Niichan von MariLuna ================================================================================ Kapitel 19: Kapitel 19 ---------------------- Kapitel 19   Sie sitzen und stehen in jenem Teil ihrer Behausung in der Kanalisation, den Donatello als sein Labor beschlagnahmt hat: die vier Brüder, ihr Sensei und April O'Neil. Neugierig scharen sie sich um den Monitor, auf dem Donatello jetzt schon zum dritten Mal die Aufnahmen der Sicherheitskameras aus dem Krankenhaus abspielt. Normalerweise sollte man nicht stolz darauf sein, einen fremden Server zu hacken, aber in diesem Falle macht sogar Sensei Splinter eine Ausnahme. „Wer ist das?“ stellt Donatello die alles entscheidende Frage in den Raum und vergrößert das Standbild aufs Maximum. Es ist nicht das erste Mal, dass sie sich dieses Bild ansehen. Aber es ist das erste Mal für Sensei Splinter und April. Während April nur mit den Schultern zuckt, betrachtet sich Splinter das Bild ganz genau. Und dann noch etwas genauer. Seine krallenartigen Finger vergraben sich unwillkürlich in Shredders lilafarbenen Cape. Er hat die Blutflecken endlich daraus herausbekommen und wollte es gerade ordentlich zusammenfalten, als seine Söhne ihn hierherriefen. Er erkennt den Mann, der Kazuo aus dem Krankenhaus geholt hat, sofort. „Oroku Saki.“ Die Turtles und auch April schnappen geräuschvoll nach Luft. „Was?" ruft Raphael. „Das ist unmöglich.“ „Nun", erwidert Splinter trocken, „dann ist es jemand, der genauso aussieht wie Oroku Saki.“ Um seine Mundwinkel zuckt ein feines Lächeln. „Wo sind sie hingegangen, Donatello?“ will Leonardo etwas schroff von seinem Bruder wissen. Es ist eine berechtigte Frage, denn sie kennen bisher nur die Sequenz, wo Kazuo in Begleitung dieses augenscheinlich wohl doch nicht so Unbekannten das Krankenzimmer verlässt. „Aufs Dach", erwidert Donatello, der die Aufnahmen in den letzten Stunden mühevoll ausgewertet hat. „Aber da gibt es leider keine Kameras.“ Sekundenlang starren sie alle nur nachdenklich auf den Monitor. „Wie ist Shredder so schnell wieder gesund geworden?“ stellt Raphael schließlich die alles entscheidende Frage. Donatello schüttelt mit dem Kopf. „Ist er nicht. Das hier ist ein anderer. Seht ihr?" Seine Finger fliegen nur so über die Tastatur und auf dem Bildschirm erscheinen vier verschiedene Überwachungsbilder. „Ich habe den Weg zurückverfolgt, den er gekommen ist. Um 04:40 Uhr kam er vom Dach, fährt mit dem Fahrstuhl direkt in die Intensivstation, klaut sich einen Arztkittel und holt Kazuo um 04:45 Uhr aus Shredders Zimmer. Sehr ihr das Ding in seiner Hand? Jede Wette, das ist irgend so ein Ortungsgerät. Wahrscheinlich war das …“, er sucht kurz nach einem passenden Begriff und entscheidet sich dann für: „...Double verchipt. Und um 04:46 Uhr verlassen sie das Treppenhaus Richtung Dach.“ Fasziniert starren die anderen auf die vier verschiedenen Standbilder, die alle denselben Mann an verschiedenen Orten zeigen. Einen Mann, der eigentlich halbtot auf der Intensivstation liegen sollte... „Aber wenn das da Shredder ist, wen oder was haben wir dann ins Krankenhaus gebracht?“ fragt Leonardo schließlich irritiert. „Ein Klon?" schlägt Donatello vor. „Ich meine, wir wissen doch, daß so etwas für Krang kein Problem darstellt.“ „Es gibt keine Leiche“, wirft April da plötzlich in den Raum. „Was?“ kommt es von den vier Turtles im Chor. „Das war es, was ich euch die ganze Zeit über sagen wollte. So viel konnte ich herausfinden. Shredder starb um 04:30 Uhr, aber niemand weiß, was mit seiner Leiche passiert ist. Das ist der Krankenhausleitung so peinlich, daß sie allen Schwestern und Ärzten Stillschweigen verordnet haben.“ „Ach", grinst Raphael breit, „das sind wieder deine eigentlich-darf-ich's-dir-nicht-sagen-Quellen.“ Sie grinst zurück. „Das sind immer die Besten.“ Wieder herrscht für einige Sekunden Stille, in denen jeder von ihnen versucht, das alles irgendwie zu begreifen. „Okay", meint Leonardo dann und atmet einmal tief durch, „fassen wir mal das Wichtigste zusammen: Shredder ist quicklebendig und hat Kazuo mit ins Technodrome genommen. Und …“, er wirft einen ratlosen Blick in die Runde, insbesondere zu Sensei Splinter hinüber, „... was jetzt?“ „Also, ich weiß ja nicht, wie ihr das seht, aber ich bin richtig, richtig froh, daß der Schrottfresser noch lebt", gibt Michelangelo kund. „Das gilt für uns alle, Mikey", stimmt ihm Donatello sanft zu. Die anderen brummen zustimmend. Ja, das steht wirklich außer Frage. „Ja, aber wenn Krang Klone von ihm erschaffen kann, könnte das echt unangenehm werden." Schon beim Gedanke daran läuft es Leonardo eiskalt über den Panzer. „Stellt euch mal vor, wir müssen gegen zwei Schrottfresser kämpfen. Oder drei oder vier...“ Er schüttelt sich angewidert. „Ich glaube nicht, daß sie gleichzeitig existieren können", gibt Donatello zu bedenken. „Der hier", vielsagend deutet er auf ihr allererstes Standbild, „tauchte erst auf, als Shredder schon tot war … also sind es wohl keine gewöhnlichen Klone … hm, vielleicht Bewußtseinsübertragung? Hm...“ Sein Blick geht ins Leere, wie immer, wenn er an der Lösung eines Problems arbeitet. „Müssen wir uns Sorgen um Kazuo machen?" will Michelangelo nervös wissen. „Als die beiden Brüder sich das letzte Mal begegneten, nahm das kein schönes Ende. Brüder sollten nicht gegeneinander kämpfen", fügt er dann noch leise, beinahe traurig, hinzu. „Oroku Saki würde seinem kleinen Bruder niemals etwas antun“, erklärt Splinter im Brustton der Überzeugung und erntet dafür viele zweifelnde Blicke. „Das sah damals aber ganz anders aus", grummelt Raphael, wird jedoch von einem immer aufgeregter werdenden Leonardo unterbrochen. „Nein, Raphael, Sensei Splinter hat Recht. Erinnert ihr euch nicht? Vor anderthalb Jahren? Wer hat zuerst angegriffen und wer hat sich nur verteidigt? Kazuo wollte Shredder ohne Vorgeplänkel verhaften und hat Shredder sofort in die Defensive gedrängt.“ „Ja, stimmt", nickt Raphael, während er sich an diesen Tag zurück erinnert. „Mit vorgehaltener Dienstmarke und Waffe im Anschlag. Aber das, was danach folgte, war mal wieder so richtig typisch Shredder.“ Sie versinken in einem kurzen Schweigen, wo jeder von ihnen diesen ganz gewissen Tag noch einmal vor seinem inneren Auge Revue passieren läßt. Abermals streicht Splinter nachdenklich über den lilafarbenen Stoff in seinen Händen. „Oroku Saki würde Kazuo nie etwas antun. Nicht absichtlich jedenfalls“, wiederholt er dann leise, zögert kurz und entscheidet, daß seine Schüler und April das Recht haben, ein wenig mehr Hintergrundinformationen von ihm zu erhalten. „Es gab Gerüchte, die innerhalb des Footclans kursierten … Oroku Sakis Obsession für seinen Bruder hat zu wilden Spekulationen geführt. Fakt ist, wenn ein Mensch seine ganze Kindheit und Jugend auf das Wohl seines kleinen Bruders ausrichtet, wird er ihm auch als Erwachsener wohl kaum ein Haar krümmen können.“ „Wir reden hier von Shredder, der sich gegen seinen eigenen Sensei gewandt hat“, wagt es Leonardo einzuwenden und verbeugt sich dann sogleich entschuldigend vor seinem Sensei, denn er wollte keine alten Wunden wieder aufreißen. „Verzeihung, Sensei.“ Doch der lächelt nur verständnisvoll. „Schon gut, Leonardo. Aber vergesst nicht, meine Schüler: ich war nur sein Sensei. Kazuo-kun ist sein Bruder. Und wie gesagt, es gab Gerüchte...“ „Die Ihr uns nun erzählen solltet, Splinter“, fordert ihn April sofort, eine gute Story witternd, auf, doch die weise Ratte wirft ihr nur einen skeptischen Blick zu. „Ich halte nichts davon, Gerüchte weiter zu tratschen, April.“ „Nun, wir behalten im Hinterkopf, daß es Gerüchte sind...“ Auffordernd lächelt sie ihn an und setzt dabei ihren ganzen Charme ein. Natürlich kann sie seine Vorbehalte verstehen, aber dann hätte er ihrer Meinung nach gar nicht erst davon anfangen sollen. „Ja“, erhält sie sofort Schützenhilfe von Donatello. „Es ist schön, daß Ihr Euch keine Sorgen um Kazuo macht, Sensei, aber selbst wenn Ihr uns versichert, daß Shredder ihm nichts antun wird und wir Eurem Wort vertrauen, bräuchten wir für unseren Seelenfrieden doch ein paar Anhaltspunkte mehr.“ „Ja“, fällt Michelangelo mit ein, „schließlich ist Kazuo unser Freund.“ Leonardo und Raphael nicken bestätigend, und plötzlich sieht sich Splinter mit fünf wissbegierigen Augenpaaren konfrontiert. „Nun, ich kann euch von Dingen erzählen, die erwiesenermaßen passiert sind“, gibt er sich zögernd geschlagen, und als die fünf nur auffordernd nicken, ordnet er kurz seine Gedanken und Erinnerungen und beginnt dann in einem leisen, nachdenklichen Tonfall: „Ich habe selbst erlebt, wie Oroku Saki seine Trainingszeiten dem Zeitplan seines Bruders angepaßt und ihm zum Beispiel lieber beim Lernen für die Schulexamina geholfen hat. Ich habe auch gehört, daß er seinem Bruder lesen und schreiben beigebracht hat, so daß Kazuo das schon vor der Einschulung beherrschte. Nun ist das zwar nichts Ungewöhnliches, wenn kleine Brüder den großen nacheifern, aber es steht auf einem ganz anderem Blatt, wenn ein Erstklässler einem Kindergartenkind so etwas beibringt.“ Ihm fallen noch viele andere Dinge ein – Geschehnisse, deren er Zeuge wurde und Beobachtungen, die er selbst gemacht hat, Dinge, die so offensichtlich waren, daß es sogar ihm einen eiskalten Schauder über den Rücken jagte, aber auch diese sind rein subjektiv, nämlich aus seiner Sicht und gehören hier nicht hin. Auch er könnte das Strahlen in Oroku Sakis Augen, wann immer er von seinem Kaz-chan sprach, mißgedeutet haben, beeinflusst durch die vielen Gerüchte. Besser, er hält sich nur an die Tatsachen. „Kazuo ging in ein anderes Dojo, weil er mehr dem Judo zugeneigt ist als dem Ninjutsu“, erzählt er nach einem kurzen Moment der Stille weiter. „Und Saki-kun war bei jedem seiner Wettkämpfe dabei, selbst wenn das bedeutete, daß er dafür seinen eigenen Ninjutsu-Unterricht schwänzen mußte. Aber da er das alles dann nach Sonnenuntergang nachholte und gute Leistungen erbrachte, wurde ihm das verziehen. Es wurde ihm auch hoch angerechnet, daß er als männlicher Erbe der Oroku-Familie seiner Verantwortung gegenüber Kazuo so gewissenhaft nachkam. Die Traditionalisten im Footclan waren von Oroku Sakis Verhalten jedenfalls sehr angetan. Es gab aber auch andere Stimmen … Stimmen, die sagten, das sei nicht mehr normal. Ich habe mir selbst kein Urteil darüber erlaubt, weil ich immer der Meinung war und bin, daß die Beziehungen innerhalb einer Familie niemanden etwas angehen, sofern keine Gewalt vorliegt.“ „Aber?“ hakt April behutsam nach. Splinter zögert einen Moment. Der Umhang in seinen Händen wird plötzlich unheimlich schwer. Er sollte das nicht erzählen, aber es ist passiert und es könnte ihnen helfen zu verstehen, wieso er so davon überzeugt ist, daß Shredder seinem Bruder niemals ein Leid zufügen könnte. „Ich sah selbst, wie Saki-kun mit sechzehn Jahren seine damalige Freundin zugunsten Kazuos Plänen versetzte. Mehr als einmal. Deshalb haben seine Beziehungen nie lange gehalten. Das änderte sich erst, als Kazuos erste Freundin die Bühne betrat. Zu dieser Zeit mutierte Saki-kun zum Musterschüler meines Dojos. Dann, eines Tages, fiel er in sein altes Verhalten zurück und irgendwann erfuhr ich, daß Kazuo sich von seiner Freundin getrennt hatte. Aber Kazuo war ein Teenager und ein verdammt gut aussehender noch dazu, also kam bald eine neue Freundin.“ „Lassen Sie mich raten“, wirft April aufgeregt und mit glänzenden Augen ein. „Shredder wurde wieder zum Vorzeige-Ninjaschüler.“ „Ja. Es war ein Prozeß, in dem Saki-kun zwischen Kazuo und dem Footclan hin- und herpendelte, bis er letztendlich nur noch dem Footclan diente. Ich glaube nicht, daß es ein Zufall war, daß dies genau zu dem Zeitpunkt passierte, wo Kazuo ihm seine bis dato vierte Freundin vorstellte. Da war Saki-kun ungefähr neunzehn.“ April kichert vergnügt. „Ah, Splinter, Verzeihung, aber das klingt verdächtig nach...“ „Ja, April. Das war der Tenor besagter Gerüchte.“ „Meine Güte.“ Sie weiß eindeutig nicht, ob sie lachen oder weinen soll. „Das reinste Drama.“ „Was?“ Nicht nur Michelangelos Blicke huschen verdutzt zwischen ihr und Splinter hin und her, aber er ist derjenige, der zuerst fragt. „Was, April? Was meint ihr?“ „Brother Complex, Mikey.“ „Was? Echt? Wie in meinen Mangas? Cool!“ Raphael starrt die beiden für einen Moment nur entgeistert an und schnaubt dann verächtlich. „Das ist doch voll krank. Armer Kazuo.“ „Vielleicht ist es ja gegenseitig?“ grinst April. „Das glaubst du doch wohl selber nicht, April!“ Aber sie deutet nur auf den Monitor. „Auf dem Video sah es nicht so aus, als habe sich Kazuo gewehrt.“ Raphael schnauft nur ein weiteres Mal und starrt Löcher in die Luft, während Michelangelo und April sich nur vergnügt zugrinsen und Leonardo und Donatello eher gleichgültig erscheinen. Splinter mustert sie alle der Reihe nach und seufzt dann einmal leise auf. „Wie auch immer – versteht ihr jetzt, wieso ich mir sicher bin, daß Shredder seinem Bruder nichts antun wird? Und er wird auch nicht zulassen, daß Krang oder Bebop und Rocksteady ihm etwas antun.“ „Ich weiß nicht, ob mich das jetzt noch beruhigt“, grummelt Raphael zähneknirschend vor sich hin. „Kazuo ist ein erwachsener Mann“, erinnert ihn Leonardo, die typische Stimme der Vernunft. „Und April hat recht: er ist ganz offensichtlich freiwillig mitgegangen. Wir können das verurteilen wie wir wollen oder nicht, und dasselbe gilt für Shredders Brother Complex“, er grinst unwillkürlich, denn auch wenn er nicht viel von Michelangelos BL-Mangavorliebe hält, dieser Begriff ist ja wohl mehr als zutreffend, „aber letztendlich geht es uns nichts an. Seien wir lieber froh, daß Shredder noch am Leben und Kazuo nicht wirklich spurlos verschwunden ist.“ „Gut gesprochen, Leonardo“, lobt Splinter. Raphael zieht zwar immer noch eine grimmige Grimasse, aber sie alle hier wissen, daß er dahinter nur seine eigene Erleichterung verbirgt. Von ihnen allen hat ihn Shredders Verletzung am meisten getroffen, schließlich war es seine Hebeltechnik, die ihn gegen den Stahlpfeiler prallen ließ. „Shredder wird früher oder später wieder hier auftauchen“, erklärt Splinter und legt Raphael im Vorbeigehen kurz eine Hand auf den Arm. „Dann könnt ihr miteinander reden.“ Zuerst scheint es, als wolle Raphael etwas sagen, doch dann nickt er nur. Splinter schenkt seinen Schülern noch eines seiner seltenen Lächeln und geht dann zurück zu seiner Wäsche. Es gibt da noch ein Cape, das er ordentlich zusammenfalten und zu der restlichen Ausrüstung legen muß...     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)