Niichan von MariLuna ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Kapitel 11   Im Technodrome gibt es tatsächlich einen Trainingsraum - ausgelegt mit Tatami-Matten, mit einer gepolsterten Makiwara, einer hölzernen Schlagpuppe und einer Hantelbank plus Hanteln in verschiedenen Formen und Gewicht. „Nichts besonderes, ich weiß", entschuldigt sich Shredder verlegen, als er seinen Bruder hineinführt. „Das ist alles, was ich aus meinem alten Quartier retten konnte. Und es tut mir leid, dass wir dafür eine Etage höher klettern mussten, ich würde das auch gern alles wieder in meinem Quartier haben, aber das Jetzige ist dafür viel zu klein." „Stört mich nicht", erwidert Kazuo nur. In den letzten sechs Stunden ist er mit seinem Bruder durch enge Wartungsröhren gekrochen, quer durch alle Ebenen dieser monströsen Kugel und die letzte Steigleiter hierher war da schon fast Routine. „Und entschuldige, ich weiß, das ist unhygienisch, aber wir müssen sparsam mit dem Wasser umgehen." Etwas verlegen schält sich Shredder aus seinem verdreckten Arbeitsoverall. Kazuo zuckt nur gleichgültig mit den Schultern. Sicher klebt an ihnen viel Schweiß, immerhin haben sie die letzten sechs Stunden schwer geschuftet, und eine Dusche könnte ihnen beiden nicht schaden, aber das kann auch bis nach dem Training warten. Es ist eine Ewigkeit her, seit er mit seinem Niichan trainiert hat, eine solche Gelegenheit kann er sich doch nicht entgehen lassen! Die letzten Stunden haben ihm trotz aller Anstrengung viel Spaß gemacht und diese kleine Trainingseinheit würde das alles nur perfekt abrunden. Denn wer weiß, wie lange das so bleibt? Es kann sich alles jederzeit von einer Sekunde auf die nächste ändern, nicht wahr? Er pellt sich aus seinem eigenen Arbeitsoverall, der dem seines Bruders bis auf die letzte Faser gleicht - es ist ja auch dessen Ersatzoverall - und fühlt fast so etwas wie Wehmut in sich aufsteigen. Dieses Kleidungsstück stellte in mehr als einer Hinsicht eine Verbindung zu seinem Niichan her, nicht nur äußerlich. Es ist wie bei allen Kleidungsstücken, die er sich von ihm leihen darf, wie bei dem T-Shirt, das er darunter trägt oder bei den Arbeitsstiefeln. Oder bei dem Gi, den ihm sein Bruder jetzt aus dem Wandschrank zuwirft. Kazuo fühlt ihm sich einfach nahe, wenn er seine Klamotten trägt. Leider hat sich sein Bruder schon umgezogen, während er noch gedankenverloren in der Gegend herumsteht. Damit hat sich Kazuo selbst um einen schönen Anblick betrogen. Verärgert über sich selbst, zieht er sich ebenfalls um. Als sie sich dann auf den Tatami-Matten gegenüber stehen und Grundhaltung einnehmen, fällt es Kazuo schwer, seinem Bruder nur ins Gesicht zu sehen. Immer wieder werden seine Blicke von dem Dreieck goldbrauner Haut angezogen, die der nachlässig gegürtete Gi im Brustbereich seines Bruders freilässt. Aber als der Trainingskampf beginnt, rückt all das in den Hintergrund und alles an Kazuo ist höchste Konzentration.     Shredder ist sehr stolz auf seinen kleinen Bruder. Er hat in den letzten Stunden viel gelernt und wurde vom einfachen Werkzeugträger zu einem richtigen Assistenten, der zum Ende hin die eine oder andere kleine Reparatur an den Energieleitungen schon selbst durchführen konnte. Diese kleine Trainingsrunde soll ihn belohnen, schließlich weiß er doch, wie gerne Kazuo kämpft. Es ist auf alle Fälle besser als wieder eine Flasche Merlot zu vernichten. Und er selber braucht auch etwas Ablenkung. Und er hatte seit Ewigkeiten keinen guten Sparringspartner mehr. Rocksteady und Bebop weigern sich ja schon seit Monaten, und er kann es ihnen nicht einmal verübeln. Sie beginnen mit den üblichen Schlag- und Trittkombinationen um warm zu werden und einander abzuschätzen, aber bald schon gehen sie zu einem wirklichen Kampf über. Aber schon nach den ersten Sekunden verspürt Shredder eine gewisse Beklemmung, ein Unbehagen, als würde sich etwas in ihm gegen all dies hier wehren. Seine Bewegungen verlieren viel von ihrer gewohnten Geschmeidigkeit und je mehr er sich auf diesen Kampf konzentriert, desto schlimmer scheint es zu werden. Etwas – blockiert ihn. Trotzdem liegt es nicht daran, dass ihn Kazuo schließlich auf die Tatami-Matten schickt. Irgend etwas in Shredder erstarrt regelrecht. Es fühlt sich an wie eine ins Unendliche gedehnte Schrecksekunde, die man einfach nicht mehr loswird, und das lässt ihn nicht mehr richtig reagieren.. Er versucht, dieses … Gefühl zu verdrängen und sich ganz auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Und da gibt es so einiges, vor allem diese überraschende Hebel- und Wurfkombination, die sein Bruder gerade eben angewandt hat. „Was war das?" Irritiert blinzelt er zu seinem Bruder hoch. Der grinst nur selbstzufrieden und reicht ihm die Hand. Bereitwillig lässt sich Shredder von ihm wieder auf die Füße ziehen. „Das lernt man bei uns auf der Polizeischule." „Das war dieselbe Kombination, mit der du mich damals besiegt hast," erkennt Shredder mit einem gewissen Unbehagen. Er hat keine guten Erinnerungen an diesen Tag. Trotz allem, was zwischen ihnen in den letzten Tagen passiert ist, fühlt er sich immer noch gedemütigt und verletzt, wenn er an diesen Tag zurückdenkt. Vor allem die Verletzung sitzt tief. Wäre er einer dieser sentimentalen Idioten aus Krangs hochgeschätzten TV-Seifenopern, würde er sagen, Kazuo hätte ihm an diesem Tag das Herz gebrochen. „Soll ich sie dir zeigen?" bietet ihm Kazuo an, begeistert von der Möglichkeit seinem Niichan auch einmal etwas beibringen zu können. Seine Frage verletzt Shredders Stolz zutiefst, doch dieser lässt sich nichts anmerken und nickt nur zustimmend. Es wird ein Desaster. Er versucht, sich zu konzentrieren, aber er fühlt sich immer noch, als müsse er gegen etwas in sich selbst ankämpfen. Es blockiert ihn nicht nur, es lähmt auch einen Teil von ihm – nämlich jenen, der sonst immer voller Entschlußkraft steckt. Nach außen hin kann er das alles gut verbergen, aber sein Körper und sein Geist sind nicht mehr im Einklang, und das bleibt nicht folgenlos. Und so hebelt ihn Kazuo gekonnt aus und setzt seinen eigenen Schwung gegen ihn ein, und dann sieht er nur noch die Wand auf sich zukommen. Instinktiv streckt Shredder die Hände aus, um sich daran abzustützen. Sein Gesicht und die Wand trennen vielleicht noch fünfzehn Zentimeter. Mit weitaufgerissenen Augen starrt er auf den Stahl vor sich. Etwas in ihm erinnert sich, bevor er sich bewusst daran erinnert. Dieses störende, blockierende Etwas in ihm schwillt an und füllt plötzlich sein ganzes Sein aus - sein Atem stockt, sein Puls jagt und in seinem Inneren erwacht ein immer größer werdendes Zittern. „Warte, Niichan, ich helfe dir auf." Zuvorkommend beugt sich Kazuo zu ihm hinab, die Hand wieder hilfreich ausgestreckt. Abrupt schnappt Shredder zurück ins Hier und Jetzt. „Verschwinde!" faucht er ihn ungehalten an und schlägt die ihm angebotene Hand schroff beiseite. „Lass mich in Ruhe, ich brauche deine Hilfe nicht!" Derart angefahren, weicht Kazuo einen Schritt zurück und blinzelt ihn verwirrt an. „Was...?" „Hau bloß ab!" Und doch ist es Shredder, der aufspringt und zur Tür stürmt. Aber bevor er sie erreicht, hat Kazuo seine Überraschung abgeschüttelt und ihn eingeholt. „Hey, Niichan, was ist los? Was soll das?" „Du gehst mir auf den Nerv!" braust Shredder auf. „Wer will deine blöde Polizeikombi schon lernen? Du willst doch nur angeben!" Er holt einmal tief Luft und dann noch einmal und dann beginnt er zu hyperventilieren und versucht, seine zitternden Hände zu verstecken, aber inzwischen sind es nicht nur seine Hände, die zittern. Von einem Moment auf den anderen verlässt ihn jede Kraft und dann findet er sich auf den Knien wieder - in Kazuos Armen, das Gesicht an dessen Halsbeuge und er spürt, wie ihm die Finger seines Bruders sanft über den Hinterkopf streicheln. „Tief durchatmen", hört er ihn sanft murmeln, „Alles ist gut. Einfach nur atmen. Ich bin hier." Shredder versucht es. Aber es dauert noch eine Weile und viel geduldiges Zureden, bis sein Atem wieder annähernd normal ist. „Ich... entschuldige“, beschämt weicht Shredder mit gesenktem Kopf zurück und versucht, seine immer noch zitternden Hände in den Ärmeln seines Gis zu verstecken. Er fühlt sich erschöpft, regelrecht ausgelaugt und sein Benehmen ist ihm so peinlich, dass er am liebsten vor Scham im Boden versinken würde. „Du musst dich nicht entschuldigen. Alles okay.“ Beruhigend reibt Kazuo über Shredders Oberarme. „Wir hätten nicht kämpfen sollen. Ich hätte daran denken müssen. Es tut mir leid." Und als ihm sein Bruder daraufhin nur einen verständnislosen Blick zuwirft, nutzt er diesen Moment, um ihn wieder in seine Arme zu ziehen. „Die Turtles erzählten mir, ihr hättet gekämpft, als...“, er schafft es nicht, den Satz zu beenden, aber das ist auch gar nicht nötig. Nach einem Moment unangenehmer Stille räuspert sich Kazuo vernehmlich und schiebt seinen Bruder dann soweit von sich, bis er ihm tief in die Augen sehen kann. „Das wird wieder. Du musst nur Geduld mit dir haben. Wir können mit etwas Einfacherem anfangen: Mit gemeinsamen Aufwärmübungen oder einfachem Krafttraining und uns dann langsam steigern.“ Um Shredders Lippen zuckt ein bitteres Lächeln. „Du redest, als würdest du Monate hier bleiben.“ Kazuo lächelt nur wieder sein merkwürdiges Lächeln und lehnt sich etwas weiter zu ihm vor. „Ich hab mal gehört, unangenehme Erinnerungen überschreibt man am besten mit angenehmen.“ Damit packt er seinen verblüfften Bruder am Kragen, zieht ihn die letzten Zentimeter zu sich heran und verwickelt ihn in einen ruhigen, sanften Kuss.     Dieser Kuss ist anders, er ist süß, beinahe unschuldig wie die ihrer Kindheit. Und... er wirkt, wie Kazuo feststellt, als er mit dem Daumen sachte über Shredders Halsschlagader streicht. Sein Puls wird merklich ruhiger. Und als Kazuo dann auch noch spürt, wie sein Niichan unter diesem Kuss regelrecht dahinschmilzt, flackert so etwas wie ein stilles Triumphgefühl in ihm auf. Niemandem gelingt das besser als ihm. Weil niemand Saki mehr liebt als er. Ganz bewusst setzt Kazuo seine Zunge nicht ein, das hier soll ruhig bleiben, zärtlich und wahre, tief schlummernde Gefühle vermitteln und Erinnerungen wecken. Genauso sanft, wie er diesen Kuss begonnen hat, beendet Kazuo ihn auch wieder. Sekundenlang knien sie sich nur schweigend gegenüber, dann atmet Shredder tief seufzend aus und öffnet die Augen. „Du spielst nicht fair, Kazuo." Der fühlt sich alles andere als schuldig deswegen und schmunzelt selbstzufrieden. „Ich gebe mir Mühe..." Aber Shredder bleibt ernst. „Wir sind keine Kinder mehr. So ein Kuss bedeutet jetzt etwas ganz ... anderes." „Wirklich?" Lächelnd lehnt sich Kazuo wieder nach vorne, berührt mit seiner Stirn die seines Bruders und sieht ihm dabei tief in die Augen. „Bedeutet er nicht immer Liebe?" Shredder schluckt einmal schwer. „Wir sind jetzt erwachsen, Kazuo. Und wir sollten uns dementsprechend benehmen." „Sagte der Mann, der immer in Kampfrüstung und Cape versucht, die Weltherrschaft an sich zu reißen." Shredder starrt ihn nur schweigend an. Für einige Sekunden hält Kazuo diesem Blick trotzig stand, dann senkt er freiwillig den Kopf. Salamitaktik, erinnert er sich. Es wird Zeit für einen Themenwechsel. „Ich glaube, deinen Händen geht es jetzt besser", ruft er erfreut aus, während er nach besagten Händen greift und vielsagend zudrückt. „Das Rezept sollte ich mir patentieren lassen." Abrupt entzieht ihm Shredder seine Hände. „Baka", meint Shredder nur zärtlich und wuschelt ihm mit der rechten Hand durchs Haar, während er sich gleichzeitig wieder erhebt. „Komm", meint er dann, während er schon zum Wandschrank hinübergeht, „machen wir Schluß für heute. Ziehen wir uns um, gönnen uns eine Dusche und schauen mal, was die Küche so hergibt."     Mit Kazuo zu duschen ist ein Risiko, dessen ist sich Shredder bewusst, aber er will sich auch keine Blöße geben, indem er auf getrennte Duschzeiten besteht. Er hofft einfach mal auf das Beste, schließlich war seine Ansage ja wohl deutlich und sie sind wirklich keine Kinder mehr. Sie können sich beherrschen. Es geht auch erfreulich gut. Wenn Shredder das komische Gefühl ignoriert, immer dann von Kazuo angestarrt zu werden, wenn er ihm den Rücken zuwendet. Und dass Kazuo die Dusche direkt neben ihm wählt, macht ihn zwar leicht nervös, aber auch das kann er ihm nicht verbieten, ohne sich selbst der Lächerlichkeit preis zu geben. Sie stehen eine ganze Weile schweigend jeder für sich unter seinem eigenen schwachen Wasserstrahl, und Shredder beginnt gerade, sich etwas zu entspannen, da greifen sie beide gleichzeitig zur Seife und ihre Finger berühren sich. Es dauert nur eine Sekunde, weil Kazuo die Hand, eine leise Entschuldigung murmelnd, sofort wieder zurückzieht und den Blick verlegen zu Boden richtet. Bei diesem Anblick zieht sich alles in Shredder zusammen - wie gerne hätte er ihn jetzt tröstend umarmt. Er wollte ihn nicht verletzen. Niemals. Also überlässt er seinem Bruder die Seife und quetscht stattdessen den letzten, kläglichen Rest aus der Tube mit dem Duschgel. Er versucht, sich ganz darauf zu konzentrieren, den Schmutz und Schweiß der letzten Stunden von seinem Körper abzuwaschen, aber Kazuos Schweigen drückt auf seine Stimmung – vor allem, wo es doch seine Schuld ist! „Ich will nur nicht, dass du dich unglücklich machst!" platzt es daher schließlich aus ihm heraus. Und doch hat er nicht den Mut, seinem Bruder dabei gerade ins Gesicht zu sehen. Die alten Wandfliesen sind viel interessanter und außerdem muss er sich noch den Rest Shampoo aus den Haaren waschen. Kazuo antwortet nicht, jedenfalls nicht sofort. Stattdessen tritt er unbemerkt hinter ihn und legt ihm sanft die linke Hand ins Kreuz. Shredder zuckt zusammen und erstarrt dann. Kazuo lehnt sich etwas nach vorne, achtet aber darauf, dass er seinen Bruder nicht großflächig berührt und wispert in sein Ohr: „Darf ich das nicht selbst entscheiden, Saki?" Shredder spürt, wie er errötet. Er weiß nur nicht, ob das an Kazuos Frage und seinem schlechten Gewissen oder an der aufgezwungenen Nähe liegt. „Doch", bringt er schließlich mit heiserer Stimme heraus, „natürlich darfst du das." Kazuos Hand, eben noch in seinem Kreuz, wandert seinen Rücken hinauf. Warme, nasse Fingerspitzen tanzen zärtlich über seine Wirbelsäule, hoch in seinen Nacken, wo sie dann schwer und sehr präsent liegenbleiben. Unwillkürlich hält Shredder den Atem an. Er versucht verzweifelt, sich zu sammeln und wenigstens nach außen hin ruhig zu bleiben. „Du wolltest doch, dass ich hier bin", haucht Kazuo da in sein Ohr. „Hier, bei dir. Oder warum hast du mich sonst mitgenommen?" Irgendwie ist es passend, dass genau in diesem Moment das Wasser versiegt und es ganz still wird - fast als warte die ganze Welt auf Shredders Antwort. „Möglicherweise", gibt er nach geraumer Zeit zu. Er weigert sich immer noch, sich umzudrehen und starrt lieber angestrengt auf die Wand vor sich. „Aber das heißt nicht, dass es eine gute Idee war." „Doch", erwidert Kazuo sanft, aber entschieden, „es war eine gute Idee." Seine Hand in Shredders Nacken streicht kurz durch dessen nasses Haar und verschwindet dann. Shredder vermisst sie sofort und muss sich auf die Unterlippe beißen, um einen sehnsüchtigen Seufzer zurück zu halten. Und dann ist Kazuo plötzlich fort und hinterlässt eine Kälte, die Shredder unwillkürlich frösteln lässt. Er hört das Geräusch seiner Schritte auf den feuchten Fliesen, gefolgt von dem Rascheln von Stoff und dann, nur kurz darauf, das charakteristische Zischen einer sich erst öffnenden und dann wieder schließenden Tür. Und selbst dann dreht er sich nicht um. Es dauert sehr, sehr lange, bis er aus seiner Starre erwacht.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)