Forced Fortune (Oneshot) von Elnaro ================================================================================ Kapitel 1: ----------- "Glück ist kein Zufall, oder hat etwas mit Schicksal zu tun. Glück ist eine Entscheidung", pflegte mein Vater zu sagen, wenn ich traurig war oder dachte ich wäre einer Situation hilflos ausgeliefert. Ich fand das immer ein wenig merkwürdig, doch half es mir und wurde zu meinem Lebensmotto. Ich war stets hilfsbereit und ging offen auf Menschen zu, ließ aber niemals jemanden näher an mich heran. Ich hielt meine ausgeglichene Zufriedenheit für Glück, doch das änderte sich, als ein Mann in mein Leben trat, der alles durcheinander brachte... "Hat einer von euch die andere blaue Sandale gesehen, die zu der hier gehört?", fragte ich widerhallend in den großen Raum hinein, den Schuh zur Anschauung am Finger baumelnd, vor mich haltend. Ich war allein mit meinem Chef, dem stellvertretenden Geschäftsführer des „Sozial Orientierten Lebenshilfe Vereins“, kurz gesagt dem SOLV und Sarina, seiner ehrenamtlichen Mitarbeiterin, die mich angeworben hatte. Nach einer kurzen Suche, wurde mein Chef, der den klangvollen Namen Robert-Valentin Lucard trug, fündig. Er warf mir den Schuh, mit dem Hinweis "Hier", so geschwind zu, dass ich Mühe hatte ihn noch rechtzeitig aufzufangen, bevor er mich damit traf. "Heeey!", protestierte ich unüberlegt ausgelassen. Ich war froh, dass er mir diesen lockeren Ausruf nicht übel nahm. Sein anfängliches Grinsen formte sich sogar zu einem Lachen, in das Sari und schließlich ich, etwas schüchterner als sie vielleicht, einstimmten. „Endlich lachst du mal, Rova!“, rief die junger Frau an meiner Seite freudig und ließ dabei ihre wundervollen, blonden Locken hüpfen. Sie stand auf ihn, das war eindeutig, so hypnotisiert sie von ihm war, dabei schätzte ich ihn auf locker zehn Jahre älter, als sie und mich. Ich war schon seit zwei Monaten beim SOLV, doch hatte ich noch keine Gelegenheit den faszinierend anzusehenden Rova, so wie ihn hier alle nannten, etwas näher kennen zu lernen. Sein goldenes Haar und die dazu passenden gelbgolden, hervorstechenden Augen unterstrichen seine zarten Gesichtszüge. Heute war er leger in ein blaues Shirt mit Knopfleiste gekleidet, aber manchmal, wenn er gerade auf dem Sprung war, trug er auch schicke Anzüge, die ihm sehr gut zu Gesicht standen. Bisher hatte er auf mich wie einer dieser unnahbaren Menschen aus der High Society gewirkt, die man nur von weitem betrachtete, sie aber nicht ansprach. Seine bloße Anwesenheit schüchterte mich ein. Die Sommerzeit war angebrochen, ich hatte alle meine Abschlussprüfungen im Fachabitur erfolgreich absolviert und die meisten Vereinsmitglieder waren im Urlaub. Nur wir drei saßen gemeinsam an einer langen Tischreihe und sortierten Kleiderspenden. Wir befanden uns im größten Raum einer Jugendstilvilla, die als Hauptsitz des Vereins fungierte. Hinter jedem von uns lag ein unsortierter Berg Kleidung und auf die Tische vor uns legten wir die brauchbaren Kleidungsstücke geordnet zusammen. Auch wenn diese in eine Wäscherei gebracht werde würden, war ich äußerst sorgfältig bei der Sache. „Wie lief es gestern bei der Blutspendenaktion auf dem Markt?“, erkundigte sich Rova freundlich zu mir funkelnd, worauf ihm allerdings Sari und nicht ich ausführlich Bericht erstattete. Er sah weiterhin ab und an zu mir, doch ich hatte kaum Ergänzungen beizutragen, war ich doch das erste mal dabei gewesen. Was hätte ich ihm also sagen sollen? Ohne Vorwarnung stand Sari irgendwann auf und verließ den Raum, was Rova zum Anlass nahm sich direkt neben mich zu setzen. Er machte mich mehr als nur etwas nervös mit seiner aufrechten Haltung und seinem charmanten Lächeln. Zudem war es mir nicht möglich auszublenden, dass er mein Chef war. Wir beide sortierten weiter, ich allerdings sehr viel unkonzentrierter als zuvor, während er mir schmunzelnd erzählte: „Beim SOLV arbeiten viel mehr Leute, als du bisher kennen gelernt hast, tja und nun sitzen wir hier nur noch zu zweit.“ Ganz genau das war es auch, womit ich nicht umzugehen wusste. Ich war kein dummes Girly, das sich von einem hübschen Mann beeindrucken ließ. Es war etwas anderes, das er ausstrahlte und das mein Herz völlig ungewollt berührte. Er brachte mir eine Zärtlichkeit entgegen, die ich nicht gewohnt war, weder aus dem Freundeskreis, noch dem Elternhaus. Gerade, als ich mir versuchte eine angemessene Reaktion auszudenken, erlöste er mich und zauberte aus dem Kleiderstapel hinter sich ein weißes, kurzes Spitzenkleid mit schwarzen Verzierungen und Schleifchen hervor, hielt inne, um es zu betrachten und es dann mit ausgestreckten Armen zwischen sich und mich zu halten. "Wie schön", kommentierte ich von mir selbst überrascht. "Nicht wahr? Probier es doch einfach mal an, Lyz!", wies er, wie immer schmunzelnd, an. Es stimmte zwar, dass mir das Kleid gefiel, doch ich fürchtete damit wie eine Lolita auszusehen, bin ich mit 1,62 m doch auch nicht allzu groß geraten. Trotzdem gelangte ich zu der Überzeugung, dass es mir nicht zustand, den Wunsch meines Chefs abzulehnen. Ich nahm das Kleid also an mich und ging damit zu den Toilettenräumen, in denen ich auch Sari vermutete, doch sie war gar nicht dort. Ich zog ich mich um, ging zu meiner Tasche, die ich an der Eingangstür abgestellt hatte und legte dort meine Jeans und mein Top ab, die ich bis eben noch trug. Die Tasche meiner Freundin war verschwunden, nur die von Rova stand da. Aus ihr ragte ein dunkelblauer, offener Metallkoffer heraus, in dem ich fünf oder sechs Einwegspritzen bemerkte. Verwirrt tat ich so, hätte ich sie nicht gesehen und ging zu ihm zurück. "Wow, das Kleid passt so perfekt, als sei es für dich geschneidert worden!", begrüßte er mich vor Freude strahlend, auf seine Ellenbogen über den Tisch zu mir gelehnt. Etwas ungläubig sah ich an mir herab. Es gab keine Spiegel im Bad, deshalb hatte ich mich selbst nicht betrachten können. Diese Modenschau war ziemlich peinlich, da er mich nun von oben bis unten musterte und dabei zufrieden drein blickte. Offenbar war er stolz es für mich gefunden zu haben. "Behalt es doch einfach! Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemandem besser stehen könnte, als dir", forderte er nun schmeichlerisch, worauf mein Herz bei diesem wunderbaren Kompliment einen kleinen Aussetzer machte. Ich behielt es, jedoch nicht ohne schlechtes Gewissen, da es doch eigentlich nicht für mich bestimmt war. Als ich aufstehen wollte, um mich wieder umzuziehen, bat er sichtlich erschüttert: „Lass es doch einfach an! Mir gefällt es.“ Also setzte ich mich wieder, jedoch nicht ohne das Gefühl zu haben, dass er sich aus irgendeinem Grund gut mit mir stellte. Ich fragte nun nach dem Verbleib von Sari, worauf er in völlig unbeschwerten Scherzen über ihre Zerstreutheit aufging, die er als Ursache erkannte. Ihn auf die Spritzen in seiner Tasche anzusprechen, brachte ich nicht fertig. Allein der Gedanke ihn damit zu konfrontieren, ließ es mir kalt den Rücken herunter laufen, so sehr ängstigte ich mich davor, auch wenn es vielleicht sogar eine völlig harmlose Erklärung dafür gab. Erst als ich zwei Tage später wieder im Hauptsitz auf meine Freundin Sari traf, stellte ich sie zu Rede wo sie abgeblieben war und sie erfand etwas über einen Notfall bei ihr zu Hause, der ihrer dringenden Anwesenheit bedurfte. Sie behauptete ihre jüngere Schwester habe ihren Hamster mit dem Staubsauger eingesaugt und traue sich nicht alleine ihn herauszuholen. Diese Art von fantasievollen Geschichten waren typisch für sie und da dies einer der Gründe war, warum ich sie so mochte, gab ich mich damit zufrieden. Eine andere Frage brannte mir nach dem Erlebnis mit meinem Chef viel dringlicher auf der Seele. "Wie lange kennen du und Rova euch eigentlich schon?", fragte ich, ohne meine offensichtliche Neugier zu verbergen. Sie antwortete frei heraus, wie sie es immer tat: "Eigentlich kenne ich ihn schon seit ich denken kann. Warum fragst du?" "Oh Sari, das ist mir etwas unangenehm. Glaub mir, wollte wirklich nicht schnüffeln, aber...naja, ich habe in seinen Sachen einige Einwegspritzen gesehen. Hat er irgendeine Krankheit, oder ist er vielleicht sogar…", stammelte ich verlegen, doch beenden konnte ich den Satz nicht. Sari war nicht sonderlich erfreut über mein Verhalten und erwiderte leicht verstimmt: „Darüber rede ich nicht. Geh, frag ihn selbst!“ Meine Freundin war mir keine große Hilfe und ich war nicht fähig meine aufsteigende Panik zu überwinden, wenn ich auf diesen Mann traf. Die Spritzen durften eigentlich nicht zum SOLV gehören, da wir andere Behälter dafür benutzten, das war mir inzwischen klar geworden, doch wenn er nicht krank sein sollte, dann musste er drogenabhängig sein. Das war meiner Kenntnis nach keine Seltenheit bei Männern seines Standes, um den Lasten der Arbeit und den Ansprüchen der Menschen gerecht werden zu können. Notgedrungen ließ ich die Sache auf sich beruhen. Rovas Kleid entwickelte sich indes, vollkommen unerwartet, zu meinem Lieblingskleidungsstück, auch wenn ich fand damit ein bisschen wie eine Gothic Lolita auszusehen. Der Gedanke mit meiner Kleidung bei den Menschen um mich herum anzuecken, bereitete mir allerdings Unbehagen. Ich wünschte mir eine Mischung aus Unauffällig- und Herzlichkeit auszustrahlen, etwas von dem ich dachte, dass es jeder mögen würde. Immerhin gefiel es Sari, was mir sehr wichtig war und auch mein Chef mochte es richtig gern, war er es doch von dem ich es hatte. Es wurde Herbst und ich trug das Kleid mit einer schwarzen Strumpfhose und einer schwarzen Strickjacke. Meine kastanienfarbenen, langen Haare gaben der Kombination zum Glück stets den nötigen Farbklecks. Sari beriet mich in Modeangelegenheiten, da ich davon keine Ahnung hatte. Gemeinsam mit ihr kaufte ich mir eine zu meinen Haaren passende Ledertasche und Lederschuhe und mein Selbstbewusstsein wuchs endlich etwas. Ich hatte viel Freizeit, da ich meine Prüfungen beendet hatte und auf den Studienbeginn im Oktober wartete. Obwohl ich in meiner Klasse beliebt war, hatte ich keine bleibenden Freundschaften geschlossen und fühlte mich einsam und leer, wenn ich nicht beim SOLV war. Ich beschloss dem Hauptsitz unangemeldet einen Besuch abzustatten. Man würde sich bestimmt über mich freuen und sich schon eine Aufgabe für mich finden lassen. Ich betrat, wie selbstverständlich, die alte Villa, doch ich traf niemanden an. So leer war alles gespenstisch und unbehaglich, was die herumstehenden alten Statuen und Wandmalereien noch verstärkten. Es war vollkommen still, nur die Dielen des alten Holzfußbodens knarzten viel lauter als sonst. Mich nun doch ein wenig wie ein Einbrecher fühlend, suchte ich alle unverschlossenen Räume im Erdgeschoss ab, um sicher zu gehen, ob nicht doch einer meiner Kollegen im Haus war. Außer leeren oder als Lager umfunktionierten Räumen, fand ich nichts. Es war nun nur noch eine Tür übrig, auf die ich vorsichtig zuging. Ich öffnete die große Holztür bedächtig und ein geräumiges Zimmer mit zugezogenen purpurfarbenen Vorhängen und einigen wenigen alten Möbeln, eröffnete sich vor mir. Ich sah angestrengt in den schummrig düsteren Raum hinein und erkannte Rovas golden schimmerndes Haar in den wenigen Lichtstrahlen. Er saß ganz allein auf einer verschlissenen, dunkelroten Couch, die mit dem Rücken zu mir stand. Ihn grüßend, ging ich ein Stück näher an ihn heran und bemerkte, dass er gerade dabei war, sich eine der Spritzen zu verabreichen, die ich zwei Monate zuvor entdeckt hatte. Er erschrak, zuckte zusammen und fluchte dann leise in sich hinein, was ich bei ihm noch niemals erlebt hatte. Ich dachte er hätte sich vielleicht mit der Nadel verletzt, doch kurz darauf begann er immer weiter in sich zusammen zu sinken, was auf etwas Schlimmeres hindeutete. Mich geschockt immerzu entschuldigend, lief ich zu ihm. Ich hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken, als ich vor ihn sprintete und ihn mit ganzer Kraft zurück auf die Couch schob, da er dabei war nach vorn umzukippen. Er war schwer, viel schwerer als ich gedacht hatte, denn sein Körper war völlig schlaff und er unterstützte mich kein bisschen. Nachdem ich ihn stabilisiert hatte, setzte mich neben ihn und fragte was los sei. „Sie war zu hoch..., die Dosis“, hauchte er mit dünner Stimme unter Schmerzen, die schlimmer zu werden schienen. Er war vollkommen in sich zusammengesunkenen und ich dachte darüber nach ihn in die stabile Seitenlage zu bringen, entschied mich dann aber dagegen. Immerhin hatte ich mich eben noch so sehr angestrengt ihn auf der Couch zu halten. Ich setzte mich neben ihn und legte seinen Kopf auf meine Beine, denn er war schon wieder im Begriff nach vorn zu kippen. Ich hoffte diese Position wäre in Ordnung für ihn, denn wo ich ihn da jetzt so liegen sah, war es mir plötzlich etwas unangenehm. "Es tut mir so Leid!", beteuerte ich nun erneut, denn ich gab ich mir die Schuld an alle dem. Ich strich ihm das bereits nassgeschwitzte goldene Haar aus seinem schmerzverzerrten und doch so hübschen Gesicht. Mein Blick fiel jedoch schnell auf meinen Zeigefinger, der von einer Wunde rot eingefärbt war. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, wann und wo ich mich verletzt haben konnte, wenngleich es genügend Möglichkeiten in diesem Haus gab. Gerade als ich meine Hand peinlich berührt von ihm nehmen wollte, öffnete Rova die Augen. Schwer atmend, packte er meine Handfläche und schob sie nach unten. An seinem Mund machte er Halt und umschloss meinen blutenden Finger mit seinen weichen Lippen, ganz so wie man es tut, wenn man sich geschnitten hat und nicht alles um sich herum beschmutzen möchte. Trotzdem war das hier anders. Ich kannte ihn kaum und diese Nähe war verwirrend. Perplex von seiner Reaktion, begann ich mich nur wieder zu entschuldigen. „Jetzt blute ich dich auch noch voll. Oh nein, es tut mir so Leid.“ Er reagierte gar nicht auf mich, doch entspannten sich sein Körper und auch seine Gesichtszüge bald merklich. Er starrte mich die ganze Zeit über an und ich blieb regungslos sitzen, auch wenn es mir enorm peinlich war und ich mich kaum traute zu atmen. Seine goldenen Augen funkelten mich an wie Sterne, was mir die Schamesröte ins Gesicht trieb. Ich wartete, bis er mir meinen Finger von sich aus wieder überließ, was einige Minuten dauerte. Endlich schloss er seine Augen und mein Geist driftete erleichtert davon. Was wusste ich überhaupt über diesen Mann, darüber hinaus, dass er stellvertretender Leiter des SOLV war? War er hier vollberuflich tätig, oder ging er noch einer anderen Arbeit nach? Wo wohnte er eigentlich? Hatte er eine Familie, eine Frau oder Freundin? In diesem Moment hoffe ich, dass er keine feste Partnerin hatte, denn ich wollte keinen Ärger mit ihr haben…, oder war es Eifersucht? Ich stellte mir vor was für eine kluge, erfolgreiche und schöne Frau sie sein musste, um zu ihm zu passen und dass ich ihr gegenüber mehr als durchschnittlich war. Dann kam mir Sari in den Sinn, die mit ihrer wunderbaren Art wohl auf jeden Fall gut genug für Rova wäre. Es dauerte eine viertel Stunde, die mir vorkam wie eine Ewigkeit, bis er mich erlöste und sich aus meinem Schoß erhob. Dann stand er ohne ein Wort auf, verschwand aus dem düsteren Zimmer und ließ mich allein zurück. Endlich konnte ich wieder frei atmen und mich auch wieder bewegen. Ich hoffte er hatte mein rotes Gesicht und meinen intensiven Herzschlag nicht bemerkt, denn er würde sie wahrscheinlich völlig falsch deuten…oder auch genau richtig? Ich war völlig durcheinander. Ich sank erleichtert zusammen und entdeckte zwischen seinem nun leeren Patz und der Armlehne, der abgenutzten Couch, die kleine dunkelblaue Metallbox, die ich schon einmal in seinen Sachen gesehen hatte. Dies begriff ich als einmalige Gelegenheit herauszufinden, was er sich spritzte, also rutschte ich verstohlen ein Stück an die Box heran und nahm eines der kleinen Fläschchen heraus. "Argentum Colloidale" war darauf zu lesen, doch da ich weder Lateinkenntnisse vorzuweisen, noch jemals von diesem Präparat gehört hatte, sagte mir das überhaupt nichts. Argentum klag wie etwas, das ich schon einmal im Chemieunterricht gehört hatte, aber es wollte mir einfach nicht einfallen. Ich stellte es hastig zurück und dabei kippte ein altes, einmal zusammengefaltetes Foto ins Boxinnere, das sorgfältig an der Seite platziert worden war. Neugierig stellte ich die Flasche zurück, nahm das Bild heraus und betrachtete es unter Zeitdruck, was im schummrigen Licht deutlich schwieriger war, als den klaren Flaschenaufdruck zu lesen. Ich hielt das Foto schräg, um möglichst viel von dem wenigen Licht im Raum aufzufangen, das von den Schlitzen in den Vorhängen stammte. Es war ein altes schwarzweißes oder eher braunweißes Familienfoto, so wie ich es von meiner Uroma kannte. Der Knick verlief genau durch die kleine Lücke zwischen dem schicken, wahrscheinlich blonden Ehepaar in der Mitte des Bildes. Links und rechts von ihnen befanden sich jeweils noch ein Paar und alle gemeinsam standen sie versammelt vor einem kleinen Treppenaufgang, der zu einer Flügelholztür führte. Ich staunte, denn jede einzelne Person auf dem Foto war außerordentlich schön. Als ich mir das Paar links im Bild anschaute, stockte mir jedoch der Atem. Der junge Mann sah genau so aus wie mein Chef, aber noch viel verstörender war seine Partnerin, die mir glich wie eine Zwillingsschwester. Mit einem bis zum Hals schlagenden Herzen, schreckte ich zusammen, als Rova, in frischer Kleidung, den Raum betrat. Ohne jede Spur seines so typischen Lächelns, kam er auf mich zu und fragte beunruhigt klingend: „Was hast du gesehen?“ „W-Was ist das für ein Zeug, das du dir da spritzt?“, stotterte ich ausweichend ängstlich, denn das war noch die harmloseste Frage, die mir kam. Sie ignorierend, kam er unvermittelt auf mich zu, um die Couch herum zum Medizinköfferchen, bemerkte das oben offen darauf liegende Familienfoto, klappte das Köfferchen zu und verschloss es mit einer kleinen Metallkappe. „Hast du dir dieses Foto angesehen?“, fragte er daraufhin nun unruhig, aber mit weicherer Stimme, denn immerhin stand er nun direkt vor mir. Ich glaube mein Gesichtsausdruck sagte ihm alles, was er wissen wollte, denn er erklärte: "Wundere dich nicht. Ich sehe meinem Großvater unglaublich ähnlich und du… du Lyz, siehst genau so aus wie seine Frau. Ehrlich gesagt ist mir das schon vor einiger Zeit aufgefallen. Ich hatte vor dir das Foto zu zeigen, aber ich habe nicht den geeigneten Augenblick dafür gefunden." Sichtlich erschöpft setzte er sich neben mich. Ich hätte schweigen sollen, da mir nichts Geeignetes einfiel was ich sagen konnte, doch bevor ich mich versah, kommentierte ich: "Daher kommt dein Interesse an mir also?" Ich hätte im Boden versinken können vor Scham für diese dumme Bemerkung, die nicht mehr als eine bloße Vermutung war. Um meine Dummheit zu überspielen, stand ich auf, machte einen Schritt von der Couch weg und eine heranwinkelnde Handbewegung. "Ach, heute kannst du nicht mehr arbeiten. Komm, ich begleite dich nach Hause, wo immer das ist! Oder willst du dich zur Sicherheit im Krankenhaus durchchecken lassen?" Ich zwang mich die Verunsicherung herunter zu schlucken und zu Lächeln. Ich hatte in meinem Leben gute Erfahrungen damit gesammelt meine eigenen Probleme beiseite zu schieben, denn so belastete ich niemanden. Er stimmte auf mein Lächeln ein, auch wenn es etwas melancholisch wirkte, als er mir antwortete: "Ich bin hier zu Hause, Lyz-" Damit hatte ich nicht gerechnet und prompt platze es aus mir heraus: "In dieser Bruchbude?", worauf ich mich direkt wieder entschuldigte, denn es verletzte ihn sichtlich. Oder hatte er erst nach meiner Entschuldigung so unzufrieden zu mir geblickt? Auf jeden Fall war ich mir sicher, dass mein Chef für heute genug von mir hatte, deshalb wollte ich mich am liebsten einfach in Luft auflösen. Ich machte erneut einen Schritt in Richtung Tür, verabschiedete mich und er hob die Hand zum Abschied. Noch im Gehen sah ich, wie er hinter mir wieder auf der Couch in sich zusammensank, was mir nun ein noch schlechteres Gewissen einbrachte. Auf der Straße angekommen drehte ich mich noch einmal zu dem der alten Villa mit den vielen gegipsten Rankenornamenten und Frauenfiguren an den Giebeln um und erkannte geschockt, dass das Familienfoto genau diesen Hauseingang zeigte. Rova hatte offensichtlich nicht gelogen, als er sagte, er wohne hier. Bei mir zu Hause angekommen, grübelte ich über das nach, was ich an diesem Tag erlebt hatte. Mit meinen Eltern sprach ich nicht über meine Probleme. Unsere Familie sah nach außen hin intakt aus, doch in Wahrheit herrschte hier immer eine unterkühlte Stimmung. Vaters Spruch vom Glück war meist alles, was er mir als Trost anbot, wenn es mir nicht gut ging. Aber das war schon immer so gewesen und ich wusste damit umzugehen. Da ich allerdings auch sonst keine richtigen Freundschaften pflegte, war Sari inzwischen der Mensch, dem ich am meisten anvertraute. Ich fragte mich, ob ich ihr eine Nachricht schreiben sollte, aber da es um Rova ging, den sie so anhimmelte, ließ ich es bleiben. Ich erinnerte mich an das Mittel, das er sich spritzte und googelte es auf meinem Handy. Ich fand heraus, dass "Argentum Colloidale", auch kolloidales Silber genannt, vor etwa einem Jahrhundert der Infektionsbekämpfung diente, als man noch keine wirksameren Mittel kannte. Es wird in der Heilmedizin deshalb heute nicht mehr eingesetzt. Wieso er es sich trotzdem verabreichte, konnte ich mir nur über alternativmedizinische Behandlungen erklären. Drogen waren es also schon mal nicht. Ich fragte mich trotzdem, ob es möglich war, sich ausversehen eine zu hohe Dosis zu spritzen. Ich hatte nicht viel Ahnung von Medizin, doch war ich der Meinung man bestimmt die Menge der Dosis, bevor man eine Spritze ansetzt. Es war also de facto unmöglich. Das alles ergab keinen Sinn und beschäftigte mich. Was hatte er nur für ein Geheimnis? Rova war ohne jeden Zweifel mysteriös und rückte noch stärker in den Fokus meiner Gedanken, als ohnehin schon. Immerzu dachte ich an das Funkeln seiner goldenen Augen, während er meinen Finger in seinem warmen Mund hatte und es verwirrte mich. Stand ich etwa auf ihn? So schöne und erfolgreiche Männer, wie er, waren doch überhaupt nicht meine Liga, deshalb war es auch vollkommen unnötig ihn gut zu finden. Trotz, dass mein Chef Rova in meinen Gedanken eine so große Rolle spielte, sah ich ihn in den Wochen darauf nicht sehr oft. Es waren flüchtige Begegnungen, die mir keine Möglichkeit ließen, mit ihm über das Erlebte zu sprechen. Ehrlich gesagt, erleichterte mich das sogar, denn ich empfand Unbehagen, wenn ich ihn sah. Leise Panik kroch in mir hoch, da ich auf mich selbst Druck ausübte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, das ich nicht führen können würde. Es war ein Dilemma, aus dem er mich erlöste, indem er mich in Ruhe ließ. Entweder nahm er Rücksicht, oder er war sauer auf mich. Kaum zwei Wochen danach war es soweit mich vom Verinsleben zu verabschieden. Ich hatte mich in einer Hochschule in der nächstgrößeren Stadt in den Studiengang „Soziale Arbeit“ eingeschrieben und mir bereits ein Zimmer im Studentenwohnheim besorgt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es mir gefallen würde, für das Ehrenamt jedes Mal mit dem Zug anzureisen. Meinen Austritt aus dem SOLV musste ich meinen Kollegen allerdings noch beibringen, denn bisher wusste nur der Geschäftsführer August Lucard Bescheid, dem ich meinen Austrittsantrag per E-Mail zukommen ließ. Interessant war, dass er den selben Nachnamen wie Rova trug, was mir vorher noch gar nicht aufgefallen war. Zudem fand ich es schon komisch, dass ich dem Geschäftsführer nicht ein einziges mal persönlich begegnete, doch wenn ich ehrlich war, kam mir das sogar entgegen, denn es war viel einfacher meine Entscheidung einem Unbekannten mitzuteilen. Im Monatsmeeting hatte ich mir einen Tagesordnungspunkt zuteilen lassen und das sollte schon verräterisch genug sein, um zu erraten, dass ich aufhören wollte. Diesmal waren zwölf Mitglieder anwesend, was nicht wenig war und ich fühlte mich unwohl bei dem Gedanken vor so vielen Menschen meine schlechte Nachricht vorzutragen. Wir alle saßen an diesem warmen Herbstabend zusammen an einer L-förmigen Tafel im Hauptraum des Jugendstilhauses. Wie so oft scherzte Sari mit zwei der jungen Männer herum. Alexander, der mit seinem Metallica T-Shirt und seinen schwarz gefärbten, langen Haaren wie ein Metal-Fan wirkte und der immerzu sportlich gekleidete Peter schienen beide sehr interessant an meiner immer gut gelaunten, entzückenden Freundin zu sein. „Magst du nun eher die süßen, oder die herben Geschmäcker?“, fragte einer der beiden Jungs fordernd und sie scherzte: „Nenee, da kann und will ich mich nicht festlegen. Jetzt guckt doch nicht so, ihr beiden!“ Von mir nahmen die beiden kaum Notiz. Die Eröffnung der Sitzung durch Rova verursachte eine sofortige, disziplinierte Stille im Raum. Als er an meinem Tagesordnungspunkt angelangte, lächelte er mir entspannt zu und fragte interessiert, was denn mein Anliegen sei. Es fiel mir schwer es auszusprechen, doch ich berichtete von meinen Zukunftsplänen außerhalb des Vereins und von meiner Idee den Cosmopolitan Club der Hochschule dabei zu unterstützen, ausländischen Studenten beim Einstieg zu helfen. Mein Chef saß an der anderen Seite der Tafel und damit am weitesten von mir entfernt, doch trotzdem sah ich deutlich wie der Glanz aus Seinen Augen verschwand und sein Lächeln versiegte. Vielleicht um mein Gesicht besser erkennen zu können, lehnte sich nach vorn auf seine Ellenbogen über den Tisch. "Was?! Du willst weiterziehen und mich hier zurück lassen, Lyz? Aber wieso? Du bist doch meine… beste Mitarbeiterin“, beteuerte er zwischen Bestürzung und Vorwurf schwankend. Die meisten anderen an der Tafel überraschte es nicht, aber er schüttelte nur verständnislos den Kopf. Es war ihm gelungen die von mir verdrängen Schuldgefühle anwachsen zu lassen. Etwas eingeschüchtert von ihm, versuchte ich mich zu erklären. "A-aber Rova, ich sagte doch schon, dass ich wegziehe, um zu studieren. Das hat doch nichts mit dem Verein zu tun. Ich mag euch alle sehr und bin total gern hier...gewesen." Seinen Blick von mir abwendend, lehnte er sich nun nach hinten an die kunstvoll verzierte Stuhllehne, verschränkte die Arme und murrte: "Kann ein anderer die letzten zwei Tagesordnungspunkte für mich durchgehen? Mir ist die Lust daran vergangen." Peter, der freundlicherweise schon seit einigen Minuten das Protokoll ausgesetzt hatte, übernahm die Leitung des Meetings, zog das Blatt, das vor Rova lag, zu sich und versuchte den Rest zu moderieren. Rova beteiligte sich nicht mehr an dem Gespräch, doch er platze mit einer verstimmten Aussage dazwischen: "Sagt mal, ihr habt das doch nicht etwa alle gewusst, weil ihr so gefasst bleibt? Warum sagt mir wieder keiner was? Ich bin euer Chef und erfahre alles erst als Letzter." Ich fand das ungerecht, denn ich hatte es doch erst so spät erzählen können, gerade weil ich alle so mochte. Besonders er und Sari lagen mir am Herzen, aber das kam bei ihm anscheinend ganz anders an. Ich wollte mich zur Wehr setzen, mich verteidigen, doch ich traute mich nicht. Sari sprang für mich in die Bresche und machte damit alles nur noch schlimmer. „Ich hab es auch nicht gewusst. Lyz hat es nicht nur dir verschwiegen, Rova“, rief sie aufgeregt. Ich redete mir ein, dass ich mir nichts vorzuwerfen hätte, dass sich das schlechte Gewissen verflüchtigen würde, sobald ich das Meeting hinter mir hatte. Mein Chef war der erste, der wutentbrannt aus dem Raum stürmte, ohne mich noch einmal anzusehen, oder sich von mir zu verabschieden. Er war überhaupt der einzige, der so eine große Sache daraus machte, denn alle anderen verabschiedeten sich nach und nach herzlich von mir. Ich bekam ein paar Wortfetzen mit, als zwei der Frauen miteinander flüsterten: „…er sollte dieses alte Kapitel endlich abschließen!“ und „…wenn es darum geht, fällt er zurück in alte Verhaltensmuster!“, was auch immer das bedeuten sollte. Sari meinte sie hätte auch gern früher von meinen Plänen gewusst, um eine kleine Abschiedsüberraschung vorbereiten zu können, aber das wollte ich ja gerade nicht. Ich wartete, bis kaum mehr jemand da war und ging im Haus auf die Suche nach Rova. So groß meine Scheu vor ihm auch war, ich konnte es nicht so enden lassen. Es war inzwischen dunkel geworden und ich ging zielstrebig durch das alte Haus, das in das schwache Licht von edel verzierten Wandleuchtern getaucht war, auf das Zimmer mit der einzelnen dunkelroten Couch zu, in dem er sich beim letzten mal aufhielt. Wie erwartet saß Rova, mit dem Rücken zu mir, auf der verschlissenen Couch, allein im Zimmer, dessen Tür er einladend für mich offen stehen gelassen hatte, ganz so als sei er der Hoffnung, ich würde noch einmal bei ihm vorbei schauen. Die purpurnen Vorhänge waren diesmal aufgezogen und der dunkle Nachthimmel war zu sehen, so düster war der Raum. Er bemerkte mein Eintreten, denn ich erwischte eine quietschende Diele, die mich verriet. Kurz nach der Tür blieb ich stehen, als er kühl fragte: "Hat es etwas mir zu tun, dass du gehen willst? Ich meine, es hätte doch auch andere Möglichkeiten gegeben. Du hättest SOLV Botschafterin an der Hochschule werden können und Spendenevents für uns organisieren. Wieso willst du gleich ganz aufhören und wieso redest du nicht vorher mit mir über deine Pläne? Dafür bin ich doch da, verdammt!" Erst nach seiner Anklage, drehte er sich zu mir um und fixierte mich. Seine Worte trafen mich direkt ins Herz und meine schlechte Vorahnung bestätigte sich, dass ich ihn verletzt hatte, denn das war nicht zu übersehen. Nichts, was ich sagen konnte, würde das wieder gut machen können. Ich stammelte schließlich: "Ich-ich weiß nicht. So habe ich das bisher noch gar nicht betrachtet." Er stand auf und ging auf mich zu, wurde dann aber etwas sanfter. "Weil dir die Weitsicht fehlt. Du bist eben noch sehr jung...oder hast du Geheimnisse vor mir? Hat es doch etwas mit mir zu tun und du willst es mir nur nicht sagen?" Wieder benutzte er diesen anklagenden Ton und diesmal kochte eine Antwort in mir hoch, die ich nicht zurück halten konnte. "Wieso sollte es mit dir zu tun haben? Ganz ehrlich Rova, die Welt dreht sich nicht nur um dich!" Ich war so frech, dass ich über mich selbst erschrocken die Hand vor den Mund hielt. So wie ich meinen Chef angefahren hatte, erwartete ich einen wohlverdienten Wutanfall von ihm, doch dieser blieb aus. Das Gegenteil war der Fall, denn Rova fand sein Lächeln wieder. Er stand auf, kam auf mich zu, nah an mich heran, näher als ich es von anderen Menschen, oder auch von ihm kannte und hauchte mir ins Ohr: „Weißt du, Lyz, es soll auch nicht die ganze Welt sein, die sich um mich dreht. Deine reicht mir.“ Ich wich verwirrt zurück, denn ich verstand weder seine plötzliche Stimmungsänderung, noch diese intime Annäherung und fragte verunsichert: „W-wie meinst du das jetzt?“ Fast schon liebevoll lächelnd, antwortete er mir mit einer Gegenfrage: „Es hat mir gereicht dein Chef zu sein, aber wenn ich das jetzt nicht mehr sein darf, wer oder was bin ich dann für dich?“ Blut schoss mir in den Kopf, das spürte ich deutlich. Völlig überfordert stammelte ich: „Was schwebt dir denn vor?“, doch diese Frage gab er interessiert an mich zurück. „Nein, Liebes. Was schwebt dir vor? Ich kann alles für dich sein, nur eben nicht nichts, verstehst du?“ Das war eine ziemlich offensive Anmache von ihm, auf die ich nicht mehr zu reagieren wusste, denn trotz der zärtlichen Worte, die er schon zuvor für mich benutzt hatte, erwartete ich so etwas nicht. Er ließ mich stehen, ging zur Tür und schloss sie hinter mir, mit dem Kommentar, dass wir darüber genauer sprechen müssten. Ich hätte es verhindern sollen, doch ich wich vor diesem Mann zurück, der mich in eine unangenehme Lage brachte. Ich war so aufgeregt, dass meine Atmung zu zittern begann, nur ganz leicht, doch das Zittern war real. "Ich würde jetzt lieber gerne gehen", sagte ich noch und ging gleichzeitig rückwärts in den Raum hinein, um Abstand zu meinem Chef zu gewinnen, der mir immer suspekter wurde. Als habe er es überhört, entgegnete er schmunzelnd: "Ich freue mich, dass du das Kleid heute wieder trägst. Das bedeutet mir viel." Irgendetwas stimmte hier nicht. Rova war viel angriffslustiger als sonst, wie ein Raubtier, das die Krallen ausfuhr. Die aufsteigende Angst arbeitete sich weiter in mir hoch und ich wusste, dass ich kurz davor war in eine Schockstarre zu verfallen. Um sie zu überwinden, lief ich um die Couch herum, die als eine Art Schutzwall zwischen mir und ihm dienen sollte. Der dunkelblaue, alte Metallkoffer fiel mir ins Auge und ich sah darin eine Chance auf Verteidigung für mich. Eilig öffnete ich ihn, nahm eine der Spritzen heraus und füllte sie hastig randvoll mit dem Kolloidalen Silber. Rova belächelte mein Vorhaben. „Was willst denn damit? Das ist ein Heilmittel, wie du weißt“, spottete er und Schritt langsam auf mich zu. "Ich glaube nicht mehr, dass das Mittel dich heilt. Du hattest den Anfall nachdem du es dir verabreicht hattest, nicht davor." "Was für ein Unsinn. Das lag an der Überdosierung", entkräftete er meine Aussage, lächelte dann noch etwas breiter und kam weiter auf mich zu. Was ich in die Ampulle eingezogen hatte, war mit Sicherheit eine Überdosierung. Wieso ließ er sich davon denn dann nicht beeindruckten? „Antworte mir doch einfach auf meine Frage, wie wir ab sofort zueinander stehen und du darfst gehen. Mach es uns beiden doch nicht so schwer! Was wünschst du dir? Soll ich mit dir studieren und dein Kommilitone werden, oder dein Dozent? Oder soll ich Eis verkaufen und du besuchst mich hin und wieder? Das würde mir völlig ausreichen. Ich möchte es genau so haben, wie es dir gefällt. Setz dich einfach und wir klären das schnell!“ "Du bist doch verrückt!", entgegnete ich inzwischen vor Angst deutlich zitternd, als er um die Couch herum kam. „Verrückt? Aber Lyz, wenn du mich beleidigst, statt mir zu antworten, lehne ich deinen Antrag zum Austritt aus dem Verein ab. Ich will doch nichts weiter, als mich mit dir zu einigen“, drohte er mir stirnrunzelnd in einem Ton, als wäre er der Vernünftige von uns beiden. Er bedrängte mich zunehmend und kam mir immer näher. Schützend hielt ich die Spritze vor mich, was ihn noch immer kein bisschen anhob. Er näherte sich mir ohne Furcht immer weiter, weil er wohl glaubte, ich würde sie nicht gegen ihn einsetzten, doch er sollte nicht an meiner Entschlossenheit zweifeln. Ich wich so weit zurück, wie ich konnte, bis an das große Fenster, in das die helle Mondsichel hinein schien. Ein Kopfschütteln andeutend sprach er mit ruhiger Stimme weiter: „Ehrlich, jetzt überraschst du mich, Lyz. Warum bist du auf einmal so feindseelig? Sonst bist du doch immer so lieb und ruhig. Ich werde dir nichts tun, das du nicht möchtest. Jetzt sei doch nicht so misstrauisch!“ Inzwischen war er so nah, dass mich seine ausgestreckten Hände an den Schultern berührten. Es blieb mir nichts anderes übrig, als meine Waffe einzusetzen. Ich rammte die Nadel geradeweg in seine harte Brust hinein und drückte den Kolben so weit nach unten, wie nur irgend möglich. Sein Blick in diesem Moment, zeigte mir wie überrascht er war. Mit aufgerissenen Augen schaute er erst mich an und dann auf die Spritze hinab, die er begann herauszuziehen, bevor er taumelnd zurückwich. „Ins Herz, du Sadistin“, presste er mit dünner Stimme heraus und ging dann zu Boden. Zitternd und mit weichen Knien stolperte ich an ihm vorbei auf die Couch zu, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde. Es war Sari, die laut schimpfend hereinstürmte. „Rova, was sollte das denn? Wieso bist du…-„ Sie unterbrach ihre Anklage, als sie zuerst mich und dann entsetzt den am Boden hockenden Rova fixierte. „Was hast du mit ihm gemacht?“, schrie sie hysterisch in meine Richtung. Ich rettete mich zum Medizinkoffer auf der Couch und füllte zitternd eine weitere Spritze mit dem Silbergemisch, ohne dass sie es bemerkte, da alles, was auf der Sitzfläche passierte, von der Lehne verdeckt wurde. Ich versteckte die Spritze in meiner Handfläche so gut ich konnte und trat auf der von Rova weiter entfernten Seite vor die Couch. Hätte Sari gewollt, hätte sie ihm auf direktem Weg zu Hilfe eilen können, doch sie ging auf mich los. Nur eine Sekunde später erhielt ich eine schallende Ohrfeige von ihr. „Spinnst du? Du kannst jetzt nicht abhauen, wenn es Rova so schlecht geht. Hilf ihm gefälligst!“, brüllte sie mich langsam panisch werdend an. Ich wusste nicht wie ich das anstellen sollte, was sie bemerkte. Sie packte mich unsanft am Arm und zerrte mich kraftvoll in seine Richtung, während sie weiter schrie: „Es ist mir egal, ob du das warst oder nicht, du musst ihm jetzt helfen!“ „Lass mich los!“, brüllte ich, was sie völlig ignorierte und mich nur weiter zu ihm zerrte. Ich wurde panisch und sah keine andere Lösung, als die Spritze in meiner freien Hand zum Einsatz zu bringen. Ich war mir recht sicher, dass nur Rova darauf so stark reagieren würde und wollte Sari vor allem einen Schrecken einjagen, also stach ich die dünne Nadel in ihren Arm. Kaum drückte ich die Düse zart nach unten, fror ihre Bewegung ein. Sari sah mich entsetzt an. „Warum…?“, flüsterte sie zittrig, während ihr eine Träne die Wange herunter rann, die sich schon vorher gesammelt haben musste. Mit aufgerissenen Augen beobachtete ich fassungslos was geschah. Ich hatte nicht einmal ein Viertel der Silbertinktur in ihren Arm gespritzt, schon reagierte sie bereits extrem stark darauf. Die Spritze in meiner Hand verlor den Widerstand. Es war, als würde Saris Arm unter ihr zerbröseln. Dieses Phänomen breitete sich immer weiter aus, bis das Mädchen langsam zu weißem Staub zerfiel. Ihr zierlicher Körper, ihre hübschen, blonden Locken, alles löste sich auf. Ich glaubte nicht was ich da sah und da war ich nicht die einzige. Alexander und Peter, die beiden jungen Männer, mit denen sie sich so gut verstand, stürmten in den Raum. Sie mussten gerade noch gesehen haben, wie Sari verschwand. Peter zog ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche, mit dem er gezielt auf mich zuschritt. "Du dummes Gör! Was hast du mit ihr gemacht?", schrie er, holte aus und stach zu. Den Schmerz erwartend, schloss ich die Augen, doch er blieb aus. Vorsichtig blinzelte ich und erkannte Rova vor mir, der sich trotz der schweren Vergiftung, vor mich geworfen. Den Stich hatte er mit seinem Arm abgefangen, der nun blutete. Peter stützte seinen Chef, der zur Seite wegkippte und legte ihn sanft auf dem Boden ab. „Das ist deine Schuld, du dummes Gör!“, schimpfte er dabei, sich zu Alex umdrehend, der sich zu Saris Überresten begeben hatte, glasige Augen bekam und überfordert stammelte: „Scheiße…Pete, was machen wir, wenn der Prinz uns auch noch draufgeht?“ Peters Gesicht verzog sich, als er die Szene betrachtete. Ich glaube er hätte, ebenso wie Alex, auf der Stelle zu Weinen beginnen können, doch er blieb bei seinem Chef und brüllte angespannt in den Raum: „Quatsch, so schnell kratzt einer wie der nicht ab. Lyz ist Schuld, also muss sie es richten!" Meine weichen Knie waren nicht mehr fähig mich zu tragen. Ich sackte in mich zusammen, gerade in dem Moment, als Peter mir das Messer zuwarf. Ich verstand ihn nicht und starrte nur verwirrt irgend etwas. Da dies für Alex anscheinend alles zu lange dauerte, erhob er sich von Saris Überresten, nahm das Messer vom Boden auf, griff sich meinen Arm und ritzte mir eine flache Wunde hinein, sodass ich aufschrie. „Meine Fresse, jetzt hab dich nicht so!“, brüllte er zurück. Dann zog er mich unsanft nach vorn, bis die blutende Schnittwunde direkt über Rovas Mund war. Nur ein paar Tropfen genügten, um den inzwischen leblos erscheinenden Mann, den, wenn auch schweren und unregelmäßigen, Atem zurück zu geben. Erleichtert atmete Alex aus und flüsterte: "Na bitte. Krass was der inzwischen aushält." Er drehte seinen Kopf zu dem Staubhäufchen, das einmal Sari gewesen sein sollte und ergänzte deprimiert: „… wenn es bei dir doch auch so einfach wäre …“ Peter sah hingegen hasserfüllt zu mir und bewegte sich ein Stück in meine Richtung, als er mich drohend anschrie: „Dafür wirst du bezahlen, du Miststück! Ich mach dich-…“, bis sein Wort durch Rovas angestrengte, dünne Stimme durchschnitten wurde. „Du legst keinen Finger an sie, ist das klar? Geht jetzt, alle beide!“ Die beiden jungen Kerle ließen uns wie befohlen, einer weinend, einer fluchend, wieder allein, hielten aber misstrauisch an der Tür Wache. Ich sah zu Sari hinüber und die Tränen überkamen auch mich. „Ich wollte das nicht! Sari ist meine Freundin. Ich wollte das nicht!“, beteuerte ich langsam realisierend was ich getan hatte. „Das weiß ich doch. Sieh nicht mehr hin!“, antwortete mir der verletzte, auf dem Parkettboden liegende Rova so zärtlich er es unter Schmerzen konnte. Wie beim letzten mal legte ich seinen Kopf auf meinen Schoß und strich ihm die nassgeschwitzten, goldenen Haare aus dem Gesicht, was ihn zum Lächeln brachte. "Elisabeth, meine Rose", hauchte er wie in Trance. Trotz, dass ich ihn vergiftet hatte, war er bereit sich für mich in's Messer zu werfen. Er war mehr als nur etwas verrückt… Ich verstand nichts. Nicht wer Elisabeth war oder wie ein Heilmittel auf Silberbasis so etwas tun konnte und auch nicht wieso mein Blut gegen seine Vergiftung half. Ich war blind für die Wahrheit, doch eines wurde mir bewusst, nämlich dass ich verloren war. Nachdem ich so etwas Schreckliches getan hatte, konnte ich nirgendwo mehr hin und nach dem vorherigen Gespräch zu urteilen, würde mich Rova ohnehin nicht wieder gehen lassen. Wenn ich weiterhin nach dem Glück strebte, würde mir nichts anderes übrig bleiben, als zu versuchen ihn zufrieden zu stellen. "Glück ist kein Zufall, oder hat etwas mit Schicksal zu tun. Glück ist eine Entscheidung.", pflegte mein Vater zu sagen, wenn ich traurig war oder dachte ich wäre einer Situation hilflos ausgeliefert und ich gab alles um nach dieser Weisheit zu leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)