatzen, zwitscherte lautstark durcheinander, bis die kleinen Vögel einem unhörbaren Signal folgend gemeinsam in die Luft stiegen, um sich wohl einen geschützten Schlafplatz zu suchen. Ich lächelte und blickte der erstaunlich geordneten Formation nach, als mir das altbekannte Kratzen der Schiebetür zeigte, dass ich nicht mehr allein auf unserem Balkon war.   „Hey.“ Uruhas lange Arme schlangen sich um meine Mitte und erst, als sich der warme Körper meines Süßen gegen meinen Rücken presste, fiel mir auf, wie kühl es mittlerweile geworden war. Eine dicke Gänsehaut suchte sich ihren Weg über meinen gesamten Körper, während ich die Zigarette im Aschenbecher neben mir auf dem kleinen Klapptisch ausdrückte und die Arme vor dem Bauch verschränkte, um gleichzeitig Uruhas Hände in meine zu nehmen.   „Selber hey“, schmunzelte ich und blickte über die Schulter nach hinten. Uruha senkte den Kopf und ich konnte nicht anders, als leise, aber deutlich genießend zu brummen, als ich seine weichen Lippen an meinem Hals spürte. „Hast du etwa Sehnsucht nach mir?“   „Das; und ich wollte sicherstellen, dass du noch nicht erfroren bist.“   Ich erschauerte wohlig, als mich sein warmer Atem kitzelte und mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen lehnte ich mich stärker gegen ihn.   „Ach Quatsch, so kalt ist es doch gar nicht.“   „Nee, natürlich ist es das nicht. Und darum fühlen sich deine Finger auch wie Eiszapfen an.“ Er umarmte mich nur noch fester. „Aoi ist auf dem Sofa eingeschlafen.“   Ich schnaubte belustigt und konnte aus Uruhas Worten das liebevolle Lächeln heraushören, das nun auch seine Lippen zierte.   „Kein Wunder, so angespannt wie er den ganzen Tag über war“, meinte ich mitfühlend und sah wieder Aois dunkle Augen vor mir, aus denen mich seine Angst und Nervosität regelrecht angesprungen hatten. Sacht schüttelte ich den Kopf, hob Uruhas linke Hand an und betrachtete den schlichten Ring, der seinen Finger zierte. „Ich freu mich so für euch, Ruha.“ Langsam führte ich seine Hand zu meinen Lippen und drückte einen langen Kuss auf das silberne Band.   „Ehrlich?“ Uruha senkte den Kopf und legte sein Kinn auf meiner Schulter ab. „Ist das für dich wirklich in Ordnung?“   Ich ließ seine Hände los und drehte mich im Kreise seiner Arme herum, bis ich beide Hände an seine Schultern legen und ihm in die Augen sehen konnte. Lächelnd strich ich ihm durch die Haare, die der aufziehende Ostwind frech in seine Stirn wehte und nickte bekräftigend.   „Ja, Ducky, es ist mehr als nur in Ordnung für mich. Ich freue mich wirklich unheimlich für euch und …“ Ich schmunzelte etwas verlegen und zuckte mit den Schultern. „Wie ich auf dem Dach schon gesagt habe, du hast es verdient, glücklich zu sein und ich glaube fest daran, dass es für Aoi und dich einfach die richtige Zeit ist, um den nächsten Schritt zu tun.“ Uruha blinzelte, senkte für einen Moment den Kopf und als er mich wieder ansah, glänzten seine Augen verräterisch.   „Danke“, wisperte er und fing meine Lippen für einen langen, unendlich liebevollen Kuss ein. „Ich würde dich übrigens auch vom Fleck weg heiraten.“   Blinzelnd erwiderte ich seinen Blick, noch zu sehr in dem angenehmen Gefühl seiner Lippen auf den meinen gefangen, um überhaupt irgendwie reagieren zu können. Ich leckte mir über die prickelnde Unterlippe und schüttelte dann, ziemlich verspätet, aber nicht minder energisch, den Kopf.   „Lass mal.“   „Hey, warum denn? So eine Dreier-Hochzeit wäre doch spitze, hat auch nicht jeder.“   „Na klar. Und das hat auch gar nichts damit zu tun, dass du Aois überaus liebenswürdigem Onkel nicht auf jede erdenkliche Art und Weise eins auswischen willst?“   „Als ob der das nicht verdient hätte.“ Uruha verzog das Gesicht, wurde aber im nächsten Moment wieder ernst. „Ich meine das wirklich so, Rei. Du gehörst zu mir, zu Aoi, wir gehören einfach zusammen und ich will nicht, dass …“   „Ruha …“ Lächelnd schüttelte ich den Kopf und streichelte ihm über die Wange. „Ich weiß, was du meinst. Sag mir das in ein paar Jahren nochmal und ich werde der glücklichste Mann auf der Welt sein. Aber das hier …“ Damit machte ich eine vage Handbewegung in Richtung Wohnzimmer und dem Mann, der auf dem Sofa friedlich schlummerte, „… ist nur für euch beide.“ Einen langen Moment blickte ich ihm in die schönen Augen, bevor ich erneut im Gefühl seiner Lippen versank.   Wie lange wir hier so standen, uns küssten und Zärtlichkeiten austauschten, wusste ich nicht, aber als ich meine Augen nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete, war auch die letzte natürliche Helligkeit am Horizont verschwunden und durch das grünliche Leuchten der Lichtimmissionen Tokyos ersetzt worden.   „Außerdem …“, ergriff ich schließlich das Wort, als sich Uruha von mir löste, um den Reißverschluss seiner Kapuzenjacke fröstelnd zuzuziehen, „… mag ich mein Junggesellendasein.“   „Bitte was?“ Empört blies mein Gegenüber die Wangen auf, worauf ich ihm nur frech die Zunge herausstreckte und mich unter seinen Armen hindurch duckte, um im Wohnzimmer Schutz vor seiner Rache zu suchen. „Na warte, du!“   ~*~   02. Juni 2019 - Präfektur Kanagawa - im Garten von Reitas Elternhaus     „Bist du wirklich glücklich, mein Junge?“   Die Stimme meiner Mutter riss mich so erbarmungslos aus meinen verträumten Gedanken, dass ich sie für einen langen Moment nur verdutzt ansehen konnte.   „Ehm … Ja, warum sollte ich das denn nicht sein?“ Ich verstand gerade wirklich nicht, wo dieser Schimmer der Besorgnis plötzlich herkam, den ich in ihren Augen erkennen konnte. Sah ich etwa unglücklich aus oder wie kam sie auf diese Frage?   „Tut mir leid, Schatz. Ich wollte dich nicht irritieren. Ich dachte nur … Die Verlobung, die ganzen Veränderungen, die bei euch Dreien in nächster Zeit ins Haus stehen …“ Sie lächelte mich an und strich mir durchs Haar, als wäre ich noch immer der kleine Junge, der vor so vielen Jahren mit angeknackstem Arm und tierischen Schmerzen vom Fußballplatz nach Hause gekommen, aber zu stolz zum Weinen gewesen war. Ich lachte kurz, nicht, weil ich ihre Worte oder Geste sonderlich amüsant fand, sondern eher als Zeichen meiner anhaltenden Verunsicherung. Immer, wenn ich dachte, ich hätte die Tatsache, dass Uruha und Aoi heiraten würden, verdaut und der Gedanke an die Hochzeit würde endlich keine Zweifel in mir mehr auslösen, schaffte es irgendwer aus meinem Umfeld, sie wieder aufleben zu lassen.   „Ach, Ma …“, seufzte ich langgezogen und schloss für einen Moment die Augen. „Ich bin glücklich. Sieh dir die beiden doch an.“ Ich lächelte, als ich den Blick wieder auf meine zwei Lieblingsmenschen richtete. „Wie könnte ich mit ihnen an meiner Seite nicht glücklich sein?“   „Aber?“ Ihre Stimme war leise, einfühlsam und hatte mich schon früher immer dazu gebracht, ihr mein Herz auszuschütten. Meine Mutter hatte schon immer die göttliche Gabe besessen, mir all meine Sorgen zu entlocken, auch wenn ich sie lieber mit mir selbst ausgemacht hätte. Ob dies nun Fluch oder eher Segen war, hatte ich bis heute nicht herausfinden können, aber funktionieren tat es noch immer und würde es vermutlich auch immer, egal wie alt ich wurde. Ich schüttelte den Kopf und schwieg einige lange Minuten, in denen sie einfach nur geduldig und verständnisvoll neben mir saß, ohne mich zu einer Antwort zu drängen.   „Ich weiß, wie dumm das ist, aber manchmal fühle ich mich, als würde ich die beiden verlieren. Als würde ich irgendwann nicht mehr mithalten können, verstehst du, was ich meine?“   „Gefühle sind nie dumm, mein Schatz. Irrational manchmal, aber nie dumm. Das einzige, was unklug ist, ist Schweigen.“   Ich hob eine Augenbraue und konnte mir aufgrund der beinahe poetischen Qualität ihrer Worte ein Schmunzeln nicht verkneifen.   „Du meinst also, ich sollte mit ihnen darüber reden?“   Meine Mutter nickte nur und schaute dann wieder zu Aoi und Uruha hinüber.   „Aber wie könnte ich sie mit diesen dämlichen Unsicherheiten ausgerechnet jetzt vor ihrer Hochzeit belasten?“, murmelte ich leise und unterdrückte ein Seufzen. „Das ist alles so dumm, ich weiß doch, dass sich zwischen uns deswegen nichts ändern wird, das haben sie mir doch auch oft genug gesagt und bewiesen, und trotzdem lässt mich diese Angst nicht los.“ Jetzt entkam mir doch das Seufzen, das ich mir eben noch verkniffen hatte und ich verbarg mein Gesicht für einen langen Moment hinter meinen Händen. „Du kennst Uruha und du weißt, wie er ist. Er würde doch sofort alles absagen, wenn er Wind davon bekommen würde. Das kann ich weder Aoi noch ihm selbst antun.“   „Du wolltest ihn schon als Kind immer vor allem beschützen.“ Meine Ma lächelte mich an und strich mir durchs Haar. „Dabei übersiehst du, wie stark er wirklich ist. Die beiden haben verdient, dass du ehrlich mit ihnen bist. Auf lange Sicht kann eure Beziehung nur funktionieren, wenn ihr offen auch über Dinge sprechen könnt, die euch schwerfallen.“   „Das weiß ich doch, Mama.“ Ich rieb mir über die Nasenwurzel, um die sich anbahnenden Kopfschmerzen vielleicht doch noch im Zaum zu halten. „Aber das ist alles nicht so einfach.“   „Das hab ich auch nie behauptet, mein Schatz.“   „Megumi, Liebling, kannst du mir schnell helfen?“ Tomo winkte in unsere Richtung und meine Ma blickte mich für einen langen Moment aus ihren weisen Augen an, bevor sie sich erhob.   „Du musst nicht immer alles mit dir selbst ausmachen, mh?“   Ich nickte, auch wenn mir gerade wieder so viel im Kopf umherging, dass ich keinen Gedanken wirklich fassen konnte. Ich sah ihr nach, wie sie auf Tomo zuging, ihr einen kleinen Kuss auf die Lippen drückte und dann mit ihr im Haus verschwand. Sie hatte recht, das wusste ich, was es mir aber dennoch nicht leichter machte. Ja, ich wollte Uruha beschützen, wollte nur das Beste für Aoi und ihn und würde es mir nie verzeihen, wenn ich schuld daran sein würde, dass sie ihre Hochzeit absagten, nur weil mich diese nervenden Zweifel ständig aufs Neue einholten.   //Oder dir von anderen eingeredet werden …//, dachte ich grimmig und erinnerte mich an all die besorgten oder mitleidigen Blicke zurück, die ich immer dann erhielt, wenn die Hochzeit zur Sprache kam. //Als würden Aoi und Uruha dich sitzenlassen, sobald sie einen Ring am Finger hatten.“ Meine Zähne knirschten, so fest presste ich die Kiefer aufeinander. Warum musste auch wirklich jeder eine Meinung zu dieser Hochzeit haben? Warum wurde uns ständig unterstellt, dass unsere Beziehung zum Scheitern verurteilt war? Als würden Uruha, Aoi und ich selbst nicht am besten wissen, was gut für uns war. Das war alles so unfair.   Ich hob den Kopf, als ich Akemis begeistertes Kreischen hörte und musste trotz meiner trüben Gedanken grinsen. Uruha saß mit der Kleinen auf dem Schoß auf dem Rasen und half ihr den weichen Stoffball zu fangen, den Aoi ihr aus gefühlten fünf Zentimetern Entfernung in die Händchen warf. Wieder lehnte ich mich zurück und steckte mir eine Zigarette an, während meine Augen regelrecht an dem harmonischen Bild hängen blieben, welches meine beiden Männer und das kleine Mädchen abgaben. Ganz so, als hätte Aoi meinen Blick bemerkt, richtete sich seine Aufmerksamkeit keine Sekunde später auf mich.   „Magst du nicht zu uns kommen, statt so ganz allein ab vom Schuss auf der Bank zu sitzen?“   „Deine Art zu Flirten war auch schon mal besser, mein Lieber“, erwiderte ich mit einem frechen Schmunzeln auf den Lippen und hielt dann vielsagend meine dampfende Kippe hoch, während nun auch meine Nichte ihre Patschehändchen auffordernd in meine Richtung streckte, ganz so, als würde sie auch wollen, dass ich zu ihr komme. „Schon gut, ich komm gleich zu euch.“ Ich lachte leise in mich hinein. Diese eine Zigarette Auszeit würde ich mir noch gönnen, um meine Gedanken zu sortieren und dann würde mich nichts mehr davon abhalten, den Nachmittag mit meiner Familie und meinen Liebsten in vollen Zügen zu genießen.     -_-_-_-_-_   Hallo ihr Lieben, hier nun Teil zwei vom vierten Kapitel und sogar wie versprochen noch vor meinem Kurzurlaub. Ich hoffe, er gefällt euch und Feedback wäre wie immer sehr gerne gesehen. ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)