Magister Magicae von Futuhiro (Magister Magicae 7) ================================================================================ Kapitel 15: „Genug gepennt!“ ---------------------------- Fünf Minuten später ließ Urnue den Kreidestift sinken. Fünf Minuten harter Arbeit. Fünf Minuten, die ihnen allen wie Stunden vorgekommen waren. Die letzte Überbrückung war gezeichnet. Es war ein wenig wie Schaltkreise umstecken. Der Bannkreis flackerte kurz und sank dann kraftlos in sich zusammen. Danny gab seine Mühen auf und ließ sich haltlos zu Boden fallen, um sich erstmal auszuruhen. Da er diesmal nicht immer wieder den kompletten Bannkreis unterdrückt hatte, sondern immer nur ein kleines Teilstück davon, hatten sich seine Kopfschmerzen im Rahmen gehalten und seine Energie hatte sich nicht so schnell erschöpft. Aber trotzdem war er jetzt echt fertig mit der Welt. Er musste dringend lernen, mit seiner magischen Begabung umzugehen, damit diese elenden, körperlichen Nebenwirkungen verschwanden. „Gott sei Dank, ich hab mich nicht verkalkuliert“, hauchte Urnue glücklich. „Kalkuliert? Was wäre denn passiert, wenn du dich verschätzt hättest?“, wollte Josh argwöhnisch wissen. „Holt eure Genii da raus, macht schon“, umging er die Frage und wuselte selbst schnell hinein, um Nyu, die gerade wieder zu sich kam, aus dem Kreidekreis zu ziehen. „Ich weiß nicht, wie lange die Überbrückungen halten. Der Bannkreis kann vielleicht wieder anspringen.“ „Wieder anspringen?“, wollte Danny verwirrt wissen und hob den Kopf wieder. „Hast du das Ding nicht tot gemacht?“ „Nein. Ich hab genau genommen deine magische Begabung, Magie zu unterbinden, manuell erzeugt. Das ist nicht ganz einfach, es gibt einige Zufallsfaktoren und Variablen dabei. ... Aber es ist ja nichts passiert!“, grinste er. „Nyu! Nyu, wach auf. Komm schon. Wir brauchen deine Hilfe.“ „Ja, Mann, du auch, Dicker. Genug gepennt!“, stimmte Josh zu und befreite seinen Steinbeißer von dem Knebel und den Fesseln, die Ybi und Vy ihm verpasst hatten. Victor vertrieb sich die Zeit damit, Urnues Zimmer zu beaugenscheinigen. Hier gab es erschreckend wenig zu sehen. Da war ein Kleiderschrank voller Klamotten, die meisten davon schwarz. Immerhin. Victor wusste, daß der Wiesel-Tiergeist einen Faible für schwarze Sachen hatte. Der Rest waren gebügelte, sauteure Marken-Anzüge, wohl für die offiziellen Anlässe, zu denen Urnue seinen Schützling unmöglich in Gothic-Klamotten begleiten konnte. Dann wären da noch ein paar Sportgeräte in der Ecke, die früher im Keller gestanden hatten. Den Trainingskeller hatte Ruppert offenbar irgendwann wieder aufgelöst. Aber hier im Zimmer nahmen die sperrigen Dinger einfach nur furchtbar viel Platz weg und standen im Weg. Und daneben fanden sich noch ein paar durchweg praktische Dinge: ein Russisch-Lehrbuch, Lehrbücher für Bann-Magie, ein Tischkalender der durch irgendeinen Firmen-Schriftzug als Werbegeschenk ausgewiesen wurde, Schreibsachen. Es hingen keinerlei Bilder an der Wand. Es stand keine Deko auf den Möbeln. Der Raum hatte kein bisschen persönliches Flair. Es wirkte wie ein steriles Hotelzimmer, wenn man die Sportgeräte ignorierte. Urnue schien so gut wie keine eigene Habe zu besitzen. Victor entdeckte einen alten Walkman mit einer handvoll Magnetband-Musikkassetten, alles ganz hinten in einer Schreibtisch-Schublade versteckt, als ob Ruppert es nicht versehentlich finden sollte. Unglaublich. Ruppert war so ein stinkreicher Sack, ein Banken-Besitzer mit Millionen auf dem Konto. Und sein Schutzgeist hatte ... nichts??? War das zu fassen? Nichtmal ein paar Belletristik-Bücher? Nichtmal einen eigenen Computer? Oder einen Fernseher? Oder sei es nur ein kitschiges Plüschtier auf dem Bett? Hatte Urnue denn in Rupperts Augen überhaupt kein Recht darauf, ein Individuum zu sein oder eigene Interessen zu haben? Durfte er nichtmal in seinem Zimmer die Musik hören, die er wollte? Nach einigem Suchen stieß Victor tatsächlich noch auf ein altes, abgegriffenes, zerfleddertes Foto, ebenfalls gut versteckt in irgendeiner Schublade. Es zeigte eine italienische Familie; Mutter, Vater und drei Kinder. Mit etwas Fantasie glaubte Victor in einem der Kinder Urnue in jungen Jahren zu erkennen. Wenn das alles war, was Urnue als Erinnerung an seine Familie hier hatte, dann war er echt nicht besser dran als ein verkaufter Sklave. Jeder andere hätte das Foto zumindest gerahmt auf den Tisch gestellt, aber selbst das sah Ruppert offenbar nicht gern. Alles was Victor in diesem Zimmer sah – und noch viel mehr das, was er nicht sah – bestärkte ihn in seinem Wissen, daß er hier gerade das Richtige tat. Bevor der Russe sich weiter der vermutlich sinnlosen Suche nach persönlichen Gegenständen in Urnues Zimmer widmen konnte, ließ ein wehleidiges „June!“ ihn aufhorchen. Ruppert rief unten im Wohnzimmer um Hilfe. Vielleicht sollte er doch besser mal schauen gehen, was Ybi mit ihrem ehemaligen Finanz-Chef anstellte. Geruhsam räumte er die Schublade wieder ein, damit sein Herumgeschnüffel hier nicht so auffiel, und machte sich auf den Weg nach unten. „June! come here! help me!“, rief Ruppert wieder durch das halbe Haus. Victor lehnte sich in den Türrahmen des Wohnzimmers. „Dein Hausmädchen kann dir nicht mehr helfen. June hat jetzt andere Probleme“, stellte er klar und ließ das Bild auf sich wirken, die sich ihm hier gerade bot. Der grauhaarige Hausherr lag immer noch so da, wie Victor ihn zurückgelassen hatte. Wehrlos auf dem Boden, eingeschnürt in eine magische Fessel. Ybi hatte sich derb in seinen Haaren verkrallt, damit er sie ansah, und eine Bann-Marke leuchtete auf seiner Stirn. Wenn Victor das Zeichen richtig deutete, erzeugte es körperliche Schmerzen bei Ungehorsam. „Victor! ... Dragomir!“, jammerte der Hellseher wehleidig und korrigierte sich dabei schnell nochmal auf den Namen, den er als Freund für Victor benutzen sollte. „Ruf deine Leute zurück! Sag ihnen, daß sie aufhören sollen! Bitte!“ Hoppla. Ein 'Bitte' aus Rupperts Mund? Victor musste schmunzeln. Sah so aus, als würde der Banken-Besitzer endlich einbrechen. „Ybi, was hast du mit ihm gemacht?“, wollte er spürbar belustigt wissen. Die Bann-Magierin feixte. „Ich nehme ihm gerade die PIN-Codes für alle seine Konten ab. Er verrät sie mir zwar nur schleppend, aber ich komme voran. Nachher geh ich zur Bank und räum die alle leer bis zum Dispo-Limit.“ „Dragomir! Hab doch endlich ein Einsehen, bitte!“, heulte Ruppert dazwischen. „Mein ganzes Vermögen. Alles, was ich habe. Bitte hör jetzt auf.“ „Dann verrate ihr deine PIN´s doch einfach nicht“, schlug der Russe schulterzuckend vor. Völlig gelassen und sorglos. Als wäre die Bann-Marke auf Rupperts Stirn nur eine Lappalie, an der man sich nicht weiter stören brauchte. Ein Schniefen. Ein einzelnes Tränchen, das eine Spur auf Rupperts Wange zog. Der Hellseher knickte weiter ein. „Den Kerl braucht man nicht zu foltern. Geld tut ihm viel mehr weh“, merkte Ybi an. Auf diese Erkenntnis war sie stolz. Schon zu Motus-Zeiten hatte sie sich darauf verstanden, Gefangene möglichst schnell und effektiv klein zu kriegen, indem sie heraus fand, was ihnen am meisten zusetzte. Das war quasi ihre Spezialität. Und sie war sadistisch genug, das in vollen Zügen zu genießen. Sie liebte das. „Ich brauche mein Geld noch. Echt, ich habe Zahlungsverpflichtungen. Ihr werdet mich ruinieren.“ Victor kam näher und ging vor Ruppert in die Hocke, um ihm eindringlich und selbstgefällig ins Gesicht sehen zu können. „Dir ist nicht mehr zu helfen, Kumpel“, meinte er ruhig. „Wenn Geld wirklich alles ist, was du hast, dann BIST schon ruiniert. Schon längst.“ Der Banker heulte endgültig los und schaute sich flehend nach der Tür um. Obwohl Victor sich nichtmal sonderlich Mühe gab, bedrohlich auszusehen, hatte Ruppert in diesem Moment Angst vor ihm, einfach weil er so nah war und so eine gnadenlos überlegene Ruhe ausstrahlte. So endgültig. So unabänderlich. „June wird nicht kommen“, kommentierte Victor diesen Blick zur Tür. „Deine Söhne werden auch nicht kommen, um dir zu helfen. Und auch dein ganzes schönes Geld wird dir nicht helfen. Du hast verspielt.“ „Urnue ...“, wimmerte Ruppert geschlagen. „Nein, der schon gar nicht.“ „Aber, er ... er ist doch ...“ „Ja? Was ist er denn?“, hakte Victor ernst nach, als Ruppert den Satz zu lange hängen ließ. Das erste Mal, daß überhaupt der Name 'Urnue' fiel. Das erste Mal, daß Ruppert bemerkte, daß es ja noch einen Schutzgeist in seinem Leben gab. Das war schonmal ein gewaltiger Fortschritt. „Ist Urnue in Ordnung?“, würgte der Banker tränenerstickt hervor. „Sag mir, daß es ihm gut geht! Ich flehe dich an! Ich brauche ihn noch!“ „Ach, auf einmal!? Ich dachte, der ist dir nichts wert. Woher der Sinneswandel?“ „Bitte! Wo ist er, Dragomir? Du hast ihm doch nichts getan, oder?“ „Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Ich müsste mal wieder nachgucken gehen, was meine Leute gerade mit ihm anstellen“, blöffte er. Der Tür-Gong lenkte Victor ab und ließ ihn den Kopf Richtung Flur wegdrehen. „Dragomir, gib mir Urnue wieder ... bitte ...“ „Lass uns später weiter diskutieren.“ Der Russe stand aus seiner Hocke auf und stiefelte davon, um erstmal zu schauen, wer da geklingelt hatte. „Dragomir!“, rief Ruppert ihm verzweifelt nach, aber erfolglos. Er bekam seine Antwort vorläufig nicht mehr. Er versuchte sich einzureden, daß Victor dem Wiesel-Tiergeist unmöglich was angetan haben konnte. Victor und Urnue waren doch Freunde, oder nicht? Andererseits war er selbst ein Freund von Victor. Und hatte es ihm irgendwas genützt? Er lag trotzdem gefesselt hier in seinem eigenen Haus und wurde von ungebetenen Gästen nach Strich und Faden fertig gemacht. Mit Victor befreundet zu sein, war noch keine Lebensversicherung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)