Rette mich! von Hadara ================================================================================ Kapitel 2: POV Sie ------------------ Es war ausnahmsweise eine klare ruhige Nacht, als ich über mir ein kleines Boot in den leichten Wellen schwankend erkennen konnte. Die Besatzung würde zwei oder drei Männer wahrscheinlich nicht überschreiten, schätzte ich an der Größe des Holzgestells. Ich blickte mich um, ob es vielleicht von einem größeren Schiff aus hinunter gelassen worden war, aber weit und breit nur klares Wasser, durch das ich den Nachthimmel schimmern sehen konnte. Und so steuerte ich sie zu, auf die noch nichts ahnenden nächtlichen Besucher. Zuerst verschaffte ich mir einen kurzen Blick auf die heutige Beute. So kam ich nur mit der Hälfte meines Kopfes an die Oberfläche und spähte durch die Dunkelheit hindurch. Kurz mussten sich meine Augen an den Wechsel gewöhnen, aber schnell war es mir möglich klar zu sehen, auch wenn der Mond, heute Nacht von der Sonne verdeckt, kaum Licht spendete und ein normaler Mensch wohl kaum mehr als seine eigene Hand sehen konnte. Leider musste ich feststellen, dass nur ein einziger junger Mann dort drüben über das Meer trieb. Die Wahrscheinlichkeit einen Treffer gelandet zu haben sank auf fast null und fast hätte ich mich wieder auf gemacht und hätte an einer anderen Stelle mein Glück versucht. Aber es war schon spät und es würde sich in dieser Nacht wohl kaum noch etwas anderes finden lassen. Natürlich würde ich auch ein paar Nächte ohne eine Mahlzeit überstehen. Doch es war etwas, dass ich nur sehr ungern tat. Also bereitete ich mich kurz vor und begann dann mit meinem Durchlauf. Ein bisschen Gesang, ein bisschen hübsch aussehen, mehr war das nicht. Schon hatte ich ihn in meinen Fängen. Wie von selbst lehnte er sich aus dem Boot heraus. Einige seiner zerzottelten Haselnuss-braunen Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht und wie von selbst komme ich nicht drum herum, sie ihm aus dem Gesicht zu streifen bevor ich nach seinem Nacken greife, um ihn mit runter zu nehmen. Damit mache ich auch gleich die Sicht auf seine Augen frei, die mich mit ihrem satten grün stark an eine Katze erinnerten. Sie strahlten mich mit lauter Bewunderung und Energie an. Bisher war die Reaktion auf meinen Gesang noch nie so stark gewesen. Der Zustand entsprach eher einer starren Trance. Doch bei diesem jungen Mann war es ganz anders. Trotz fahler Haut und trockener aufgesprungener Lippen sieht er lebendiger aus als jeder davor. Und ohne dass ich es aufhalten kann macht mein Herz einen Sprung. Ich weiß nicht warum und kann es auch demzufolge nicht besonders gut erklären oder beschreiben, aber gleichzeitig macht sich da auch noch dieses Gefühl breit. Besser gesagt eine Erinnerung an ein Gefühl, da ich nicht wirklich in der Lage bin menschliche Emotionen zu verspüren. Es kommt mir bekannt vor und dann auch wieder nicht. Komplett neuartig und irgendwie vertraut. Ungehindert singe ich weiter und zum ersten Mal nehme ich die Worte aus meinem Mund wirklich wahr. Sie sind auf einmal kein simpler Bannspruch mehr, den ich seit Anbeginn kenne, sondern sie kommen aus den tiefen meines Herzen, wo sie schon immer hergekommen sind. Es sind die Worte meines Ursprung. Die Worte der von der See verschlungenen Seelen, die sich nach Abschluss sehnten, ihn aber nie erhalten würden. Nur verstehe ich das erst jetzt und wie von selbst ziehe ich mich zu dem Grund für meine Erkenntnis hoch und unsere Lippen vereinen sich. Es ist nicht mein erster Kuss. (Manchmal musste ich ein wenig nachhelfen.) Es ist der erste, der nicht hätte sein müssen und ich bin von mir selbst überrascht, dass mich dieser Mann wie aus dem Nichts auf einmal unheimlich anzog. Unfähig meine eigenen Aktionen nachzuvollziehen mache ich trotzdem weiter wie ich es immer tat. Es wäre reine Verschwendung dem auf den Grund zu gehen und zu versuchen Emotionen zu ergründen, die ich eigentlich nicht wirklich besaß. Ich hatte sie zwar und sie waren irgendwie da, aber sie waren nie wirklich meine eigenen gewesen, sondern etwas, dass ich mir von anderen nur lieh. So faste ich ihn also und zog ihn, wie so viele davor schon, nach unten. Immer tiefer und tiefer bis eine Flucht dem Unmöglichen gleich kam. Die ganze Zeit über halte ich ihn am Handgelenk fest, sodass er mir nicht entfleuchen würde, diesmal schien es mir dabei so viel wichtiger als sonst, weswegen mein Griff heute besonders stark war. Mit der letzten Zeile meines Liedes sollte sich auch so langsam der Bann von ihm heben, aber statt in Panik aufzugehen zieht sich ein ergreifendes Lächeln über seine Lippen, als hätte er mit allem abgeschlossen und würde die Sekunde seines Todes sogar willkommen heißen. Als würde er mich akzeptieren und keine Angst vor mir haben. Ich dachte mir, dass er vielleicht auch einfach nicht begriff, was gerade passierte, denn noch nie ist jemand mir gegenüber so ruhig und ausgeglichen gewesen, wenn er mein wahres Gesicht gesehen hat. Wenn er gesehen hatte was für ein Monster sich hinter diesem hübschen Gesicht wirklich verbarg. Und da war es auch schon wieder, dieses fremde Gefühl. Ich wollte einfach nur noch, dass es weg ging und mich in Ruhe ließ, denn ich konnte nichts damit anfangen. Und so zeigte ich ihm meine Blutroten Augen, als er mich ein letztes Mal ansah, um ihm sein verdammtes Schicksal vor Augen zu führen. Aber sein Blick bleibt fokussiert und er sieht mich unverändert ohne Angst an. Ich konnte es nicht glauben. In all den Jahren. Und auf einmal war ich es, die Panik bekam. Wollte ich wirklich, dass diese eine Person, die mich zum ersten Mal etwas hat fühlen lassen und mich in meiner wahren Form zu akzeptieren schien, durch meine Hände starb? Nein! Ich wollte nicht, dass er stirbt und ich nicht ein einziges Mal die Chance hatte ein Wort mit ihm zu wechseln. Ich wollte ihn nicht verlieren, so verrückt es auch schien. Ich wollte diesen Mann. Mit diesen Gedanken muss ich zusehen, wie vor meinen Augen die letzte Luft aus seinen Lungen entweicht und er sein Bewusstsein endgültig verliert. Ich werde hektisch. Die Oberfläche war zu weit weg, als dass ich es rechtzeitig schaffen würde. Es schien aussichtslos. Sollte es wirklich jetzt schon vorbei sein? Sollte ich dazu verdammt sein ihm tatenlos beim Ertrinken zusehen zu müssen? Das konnte ich einfach nicht akzeptieren. Schon zu lange habe ich mich nach der Oberfläche gesehnt, an der man mich bisher nur gefürchtet hatte und die ich nur zum stillen meines endlosen Hungers mit meinem Gesang kurzzeitig erreichen konnte. Schon zu lange habe ich hier unten Zeit in dieser einsamen, unendlich langen Stille verbracht. Und so kommt mir in letzter Minute die rettende Idee. Ich war mir nicht sicher, ob es wirklich funktionieren würde. Schließlich bin ich nicht unbedingt ein Experte, was das retten von Ertrinkenden anzugehen schien, aber selbst ich wusste, dass ich ihm einfach auf irgendeine Weise Sauerstoff zuführen musste. Der einzige Sauerstoff in Form von Luft, den es in Reichweite gab befand sich allerdings in mir selbst. Wenn meine Erinnerungen mich nicht betrügen, gibt es zum Glück auch eine Möglichkeit ihm diesen zu überreichen. Eine Mund zu Mund Beatmung schien der einzige Ausweg zu sein, sollte er denn auch wirklich funktionieren. Andere Optionen fielen mir auf die Schnelle nicht ein und so zog ich so viel Sauerstoff aus dem Wasser wie es mir auf einmal möglich wahr, faste meinen Gegenüber ein wenig grob am Kinn und zerrte seine Lippen auseinander, um ihm in meiner Hektik so schnell wie möglich etwas von meiner Luft zum Atmen abzugeben. Etwas unbeholfen versuchte ich meinen Mund geöffnet auf seinen zu pressen und in ihn hinein aus zu atmen. Doch es tat sich nichts. Kurzerhand brach ich diese unglaublich dämliche Aktion ab und steuerte den kürzesten Weg zurück zur Oberfläche an. Wie bereits abgeschätzt dauerte es eine Weile bis ich den Ende der Wassermengen vor mir sehen konnte. In der Hoffnung jedoch, dass das Beatmen vielleicht ein wenig Helfen konnte und ein Mensch vielleicht auch eine Weile ohne Sauerstoff überleben konnte, tat ich einfach mein bestes und schwamm mit voller Kraft. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Mein Herz tönte währenddessen immer noch laut pochend in meiner Brust. Zum einen vor Aufregung und zum anderen aus Angst. Angst um diesen Mann, den ich eigentlich überhaupt nicht kannte. Und vielleicht auch nie kennenlernen würde, sollte ich es nicht rechtzeitig schaffen ihn an die Luft zu bringen. Allein bei dem Gedanken daran legte ich noch einmal einen Zahn zu, auch wenn ich es gar nicht für möglich gehalten hätte, dass ich noch schneller konnte, als ich ohne hin schon schwamm. Not verleiht Flügel oder wie war das noch gleich? Die letzten paar Meter hechtete ich durch das Nass und durchbrach dann endlich mit schwerem Atem und schmerzenden Gliedern den Meeresspiegel. Doch auch als ich ihn Überwasser zog, schnappte er nicht nach Luft, sondern lag genauso leblos in meinen Armen, wie er es unter Wasser getan hatte. Das hatte ich nicht erwartet und so vergingen auch schon wieder einige Momente, wo ich komplett untätig darüber nachdenken musste, was man hier normalerweise tun müsste. Da sah ich zum Glück das Bot in der Ferne und erinnerte mich in irgendeinem entfernten Winkel daran, dass man das Wasser aus seinen Lungen drücken musste. Also steuerte ich in Eiltempo auf das Bot zu und betete derweil dafür, dass es nicht schon seit langem zu spät war. Angekommen hievte ich ihn mit letzter Kraft über den Rand des Bootes und hielt mich daran fest, da meine Beine und Arme bereits etwas schwächelten. Dann zog auch ich mich in die Holzschale und fing ohne langes weiteres überlegen an erste Hilfe zu leisten, soweit Teile von mir sich daran zu erinnern schienen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)