Magister Magicae von Futuhiro (Magister Magicae 7) ================================================================================ Kapitel 17: „Ich sage nicht, daß Gewalt immer zwecklos ist.“ ------------------------------------------------------------ Der einzige Ruhepol in der ganzen Schlachterei und Prügelei war Victor Akomowarov, der mit einer Hand seinen Schutzschild aufrecht hielt und das Spektakel nur kopfschüttelnd verfolgte. Was waren die nur alle so kampfwütig? Nur weil Nyu ihm an den Kragen gewollt hatte, war gleich eine vollversammelte Massenschlägerei unter allen Anwesenden ausgebrochen? Das war ja unglaublich. „Genug!“, gebot er schließlich und hob die andere Hand mit einer weichen Bewegung. Schlagartig kehrte Stille ein. Alle erstarrten. Man wusste nicht, ob er sie allesamt mit einem Paralysezauber belegt hatte, was eine reife Leistung wäre, oder ob sie einfach nur zu viel Angst vor ihm hatten, um seine Weisung zu ignorieren. „Ihr seid ja wie tollwütige Hunde. Was soll das?“, wollte er wissen. „Bringt Gewalt hier irgendjemanden weiter?“, fügte er genervt an. „Das sagt einer, der Magier und ihre Genii angreift“, maulte Nyu. In den zwei Stunden in der Lagerhalle hatte Urnue ja genug Zeit gehabt, ihnen noch einiges über diesen Victor und die ehemalige Motus zu erzählen. Sie ließ die Hörner des Minotauren los, auf den sie sich inzwischen gestürzt hatte, weil sie an Victor nicht herankam. Sie verwandelte sich zurück in ihre menschliche Gestalt. „Ich sage nicht, daß Gewalt immer zwecklos ist. Aber jetzt, in diesem Haus, ist es einfach nur Kraftverschwendung“, gab Victor lächelnd zurück. „Heute bin ich nur geschäftlich hier. Und ihr müsst in diesem Wohnzimmer nicht nachholen, was Ybi und Vy bisher an Sachschäden versäumt haben. Euer Vater und ich haben einen Deal. Na los, Ruppert, lass hören!“, verlangte er mit gleichmütiger Stimmlage. Dannys Vater kam zögerlich, mit verstohlenem Blick hinter seinem Sessel hervorgekrochen und räusperte sich. Bedächtig stellte er seine Vase zur Seite, die er schützend an sich gepresst hatte, nur um Zeit zu gewinnen. Er war sichtlich verlegen, so hatten sie ihn noch nie in ihrem Leben gesehen. Er war immer der harte Kerl gewesen, der seinen Kopf rabiat durchsetzte. „Ich ... ähm ... also ...“ Er überlegte nochmal kurz, wie er am besten anfangen sollte, und strich sich die Anzugjacke glatt. Dann holte er vernehmlich Luft. „Urnue. Ich muss mich ...“ „Ich WILL mich ...“, korrigierte Victor von der Seite. „Ich will! Ich will mich entschuldigen ... bei dir ...“ Urnue trat befremdet einen Schritt zurück, wandte sich sogar eine Winzigkeit von Ruppert ab, völlig verstört über so ungewohnte Worte, und musterte ihn mit skeptischen Augen. Entschuldigen??? Ausgerechnet Ruppert? War mit dem alles okay? „... entschuldigen für alles, was ich dir ... ähm ... angetan habe, in gewisser Weise. ... Ich weiß, ich hatte nie den nötigen Respekt vor dir. Ich habe dich immer nur mit Verachtung gestraft, obwohl du mir mehr als einmal das Leben gerettet hast. ... also ... ich weiß nicht, wo Dragomir dich hingebracht hat, aber diese Stunden ohne deinen Schutz und ohne die Gewissheit über den Verbleib meiner Söhne haben mir endlich vor Augen geführt, wie sehr ich doch auf dich angewiesen bin.“ Urnue legte sich ungläubig alle zehn Finger links und rechts an die Wangen, weil er nicht mehr wusste, wohin sonst mit seinen Händen. Das war einfach zu viel, er war sprachlos. Ein leichtes Zittern ging durch seinen gesamten Körper, während er Ruppert mit großen Augen ungläubig angaffte. „Und ...“, fuhr Ruppert nach kurzem Hadern fort. „ ... und ich will dir ab jetzt mehr Freiheiten lassen und dich nicht mehr so ... ähm ... abwertend behandeln.“ Das Wort kam ihm nur schwer über die Lippen. „Schwöre!“, verlangte Victor von der Seite. „Ich schwöre es!“, gab Ruppert dezent verzweifelt zurück und machte eine untertänige Verbeugung vor dem Magier. „Nicht mir! Schwöre es deinem Genius Intimus!“, verlangte dieser aber fast wütend. Der Banker drehte sich schnell wieder zu Urnue um. „Urnue, ich schwöre, ich werde dich ab jetzt besser behandeln. ... Verzeih mir. Bitte.“ Seine Stimmlage wechselte. Hatte sein Vortrag bisher geklungen wie ein auswändig gelernter Text, kam jetzt offenbar der Teil, den er ernst meinte und der aus dem Herzen sprach: „Ich gebe zu, es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, was Dragomir mir heute beweisen wollte. Bis ich es eingesehen habe. Aber es ist wahr, ohne dich bin ich aufgeschmissen. Ich bin hilflos. Machtlos. Ohne seinen Schutzgeist ist ein Magier nichts. Ich brauche dich, Urnue. Ich habe jetzt ein völlig anderes Bild von dir. Du bist mir wichtiger geworden. Und ich bin dankbar dafür, dich zu haben. Du bist nicht minderwertig, weil du ein Genius bist. Im Gegenteil. Du bist mächtig und ... und so unglaublich loyal ... und ... ja ...“ Der völlig in schwarz gekleidete Genius fuhr sich ratlos durch die Haare. Solche Töne hatte Ruppert noch nie gespuckt. Konnte er das ernst nehmen? Und was um Himmels Willen lief hier? Das Ruppert ihn besser behandelte, war der Preis ... wofür eigentlich? Er hatte mit Dragomir einen Deal? Hatte Dragomir das alles hier am Ende eigens für ihn, Urnue, aufgezogen? Sollte Dragomir ihm wirklich ein so guter Freund sein, daß er für ihn dermaßen radikale Wege ging? „Entschuldigung angenommen!“, meinte Urnue und ging zu seinem Schützling, um ihn in die Arme zu schließen. Ruppert sah fix und fertig aus. Das alles hatte den groben Haudegen wohl doch mehr mitgenommen als gedacht. „Ybi, Vy, wir sind fertig, kommt“, ordnete Victor an und setzte sich in Bewegung. „Ich hab dich weiter im Auge, Ruppert“, fügte er noch drohend an und war dann zur Tür hinaus und auf dem Weg, das Haus zu verlassen. „Das war eine harte Aktion“, quasselte Vy fröhlich, als sie den Magister Artificiosus Magicae hinaus begleitete. „Ihr habt gute Arbeit geleistet.“ „Springt da vielleicht eine kleine Belohnung raus?“, wollte Ybi in ihrer quietschigen Stimme wissen. „Mal sehen, ich verspreche euch nichts“, meinte der Russe noch amüsiert, dann fiel die Haustür hinter den dreien zu. Ruppert, Danny, Josh und ihre drei Genii blieben schweigend im Wohnzimmer zurück. Sie alle hatten viel Stoff zum Nachdenken. Gespenstige Stille senkte sich über die ganze Szene. Alle schauten bedröppelt von einem zum anderen. Urnue hatte den starken Drang, Victor nachzurennen. Der durfte doch jetzt nicht einfach so sang- und klanglos abhauen! Nicht, wenn er schonmal in London war und Urnue ihn nach zwei Jahre endlich wieder sah! Nicht, ohne sich wenigstens ordentlich zu verabschieden. Überhaupt hatte Victor diese lästige Angewohnheit, ohne Verabschiedung zu verschwinden. Aber Urnue konnte Ruppert ja jetzt in dieser Situation auch nicht einfach stehen lassen und wegrennen. Andererseits war das Versprechen, daß Victor weiter über Rupperts Haus wachen würde, ganz beruhigend. „U., wolltest du nicht schon immer Gitarre spielen?“, warf Ruppert etwas kleinlaut ein, wohl um das peinliche Schweigen zu unterbrechen. „Sollen wir dich in einer Musikschule anmelden?“ Danny hätte sicher eingeworfen, daß er dann aber auch Schlagzeug lernen wolle. Aber er kam nicht mehr dazu, denn in diesem Moment nahmen ihm die schmerzenden, entzündeten Wunden auf seinem Oberkörper endgültig das Bewusstsein. Als der Junge wieder zu sich kam, hatte ihn ein Gefühl der Betäubung vereinnahmt. Er wusste nicht wo er war, wer er war und warum alles so war wie es eben war. Mit verquollenen Augen sah er sich um. Um ihn herum war ein steril wirkender Raum, er lag in einem Bett mit chemisch riechender Bettwäsche. Gruselige Geräte, die er nach kurzem Überlegen für medizinischen Ursprungs hielt, blinkten ihn skeptisch und monoton an. War das hier ein Krankenhaus? Einen Moment lang fragte er sich ernsthaft, ob die ganzen Ereignisse der letzten Tage vielleicht nur Fieberträume gewesen waren und es weder seinen Genius Intimus noch Victor jemals gegeben hatte. Aber dann entdeckte er am Fußende seines Bettes Nyu. Sie war im Sitzen eingeschlafen und nach vorn auf sein Bett gesunken. Eigentlich erkannte er sie nur an dem üppigen, schwarzgrünen Haarschopf, der sich schwungvoll auf der Decke ausgebreitet hatte und den Rest ihres zierlichen Körpers halb begrub. „Ach, bist du auch endlich wieder wach?“, wollte Urnue wissen, der lautlos in den Raum geschlüpft kam, ganz seiner wieseligen Art entsprechend. Ihm dicht auf den Fersen folgte Dannys Vater Ruppert. „Was ist passiert?“, krächzte Danny und bemerkte erst jetzt, wie entsetzlich trocken sein Hals war. Nyu regte sich, geweckt von dem Gequatschte, und richtete sich stöhnend auf. Sehr bequem war ihre Schlafhaltung auch nicht gewesen. „Was passiert ist? Du bist nach Dragomirs großem Auftritt umgekippt, ganz einfach. Die Krallenwunden waren böse entzündet, du glaubst ja nicht, wieviel Antibiotika die Ärzte dir in den Hintern gejagt haben“, grinste Urnue. „Aber jetzt solltest du über den Damm sein. Die Wunden werden verheilen und fertig. Mit etwas Glück bleiben nichtmal richtige Narben zurück, sagt die Oberschwester. ... 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